Apg 27,39-44
Übersetzung
Apg 27,39-44:39 Als es dann Tag wurde, konnten sie nicht erkennen, um was für ein Land es sich handelte. Sie bemerkten aber eine Bucht mit einem Strand, auf den sie nach Möglichkeit das Schiff auflaufen lassen wollten. 40 Und sie kappten die Anker und ließen sie ins Meer [fallen]. Gleichzeitig lösten sie die Haltetaue der Steuerruder und hissten das Vorsegel und hielten mit dem Wind auf den Strand zu. 41 Als sie auf eine Sandbank gerieten, ließen sie das Schiff auflaufen; und der Bug rammte sich ein und saß fest, das Heck aber zerbrach unter der Wucht. 42 Da entschlossen sich die Soldaten, die Gefangenen zu töten, damit keiner wegschwimme und entkomme. 43 Der Hauptmann wollte jedoch (den) Paulus retten und hinderte sie an dem Vorhaben. (Und) Er befahl, dass zuerst diejenigen, die schwimmen konnten, über Bord springen und sich ans Land retten sollten, 44 und die übrigen [danach], die einen auf Planken, die anderen auf [den Schultern] einiger derer vom Schiff. Und so kam es, dass alle ans Land gerettet wurden.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Formulierung "tên gên ouk epeginôskon“ ist wörtlich mit "erkannten sie das Land nicht“ zu übersetzen. Diese wörtliche Übersetzung leistet jedoch dem Missverständnis Vorschub, dass die Schiffsbesatzung die Landmasse als solche nicht erkannte, d. h. sah. Tatsächlich konnte die Schiffsbesatzung aber durchaus erkennen, dass vor ihr eine Landmasse lag. Sie konnte nur eben nicht erkennen, um was für ein Land es sich bei der Landmasse handelte. Dementsprechend unterscheidet der altgriechische Text auch zwischen der Landmasse (chôra; vgl. V. 27) als solcher und der Bestimmung der Landmasse als ein konkretes Land (gê).
Dass die Schiffsbesatzung nicht erkennen konnte, um welches Land es sich handelte, lässt sich nicht allein damit erklären, dass sie die Orientierung verloren und wohl auch keine (ausreichend genaue) Seekarte zur Verfügung hatte. Hinzu muss kommen, dass sie bisher das Land selten oder nie zu Gesicht bekommen hatte und es daher auch nicht wiedererkennen konnte. Das mag damit zu erklären sein, dass sie bisher erst selten oder noch nie eine Seereise nach Italien unternommen hatte, oder damit, dass das gesichtete Land nicht auf der üblichen Seeroute von Myra nach Italien lag.
Das Imperfekt "ouk epeginôskon“ ("erkannten sie nicht / konnten sie nicht erkennen“) macht deutlich, dass die Schiffsbesatzung auch nach längerem, angestrengtem Hinsehen nicht erkennen konnten, um was für ein Land es sich bei der nahenden Landmasse handelte. Weil das Imperfekt neben der Dauer auch die Wiederholung einer Handlung ausdrücken kann, ist auch möglich, dass die Schiffbrüchigen einer nach dem anderen nicht erkennen konnten, um was für ein Land es sich handelte.
Auch das Imperfekt "katenooun“ ("sie bemerkten“) verdeutlicht wohl den Aspekt der Dauer und/oder Wiederholung der Handlung, nämlich des Bemerkens.
Das Relativpronomen "hon“ ("auf den“) ist ein Maskulinum und kann sich somit sowohl auf "kolpos“ ("Bucht“) als auch auf "aigialos“ ("Strand“) beziehen, weil beide Substantive ebenfalls maskulin sind.
Es ist fraglich, ob die Schiffsbesatzung das Schiff möglichst unversehrt auf dem Strand auflaufen lassen wollten, oder ob es ihr in erster Linie auf die Rettung von Menschenleben ankam und die Rettung des Schiffes somit zweitrangig war. Für ersteres spricht, dass die Schiffsbesatzung den Verlust des Schiffes sicherlich als großen materiellen Schaden ansah, der vermutlich auch eine Schädigung ihres Ansehens mit sich brachte. Wer würde der Schiffsbesatzung, die den Verlust des Schiffes samt Ladung zu verantworten hatte, noch den Transport von wertvollen Gütern anvertrauen wollen? Für letzteres spricht, dass Paulus längst den Verlust des Schiffes vorhergesagt hatte und deshalb nur noch die ebenfalls vorhergesagte Rettung aller Schiffbrüchigen (vgl. V. 22) mit voller Konzentration angegangen wurde.
