Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (Apg 21,18-26,32)

Apg 26,12-18

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 26,12-18

 

 

Übersetzung

 

Apg 26,12-18:12 "Als ich dabei mit Vollmacht und Erlaubnis der Hohenpriester nach Damaskus reiste, 13 sah ich unterwegs mitten am Tag, o König, ein Licht, heller als der Glanz der Sonne, das mich und die mit mir Reisenden vom Himmel her umstrahlte. 14 Da fielen wir alle auf die Erde nieder, und ich hörte eine Stimme, die zu mir auf Hebräisch sagte: "Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es ist schwierig für dich, gegen [die] Stacheln auszuschlagen.' 15 Da sagte ich: "Wer bist du, Herr?' Der Herr aber erwiderte: "Ich bin Jesus, den du verfolgst. 16 Doch steh auf und stell dich auf deine Füße. Denn dazu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen dessen zu bestimmen, als was du mich gesehen hast und als was ich dir noch erscheinen werde. 17 Ich entreiße dich dem Volk und den Heiden(völkern), zu denen ich dich sende, 18 um ihre Augen zu öffnen, so dass sie sich von [der] Finsternis zu[m] Licht wenden und von der Macht des Satans zu (dem) Gott, damit sie Sündenvergebung empfangen und ein Erbteil unter den Geheiligten durch den Glauben an mich.'“

 

 

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V. 12

 

Beobachtungen: In 26,12-18 stellte Paulus die entscheidende Kehrtwende in seinem Leben dar, durch die er vom Christenverfolger zum Christen wurde.

 

"Dabei“ ("en hois“) bezieht sich auf die in V. 9-11 gegen die Christen gerichteten Aktivitäten des Christenverfolgers Paulus, insbesondere auf das Nachjagen in auswärtige Städte. Auch die Reise nach Damaskus gehörte zu diesem Nachjagen, wobei er die in V. 9-11 genannten christenfeindlichen Aktivitäten vorhatte. Aufgrund der ganz bestimmten Absicht der Reise ist statt der Übersetzung "dabei“ auch die Übersetzung "in solcher/dieser Absicht“ möglich.

 

Paulus hatte nicht eigenmächtig, sondern mit Vollmacht und Erlaubnis der Hohenpriester gehandelt. Merkwürdigerweise ist in 26,12 von einer Mehrzahl Hohenpriester die Rede, in 9,1 dagegen nur von einem einzigen. Tatsächlich dürfte es nur einen einzigen amtierenden Hohenpriester gegeben haben, jedoch lässt sich die Rede von mehreren Hohepriestern so erklären, dass neben dem einen amtierenden Hohenpriester auch Angehörige der hohepriesterlichen Familie und/oder aus dem Amt geschiedene, aber weiterhin einflussreiche Hohepriester einbezogen sind. Gemäß 26,12 war die Vollmacht demnach nicht nur von dem einen amtierenden Hohenpriester, sondern auch von den Angehörigen der hohepriesterlichen Familie und/oder von ehemaligen Hohepriestern erstellt worden.

 

Weiterführende Literatur: A: Moda 1993, 21-59 befasst sich mit der Perikope 23,23-26,32 und geht dabei auf die zu Tage kommenden juristischen Probleme, auf die Anklage des Paulus und dessen Verteidigung ein. Dabei widmet er ein besonderes Augenmerk den Verteidigungsreden des Paulus (24,10b-21.25; 25,8.10-11; 26,2-29).

 

F. Crouch 1996, 333-342 befasst sich mit der Form, der rhetorischen Dynamik und dem Überzeugungspotenzial der paulinischen Verteidigungsrede. Die Verteidigungsrede folge konventionellen griechisch-römischen rhetorischen Regeln und diene einer weiter gefassten Erzählabsicht. Die Kürze der Rede mache es schwer, das traditionelle Format zu erkennen, auch wenn man die Rede in Einführung (26,2-3), Erzählung (narratio; 26,4-8), Beweisführung (26,9-18) und Nachwort (26,19-23) einteilen könne. Die Unterbrechung des redenden Paulus durch Festus erschwere darüber hinaus den Versuch, die Struktur der Rede heraus zu arbeiten, denn es sei nicht klar, ob Paulus die Rede beenden konnte. Allerdings sei die Struktur für das Überzeugungspotenzial der Rede nachrangig.

 

Zur Struktur der Verteidigungsrede, zu den Besonderheiten der Argumentationsweise und zu ihren Beiträgen zur gesamten Apg siehe J. J. Kilgallen 1988, 170-195. Es werde in der Verteidigungsrede auf zwei Vorwürfe reagiert: a) Paulus habe gegen das Volk, das Gesetz und den Tempel gelehrt; b) Paulus glaube an die Auferstehung der Toten. Die Verteidigungsrede lasse sich also wie folgt gliedern: Die V. 4-8 gäben eine doppelte Antwort auf den zweiten Vorwurf, die V. 9-23 eine vielgestaltige auf den ersten.

 

S. R. Bechtler 1987, 53-77 untersucht exegetisch die lukanischen Berichte von der Berufung und Beauftragung des Paulus innerhalb der Erzählung Lk-Apg, um deren Funktion innerhalb dieser Erzählung und deren Bedeutung und Wichtigkeit für Lukas aufzudecken.

 

R. D. Witherup 1992, 67-86 sieht das dreimalige Eingehen auf Paulus' Bekehrung/Berufung als ein offensichtliches Beispiel der Wiederholung im NT an. Diese Wiederholung sei eine Erzähltechnik und nicht mit verschiedenen Quellen oder mittels eines Vergleichs mit paulinischen Schriften zu erklären.

