Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (Apg 21,18-26,32)

Apg 21,37-40

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 21,37-40

 

 

Übersetzung

 

Apg 21,37-40:37 (Und) Als man (den) Paulus gerade in die Kaserne hineinführen wollte, spricht er zu dem Tribun: "Ist es mir erlaubt, dir etwas zu sagen?“ Der erwiderte: "Du kannst Griechisch? 38 Dann bist du also nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufstand angezettelt und die viertausend Männer der Sikarier in die Wüste hinausgeführt hat?“ 39 Da sagte (der) Paulus: "Ich bin ein jüdischer Mann aus Tarsus in Kilikien, Bürger einer keineswegs unbedeutenden Stadt. Ich bitte dich, gestatte mir, zum Volk zu reden!“ 40 Da er es gestattete, gab (der) Paulus, auf den Stufen stehend, dem Volk mit der Hand einen Wink. Nachdem große Stille eingetreten war, redete er [sie] in hebräischer Sprache an und sagte: […]

 

 

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V. 37

 

Beobachtungen: Gemäß 21,31-36 hatte der Aufruhr auf dem Tempelgelände, der wegen Paulus entstanden war, zum Eingreifen des Tribuns der Kohorte geführt. Diese Kohorte dürfte in der Burg Antonia, die sich an der Nordwestecke des Tempels befand, stationiert gewesen sein. Der Tribun, der die Kohorte anführte, hatte Paulus verhaftet und den Befehl gegeben, ihn in die Burg Antonia abzuführen. Allerdings schildert 21,31-36 nur den Weg bis zur Burg Antonia, nicht aber den Eintritt in diese. Der Eintritt in die Burg stand unmittelbar bevor, als es zu den in 21,37-40 geschilderten Begebenheiten kam.

 

Mit der Kaserne (parembolê) ist wahrscheinlich die Burg Antonia gemeint. Die in dieser Burg stationierten Soldaten wachten darüber, dass auf dem Tempelgelände keine Unruhen ausbrachen, die die ganze Stadt Jerusalem anstecken konnten.

 

V. 37 besagt nur, dass Paulus in die Kaserne geführt werden sollte oder − anders ausgedrückt -, dass man Paulus in die Kaserne hineinführen wollte. Der Vers sagt aber nicht aus, wer Paulus hineinführen sollte/wollte. Gemäß V. 34 hatte der Tribun die Abführung des verhafteten Paulus nur befohlen, Paulus aber nicht selbst abgeführt. Folglich kam die Abführung den ihm unterstehenden Soldaten zu, die in V. 35 als Begleiter und zugleich als Schutzmänner des Paulus erscheinen. Diesen Soldaten oblag also die Aufgabe, Paulus in die Kaserne hinein zu führen.

Wenn es Paulus möglich war, zum Tribun zu sprechen, muss sich dieser in unmittelbarer Nähe zu Paulus aufgehalten haben. Insofern dürfte der Tribun Paulus auf dem Weg zur Burg Antonia bis zu den Stufen des Eingangs begleitet haben.

 

Das Präsens "legei“ ("er sagt“) ist bemerkenswert. Zum einen trägt es zur Lebendigkeit der Schilderung bei, zum anderen dient es auch als Zäsur, die den Lesern der Apg deutlich macht: Jetzt kommt ein neuer Abschnitt in der Erzählung. Auf diesen neuen Abschnitt wird die Aufmerksamkeit des Lesers hingelenkt und die besondere Bedeutung des Kommenden bewusst gemacht. Paulus tritt nun wieder aktiv in Erscheinung, lässt nicht mehr nur passiv die Geschehnisse des Tumultes und der Verhaftung über sich ergehen. In der Übersetzung muss die präsentische Verbform aber nicht unbedingt als Präsens ("er sagt“) wiedergegeben werden, sondern es ist auch eine Übersetzung als Präteritum ("er sagte“) möglich. Durch die Übersetzung als Präteritum wird verdeutlicht, dass im Geschehen kein Zeitsprung stattfindet.

