Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (13-14)

Die erste Missionsreise des Paulus

Apg 14,19-20a

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 14,19-20a

 

 

Übersetzung

 

Apg 14,19-20a:19 Es kamen jedoch aus Antiochia und Ikonion Juden an; (und) sie zogen die Volksmengen auf ihre Seite, steinigten (den) Paulus und schleiften ihn aus der Stadt in der Annahme, er sei tot. 20a Doch als die Jünger ihn umringten, stand er auf und ging in die Stadt hinein.

 

 

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V. 19

 

Beobachtungen: 14,19-20a stellt eine eigenständige inhaltliche Einheit dar. Schauplatz des Geschehens ist zwar wie schon zuvor die Heilung des Gelähmten (V. 8-10), die Verehrung des Barnabas und Paulus als Götter (V. 11-13) und die Zurechtweisung der Einwohner von Lystra durch die beiden Missionare (V. 14-18) die Stadt Lystra, doch kommt es zu einer grundlegenden Kehrtwende im Geschehen hin zur Verfolgung. Der zeitliche Abstand zu dem vorhergehenden Geschehen ist unklar.

 

Die Verfolgung hat ihren Ursprung nicht in der heidnischen Einwohnerschaft Lystras, sondern in den Juden, die aus Antiochia und aus Ikonion kamen.

In der Apg waren bisher zwei Städte namens Antiochia erwähnt worden: Antiochia in Pisidien und Antiochia am Orontes. Antiochia in Pisidien war einer der in der heutigen Türkei gelegenen Orte, in denen Paulus und Barnabas zuvor gepredigt hatten (vgl. 13,14-50); Antiochia am Orontes war die Stadt, von der die beiden Missionare ihre erste Missionsreise gestartet hatten (vgl. 13,1-4). In beiden Städten gab es eine große jüdische Gemeinde (Antiochia in Pisidien: vgl. 13,14-15; Antiochia am Orontes: vgl. 11,19), wobei sich die Juden des pisidischen Antiochien am Ende gegen die beiden Missionare gewandt hatten (vgl. 13,50). Die bereits erfolgte Verfolgertätigkeit der Juden in Antiochia in Pisidien und die vergleichsweise geringe Entfernung zwischen Antiochia in Pisidien und Lystra lässt annehmen, dass in 14,19 die Stadt Antiochia in Pisidien gemeint ist. Warum Juden aus dem weit entfernten Antiochia am Orontes hätten kommen sollen, ist nicht ersichtlich.

Ikonion war der letzte Ort, in dem Paulus und Barnabas gewirkt hatten (vgl. 14,1-6). Auch dort hatten sie sich den Hass der Juden zugezogen und waren geflüchtet. Die Juden von Ikonion hatten sogar die Absicht gefasst, Paulus und Barnabas zu misshandeln und sie zu steinigen. Da lag es nahe, dass sie − ebenso wie die Juden aus Antiochia in Pisidien − nach Lystra reisten, um den beiden Missionaren auch dort den Garaus zu machen. Sie müssen zuvor nur vom Wirken und der göttlichen Verehrung der beiden Missionare in Lystra erfahren haben.

 

Weil die Heiden den beiden Missionaren gegenüber so positiv eingestellt waren, dass sie diese sogar als die Götter Zeus und Hermes verehrten, mussten die Juden die Heiden erst umstimmen, bevor sie die Verfolgungstätigkeit beginnen konnten. Andernfalls hätten sie sich in einen Konflikt mit den Heiden verwickelt, bei dem sie aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit nur den Kürzeren hätten ziehen können.

 

Die Juden zogen zwar die Heiden auf ihre Seite, erscheinen aber in V. 19 als aktive Verfolger: Sie selbst waren es, die Paulus steinigten und aus der Stadt schleiften.

 

Es fällt auf, dass nur Paulus gesteinigt wurde, obwohl nicht nur er als Gott verehrt worden war, sondern auch Paulus. Dies mag zum einen damit zu erklären sein, dass nur Paulus in Lystra die Heilung des Gelähmten vollbracht hatte (V. 8-10) und sich daher der Hass der Juden auf ihn konzentrierte, zumal er der Wortführer war (vgl. V. 12); zum anderen mag die Erwähnung nur des Paulus ein Hinweis darauf sein, dass es sich bei 14,19-20a um ein von 14,14-18 unabhängiges Traditionsstück handelte.

Bei der Steinigung wurde Paulus so lange mit Steinen beworfen, bis er zusammenbrach und für tot gehalten wurde. Der Steinigung war in diesem Fall sicherlich kein ordentlicher gerichtlicher Prozess vorausgegangen. Es handelte sich also wohl nicht um eine von einem Gericht oder Einzelrichter verhängte Strafe, sondern um einen Akt der Selbstjustiz, der blindem Hass entsprang.

