1 Kor 8,1-6
Übersetzung
1 Kor 8,1-6: 1 Was aber das Götzenopferfleisch betrifft, so wissen wir, dass wir alle Erkenntnis haben. Die Erkenntnis bläht auf, aber die Liebe baut auf. 2 Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen muss. 3 Wenn aber jemand (den) Gott liebt, so ist er von ihm erkannt. 4 Was nun das Essen von Götzenopferfleisch betrifft, so wissen wir, dass es keinen Götzen gibt in der Welt, und dass es keinen Gott gibt außer [dem] einen. 5 Denn wenn es auch sogenannte Götter gibt, sei es im Himmel oder auf Erden, wie es ja [tatsächlich] viele Götter und viele Herren gibt, 6 so [haben] wir doch nur einen Gott, den Vater, aus dem alles [ist] und wir zu ihm, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alles [ist] und wir durch ihn.
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Beobachtungen: Paulus beendet seine Ausführungen zu Jungfräulichkeit, Ehe und Ehescheidung und wendet sich nun einem neuen Thema zu, der Götzenopferspeise. Möglicherweise ist dabei konkret das Götzenopferfleisch im Blick − zumindest ist es mitgemeint. Dabei handelt es sich um Fleisch von Tieren, die heidnischen Göttern geopfert worden sind. Wenn das Fleisch verzehrt werden kann, ist daraus zu schließen, dass es nicht - z. B. als Brandopfer - vernichtet wurde. Dass Paulus das Thema anspricht, dürfte damit zu begründen sein, dass es im Brief der Korinther an ihn erwähnt wurde. Ob die Korinther eine konkrete Frage hatten, lässt sich nicht erschließen.
Paulus weicht scheinbar sogleich von dem neu angeschnittenen Thema ab und kommt auf die Erkenntnis zu sprechen. Das scheinbare Abweichen lässt sich damit erklären, dass die Erkenntnis eng mit dem Götzenopferfleisch zusammenhängt. Den Zusammenhang hat Paulus wahrscheinlich von seinen Adressaten übernommen. Es ist zu vermuten, dass mindestens ein Teil der korinthischen Gemeindeglieder davon ausging, dass sich die Problematik mit Erkenntnis regeln ließe.
Paulus widerspricht nicht, dass der Erkenntnis im Hinblick auf einen angemessenen Umgang mit dem Götzenopferfleisch Bedeutung zukommt, sondern bejaht, dass "wir alle“ Erkenntnis haben. Es ist anzunehmen, dass Paulus mit "wir alle“ die Adressaten, sich und den Mitverfasser des Ersten Korintherbriefes, Sosthenes, meint. Möglicherweise sind auch alle anderen Christen im Blick. Eher unwahrscheinlich ist, dass Paulus auch die Heiden einschließt, denn dafür klingt "wir alle“ zu vertraulich.
Zu kritisieren ist jedoch, dass die Erkenntnis aufbläht. Wer sich aufbläht, wird größer, versucht anderen zu imponieren. Das ist aber Wichtigtuerei, die im Gegensatz zur Liebe nicht aufbaut. Was oder wen die Liebe aufbaut, wird nicht gesagt; in Frage kommen der/die Liebende selbst und die Gemeinde. Was konkret "aufbauen“ bedeutet, bleibt offen. Das Wort weist jedoch auf eine Stärkung und eine Vergrößerung hin.
Weiterführende Literatur: Mit der Beschaffenheit und Ernsthaftigkeit der Probleme in der korinthischen Gemeinde und mit der Logik und Struktur der paulinischen Argumentation in 1 Kor 8-10 befasst sich B. N. Fisk 1989, 49-70. Dabei setzt er sich kritisch mit der gängigen Interpretation auseinander, legt die Problemstellungen dar und diskutiert die alternative Interpretation von G. D. Fee. Laut G. D. Fee gehe es in 1 Kor 8-10 nicht um Opfergaben, die den heidnischen Göttern dargebracht worden waren und danach bei Mahlzeiten aufgetischt und von den glaubensstarken Christen auch gegessen wurden, sondern es gehe um Opfergaben, die unter Beteiligung der glaubensstarken Christen bei den kultischen Mählern im Rahmen der heidnischen Opferzeremonie verspeist wurden.