 

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V. 13

 

Beobachtungen: Dass sich die Zeitangabe "mitten am Tag“ nur in 26,13 (vgl. 22,6: "gegen Mittag“), nicht aber in 9,3 findet, lässt nach dem Grund für die Einfügung und nach der Bedeutung fragen. 9,3 ist ein Bestandteil der Erzählung der Ereignisse nur für die Leser und Hörer der Apg, 26,13 findet sich dagegen in der Verteidigungsrede des Paulus vor dem Prokurator Festus, dem König Agrippa II. (vielleicht samt Höflingen) und dessen Schwester Berenike sowie den Tribunen und Würdenträgern Cäsareas. Dies legt nahe, dass die Zufügung im Hinblick auf die Zuhörer der Verteidigungsrede erfolgt ist. Als Grund für die Zufügung ist am ehesten daran zu denken, dass die Angabe für die Zuhörer der Verteidigungsrede von besonderem Interesse war. Da Paulus darum bemüht war, sein Berufungserlebnis möglichst eindrücklich und überzeugend zu schildern, könnte die Zufügung dazu gedient haben, die Glaubwürdigkeit des Berichtes zu erhöhen. Allerdings scheint auf den ersten Blick die Zufügung das Gegenteil zu erreichen: Mitten am Tag kann nämlich die strahlende Sonne geblendet haben, zumal die Sonnenstrahlen von einem Gegenstand reflektiert worden sein können. In der Dämmerung oder in der Nacht hätte eine solche Täuschung ausgeschlossen werden können. Die Zeitangabe im Sinne der Stärkung der Glaubwürdigkeit zu verstehen, ist nicht so nahe liegend, aber auch möglich: Wenn Paulus mitten am Tag vom hellen Licht geblendet wurde, dann muss es wirklich sehr hell gewesen sein, denn sonst hätte er es wegen der allgemeinen Helligkeit nicht wahrgenommen. Dementsprechend betonte Paulus in seiner Verteidigungsrede die außergewöhnliche Helligkeit des Lichtes mit dem Hinweis, dass es heller als der Glanz der Sonne gewesen sei. In der Dunkelheit hätte Paulus vielleicht schon ein nicht sonderlich helles Licht als sehr hell wahrgenommen. Bei einer nächtlichen Erscheinung hätte man auch argwöhnen können, dass es sich um eine Erscheinung im Traum handelte. Allerdings hätte dieser Argwohn ausgeblendet, dass sich Paulus Damaskus näherte, er also in Bewegung war und genau genommen nicht geschlafen und geträumt haben kann. Bei diesen Überlegungen ist aber darauf hinzuweisen, dass nicht sicher ist, dass der Zeitangabe überhaupt besondere Relevanz zukommt. Vielleicht diente die Zeitangabe Paulus nur zur etwas anschaulicheren Schilderung des Geschehens. Immerhin konnte er sich als derjenige, dem die Erscheinung zuteil wurde, besonders gut in das vergangene Geschehen hineinversetzen.

 

Weiterführende Literatur: Die dramaturgische Darstellungsweise in denjenigen Passagen, in denen das Damaskusgeschehen, die sogenannte "Bekehrung des Paulus“, erzählt wird (Apg 9.22.26), hat B. Orth 2002, 210-230 zum Thema und geht dabei insbesondere auf die Verteidigungsrede 26,2-23 ein. Er hält fest: Alle drei Bekehrungserzählungen verbinde die dialogische Ausrichtung in der Form kurzer Gespräche. Das dialogisch strukturierte Gespräch und die Rede seien zu den dramatisch−didaktischen Grundtypen zu rechnen, deren Gebrauch im hellenistisch-römischen Umfeld des Lukas durchaus üblich gewesen sei. Wie schon bei der rednerischen Ausgestaltung der Vision von Joppe (Apg 11) warte der Verfasser der Apg bei der Darstellung des Damaskusgeschehens mitsamt seiner Folgen, die das Ereignis für das Leben des Paulus habe, erneut mit stilistischen Änderungen, Kürzungen und Zusätzen auf, die dem Leser die Bedeutung des Ereignisses noch eindringlicher als in Apg 9 und 22 vor Augen führen sollen.

 

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V. 14

 

Beobachtungen: Dass alle, also sowohl Paulus als auch die mit ihm Reisenden, auf die Erde niedergefallen waren, ist eine Besonderheit des Berichtes 26,12-18. Gemäß 9,4 und 22,7 war nur Paulus zu Boden gefallen, wobei 9,7 ausdrücklich sagt, dass die Reisebegleiter weiterhin gestanden hatten.

Die Bedeutung des Niederfallens ist unklar. An verschiedene Aspekte ist zu denken: An erster Stelle macht das Niederfallen sowohl des Paulus als auch seiner Reisebegleiter deutlich, dass es sich bei der Erscheinung nicht nur um ein inneres Geschehen handelte, das sich im Kopf des Paulus abspielte. Darüber hinaus verdeutlicht das Niederfallen die Eindrücklichkeit des Geschehens. Und schließlich ist auch möglich, dass Paulus und seine Reisebegleiter die Erscheinung sogleich mit Gott in Verbindung brachten und sie angesichts der Gotteserscheinung vor Ehrfurcht sogleich auf die Erde niederfielen.