Weiterführende Literatur: Laut J. Wehnert 1989, 44-45.110-112.193-196 werfe die sporadische bzw. ganz fehlende Verwendung des "Wir“ in den Abschnitten 27,13-44; 28,3-6.8-10a die Frage auf, ob es sich hierbei um sekundäre Erweiterungen des Romreiseberichts handelt. Für diese Möglichkeit spreche vor allem, dass der Reisebericht 27,1-8 eine glaubwürdige und folgerichtige Fortsetzung erst in 28,11ff. finde: Das dreimonatige Überwintern von Schiff und Besatzung hätte in diesem Fall auf Kreta stattgefunden. Für diese Möglichkeit spreche weiter, dass das alexandrinische Schiff mit Fahrtziel Italien von 27,6 mit dem alexandrinischen Schiff mit Fahrtziel Syrakus - Rhegion − Puteoli von 28,11-13 fraglos identisch sein kann, so dass sich die historische Frage nach einem Schiffbruch des Paulus vor Malta erübrige. Der Aufenthalt auf Malta habe wohl nur drei Tage und nicht drei Monate gewährt. Ansonsten sei der Widerspruch zwischen den Zeitangaben "drei Tage“ (vgl. 28,7) und "drei Monate“ (vgl. 28,11) unlösbar. Als Resultat hält J. Wehnert fest, dass zwischen der Reisebeschreibung 27,1-8; 28,1-2.7.10-16 und den lukanischen Ergänzungen (den Pauluspassagen samt dem Seeabenteuer 27,9-44 sowie den Wundergeschichten 28,3-6.8-9; sämtlich mit dem Wir-Bericht nur lose oder gar nicht verknüpft) deutlich unterschieden werden müsse. Statt des von Lukas berichteten Schiffbruchs vor Malta sei in der Tradition wohl nur von einer (etwa dreimonatigen) Überwinterung auf Kreta die Rede gewesen, nach deren Ende die Fahrt nach Italien (mit dreitägigem Zwischenaufenthalt auf Malta) bestimmungsgemäß fortgesetzt worden sei. Eine kritische Auseinandersetzung mit der literarkritischen Analyse von J. Wehnert bietet A. Suhl 1991, 21-28.
Laut H. Warnecke 2000, 65-67.95 (vgl. H. Warnecke 1987, 79-97) stürzten zwar die westgriechischen Inseln, darunter auch Kephallenia (wo das Schiff gestrandet sei), durchweg steil ins offene Ionische Meer ab, jedoch befinde sich am Eingang des Livadi-Golfes im Südwesten Kephallenias eine durchschnittlich nur 30 Meter tiefe Flachsee, in die das Schiff wohl getrieben worden sei. Dass die Seeleute die Insel Kephallenia trotz des signifikanten 1628 Meter hohen Bergmassivs Aenos nicht erkannten, sei wohl mit dem vorausgegangenen Sturm zu erklären. So habe sich am Aenosmassiv das sog. Scirocco-Gewölk gestaut, das den kephallenischen Inselraum ganz oder teilweise eingenebelt und ihn somit bis zur Unkenntlichkeit entstellt habe. Sowohl die Seeleute als auch die Soldaten hätten in dem riesigen Meeresbusen wohl die Orientierung verloren und hätten deshalb − statt tiefer bis zu einem Hafen in den schützenden Meeresbusen hineinzufahren − das Schiff blind auf einem sandigen Rücken, der die Wasseroberfläche teilt, auflaufen lassen. Einen solchen sandigen Rücken gebe es an der Südwestküste Kephallenias tatsächlich, nicht aber da, wo man gewöhnlich auf der Insel Malta den Ort der Strandung annehme. B. Schwank 1990, 43-46 wendet sich gegen H. Warneckes These, die Argostolische Landzunge auf der Insel Kefalonia (= Kephallenia) sei die einzige Stelle, die den geographischen Angaben der Apg zur Strandung entspreche. In Wirklichkeit gebe es in dieser Gegend viele größere oder kleinere Strände, auf die ein Schiff, das in Seenot ist, auflaufen kann. Zwar könne das griechische Wort für "Insel“, "nêsos“, auch manchmal "Halbinsel“ bedeuten, jedoch sei wohl kaum die relativ kleine Landzunge von Argostoli für die Insel/Halbinsel Melite gehalten worden.
