Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (9-12)

Die Anfänge der Heidenmission

Apg 11,25-26

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 11,25-26

 

 

Übersetzung

 

Apg 11,25-26:25 Er aber ging (hinaus) nach Tarsus, um Saulus aufzusuchen. 26 Und als er ihn gefunden hatte, brachte er ihn nach Antiochia. So ergab es sich, dass die beiden (sogar) ein ganzes Jahr in der Gemeinde zusammengeführt wurden und eine stattliche Zahl von Menschen lehrten und dass man in Antiochia zum ersten Mal die Jünger "Christen“ nannte.

 

 

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V. 25

 

Beobachtungen: 11,19-30 handelt vom Anfang der Gemeinde in Antiochia. Dabei ist der Abschnitt folgendermaßen untergliedert: Die Mission der wegen Stephanus Verfolgten (11,19-21); der von der Jerusalemer Gemeinde nach Antiochia gesandte Barnabas bestärkt die antiochenischen Gemeindeglieder im Glauben (11,22-24); Barnabas und Saulus wirken ein Jahr gemeinsam in Antiochia (11,25-26); die Kollekte der antiochenischen Christen für die Glaubensgenossen in Judäa (11,27-30).

 

Mit "er“ ist Barnabas gemeint. Es erstaunt, dass der Gesandte der Jerusalemer Gemeinde eigenmächtig die Initiative ergreift und seinen Tätigkeitsbereich verlässt, um sich einen Mitarbeiter zu suchen.

 

Tarsus war eine wichtige Handelsstadt in Kilikien, aus der Saulus (= Paulus) stammte (vgl. Apg 9,11; 21,39; 22,3). Hierhin war Saulus von seinen Glaubensgenossen geschickt worden, als ihm die "Hellenisten“ nach dem Leben trachteten (vgl. 9,29-30).

 

Warum suchte Barnabas gerade Saulus (= Paulus) auf? Zunächst einmal ist als Grund an die Herkunft des Saulus zu denken: Er stammte aus Tarsus und war somit gebürtiger Diasporajude. Ebenso wie Barnabas war er von daher vermutlich mehr als Judenchristen aus Jerusalem oder Judäa den Umgang mit Heiden gewohnt. Er hat, wie seine Briefe belegen, fließend griechisch gesprochen, wodurch Kommunikationsprobleme mit den ebenfalls griechisch sprechenden Missionaren und Einwohnern Antiochias vermieden wurden. Als von einer judenchristlichen Gemeinde Gesandter wird Barnabas darauf geachtet haben, dass sein Mitarbeiter auch die jüdische Denkweise kannte und angemessen mit Judenchristen umgehen konnte. Solche Kenntnisse und Fähigkeiten konnten auch bei der Mission der Juden von Nutzen sein, die in Antiochia ebenso wie die Mission der Heiden aktuell war (vgl. Apg 11,19-20). Daher bot sich Saulus an, der in seiner Vergangenheit ein bei dem Lehrer Gamaliel ausgebildeter Pharisäer war (vgl. Apg 22,3; 23,6; Phil 3,5-6). Überhaupt dürfte Saulus wegen seiner vielfältigen Missionserfahrungen (vgl. Apg 9,20-30; 2 Kor 11,32-33; Gal 1,15-24) in besonderem Maße für das Missionsfeld in Antiochia in Frage gekommen sein. Barnabas kannte Saulus, hatte er ihn doch bei den Aposteln eingeführt (vgl. Apg 9,26-27). Außerdem ist möglich, dass Barnabas zu den "Brüdern“ gehört hatte, die Saulus nach Cäsarea geleitet und ihn von dort aus nach Tarsus weitergeschickt hatten (vgl. 9,30). Weil Saulus auch den Aposteln bekannt war, war nicht davon auszugehen, dass diese etwas gegen ein Mitwirken des Saulus in Antiochia haben würden.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 26

 

Beobachtungen: Allzu genau scheint Barnabas nicht über den genauen Aufenthaltsort des Saulus informiert gewesen zu sein, denn sonst hätte er ihn nicht erst ausfindig machen müssen.

