Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (18,23 - 21,17)

Apg 19,23-27

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 19,23-27

 

 

Übersetzung

 

Apg 19,23-27:23 Es entstand aber zu jener Zeit ein beträchtlicher Aufruhr wegen des Wegs. 24 Denn ein gewisser (namens) Demetrius, ein Silberschmied, der silberne Artemistempel herstellte, verschaffte den Kunsthandwerkern beträchtlichen Gewinn. 25 Die[se] und auch [weitere], die Dinge solcher Art herstellten, versammelte er und sprach: "Männer, ihr wisst, dass auf diesem Gewerbe unser Wohlstand beruht. 26 Und ihr seht und hört ja, dass dieser Paulus nicht nur von Ephesus, sondern beinahe von der ganzen [Provinz] Asien eine große Menschenmenge beschwatzt und verführt hat, indem er behauptet, die durch Hände entstandenen [Götter] seien keine Götter. 27 Dadurch besteht nicht nur die Gefahr, dass unser Geschäftszweig in Verruf gerät, sondern auch, dass der Tempel der großen Göttin Artemis für nichts erachtet wird, und sie, die doch von der ganzen [Provinz] Asien und von der gesamten Welt verehrt wird, künftig ihre Majestät einbüßt.“

 

 

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V. 23

 

Beobachtungen: Gemäß 19,21-22 hatte Paulus den Entschluss gefasst, durch Makedonien und Achaia zu ziehen und dann nach Jerusalem und schließlich auch nach Rom zu reisen. Allerdings setzte er seinen Plan nicht sogleich um, sondern er schickte seine beiden Mitarbeiter Timotheus und Erastus im Voraus nach Makedonien, blieb jedoch selbst noch einige Zeit in der Provinz Asien. Es ist davon auszugehen, dass sich "zu jener Zeit“ auf die Zeit nach der Abreise des Timotheus und Erastus, also auf die letzte Phase des Aufenthaltes des Paulus in Ephesus, bezieht. Der Aufruhr leitete demnach den endgültigen Abschied ein. Sieht man die Erzählung vom Aufruhr des Demetrius als ein eigenständiges Traditionsstück an, das der Verfasser der Apg in seinen eigenen Bericht eingebaut hat, kann man auch die Ansicht vertreten, dass "zu jener Zeit“ ursprünglich ganz allgemein "zur Zeit des Aufenthaltes des Paulus in Ephesus“ bedeutete. Die Datierung des Aufruhrs des Demetrius in die Schlussphase des Aufenthaltes wäre dann erst durch den Einbau des Traditionsstücks in die Apg erfolgt.

 

Die christliche Lehre − eine Eigenheit der Apg − wird als "der Weg“ bezeichnet. Der Verfasser der Apg scheint nicht weiter erklären zu müssen, um was für einen Weg es sich handelt. Wenn die Leser der Apg die Formulierung auch ohne Erklärung verstehen, dann muss es sich um eine allgemein gängige, geprägte Formulierung handeln. Vielleicht ist von einer Selbstbezeichnung der Christen auszugehen. Ähnliche Selbstbezeichnungen begegnen auch bei den Essern in Qumran (vgl. 1QS 9,17-18; 10,20-21; CD 1,13; 2,6). Vermutlich liegt der Bezeichnung "Weg“ die Vorstellung eines Weges zugrunde, der von Heil geprägt ist und − zumindest nach christlichem Verständnis − zum ewigen Leben führt.

 

Weiterführende Literatur: Ausführlich mit den Abschnitten, die vom Aufenthalt des Paulus in Ephesus handeln, und mit dem Kult der Artemis von Ephesus befasst sich R. Strelan 1996, der auf S. 132-140 auf Apg 19,23-27 samt Forschungsdiskussion eingeht.

 

Zu Magie und Heidentum in der Apg siehe H.-J. Klauck 1996, der sich auf S. 117-126 mit dem Aufstand der Silberschmiede befasst.

Laut C. E. Arnold 1989, 14-20 sei Ephesus ein Zentrum magischer Praktiken gewesen. Zum Artemiskult im Einzelnen siehe S. 20-28. G. H. R. Horsley 1992, 131, Anm. 109 merkt demgegenüber an, dass in Ephesus zwar sicherlich die Magie geblüht habe, dies jedoch nicht unbedingt mehr als in anderen Städten der Fall gewesen sei.