Eine detaillierte Karte der Bucht, in der die Schiffbrüchigen samt Paulus der Tradition nach auf Malta strandeten, bieten P. Pomey, A. Tchernia 1997, 16.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Es fällt auf, dass die Anker, die man ausgeworfen hatte (vgl. V. 29), nicht gelichtet, sondern gekappt und ins Meer fallen gelassen wurden. Ließen sie sich aus irgendeinem Grund nicht lichten? Oder ging man vom sicheren Verlust des Schiffes aus und meinte deshalb, die Anker nicht mehr zu benötigen?
Dass die Steuerruder − es müssen mindestens zwei gewesen sein - mit Haltetauen festgemacht waren, lässt sich wohl damit erklären, dass man, nachdem man in Seenot geraten war und sich das Schiff nicht mehr steuern ließ, beschlossen hatte, das Schiff treiben zu lassen. Zu diesem Zweck hatte man wohl die Steuerruder - möglicherweise oberhalb der Wasseroberfläche - festgebunden, damit sie nicht hin und her schlagen und beschädigt werden konnten. Beim Treiben benötigte man die Steuerruder nicht, aber als dann die Landmasse mit dem ganz konkreten Fahrtziel, dem Strand, in den Blick kam, wurden sie wieder losgebunden, um auf das Ziel zusteuern zu können.
Dass die Schiffsbesatzung das Vorsegel hissen konnte, zeigt, dass sie dieses nicht mit der Schiffsausrüstung in der Not über Bord geworfen hatte. Möglicherweise war ihr bewusst gewesen, dass sie das Vorsegel irgendwann wieder brauchen würde. Dass nur das Vorsegel gehisst wurde, kann man damit erklären, dass das Hissen des Hauptsegels nicht erforderlich oder auch nicht sinnvoll war, weil es dem Wind zu viel Angriffsfläche geboten und das Schiff zu stark beschleunigt hätte, so dass die Gefahr der Beschädigung beim Stranden zu groß gewesen wäre. Es ist aber auch möglich, dass das Hauptsegel zu der Schiffsausrüstung gehörte, die man in der Not über Bord geworfen hatte (vgl. V. 19).
Es ist fraglich, ob sich der Dativ "tê pneousê“ ("vor/mit dem Wind“) auf "eparantes ton artemôna“ ("hissten sie das Vorsegel“) oder auf "kateichon eis ton aigialon“ ("hielten sie auf den Strand zu“) bezieht. Bei ersterem Bezug lautet die Übersetzung "…und hissten das Vorsegel vor den Wind und hielten auf den Strand zu“, bei letzterem Bezug "…und hissten das Vorsegel und hielten mit dem Wind auf den Strand zu“.
Kurz vor der Landmasse angekommen rächte sich nun der Verlust des Beibootes (vgl. V. 32), denn mit dem Beiboot hätten einige Matrosen eine günstige Stelle zum Anlegen des Schiffes auskundschaften oder die Schiffbrüchigen nach und nach an Land bringen können.
Weiterführende Literatur: Zur Bedeutung des Begriffs "artemôn“ ("Vorsegel“) siehe C. Reynier 2006, 123-129. Es sei fraglich, ob es sich um einen Mast oder um ein Segel handelt. Vermutlich handele es sich um einen (zusätzlich zum Hauptmast) zweiten Mast im vorderen Teil des Schiffes. An diesem Mast sei ein rechtwinkliges Segel angebracht gewesen, das dazu gedient habe, den Rückenwind zu nutzen und damit das Schiff zur Beschleunigung in Seitenlage zu bringen. Vgl. P. Pomey 1997, 85-86, wonach die römischen Segelschiffe meist Ein- oder Zweimaster gewesen, Dreimaster dagegen die Ausnahme gewesen seien. Aufgrund der ungewöhnlichen Größe des Schiffes meint aber M. Fitzgerald 1990, 31-32 dennoch, dass es sich um einen Dreimaster gehandelt haben könne. Das Vorsegel habe angesichts seiner geringen Größe ursprünglich wohl als Steuersegel gedient, später sei jedoch auch sein Nutzen für Beschleunigung und Tempo zunehmend erkannt worden.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: "Topos dithalassos“ kann mit "Landzunge“ oder mit "Sandbank“ übersetzt werden. Auf jeden Fall handelt es sich um ein von beiden Seiten vom Meer umspültes Stück Land.