 

Unklar ist, inwiefern Saulus freiwillig mit Barnabas nach Antiochia ging. Lässt der von Nestle-Aland, 27. Aufl. gebotenen Text keine Willensregung des Saulus erkennen, so weist der stark abweichende westliche Text wenigstens auf ein Mindestmaß an Eigenständigkeit des Saulus hin: Demnach forderte Barnabas Saulus auf, mit nach Antiochia zu kommen.

 

Die Bedeutung des Verbs "synachthênai“ ist unklar. Bedeutet das passive Verb hier "gastlich aufgenommen werden“ oder "zusammengeführt werden“? Entscheidet man sich für erstere Bedeutung, dann ist zu fragen, ob sich die gastliche Aufnahme auf die Unterbringung oder auf das grundsätzliche Wohlwollen der antiochenischen Gemeindeglieder Barnabas und Saulus gegenüber bezieht. Die Unterbringung kann bei privaten Gastgebern, in einer zur Verfügung gestellten Unterkunft oder in Gästezimmern der Synagoge erfolgt sein und auch die Verpflegung umfasst haben. Entscheidet man sich für letztere Bedeutung, dann ist zu fragen, in welcher Weise Barnabas und Saulus in der Gemeinde zusammengeführt wurden. Ist an göttliche Fügung gedacht, die beide segensreich zusammen wirken ließ? Dies könnte man aus dem einleitenden "so ergab es sich“ ("egeneto de“) schließen. Oder ist in erster Linie an die gemeinsame Tätigkeit an sich gedacht?

Der Begriff "Gemeinde“ ("ekklêsia“) wird im Hinblick auf eine heidenchristlich geprägte Gemeinschaft vom Verfasser der Apg erstmals in Apg 11,26 benutzt.

 

Die Zeitangabe "ein ganzes Jahr“ mag damit zu begründen sein, dass bei der Angabe einer Zeitdauer in der Antike auch angebrochene Jahre wie volle Jahre gezählt wurden.

 

Paulus (= Saulus) selbst erwähnt in seinen Briefen den Aufenthalt in Antiochia vor der Apostelversammlung in Jerusalem nicht. Allerdings hielt er sich vor seinem Erscheinen bei der Apostelversammlung gemäß Gal 1,21 eine Zeitlang in den Gebieten von Syrien und Kilikien auf. Weil Antiochia die Hauptstadt Syriens war, kann Apg 11,26 durchaus mit Gal 1,21 in Einklang gebracht werden.

 

Nicht gesagt wird, wo Barnabas und Saulus eine stattliche Zahl Menschen lehrten. Am ehesten ist an die Synagoge zu denken. Dort könnten sowohl Juden als auch Gottesfürchtige oder Judenchristen die Adressaten der Lehre gewesen sein. In der Synagoge, die sicherlich nicht nur zu Gottesdiensten geöffnet war, gingen nicht nur Juden, sondern auch Gottesfürchtige ein und aus. Und weil zur Zeit des Barnabas und Saulus das Christentum noch in den Anfängen der Abgrenzung vom Judentum steckte, dürften sich auch Judenchristen in der Synagoge aufgehalten haben. Weil sowohl Barnabas als auch Saulus Judenchristen waren, ist es durchaus wahrscheinlich, dass sie in der Synagoge lehrten. Aufgrund der verschiedenartigen Zuhörerschaft kann die Lehre sowohl verkündigenden als auch im Glauben stärkenden Charakter gehabt haben. Weil Barnabas der Gesandte der Jerusalemer Gemeinde war, konnte die Jerusalemer Gemeinde Einfluss darauf nehmen, dass es bezüglich christlicher Glaubenslehren keinen Wildwuchs gab. Möglich ist auch, dass die Lehre in gemeindeeigenen Räumen erfolgte, die von der Synagoge getrennt waren. Dies würde voraussetzen, dass die Trennung des Christentums vom Judentum bereits im Fortschreiten war. Schließlich kann die Lehre auch an verschiedenen anderen Orten erfolgt sein, wo Menschen zusammenkamen. Allerdings dürfte an heidnisch geprägten Orten die Gefahr des Widerstands groß gewesen sein.