 

R. F. Stoops 1989, 73-91 hält die Forderung der Juden, innerhalb der griechischen Städte des östlichen Mittelmeerraums toleriert zu werden und einen autonomen Status zu erhalten, für den Hintergrund der Geschehnisse in 19,23-41.

 

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V. 24

 

Beobachtungen: "Demetrius“ (lateinische Namensform; griechische Namensform: Demetrios) war ein in der Provinz Asien gängiger Name. Das verbietet eine vorschnelle Identifizierung mit dem in 3 Joh 12 erwähnten gleichnamigen Christen oder mit dem in einer ephesischen Inschrift genannten Demetrius, der als "neôpoios“ für die Instandhaltung eines Tempels zuständig war.

 

Die Artemis von Ephesus ist eine Nebenform der griechischen Artemis. Sie dürfte als asiatische "Große Mutter“ mit der phrygischen Muttergottheit Kybele verwandt sein. Insofern wurde sie mit der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Erst die hellenistische Deutung dieser Göttin brachte sie mit der griechischen Artemis, der Hüterin der Jungfräulichkeit, der Göttin der wilden Tiere und der Jagd, der Quellen und der Unterwelt in Verbindung. Von der griechischen Artemis hat die ephesische ihren Namen. In der römischen Götterwelt tauchte Artemis unter dem Namen Diana auf.

 

Es gab im Mittelmeerraum eine Vielzahl lokaler Artemisheiligtümer. Das bedeutendste und größte Heiligtum war jedoch der Artemistempel (Artemision) bei Ephesus in der Provinz Asien. Dieser maß 120 zu 70 Meter und war von 128 Säulen zu 19 Metern Höhe umgeben. Er war das größte Bauwerk der hellenistischen Welt und galt als eines der sieben Weltwunder der Antike. Er war auf dem Schutt eines ähnlichen Vorgängerbaus errichtet worden, der 356 v. Chr. einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war. Das innerste Heiligtum des Tempels, "Adyton“ genannt, bestand aus einem großen Raum mit einem Kultbild der Artemis. Dessen wichtigste Merkmale sind uns aus plastischen Nachbildungen bekannt: ein mit Binden umwickelter, sich nach unten stark verjüngender Unterkörper, ein mit zahlreichen, Fruchtbarkeit symbolisierenden "Brüsten“ (menschliche Brüste?, Stierhoden? Eier? als Brüste missverstandene Schmuckbehänge?) bedeckter Oberkörper sowie ein von der Mondscheibe umrahmtes Haupt, das die Mauerkrone, das Attribut der Stadtgottheit, trägt. Eine Halskette mit den Tierkreiszeichen weist auf ihr Ansehen als Herrscherin über Sterne und Ereignisse hin.

 

Was haben wir uns unter den silbernen Artemistempeln, die Demetrius herstellte, vorzustellen? Der Begriff "naos“ kann das gesamte Tempelgebäude bezeichnen oder auch das innerste Heiligtum. Allerdings wurde der Begriff auch für kleine Schreine, die bei Prozessionen mitgeführt wurden, benutzt. Geht man also von der Hauptbedeutung "Tempel“ aus, so ist an kleinformatige Nachbildungen des gewaltigen Tempels zu denken, die aus Silber gefertigt wurden. Es sind allerdings bei Ausgrabungen nur Tempelnachbildungen aus gebranntem Ton (Terrakotta) oder Marmor, nicht aber aus Silber gefunden worden. Ein solches Fehlen ist vielleicht damit zu begründen, dass das wertvolle Material im Laufe der Jahrhunderte aufgefunden und umgeschmolzen worden ist. Allerdings hätte dieses Schicksal auch den silbernen Artemisfigurinen und Silbermünzen mit Darstellungen des Artemistempels widerfahren müssen. Neben Nachbildungen des Tempels sind auch Nachbildungen nur des innersten Heiligtums oder der bei Prozessionen mitgeführten Schreine (evtl. samt Nachbildung des Artemis-Kultbildes in Kleinformat) möglich. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Demetrius nicht derlei Nachbildungen gemacht hat, sondern Amulette. So ist eine Matrize aus dem 1. oder 2. Jh. Chr. erhalten, mittels derer Amulette hergestellt werden konnten, die im Relief das Kultbild der Artemis im Mittelpunkt einer den Tempel andeutenden Säulenfront zeigten. Gemäß dem Verfasser der Apg hätte Demetrius solche Amulette hergestellt, indem er flüssiges Silber in solche Matrizen goss.