 

Paulus sprach als Diasporajude fließend Griechisch, wie schon aus seinen in griechischer Sprache geschriebenen Briefen hervorgeht. Ebenfalls sprach er in jüdischer Umgebung auch "Hebräisch“ oder/und "Aramäisch“ (vgl. 22,3). "Tê Hebraidi dialektô“ ist wörtlich mit "in hebräischer Sprache / auf Hebräisch“ zu übersetzen. Hebräisch war die Sprache des alten Israel und auch des AT (= der hebräischen Bibel). Da Paulus der religiösen Gruppe der Pharisäer angehörte (vgl. 22,3; 26,5) und somit bestrebt war, die Bibel möglichst genau auszulegen, dürfte er der hebräischen Sprache mächtig gewesen sein und diese sowohl verstanden als auch gesprochen haben. Allerdings kann die Wendung "tê Hebraidi dialektô“ auch mit "in aramäischer Sprache / auf Aramäisch“ übersetzt werden. Dieser Übersetzung liegt die Tatsache zugrunde, dass seit der Zeit der Besetzung des Landes durch die Perser die aramäische Sprache die hebräische Sprache immer weiter verdrängt hatte. Es ist gut möglich, dass auch Paulus der aramäischen Sprache mächtig war. Warum wird hier überhaupt erwähnt, dass die Stimme auf Hebräisch/Aramäisch redete? Zunächst einmal ist festzustellen, dass Paulus mit seiner hebräischen Namensform "Saul“ (griechisch: Saulos; lateinisch: Paulus) angeredet wurde. In Verbindung mit der Tatsache, dass Paulus als Pharisäer mit der hebräischen Sprache vertraut war und darüber hinaus einem in besonderem Maße hebräisch geprägten gesellschaftlichen Milieu angehörte, lag es durchaus nahe, dass die Stimme in hebräischer Sprache zu Paulus redete. Diese Aspekte lassen annehmen, dass "tê Hebraidi dialektô“ hier tatsächlich "auf Hebräisch“ und nicht "auf Aramäisch“ meint. Macht man sich bewusst, dass nur in der Verteidigungsrede des Paulus davon die Rede ist, dass die Stimme auf Hebräisch (oder: Aramäisch) sprach, so ist daran zu denken, dass die Erwähnung dieses eigentlich eher unbedeutenden Sachverhaltes bei der Verteidigung eine besondere Bedeutung zukam. So könnte sie dem Paulus dazu gedient haben, sich als wahrer Jude darzustellen. Da auch der sprechende Jesus als der hebräischen (oder: aramäischen) Sprache mächtig erscheint, erscheint auch Jesus als Jude. Wenn Paulus ebenso wie Jesus ein Jude war, dann war auch der christliche Glaube dem Wesen nach jüdisch. Der jüdische Glaube jedoch war im Römischen Reich eine erlaubte Religion und die Römer hatten vor Paulus und den Christen somit nichts zu fürchten. Der Streit um Jesus war demnach also eine innerjüdische Glaubensangelegenheit, die für die Römer nicht von Interesse war. Dass Paulus auch unter Heiden missioniert hatte, tat dem jüdischen Charakter des Christentums keinen Abbruch, gab ihm jedoch eine universale Bedeutung. Diese war jedoch nicht politischer Art und somit für die römischen Machthaber nicht bedrohlich.

 

"Kentron“ ist entweder mit "Stachel“ oder mit "Stachelstock (oder: Stachelstab)“ zu übersetzen. In V. 14 ist vermutlich an einen Stachelstock zu denken, der zum Treiben von Vieh oder eines Zugtieres benutzt wurde. Dabei findet sich in V. 14 jedoch der Plural "kentra“ ("Stacheln/Stachelstöcke“), der entweder so gedeutet werden kann, dass sich an dem Stock eine Mehrzahl Stacheln befand, oder so, dass hier an eine Mehrzahl − am ehesten zwei - Stachelstöcke gedacht ist.

Was ist mit der Aussage "Es ist schwierig für dich, gegen [die] Stacheln auszuschlagen“ gemeint? Die ausschlagende Person war Paulus, die Stacheln kamen − geht man davon aus, dass das Bild des Treibens von Vieh oder eines Zugtieres zugrunde liegt − von einem Treiber, der den Stachelstock bzw. die Stachelstöcke in der Hand bzw. in den Händen hielt. Paulus hätte demnach Schwierigkeiten gehabt, gegen die Stacheln auszuschlagen, d. h. sich zur Wehr zu setzen. Das Ausschlagen des Paulus ist ebenso wie das Treiben mittels des Stachelstocks bzw. der Stachelstöcke im übertragenen Sinne zu verstehen: Es war für Paulus schwierig, sich gegen einen von außen kommenden Antrieb zur Wehr zu setzen. Da die Aussage im Zusammenhang mit einer durch Jesus Christus oder auch Gott bewirkten Lebenswende des Paulus zu sehen ist, dürfte gemeint sein, dass es für Paulus schwierig − gemeint ist wohl: sinnlos − sein würde, sich gegen den von Jesus Christus bzw. Gott für Paulus vorgesehenen Lebensplan zu wehren. Paulus sollte also demnach den für ihn vorgesehenen Lebensweg annehmen. Nicht ganz ausgeschlossen ist auch die Möglichkeit, dass sich die Stacheln auf Gewissensbisse des Paulus angesichts seiner Christenverfolgung beziehen. Dann hätte sich Paulus gegen die Gewissensbisse zur Wehr gesetzt. Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, dass die Stacheln dann von innen gekommen wären, was dem Bild vom getriebenen Vieh bzw. Zugtier und dem Treiber nicht genau entspricht. Zudem ist diese Deutung eher psychologisch als theologisch und passt insofern nicht recht zum ausgeprägt theologischen Charakter des Zusammenhangs, bei dem das Leben verändernde Handeln Jesu Christi bzw. Gottes im Mittelpunkt steht.

