Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an Philemon

Phlm 21-22

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phlm 21-22



Übersetzung


Phlm 21-22:21 Da ich deinem Gehorsam vertraue, habe ich dir geschrieben, und ich weiß, dass du noch mehr tun wirst, als ich sage. 22 Zugleich aber richte mir auch ein Gastzimmer, denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete gnädig geschenkt werde.



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V. 21


Beobachtungen: Mit V. 21 geht Paulus nun von dem konkreten Streitfall zwischen dem Herrn Philemon und seinem Sklaven Onesimus und von der Beilegung des Streitfalls zu einer allgemeinen Vertrauensbekundung über. V. 21 kann mit V. 20 zusammen als ein den Briefkorpus V. 8-21 abschließender zusammenfassender Appell zu christlichem Liebeshandeln verstanden werden. Als Vertrauensbekundung kann er aber auch nur in einem losen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden gesehen werden und den Briefschluss V. 21-25 einleiten. Weil die Vertrauensbekundung V. 21 indirekt eine Ermahnung enthält, kann der Vers außerdem als Bestandteil abschließender Ermahnungen, die von V. 20 bis V. 22 reichen, angesehen werden. Diese abschließenden Ermahnungen könnten den Beginn des Briefschlusses markieren, der damit V. 20-25 umfassen würde.


Paulus schreibt nicht, wem gegenüber der Gehorsam (hypakoê) erfolgt. Handelt es sich um den Gehorsam Paulus gegenüber? Das würde bedeuten, dass Paulus gebieten kann. Tatsächlich hat er auch das Recht „in Christus“ zu gebieten, allerdings verzichtet er gemäß V. 8-9 auf dieses Recht und verlegt sich stattdessen auf das Bitten. Das Eingehen auf eine Bitte hat freiwilligeren Charakter als das Eingehen auf ein Gebot; insofern stellt Gehorsam eher die Antwort auf ein Gebot als auf eine Bitte dar. Somit scheint es eher unwahrscheinlich zu sein, dass hier von einem Gehorsam Paulus gegenüber die Rede ist. Nun ändert sich jedoch mit dem Verzicht auf das Recht zu gebieten nicht das Selbstverständnis des Apostels. Er hat dieses Recht weiterhin inne, auch wenn er Philemon gegenüber darauf verzichtet. Es ist also möglich, dass sich Paulus unbewusst weiterhin einer gebietenden Denk- und Sprechweise bedient, auch wenn er bewusst versichert, auf sein Recht zu verzichten und stattdessen zu bitten. Auf diesem Hintergrund kann Paulus also durchaus das Eingehen auf seine Bitte als Gehorsam bezeichnen, wobei er mit der Begriffswahl vielleicht – sei es bewusst oder unbewusst – dem verpflichtenden Charakter seiner Bitte Nachdruck verleiht. Die Grenze zwischen Bitte und Gebot ist fließend: Als Apostel mag Paulus bitten, das von ihm Verkündigte hat jedoch gebietenden Charakter: Der verkündigte Christus bzw. Gott, der Vater Jesu Christi, ist „Herr“. Der „Herr“ gebietet und seine Diener, die Christen und insbesondere der Apostel Paulus und seine Mitarbeiter, dienen gehorsam. Der Dienst ist für alle, die den „Herrn“ anerkennen, verpflichtend, nicht freiwillig. Selbst wenn Paulus also bittet, hat die Bitte gebieterischen Charakter. Ein Befolgen der Bitte des Apostels ist Gehorsam gegenüber Jesus Christus bzw. Gott, dem Vater Jesu Christi.


Der Aorist „egrapsa“ („ich habe geschrieben“) ist vermutlich als brieflicher Aorist zu verstehen. Weil Paulus nicht einmal ansatzweise definiert, was er geschrieben hat, ist an den gesamten Brief an Philemon zu denken. Beim Schreiben des V. 21 steht noch die Abfassung der V. 22-25 aus. Der gesamte Brief ist erst geschrieben, wenn er abgeschickt ist und Philemon ihn liest. Diese rückblickende Sichtweise des Empfängers wird durch den brieflichen Aorist gekennzeichnet.


Auch das vorgebliche Wissen dürfte dem Zweck dienen, Philemon zum gewünschten Handeln zu bewegen. Dabei geht Paulus davon aus, dass Philemon nicht nur tut, was er sagt, sondern aus gänzlich freien Stücken noch mehr tut.

