Gal 5,7-12
Übersetzung
Gal 5,7-12:7 Ihr liefet gut. Wer hat euch gehindert, der Wahrheit zu gehorchen? 8 Das Überreden [dazu] stammt nicht von dem, der euch beruft. 9 Ein wenig Sauerteig säuert den ganzen Teig. 10 Ich habe im Herrn das Vertrauen zu euch, dass ihr nichts anderes denken werdet. Wer euch jedoch verwirrt, der wird das Urteil zu tragen haben, wer er auch sein mag. 11 Ich aber, Geschwister, wenn ich noch Beschneidung verkündigte, was werde ich dann noch verfolgt? Dann wäre ja das Ärgernis des Kreuzes beseitigt. 12 Sollen sie sich doch kastrieren lassen, die euch aufhetzen!
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Bisher liefen die Adressaten gut. Das Verb „laufen“ meint die rechte Lebensführung. Wer gut läuft, führt sein Leben also nach rechten, christlichen Maßstäben (vgl. 1 Kor 9,24-27; Gal 2,2; Phil 2,16; Hebr 12,1).
Die gute Lebensführung hat eine konkrete Richtlinie, an der sie sich orientiert, nämlich die „Wahrheit“. Doch was ist mit der „Wahrheit“ gemeint? Zunächst einmal kann es sich dabei nur um das Evangelium handeln, das Paulus unverfälscht verkündigt hat. Da es Paulus im Galaterbrief in erster Linie darum geht, den Adressaten einzuschärfen, dass das Heil nicht aus dem genauen Halten der jüdischen Satzungen und Gebote, sondern aus dem sündenvergebenden Tod und der Auferstehung Jesu Christi entspringt, dürfte sich die „Wahrheit“ konkret auf den wesentlichen Inhalt des Evangeliums beziehen, dass alles Heil von Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi zu erwarten ist und die Christen somit von der Verpflichtung, die jüdischen Satzungen und Gebote zu halten, befreit sind (vgl. 2,1-5; 5,1-6). Aus dem Glauben an die Wahrheit resultieren bestimmte Forderungen für das zwischenmenschliche Leben. In 5,6 hat Paulus dargelegt, dass sich der Glaube in der Liebe wirksam erweist. Ausführlich geht der Apostel später in 5,13-6,10 auf die zwischenmenschlichen Aspekte des Lebens im Geist aus Glauben ein.
Von einer Lebensführung, die sich an der „Wahrheit“ orientiert, hat jemand die Adressaten abgebracht. Wenn Paulus die Adressaten fragt, wer dies getan hat, so scheint er dies nicht zu wissen. Da er an verschiedenen Stellen des Briefes jedoch zu erkennen gibt, dass einige mit ihm konkurrierende Prediger die Beschneidung und das Halten der jüdischen Satzungen und Gebote fordern (vgl. 1,7-9; 5,12), ist davon auszugehen, dass die Frage rhetorisch ist. Paulus weiß durchaus, wer die Verführer sind.
Weiterführende Literatur: Der erste Teil der Arbeit S. Schewe 2005 will exemplarisch aufweisen, dass in der Forschung Gal 5,13-6,10 durchgängig als Fremdkörper erscheine. Der zweite Teil der Arbeit führt eine textpragmatische Einzelanalyse der umstrittenen Kapitel 5-6 durch, indem Vers für Vers die pragmatische Gestaltung des Textes 5,1-6,10 erhoben wird (5,7-12: S. 73-82). Der dritte Teil fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen und beantwortet die Frage nach der Funktion von Gal 5-6 im Rahmen des Gesamtbriefes. Laut S. Schewe sei 5,13-6,10 keineswegs ein Fremdkörper innerhalb des Galaterbriefes, sondern stehe ganz im Dienste der Absicht, die Galater von ihrem Verhalten abzubringen, Gesetz und Beschneidung zu akzeptieren.
Erst der chiastische Rahmen 5,1-12; 6,11-17 bringe laut F. J. Matera 1988, 79-91 den Höhepunkt des Briefziels, die direkte Warnung vor der Beschneidung. Auch das dazwischengeschaltete paränetische Material (5,13-6,10) konstituiere nicht einen eigenen, ethischen Briefteil, sondern sei auf das Argumentationsziel hingeordnet.