Bei der Aussage "Es ist schwierig für dich, gegen [die] Stacheln auszuschlagen“ handelt es sich um eine Redewendung, die sich auch in verschiedenen heidnischen antiken Texten (u. a. Euripides, Bakchen 794-795) findet. In diesen Texten ist jeweils Widerstand gegen das eigene Schicksal oder gegen den Willen der Götter im Blick.

Das griechische Zitat passt streng genommen schlecht zum Reden der Stimme in hebräischer Sprache. Allerdings ist hier wohl daran gedacht, dass das Zitat in hebräischer Übersetzung erfolgt war.

 

Weiterführende Literatur: J. Schäfer 2010, 199-222 gibt zunächst einen Forschungsüberblick zur Frage nach den Dionysosmysterien in der Apg und geht dann auf das Drama "Die Bakchen“ von Euripides ein, das eng mit Dionysos verbunden sei und zahlreiche Parallelen zur Apg aufweise. In einem dritten Schritt vergleicht J. Schäfer die Berufungs- und Befreiungserzählungen in der Apg textanalytisch mit dem Euripidesdrama und zeigt, dass die Deutlichkeit der lexikalischen, inhaltlich-kontextuellen und motivischen Parallelen je nach Erzählkontext variiere. Dem Verfasser der Apg, der sich selbst als antiker Historiker verstehe, dienten die Anspielungen auf die Dionysosmysterien als Hilfsmittel für die Darstellung des Glaubens an Jesus Christus in der hellenistisch geprägten Kultur. Den antiken Lesern würden Assoziations-, Identifikations- und Anknüpfungsmöglichkeiten für den neuen Christusglauben geboten. Zu 26,1-23: Paulus werde wie in 9,1-19 und 22,1-21 als ein Streiter gegen Gott dargestellt; ebenso erscheine der König Pentheus als ein Streiter gegen (den) Gott (Dionysos). Die göttliche Lichterscheinung erinnere an den göttlichen Blitz, mit dem Dionysos das Haus des Pentheus in Flammen setze und der damit gegen Pentheus, den Verfolger des neuen Kultes, gerichtet sei. Bei der Beschreibung der Lichterscheinung werde die in 22,6 angelegte Steigerung fortgeführt. Im Unterschied zu 9,4 und 22,7 (dort falle nur Paulus zu Boden) fielen Paulus und seine Begleiter auf die Erde. In den "Bakchen“ würfen sich die Bacchantinnen direkt nach einer Lichterscheinung mit Feuer und Erdbeben zu Boden und zitterten. Sowohl Dionysos als auch Jesus forderten die am Boden Liegenden auf aufzustehen. Die auffallendste lexikalische Parallele zu den "Bakchen“ liege aber in dem wörtlichen Zitat 26,14c, das Christus in den Mund gelegt werde.

 

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V. 15

 

Beobachtungen: Der Wortwechsel 26,15 entspricht der Schilderung 9,5. Das bedeutet, dass diesbezüglich die Darstellung des Paulus nicht von einer ganz besonderen Aussageabsicht geprägt ist.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 16

 

Beobachtungen: Die Aufforderung "Doch steh auf und stell dich auf deine Füße“ lässt an die Berufung eines Propheten denken. Auch der Prophet Ezechiel wurde bei seiner Berufung von einer Stimme aufgefordert, sich auf seine Füße zu stellen (vgl. Ez 2,1). Auf diese Aufforderung folgte die Sendung.

 

Der Infinitiv Aorist "procheirisasthai“ kann sowohl mit "bestimmen/erwählen“ als auch mit vorherbestimmen/vorhererwählen“ übersetzt werden, je nachdem, ob man dem "pro“ ("vorher“) Gewicht verleiht oder nicht. Verleiht man ihm Gewicht, dann hätte Jesus den Paulus schon vor seiner Erscheinung bei Damaskus zu einem Diener und Zeugen bestimmt. Diese Bestimmung wäre jedoch erst bei der Erscheinung bei Damaskus offenbart worden. Bezüglich der Frage, ob tatsächlich eine Vorherbestimmung vorliegt, gibt die Zeitform Aorist keinen Anhaltspunkt, weil der Infinitiv Aorist nicht die Zeitstufe, nämlich die Vergangenheit, sondern die Aktionsart, nämlich die Einmaligkeit und Abgeschlossenheit, angibt. Das bedeutet, dass die Bestimmung nicht mehrfach oder dauerhaft erfolgt war, sondern einmalig und bei der Verteidigungsrede des Paulus abgeschlossen war. Ob die Bestimmung schon vor der Erscheinung Jesu bei Damaskus oder erst während dieser erfolgt war, bleibt dagegen offen.