W. G. Thompson 1990, 406-409 befasst sich mit der ethischen Bewertung des Einsatzes von Computern als aktuelle Parallele zur ethischen Bewertung des Essens von Götzenopferfleisch.
Eine literarkritische Analyse von 1 Kor 8,1-13 und 11,2-16 bietet H.-F. Richter 1996, 561-575. Er vertritt die These, dass der Erste und Zweite Korintherbrief zusammen genommen in Wirklichkeit aus zehn Briefen zusammengesetzt seien. Der die Korinther so eindringlich vor Götzendienst warnende Brief A (1 Kor 6,1-11; 9,24-27; 10,1-17; 11,23-26; 16,22-24?) habe die Adressaten zu einer Antwort veranlasst. Auf diese bezögen sich die Perikopen 1 Kor 8,1-13; 10,18-11,1 und 6,12-20 in einem zweiten Schreiben des Apostels, das man als "Gemeindezuchtbrief“ bezeichnen könne. Durch die Entgegnung der Korinther erhalte die Korrespondenz einen neuen Aspekt. Es gehe nicht mehr darum, dass Götzendienst für sie noch eine Gefahr darstellt; vielmehr gehe es jetzt darum, ob es Sünde ist, Fleisch zu essen, das auf den Markt kommt, nachdem es mit einem Götzenopfer in Verbindung gestanden hatte.
B. J. Oropeza 1998, 57-68 legt dar, dass verschiedentlich angenommen werde, dass 8,1-11,1 aus zwei verschiedenen Schriftstücken zusammengesetzt sei. Demnach bilde 8,1-9,23 Brief B und 10,1-22 Brief A. Von anderen Auslegern werde 10,1-22 (oder 10,1-13) als ein früher Midrasch angesehen, den Paulus in seinen Brief eingebaut habe. Zwar sei − wie von letzterer These angenommen - tatsächlich literarische Einheitlichkeit des Abschnittes 8,1-11,1 zu vermuten, doch sei sie anders zu begründen: Dem Abschnitt liege die deuteronomische Tradition − insbesondere das Lied des Mose (Dtn 32) − zugrunde. Diese Tradition sei wesentlich vom Motiv des Abfalls von Gott durch Götzenkult geprägt, das von Paulus in Sprache und Gedankengut aufgenommen worden sei und 8,1-11,1 durchziehe.
J. Delobel 1996, 177-190 untersucht, ob 1 Kor 8-10 einheitlich ist und inwiefern die Frage nach dem Götzenopfer auch in nachbiblischer und heutiger Zeit für die Theologie und Ethik relevant ist. Ergebnis: Der auf den ersten Blick uneinheitliche Abschnitt 1 Kor 8-10 sei einheitlich und das Götzenopferproblem auch in heutiger Zeit gerade in Ländern mit multireligiösen Gesellschaften, in denen es jederzeit zu analogen Situationen kommen könne, weiterhin relevant.
J. F. M. Smit 1996, 577-591 geht der Frage nach, welche Funktion 1 Kor 8,1-6 innerhalb der von Paulus in 8,1-11,1 entfalteten Diskussion um Götzenopfer erfüllt. Ergebnis: 8,1-6 erfülle die Funktion einer "partitio“, eines kurzen Inhaltsverzeichnisses, das zum Verständnis der nachfolgenden Argumentation beitrage. J. F. M. Smit geht von der literarischen Einheitlichkeit von 8,1-11,1 aus. J. F. M. Smit 1997, 476-491 zeigt, dass 8,7-9,27 das Grundmuster einer Rede zugrunde liege.
