1 Thess 2,1-12
Übersetzung
1 Thess 2,1-12:1 Denn ihr wisst selbst, Geschwister, um unseren Eingang bei euch, dass er nicht vergeblich war, 2 sondern dass wir, obwohl wir zuvor - wie ihr wisst - in Philippi gelitten hatten und misshandelt worden waren, in unserm Gott den Mut fanden, euch das Evangelium (des) Gottes zu sagen, unter großem Kampf. 3 Denn unsere Ermahnung [kam] nicht aus Irrtum, Unlauterkeit oder Arglist, 4 sondern so, wie wir von (dem) Gott als würdig erachtet worden sind, mit dem Evangelium betraut zu werden, so reden wir: nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft. 5 Denn weder traten wir damals mit Schmeichelrede auf, wie ihr wisst, noch mit dem Hintergedanken der Habgier - Gott ist Zeuge! -, 6 noch um Ruhm bei den Menschen zu suchen, weder bei euch noch bei anderen, 7 obwohl wir in der Lage gewesen wären, mit Nachdruck als Apostel Christi aufzutreten. Vielmehr sind wir unter euch gütig gewesen. Wie eine Stillende ihre eigenen Kinder versorgt, 8 so sind wir in liebevoller Zuneigung für euch entschlossen, euch nicht allein das Evangelium (des) Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen, denn wir haben euch lieb gewonnen. 9 Ihr erinnert euch doch, Geschwister, an unsere Mühe und Anstrengung: Tag und Nacht arbeiteten wir, um niemandem von euch zur Last zu fallen, und predigten unter euch das Evangelium (des) Gottes. 10 Ihr und (der) Gott seid Zeugen, wie heilig und gerecht und untadelig wir euch, den Glaubenden, gegenüber waren. 11 Denn ihr wisst, dass wir einen jeden von euch wie ein Vater seine eigenen Kinder 12 ermahnt und ermutigt und beschworen haben, euer Leben würdig des Gottes zu führen, der euch zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit berufen hat.
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Beobachtungen: Der ganze Abschnitt 1 Thess 2,1-12 hat den Charakter einer Verteidigung gegenüber Angriffen, die implizit mitschwingen, jedoch nicht explizit genannt werden. Wie auch in 1,5 werden die Thessalonicher als "Zeugen“ herangezogen. Der "Eingang“ bei den Thessalonichern war nicht vergeblich, wie schon der Hinweis auf die Bekehrung von den Götzen hin zum lebendigen Gott in 1,9 zeigte, auf die der vorbildliche Lebenswandel der Thessalonicher folgte. Der Begriff "Eingang“ zeigt, dass Paulus und seine Begleiter von außen nach Thessalonich kamen und somit zunächst dort fremd waren. Der "Eingang“ kann sich sowohl auf das Stadtterritorium als auch auf die Häuser beziehen, in denen sich die Missionare aufhielten und predigten.
"Geschwister“ meint hier nicht "leibliche Geschwister“, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv "adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit "Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die "Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.
Weiterführende Literatur: R. Trevijano Etcheverría 1985, 263-291 legt anhand von 1 Thess 1,1-2,16 dar, wie Paulus mittels seiner Briefe in Zeit und Raum seine Lehre bei den christlichen Konvertiten verbreitet.
Ein Überblick über die verschiedenen in der älteren und neueren Diskussion genannten Positionen zur Gattung des Textes findet sich in J. A. D. Weima 1997, 73-80, der im Folgenden die herkömmliche These, dass es sich bei 2,1-12 um eine Apologie des Paulus handele, verteidigt. Den apologetischen Charakter betont auch Z. A. Crook 1997, 153-163, der den Text unter dem Gesichtspunkt von "Ehre“ und "Schande“ interpretiert. Paulus verteidige seine Ehre gegenüber Vorwürfen, die in der Gemeinde angesichts der Bedrohung aufgekommen seien. Ehre, die nicht verteidigt wird, sei verloren.
