Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an die Philipper

Phil 4,4-7

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phil 4,4-7



Übersetzung


Phil 4,4-7:4 Freut euch im Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch! 5 Eure Milde werde allen Menschen bekannt! Der Herr ist nahe. 6 Sorgt euch um nichts, sondern in allem sollen durch das Gebet und die Bitte mit Danksagung eure Anliegen vor (dem) Gott kundwerden. 7 Und der Friede (des) Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und eure Sinne in Christus Jesus bewahren.



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V. 4


Beobachtungen: Der Abschnitt 4,4-7 schließt an die Aufforderung an die beiden Frauen Euodia und Syntyche an, ihren Streit beizulegen und eines Sinnes zu sein. Bei der Versöhnung soll ein „Syzygos“ („Genosse“) genannter Mann den beiden Frauen beistehen. Der Aspekt der Streitbeilegung ist also bei der Auslegung von 4,4-7 zu berücksichtigen.


Die Aufforderung „chairete en kyriô“ („freut euch im Herrn!“) erinnert an „chaire“ („Mach’s gut / Leb wohl“) griechischer Briefe, ist jedoch sicherlich nicht im Sinne eines reinen Abschlussgrußes zu verstehen. Auch ist Freude „im Herrn“ mehr als nur gemeinsam Freude empfinden, Spaß haben. Es wird ausgesagt, was die Lebenshaltung der Christen von Grund auf bestimmt bzw. bestimmen soll: Freude aufgrund des zugesagten Heils im Macht- und Heilsraum des „Herrn“, also Jesu Christi oder Gottes. Das Heil ist nicht vom Geschehen um Jesus Christus zu trennen. In diesem Heilsbewusstsein der Christen liegt die Freude begründet, zu der Paulus nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen aufruft (vgl. 1,4.18; 2,17-18.29; 4,4). Diese Freude prägt das Zusammensein der Christen, die somit auch im menschlichen Miteinander Freude empfinden.


„Allezeit“ soll die Freude der Christen sein, weil sich ihr ganzes Leben im Heilsbereich abspielt. Es geht also nicht nur um Freude in angenehmen Situationen oder besonderen, festlichen Anlässen, sondern um ständige Freude angesichts des zugesagten Heils.


Die Wiederholung des „Freut euch!“ unterstreicht die zentrale Bedeutung der Freude. Angesichts dieser Wiederholung innerhalb von 4,4 und der Wiederaufnahme von 3,1 wäre an dieser Stelle der Hinweis von 3,1 angebracht, dass es Paulus nicht lästig ist bzw. er nicht zögert, stets dasselbe zu schreiben. Statt an dieser Stelle, wo er nachvollziehbarer wäre, steht der Hinweis aber in 3,1, wobei er sich wohl dort nicht nur auf den wiederholten Aufruf zur Freude bezieht, sondern auch auf weitere Inhalte, die sich jedoch nicht genau bestimmen lassen.


Weiterführende Literatur: Eine Auslegung von 4,1-9 bietet M. Müller 1997, 143-147.


Zur Rhetorik von 4,1-20 siehe A. H. Snyman 1993, 325-337.

A. H. Snyman 2007, 224-243 analysiert 4,1-9 von einer rhetorischen Perspektive aus, die sich von dem von anderen Auslegern gewählten Ansatz unterscheide. Statt den Textabschnitt anhand von Kategorien antiker Rhetorik zu analysieren, wählt A. H. Snyman einen textzentrierten Ansatz. Ergebnis: Die rhetorische Strategie des Apostels solle die Philipper dazu bewegen, das Evangelium zu leben.


D. Ezell 1980, 373-381 deutet Phil 4 sowohl unter intellektuellen als auch unter das christliche Leben betreffenden Gesichtspunkten, arbeitet den ursprünglichen Zusammenhang (chronologisch, geographisch, historisch, kulturell, sozial und theologisch) heraus, um eine allzu subjektive Herangehensweise zu vermeiden, und versucht bei der Beschäftigung mit dem einzelnen Kapitel der Bedeutung des gesamten Philipperbriefs ausreichend Beachtung zu schenken.