R. A. Horsley 1978, 32-51 versteht die sog. proto-gnostische Glaubenshaltung der Korinther auf dem Hintergrund hellenistisch-jüdischer, auf "Weisheit“ und "Erkenntnis“ fixierter Religiosität. Aus dieser hellenistisch-jüdischen Gnosis sei die Gnosis der Korinther hervorgegangen. Der Begriff "proto-gnostisch“ sei also ungenau und treffe den Sachverhalt nicht wirklich.
Zur Erkenntnis und Freiheit der Korinther siehe R. A. Horsley 1978, 574-589.
Eine Auslegung von V. 1(-3) bietet L. W. Willis 1985, 67-82.
B. Witherington III 1993, 237-254 befasst sich kritisch mit der These, dass "eidôlothuton“ ein von den frühen Juden geschaffener polemischer Begriff sei, um einem heidnischen Gott geweihtes Fleisch zu bezeichnen. Tatsächlich finde sich der Begriff fast ausschließlich in christlichen Texten, von denen keiner älter als der Erste Korintherbrief sei. Sein Ursprung liege somit vermutlich im frühen Judenchristentum. Das "eidôlothuton“ sei in der frühen Zeit vom "hierothuton“ ("geweihte Nahrungsmittel“) zu unterscheiden und meine Fleisch, das einem Götzen geweiht ist und in dessen Gegenwart verzehrt wird. Daraus sei u. a. zu folgern, dass es in der Verfügung der Versammlung der Apostel und Ältesten in Jerusalem (vgl. v. a. Apg 15,29) nicht darum geht, dass sich die Heidenchristen ansatzweise an die jüdischen bzw. noahitischen Speisegebote halten sollen, sondern darum, dass sie sich von Mahlzeiten und Unmoral in heidnischen Tempeln fernhalten sollen. 1 Kor 8-10 spiegele dementsprechend Paulus’ Akzeptanz und Anwendung der Verfügung wieder. Ähnlich B. Witherington III 1994, 38-43 mit veranschaulichenden Abbildungen.
Der Frage, worum es sich bei den "eidôlothuta“ handelt, geht auch P. D. Gooch 1993, 53-56 nach. Oft werde zwar angenommen, dass Fleisch (von geopferten Tieren) gemeint sei, doch gehe dies nicht eindeutig aus dem Text hervor. P. D. Gooch vertritt eine allgemeinere Deutung, wonach mit dem heidnischen Kult verbundene Nahrungsmittel gemeint sind. Zum Begriff "eidôlothuton“ geht auch C. K. Barrett 1982, 40-45 ein.
Auf den kontextuellen Worthorizont von "oikodomein“ ("aufbauen“) in V. 1 geht I. Kitzberger 1986, 73-78 ein.
Laut T. Söding 1994, 69-92 scheine der Götzenopferstreit, den der Apostel in 1 Kor 8-10 zu schlichten versucht, auf den ersten Blick eine Nebensächlichkeit zu sein, die allenfalls von historischem Interesse ist. Bei näherem Zusehen gebe er sich aber als Paradigma paulinischer Ethik zu erkennen, das von überraschender Aktualität ist. Es gehe um einen Konflikt zwischen "progressiven“ und "konservativen“ Kräften in einer christlichen Gemeinde; es gehe um das Verständnis und den Gebrauch christlicher Freiheit; es gehe um die Frage, wie sich Christen in einer synkretistischen Umwelt verhalten sollen; und es gehe um das Problem, wie sich eine ethische Norm im Evangelium begründen lässt.
Enge thematische Parallelen zwischen 1 Kor 4,6-21 und 1 Kor 8,1-11,1 sieht C. E. Still 2004, 17-41: 4,6-7 // 8,1-3: Hochmut anderen Menschen gegenüber; 4,8 // 8,4-6: eschatologische Überheblichkeit; 4,9-13 // 8,13-9,27 (besonders 9,12b.15-18): das Muster für Nachahmung; 4,14.18-21 // 10,1-22 (besonders 10,11.22): Warnungen vor dem Gericht; 4,15-17 // 10,33-11,1: Aufforderung zur Nachahmung. In Kor 1-4 werde die theologische Grundlage der Antworten des Paulus auf die in 1 Kor 5-15 zur Sprache kommenden Probleme gelegt.
