Apg 28,7-10
Übersetzung
Apg 28,7-10:7 In der Umgebung jenes Ortes besaß der Vornehmste der Insel namens Publius Landgüter; er nahm uns drei Tage [bei sich] auf und bewirtete [uns] freundlich. 8 Es begab sich aber, dass der Vater des Publius von Fiebern und Ruhr befallen darniederlag. Zu ihm ging (der) Paulus hinein und betete und legte ihm die Hände auf und heilte ihn. 9 Nachdem dies geschehen war, kamen auch die übrigen auf der Insel, die Krankheiten hatten, herbei und ließen sich heilen. 10 Sie überhäuften uns auch mit vielerlei Ehren, und gaben [uns] bei der Abreise noch alles Nötige mit.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: 28,1-16 setzt den in 27,1-37 enthaltenen Wir-Bericht fort. Der Wir-Bericht findet sich in der Apg in vier Abschnitten: 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16. Geht man davon aus, dass der Sprecher des ersten Wir-Berichtes mit dem des zweiten identisch ist, dann lässt sich aus den ersten beiden Wir-Berichten nichts zum Sprecher im dritten Wir-Bericht herleiten, weil der Sprecher in den ersten beiden Wir-Berichten nur berichtet, ohne selbst seine Identität preiszugeben. Vermutlich ist er mit keiner der in den ersten beiden Wir-Berichten namentlich genannten Personen zu identifizieren. Da sich auch aus dem in 27,1-37 enthaltenen Wir-Bericht keine Schlüsse auf die Identität des Sprechers ziehen lassen, ist dessen Identität auch in 28,1-16 unklar. Es kann somit auch nicht geklärt werden, ob er tatsächlich ein Augenzeuge war, oder ob der Wir-Bericht nur ein literarischer Kunstgriff ist, der nicht auf realer Augenzeugenschaft gründet. Wie auch immer: Aus Sicht des Lesers, der den wahren Sachverhalt nicht nachprüfen kann, handelt es sich um einen (anonymen) Augenzeugen.
Unklar ist, um welchen Ort es sich bei "jenem Ort“ handelte. Handelte es sich um den Ort, an dem die Schiffbrüchigen das Land betreten hatten? Oder handelt es sich um den Ort, an dem die Einheimischen das Feuer entfacht und die Schiffbrüchigen herbeigeholt hatten? Sollte letztere Möglichkeit richtig sein, dann stellt sich die Frage, ob sich dieser Ort in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem die Schiffbrüchigen das Land betreten hatten, befand.
Die griechische Namensform des Vornehmsten der Insel lautet "Poplios“, wobei einige Textzeugen die Schreibweise "Pouplios“ bieten. Die lateinische Namensform lautet "Publius“.
Erneut (vgl. Apg 13,7; 16,20.22; 17,19; 18,12; 19,31) kam Paulus mit einem hervorragenden Vertreter der lokalen bzw. regionalen Führungsschicht und Machthaber zusammen. Dabei dürfte Publius, der "Vornehmste der Insel“ ("prôtos tês nêsou“; wörtlich: "Erster der Insel“), der Mann gewesen sein, dem auf der Insel Melite das höchste Ansehen und wohl auch die größte Macht zukam. Inschriften weisen darauf hin, dass es auf Malta − mit dieser Insel dürfte Malta zu identifizieren sein - tatsächlich ein solches oder ähnliches Amt gab.
Publius erscheint weniger als Machthaber als vielmehr als vorzüglicher Gastgeber. Damit reiht sich sein Verhalten in das der anderen Einheimischen ein, die die Schiffbrüchigen an das Feuer herbeigeholt hatten (vgl. 28,2). Waren die Menschen der Insel Milet tatsächlich so gastfreundlich, dass der Verfasser der Apg ohne bestimmten theologischen oder ethischen Hintergedanken darauf hinwies, oder wollte er mittels der Betonung der Gastfreundschaft ausdrücken, dass die Einheimischen der Insel Melite von ihrem Verhalten her für die Annahme des Christentums, bei der Gastfreundschaft auch eine große Rolle spielte, bereit waren? Eine Überbetonung des christlichen Aspektes verbietet allerdings die Tatsache, dass Gastfreundschaft generell in der Antike großgeschrieben wurde. Auch kommt nicht in den Blick, dass Paulus wegen dieses Verhaltens die Einheimischen samt Publius als besonders geeignete Empfänger seiner Predigt ansah. Ganz im Gegenteil: Dass Paulus auf der Insel Melite predigte, wird an keiner Stelle gesagt.