 

Die Formulierung "zu einem Diener“ ("hypêretên“) lässt offen, wem Paulus dienen sollte und wie der Dienst beschaffen war. Da es Jesus war, der Paulus zu einem Diener bestimmt hatte, ist daran zu denken, dass Paulus Jesus dienen sollte. Allerdings stellt sich die Frage, warum die Formulierung nicht "zu meinem Diener“ lautet. Die Antwort dürfte lauten, dass bei einer solchen Formulierung nichts über die Erscheinung(en) Jesu ausgesagt würde. Insofern ist "zu einem Diener“ wohl mit "und zu einem Zeugen“ zusammen zu ziehen. Es folgt die Aussage, wofür Jesus Paulus zu einem Diener und Zeugen bestimmt hatte.

 

Fraglich ist, ob das Personalpronomen "me“ ("mich“), das verdeutlicht, wen Paulus gesehen hat, ursprünglich ist. In diesem Falle wäre "als was du mich geschaut/gesehen hast“ zu übersetzen, ansonsten "was du geschaut/gesehen hast“. Das "me“ kann von Textzeugen versehentlich ausgelassen, aber auch nachträglich hinzugefügt worden sein.

Eine Hinzufügung kann damit begründet werden, dass das folgende "ophthêsomai“ sowohl mit "ich werde … schauen/sehen lassen“ als auch mit "ich werde … erscheinen“ übersetzt werden kann. Erstere Übersetzungsmöglichkeit würde offen lassen, was Jesus den Paulus sehen lassen wird. Es könnten Erscheinungen Jesu sein, aber auch andere Geschehnisse. Dazu würde der Text ohne das "me“ passen, der offen ließe, was Paulus gesehen hat. Dass es die Erscheinung Jesu war, müsste aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Letztere Übersetzungsmöglichkeit dagegen würde das Sehen auf Erscheinungen Jesu begrenzen und annehmen lassen, dass das bereits vergangene Sehen des Paulus ebenfalls auf eine Erscheinung Jesu zu beziehen ist. Um dies zu verdeutlichen, könnte das "me“ hinzugefügt worden sein.

Es legen sich also zwei Übersetzungen von V. 16 nahe: "… dich zu einem Diener und Zeugen zu bestimmen für das, was du geschaut hast und was ich dich noch schauen lassen werde“ oder "dich zu einem Diener und Zeugen dessen zu bestimmen, als was du mich gesehen hast und als was ich dir noch erscheinen werde.“ Mit Blick auf den Dienst des Paulus scheint letztere Übersetzung passender zu sein, denn der Dienst galt ja nicht abstrakt etwas Gesehenem, sondern konkret dem erschienenen Jesus.

 

In der Erscheinung bei Damaskus hatte Jesus den Paulus zu einem Diener und Zeugen erwählt. Dabei setzen die Erscheinung und das Reden Jesu vom Himmel her voraus, dass dieser auferstanden und in den Himmel aufgefahren war. Dies galt es nun also nun von Paulus zu bezeugen. Die späteren Erscheinungen Jesu Paulus gegenüber erfolgten insbesondere zwecks Zusicherung des Beistands (vgl. insbesondere Apg 18,9; 22,17-21; 23,11). Diesen Beistand leistenden Jesus galt es ebenfalls zu bezeugen. Auf den Dienst des Paulus bezogen lässt sich also sagen: Paulus sollte dem erschienenen bzw. erscheinenden Jesus dienen, und zwar dem als Auferstandener, in den Himmel Aufgefahrener und als Beistehender erschienenen bzw. erscheinenden Jesus.

 

Weiterführende Literatur: J. Dupont 1982, 290-299 befasst sich anhand von Apg 26,16-23; Lk 24,44-49; Apg 1,8 mit der Mission des Paulus und der Apostel. Anders als in den Paulusbriefen erscheine Paulus in Lk und Apg nicht als Apostel. Allerdings entspreche das Muster seiner Mission demjenigen der Apostel: die Mission des Paulus stehe ebenso wie die Mission der Apostel mit Jesus Christus in direkter Verbindung. Paulus sei ebenso wie die Apostel unmittelbarer und beglaubigter Zeuge Jesu, auch wenn er im Gegensatz zu den Aposteln Jesus nicht zu dessen irdischen Lebzeiten gesehen habe. Gleich wie die Apostel erfülle Paulus eine Aufgabe, die die biblischen Schriften dem Messias zuweisen: dem Volk und auch den Heiden Licht anzukündigen. In der Apg ruhe die Verantwortung der Erfüllung dieser Aufgabe insbesondere auf den Schultern des Paulus. Der Aufgabenbereich der Apostel sei streng auf Jerusalem sowie Judäa und Samarien begrenzt.

 

D. E. Johnson 1990, 346-353 sieht in Apg 22,14-15; 22,18-21; 26,16-18 Anspielungen auf die Gottesknechtlieder im atl. Buch Jesaja, und zwar insbesondere auf Jes 42,6-7 (vgl. 61,1); 53,1. Die physische Blindheit des Paulus deutet er unter Bezugnahme auf 42,16-17 in erster Linie auf die Blindheit des Volkes Israel, des Diener-Zeugen des "Herrn“. Anders als andere Kommentatoren hält er die hilflose Ergebenheit des erblindeten Paulus in die kommenden Geschehnisse und die Gelegenheit zu demütiger Meditation und zum Gebet für zweitrangig.

Laut R. F. Collins 1986, 99-118 stelle Lukas den Apostel Paulus als in der prophetischen Nachfolge stehend dar.