Der Gebrauch des Begriffs "naus“ in V. 41 ist ungewöhnlich, denn ansonsten gebraucht der Verfasser der Apg als Bezeichnung für das Segelschiff "ploion“ (vgl. 27,2.6.10.15.17.19.22.30-31.37-39.44; 28,11). Ein Bedeutungsunterschied liegt sicherlich nicht vor, weshalb daran zu denken ist, dass der Verfasser der Apg ihn von einem anderen Text übernommen hat. Zu denken ist insbesondere an die Odyssee des Homer, in der der Begriff "naus“ ebenfalls vorkommt.
Es ist unklar, welche Wucht gemeint ist, weil die Ursprünglichkeit der Worte "der Wellen“, die einige Textzeugen bieten, nicht über alle Zweifel erhaben ist. Es kann sich also um die Wucht des Aufpralls oder um die Wucht der Wellen gehandelt haben. Wenn sich die Worte "der Wellen“ im ursprünglichen Text fanden, können sie versehentlich beim Abschreiben des Textes (evtl. mittels eines Diktates) ausgelassen worden sein. Es ist aber auch möglich, dass die Worte als erklärender Zusatz hinzugefügt worden sind.
Das Imperfekt "elyeto“ ("zerbrach“) macht deutlich, dass das Heck des Schiff nach dem Auflaufen nicht sogleich und in kürzester Zeit zerbrach, sondern in einem längeren Vorgang. Das Heck des Schiff zerfiel also nach und nach in seine Einzelteile, wobei der Vorgang bei der Evakuierung der Reisenden sicherlich noch nicht abgeschlossen war.
Mit dem Zerbrechen des Hecks des Schiffes war jede weitere Verwendung des Schiffes ausgeschlossen. Damit erfüllte sich die Vorhersage des Paulus bzw. des Engels des Gottes (vgl. V. 10.22), wonach das Schiff großen Schaden nehmen bzw. umkommen werde.
Weiterführende Literatur: J. M. Gilchrist 1996, 29-51 gibt einen Überblick über die verschiedenen Deutungen der Formulierung "topos dithalassos“. Anders als gewöhnlich angenommen handele es sich wohl nicht um eine geographische Angabe, sondern um eine Bezeichnung für widrige Meereszustände.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Flucht der Gefangenen sahen die Soldaten wohl als etwas an, was unbedingt verhindert werden musste. Mitten auf dem Meer hatten die Gefangenen schwerlich vom Schiff fliehen können, denn die Flucht mit dem Beiboot oder durch Schwimmen wäre auf hoher See einem Selbstmord gleichgekommen. In Landnähe war es aber durchaus möglich zu entkommen, indem man wegschwamm und sich irgendwo auf der Landmasse, deren Größe ja den Soldaten nicht bekannt war, versteckte. Es wird nicht gesagt, warum die Soldaten mit aller Macht die Flucht der Gefangenen verhindern wollten. Möglicherweise wollten sie verhindern, dass sie Gefangenen weitere Freveltaten begehen konnten. Auch ist daran zu denken, dass ihnen eine Bestrafung für ihre Nachlässigkeit bei der Bewachung der Gefangenen drohte, die sie vermeiden wollten.
Das Partizip "ekkolymbêsas“ ("weggeschwommen seiend“) ist ein Aorist, der Vorzeitigkeit anzeigt. Das Wegschwimmen ist also als der Flucht vorausgehend gedacht, was bei einer genauen Übersetzung von V. 42 zu beachten ist. Die flüssige Übersetzung "… damit keiner wegschwimmend entkomme“ ist ungenau, weil sie suggeriert, dass die Flucht während des Wegschwimmens geschehe. Tatsächlich ist jedoch das Wegschwimmen als Voraussetzung der Flucht gedacht. Die genaue Übersetzung lautet also "…damit keiner wegschwimme und entkomme/flüchte“.