 

Fraglich ist, welchem Zweck die "silbernen Artemistempel“ dienten. Handelte es sich um Souvenire, die Besucher des Artemistempels als Erinnerung an den Besuch erwarben? Oder handelte es sich um Votivbilder, die der Göttin bei dem Tempelbesuch dargebracht wurden, sei es zur Unterstützung einer Bitte oder als Dank? Oder handelte es sich um Amulette, die nicht nur Erinnerungswert hatten, sondern auch den göttlichen Beistand, das göttliche Heilswirken, vergegenwärtigen sollten? Oder handelte es sich um kleine Artemis-Heiligtümer, die im eigenen Heim aufgestellt werden konnten?

 

Man sollte meinen, dass der Silberschmied Demetrius sich selbst mit der Herstellung der "silbernen Artemistempel“ Einkünfte verschaffte. Von diesen ist jedoch nicht die Rede. Stattdessen heißt es, dass er den Kunsthandwerkern beträchtlichen Gewinn verschaffte. Will man nicht von der unwahrscheinlichen Annahme ausgehen, dass Demetrius gänzlich uneigennützig für den Gewinn der Kunsthandwerker arbeitete, so müssen Demetrius und die Kunsthandwerker in irgendeiner Form in einem Abhängigkeitsverhältnis gestanden haben. Dafür spricht auch, dass Demetrius der Anführer des Aufruhrs war, er also von der Herstellung der "silbernen Artemistempel“ einen (finanziellen) Nutzen gehabt haben muss. Entweder versorgte Demetrius die Kunsthandwerker mit Aufträgen oder sie führten als Subunternehmer jeweils einen bestimmten Teil der Aufträge aus. Möglich ist auch, dass die Kunsthandwerker keine Selbstständigen, sondern bei Demetrius angestellte Lohnarbeiter waren. Angesichts des anzunehmenden Abhängigkeitsverhältnisses kann das Partizip "poiôn“ ("herstellend“) nicht nur im Sinne von "der…herstellte“, sondern auch im Sinne von "der … herstellen ließ“ gedeutet werden. Ob die Kunsthandwerker wie Demetrius Silber bearbeiteten oder (auch) andere Materialien, ist unklar. Einerseits werden sie mit Silber in Verbindung gebracht, andererseits aber nicht als "Silberschmiede“ bezeichnet.

 

Der Begriff "ergasia“ kann sowohl das Gewerbe an sich als auch den Gewinn meinen, den das Gewerbe bringt. In V. 24 ist wohl beides im Blick, wobei besonderes Gewicht auf dem Gewinn liegen dürfte.

 

Weiterführende Literatur: Mit einer bronzenen Matrize aus dem 2. oder 1. Jh., die einen Beleg für die Verschmelzung von der Muttergöttin und der Göttinnen Artemis, Hekate und Demeter darstelle, befasst sich E. D. Reeder 1987, 423-440. Die anhand dieser Matrize aus dem Raum Smyrna gegossenen Reliefs seien analog zu den "silbernen Artemistempeln“ als Votivgaben benutzt oder als Amulette getragen worden und seien Vorläufer der von den römischen Kybelepriestern getragenen "protethidia“ gewesen.

 

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V. 25

 

Beobachtungen: Neben den Kunsthandwerkern wird eine weitere Gruppe erwähnt, nämlich die "ergatai“ ("Arbeiter“). Diese "Arbeiter“ waren mit "Dingen solcher Art“ ("ta toiouta“) befasst. Es dürfte sich also ebenfalls um Personen gehandelt haben, die wie der Silberschmied Demetrius und die Kunsthandwerker "silberne Artemistempel“ herstellten. Allerdings weist ihre gesonderte Nennung darauf hin, dass sich ihre Tätigkeit von derjenigen des Demetrius und der Kunsthandwerker unterschied. Vermutlich handelte es sich um Arbeiter, die einfache Arbeiten ausführten, also keine Silberschmiede oder Kunsthandwerker im eigentlichen Sine waren, sondern diesen nur assistierten oder zuarbeiteten. Möglich ist auch, dass die "Kunsthandwerker“ ("technitai“) diejenigen Handwerker waren, die von Demetrius ihre Aufträge erhielten, und die "Arbeiter“ alle weiteren Handwerker, die mit der Herstellung "silberner Artemistempel“ befasst waren.