 

M. Diefenbach 2006, 409-418 geht der Frage nach, was "Jesus erschien Paulus“ bedeutet. Er stellt eine Steigerung der Darstellung des so genannten Damaskusereignisses in der Apg fest. Obwohl der Verfasser der Apg aus einer ganz anderen zeitlichen und theologischen Perspektive auf Paulus zurückblicke, komme er ihm in vielem überraschend nahe. Obwohl die Damaskuserscheinung für diesen Verfasser keine Ostererscheinung sei, überrage sie doch in unvergleichlicher Weise alles, was in der Apg sonst noch an Visionen und Offenbarungen erzählt wird. Obwohl Paulus nach der Auffassung des Verfassers der Apg kein Apostel sei, würden die Größe seiner Berufung und die Vorbildlichkeit seines missionarischen Wirkens so meisterhaft geschildert, dass er als "Zeuge“ am Ende doch fast auf derselben Stufe wie die Apostel stehe. Die Missionstätigkeit des Paulus sei nach Apg 26 eine von Gott selbst gewollte, so auch der Standpunkt des Paulus im Galaterbrief.

 

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V. 17

 

Beobachtungen: Das mediale Partizip "exairoumenos“ kann zwar auch die Bedeutung "(sich) erwählend“ haben, jedoch ist hier wohl mit Blick auf Jer 1,8 die Bedeutung "entreißend“ anzunehmen. Paulus drohte zwar ebenso wie dem Propheten Jeremia von seinen Widersachern Gefahr, jedoch brauchte er sich vor ihnen nicht zu fürchten, weil ihm der Beistand Jesu zugesagt war.

Gegen eine Übersetzung von "exairoumenos“ mit "(sich) erwählend“ spricht auch, dass sich die Erwählung (= Bestimmung) des Paulus gemäß V. 16 ja bereits bei der Erscheinung Jesu bei Damaskus ereignet hatte und nicht erst für die Zukunft vorhergesagt worden war. Dass es mehrere Erwählungen des Paulus gegeben hat, ist unwahrscheinlich. Bei dem Partizip "exairoumenos“ dagegen handelt es sich um ein Präsens, das Gleichzeitigkeit ausdrückt. Dabei dürfte die Gleichzeitigkeit auf "ich werde … erscheinen“ (oder: "ich werde … schauen/sehen lassen“; "ophthêsomai“) zu beziehen sein, womit die Erwählung bzw. das Entreißen zeitgleich mit dem vorhergesagten Erscheinen (oder: Sehenlassen) Jesu erfolgte. Ebenso wie das vorhergesagte Erscheinen Jesu stand also das Entreißen des Paulus aus den Gefahrensituationen zum Zeitpunkt der Erscheinung Jesu bei Damaskus noch aus. Mit Blick auf "ich werde … erscheinen“ (oder: "ich werde … schauen/sehen lassen“) ist das Partizip "exairoumenos“ somit genau genommen mit "entrissen werdend“ zu übersetzen.

 

Zu beachten ist die Verwendung von zwei verschiedenen Begriffen für "Volk“: "laos“ und "ethnos“. Ersterer Begriff meint hier das Volk Israel, letzterer Begriff das Heidenvolk, also das von Israel unterschiedene Volk.

 

Fraglich ist, ob sich "zu denen“ ("eis hous“) nur auf die Heidenvölker oder auch auf das Volk Israel bezieht. In ersterem Fall wäre Paulus nur zu den Heidenvölkern, in letzerem Fall auch zum Volk Israel gesandt worden.

 

Das Präsens "ich sende“ ("apostellô“) zeigt an, dass die Sendung des Paulus nicht eine Verheißung für die Zukunft war, sondern zusammen mit der Berufung bei dem Damaskuserlebnis erfolgt war. Ebenso wurde auch der Prophet Ezechiel bei seiner Berufung gesendet (vgl. Ez 2,3). Die Sendung des Paulus war durch Jesus erfolgt.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 18

 

Beobachtungen: Das Öffnen der Augen führt zum Sehen; das Sehen wiederum führt zur Erkenntnis, und zwar zur Erkenntnis Jesu. Wer Jesus erkennt, glaubt schließlich an diesen. Die Verbindung von Sehen und Erkennen lässt daran denken, dass auch in V. 16 eine solche Verbindung vorliegt. So könnte das Verb "ophthêsomai“ nicht nur als "ich werde … schauen/sehen lassen“ (oder: "ich werde … erscheinen“) gedeutet werden, sondern auch als "ich werde … erkennen lassen“. Dann würde es nicht nur um Erscheinungen Jesu gehen, sondern um das Sehen von verschiedenen Ereignissen, bei denen Jesus den Paulus vor dem Volk Israel und vor den Heidenvölkern errettete. Paulus hätte als zum christlichen Glauben Gekommener die Bedeutung dieser Ereignisse erkannt. Gehen eine solche Verbindung von Sehen und Erkennen spricht allerdings in V. 16 das Verb "eides“ ("du hast gesehen“), das sich auf das Sehen vor der Annahme des christlichen Glaubens bezieht, und zwar vermutlich konkret auf die Jesuserscheinung bei Damaskus. Als Jesus bei dieser Erscheinung zu dem überraschten und überwältigten Paulus gesprochen hatte, war dieser noch nicht in der Lage gewesen, das Geschehen und die Worte wirklich zu verstehen, denn sein Denken und Handeln war ja noch vom jüdischen Glauben geprägt. Der christliche Glaube und die damit verbundene Erkenntnis waren erst die Folge des Damaskusereignisses. Insofern kann "eides“ nur "du hast gesehen“ bedeuten, nicht aber "du hast erkannt“.