J. D. M. Derrett 1985, 560-567 vertritt die Meinung, dass sich das Bild vom Laufen von Hab 2,2-4 herleite. Dieser Text könne selbst im Lichte des Bildes vom Läufer gedeutet werden.
W. Harnisch 1996, 64-82 vertritt die Ansicht, dass sich ein moderner Toleranzgedanke kaum in den paulinischen Schriften ausfindig machen lasse. Allerdings könnten sich aus dem Gespräch mit Paulus weiterführende und erhellende Gesichtspunkte auch für die gegenwärtige Toleranz-Debatte gewinnen lassen, wenn man sich an der paulinischen Art des Umgangs mit Konflikten orientiert. Sei der Opposition daran gelegen, die jeweilige Gemeinde dem paulinischen Einfluss zu entwenden, so suche der Apostel nun seinerseits, einen Keil zwischen die Kontrahenten und seine Briefadressaten zu treiben, um letztere für das eigene Anliegen zu öffnen und zurückzugewinnen. Dabei erscheine die Liebe als die gesteigerte Toleranz des Glaubens. Zwar werde die Unwahrheit kompromisslos bekämpft, doch hüte sich Paulus vor jedem Verdacht, er könne sich selbst rühmen. Zu dieser selbstkritischen Haltung komme hinzu, dass Paulus Lüge und Lügner unterscheidet. Genau genommen sei diese Unterscheidung selbst schon ein Vollzug der Liebe, weil der Lügner nicht auf seine Lüge festgelegt werde. Eine derartige Unterscheidung sei eine tragfähige Grundlage für eine Toleranz, die nun nicht mehr darauf angewiesen ist, sich selbst Grenzen zu setzen.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Der griechische Begriff „peismonê“ ist gewöhnlich mit „Gehorsam“ zu übersetzen. In V. 8 passt eine solche Übersetzung jedoch nicht, sodass „Überredung“ („peithô“ = „überreden/überzeugen“) der Vorzug zu geben ist. Die Adressaten sind also dazu überredet worden, der „Wahrheit“ nicht mehr zu gehorchen.
Eine solche Überredung wäre nur dann akzeptabel, wenn sie von demjenigen stammen würde, der die Adressaten (zum christlichen Glauben?) beruft, was nicht der Fall ist. Wer beruft die Adressaten? Zu denken ist an Gott, Jesus Christus und Paulus. Alle drei Möglichkeiten kommen auch in 1,6 in Frage, wo sich Paulus wundert, dass die Adressaten so schnell von dem abfallen, der sie durch Christi Gnade berufen hat, zu einem anderen Evangelium. In 1,6 findet sich allerdings ein Partizip Aorist, nicht ein Partizip Präsens, es ist also dort von einem, der berufen hat, und nicht von einem, der beruft, die Rede. Als dauerhaft Berufender ist am ehesten an Gott zu denken, der auch in Gal 1,15; 1 Thess 2,12; 5,24; Röm 9,12 als Berufender erscheint. Auch von Jesu Christi Berufen spricht Paulus (vgl. Röm 1,6), meist jedoch im Hinblick auf seine eigene Bekehrung (vgl. Gal 1,16; Apg 9,1-9), ein auf seine eigene Person bezogenes punktuelles Geschehen in der Vergangenheit. Von daher ist eher unwahrscheinlich, dass Paulus in V. 8 Jesus Christus als Berufenden im Blick hat. Auch Paulus’ berufendes Wirken lag eher in der Vergangenheit, als er bei den Galatern persönlich missionierte. Allerdings kann man auch den Briefverkehr im Sinne eines dauerhaften Berufens verstehen.
Weiterführende Literatur:
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Sind erstmal einige Gemeindeglieder zur Gesetzlichkeit überredet worden, so folgen immer weitere nach. Diesen Sachverhalt macht Paulus mittels des Bildes vom Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuert, deutlich. Soll der Teig locker und schmackhaft werden, so muss er in leichte Gärung geraten. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, mengt die die Frau ein Klümpchen bereits vergorenen Teiges unter, der die ganze Masse ansteckt und durchsäuert. Die galatischen Christen scheinen das Bild ohne weitere Erklärung zu verstehen, denn der Apostel verzichtet auf jegliche Erklärung.