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Beobachtungen: Paulus kennt anscheinend verschiedene Arten Erkenntnis. Nicht jede Erkenntnis geschieht auf dem richtigen Wege. Wenn also jemand meint, erkannt zu haben, dann hat er noch nicht unbedingt richtig erkannt.
Paulus sagt nicht, was jemand meint, erkannt zu haben. Sicher ist, dass es sich um Erkenntnis von etwas Besonderem handelt, nicht um allgemeine Erkenntnis.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Ohne dass Paulus sagt, wie man denn erkennen müsse, kommt er nun auf die Gottesliebe zu sprechen. Wer Gott liebt, den hat Gott (schon) erkannt. Paulus spricht also nicht vom Erkennen Gottes, sondern vom Lieben Gottes. Nennt Paulus hier zwei Aspekte des rechten Erkennens, und zwar das liebende Erkennen, und das rechte Objekt des Erkennens, und zwar Gott?
Gottes Erkenntnis geht der menschlichen Liebe (der liebenden Erkenntnis?) voraus. Offen bleibt jedoch, inwiefern Gott den ihn Liebenden erkannt hat. Ist die Erkenntnis der Absichten oder des Wesens im Blick oder geht es um Erkenntnis im Sinne von Erwählung (vgl. AT)?
Weiterführende Literatur: Mit der Gottesliebe bei Paulus befasst sich T. Söding 1989, 219-242, der auf S. 228-232 konkret auf 8,3 eingeht. Gottesliebe und Nächstenliebe seien untrennbar miteinander verbunden. Darüber hinaus komme es Paulus auf die spezifische Bedeutung des Wortes "Liebe“ an, die sich vom AT und vom Judentum her abzeichne, im Kontext von 1 Kor 8 aber mit neuen Aspekten darstelle. Den "Gnostikern“ mangele es ja nicht am entschiedenen Bekenntnis zum Evangelium; ihnen mangele es an einem Verhältnis zu Gott, das sich ganz von der im Sühnetod Jesu aufgipfelnden Liebe Gottes bestimmen lässt und deshalb jedes Pochen auf die eigene Freiheit und Vollmacht von vornherein ausschließt. Für dieses neue Gottesverhältnis, das bleibend durch den Kreuzestod Jesu Christi bestimmt sei, stehe nach 1 Kor 8 die Liebe zu Gott. In diesem Fall sei das Stichwort Agape noch deutlicher als selbst das Wort Glaube.
O. Wischmeyer 1987, 141-144 hat die Traditionsgeschichte der Wendung "Gott lieben“ zum Thema. Es handele sich um ein traditionelles theologisches Epitheton, das in einem bestimmten theologischen Zusammenhang für den jüdischen Frommen und Gerechten benutzt werde. Paulus habe diese jüdische Tradition übernommen, jedoch nicht weitergeführt, sondern nur gezielt polemisch eingesetzt und durch die "Liebe des Geistes“ ersetzt, die im Verständnis des Paulus eindeutig und keinen Missverständnissen ausgesetzt sei.
F. W. Hawkins 2004, 169-182 legt dar, dass Paulus zwischen verschiedenen Gruppen der korinthischen Gemeinde und zwischen verschiedenen Arten und Formen der Erkenntnis unterscheide. Auf all diesen Unterscheidungen basiere seine Antwort auf das Problem des Essens von Götzenopferfleisch. Besondere Bedeutung komme der Unterscheidung zwischen der Sichtweise der korinthischen Christen und derjenigen Gottes zu.