W. Stegemann 1985, 397-416 dagegen meint, dass es sich bei 1 Thess 2,1-12 nicht um eine aktuelle oder rhetorische Apologie handele, sondern dass der Abschnitt durch die besondere Erfahrung der Gemeinde in Thessalonich veranlasst sei, die als erste heidenchristliche Gemeinschaft Verfolgung zu erdulden hatte. Die Tatsache, dass Paulus wie die Thessalonicher Christen von den Heiden verfolgt worden war, ist Ausgangspunkt dafür, dass K. P. Donfried 1989, 243-260 annimmt, dass es sich bei dem Ersten Thessalonicherbrief um einen Trostbrief handele, der zwar Ermahnung beinhalte, diese jedoch nicht im Vordergrund stehe. J. Chapa 1994, 150-160 geht ausführlich der Frage nach, welche Charakteristika für den antiken Trostbrief typisch sind und ob sie sich auch im Ersten Thessalonicherbrief finden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es zwar Ähnlichkeiten gebe, aufgrund der teils gravierenden Unterschiede der Erste Thessalonicherbrief jedoch nicht als Trostbrief bezeichnet werden könne. Beispielsweise fehle am Anfang des Briefes ein Hinweis auf ein trauriges Ereignis. Angemessener sei es, von einem tröstenden Brief zu sprechen. Auch J. Schoon-Janßen 1991, 39-65 betont den stärkenden Charakter: 1 Thess 2,1-12 zeige Paulus nicht als jemanden, der sich gegen Vorwürfe verteidigt, sondern als einen Christen, der sich der sowieso schon intakten Gemeinde als ein Mut machendes Vorbild in einer Zeit von Bedrückungen und Bedrängnissen anbietet. Ähnlich O. Merk 1998, 383-403 in seiner knappen versweisen Auslegung des Textes.
Auch H.-H. Schade 1984, 120-122 sieht keine Verteidigungssituation gegeben. Vielmehr stelle Paulus in 1 Thess 2,1-12 die vorbildliche Nachahmung Christi durch die Missionare in ihrer Bedeutung für die Realisierung der Erwählung der Heiden dar.
R. Hoppe 2002, 325-341 geht auf die Frage nach dem historischen Hintergrund und der Form des Textes unter Berücksichtigung der Frage ein, inwiefern 1 Thess 2,1-12 und 2,13-16 aufeinander bezogen sind. R. Hoppe sieht beide Texte als Sinneinheit, auch wenn Paulus in 2,13 neu einsetze. Es seien zwei Auslegungsrichtungen gegeben (s. o.), die beide ihre je eigene Plausibilität für sich beanspruchen könnten: Der denunzierte Paulus, der sich gegen Anwürfe Dritter durch den Aufweis seines Verhaltens zur Wehr setzt, und der in seinem Selbstverständnis von Gott legitimierte Verkünder, der sich in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Gemeinde befindet und diese in ihrer bedrängten Situation bestärken will. Diese beiden Auslegungsrichtungen seien jedoch weiterzuführen: Paulus sehe sich als prophetischer Träger der Evangeliums in alttestamentlich-prophetischer Tradition. Auch D. W. Palmer 1981, 23-31 geht über die Annahme von Selbstverteidigung oder Bestärkung der Gemeinde als Absicht des Paulus hinaus. So basiere die Selbstverteidigung weitgehend auf der für Kyniker üblichen Rhetorik, die Paulus jedoch nicht lückenlos übernehme. Nicht Selbstverteidigung sei die eigentliche Absicht des Paulus, sondern die Selbstverteidigung diene wie auch die Danksagungen, das Rühmen, der Ermahnung. A. J. Malherbe 1983, 238-256 vertritt die Meinung, dass der ganze Erste Thessalonicherbrief eine paränetische Funktion habe. Dabei geht er detailliert auf die hellenistisch-römische Tradition ein.
In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Berichte der Apostelgeschichte (17,1-9) und des Ersten Thessalonicherbriefes (1,6-2,12) über die Ankunft, den Aufenthalt und das Wirken des Paulus in Thessalonich unterscheiden, regt C. Coulot 2006, 377-393 an, den Aussagen aus der Feder des Paulus mehr Gewicht beizumessen. Dem soll die vorgelegte Auslegung von 1 Thess 2,1-12 dienen.
S. Kim 2005, 519-542 stellt heraus, dass Paulus in 1 Thess 1-3 an fünf Stellen (1,5; 1,9-10; 2,1.13; 3,6) den Erfolg des Evangeliums und den Glauben der Thessalonicher mit seinem "Eingang“ ("eisodos“) verbinde. Diese Beobachtung stelle den Schlüssel zur Deutung von 1 Thess 1-3 und insbesondere 2,1-12 dar. 2,1-12 sei nicht in erster Linie paränetisch, sondern apologetisch zu verstehen. S. Kim sieht in 1 Thess 2,1-12 und 2 Kor 1-7 eine enge Parallele, insbesondere hinsichtlich des Nachweises der Integrität des apostolischen Dienstes des Paulus auf dem Hintergrund des Wirkens verschiedenster Wanderprediger, denen zum Teil Geldgier, Ruhmsucht und rhetorische Kniffs wie Schmeichelei vorgeworfen worden seien. Der Nachweis seiner apostolischen Integrität diene Paulus zur Stärkung der Thessalonicher Christen gegenüber nichtchristlichen Gegnern, die seine Integrität infrage gestellt hätten. Außerdem solle die Verkündigung des Evangeliums seitens der Adressaten angeregt werden. Dem Gedanken der Vorbildfunktion des Paulus komme dagegen − anders als verschiedentlich angenommen − in 1 Thess 2,1-12 keine besondere Bedeutung zu.