Weiterführende Literatur: J.-N. Aletti 1996, 375-392 sieht in der Erzählung vom Schiffbruch Apg 27 eine Analogie zur Szene am Fuße des Kreuzes Jesu Lk 23. In beiden Erzählungen werde in einem Augenblick die Unschuld bekräftigt, in der sich das Gegenteil nahe lege. Parallele zwischen Apg 27,41 und Lk 23,44-45 bezüglich Zerbrechen des Schiffes und Zerreißen des Tempelvorhangs sowie zwischen Apg 27,42 und Lk 23 bezüglich der Bedrohung des Lebens durch Soldaten.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Warum der Hauptmann Paulus retten wollte, ist unklar. Eigentlich war er mit der Bewachung des Paulus bei der Überstellung zum kaiserlichen Gericht nach Rom betraut (vgl. 27,1) und hätte somit ebenfalls die Flucht verhindern und die Tötung des Paulus wie der anderen Gefangenen beabsichtigen müssen. Dem Hauptmann ging es aber nicht um die Verhinderung der Flucht, sondern um die Rettung des Paulus, also um die Bewahrung von dessen Leben. Damit kam der Person des Paulus eine ganz besondere Bedeutung zu. Der Hauptmann erscheint in seinem Handeln weniger als Diener der römischen Besatzungsmacht als vielmehr als Diener Gottes, der zur Umsetzung des Planes Gottes beiträgt.
Die Bedeutung des Verbs "exeimi (Infinitiv Aorist: exienai)“ in V. 43 ist unklar. Gewöhnlich bedeutet es "herausgehen“, "fortgehen“, "auf etwas ausgehen“ oder "etwas unternehmen“. Grundaspekte der Bedeutung sind also das Gehen von einem Ort zum anderen und das zielstrebige Handeln. Mit Blick auf die Formulierung "epi tên gên exienai“ sind ebenfalls die Aspekte des Gehens von einem Ort zum anderen und das zielstrebige Handeln zu bedenken. Die wörtliche Übersetzung "ans Land gehen“ ist nicht passend, weil die Schiffbrüchigen nicht einfach über Bord springen und an Land gehen konnten. Wer über Bord sprang, musste schwimmen, um überhaupt das Land erreichen zu können. Zwischen dem Schiff und dem rettenden Land befand sich also Wasser, das man nicht gehend durchqueren konnte. Außerdem war nicht gesagt, dass diejenigen, die über Bord sprangen, auch tatsächlich das rettende Land erreichten. Es waren also einige Anstrengungen erforderlich. Diese Aspekte gehen aus der Übersetzung "sich ans Land retten“ hervor. Das Verb "exeimi“ bedeutet in V. 43 also "sich retten“.
Weiterführende Literatur: C. H. Talbert, J. H. Hayes 1995, 321-326 befassen sich mit folgenden Fragen: Welcher theologische Inhalt hat sich den Lesern der Sturmberichte Lk 8,22-25 und Apg 27 erschlossen? Wie fügen sich diese beiden Sturmberichte in das lukanische Gesamtwerk ein? Ergebnis (zu Apg 27): Der Schiffbruch und der Angriff der Schlange seien keine Strafe Gottes gewesen. Die Rettung des Paulus sei nicht auf dessen Leistung, sondern auf den Plan Gottes zurückzuführen. Gott erweise Paulus als Gerechten, nicht als Sünder. Dem entspreche, dass in 23,12-26,32 auch Menschen die Unschuld des Paulus bekräftigten. Diese Aspekte fügten sich nahtlos in den weiteren literarischen und theologischen Horizont des lukanischen Gesamtwerkes ein.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Formulierung "epi tinôn tôn apo tou ploiou“ ist wörtlich mit "auf einiger derer vom Schiff“ zu übersetzen, wobei sich die Frage stellt, wer oder was denn vom Schiff stammt. Handelt es sich um die Trümmer? Das ist zwar der zunächst am nahesten liegende Gedanke, jedoch wurden ja unmittelbar zuvor "Planken“ erwähnt. Was sollte der Unterschied zwischen Planken und Trümmern sein, der dazu berechtigen würde, Planken und Trümmer als zwei verschiedene Mittel der Rettung so sorgsam zu unterscheiden? Sollten etwa nur die Trümmer vom Schiff stammen? Dann würde sich die Frage stellen, woher denn die Planken stammen. Aufgrund dieser Unklarheiten ist weniger anzunehmen, dass an Trümmer vom Schiff gedacht ist, als vielmehr, dass an Menschen vom Schiff gedacht ist. Weil die Nichtschwimmer auf dem Schiff nicht schwimmend an das rettende Land gelangen konnten, bedurften sie eines Hilfsmittels. So konnten sie sich auf Planken oder Trümmer des Schiffes setzen und zum rettenden Land paddeln, oder sie konnten sich auf des Schwimmens fähige Besatzungsmitglieder oder andere Schwimmer setzen und sich von diesen an Land bringen lassen. Weil das Schwimmen mit einem Nichtschwimmer auf dem Rücken äußerst beschwerlich ist, ist vielleicht unter dem "Setzen“ eher ein "Klammern“ zu verstehen. Die Nichtschwimmer hätten sich demnach an des Schwimmens fähige Besatzungsmitglieder oder andere Schwimmer klammern sollen, damit sie im Meer nicht untergingen. Ausgeschlossen ist die Deutung, dass sich die Nichtschwimmer auf die Schulter von durch das Wasser watenden Besatzungsmitgliedern oder anderen Schwimmern setzen sollten, denn zum Waten war das Wasser zu tief.