Sieht man die Verben "zusammengeführt werden“ und "lehren“ in einem engen Zusammenhang, dann kann "zusammengeführt werden“ sich konkret auf die gemeinsame verkündigende und lehrende Tätigkeit beziehen.

 

Die griechische Wortbildung "Christianoi“ − eine Textvariante bietet die Schreibweise "Chrêstianoi“ - lässt sich von lateinischen Analogien her erklären, wo die Verbindung aus dem Namen eines Mannes mit der Endung −iani häufig auftaucht und immer die politischen Parteigänger dieses Mannes meint. Demnach sind die "Christianoi“ (lat. "Christiani“) (politische) Anhänger eines Mannes namens Christus. Dabei fällt auf, dass nicht der Name "Jesus“, sondern der Titel "Christus“ bei der Namensgebung der Parteiung maßgeblich war.

 

Es waren "die Schüler/Jünger“ ("hoi mathêtai“), die "Christen/Christianer“ ("Christianoi“) genannt wurden. Dabei bleibt jedoch offen, um wessen Schüler/Jünger es sich handelte. Da in V. 26 davon die Rede ist, dass Barnabas und Saulus lehrten, ist zunächst anzunehmen, dass es sich um die Schüler des Barnabas und Saulus handelte. Allerdings wäre dann eine Verdeutlichung des Bezugs mittels eines Personalpronomens zu erwarten: "ihre Schüler“. Als weitere Möglichkeit kommt infrage, dass es sich um Schüler/Jünger derjenigen Person handelte, nach der ihre Parteiung benannt wurde: um Schüler/Jünger Christi. Angesichts des Fehlens jeglicher Verdeutlichung, um wessen Schüler/Jünger es sich handelte, ist anzunehmen, dass der Verfasser der Apg eine Verdeutlichung für überflüssig hielt. Vermutlich konnte er davon ausgehen, dass die Leser der Apg auch ohne Verdeutlichung wussten, wessen Schüler/Jünger er mit der Formulierung "die Schüler/Jünger“ meinte. Weil nicht ersichtlich ist, dass es sich um eine von außenstehenden Personen gegebene Bezeichnung, also um eine Fremdbezeichnung, handelt, ist von einer Selbstbezeichnung auszugehen.

 

Der Infinitiv Aorist Aktiv "chrêmatisai“ kann sowohl "sich nennen“ als auch "sich nennen lassen“ oder "genannt werden“ bedeuten. Insofern lässt er offen, ob sich die Anhänger Christi selbst "Christen/Christianer“ nannten oder ob sie von Außenstehenden "Christen/Christianer“ genannt wurden.

Wer könnten die Außenstehenden, die "die Schüler/Jünger“ möglicherweise "Christen/Christianer“ nannten, gewesen sein? Der Text selbst gibt auf diese Frage keine Antwort. Zunächst ist an die Juden zu denken. Diesen lag der Messiasgedanke nahe. So mögen alle Juden (und später auch Heiden), die Jesus als den dem Volk Israel verheißenen Messias (= Christus) ansahen, von andersdenkenden Juden als "Christen/Christianer“ bezeichnet worden sein. Dabei dürften die "Christen/Christianer“ zunächst als eine jüdische Bewegung erschienen sein. Erst mit dem Hinzutreten von Heidenchristen mag zunehmend der Eindruck der Eigenständigkeit aufgekommen sein. Angesichts der Tatsache, dass sich die griechische Wortbildung "Christianoi“ von lateinischen Analogien her erklären lässt, ist jedoch eher anzunehmen, dass die Bezeichnung von Menschen geschaffen wurde, die mit den lateinischen Benennungen politischer Parteiungen vertraut waren. Angesichts der Tatsache, dass Antiochia seit 64 v. Chr. Hauptstadt der römischen Provinz Syria war, mögen alle Einwohner mit der lateinischen Sprache in Kontakt gekommen sein. Somit können auch alle Nicht-Christen die Anhänger Christi, die sich ja offensichtlich nicht mehr nur aus Juden rekrutierten, sondern eine zunehmend eigenständige religiöse Bewegung bildeten, "Christen/Christianer“ genannt haben. Die besten Kenntnisse der lateinischen Sprache sind bei den Römern selbst anzunehmen. Dabei mögen insbesondere die Lokalbehörden ein Interesse daran gehabt haben, politische und religiöse Parteiungen genau zu beobachten, um frühzeitig Unruhen unterbinden zu können. Möglicherweise hat die römische Provinzbehörde in Antiochia wahrgenommen, dass sich die Anhänger Christi in Privathäusern der Anhänger versammelten. In ihren Augen mag es also angebracht gewesen zu sein, die Anhänger Christi getrennt von den Juden zu betrachten und sie als eigene religiöse oder politische Gruppierung anzusehen. Als Bezeichnung für diese Parteiung lag "Christen/Christianer“ nahe. In der Folgezeit dürfte sich die Bezeichnung dann auch in griechischer Form im Sprachgebrauch der antiochenischen Bevölkerung verbreitet haben. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht allen Menschen klar war, dass "Christus“ kein Name im eigentlichen Sinne, sondern ein Titel war.