Ein konkreter Grund für die freundliche Aufnahme und Bewirtung wird nicht genannt. Dass Paulus wegen der souveränen und geradezu übermenschlichen Abwehr des Angriffs der Schlange (vgl. 28,1-6) auf Publius besonderen Eindruck gemacht hatte, lässt sich nicht erschließen. Auch ist nicht gesagt, dass er Paulus als Gott ansah. Überhaupt ist Paulus nicht hervorgehoben, denn Publius bewirtete ja eine nicht genauer definierte Gruppe, zu der Paulus sicherlich gehörte, aber aus der er nicht herausgestellt wird.
Die fehlende Konkretisierung der Wir-Gruppe wirft die Frage auf, wer denn neben dem Sprecher/Augenzeugen und wahrscheinlich auch Paulus zu ihr gehört haben könnte. Umfasste sie alle 276 Schiffbrüchigen samt den Soldaten und dem Hauptmann Julius? Dann hätte die Gastfreundschaft ein wahrhaft außergewöhnliches Ausmaß angenommen, was die Erwähnung der Landgüter erklären würde. Die Landgüter hätten nämlich der Versorgung mit Nahrungsmitteln gedient. Sofern zu ihnen auch Bauten gehörten, wäre für die 276 Schiffbrüchigen auch ausreichend Unterkunft vorhanden gewesen. Für die Bewirtung hätte es darüber hinaus einer großen Zahl Hilfskräfte bedurft, wobei auf den Landgütern durchaus eine ausreichende Zahl Sklaven beschäftigt gewesen sein kann. Wenn die von Publius aufgenommene Gruppe Schiffbrüchiger nur einen Teil der Schiffbrüchigen umfasste, stellt sich die Frage, was denn mit den anderen Schiffbrüchigen war. Und wenn sie nicht die Soldaten und den Hauptmann Julius umfasste, stellt sich darüber hinaus auch die Frage, wie denn die Bewachung des Paulus, der ja zumindest formal weiterhin ein Gefangener war, und der anderen Gefangenen bewerkstelligt wurde. Oder ging man davon aus, dass Paulus und die anderen Gefangenen auf der Insel Melite keiner Bewachung mehr bedurften? Oder fühlte man sich nach dem Schiffbruch als eine große Schicksalsgemeinschaft, die alle Bewachung obsolet erscheinen ließ? Die fehlenden Konkretisierungen, welche Personen denn jeweils in der Wir-Gruppe eingeschlossen sind, lassen tatsächlich den Eindruck einer großen Schicksalsgemeinschaft aufkommen.
Dass der Zeitdauer "drei Tage“ eine besondere Bedeutung zukommt, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Vielleicht handelt es sich um eine historisch korrekte Angabe der Zeitdauer oder der Verfasser hat sie einer Quelle oder Tradition entnommen.