Aus den V. 42-44 lässt sich die genaue Bedeutung des Begriffs "topos dithalassos“ in V. 41 erschließen. Es wird nämlich deutlich, dass es sich nicht nur um ein von beiden Seiten vom Meer umspültes Stück Land handelte, sondern um ein ringsherum vom Meer umspültes Stück Land. Somit kann es sich nicht um eine Landzunge gehandelt haben, denn ansonsten hätten die Schiffbrüchigen vom Schiff auf die Landzunge springen (oder zu ihr hin schwimmen bzw. paddeln) und von dort auf das mit ihr verbundene Land laufen können. Da das ringsherum von Wasser umgebene Land nicht als "Insel“ bezeichnet wird, kann es sich nur um eine Sandbank oder eine andere Untiefe gehandelt haben.
Da alle Schiffbrüchigen ans Land gerettet wurden, erfüllte sich die Vorhersage des Paulus bzw. des Engels des Gottes (vgl. V. 22-24), wonach keiner umkommen werde.
Weiterführende Literatur: Möge Apg 27 auch detaillierte Orts- und Zeitangaben umfassen, die auf einen exakten Reisebericht schließen lassen könnten, möge dem erzählten Geschehen auch ein historischer Kern (vielleicht einige Notizen aus paulinischen Kreisen stammend) − eine ausführlicher Augenzeugenbericht liege kaum vor − zugrunde liegen, so sei der Duktus des gesamten, als Einheit gesehenen Kapitels laut R. Kratz 1997, 320-350 doch in erster Linie auf symbolisch-theologische (Be-)Deutung hin angelegt. Ein historischer Bericht lasse sich als Quelle unter Herauslösung der der lukanischen Redaktion zugeschriebenen Paulusszenen nicht herausarbeiten. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass Lukas als Endredaktor auf reichhaltiges Quellenmaterial zurückgegriffen hat. Seesturm- und Schiffbruchdarstellungen seien in antiker Literatur und mündlicher Tradition in reichem Angebot zuhanden, geradezu zur literarischen Gattung geworden. Veranlassung der lukanischen Darstellung müsse eine Notiz (in welchem Umfang auch immer) über die Gefangenschaftsreise des Paulus nach Rom, und damit über das gefährliche Mittelmeer gewesen sein. Zum Verständnis von Apg 27: Es gehe um die Rettung des christlichen Missionars durch Gott. Diesem seinem Verkündiger, der nicht zugrunde gehen könne, sondern in Rom vor den Kaiser treten müsse, um das Evangelium Christi ungehindert in der damaligen Weltmetropole verkündigen zu können, habe Gott auch das Leben der Mitfahrenden geschenkt. Paulus sei gleichsam der zweite − ins Positive verkehrte − Jona, der nicht vor seinem Gott davonlaufe, nicht von den Heiden beschämt werden müsse, sondern in vorbildlicher Weise zu seinem Gott stehe, ihn gläubig bekenne und dadurch den Reisegefährten Mut einflöße, ihre Rettung, ihr Heil herbeiführe.