 

Aus der Tatsache, dass der Tribun erstaunt war, dass Paulus der griechischen Sprache mächtig war, ist zu schließen, dass zwischen dem Tribun und Paulus zuvor noch kein Gespräch in griechischer Sprache erfolgt war. Was bedeutet das im Hinblick auf V. 34? Gemäß V. 34 hatte sich der Tribun unmittelbar vor dem Befehl, Paulus in die Kaserne abzuführen, erkundigt, wer Paulus denn sei und was er getan habe. Dabei war offen geblieben, bei wem sich der Tribun erkundigt hatte. Auch war offen geblieben, in welcher Sprache er versucht hatte, an die erwünschten Informationen zu gelangen. Eine Möglichkeit ist von V. 37 aus gesehen nun auszuschließen: Dass sich der Tribun in griechischer Sprache an Paulus gewandt hatte. Sofern sich der Tribun an Paulus gewandt hatte, muss er dies in einer anderen Sprache getan haben. Da Paulus gemäß V. 37 den Tribun in griechischer Sprache anredete, muss er davon ausgegangen sein, dass der Tribun der griechischen Sprache mächtig war. Da es zwischen ihm und dem Tribun aber noch keinen Wortwechsel auf Griechisch gegeben hatte, gibt es nur zwei nahe liegende Möglichkeiten, wie Paulus zu seinem Wissen gekommen sein kann. Entweder hatte er gehört, wie der Tribun zu den an dem Aufruhr Beteiligten in griechischer Sprache geredet hatte, oder es war anzunehmen, dass eine militärische Führungsperson im griechisch sprechenden östlichen Mittelmeerraum der griechischen Sprache mächtig war. In ersterem Fall wäre vorauszusetzen, dass der Tribun davon ausging, dass die an dem Aufruhr Beteiligten zumindest teilweise griechisch sprachen, denn Verständigungsschwierigkeiten wegen verschiedener Sprachen kommen nicht in den Blick − ganz im Gegenteil: die am Aufruhr Beteiligten scheinen verstanden zu haben, was der Tribun wissen wollte, denn sonst hätten sie ihm nicht sogleich die Antworten zugerufen und vorausgesetzt, dass er die Zurufe verstehen würde (vgl. V. 34). Die Verständnisschwierigkeiten waren ausschließlich auf den Lärm der Aufrührer zurückzuführen, der auch durch die verschiedenen zugerufenen Antworten verursacht worden war. Die Tatsache, dass der Tribun erstaunt war, dass Paulus der griechischen Sprache mächtig war, lässt auf den ersten Blick durchaus die Möglichkeit offen, dass der Tribun sich in einer anderen Sprache als Griechisch an Paulus gewandt hatte, um zu erfahren, wer er denn sei und was er getan hatte. Allerdings hätte Paulus dann vermutlich den Tribun in der gleichen Sprache angeredet, in der sich zuvor der Tribun an ihn gewandt hatte. Das hätte Griechisch sein müssen, kommt aber wegen des Erstaunens des Tribuns nicht infrage. Daraus ist zu schließen, dass sich der Tribun vermutlich nicht an Paulus gewandt hatte, sondern an die aufrührerische Menge oder einzelne Personen aus der Menge.

Dass der Tribun und Paulus zuvor noch keine Worte gewechselt hatten, legt auch die Frage "Ist es mir erlaubt, dir etwas zu sagen?“ nahe. Aus dieser Frage geht zum einen hervor, dass dem verhafteten Paulus ohne die Zustimmung des Tribuns jegliche Aktivität untersagt war, selbst das Reden, zum anderen, dass Paulus nicht sicher von der Erteilung der Redeerlaubnis ausgehen konnte. Es ist unwahrscheinlich, dass der Tribun sich zuvor an Paulus gewandt hatte, um etwas über seine Person und sein Tun zu erfahren, denn dann hätte Paulus bereits einmal Redeerlaubnis bekommen.