 

Es wird zwar nicht gesagt, um was für eine Art Versammlung es sich handelte, doch spricht die Einberufung durch eine anscheinend besonders angesehene Person und die Teilnahme von Handwerkern, die alle mit demselben Gewerbe befasst waren, für eine Versammlung eines zunftähnlichen Gewerbevereins (lat.: collegium). Möglicherweise war Demetrius der Vorsitzende dieses Gewerbevereins.

 

Die Anrede "andres“ ("Männer“) lässt annehmen, dass die Zuhörerschaft nur aus Männern bestand. Sicher ist dies allerdings nicht, weil in Ausnahmefällen "andres“ auch "Menschen“ bedeuten kann.

 

In der direkten Rede des Demetrius taucht erneut der Begriff "ergasia“ auf. Im Gegensatz zu V. 24 ist hier in erster Linie das Gewerbe gemeint. Das Gewerbe stellte Demetrius als Grundlage des Wohlstands (euporia) der Versammelten dar. Wohlstand folgt jedoch nicht aus jedem Gewerbe, sondern nur aus einem Gewerbe, das Gewinn bringt. Insofern ist in V. 25 der Begriff "ergasia“ als "Gewinn bringendes Gewerbe“ zu deuten.

 

Weiterführende Literatur: R. Selinger 1997, 242-259 untersucht mit einer an profanen Texten geübten rechtshistorischen Methode, ob und in welchem Maß behauptete Fakten in der Demetriosgeschichte objektiv plausibel erscheinen. Ergebnis: Die Darstellung des literarischen Dramas sei wirklichkeitsnah und beim Autor müsse ein großes Detailwissen von Theorie und Praxis griechischer Stadtverwaltung vorausgesetzt werden. Zu V. 23-28: Die Versammlung der Devotionalienproduzenten habe Demetrios nicht aufgrund privater Initiative einberufen, sondern im Rahmen des Vereinsrechts. Zur Existenz eines zunftähnlichen Gewerbevereins der Silberschmiede und zur Einberufung von dessen Mitgliedern samt den Betreibenden verwandter Handwerkskünste siehe P. T. Crocker 1987, 76-78. Zur Bedeutung der "collegia“ siehe R. Strelan 1996, 140-143.

 

A. Weiß 2009, 69-81 bestätigt das hohe Maß an Lokalkolorit in 19,23-40, leuchtet den historischen Hintergrund der Erzählung jedoch mit Hilfe einer der bedeutendsten ephesischen Inschriften weiter aus. So habe sich im Jahre 44 n. Chr. der Statthalter der Provinz Asia, Paullus Fabius Persicus, genötigt gesehen, ein strenges Schreiben an die Epheser zu richten und die miserable Finanzverwaltung der Stadt, von der in erster Linie das Artemision betroffen gewesen sei, zu maßregeln. Wahrscheinlich sei der Erlass des Prokonsuls (I. Ephesos 18a, Z. 2) sogar von noch höherer Stelle, nämlich vom Kaiser Claudius, veranlasst gewesen, was die Tragweite der ephesischen Misswirtschaft und die Bedeutung der Affäre unterstreichen würde. Diese einige Jahre vor dem Aufstand der Silberschmiede erlittene Demütigung der Epheser durch das Edikt des Paullus Fabius Persicus, dessen Text für jedermann nachlesbar in mehrfacher (am Theater in zweifacher) Ausfertigung öffentlich ausgestellt worden sei, bilde die Folie, vor der man die (Über-)Reaktion der ephesischen Stadtbevölkerung erklären könne.

 

R. Oster 1984, 233-237 weist die verschiedentlich geäußerte Vermutung zurück, dass ein etwa aus dem Jahre 160 n. Chr. stammender Erlass des Popillius Carus Pedo, Prokonsul der Provinz Asia, der eine Missachtung des Artemiskultes offenbare, mit Apg 19,23-41 oder dem Erstarken des Christentums Mitte des 2. Jh.s n. Chr. zu verbinden sei.

 

É. Delebecque 1983, 419-429 hält die Textvarianten des Codex Bezae Cantabrigiensis in Apg 19,24-40 nicht einfach nur für Varianten oder gar für Glossen, sondern führt sie auf Lukas selbst zurück. Die Textfassung des Codex sei dem Bemühen des Lukas entsprungen, seinen Text auszufeilen und zu verbessern.