Die Durchsetzung der galatischen Gemeinden mit Gesetzlichkeit lässt sich nur vermeiden, wenn diejenigen, die sich von den judaistischen Predigern haben überreden lassen, wieder umgestimmt werden oder wenn sie aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. Ein Rauswurf wird indirekt in 4,30 gefordert. Allerdings ist nicht klar, ob der Rauswurf den Juden, den judaistischen Predigern oder den verwirrten Gemeindegliedern gelten soll.
Weiterführende Literatur:
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Paulus hat die Adressaten noch nicht aufgegeben, sondern er hat noch Vertrauen in sie. Selbst wenn der Apostel mittels dieser Aussage die Adressaten für sich zu gewinnen sucht, dürfte doch von einem Mindestmaß des Vertrauens auszugehen sein. Das Vertrauen basiert jedoch letztendlich nicht auf den Adressaten, sondern auf dem „Herrn“, also Gott oder Jesus Christus. Die galatischen Gemeindeglieder scheinen Paulus für uneingeschränktes Vertrauen zu wankelmütig zu sein.
Dass die Adressaten noch nicht wieder der „Wahrheit“ gehorchen, geht aus der futurischen Verbform „phronêsete“ („ihr werdet denken“). Paulus setzt seine Hoffnung auf das zukünftige, nicht auf das gegenwärtige Verhalten der galatischen Gemeindeglieder. Er hat Vertrauen, dass sie in Zukunft nichts anderes denken werden als er.
Diejenigen, die die galatischen Gemeindeglieder verwirren, werden schließlich gerichtet werden. Es wird zu einem Urteil kommen, wobei Paulus nicht sagt, wer es fällen wird. An anderer Stelle (vgl. 2 Kor 5,10; Röm 2,16; 14,10) sagt Paulus jedoch ausdrücklich, dass alle - also auch er selbst! - vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen. Nicht der Apostel richtet also schließlich, sondern Jesus Christus persönlich.
Wie das Urteil über die Verführer ausfallen wird, konkretisiert Paulus nicht. Er sagt nur, dass sie es zu tragen haben werden, was ein Strafurteil nahe legt. Dieses Strafurteil wird ohne Ansehen der Person gefällt. Es kann also niemand darauf hoffen, dass seine Strafe aufgrund seines Ansehens bei den Menschen abgemildert wird.
Weiterführende Literatur:
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: In V. 11 schreibt Paulus „wenn ich jetzt noch Beschneidung verkündige...“, was annehmen lässt, dass er noch die Beschneidung verkündigt. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, geht allerdings eindeutig aus dem Galaterbrief hervor. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass Paulus eine Behauptung aufzugreift, die in den galatischen Gemeinden kursiert: Paulus verkündige noch Beschneidung. Wie mag es zu dem Missverständnis oder auch zur absichtlichen Falschaussage gekommen sein? In keiner Passage der uns heute bekannten Paulusbriefe die Beschneidung. Allerdings lehnt er auch nicht die Beschneidung an sich ab, sondern nur den Versuch, mittels des Haltens sämtlicher jüdischer Satzungen und Gebote vor Gott schließlich als gerecht gelten zu wollen. Folglich dürfte er nicht versucht haben, Juden von ihrem Judentum und dem Ritual der Beschneidung abbringen zu wollen (vgl. 1 Kor 7,17-20). Vielmehr hat er immer versucht, möglichst viele Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu bewegen und hat sich entsprechend an seine Gesprächspartner angepasst. So schreibt er in 1 Kor 9,20, dass er den Juden wie ein Jude geworden sei, um auch sie zu gewinnen. Dieser Sachverhalt wurde in Galatien vielleicht verschiedentlich so gedeutet, dass der Apostel die Beschneidung verkündige. Möglich ist auch, dass man nicht wahrgenommen hat, dass sich mit der Bekehrung auch Paulus’ Einstellung zur Beschneidung gewandelt hat. Als er gesetzestreuer Jude war, war ihm sicherlich die Beschneidung wichtig, nach seiner Bekehrung ist er jedoch gegenüber der Beschneidung gleichgültig geworden. Eine solche Begründung für ein Missverständnis oder eine absichtliche Falschaussage setzt allerdings voraus, dass die erhebliche Wendung im Leben des Apostels völlig verkannt wird.