 

Es fällt der dualistische Charakter der Aussagen von V. 18 auf: Der Finsternis, der Macht des Satans und der Sündhaftigkeit stehen das Licht, Gott und die Sündenvergebung gegenüber.

 

Dem Satan wird eine eigene Macht zugeschrieben, die geradezu mit der Macht Gottes konkurriert. Sünde wird auf die Macht des Satans zurückgeführt und ist somit nicht allein mit Gottesferne zu erklären.

 

Paulus spricht nicht unbestimmt von "Gott“, also irgendeinem Gott, sondern von "dem Gott“. Der bestimmte Artikel weist darauf hin, dass der Gott den Lesern der Apg bereits bekannt ist und es sich um einen ganz bestimmten Gott, nämlich den Gott Israels, handelt.

 

Die Hinwendung zum Licht, zu Gott und zur Sündenvergebung setzt des "Öffnen der Augen“, also den Erkenntnisgewinn, voraus. Sie ist als Bekehrung gedacht, wobei in diesem Zusammenhang möglicherweise auch an die Taufe gedacht ist, die die Bekehrung mittels eines Rituals nach außen hin erkenntlich macht. Mit der Bekehrung und der Taufe geht ein Existenzwandel einher.

Die Verbindung von "Öffnung der Augen“ und Hinwendung von der Finsternis zum Licht taucht auch im Buch Jesaja auf (42,7.16). Dort geht es jedoch nicht um die Hinwendung zu Jesus, sondern um die Hinwendung zu JHWH, zum Gott Israels.

 

Wodurch die Sündenvergebung genau bewirkt wird, bleibt offen. Es wird nur deutlich, dass sie durch den Glauben an Jesus Christus bewirkt wird. Dabei geht es wahrscheinlich nicht nur um den Glauben an die Person Jesu an sich, sondern insbesondere um den Glauben an das mit der Person Jesu verbundene Heilsgeschehen. Dieses Heilsgeschehen kommt nicht ausdrücklich zur Sprache, jedoch ist anzunehmen, dass an Kreuzestod und Auferstehung Jesu von den Toten gedacht ist.

 

Der Existenzwandel geht aus der Bezeichnung "Geheiligter“ hervor. Der Geheiligte war zunächst nicht heilig, ist es aber durch die Heiligung geworden. Die Heiligung ist Merkmal aller Christen.

 

"Durch den Glauben“ kann sich nur auf "Geheiligte“, aber auch auf den Rest des V. 18 beziehen. Selbst wenn nur ein Bezug auf "Geheiligte“ vorliegt, ist der gesamte Vers im Lichte des "durch den Glauben“ zu verstehen.

 

Die "Geheiligten“ erscheinen als eine Gemeinschaft, zu der man durch den Glauben an Jesus hinzustoßen kann. Wer zu ihr hinzustößt, wird ein Teil von ihr. Diese Teilhabe geht aus dem Begriff "klêros“ ("Erbteil“) hervor. Ebenso geht aus dem Begriff "klêros“ hervor, dass es sich nicht um eine profane Gemeinschaft handelt, sondern um eine Heilsgemeinschaft. Wer zur Gemeinschaft der "Geheiligten“ gehört, hat auch am Heil Anteil.

 

Die Schilderung des Damaskusereignisses in der Verteidigungsrede des Paulus weicht deutlich von der Erzählung des Verfassers der Apg in 9,1-19 ab, setzt andere Schwerpunkte: Paulus ging nicht auf seine vorübergehende Blindheit, den Strafaspekt, und auf den Mittler Hananias ein, sondern betonte die Berufung direkt aus dem Munde Jesu. Ihm ging es darum, mittels des ausführlichen Zitates der Worte Jesu das Wesen und das Ziel der Berufung deutlich zu machen. Anders als in der Erzählung des Verfassers der Apg (insbesondere 9,18) stand in der Verteidigungsrede nicht das Öffnen der Augen des Paulus im Mittelpunkt, sondern das Öffnen der Augen anderer Menschen. Dieses auf andere Menschen ausgerichtete Wirken war es ja schließlich, das bei den Juden Anstoß erregt hatte.

 

Weiterführende Literatur: D. Marguerat 1995, 127-155 geht den Fragen "Warum drei Berichte von Paulus' Bekehrung (Apg 9; 22; 26) und warum solch große Unterschiede zwischen den Berichten?“ unter erzählkritischen Gesichtspunkten nach. Fazit: Der Bericht variiere, je nachdem, wer berichtet − der Erzähler oder Paulus − und welches die Aussageabsicht ist. Wichtig sei auch die Frage nach der Funktion innerhalb der Gesamtkomposition der Apg. Apg 9,1-30 stelle Saulus' (= Paulus') Bekehrung als machtvolles Werk Christi dar. Apg 22 stelle das Judesein des Paulus heraus und Apg 26 mache deutlich, wie die Bekehrung unter den Heiden legitimiert wird.

Auch B. R. Gaventa 1986, 52-95 geht davon aus, dass die Unterschiede zwischen den drei Bekehrungsberichten mit den verschiedenen narrativen Kontexten zu erklären seien. Grundlage sei jedoch ein und dieselbe Tradition. Apg 9 stelle Paulus als Feind der Kirche, der Christ werde, dar. In Apg 22 stelle sich Paulus nach seiner Festnahme in einer ersten Verteidigungsrede als loyaler Jude dar, der vom "Gott der Väter“ aufgefordert worden sei, allen Völkern Zeugnis abzulegen. In der letzten Verteidigungsrede Apg 26 schließlich stelle sich Paulus als Opfer innerjüdischer Auseinandersetzungen dar.