Auch S. M. Praeder 1984, 683-706 sieht eine Beziehung zwischen Apg 27,1-28,16 und der antiken Literatur mit ihren Reiseberichten, Vorhersagen von Sturm und Schiffbruch und Sturmszenen sowie ihrer Sorge um Sicherheit auf Seereisen. Das den gesamten Abschnitt durchziehende gemeinsame theologische Thema sei die Sendung des in Jesus Christus und seiner Kirche gegründeten göttlichen Heils zu den Heiden.
D. R. MacDonald 1999, 88-107 stellt zahlreiche Ähnlichkeiten der Schiffbrucherzählungen in der Apg und in der Odyssee des Homer (Buch 5 und 12) fest. So fänden sich auch in der Odyssee Wir-Berichte. Der Ablauf und das Vokabular der Schiffbrucherzählungen in der Apg und in der Odyssee des Homer ähnelten sich. Auch in der Odyssee werde die Rettung angekündigt, wenn auch nicht von einem Engel, sondern von der Meeresgöttin. Die Rettung erfolge sowohl in der Apg als auch in der Odyssee mittels des Schwimmens auf Planken. Sowohl Paulus als auch Odysseus würden auf der unbekannten Insel der Rettung von den Einheimischen freundlich aufgenommen und schließlich fälschlicherweise für einen Gott gehalten. Und schließlich erführen beide Helden bei ihrer Abreise Ehren. Nicht historische Fakten seien also Grundlage der Schiffbrucherzählung des Paulus, sondern literarische Fiktion. Lukas habe die Vorlage des Homer nicht nur imitiert, sondern christlich umgewandelt. Seine Absicht sei es gewesen, durch den Bezug des Schiffsbruchs des Paulus auf die Schiffbrüche des Odysseus Paulus und seinen Gott mittels eines Vergleichs zu erhöhen. Anders als Poseidon und Zeus sei der Gott des Paulus nicht für den Sturm verantwortlich, sondern nur für die Rettung. Odysseus verliere die Hoffnung, Paulus bleibe voller Vertrauen. Nur der Gott des Paulus rette sämtliche Schiffbrüchigen. Und schließlich werde bei Homer zwar der Held glänzend dargestellt, aber die Apg überrage die Odyssee hinsichtlich der Tugend des Paulus und seines Gottes.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Aletti, Jean-Noël; Le naufrage d’Actes 27: mort symbolique de Paul?, in: A. Marchadour [éd.], L’Évangile exploré (LeDiv 166), Paris 1996, 375-392
Fitzgerald, Michael; The Ship of St. Paul − Part II: Comparative Archaeology, BA 53 (1990), 31-39
Gilchrist, J. M.; The Historicity of Paul’s Shipwreck, JSNT 61 (1996), 29-51
Kratz, Reinhard; Rettungswunder: Motiv-, traditions- und formkritische Aufarbeitung einer biblischen Gattung (Europäische Hochschulschriften: Reihe XXIII, Theologie; Bd. 123), Frankfurt a. M. u. a. 1997
MacDonald, Dennis R.; The Shipwrecks of Odysseus and Paul, NTS 45/1 (1999), 88-107
Pomey, Patrice; Les navires, in: P. Pomey [éd.], La Navigation dans l’Antiquité, Aix-en- Provence 1997, 60-101
Praeder, Susan Marie; Acts 27:1-28:16: Sea Voyages in Ancient Literature and the Theology of Luke-Act, CBQ 46/4 (1984), 683-706
Reynier, Chantal; Paul de Tarse en Méditerranée. Recherches autour de la navigation dans l’Antiquité (Ac 27-28,16) (LeDiv 206), Paris 2006
Schwank, Benedikt; Also doch Malta? Spurensuche auf Kefalonia, BiKi 45 (1990), 43-46
Suhl, Alfred; Gestrandet! Bemerkungen zum Streit über die Romfahrt des Paulus, ZThK 88/1 (1991), 1-28
Talbert, C. H., Hayes, J. H.; A Theology of Sea Storms in Luke-Acts, SBL.SPS 34 (1995), 321-326
Warnecke, Heinz; Die tatsächliche Romfahrt des Paulus (SBS 127), Stuttgart 1987
Warnecke, Heinz; Paulus im Sturm: über den Schiffbruch der Exegese und die Rettung des Apostels auf Kephallenia, Nürnberg, 2., veränd. Aufl. 2000
Wehnert, Jürgen; Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte: ein lukanisches Stilmittel aus jüdischer Tradition (Göttinger Theologische Arbeiten 40), Göttingen 1989