Dass der Philipperbrief nicht ein Brief eines am Leben verzweifelten, verbitterten Mannes ist, sondern eines Mannes „in Christus“, der zur Freude aufruft, versucht C. Bugg 1991, 253-257 anhand von 4,4-13 zu zeigen.


Anhand einer Miniatur aus dem Codex Benedictinus, die darstellt, wie ein Vater seinen für das Klosterleben bestimmten Sohn an eine Gruppe benediktinischer Mönche gibt, zeigt W. Nastainczyk 1994, 315-318 Parallelen zwischen benediktinischem Klosterleben und Phil 4,4-9 auf.


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V. 5


Beobachtungen:To epieikes“ ist ein Neutrum und meint allgemein das in einer bestimmten Situation Angemessene. Hier dürfte jedoch eher die spezielle Bedeutung „die Güte“ oder „die Milde“ im Blick sein, und zwar die „Güte“ oder „Milde“ der Adressaten. Güte und Milde setzen Versöhnung voraus. Weil durch Jesu stellvertretenden Kreuzestod und seine Auferstehung von den Toten die Menschen und Gott miteinander versöhnt werden, wird die Auferstehung der Menschen von den Toten, Sündenvergebung (= Rechtfertigung) und das anschließende ewige Leben ermöglicht. Die unverdient dem Menschen geschenkte Sündenvergebung ist ein Akt der Milde/Güte Gottes bzw. Jesu Christi, der den Menschen aufgrund seiner Missetaten auch verdammen könnte. Weil dem Mensch Gottes Milde/Güte unverdient zuteil wird, soll er, der im Macht- und Heilsraum Gottes bzw. Jesu Christi lebt, als Antwort darauf auch Milde üben bzw. gütig sein. Dazu gehören Selbstdisziplin, die Achtung vor dem anderen Menschen, Höflichkeit und Verständnis. All dies fehlt in einem Streit, weshalb dieser beigelegt werden soll. Die Aufforderung „Eure Milde werde allen Menschen bekannt!“ geht davon aus, dass unter Christen – wie im Fall der Euodia und Syntyche – nicht immer Milde waltet, aber doch walten sollte. Und weil diese Milde angesichts des gnädigen Heilshandelns Gottes bzw. Jesu Christi Kennzeichen des Christentums ist bzw. sein sollte, soll sie allen Menschen bekannt werden. „Alle Menschen“ sind alle Menschen, die nicht zu den Adressaten gehören, also Christen außerhalb von Philippi oder Nichtchristen. Sieht man „eure Milde“ nicht nur als Kennzeichen der Adressaten, sondern als allgemein christliches Kennzeichen an, dann sind mit „alle Menschen“ nur die Nichtchristen gemeint.


„Der Herr ist nahe“ kann lokal oder temporal gedeutet werden. Die lokale Bedeutung wäre, dass er den Menschen – konkret den Christen – räumlich nahe ist, also deren Verhalten sieht, an ihrem Ergehen Anteil nimmt oder ihnen beisteht. Wenn der „Herr“ alles vor dem endzeitlichen Weltgericht sieht, dann unterstreicht das die Bedeutung der angemessenen Vorbereitung auf die Wiederkunft des „Herrn“ (Jesus Christus) und das Weltgericht. Die temporale Bedeutung wäre, dass die Wiederkunft des „Herrn“ (Jesus Christus) nicht mehr lange auf sich warten lässt. Auch die zeitliche Nähe würde die Bedeutung der angemessenen Vorbereitung auf die Wiederkunft des „Herrn“ und das Weltgericht unterstreichen, weil die Vorbereitung jetzt geschehen muss und nicht auf später verschoben werden kann.


Weiterführende Literatur: Eine Deutung von „Der ‚Herr‘ ist nahe“ im Sinne der Gewissheit räumlich-personeller Nähe sei gemäß K. Erlemann 1995, 199 nicht auszuschließen. Doch zeige die kurz zuvor geäußerte Haltung der Erwartung, dass auch in V. 5 an eine zeitliche Nähe zu denken ist. Dem schließe sich die Forschung weit gehend an.