 

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V. 26

 

Beobachtungen: Die Verachtung, die Demetrius Paulus gegenüber empfand, geht aus der Formulierung "dieser Paulus“ hervor. Grund für die Verachtung ist der Missionserfolg des Paulus, der bei Demetrius nachfolgend aufgeführte Sorgen hervorrief.

 

"Asien“ ("Asia“) ist hier sicherlich nicht die Bezeichnung des Kontinentes, sondern die Bezeichnung der römischen Provinz Asien (Asia). Diese bestand aus dem Gebiet des ehemaligen Königreichs Pergamon, das 133 v. Chr. als Erbschaft an das Römische Reich gefallen war.

 

Fraglich ist, ob es Paulus selbst war, der beinahe von der ganzen Provinz Asien die Leute beschwatzt und verführt hat. Da sich − zumindest zeitweise - auch Mitarbeiter des Paulus, zu denen auch Timotheus und Erastus (vgl. 19,22) und vermutlich auch die "Reisegefährten“ Gaius und Aristarch gehörten (vgl. 19,29), in der Provinz aufhielten, ist davon auszugehen, dass die Mission ein Gemeinschaftswerk war. Allerdings dürfte Paulus als prominentester Vertreter des Christentums erschienen sein.

 

In der Bewertung der durch Hände entstandenen Götter lag der entscheidende Unterschied zwischen Demetrius und Paulus: Demetrius sah auch die durch Hände entstandenen Götter als Götter an, für Paulus waren diese dagegen Nichtse. Wenn Paulus die durch Hände entstandenen Götter nicht als Götter anerkannte, so ist nichts darüber ausgesagt, ob Paulus nicht durch Hände entstandene heidnische Götter als Götter anerkannte. Diese Frage ist hier nicht von Interesse, weil Demetrius seine Aussage wahrscheinlich ganz konkret im Hinblick auf das Kultbild im Artemistempel in Ephesus formulierte. Die Verehrung dieses Kultbildes begründete nämlich seinen eigenen Verdienst und den der Kunsthandwerker und weiteren Arbeiter. Es ist anzunehmen, dass mindestens im Falle der Göttin Artemis von Ephesus die Verehrung des Kultbildes mit der Verehrung der Göttin gleichzusetzen ist. Demnach wäre also nicht nur das Kultbild, sondern auch die Göttin selbst durch Hände entstanden.

 

Weiterführende Literatur: Auf S. 187-267 bringt W. Stegemann 1991, 187-267 die Gefährdung der Christen durch den Verdacht von Staatsverbrechen zur Sprache, analysiert also die Konfliktebene lukanischer Christen mit der heidnischen Obrigkeit. Dabei solle anhand von vier in der Apg geschilderten Konflikten des Paulus und anderer Christen (vgl. 19,23-40; 16,19-40; 17,6-7; 18,12-17) die rechtliche bzw. politische Dimension dieser Konflikte im Verhältnis der Christen zur heidnischen Öffentlichkeit aufgezeigt und aus der besonderen historischen Situation von Christen unter dem Prinzipat Domitians erklärt werden. In einem Vergleich mit anderen christlichen Texten werde schließlich die Gefährdung der lukanischen Christen wieder historisch eingeordnet. Zu Apg 19,23-40: Soziale bzw. wirtschaftliche Interessen der heidnischen Bevölkerung bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen hätten in einer spezifischen politischen Situation dazu führen können, dass die latente, in Xenophobie wurzelnde Feindschaft gegen die Juden, sich gewalttätig entlud. Dabei habe offenkundig auch eine "Aggressionsverschiebung“ eine Rolle gespielt, insofern die jüdische Bevölkerung zum "Sündenbock“ für bestimmte Ereignisse mit wirtschaftlichem Hintergrund (Brand in Antiochia) oder politische Verhältnisse mit sozialen Konsequenzen (die Römer hatten der Unabhängigkeit Alexandrias ein Ende bereitet) habe gemacht werden können.

 

Mit der Paulusrezeption in Apg 19 befasst sich H. Omerzu 2009, 166-173. Sie stellt fest, dass das von Lukas in Apg 19,23-40 entworfene Szenario der Zeit und der Perspektive etwa Plinius' des Jüngeren viel näher stehe als der des Paulus. Denn der römische Statthalter beklage in seinem −freilich ebenfalls keineswegs tendenzfreien! − Brief an den Kaiser Trajan, dass sich die Seuche "dieses Aberglaubens“ nicht nur über die Städte, sondern auch über die Dörfer und das flache Land ausgebreitet und zur Verödung der Tempel und Einstellung der Opfer geführt habe. Die Darstellung der Auswirkungen der christlichen Mission für heidnische Kulte durch Plinius sei gewiss ähnlich übertrieben wie diejenige durch Demetrius in 19,26-27.