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Beobachtungen: Nachdem es in V. 1-3 eher abstrakt um "Götzenopferfleisch“ und "Erkenntnis“ ging, kommt Paulus nun konkret auf die Problematik zu sprechen: Es geht um das Essen von Götzenopferfleisch und um rechte Gotteserkenntnis.
Die Aussage "es gibt keinen Götzen in der Welt“ ist nicht als objektive Tatsache zu verstehen, denn natürlich werden zur Zeit des Paulus die verschiedensten Götter verehrt und es gibt die verschiedensten Götterbilder. Es geht aber um das Wissen der Christen, also auch der Korinther. Das Wissen der Christen unterscheidet sich von dem der Heiden. Während die Heiden verschiedene Götter verehren, betrachten die Christen diese als Nichtse, die gemäß V. 4 eigentlich nicht existent sind. Für die Christen gibt es nur einen einzigen Gott, und zwar den einen. Angesichts dieses Gottesverständnisses wird verständlich, warum Paulus häufig nicht von "Gott“ spricht, sondern von "dem Gott“, also einen bestimmten Artikel hinzufügt. Es geht um den einzigen Gott, und keinen anderen. Die Formulierung, die Paulus im Hinblick auf den einen Gott gebraucht, erinnert an das "Höre Israel“ (Schema Jisrael; Dtn 6,4)
Weiterführende Literatur: Eine Auslegung von V. 4-7 bietet L. W. Willis 1985, 82-96.
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Beobachtungen: Auch Paulus ist sich natürlich bewusst, dass weitere Götter verehrt werden. Da er diese aber nicht als Götter anerkennt, spricht er von "sogenannten Göttern“. Diese befinden sich im Himmel oder auf Erden. Auf Erden sind sie aufgrund der Verehrung von Götterbildern regelrecht greifbar.
Wenn Paulus nun plötzlich von der Existenz vieler Götter spricht, so widerspricht er nur scheinbar seiner vorhergehenden Aussage. Denn hier ist nicht von real existierenden Göttern die Rede, sondern von dem, an dem das Herz der Menschen hängt und was sie sich zu Göttern und zu ihren "Herren“, denen sie dienen, machen. Wer beispielsweise dem Geld nachjagt, macht das Geld zu seinem Gott und "Herrn“ und dient ihm.
Weiterführende Literatur: B. W. Winter 1990, 209-226 befasst sich mit den theologischen und ethischen Antworten der Christen auf den religiösen Pluralismus in Korinth.
B. W. Winter 1995, 169-178 geht der Frage nach, inwieweit der römische Kaiserkult den Hintergrund für Paulus’ Ausführungen bildet. Er übersetzt den Begriff "exousia“ mit "Recht“ und meint, dass es sich nicht um das Recht handeln könne, Fleisch im Demeter- oder Asklepiustempel zu essen, denn die dortigen Mahlzeiten hätten jedem offen gestanden. Vielmehr gehe es um das Recht, den mit den Isthmischen Spielen verbundenen Mahlzeiten im Tempel beizuwohnen, das nur römischen Bürgern und nicht den Provinzialen offen gestanden habe. Die Isthmischen Spiele seien mit dem Kaiserkult verbunden gewesen. So hätten sich auch in Korinth im Bereich der Agora Statuen neben Götterstatuen auch Statuen von lebenden oder verstorbenen Herrschern samt Familien befunden, die vergöttlicht worden waren. Es sei also anzunehmen, dass Paulus, wenn er von den "Göttern auf Erden“ (8,5) spricht, auch den Herrscher und seine Familie meine. Eine Petition einer Nachbarstadt Korinths namens Argos − der einzigen bedeutenderen nichtchristlichen literarischen Quelle des 1. Jhs. n. Chr., die uns über das Leben im zeitgenössischen Korinth informiere − zeige, dass sich die römische Kolonie Korinth an römischen Sitten und römischem Recht orientierte und nicht griechische Sitten und griechisches Recht zu restaurieren suchte. Der Kaiserkult sei also auch in Korinth verbreitet gewesen.