Der öffentliche Charakter der Benennung geht möglicherweise aus dem Verb "chrêmatizô“ hervor, das ein förmlicher Ausdruck für verschiedene öffentliche Tätigkeiten wie "Staatsgeschäfte betreiben“, "Audienz erteilen“ oder "weissagen“ ist, aber auch "benennen“ bedeuten kann.

 

Weiterführende Literatur: Eine narrative Exegese zu Apg 11,26 bietet C. Schuppan 1991, 125-135.

 

J. Taylor 1994, 75-94 geht zunächst auf die Form und Bedeutung und dann auf den Gebrauch der Bezeichnung "Christianoi“ ein. Dann gibt er einen Überblick über die verschiedenen Thesen zur Herkunft der Bezeichnung: Gewöhnlich werde angenommen, dass die Anhänger Christi erstmals in Antiochien "Christianoi“ genannt worden seien. Davon abweichend werde auch die Meinung vertreten, dass die Namensgebung in Rom erfolgt sei. Eine weitere These sei, dass es sich nicht um eine Fremdbezeichnung, sondern um eine Selbstbezeichnung der Anhänger Christi handele. J. Taylor vertritt selbst die Meinung, dass die Anhänger Christi von den römischen Behörden in Antiochia "Christianoi“ (oder: "Christiani“) genannt worden seien. Die Bezeichnung sei auf dem Hintergrund des jüdischen messianischen Glaubens zu verstehen. Die Erwartung des Messias (Christus) sei auch politisch gesehen worden. Die Verkündung Jesu als Messias habe in den Jahren 39-40 n. Chr. in Antiochia zu gewalttätigen Unruhen geführt. Die Anhänger Christi seien für die Unruhen verantwortlich gemacht worden, die Bezeichnung "Christianoi“ stehe also für Aufruhr und Straftaten.

 

Laut É. Delebecque beginne in 11,25 die Aufgliederung des Textes in einen westlichen (v. a. Codex Bezae Cantabrigiensis) und östlichen Text, die bis 11,29 reiche. V. 25-26 und V. 27-29 seien wegen der jeweils eigenen Probleme voneinander zu trennen. É. Delebecque vergleicht die beiden Texte, wobei er sich insbesondere den V. 26-28 widmet.

 

 

Literaturübersicht

 

Delebecque, Édouard; Saul et Luc avant le premier voyage missionnaire. Comparaison des deux versions des Actes 11,26-28, RSPhTh 66/4 (1982), 551-559

Schuppan, Christoph; Bewegung in Antiochia. Eine narrative Exegese zu Apg 11,26, in: A. Meinold, R. Lux [Hrsg.], Gottesvolk. Beiträge zu einem Thema biblischer Theologie, FS S. Wagner, Berlin 1991, 125-135

Taylor, Justin; Why Were the Disciples First Called "Christians“ at Antioch? (Acts 11,26), RB 101/1 (1994), 75-94

 

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