 

C. L. Brinks 2009, 776-794 vertritt die Ansicht, dass die Aussage "die durch Hände entstandenen Götter sind keine Götter“ wohl kaum zu einem dermaßen großen Aufruhr geführt habe. Das Ausmaß des Aufruhrs sei auf dem Hintergrund der Beliebtheit des Artemis-Kultes zu verstehen. Paulus sei sich der Beliebtheit und des Einflusses des Artemis-Kultes bewusst und vergleiche auf geschickte Weise unterschwellig Artemis mit dem Gott der Christen. Er gebe den Ephesern zu erkennen, dass selbst die Verehrer der Artemis den Glauben vertreten, dass sich die Göttin mit einer mächtigeren Gottheit konfrontiert sehe.

L. J. Kreitzer 1987, 59-70 weist darauf hin, dass 50 oder 51 n. Chr. in Ephesus anlässlich der Heirat des Kaisers Claudius mit Agrippina zwei als "Cistophori“ bezeichnete Silbermünzen im Wert von drei römischen Denaren geprägt worden sind. Diese stellten in Verbindung mit weiteren Cistophori einen bedeutenden Schlüssel für das Verständnis von Apg 19,23-41 dar. Die anhand der Münzen erkennbare synkretistische Verbindung der Göttin Artemis/Diana könne das Ausmaß des Aufruhrs der Epheser erklären.

 

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V. 27

 

Beobachtungen: Der Beginn von V. 27 ist wörtlich mit "Dadurch besteht nicht nur für uns die Gefahr, dass der Geschäftszweig in Verruf gerät…“. Demetrius betont also die Gefahr, die von Paulus für Demetrius, die Kunsthandwerker und die weiteren Arbeiter ausgeht. Da es sich um deren eigenen Geschäftszweig handelte und die Gefährdung der Personen nicht von dem Geschäftszweig zu trennen war, ist hier die Übersetzung "Dadurch besteht nicht nur die Gefahr, dass unser Geschäftszweig in Verruf gerät…“ angemessen.

 

Wenn die Gefahr bestand, dass der Geschäftszweig derjenigen, die "silberne Artemistempel“ herstellten, in Verruf geriet, so ist daraus zu schließen, dass die Herstellung dieser Kunsthandwerksprodukte mit Betrug in Zusammenhang gebracht wurde: Man verdiente Geld mit dem Irrglauben, dass das Kultbild der Artemis von Ephesus tatsächlich eine Göttin darstelle. Wenn die Artemis-Gläubigen merkten, dass das Kultbild der Artemis von Ephesus − und wohl auch Artemis von Ephesus selbst − keine Göttin war, dann musste auch der ganze Handel mit den "silbernen Artemistempeln“ sinnlos erscheinen. Erstens waren dann nämlich der ganze Artemistempel und somit auch dessen Abbildungen sinnlos, zweitens kam weder dem Kultbild der Artemis von Ephesus noch den damit verbundenen Kunsthandwerksprodukten irgendeine Heilskraft zu. Demetrius, die Kunsthandwerker und die weiteren Arbeiter verloren dann nicht nur ihren Verdienst, sondern mussten als Betrüger angesehen werden.

 

Die Reihenfolge der Sorgen ist bemerkenswert: Die Hauptsorge galt Demetrius ihm selbst sowie den Kunsthandwerkern und weiteren Arbeitern, dass nämlich ihr Geschäftszweig in Verruf geraten könnte. An zweiter Stelle nannte er dann den Tempel und erst an dritter und letzter Stelle die Göttin Artemis von Ephesus. Diese Nachrangigkeit kaschierte Demetrius, indem er die Artemisverehrung in gewaltigen Worten ausmalte.

 

"Die große Göttin“ ("hê megalê thea“) war vermutlich ein (oder: der) Titel der Göttin Artemis von Ephesus. Er dürfte die besonders große Majestät der Göttin ausgesagt haben, nicht jedoch die besondere Größe ihres Kultbildes.