Weiterführende Literatur: Einen Forschungsüberblick über die Frage, wie die Wir-Stücke zu erklären sind, bietet J. Börstinghaus 2010, 282-304. Grundsätzlich habe man fünf Möglichkeiten erwogen, die Wir-Stücke zu erklären: a) Der traditionelle Ansatz: Man nehme an, dass der Verfasser durch das Wir anzeige, welchen Geschehnissen er als Augenzeuge und somit historischer Paulusbegleiter selbst beigewohnt hat. b) Der quellenkritische Ansatz: Man nehme an, dass der Verfasser eine Quelle, die bestimmte Phasen der Paulusreisen schilderte und im sog. "Wir-Stil“ verfasst war, ganz oder auszugsweise bzw. gekürzt zitiert und die 1. Pers. Pl. übernommen habe. c) Der Anspruch des Verfassers: Man nehme an, dass der Verfasser durch die Wir-Passagen einen (unberechtigten) Anspruch auf Augenzeugenschaft oder zumindest auf Erfahrung als Seereisender im östlichen Mittelmeerraum erhebe. d) Die literarische Erklärung: Man nehme an, dass Wir-Passagen ein literarisches Stilmittel seien, das auch sonst belegbar ist; der Verfasser habe sich dieses Stilmittel zunutze gemacht. e) Die theologische Erklärung: Man nehme an, dass der Verfasser die Wir-Passagen mit einer (im weiteren Sinne) theologischen Aussageabsicht eingesetzt habe. J. Börstinghaus sehe derzeit keine in jeder Hinsicht schlüssige und befriedigende Lösung für das Wir-Problem und versuche daher auf S. 304-345, wenigstens für das Wir-Stück 27,1-28,16, einen neuen (?) Erklärungsversuch zu unterbreiten. Dabei knüpft er an die Idee eines Rechenschaftsberichtes an. Diese sei von D.-A. Koch konsequent auf das eine Wir-Stück Apg 20,5-21,18 bezogen worden. Das sei ebenso neu wie die präzisen Überlegungen zu Abfassungs- und Verwendungszweck des Dokuments. D.-A. Koch 1999, 367-390 vertrete die plausible These, dass das zweite Wir-Stück (Apg 20,5-21,18) und nur dieses (ohne die Abschiedsrede in Milet 20,18-35), aber mit der Liste der Teilnehmer an der Kollektendelegation (20,4) auf einem Rechenschaftsbericht basiere, der auch in der 1. Pers. Pl. abgefasst gewesen sei. Dieser Rechenschaftsbericht habe dazu gedient, nach der Rückkehr von den einzelnen Gemeinden Rechenschaft über die Durchführung der Kollektenaktion zu geben. In Analogie zu diesem Rechenschaftsbericht der Kollektendelegation nimmt J. Börstinghaus einen Rechenschaftsbericht an, in dem die wohl von der Gemeinde in Cäsarea dem Paulus als Geleit mitgeschickten Männer über ihr Tun und Lassen während der Reise nach Rom Bericht erstatteten, nachdem sie zu ihrer Gemeinde nach Cäsarea zurückgekehrt waren. Dieser Rechenschaftsbericht werde nur eine dürre Ansammlung von Informationen zum Inhalt gehabt haben, die Lukas aber als Gerüst einer großen Seereiseerzählung gedient haben dürften. Diese habe er dann, durch verbreitete Seefahrtserzählungen beeinflusst, relativ selbstständig und frei gestaltet, dabei aber die Erzählperspektive aus der 1. Pers. Pl. aus dem Bericht übernommen. Dem Lukas vorliegenden Rechenschaftsbericht seien in erster Linie die Orts- und Personennamen in 27,1-9.12 sowie in 28,1.11-16 zuzuweisen. Darüber hinaus könnten in dem Bericht auch einzelne Informationen über den Fahrtverlauf enthalten gewesen sein, wahrscheinlich auch die Zahlenangabe 276 in 27,37.
C. J. Hemer 1985, 79-109 deutet den Wir-Bericht in Apg 27-28 als Ausdruck der "Unmittelbarkeit“ der Erfahrung des Verfassers.
C.-J. Thornton 1991, 200-367 legt dar, dass Lukas nicht habe im Sinne der antiken Geschichtsschreibung Augenzeugenschaft für bestimmte Ereignisse beanspruchen wollen. Andernfalls hätte es genügt, im Proömium darauf hinzuweisen, dass er Paulus auf einigen seiner Reisen begleitet hatte und darum teilweise aus eigener Anschauung berichten könne. Aufgrund der detaillierten Darstellung der Europa-, Jerusalem und Romreise hätten die Leser selbstverständlich gewusst, wo der Erzähler am Geschehen beteiligt war. Allenfalls hätte er am gegebenen Ort jeweils hinzugefügt, dass er dies oder jenes miterlebt habe. Dies sei aber nicht seine Absicht gewesen. Vielmehr wolle sich Lukas einem relativ begrenzten und überschaubaren Kreis von Lesern gegenüber als Zeuge dafür verstanden wissen, dass und wie sich in entscheidenden Momenten der Geschichte des Christentums der göttliche Plan verwirklichte.