Laut W. Popkes 2004, 246-256 bildeten politische Probleme mit der römischen Umwelt den Hintergrund des paulinischen Schreibens, sei Philippi doch eine römische Veteranenkolonie (seit 27 v. Chr. Colonia Augusta [Victrix] Philippensium) nicht nur mit ius Italicum und Steuerfreiheit, sondern auch mit einem starken imperialen Empfinden. Probleme mit der munizipal-römischen Obrigkeit und Loyalitätskonflikte seien für Paulus und die Gemeinde unausweichlich. Das Evangelium erzeuge eine Gegengesellschaft und existenzielle Risiken für die Gläubigen. Zu V. 5: Auf dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in Philippi gelesen, falle der Akzent auf die räumliche, jederzeit aktualisierbare Nähe des wahren „Herrn“ gegenüber dem in Rom regierenden. Durch Statuen, Münzen, Dekrete und Institutionen sei der Kaiser ständig „nahe“, omnipräsent.


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V. 6


Beobachtungen: Auch die Ermahnung, sich nicht zu sorgen, ist auf dem Hintergrund des Lebens der Christen im Macht- und Heilsraum Gottes zu verstehen. Die Sorge entspringt nämlich zum einen der ungesicherten Existenz, dem Mangel am Lebensnotwendigen oder besonderen Bedrohungssituationen wie Verfolgung und Gefangenschaft, zum anderen aber auch dem mangelnden Gottesvertrauen. Die Christen sollen aber nicht an ihrem (irdischen und jenseitigen) Heil zweifeln, sondern all ihr Vertrauen auf Gott setzen, durch dessen Sohn Jesus Christus die christliche Heilszuversicht begründet wird. Ihm sollen sie ihre Anliegen (aitêmata) vorbringen.


Das Vorbringen der Anliegen seitens der Christen geschieht durch „das Gebet und die Bitte“ („tê proseuchê kai tê deêsei“), wobei die Formulierung wohl als Hendiadyoin zu verstehen ist: eine Sache wird durch zwei Begriffe – „proseuchê“ und „deêsis“ – wiedergegeben, die beide dasselbe meinen, nämlich das Gebet bzw. die Bitte im Gebet.


Das Anliegen soll mit Danksagung vor Gott gebracht werden. Auch wenn nicht ausgeführt wird, was der Grund für den geforderten Dank ist, lässt sich doch der Grund aus den umgebenden Aussagen erschließen: Der zu Gott betende Mensch soll sich bewusst sein, dass ihm sein Heil von Gott aufgrund von dessen Milde geschenkt ist. Wegen dieses Geschenks kann er sein Heilsvertrauen auf Gott setzen und ihm seine Anliegen vorbringen – mit Hoffnung auf Erhörung.


Die Adressaten sollen nicht von Mal zu Mal zwischen Sorge und Gottvertrauen hin und her schwanken, sondern „um nichts“ sorgen und „in allem“ Gott ihre Anliegen kundtun. Absolutes Gottvertrauen ist gefordert.


Weiterführende Literatur: Laut P. T. O’Brien 1991, 21-25 fordere Paulus die Adressaten auf, sich nicht weiter zu sorgen. Sie sollten ihre völlige Abhängigkeit vom lebendigen Gott anerkennen, dem vertrauensvoll die Anliegen im Gebet vorgebracht werden könnten.


D. Thomas 1994, 5-8 nennt vier Elemente der von Paulus angemahnten Sorglosigkeit und Zufriedenheit der Christen: a) die Akzeptanz des Leids als Charakteristikum christlichen Daseins, b) das Leid sei nur vorübergehend, münde letztendlich in himmlischer Herrlichkeit der Gläubigen; c) das Erkennen Christi führe zur inneren Ruhe; d) verbleibende Sorgen könnten im Gebet Gott anvertraut werden.


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V. 7


Beobachtungen: V. 7 stellt wohl die mittels der Konjunktion „kai“ eingeleitete Schlussfolgerung aus V. 6 dar: Wer sich nicht sorgt, sondern im Gebet seine Anliegen vor Gott bringt, kann mit dem „Frieden Gottes“ rechnen.