 

Wenn Demetrius betonte, dass die Göttin Artemis bzw. ihr Kultbild "von der ganzen [Provinz] Asien und von der gesamten Welt verehrt wird“, so verband er Patriotismus und Frömmigkeit. Der Hinweis auf die ganze Provinz Asien ließ die Göttin Artemis von Ephesus geradezu als die Göttin der eigenen Provinz des Demetrius, der Kunsthandwerker und der weiteren Arbeiter erscheinen. Der Hinweis auf die "ganze Welt“ ("oikoumenê“ = "Erdkreis“) ließ die Verehrung der Artemis als weltweit erscheinen und betonte ihre Majestät. Dabei ist zu bedenken, dass Demetrius nicht an alle Kontinente der Weltkugel gedacht haben kann, denn einige Kontinente (auf jeden Fall Amerika und Australien/Ozeanien), waren ihm noch unbekannt. Die "ganze Welt“ wird Demetrius also auf die ihm bekannte Welt, insbesondere auf das Römische Reich, bezogen haben. Die Betonung der besonderen Majestät der Artemis von Ephesus diente sicherlich rhetorischen Zwecken. Darüber hinaus kann sie aber auch als Hinweis darauf angesehen werden, dass Demetrius Artemis von Ephesus tatsächlich verehrte.

 

Dass der Artemis in der Antike große Bedeutung zukam, geht aus der Vielzahl der Artemistempel und insbesondere aus der Größe des Artemistempels in Ephesus hervor. Insofern ist nicht gesagt, dass Demetrius die Bedeutung der Artemis von Ephesus übertrieb. Nicht eine (angebliche) Übertreibung der Bedeutung der Artemis von Ephesus seitens Demetrius ist hier bemerkenswert, sondern die Verbindung von Kommerz mit Patriotismus und Religion, wobei der Kommerz vorangestellt ist.

 

Weiterführende Literatur: B. Wander 2000, 465-476 bewertet im Gegenzug zum üblichen Strom der Forschung die Komposition und Anordnung der Apg im Hinblick auf die dokumentierten Apologien und Unschuldsbeteuerungen als ein angelegtes und durchdachtes System, in welchem in aller Genauigkeit und Vollständigkeit sämtliche Vorwürfe und Vorhaltungen gegen den "neuen Weg“ angeführt werden, um sie gleichzeitig Zug um Zug zu entkräften. Eine solche Beurteilung sei gegenüber bisheriger Forschung insofern neu, als Apologien nicht nur als solche enttarnt und vorgeführt, sondern als sinnvoller Teil innerhalb eines Ganzen anerkannt und gewürdigt werden. Zu 19,27: In 19,23-27 werde wie in 16,16-22 der Vorwurf präsentiert und bearbeitet, die Botschaft der Christusbewegung sei mit einem wirtschaftsschädigenden Impuls verbunden.

 

Artemis von Ephesus und verwandte Kultstatuen aus Anatolien und Syrien hat R. Fleischer 1978, 324-358 zum Thema. Ergänzende Neuigkeiten siehe R. Fleischer 1983, 81-93.

Zum Artemistempel, -bild und −kult sowie der Verflechtung von Artemiskult und Silberschmiedekunst siehe P. Lampe 1992, 63-66. Eine reich bebilderte Abhandlung über Artemistempel, -bild und −kult bietet G. Seiterle 1979, 3-16, der bezüglich der vermeintlichen Brüste der Artemis die These vertritt, dass es sich um Hodensäcke von Stieren handele. Der Artemis seien demzufolge die Hoden von Stieren dargebracht und in ihren natürlichen Behältern, in den Stierbeuteln, an das Kultbild geheftet worden.

Anders A. E. Hill 1992, 91-94, der davon ausgeht, dass das vielen Brüsten ähnlich sehende Kleidungsstück der Artemisstatue auf einen schuppenähnlich gearbeiteten Panzer von ägyptischen und mesopotamischen Kriegern zurückgehe, der von der Mittelbronzezeit und frühen Spätbronzezeit an getragen worden sei.