Es stellt sich die Frage, was Paulus „gesagt“ hat, was es zu tun gilt. In V. 15-20 geht es um die Beilegung des Streites zwischen Philemon und Onesimus. Philemon soll Onesimus wie den „Genossen“ Paulus aufnehmen und keine Entschädigungsforderung an Onesimus richten. Wenn dieser Philemon geschädigt hat oder ihm etwas schuldet, dann soll Philemon von Paulus die Entschädigung oder das Geschuldete fordern. Dabei unterstreicht Paulus seine Erwartung, dass Philemon auch Paulus gegenüber auf jegliche Forderung verzichtet, mit dem Hinweis, dass Philemon sich selbst Paulus schuldet. Dies ist also das erste, was Paulus „sagt“. Was ist aber nun das „Mehr“ über das „Gesagte“ hinaus? In V. 13-14 macht Paulus deutlich, dass er gerne Onesimus für den weiteren Dienst bei sich behalten hätte, dies jedoch nicht ohne Einwilligung des Philemon tun wollte. Paulus hofft, dass Philemon ihm den Sklaven Onesimus aus freien Stücken überlässt. Dieses Überlassen des Sklaven für Hilfsdienste gegenüber dem gefangenen Paulus könnte durchaus das „Mehr“ sein. Dabei stellen sich jedoch Fragen, inwiefern sich damit Änderungen bezüglich des Lebens und des Status‘ des Sklaven ergeben: Ist an vorübergehende Hilfsdienste nur zu Zeiten der Gefangenschaft des Apostels gedacht oder sollen die Hilfsdienste die Gefangenschaft überdauern? In letzterem Fall könnte Onesimus zu einem aktiven Mitarbeiter des Apostels bei dessen Missionsarbeit werden. Doch wie soll der gesellschaftliche Status des Onesimus beschaffen sein? Soll er Sklave bleiben oder freigelassen werden? Dass Paulus an einen dauerhaften Verbleib als Mitarbeiter und/oder an die Freilassung des Onesimus denkt, ist möglich, aber nicht sicher. Schließlich bleibt als Möglichkeit auch eine verbesserte Stellung innerhalb der Hausgemeinschaft des Philemon. So könnte Onesimus – über die Versöhnung hinausgehend – im Haushalt seines Herrn eine besonders ehren- und/oder anspruchsvolle Aufgabe übernehmen. Ein solcher Aufstieg steht einem Sklaven in der Antike durchaus offen.


Weiterführende Literatur: J. A. Weima 1994, 230-236 legt dar, dass unter den Auslegern Uneinigkeit darüber bestehe, wo der Schluss des Philemonbriefes beginnt. Die vorgeschlagenen Abgrenzungen des Schlusses reichten von V. 17-25 bis V. 23-25. J. A. Weima hält einen Beginn mit V. 19 für wahrscheinlich und analysiert die Struktur des von ihm so abgegrenzten Briefschlusses. Der Schluss des Philemonbriefes habe eine stark zusammenfassende und wiederholende Funktion. Paulus bediene sich zwar der gewohnten Schlusskonventionen, doch füge er einige weitere briefliche Formeln hinzu, so dass der Briefschluss besser die Bitte des Briefkorpus‘ wiederhole und verstärke. Philemon solle es geradezu unmöglich gemacht werden, nicht der Bitte seines Freundes Paulus zu entsprechen.


C. S. de Vos 2001, 89-105 geht der Frage nach, ob Paulus von Philemon die Freilassung (manumissio) des Sklaven Onesimus verlangt. Ergebnis: Die griechisch-römische Welt sei eine ausgeprägt kollektivistische, autoritäre und patriarchale Gesellschaft gewesen. In dieser habe die Freilassung an sich nicht grundsätzlich das Verhältnis zwischen den (ehemaligen) Sklaven und den (ehemaligen) Herren geändert. Paulus gehe es daher nicht um die Freilassung an sich, sondern um ein geändertes Verhältnis zwischen dem Herrn und dem Sklaven, was eine radikalere Forderung sei.


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V. 22


Beobachtungen: V. 22 stellt eindeutig eine Aufforderung dar. Das einleitende Adverb „hama“ („zugleich“) macht deutlich, dass auch der V. 21 als Aufforderung (oder: Ermahnung) verstanden werden kann, auch wenn er als Vertrauensbekundung formuliert ist. Zusätzlich zu dem in V. 21 indirekt Geforderten soll Philemon einer weiteren Forderung nachkommen: Er soll Paulus ein Gastzimmer richten.

Liest man V. 1 im Lichte von V. 22, dann scheint unwahrscheinlich zu sein, dass Apphia die Ehefrau des Philemon ist. Wäre sie die Ehefrau, dann hätte Paulus sicher nicht nur Philemon, sondern auch Apphia zur Bereitung eines Gastzimmers aufgefordert, denn die Hauswirtschaft dürfte Aufgabenbereich der Ehefrau sein.