 

Weiterführende Literatur: Zur Verbindung der Burg Antonia mit dem Tempelgelände siehe B. Rapske 1994, 137-138.

 

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V. 38

 

Beobachtungen: V. 38 kann sowohl als Aussagesatz als auch als Frage verstanden werden. Der Tribun schloss aus den Griechischkenntnissen des Paulus, dass dieser nicht der "Ägypter“ war, doch konnte er sich dessen nicht sicher sein, weil er über die Identität des Paulus noch nichts erfahren hatte. Aus der Unsicherheit heraus formulierte er eine Frage, die einerseits rhetorischen Charakter hatte, andererseits Paulus dazu brachte, auf seine Identität zu sprechen zu kommen. Unklar ist, ob der Tribun schon ganz konkret Paulus verdächtigt hatte, der "Ägypter“ zu sein, oder ob er Paulus nur zu den Personen zählte, die infrage kamen, der "Ägypter“ zu sein.

 

Die Bezeichnung "Sikarier“ ist vom lateinischen Begriff "sica“ hergeleitet, der "Dolch“ bedeutet. Die "Sikarier“ waren also "Dolchmänner“. Im Werk "Über den Jüdischen Krieg“ (2,254-257) des Flavius Josephus heißt es, dass sie einen kleinen, im Gewandbausch verborgenen (Krumm-)Dolch benutzten, um Meuchelmorde zu begehen. So stachen sie am hellichten Tag mitten in der Stadt, insbesondere an Festtagen, ihre Gegner nieder. Nach dem Mord mischten sie sich wieder ganz unauffällig unter die Volksmenge.

 

Der Tribun sprach das Ereignis, das er im Blick hatte, nur kurz an. Weitere Ausführungen brauchte er Paulus gegenüber nicht zu machen, weil dieser ja als "Ägypter“ ausschied und damit nicht mehr in führender Position mit dem Ereignis in Verbindung gebracht werden konnte. Weil das Ereignis auch für den Verlauf der Apg von keiner besonderen Bedeutung war, brauchte deren Verfasser die Leser darüber nicht weiter zu informieren. Entweder wussten sie über das Ereignis Bescheid oder sie brauchten darüber nicht weiter Bescheid zu wissen. Folglich müssen für weitere Informationen andere Quellen herangezogen werden. Diese Informationen finden sich in zwei Werken des Flavius Josephus, und zwar in "Über den Jüdischen Krieg“ (2,261-263) und in den "Jüdischen Altertümern“ (20,169-172). Demnach handelte es sich bei dem "Ägypter“ um einen "falschen Propheten“, der "30000 Opfer seines Betruges“ um sich gesammelt und sie auf Umwegen von der Wüste auf den Ölberg bei Jerusalem geführt hatte. Dort hatte er den Einsturz der Stadtmauern zeigen und dann von dort mit Hilfe seiner bewaffneten Begleiter gewaltsam in Jerusalem eindringen, die römische Besatzung überrumpeln und sich zum Herrscher über das Volk aufwerfen wollen. Gemäß Josephus war ihm und seinen Anhängern jedoch der römische Prokurator Felix mit den römischen Soldaten entgegen getreten, und auch das ganze Volk hatte sich an der Abwehr beteiligt. So waren die meisten Anhänger des "Ägypters“ getötet oder gefangen worden, der "Ägypter“ jedoch hatte mit einigen wenigen Getreuen fliehen können.

Dieser Versuch eines politischen Umsturzes hatte bewirkt, dass der Tribun auch im Falle des Aufruhrs um Paulus einen politischen Umsturzversuch annehmen musste. Daher hatte er bei der Meldung vom Aufruhr sofort reagiert und Paulus verhaftet (vgl. 21,31-36). Der Tribun sah den Aufruhr also nicht als rein religiöse Angelegenheit an.