„Friede Gottes“ kann hier als genitivus subiectivus oder als genitivus originis verstanden werden, d. h. es handelt sich entweder um einen Frieden, der Gott eigen ist, oder um einen Frieden, der von Gott stammt. Vermutlich sind beide Bedeutungen hier in Verbindung zu sehen.

Als Hintergrund des Friedens ist wohl das Versöhnungsgeschehen von Kreuzestod Christi und Auferstehung zu sehen, durch das Gott die Menschen mit sich versöhnt und so Frieden zwischen Gott und Mensch geschaffen hat. Darüber hinaus erlangt ein Mensch, der auf das Versöhnungsgeschehen vertraut, aber auch Frieden: Er sorgt sich um nichts mehr, sondern bringt seine Anliegen im Gebet vor Gott. Insofern ist V. 7 nicht nur als Schlussfolgerung von V. 6 zu sehen, sondern auch als Voraussetzung von V. 6.


Das Herz gilt im Alten Orient und auch im antiken Griechenland als Sitz der Vernunft und des Verstandes, des geheimen Planens und der Entschlüsse. Es ist das Zentrum des inneren Menschen und kann auch als Ort der Gefühle verstanden werden. Der Begriff „noêmata“ („Sinne“) bezeichnet entweder die Fähigkeit zu denken oder die Gedanken an sich, die im Herzen entstehen.


Das Verb „phroureô“ („bewahren/bewachen“) entstammt eigentlich militärischer Sprache und bezeichnet dort das Bewachen eines Militärlagers oder einer Ortschaft. In V. 7 dürfte jedoch eher an das Behüten gedacht sein: Der auf Erden von allerlei Versuchungen gefährdete Mensch wird, sofern er sich nicht sorgt, sondern im Gebet seine Anliegen vor Gott bringt, von Gott behütet und verbleibt so mit all seinem Denken und Wollen „in Christus“, d. h. im Macht- und Heilsbereich Christi. „Christus“ ist hier wohl untrennbar mit dem Heilsgeschehen von Kreuzestod und Auferstehung verbunden.


Die „Vernunft“ („nous“) unterscheidet sich vom „Frieden Gottes“ darin, dass sie rein menschlich ist und nicht von dem christlichen Versöhnungsgeschehen ausgeht. Der Vernunft mögen kluge Gedanken und Theorien entspringen, doch können diese kein Heil bewirken. Insofern ist der „Friede Gottes“ höher als alle „Vernunft“ zu bewerten. Möglich ist auch, dass das Partizip „hyperechousa“ („höher seiend“) nicht als „höher schätzen“, sondern als „übersteigen“ zu deuten ist. Dann wäre ausgesagt, dass der Friede Gottes die Vernunft übersteigt und folglich von ihr nicht erfasst werden kann.


V. 7 drückt wahrscheinlich keinen Wunsch aus, sondern eine Verheißung. Das, was verheißen ist, wird gewiss eintreffen.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bugg, Charles B.; Philippians 4:4-13, RExp 88 (1991), 253-257

Erlemann, Kurt; Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament: ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrungen (TANZ 17), Tübingen – Basel 1995

Ezell, Douglas; The Sufficiency of Christ. Philippians 4, RExp 77/3 (1980), 373-381

Müller, Markus; Vom Schluß zum Ganzen: Zur Bedeutung des paulinischen Briefkorpusabschlusses (FRLANT 172), Göttingen 1997

Nastainczyk, Wolfgang; Angst und Angeld. Zu Phil 4,4-9 und einer Miniatur aus dem Codex Benedictus, EuA 70/4 (1994), 315-318

O’Brien, Peter T.; Divine Provision for Our Needs. Assurances from Philippians 4, RTR 50/1 (1991), 21-29

Popkes, Wiard; Philipper 4.4-7: Aussage und situativer Hintergrund, NTS 50/2 (2004), 246- 256

Snyman, A. H.; Persuasion in Philippians 4.1-20, in: S. E. Porter et al. [eds.], Rhetoric and the New Testament (JSNT.S 90), Sheffield 1993, 325-337

Snyman, A. H.; Philippians 4:1-9 from a rhetorical perspective, VE 28/1 (2007), 224-243 (= ATh 27/2 [2007], 168-185)


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