 

Weiterführende Literatur: Eine in drei Schritte gegliederte narrative Analyse von Apg 14,7-20a bietet C. Dionne 2005, 5-33: In einem ersten Schritt geht er der Frage nach, welche Stellung der Text im gesamten Erzählzusammenhang einnimmt. In einem zweiten Schtitt befasst er sich mit der Abgrenzung des Abschnitts; und in einem dritten Schritt liest er den Abschnitt synchron (= in der uns heute vorliegenden Textfassung) und nimmt dabei den thematisierten Konflikt in Augenschein.

 

D. P. Béchard 2001, 84-101 vertritt die These, dass 14,8-20 als Verteidigung gegenüber dem Vorwurf abgefasst sei, die Missionare hätten mit ihrer Verkündigung nur bei der geistig beschränkten und leichtgläubigen Landbevölkerung Erfolg gehabt und deren Naivität zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt. Tatsächlich erscheine die Landbevölkerung − entsprechend einem von nach einer schlichteren Lebensart strebenden Dichtern, Philosophen und Politikern gemalten Idealbild - als aufrichtig fromm. Als ebenso aufrichtig erschienen die Missionare Paulus und Barnabas, die über ihre Zuhörer keinesfalls eine manipulative Kontrolle ausübten. Zwar werde die heidnische Landbevölkerung manipuliert, jedoch seien die beiden Missionare nicht die Urheber der Manipulation, sondern deren Opfer.

 

Laut K. Haacker 1988, 317-324 setze sich vollmächtiges Wort in doppelter Weise in Handlung um, und zwar in paradoxer Gegensätzlichkeit: im Machterweis des Heilungswunders − und in der Ohnmachtserfahrung der Verfolgung.

 

V. 20a

 

Beobachtungen: Es ist nicht gesagt, wessen Jünger (= Anhänger/Schüler) gemeint sind. Handelt es sich um Jünger des Paulus (und des Barnabas)? Oder um Jünger Jesu Christi? Oder um Jünger einer heidnischen Persönlichkeit oder Gottheit? Oder um Jünger einer jüdischen Persönlichkeit oder des Gottes Israels? In 14,14-18 sind zwar heidnische Götter in den Blick gekommen, und zwar Zeus und Hermes, jedoch handelte es sich um eine fälschliche Verehrung des Paulus und des Barnabas als Götter. Sofern Jünger des Zeus und des Hermes gemeint wären, würde es sich zugleich um Jünger des Paulus und des Barnabas handeln. Weil andere heidnische Persönlichkeiten oder Götter nicht in den Blick gekommen sind, können auch nicht deren Jünger gemeint sein. Was eine Jüngerschar des Paulus betrifft, so ist fraglich, ob dieser in Lystra überhaupt eine solche um sich geschart hat. Die Wunderheilung hat ja nicht dazu geführt, dass die Einwohner von Lystra Christen wurden und Paulus (und Barnabas) als herausragende christliche Persönlichkeit bewunderten und möglicherweise sogar verehrten. Sofern die Jünger tatsächlich Christen waren, was wahrscheinlich ist, dann werden sie Anhänger Christi gewesen sein, nicht aber Anhänger des Paulus (und des Barnabas). Allerdings können sie Paulus Wertschätzung entgegengebracht haben, was erklären würde, warum sie den aus der Stadt geschleiften Missionar umringten. Andere jüdische Persönlichkeiten kamen in Lystra nicht in den Blick. Auch weist nichts darauf hin, dass Paulus und Barnabas zwischen dem von ihnen verehrten, lebendigen Gott und JHWH, dem Gott Israels, unterschieden haben. Folglich können die Jünger auch keine Jünger einer anderen jüdischen Persönlichkeit oder eines Gottes Israels gewesen sein, der sich von dem von Paulus und Barnabas verehrten, lebendigen Gott unterschied. Die Jünger waren somit keine Juden, die Paulus und Barnabas verfolgten und möglicherweise sogar selbst gesteinigt und aus der Stadt geschleift hatten. Fazit: Die Jünger waren wahrscheinlich Jünger Jesu Christi, also Christen. Dies entspricht dem üblichen Gebrauch des Begriffs "Jünger“ ("mathêtês“) im NT und speziell auch in der Apg.

Woher kamen die Christen? Es kann sich um Reisebegleiter des Paulus und des Barnabas gehandelt haben, die bisher jedoch noch nicht in Erscheinung getreten waren. Möglich ist auch, dass es sich um Einwohner aus Lystra handelte, die zum Christentum bekehrt worden waren. Dann wäre in Lystra auch Jesus Christus verkündigt worden - und dies sogar mit einem Mindestmaß an Erfolg -, was die V. 14-18 nicht erkennen ließen. Allerdings ließen diese Verse erkennen, dass die Zurechtweisung der Einwohner Lystras letztendlich auf die Verkündigung Jesu Christi hinzielte, zu der es in Lystra durchaus gekommen sein könnte. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Christen aus anderen Städten als Lystra zusammengekommen sind. Dies lässt sich jedoch aus V. 20a nicht erschließen und ist auch sehr unwahrscheinlich. Es würden sich nämlich die Fragen stellen, wie sich die Kenntnis des Geschehens so schnell in andere Orte verbreiten konnte und wie die Christen aus diesen Orten so schnell bis vor die Tore der Stadt Lystra gekommen sind.