J. Wehnert 1989, 182-183 geht davon aus, dass sich Lukas bei den Wir-Passagen eines Stilmittels der jüdischen Literatur bediene, nämlich der (nachträglichen) Autorisierung eines Textes, und auf diese Weise seine um unbedingte Zuverlässigkeit bemühte Darstellung absichere (vgl. S. 182-183). Zu 27,1-28,16: Die sporadische bzw. ganz fehlende Verwendung des "Wir“ in den Abschnitten 27,13-44; 28,3-6.8-10a werfe die Frage auf, ob es sich hierbei um sekundäre Erweiterungen des Romreiseberichts handelt. Für diese Möglichkeit spreche vor allem, dass der Reisebericht 27,1-8 eine glaubwürdige und folgerichtige Fortsetzung erst in 28,11ff. finde: Das dreimonatige Überwintern von Schiff und Besatzung hätte in diesem Fall auf Kreta stattgefunden. Für diese Möglichkeit spreche weiter, dass das alexandrinische Schiff mit Fahrtziel Italien von 27,6 mit dem alexandrinischen Schiff mit Fahrtziel Syrakus - Rhegion − Puteoli von 28,11-13 fraglos identisch sein kann, so dass sich die historische Frage nach einem Schiffbruch des Paulus vor Malta erübrige. Der Aufenthalt auf Malta habe wohl nur drei Tage und nicht drei Monate gewährt. Ansonsten sei der Widerspruch zwischen den Zeitangaben "drei Tage“ (vgl. 28,7) und "drei Monate“ (vgl. 28,11) unlösbar. Als Resultat hält J. Wehnert fest, dass zwischen der Reisebeschreibung 27,1-8; 28,1-2.7.10-16 und den lukanischen Ergänzungen (den Pauluspassagen samt dem Seeabenteuer 27,9-44 sowie den Wundergeschichten 28,3-6.8-9; sämtlich mit dem Wir-Bericht nur lose oder gar nicht verknüpft) deutlich unterschieden werden müsse. Statt des von Lukas berichteten Schiffbruchs vor Malta sei in der Tradition wohl nur von einer (etwa dreimonatigen) Überwinterung auf Kreta die Rede gewesen, nach deren Ende die Fahrt nach Italien (mit dreitägigem Zwischenaufenthalt auf Malta) bestimmungsgemäß fortgesetzt worden sei (vgl. S. 44-45.110-112.193-196). Eine kritische Auseinandersetzung mit der literarkritischen Analyse von J. Wehnert bietet A. Suhl 1991, 21-28.
H. Warnecke 2000, 22-23 merkt an, dass der Titel "Erster“ ("prôtos“) keineswegs auf die Insel Malta beschränkt, sondern im griechisch sprachigen Raum (von Malta bis Kleinasien) verbreitet gewesen sei. So könne es auch auf der Insel Kephallenia einen "Ersten“ gegeben haben. Vgl. H. Warnecke 1987, 119-127, der meint, dass die Angaben der Apg besser auf die ländliche Residenz des römischen Inselgouverneurs (= "Erster Beamter“; Legatus) zuträfen, die sich in der Nähe des Strandungsortes des Paulus befunden habe. J. Wehnert 1990, 84-86 weist dagegen darauf hin, dass der in 28,7 erwähnte Titel "Erster der Insel“ inschriftlich für das Malta der frühen Kaiserzeit bezeugt sei. H. Warnecke mache aus diesem aber einen römischen "Ersten Beamten“ − gemeint sei der ranghöchste, mit dem Titel "Legatus“ versehene Beamte nach dem römischen Statthalter -, den es aber zur Zeit des Paulus auf Malta nicht mehr gegeben habe, da die Inselgruppe damals bereits von einem Prokurator verwaltet worden sei. H. Warnecke weiche aber nicht von seiner abwegigen Deutung ab, weil er einen "Ersten Beamten“ für seine Kephallenia-These brauche. A. Suhl 1991, 13-17 verteidigt die These von H. Warnecke und unterstreicht, dass die Erster-Würde keineswegs lokal auf Malta beschränkt gewesen sei, wie eine ganze Reihe von inschriftlichen Belegen in Armenien, Galatien und Makedonien zeige. Dabei gehe es stets um den Kaiserkult. Ausführlich zu den Belegen siehe A. Suhl 1992, 220-226.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Erkrankung des Vaters des Publius wird erst nach der Erwähnung der Gastfreundschaft des Publius erwähnt, so dass sich kein direkter Zusammenhang zwischen der Krankheit des Vaters und dem Aufenthalt des Paulus als Gast herstellen lässt.