Paulus wird - zumindest ist dies sein Eindruck - aufgrund seiner fehlenden Forderung der Beschneidung verfolgt. Wer die Verfolger sind, schreibt er nicht. Am ehesten ist an die Juden zu denken, unter denen er laut 2 Kor 11,26 in Gefahr war. Konkret äußert er sich zu Verfolgungen durch Juden in 2 Kor 11,24, wonach er von den Juden fünfmal vierzig Geißelhiebe weniger einen erhalten hat. Allerdings bleibt der Grund für diese Bestrafungen unklar. Möglich ist aber auch, dass nicht, oder zumindest nicht nur die Juden die Verfolger sind, sondern (auch) „falsche Geschwister“. Gemäß 2 Kor 11,26 war Paulus auch unter „falschen Geschwistern“ in Gefahr, wobei nicht deutlich wird, wer genau damit gemeint ist. Es lässt sich nur sagen, dass es sich um Personen handelt, die vorgeben Christen zu sein, ohne dass sie es aus Sicht des Paulus wirklich sind.
Fraglich ist, warum Paulus so plötzlich auf sich selbst zu sprechen kommt und ebenso plötzlich wieder von seiner Person abkommt. Fraglich ist auch, was ihn zu der Frage veranlasst. Es ist anzunehmen, dass die Adressaten über die Hintergründe aufgeklärt sind, denn Paulus sieht sich nicht genötigt, weitere Informationen zu geben. Die Annahme, dass der Apostel ein Gerücht aufgreift, erklärt noch nicht, warum er dies tut. Zudem ist nicht gesagt, ob das Gerücht tatsächlich im Umlauf ist oder ob es fiktiver Art ist. Wenn es tatsächlich im Umlauf ist, so ist zu fragen, ob es sich um ein Missverständnis oder eine absichtliche Falschaussage handelt. In letzterem Fall könnte die Absicht verschiedener Art sein: Es könnte bezweckt werden, Paulus zu schaden, aber sich auch eine Art Berufung auf die Verkündigung des Apostels handeln, mittels derer man die Forderung der Beschneidung zu legitimieren sucht. Letztere Annahme würde voraussetzen, dass Paulus in den galatischen Gemeinden noch über eine gewisse Autorität verfügt, die in seiner Abwesenheit jedoch missbraucht wird.
Würde Paulus noch die Beschneidung predigen, dann gäbe es kein Ärgernis. Die Formulierung „Ärgernis des Kreuzes“ macht deutlich, dass das Ärgernis im sühnenden Kreuzestod Christi liegt, der ja das Halten sämtlicher Satzungen und Gebote, das mit der Beschneidung gefordert ist, überflüssig macht. Bei dem Ärgernis handelt es sich um eines aus Sicht der Beschnittenen.
„Geschwister“ meint hier nicht „leibliche Geschwister“, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.
Weiterführende Literatur: T. Baarda 1992, 250-256 legt zunächst die gängige Interpretation von V. 11 dar: Paulus wolle sagen, dass er nicht oder nicht länger die Beschneidung als Voraussetzung für das Heil predige. Die Adressaten könnten das wissen, weil Paulus noch verfolgt werde. Die Partikel „ara“ („dann“) leite die erläuternde Fortsetzung (Apodosis; V. 11c) ein, wobei sich die Frage stelle, ob nur V. 11a („Ich aber, Brüder, wenn ich noch Beschneidung verkündigte…, dann“) fortgesetzt wird oder V. 11ab („Ich aber, Brüder, wenn ich noch Beschneidung verkündigte, was werde ich dann noch verfolgt? Dann…“). T. Baarda vertritt die Ansicht, dass nur V. 11a fortgesetzt werde und dass es sich bei V. 11b um einen Einschub (Parenthesis) handele. Er paraphrasiert V. 11b wie folgt: „…- and you know that I do not preach circumcision, why else would I still be persecuted? – then…”). J. Lambrecht 1996, 237-241 setzt sich mit der Argumentation von T. Baarda auseinander und kommt zu dem abweichenden Ergebnis, dass es sich bei V. 11b nicht um einen Einschub, sondern wie bei V. 11c um eine Schlussfolgerung (Apodosis) des Konditionalsatzes (Protasis) V. 11a handele.