 

Es wird kein Grund genannt, warum die Jünger Paulus umringten. In V. 19 heißt es zwar, dass die Juden annahmen, dass Paulus zu Tode gesteinigt worden sei, doch bedeutet dies nicht, dass auch die Jünger dies annahmen. Sofern die Jünger annahmen, dass Paulus noch am Leben sei, können sie ihn zum Schutz vor weiterer Misshandlung umringt haben. Sie können auch für ihn gebetet oder eine Wunderheilung unternommen haben. Sie können Paulus auch umringt haben, weil sie angesichts des Geschehens entsetzt waren und sich nach dem Ergehen des Missionars erkundigen wollten. Sofern sie annahmen, dass Paulus gestorben sei, können sie sich dessen vergewissert und um ihn getrauert haben. Angesichts des Toten dürfte dann sicherlich auch der Gedanke an eine angemessene Bestattung aufgekommen sein.

Dass der Verfasser der Apg den Grund für die Versammlung der Jünger um Paulus herum nicht nennt, weist darauf hin, dass er diesem keine Bedeutung beimaß. Angesichts der besonderen Bedeutung der Erzählung von der wundersamen Heilung des Gelähmten (V. 8-10) ist kaum anzunehmen, dass in V. 20a ebenfalls eine Wunderheilung oder gar eine Auferweckung eines Toten berichtet wird; dieser wäre ein anderes Gewicht beigemessen worden. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Verfasser der Apg unterstreichen wollte, dass selbst äußerste Gewalt nicht die Verkündigung des Evangeliums stoppen konnte. Mochten die Menschen auch gedacht haben, dass Paulus gestorben sei, so war dies doch nicht der Fall. Paulus war nicht einmal so stark verwundet, dass er nicht mehr aufstehen und in die Stadt gehen konnte. Diese Unversehrtheit unterstreicht den Sieg des Christentums über seine Verfolger. Und auf die Spitze getrieben wird die Vorstellung vom Sieg des Christentums über seine Verfolger dadurch, dass Paulus anscheinend völlig furchtlos in die Stadt zurückging, wo er eben noch gesteinigt worden war.

 

Fraglich ist, inwieweit das Überleben des Paulus auf Gottes Handeln zurückzuführen ist. Hat sich Paulus einfach tot gestellt, ohne ernsthaft verwundet gewesen zu sein, oder hat ihn Gott vor schweren Verletzungen geschützt oder ihn von den schweren Verletzungen sogleich genesen lassen?

 

Weiterführende Literatur: H.-J. Klauck 1994, 93-108 befasst sich mit zwei Themen, die zwar miteinander verwandt, aber dennoch voneinander verschieden seien: zum einen mit der Auseinandersetzung zwischen christlichen Predigern und Magiern und deren magischen Praktiken (vgl. Apg 13,4-12), zum anderen mit der Konfrontation der christlichen Prediger mit heidnischem Polytheismus (vgl. 14,8-20). H.-J. Klauck merkt an, dass im Heidentum die Grenzen zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen verschwämmen. So träten Götter in menschlicher Gestalt auf und Menschen würden zu Helden und Göttern. Daher betone Lukas die notwendige Unterscheidung zwischen Gott, dem Schöpfer, und all seinen Geschöpfen. Dies rücke die Wundertaten der Missionare in ein rechtes Licht und stelle Jesus' einzigartige Stellung als einziger Sohn Gottes heraus. Heidnische Religion werde als offen für die christliche Botschaft dargestellt und umgekehrt richte Paulus die christliche Botschaft so weit wie nötig an den jeweiligen kulturellen Begebenheiten aus, um die heidnischen Kulturen mittels der Kraft des Evangeliums umzuformen. Dies sei ein dialektischer Prozess, der seit den Tagen des Paulus andauere. Zu Magie und Heidentum in der Apg siehe auch H.-J. Klauck 1996, der sich auf S. 69-76 mit dem Wunder in Lystra und seinen Folgen befasst.

 

 

Literaturübersicht

 

Béchard, Dean P.; Paul Among the Rustics: The Lystran Episode (Acts 14:8-20) and Lucan Apologetic, CBQ 63/1 (2001), 84-101

Dionne, Christian; L’épisode de Lystre (Ac 14,7-20a): une analyse narrative, ScEs 57/1 (2005), 5-33

Haacker, Klaus; Vollmacht und Ohnmacht − Charisma und Kerygma. Bibelarbeit über Apg 14,8-20, TBe 19/6 (1988), 317-324

Klauck, Hans-Josef; With Paul in Paphos and Lystra. Magic and paganism in the Acts of the Apostle, Neotest 28/1 (1994), 93-108

Klauck, Hans-Josef; Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167), Stuttgart 1996

Kraus, Wolfgang; Lukas: Urchristlicher Schriftsteller zwischen Judentum und Hellenismus, in: C. Barnbrock u. a. [Hrsg.], Gottes Wort in der Zeit: verstehen − verkündigen - verbreiten, FS V. Stolle, Münster 2005, 227-244

 

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