Streng genommen beweist die Erwähnung des Paulus in V. 8 nicht einmal, dass auch er zu den Gästen gehörte. Paulus ging nämlich zum Vater des Publius hinein, wobei unklar ist, wo der Vater des Publius lag. Lag er in einem eigenen Raum des Hauses, in dem sich auch der Gast Paulus aufhielt, so dass Paulus in das Zimmer des Vaters des Publius hineinging? Oder lag der Vater des Publius in seinem eigenen Haus, so dass Paulus in dieses separate Haus hineinging? Dass Paulus − wo hinein auch immer − hinein ging, besagt, dass er sich zuvor nicht direkt am Ort des kranken Vaters des Publius aufgehalten hatte. Wo sich Paulus aufgehalten hatte, wird nicht gesagt. Paulus kann also als Gast auf dem Landgut des Publius zu dem Vater des Publius hineingegangen sein, oder aber auch als Fremder, der kein Gast war, aber aus irgendeinem Grund von dem Darniederliegen des Vaters des Publius erfahren hatte.
Wie Paulus von den Krankheiten des Vaters des Publius erfahren hatte, bleibt offen. Diese Offenheit lässt eine räumliche Nähe zu Publius und dessen Vater annehmen. Diese Nähe weist darauf hin, dass Paulus tatsächlich bei Publius zu Gast war.
Der Heilung gingen ein Gebet und Handauflegung voraus. Das vorausgehende Gebet lässt erkennen, dass Paulus nicht aus eigener Kraft und Vollmacht handelte, sondern aus der Kraft und Vollmacht Gottes oder/und Jesu Christi heraus. Es bleibt offen, ob Paulus zu Gott betete oder Jesus anrief. Da Paulus Gott − konkret den Gott der Juden - und Jesus in einem engen Zusammenhang sah, ist anzunehmen, dass sich das Gebet entweder an Gott und Jesus zugleich oder nur an Gott richtete, dabei aber christlich geprägt war.
Für die Heilung mittels Handauflegung gibt es im AT kein Beispiel und in der weiteren jüdischen Literatur nur wenige Beispiele. Die Heilung mittels Gebet und Handauflegung findet sich nur im aramäischen Genesis-Apokryphon (20,21-29).
Vermutlich ist das "Maltafieber“ (auch: "Mittelmeerfieber“) im Blick, das durch Bakterien übertragen wird und v. a. im Mittelmeerraum auftritt. Es wird durch Kontakt mit erkrankten Ziegen oder Schafen oder deren Ausscheidungen, Totgeburten oder Eihautresten übertragen. Eine weitere Infektionsmöglichkeit ist der Genuss von nicht ausreichend erhitzter Milch und von Milchprodukten aus nicht gekochter oder nicht pasteurisierter Milch infizierter Tiere. Rohes Fleisch infizierter Tiere und daraus hergestellte, ungenügend erhitzte Fleischprodukte können ebenfalls infektiös sein. Der Erreger kann durch die scheinbar unverletzte Haut oder Schleimhaut eindringen.
Bei der Bakterienruhr (Dysenterie; dysenteria) handelt es sich um eine hochansteckende Krankheit, die durch Bakterien der Gattung Shigella verursacht wird. Ihre Ausbreitung wird insbesondere durch warmes Klima und schlechte sanitäre Verhältnisse begünstigt. Symptome dieser Krankheit sind Fieber und wässriger Durchfall, der einen starken Flüssigkeitsverlust des Körpers mit sich bringt und in schweren Fällen blutig, eitrig und schleimig sein kann. Ebenfalls können im Krankheitsverlauf Geschwüre im Dickdarm entstehen.
Weiterführende Literatur: Laut H. Warnecke 2000, 107-109 (vgl. H. Warnecke 1987, 127-133) habe der Kranke an Sumpffieber (Malaria) gelitten, das auf Kephallenia bis ins 20. Jh. hinein alljährlich im Herbst grassiert und die Bevölkerung ganzer Landstriche gelähmt habe.