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Beobachtungen: Bei V. 6 handelt es sich um eine Art Glaubensbekenntnis, die traditionell geprägt zu sein scheint. Woher mag Paulus das Bekenntnis haben? Und: Ist sein "Sitz im Leben“ im Gottesdienst zu verorten?
Paulus unterstreicht nochmal, dass die Christen ("wir“) nur einen Gott haben, und zwar den "Vater“. Gott Vater ist der Ursprung von allem, aus ihm heraus ist alles entstanden und er ist somit der Schöpfer. Er ist zugleich das Ziel (zumindest) der Christen. Möglich ist, dass Paulus hier die Sammlung der Christen bei Jesus Christus und schließlich bei dem Vater am Ende der Tage im Blick hat.
Die Bezeichnung "Vater“ hat familiären und fürsorglichen Charakter. Zugleich klingen Autorität, Männlichkeit und Härte mit.
Außerdem gibt es nur einen "Herrn“, und zwar Jesus Christus. Nur ihm ist zu dienen, nicht irgendwelchen nichtigen Götzen(bildern) oder "Herren“ wie dem Geld. "Durch“ Jesus Christus ist alles geschaffen und (zumindest) die Christen sind "durch“ ihn. Wenn Jesus Christus auch nicht selbst der Schöpfer ist, so war er doch bei der Schöpfung in irgendeiner Form aktiv und existierte vor der Schöpfung. Man kann ihn somit als "präexistenten Schöpfungsmittler“ bezeichnen.
Dass der "Herr“, Jesus Christus, Gott Vaters Sohn ist, wird hier nicht gesagt. Allerdings ist die Sohnschaft Jesu Christi anzunehmen, so wie (in anderer Art) auch die Christen Gott Vaters Söhne/Kinder sind.
Weiterführende Literatur: Mit der Theologie und Christologie in 8,4-6 befasst sich A. Denaux 1996, 593-606, wobei er eine synchrone statt einer diachronen Herangehensweise wählt, also vom vorliegenden redaktionellen Kontext ausgeht.
Mit den anthropologischen und theologischen Aspekten des V. 6, insbesondere Monotheismus, Schöpfung und Schöpfungsmittlerschaft, befasst sich R. Hoppe 2004, 28-39.
Auch O. Hofius 2000, 47-58 befasst sich mit Inhalt und Aussage des Bekenntnisses V. 6, wobei er "all’ hêmin" nicht zu dem Bekenntnis hinzuzählt. Beide Worte führten das Bekenntnis ein, indem sie der in V. 5 angesprochenen heidnischen Götterverehrung ganz betont die Sicht des christlichen Glaubens entgegenstellten. O. Hofius versteht V. 6 als "binitarische“ Entfaltung des "Schema Jisrael“ ("Höre, Israel!“; Dtn 6,4-5) in einem durch das erste Dekaloggebot bestimmten geschichtlichen Kontext. Dabei rede das Bekenntnis von Jesus von Nazareth als Menschen. Ihm schreibe es reale und personale Präexistenz zu, ihn bezeichne es als den in der Einheit mit Gott wirkenden Schöpfungsmittler und als den Herrn der ganzen Welt, und in ihm erblicke es den Erlöser, der Gottes Schöpfungswillen zum Ziel führt. Auch K. Wengst 1999, 243-244 versteht die Akklamation zu dem einen Gott, dem Vater, und zu dem einen Herrn, Jesus Christus, als eine Neufassung des "Schema Jisrael“. Es sei eine Neufassung in veränderter Situation, nämlich unter der Bedingung, dass sich in den durch die Christusverkündigung entstehenden Gemeinden jüdische Menschen und Menschen aus den Völkern als neue Schöpfung erfahren und begreifen.