 

Genau genommen handelte es sich bei den "Opfern des Betruges“ des "Ägypters“ nicht um Sikarier, denn sie begingen keine Meuchelmorde, sondern beabsichtigten einen gewaltsamen Umsturz. Allerdings werden sie bei Josephus mit den Sikariern in einem Atemzug genannt, weil ihm beide Gruppen als "nichtswürdige Menschen“ galten, die "zur Zerstörung des Glückes der Stadt“ beitrugen. Neben dem Hang zur Gewalt dürfte beide Gruppen auch die antirömische Ausrichtung verbunden haben.

 

Die Zahlenangaben in der Apg unterscheiden sich deutlich von denjenigen des Flavius Josephus. Möglicherweise handelt es sich angesichts der Ähnlichkeit der beiden Zahlbuchstaben für 4 und 30 um einen Lesefehler oder eine Verwechslung seitens des Verfassers der Apg. So wurde die 4 mit einem Δ (großes Delta des griechischen Alphabets) und die Zahl 30 mit einem Λ (großes Lambda des griechischen Alphabets) dargestellt. Ob es sich tatsächlich um einen Lesefehler oder um eine Verwechslung gehandelt haben kann, hängt davon ab, ob dem Verfasser der Apg tatsächlich eine Handschrift des Werkes "Über den Jüdischen Krieg“ vorlag und ob in diesem tatsächlich − statt der ausgeschriebenen Zahl "trismyrioi“ (30000) - die Zahlzeichen standen. Möglich ist aber auch, dass der zu Übertreibungen neigende Josephus auch bei der Zahlenangabe 30000 zu hoch gegriffen hat und der Verfasser der Apg eine wahrscheinlichere Zahl bietet.

 

Es erstaunt, dass der Tribun ausschloss, dass der "Ägypter“ griechisch sprechen könnte, denn Ägypten war von 304-30 v. Chr. eines der Nachfolgereiche des mazedonischen Großreichs Alexanders d. Gr. gewesen. Diese Nachfolgereiche waren hellenistisch geprägt, wobei sich mit ihnen nicht nur hellenistische Kultur, sondern auch die griechische (= hellenische) Sprache verbreitet haben dürfte. Somit ist anzunehmen, dass auch Ägypter − einschließlich ägyptischer Juden - der griechischen Sprache mächtig waren, es sei denn, diese Sprache war ausschließlich in der herrschenden Oberschicht gängig. War die griechische Sprache in Ägypten vielleicht doch nicht so verbreitet wie gewöhnlich angenommen? Oder kannte sich der Verfasser der Apg mit den Sprachverhältnissen in Ägypten nicht aus?

 

Weiterführende Literatur: D. Marguerat 1995, 127-155 geht den Fragen "Warum drei Berichte von Paulus' Bekehrung (Apg 9; 22; 26) und warum solch große Unterschiede zwischen den Berichten?“ unter erzählkritischen Gesichtspunkten nach. Fazit: Der Bericht variiere, je nachdem, wer berichtet − der Erzähler oder Paulus − und welches die Aussageabsicht ist. Wichtig sei auch die Frage nach der Funktion innerhalb der Gesamtkomposition der Apg. Apg 9,1-30 stelle Saulus' (= Paulus') Bekehrung als machtvolles Werk Christi dar. Apg 22 stelle das Judesein des Paulus heraus und Apg 26 mache deutlich, wie die Bekehrung unter den Heiden legitimiert wird.

Auch B. R. Gaventa 1986, 52-95 geht davon aus, dass die Unterschiede zwischen den drei Bekehrungsberichten mit den verschiedenen narrativen Kontexten zu erklären seien. Grundlage sei jedoch ein und dieselbe Tradition. Apg 9 stelle Paulus als Feind der Kirche, der Christ werde, dar. In Apg 22 stelle sich Paulus nach seiner Festnahme in einer ersten Verteidigungsrede als loyaler Jude dar, der vom "Gott der Väter“ aufgefordert worden sei, allen Völkern Zeugnis abzulegen. In der letzten Verteidigungsrede Apg 26 schließlich stelle sich Paulus als Opfer innerjüdischer Auseinandersetzungen dar.