J. Wehnert 1990, 67-99 merkt an, dass die Heilungsberichte Apg 28,8-9 sprachlich und inhaltlich ganz nach dem Vorbild von Lk 4,38-40 konzipiert seien.
C. S. Keener 2009, 393-402 befasst sich mit antiken Vorstellungen vom Wesen des "Fiebers“ und der "Ruhr“ sowie mit natürlichen und übernatürlichen Behandlungen der Krankheiten. Angesichts des Mangels an angemessenen Methoden der Vorsorge und Behandlung der Krankheiten seien diese oftmals lebensbedrohlich gewesen. So habe man sich in der Not häufig an die Götter gewandt und von diesen Heilung erhofft.
Das Anliegen von A. Weissenrieder 2007, 79-101 ist es zu zeigen, dass der Verfasser in 28,6 auf ein in der Antike weit verbreitetes Wissen um sog. göttliche Ärzte zurückgreife. In der Forschung werde häufiger zur Erklärung der Erzählung 28,1-6 auf Lk 10,19 verwiesen, wo den Zweiundsiebzig die Macht, "auf Schlangen und Skorpione“ zu treten, gegeben werde. Allerdings gehe die Macht über Schlangen und Skorpione in Lk gerade nicht mit einer Gottesprädikation einher. Als andere Möglichkeit werde die Auslegung auf Grundlage der Mosetradition von der ehernen Schlange ins Spiel gebracht. Wie Mose die Macht über die Schlange durch Gott gegeben werde, so auch Paulus. Und wie Mose die Schlange lebend in der Hand halte, so auch Paulus. Doch werde Mose von den Weisen und Zauberern, die versuchen, mit ihren Stäben eine ähnliche Wirkung wie Paulus zu erzielen, gerade nicht als Gott bezeichnet. Auch werde wohl nicht, wie von weiteren Auslegern behauptet, die Ironie der Situation durch die Leerstelle offenbart, indem die Erwartung einer Zurückweisung der Gottesprädikation gebrochen und von den Lesern und Hörern selbst erfüllt werde. Die Erzählung werte nämlich die Verschonung des Paulus selbst eindeutig positiv und stelle sie nicht in Frage oder kommentiere sie ironisch. A. Weissenrieder weist auf die Verbindung der Gottesprädikation mit der Darstellung des Paulus als Seher und Heiler und der Nennung der Schlange hin und versucht vom numismatischen, theologiegeschichtlichen, medizinhistorischen und literarischen Befund her zu zeigen, dass eine Anspielung der Gottesprädikation auf die Arzttradition vorliege.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Bei den Verben "prosêrchonto“ ("sie kamen herbei“) und "etherapeuonto“ ("sie wurden geheilt / sie ließen sich heilen“) handelt es sich um Imperfekte, die ein wiederholtes Geschehen anzeigen. Die übrigen auf der Insel, die Krankheiten hatten, kamen also nicht auf einen Schlag herbei und wurden geheilt / ließen sich heilen, sondern nach und nach.
Woher die anderen Kranken der Insel erfahren hatten, dass der Vater des Publius geheilt worden war, bleibt offen. Nicht die Art und Weise der Verbreitung der Nachricht ist also in der Erzählung von Interesse, sondern die Folge der Verbreitung der Nachricht. Es wird deutlich, dass die Menschen der Insel Melite angesichts der Gesundung des Vaters des Publius darauf vertrauten, dass auch sie von Paulus geheilt werden könnten. Paulus erscheint nicht mehr als Gefangener, sondern als Wunderheiler.
Weiterführende Literatur: S. M. Praeder 1984, 683-706 sieht eine Beziehung zwischen Apg 27,1-28,16 und der antiken Literatur mit ihren Reiseberichten, Vorhersagen von Sturm und Schiffbruch und Sturmszenen sowie ihrer Sorge um Sicherheit auf Seereisen. Das den gesamten Abschnitt durchziehende gemeinsame theologische Thema sei die Sendung des in Jesus Christus und seiner Kirche gegründeten göttlichen Heils zu den Heiden.