Laut P. Borgen 1980, 85-102 könne eine Beschäftigung mit den Schriften Philos von Alexandrien zu einem bessere Verständnis der paulinischen Theologie beitragen. Philos Schriften spiegelten eine große Bandbreite von Bewegungen innerhalb des Judentums wieder. Diese Verschiedenheit zeige sich nicht nur in der Reichhaltigkeit der verwendeten Gedanken, sondern auch in den direkten Debatten und Auseinandersetzungen. Daher könne sich ein Vergleich der Debatten und Konflikte, wie sie in den Paulusbriefen zum Ausdruck kommen, mit Auseinandersetzungen, wie sie Philos Werke wiedergeben, als fruchtbar erweisen. Ein Bereich, der relevant zu sein scheine, seien die Fragen, die im Zusammenhang mit der Befolgung der Feste und Beschneidung aufgeworfen werden. P. Borgen geht insbesondere auf Bedeutung und Befolgung der Beschneidung ein und zieht als Textgrundlage Gal 5,11-6,10 und unter den philonischen Schriften insbesondere De Migratione Abrahami 86-93 und Quaestiones in Exodum II,2 heran.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: V. 12 setzt den polemischen Schlusspunkt. Die Forderung, dass sich die Verführer entmannen lassen sollen, ist nicht ernst gemeint, sondern führt spöttisch die Forderung nach Beschneidung bis ins Absurde fort. Wenn die judaistischen Prediger das Heil am Abschneiden eines Stückes Fleisch vom Glied festmachen, dann müsste sich durch das Abschneiden eines noch größeren und bedeutenderen Stückes Fleisch, nämlich des Hodens, noch größeres Heil erlangen lassen. Folglich müsste es - so Paulus - aus Sicht der judaistischen Prediger erstrebenswert sein, sich kastrieren zu lassen.
Aus jüdischer Sicht hätte die Kastration verheerende Folgen, denn gemäß Dtn 23,2 darf ein Mann, der kastriert ist, nicht an der Gemeindeversammlung JHWHs teilnehmen. Aus Sicht des Paulus führt also übertriebene Gesetzlichkeit zum Ausschluss aus dem Gottesvolk.
Im Gegensatz zum Judentum hat die sakrale Kastration in heidnischen Kybele-Kult durchaus positive Bedeutung. So entmannten sich die Priester dieses Mysterienkultes in einem jährlichen Ritual, um das Sterben und Auferstehen des Gottes Attis, Gemahl der Kybele, nachzuvollziehen.
Weiterführende Literatur: K. Nikalopoulos 2001, 204-206 versteht V. 12 als höhnisch gereizten Wunsch. Mit dem Zorn sei hier der Scherz verbunden. Die Anwendung des Scherzhaften bei einem polemischen Vorgehen stelle ein wichtiges Element der Diatribe dar, in deren Tradition Paulus zweifellos stehe.
D. F. Tolmie 2009, 86-102 gibt zunächst einen Überblick über die verschiedenen Auslegungen von Gal 5,12 und befasst sich dann mit der rhetorischen Technik bezüglich dieses Verses. Die größte Wahrscheinlichkeit komme der Deutung zu, wonach von der Entfernung der Genitalien die Rede sei. Das vorrangige Ziel der Äußerung sei die sarkastische Zurückweisung des Bestehens auf der Beschneidung.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Baarda, Tjitze; ti eti diôkomai in Gal 5:11. Apodosis or Parenthesis?, NT 34/3 (1992), 250- 256
Borgen, Peder; Observations on the Theme “Paul and Philo”. Paul’s Preaching of circumcision in Galatia (Gal 5:11) and debates in circumcision in Philo (TeolSt 7) (1980), 85-102
Derrett, J. Duncan M.; „Running“ in Paul: The Midrashic Potential of Hab 2,2, Bib. 66/4 (1985), 560-567
Harnisch, Wolfgang; “Toleranz” im Denken des Paulus? Eine exegetisch-hermeneutische Vergewisserung, EvTh 56/1 (1996), 64-82
Lambrecht, Jan; Is Gal 5:11b a Parenthesis? A Reponse to T. Baarda, NT 38/3 (1996), 237- 241
Matera, Frank J.; The Culmination of Paul’s Argument to the Galatians: Gal 5.1-6.17, JSNT 32 (1988), 79-91
Nikalopoulos, Konstantin; Aspekte der „paulinischen Ironie“ am Beispiel des Galaterbriefes, BZ 45/2 (2001), 193-208
Schewe, Susanne; Die Galater zurückgewinnen. Paulinische Strategien in Galater 5 und 6 (FRLANT 208), Göttingen 2005
Tolmie, D. F.; The interpretation and translation of Galatians 5:12, ATh 29/2 (2009), 86-102