Das Richten eines Gastzimmers ist nur dann sinnvoll, wenn Paulus seine Freilassung aus der Gefangenschaft für realistisch hält. Ob diese tatsächlich schon in Aussicht ist oder unmittelbar bevorsteht, lässt sich nicht sagen. Sicher ist nur, dass er sie von den Gebeten der Adressaten abhängig macht. Die Freilassung erscheint nicht als Handeln von Menschen, sondern als Handeln Gottes. Der erhoffte Besuch bei den Adressaten ist vom Willen Gottes abhängig, wie die passive, als passivum divinum zu verstehende Verbform „charisthêsomai“ („ich werde geschenkt“) zeigt. Der erhoffte Besuch bei den Adressaten ist demnach ein Geschenk, und zwar ein Geschenk Gottes. Es wird aus Gnade gewährt.

Paulus fordert nicht, dass die Adressaten für ihn beten, sondern er setzt dies voraus. Dieses Voraussetzen kann zum einen als eine erneute indirekte Aufforderung verstanden werden, die einen vorsichtigeren und höflicheren Charakter als eine direkte Aufforderung hat, aber auch als Beleg der engen Bande zwischen Paulus und den Adressaten.

Dass Paulus sogleich an einen Besuch bei Philemon, Apphia und Archippus denkt, lässt annehmen, dass sein Ort der Gefangenschaft nicht weit vom Wohnort der drei zu besuchenden Adressaten entfernt gelegen ist. Nimmt man an, dass die drei Adressaten in Kolossä (oder naher Umgebung) wohnen, dann mag sich auch der Gefangenschaftsort des Paulus in Kleinasien befinden. Möglicherweise handelt es sich bei diesem Ort um Ephesus.


Der Wechsel vom Singular zum Plural innerhalb des V. 22 ist auffällig. Zwar ist gemäß V. 1-2 Philemon nicht der einzige Adressat des Briefes, sondern es werden auch Apphia und Archippus als Adressaten genannt, doch ist die Anrede aller Adressaten zugleich auf den formelhaften Segenswunsch V. 3 begrenzt. Im weiteren Verlauf des Briefes – bis hin zu V. 22 – wird nur noch eine Person angeredet, und zwar der Hauptadressat Philemon. Daher überrascht der Wechsel in V. 22. Warum der plötzliche Wechsel vom Singular zum Plural? Ist der Plural „euch/eure“ in V. 22 als Höflichkeitsform zu verstehen, bei der eine einzelne Person im Plural angesprochen wird? Das ist insofern unwahrscheinlich, als die Verbform „hetoimaze“ („richte/bereite“) in der ersten Hälfte des V. 22 noch ein Singular ist und es keinen Grund für einen plötzlichen Wechsel zur Höflichkeitsform gibt. Wahrscheinlicher ist, dass in der zweiten Hälfte des V. 22 tatsächlich alle drei Adressaten angeredet werden. Das mag damit zu begründen sein, dass es nun nicht mehr konkret um Philemon und dessen Auseinandersetzung mit Onesimus geht. Es geht nun um einen Besuch, der nicht nur ein rein privater Besuch bei einem einzigen Freund ist, sondern mehrere Gemeindeglieder betrifft, wenn anscheinend auch nicht die ganze Gemeinde. Philemon wird zwar als Gastgeber herausgehoben, was mit seiner besonderen Beziehung zu Paulus zu begründen sein mag, doch setzt Paulus nicht auf das Gebet allein einer Person. Das Gebet erscheint als geistliche Unterstützung einer Mehrzahl Menschen, wobei vielleicht nicht an das private Gebet, sondern an das Gebet im Gottesdienst gedacht ist. Weil sowohl Philemon als auch Apphia und Archippus beten und der Besuch allen dreien gilt, ist der Besuch ein Geschenk für alle drei. Möglich ist, dass Paulus über die drei in V. 1 -2 genannten Adressaten hinausgehend auch an die gesamte Hausgemeinde des Philemon denkt, der der zukünftige Besuch des Apostels bzw. das Geschenk gilt. In V. 23 wechselt Paulus wieder zum Singular; der Plural taucht erst wieder im abschließenden Segensgruß V. 25 auf.


Weiterführende Literatur: M. A. G. Haykin 1994, 331-335 macht deutlich, dass die englischen Übersetzungen von V. 22 gewöhnlich „your prayers“ („deine/eure Gebete“) böten und somit offen bleibe, ob es sich um einen Singular („deine“) oder um einen Plural („eure“) handelt. Damit werde der Wechsel vom Singular zum Plural in V. 22 nicht deutlich. Daher sei zu betonen, dass die gesamte Hausgemeinde für Paulus beten solle und nicht nur Philemon allein.



Literaturübersicht


de Vos, Craig S.; Once a Slave, Always a Slave? Slavery, Manumission and Relational Patterns in Paul’s Letter to Philemon, JSNT 82 (2001), 89-105

Haykin, Michael A. G.; Praying Together: A note on Philemon 22, EvQ 66/4 (1994), 331-335

Weima, Jeffrey A.; Neglected Endings: the Significance of the Pauline Letter Closings (JSNT.SS 101), Sheffield 1994

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