C. K. Barrett 1987, 51-64 setzt sich kritisch mit der Meinung auseinander, dass Paulus wie die anderen Apostel ein "Gottesmann“ gewesen und als Nachfolger seines Meisters Jesus mit der gleichen göttlichen Kraft versehen und von dem gleichen göttlichen Geist wie dieser geleitet gewesen sei. Laut C. K. Barrett werde zwar verschiedentlich suggeriert, dass Paulus ein "Gottesmann“ sei, tatsächlich sei er es jedoch nicht.
Zu Magie und Heidentum in der Apg siehe H.-J. Klauck 1996, der sich auf S. 129-133 mit der gastfreundlichen Insel "Melite“ befasst.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Wörtlich ist der Anfang von V. 10 mit "sie ehrten uns auch mit vielen Ehrenerweisen“ zu übersetzen, wobei sich die Frage stellt, um welche Ehrenerweise es sich handelte. Handelte es sich um Huldigungen? Dann könnte Paulus als Wunderheiler, Gottesmann oder Gott (vgl. V. 6) angesehen worden sein. Oder handelte es sich um materielle oder finanzielle Ehrenerweise? Diese könnten gleichsam eine Gegenleistung für die Heilung dargestellt haben.
Das Verb "epitithêmi“ kann mit "dazugeben/mitgeben“ oder "aufladen“ übersetzt werden. Bei letzterer Übersetzung wäre daran gedacht, dass alles Nötige auf das Schiff geladen wurde.
Weiterführende Literatur: Laut F. S. Spencer 1998, 150-159 handele die Apg nicht nur von der bemerkenswerten Wandlung des Paulus vom Erzfeind des Evangeliums hin zu dessen leidenschaftlichstem und dynamischstem Verkündiger, vor allem unter Heiden, sondern auch vom fortwährenden Kampf des Paulus um das Bekennen und Bewahren der neuen Identität angesichts widriger menschlicher, natürlicher und übernatürlicher Kräfte. Neben der Christuserscheinung auf dem Weg nach Damaskus (vgl. Apg 9) kämen auch den Ereignissen auf den Inseln Zypern (vgl. Apg 13) und Malta (vgl. Apg 28) am Anfang und am Ende der Missionsreisen besondere Bedeutung im Hinsicht auf die Entwicklung von Paulus' Charakter und Status zu. Im Rahmen seines Aufsatzes kommt F. S. Spencer auf verschiedene Aspekte der besonderen Bedeutung der Inseln in der Antike zu sprechen: Inseln hätten als Orte der Zuflucht, des Exils, der Erhöhung und heidnischer Bewohner gegolten. Auch Paulus erfahre Zypern als sicheres, lichtes Gebiet inmitten ungestümer Mächte der Finsternis um ihn herum. Für Paulus sei Zypern zwar kein Ort des Exils, aber doch der Auszeichnung, werde ihm doch Erstaunen und Respekt − sogar Glaube - entgegengebracht. Und schließlich werde er auf Zypern zum göttlich befähigten Führer der Verbreitung des Evangeliums und schließlich auch zum führenden Heidenmissionar. Der absolute Höhepunkt der Erhöhung des Paulus komme schließlich auf Malta. Er sei zwar ein Gefangener, werde aber verschiedentlich mit Respekt behandelt. In einer Zeit, als Paulus nicht missionarisch tätig sein konnte und in einem heftigen Unwetter mit den anderen Reisenden jegliche Hoffnung auf Rettung verlor (vgl. 27,20), habe er sich wieder als dynamischer Führer und Wohltäter herausgestellt, der aller Unbill trotzte. So habe er nicht nur seinen Mitreisenden wieder Mut gemacht, sondern sei zu großer Ehre gekommen (vgl. 28,10). Nach den Ereignissen auf Malta bis zum Ende der Apg habe er sich trotz seiner Gefangenschaft wieder wie ein Führer verhalten und das Evangelium verkündigt.