 

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V. 39

 

Beobachtungen: Paulus bezeichnete sich als "jüdischer Mann“, nicht jedoch als "Christ“. Er verstand sich also auch nach seinem Berufungserlebnis weiterhin als Jude, nur eben als christusgläubiger. Als "jüdischer Mann“ war er nicht unbedingt von dem "Ägypter“ verschieden, denn auch dieser kann ein "jüdischer Mann“ gewesen sein. Eindeutig unterschieden war er von dem "Ägypter“ jedoch insofern, als er nicht aus Ägypten, sondern aus Tarsus in Kilikien, einer Landschaft im Süden der heutigen Türkei, stammte.

Tarsus war ein Zentrum des Handels und der Bildung. Verschiedenste Religionen prägten die Stadt, darunter auch das Judentum, das mit einer starken Gemeinde präsent war. Tarsus war also tatsächlich keineswegs unbedeutend.

 

Gemäß V. 39 konnte ein Jude zugleich Bürger einer hellenistischen Stadt sein. Ob dies tatsächlich der Fall war, ist unsicher. Möglich ist, dass der Begriff "Bürger“ ("politês“) hier nicht alle Bürgerrechte einschließt, sondern nur besagt, dass Paulus aus Tarsus stammte oder dort ansässig war. Warum betonte Paulus so, dass er Bürger einer keineswegs unbedeutenden Stadt sei? Wollte er den Tribun damit beeindrucken, dass er auch nicht aus Jerusalem oder Umgebung stammte und somit ebenfalls kein lokaler Unruhestifter war, sondern Bürger einer keineswegs unbedeutenden Stadt der hellenistisch geprägten Welt? War es eine Auszeichnung, Bürger einer bedeutenden Stadt zu sein?

 

Es fällt auf, dass Paulus hier noch nicht auf seine römische Bürgerschaft zu sprechen kam, obwohl dies nahe liegend gewesen wäre. Die Erwähnung der römischen Bürgerschaft sparte er sich − im Sinne eines entscheidenden Trumpfes − noch (bis 22,24-29) auf.

 

Weiterführende Literatur: B. Rapske 1994, 71-112 befasst sich mit den verschiedenen Facetten der Bürgerschaft und des Status' des Paulus: Paulus als Bürger von Tarsus, als römischer Bürger und als Jude.

 

Die Behauptung, dass Paulus ein Bürger der Stadt Tarsus gewesen sei, hält S. Légasse 1995, 367-368 für eine Übertreibung seitens des Verfassers der Apg, die dazu diene, das Ansehen des Paulus zu steigern. Gegen die Annahme, dass Paulus tatsächlich Bürger der bedeutenden Stadt Tarsus war, sprächen verschiedene Argumente: Paulus habe die Stadt wohl schon in jungen Jahren verlassen. Außerdem sei Juden das Bürgerrecht nur unter ganz bestimmten Umständen verliehen worden, auch wenn Juden durchaus Privilegien gewährt worden seien. Der Hinweis auf das tarsische Bürgerrecht stehe in der Apg isoliert da. Die Erwähnung des tarsischen Bürgerrechts erscheine in Zusammenhang mit der Erwähnung der Stadt Tarsus; diese werde jedoch nur zur Korrektur der falschen Einschätzung der Identität des Paulus seitens des Tribunen erwähnt.