Zur "binitarischen“ Neudefinition des Monotheismus befasst sich auch C. J. Davis 1996, 141-155. So sei in 1 Kor 8,5-6 von zwei göttlichen "Personen“ die Rede, wo Monotheisten eine Gottheit annehmen würden. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass Paulus Jesus Christus und den Vater als göttlich in Begriffen exklusiver Göttlichkeit des einen monotheistischen Gottes betrachtet. Parallelen zeigten, dass Paulus Aussagen über das Göttliche auf Jesus Christus übertragen hat.
Die Verhältnisbestimmung von Gott und Christus hat E. Gräßer 1981, 196-201 zum Thema. Fazit: Gott werde als Schöpfer und Erlöser schlechthin prädiziert. Er sei Ursprung und Ziel von allem. Christus sei demgegenüber Mittler von allem. Die Christozentrik stehe also bei Paulus im Dienst seiner Theozentrik. Der Apostel lehre nicht zwei Götter, sondern er vertrete konsequent die Selbstauslegung Gottes in Christus, wobei er der Theozentrik seines theologischen Denkens kein Quentchen wegnehme.
Der Traditionsgeschichte der Bekenntnisformel V. 6, deren Inhalt nicht paulinisch sei, geht R. A. Horsley 1978, 130-135 nach. Es handele sich wahrscheinlich um eine christliche Bearbeitung hellenistisch-jüdischer formelhafter Aussagen hinsichtlich der jeweiligen Schöpfer- und Heilsrollen von Gott und Sophia/Logos, die wiederum eine platonisch-philosophische Formel bezüglich der ursprünglichen Prinzipien des Universums aufgenommen hätten.
C. Breytenbach 2005, 37-54 versucht anhand einer Auswahl wichtiger Texte des Paulus aufzuzeigen, dass Paulus seine theologischen Formulierungen an urchristlicher, liturgischer Tradition anlehne, die ihrerseits die Tora-Rezeption des griechisch sprachigen Frühjudentums sowohl in der Sprache als auch in der Sache aufnehme. Es zeige sich somit, dass die theologischen Grundsätze der Verkündigung des Paulus v. a. im urchristlichen Bekenntnis und Lobpreis beheimatet waren. Auf S. 37-49 geht C. Breytenbach auf die theologische Aussage "Der einzige Gott, der Vater, der Schöpfer des Alls.“ in 1 Kor 8,6 ein. Die "heis theos“-Formel in der griechischen Übersetzung von Dtn 6,4 sei die Aufnahme des biblischen Monotheismus-Glaubens im griechischen Gewand. Wie tragend das monotheistische Bekenntnis für das junge Christentum wurde, lasse sich an Paulus' Rückgriff auf das Bekenntnis in 1 Kor 8,6 zeigen. Doch die Gottesvorstellung des Paulus sei nicht nur jüdisch. Dass für das früheste Christentum Gott Vater der Menschen ist, gehe auf Jesus zurück, der seine Jünger gelehrt habe zu beten "Vater“.
G. Schimanowski 1985, 317-320 befasst sich mit der Schöpfungsmittlerschaft Christi.
Laut J. Murphy-O’Connor 1978, 253-267 sei V. 6 soteriologisch, also unter dem Aspekt des Heils, und nicht kosmologisch, also unter den Aspekten der Schöpfung und Schöpfungsmittlerschaft sowie Präexistenz, zu interpretieren.
M. Neary 1981, 1-21 befasst sich mit der paulinischen Vorstellung von der kosmischen Erlösung, die nicht von der Erlösung des Menschen zu trennen sei.