D. R. MacDonald 1999, 88-107 stellt zahlreiche Ähnlichkeiten der Schiffbrucherzählungen in der Apg und in der Odyssee des Homer (Buch 5 und 12) fest. So fänden sich auch in der Odyssee Wir-Berichte. Der Ablauf und das Vokabular der Schiffbrucherzählungen in der Apg und in der Odyssee des Homer ähnelten sich. Auch in der Odyssee werde die Rettung angekündigt, wenn auch nicht von einem Engel, sondern von der Meeresgöttin. Die Rettung erfolge sowohl in der Apg als auch in der Odyssee mittels des Schwimmens auf Planken. Sowohl Paulus als auch Odysseus würden auf der unbekannten Insel der Rettung von den Einheimischen freundlich aufgenommen und schließlich fälschlicherweise für einen Gott gehalten. Und schließlich erführen beide Helden bei ihrer Abreise Ehren. Nicht historische Fakten seien also Grundlage der Schiffbrucherzählung des Paulus, sondern literarische Fiktion. Lukas habe die Vorlage des Homer nicht nur imitiert, sondern christlich umgewandelt. Seine Absicht sei es gewesen, durch den Bezug des Schiffsbruchs des Paulus auf die Schiffbrüche des Odysseus Paulus und seinen Gott mittels eines Vergleichs zu erhöhen. Anders als Poseidon und Zeus sei der Gott des Paulus nicht für den Sturm verantwortlich, sondern nur für die Rettung. Odysseus verliere die Hoffnung, Paulus bleibe voller Vertrauen. Nur der Gott des Paulus rette sämtliche Schiffbrüchigen. Und schließlich werde bei Homer zwar der Held glänzend dargestellt, aber die Apg überrage die Odyssee hinsichtlich der Tugend des Paulus und seines Gottes.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Barrett, Charles Kingsley; Paul Shipwrecked, in: B. P. Thompson [ed.], Scripture: Meaning and Method, FS A. T. Hanson, Hull 1987, 51-64
Börstinghaus, Jens; Sturmfahrt und Schiffbruch: Zur lukanischen Verwendung eines literarischen Topos in Apostelgeschichte 27,1 − 28,6 (WUNT II/274), Tübingen 2010
Hemer, Colin J.; First Person Narrative in Acts 27-28, TynB 36/1 (1985), 79-109
Keener, Craig S.; Fever and Dysentery in Acts 28:8 and Ancient Medicine, BBR 19/3 (2009), 393-402
Klauck, Hans-Josef; Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167), Stuttgart 1996
Koch, Dietrich-Alex; Kollektenbericht, “Wir”-Bericht und Itinerar. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, NTS 45 (1999), 367-390
MacDonald, Dennis R.; The Shipwrecks of Odysseus and Paul, NTS 45/1 (1999), 88-107
Praeder, Susan Marie; Acts 27:1-28:16: Sea Voyages in Ancient Literature and the Theology of Luke-Act, CBQ 46/4 (1984), 683-706
Spencer, F. Scott; Paul’s Odyssey in Acts: Status Struggles and Island Adventures, BTB 28/4 (1998), 150-159
Suhl, Alfred; Gestrandet! Bemerkungen zum Streit über die Romfahrt des Paulus, ZThK 88/1 (1991), 1-28
Suhl, Alfred; Zum Titel prôtos tês nêsou (Erster der Insel) Apg 28,7, BZ 36/2 (1992), 220-226
Thornton, Claus-Jürgen; Der Zeuge des Zeugen: Lukas als Historiker der Paulusreisen (WUNT 56), Tübingen 1991
Warnecke, Heinz; Die tatsächliche Romfahrt des Paulus (SBS 127), Stuttgart 1987
Warnecke, Heinz; Paulus im Sturm: über den Schiffbruch der Exegese und die Rettung des Apostels auf Kephallenia, Nürnberg, 2., veränd. Aufl. 2000
Wehnert, Jürgen; Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte: ein lukanisches Stilmittel aus jüdischer Tradition (Göttinger Theologische Arbeiten 40), Göttingen 1989
Wehnert, Jürgen; Vom neuesten Schiffbruch des Paulus, Lutherische Monatshefte 28 (1989), 98-100
Wehnert, Jürgen; Gestrandet. Zu einer neuen These über den Schiffbruch des Apostels Paulus auf dem Wege nach Rom (Apg 27-28), ZThK 87/1 (1990), 67-99
Weissenrieder, Annette; "Er ist ein Gott!“ (Apg 28,6). Paulus, ein christlicher Asklepios?, in: C. Gestrich, T. Wabel. [Hrsg.], An Leib und Seele gesund. Dimensionen der Heilung (BThZ 24), Berlin 2007, 79-101