 

D. Hamm 1990, 63-72 legt dar, dass die Erblindung und das Wiedererlangen des Augenlichts in der Apg symbolische Bedeutung haben. In Apg 9 erfahre Paulus die Erblindung als eine Strafe Gottes und das Wiedererlangen des Augenlichts als göttliche Heilung. In Apg 22 werde derselbe Verlust und dasselbe Wiedererlangen des Augenlichts nur sehr zurückhaltend und dabei mehrdeutig berichtet. Und in Apg 26 schließlich wandele sich die Erblindung und das Wiederlangen des Augenlichts von einer konkreten Erfahrung des Paulus hin zu einer Metapher, die die endzeitliche Mission von Israel, Jesus und Paulus beschreibe.

 

Mit der Bedeutung von "… empfangen und ein Erbteil unter den Geheiligten durch den Glauben an mich“ befasst sich B. Prete 1987, 313-320. Die Formulierung "durch den Glauben an mich“ habe einen ausgeprägt paulinischen Akzent. Mit ihr habe Lukas die Mission des Paulus von seiner Berufung an charakterisieren wollen. Anders als Paulus spreche Lukas jedoch nicht von der "Rechtfertigung durch den Glauben an mich“, sondern von der "Heiligung durch den Glauben an mich“. Auf diese eigentümliche Weise drücke er das Neuartige des christlichen Lebens aus.

 

B. Prete 1993, 625-653 befasst sich eingehend mit dem Begriff "klêros“ ("Erbe“) in Apg 26,18 und geht dabei auf die Bedeutung, die Herkunft aus dem AT, die Verwendung des Begriffs (samt Wortgruppe) im NT, das Wesen der Heiligung und auf die neue Bedeutungsebene des Begriffs in der ntl. Offenbarung ein. In der ntl. Offenbarung bezeichne der Begriff "klêros“ nicht mehr den Besitz des Israel geschenkten Landes und auch nicht das erwählte Volk in seiner ethnischen Wirklichkeit, sondern die neue geistliche Wirklichkeit. Diese sei von Jesus Christus allen Menschen gebracht worden und sei mit dem Reich Gottes, dem Heil und dem ewigen Leben identisch. Mit der Nennung des Begriffs in 26,18 habe Lukas das Geschenk als das religiös bedeutendste und erhabenste darstellen wollen, das Gott dem Volk der Gläubigen gemacht hat.

 

 

Literaturübersicht

 

Bechtler, Steven Richard; The Meaning of Paul’s Call and Commissioning in Luke’s Story: An Exegetical Story of Acts 9, 22, and 26, SBT 15/1 (1987), 53-77

Collins, Raymond F.; Paul’s Damascus Experience: Reflections on the Lukan Account, LS 11/2 (1986), 99-118

Crouch, Frank; The Persuasive Moment: Rhetorical Resolutions in Paul’s Defense before Agrippa, SBL.SPS 35 (1996), 333-342

Diefenbach, Manfred; Das "Sehen des Herrn“ vor Damaskus: Semantischer Zugang zu Apg 9, 22 und 26, NTS 52/3 (2006), 409-418

Dupont, Jacques; La mission de Paul d’après Actes 26.16-23 et la mission des apôtres d’après Luc 24.44-9 et Actes 1.8, in: M. D. Hooker, S. G. Wilson [eds.], Paul and Paulinism, FS C. K. Barrett, London 1982, 290-299

Gaventa, Beverly Roberts; From Darkness to Light: Aspects of Conversion in the New Testament (Overtures to Biblical Theology 20), Philadelphia, Pennsylvania 1986

Hamm, Dennis; Paul’s Blindness and Its Healing: Clues to Symbolic Intent (Acts 9; 22 and 26), Bib. 71/1 (1990), 63-72

Johnson, Dennis E.; Jesus against the Idols: The Use of Isaianic Servant Songs in the Missiology of Acts, WTJ 52/2 (1990), 343-353

Kilgallen, John J.; Paul before Agrippa (Acts 26,2-23): Some Considerations, Bib. 69 (1988), 170-195

Marguerat, Daniel; Saul’s Conversion (Acts 9,22,26) and the Multiplication of Narrative in Acts, in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 127-155

Moda, A.; Paolo prigioniero e martire. Gli avvenimenti di Cesarea, BeO 35 (1993), 21-59

Orth, Burkhard; Lehrkunst im Christentum. Die Bildungsdimension didaktischer Prinzipien in der hellenistisch-römischen Literatur und im lukanischen Doppelwerk (Beiträge zur Erziehungswissenschaft und biblischen Bildung 7), Basel 2002

Prete, Benedetto; Il senso della formula "coloro che sono stati santificati per la fede in me“ (At 26,18c), RivBib 35 (1987), 313-320

Prete, Benedetto; Il contenuto ecclesiologico del termine 'eredità’ (klêros) in Atti 26,18, SacDoc 38 (1993), 625-653

Schäfer, Jan; Zur Funktion der Dionysosmysterien in der Apostelgeschichte. Eine intertextuelle Betrachtung der Berufungs- und Befreiungserzählungen in der Apostelgeschichte und der Bakchen des Euripides, ThZ 66/3 (2010), 199-222

Witherup, Ronald D.; Functional Redundancy in the Acts of the Apostles: A Case Study, JNTS 48 (1992), 67-86

 

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