M. Buscemi 2001, 247-269 geht der Bedeutung der Formulierung "Gott Vater“ in den paulinischen Briefen nach. Zunächst widmet er sich dem Gebrauch des Begriffes "Vater“ in den paulinischen Briefen, dann legt er dar, inwiefern Gott "Vater“ Jesu Christi, der Schöpfung und der Christen ist. Zuletzt werden die Heilstaten des "Vaters“ für die Menschheit unter die Lupe genommen. Grundsätzlich sei Gott der "Vater“. Stehe also "Vater“ allein, so sei Gott gemeint. Das Vater-Sohn-Verhältnis zu Jesus Christus mache eine innige Beziehung zwischen beiden deutlich. Zudem sei Jesus Christus Grund und Mittler des gnadenhaften Heils, das Gott den Menschen zugedacht hat. Durch das erlösende Heilshandeln Christi würden die Gläubigen zu "Gotteskindern“. Auch sei Gott "Vater“ seiner gesamten Schöpfung.
K.-K. Yeo 1994, 294-311 fragt, wie Paulus im Hinblick auf das Essen von Götzenopferfleisch mit den Korinthern kommuniziert, und überträgt seine Beobachtungen auf das Problem der Ahnenverehrung, wie es in der chinesischen Kirchengeschichte aufgetreten ist. Die Missionare in China hätten im Hinblick auf die praktizierte Ahnenverehrung verschieden reagiert. Diejenigen, die die Ahnenverehrung verboten haben, hätten dies damit begründet, dass es dabei zu unabsichtlicher Darbietung von Opferspeise für Götzen-Dämonen statt für die Vorfahren gekommen sei.
Literaturübersicht
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Barrett, Charles Kingsley; Things Sacrificed to Idols, in: C. K. Barrett [ed.], Essays on Paul, London 1982, 40-59
Breytenbach, Cilliers; Der einzige Gott − Vater der Barmherzigkeit. Thoratexte als Grundlage des paulinischen Redens von Gott, BThZ 22/1 (2005), 37-54
Buscemi, Marcello; Dio Padre in S. Paolo, Anton. 76/2 (2001), 247-269
Davis, Carl Judson; The Name and the Way of the Lord: Old Testament Themes, New Testament Christology (JSNTS 129), Sheffield 1996
Delobel, Joël; Coherence and Relevance of 1 Cor 8-10, in: R. Bieringer [ed.], The Corinthian Correspondence (BETL 125), Leuven 1996, 177-190
Denaux, Adelbert; Theology and Christology in 1 Cor 8,4-6: A Contextual-Redactional Reading, in: R. Bieringer [ed.], The Corinthian Correspondence (BETL 125), Leuven 1996, 593-606
Fisk, Bruce N.; Eating Meat Offered to Idols: Corinthian Behavior and Pauline Response in 1 Cor 8-10, TrinJ 10/1 (1989), 49-70
Gooch, Peter D.; Dangerous Food: 1 Corinthians 8-10 in its Context (Studies in Christianity and Judaism / Études sur le christianisme et le judaïsme 5), Waterloo, Ontario 1993
Gräßer, Erich, "Ich will euer Gott werden“. Beispiele biblischen Redens von Gott (SBS 100), Stuttgart 1981
Hawkins, Faith Kirkham; Does Paul Make a Difference, in: A.-J. Levine [ed.], A Feminist Companion to Paul (Feminist Companion to the New Testament and Early Christian Writings 6), London −New York 2004, 169-182
Hofius, Otfried; Christus als Schöpfungsmittler und Erlösungsmittler. Das Bekenntnis 1 Kor 8,6 im Kontext der paulinischen Theologie, in: U. Schnelle u. a. [Hrsg.], Paulinische Christologie, Fs. H. Hübner, Göttingen 2000, 47-58
Hoppe, Rudolf; 1 Cor. 8.1-6 as Part of the Controversy between Paul and the Parish in Corinth, J. Mrázek, J. Roskovec [eds.], Testimony and Interpretation (JSNT.S 272), FS P. Pokorný, London 2004, 28-39
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Horsley, Richard A.; Consciousness and Freedom among the Christians: 1 Corinthians 8-10, CBQ 40 (1978), 574-589
Horsley, Richard A.; Gnosis in Corinth: 1 Corinthians 8,1-6, NTS 27/1 (1980/81), 32-51
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