 

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V. 40

 

Beobachtungen: Warum der Tribun Paulus in der brenzligen Lage gestattete, zu den Juden zu sprechen, bleibt offen. Der Tribun mag von der angemessenen Anrede seitens des Paulus, aber auch von der sozialen Stellung des Paulus beeindruckt gewesen sein. Ebenso mag er es für angemessen gehalten haben, dass sich Paulus als Jude an seine jüdischen Volksgenossen wandte. Neben diesen Möglichkeiten ist aber auch zu bedenken, dass sich die vom Verfasser der Apg geschilderten Ereignisse nicht unbedingt so zugetragen haben. Daher ist nach der Funktion zu fragen, die die Rede des Paulus im Ablauf der Ereignisse der Apg hat. Es fällt auf, dass sie an der Stelle platziert ist, an der Paulus dem Volk entzogen und den Behörden übergeben wird. So kann man die Rede des Paulus als Abschiedsrede an seine Volksgenossen deuten. Aus literarischer Sicht konnte der Tribun angesichts der Bedeutung der zu erwartenden Rede nicht anders, als Paulus die Rede zu gestatten.

 

Es wird zwar nicht gesagt, warum Paulus einen Wink mit der Hand gab, doch wird die Folge des Winkes genannt: Es trat eine große Stille ein. Diese Stille ermöglichte es Paulus, ungestört zu reden. Es ist also anzunehmen, dass der Wink eine Aufforderung zum Verstummen und zum Hinhören war.

 

Das Substantiv "anabathmos“ kann sowohl die einzelne Stufe als auch die Treppe meinen. Insofern kann der Plural sowohl mehrere Stufen als auch mehrere Treppen meinen. Da Paulus wohl kaum auf mehreren Treppen gestanden hat, dürfte es sich hier um mehrere Stufen einer einzigen Treppe handeln. Vermutlich handelte es sich um Stufen, die zur Burg Antonia führten und an denen sich Paulus befand, als er sich bittend an den Tribun wandte (vgl. V. 35).

 

Paulus redete zu seinen Volksgenossen nicht in griechischer, sondern in hebräischer Sprache. Dies dürfte damit zu erklären sein, dass seine Zuhörer nun nicht ausländische Besatzer, sondern seine Volksgenossen waren. Mag die Sprache der Diasporajuden auch Griechisch gewesen sein, so war die Sprache der Juden in Palästina und Jerusalem wohl Hebräisch, die Sprache des alten Israel und auch des AT (= hebräische Bibel). Allerdings stellt sich die Frage, ob die hebräische Sprache tatsächlich noch zur Zeit des Paulus in Palästina und Jerusalem verbreitet war, denn seit der Zeit der Besetzung des Landes durch die Perser hatte die aramäische Sprache die hebräische Sprache immer weiter verdrängt. Ist nun V. 40 ein Beleg dafür, dass die hebräische Sprache weiterhin in Palästina und Jerusalem gesprochen oder zumindest verstanden wurde? Oder ist "hebräische Sprache“ hier im Sinne von "aramäische Sprache“ zu verstehen, was angesichts der Ähnlichkeit beider Sprachen möglich ist? Oder liegt hier Unwissenheit des Verfassers der Apg bezüglich der wahren Sprachverhältnisse vor?

 

Das Verb "prosphôneô“ bedeutet "jemanden anreden“ oder "zu jemandem sprechen“. Allerdings bleibt offen, zu wem Paulus sprach. Es ist anzunehmen, dass die Rede an das zuvor genannte "Volk“ bzw. die einzelnen Angehörigen des Volkes erfolgte.

 

Weiterführende Literatur:

 

 

Literaturübersicht

 

Gaventa, Beverly Roberts; From Darkness to Light: Aspects of Conversion in the New Testament (Overtures to Biblical Theology 20), Philadelphia, Pennsylvania 1986

Légasse, Simon; Paul’s pre-Christian Career according to Acts, in: R. Bauckham [ed.], The Book of Acts in Its Palestinian Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting 4), Grand Rapids, Michigan − Carlisle 1995, 365-390

Marguerat, Daniel; Saul’s Conversion (Acts 9,22,26) and the Multiplication of Narrative in Acts, in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 127-155

Rapske, Brian; The Book of Acts and Paul in Roman Custody (The Book of Acts in Its First Century Setting 3), Grand Rapids, Michigan - Carlisle 1994

 

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