Zum bedeutenden Grundbesitz des Artemistempels und zum Kaiserkult in Ephesus siehe H. Engelmann 1993, 279-289

 

Gemäß S. M. Baugh 1990, 290-294 lasse die feine Unterscheidung von "thea“ und "theos“ in 19,27 und 19,37 typisch ephesischen Sprachgebrauch erkennen, der darauf schließen lasse, dass er nicht von Lukas stammt. Andernfalls hätte es in 19,27 vermutlich nicht "tês megalês theas Artemidos“ ("der großen Göttin Artemis“), sondern "tês megalês theou Artemidos“ ("der großen Göttin Artemis“) geheißen. Ohne weitere Bestimmung des Namens der Göttin Artemis sei diese gewöhnlich klassisch als "hê theos“ (vgl. 19,37) bezeichnet worden, bei einer weiteren Bestimmung sei in der entsprechenden Formulierung "hê thea“ gewählt worden (vgl. 19,27).

 

 

Literaturübersicht

 

Arnold, Clinton E.; Ephesians, Power and Magic. The Concept of Power in Ephesians in Light of its historical Setting (SNTSMS 63), Cambridge 1989

Baugh, Steven M.; Phraseology and the Reliability of Acts, NTS 36 (1990), 290-294

Brinks, C. L.; “Great is the Artemis of the Ephesians”: Acts 19,23-41 in Light of Goddess Worship in Ephesus, CBQ 71/4 (2009), 776-794

Crocker, P. T.; Ephesus: Its Silversmiths, Its Tradesmen and Its Riots, Buried History 23 (1987), 76-78

Delebecque, Édouard; La révolte des orfèvres à Ephèse et ses deux versions (Actes des Apôtres, XIX, 24-40), RThom 83/3 (1983), 419-429

Engelmann, Helmut; Zum Kaiserkult in Ephesos, ZPE 97 (1993), 279-289

Fleischer, Robert; Artemis von Ephesos und verwandte Kultstatuen aus Anatolien und Syrien: Supplement, in: S. Ṣahin u. a. [Hrsg.], Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens, Bd. 1 (Études préliminaires aux religions orientales dans l’Empire romain 66), FS F. K. Dörner, Leiden 1978, 324-358

Fleischer, Robert; Neues zu kleinasiatischen Kultstatuen, AA 98 (1983), 81-93

Hill, A. E.; Ancient Art and Artemis: Toward Explaining the Polymastic Nature of the Figurine, JANES 21 (1992), 91-94

Horsley, G. H. R.; The Inscriptions of Ephesos and the New Testament, NT 34 (1992), 105- 168

Klauck, Hans-Josef; Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167), Stuttgart 1996

Kreitzer, Larry J.; A Numismatic Clue to Acts 19,23-41. The Ephesians Cistophori of Claudius and Agrippina, JSNT 30 (1987), 59-70

Lampe, Peter; Acta 19 im Spiegel der ephesischen Inschriften, BZ 36/1 (1992), 59-76

Omerzu, Heike; Apostelgeschichte als Theologiegeschichte: Apg 19 als Beispiel konstruktiver Paulusrezeption, in: D. Marguerat [ed.], Reception of Paulinism in Acts. Réception du paulinisme dans les Actes des apôtres (BETL 229), Leuven 2009, 157- 174

Oster, Richard; Acts 19,23-41 and an Ephesian Inscription, HThR 77/2 (1984), 233-237

Reeder, Ellen D., The Mother of the Gods and a Hellenistic Bronze Matrix, AJA 91 (1987), 423-440

Seiterle, Gérard; Artemis − die Große Göttin von Ephesos, Antike Welt 10/3 (1979), 3-16

Selinger, Reinhard; Die Demetriusunruhen (Apg 19,23-40). Eine Fallstudie aus rechtshistorischer Perspektive, ZNW 88/3-4 (1997), 242-259

Stegemann, Wolfgang; Zwischen Synagoge und Obrigkeit: Zur historischen Situation der lukanischen Christen (FRLANT 152), Göttingen 1991

Stoops, Robert F., Jr.; Riot and Assembly: The Social Context of Acts 19:23-41, JBL 108/1 (1989), 73-91

Strelan, Rick; Paul, Artemis, and the Jews in Ephesus (BZNW 80), Berlin − New York 1996

Wander, Bernd; "In Gefahr durch Heiden, durch das eigene Volk“. Apologien und Unschuldsbeteuerungen als besonderes Mittel des Lukas, in: A. von Dobbeler [Hrsg.], Religionsgeschichte des Neuen Testaments, Tübingen − Basel 2000, 465-476

Weiß, Alexander; Der Aufruhr der Silberschmiede (Apg 19,23-40) und das Edikt des Paullus Fabius Persicus (I. Ephesos 17-19), BZ 53/1 (2009), 69-81

 

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