K. P. Donfried 2000, 31-60 gibt zunächst einen Überblick über die wichtigsten Varianten der These, dass es sich bei 1 Thess 2,1-12 um eine Apologie handele. Dann untersucht er den Text im Hinblick auf die antike Rhetorik und kommt zu dem Schluss, dass es sich nicht um eine Apologie, sondern um eine "narratio“ handele. Diese habe das Ziel, die Freundschaft zu betonen, das Evangelium des Paulus von der Irrlehre der Heiden zu unterscheiden und Paulus als Vorbild hinzustellen. Weiterführend äußert sich R. Hoppe 2000, 61-68 zu diesem Aufsatz.
Zur Diskussion um die Frage nach der Form von 1 Thess 2,1-12 siehe auch die weiterführende Literatur zu V. 11/12.
Das Verhältnis von Paulus zu dem "Eingang“ professioneller Redner in den antiken Städten thematisiert B. W. Winter 1994, 28-38. Paulus sei zwar rhetorisch ausgebildet gewesen, habe jedoch den ruhmvollen "Eingang“ in den Städten und das stark ausgeprägte Schüler-Lehrer-Verhältnis abgelehnt.
J. Porter 1999, 33-39 untersucht 1 Thess 2,1-12 unter der Fragestellung, welche Einsichten sich aus dem Text für den kirchlichen Dienst und die Professionalität ziehen lassen.
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Beobachtungen: Nun folgt die Voraussetzung dafür, dass der "Eingang“ bei den Thessalonichern nicht vergeblich war: Obwohl Paulus, Silvanus und Timotheus in Philippi, wo sie vorher gepredigt hatten, gelitten hatten und misshandelt worden waren, fanden sie erneut den Mut zur Predigt des Evangeliums. Diese geschah unter Kampf, wobei die Formulierung zweierlei Kämpfe beinhaltet, und zwar die äußeren und die inneren. Die äußeren waren ein Resultat des Verhaltens der feindlichen Andersgläubigen, die christliche Mission ablehnten; die inneren resultierten aus der Furcht, wie in Philippi von den Gegnern misshandelt zu werden.
Die Formulierung "Evangelium Gottes“ zeigt, dass Paulus und seine Begleiter Wert darauf legten, dass das Evangelium von Gott stammt (vgl. V. 4; genitivus subiecivus). Der Genitiv kann allerdings auch so gedeutet werden, dass Gott der Inhalt des Evangeliums ist (genitivus obiectivus).
Weiterführende Literatur: H. von Lips 2001, 117-128 befasst sich mit den "Leiden des Apostels“ als spezifisch paulinisches Thema. Zwar kenne das ganze NT das Leiden in der Nachfolge Jesu, doch betreffe dies nicht nur die Apostel, sondern die Jünger bzw. die Gemeinde insgesamt. Demgegenüber rede Paulus ausdrücklich von den Leiden, die ihm, dem Apostel widerfahren. Welches Verständnis seiner Leiden Paulus hat, wie er sie deutet, sei in der Forschung jedoch strittig. H. von Lips vertritt die Ansicht, dass die Leiden des Paulus untrennbar im Zusammenhang mit seinem Auftrag als Apostel und dem daraus resultierenden Einsatz mit seiner ganzen Existenz stünden. Ebenso wenig könnten die Leiden des Apostels gegenüber den Leiden der Gemeinde isoliert werden; vielmehr seien die Leiden das gemeinsame Zeichen der Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus und seien Ausdruck der eschatologischen Situation des Anbruchs des neuen Lebens unter den Bedingungen der irdischen Welt. Einen knappen Überblick über das Verhältnis zwischen dem apostolischen Dienst und dem Leiden gibt M. V. Abraham 1983, 62-63.
Vom traditionsgeschichtlichen Blickwinkel aus gesehen befasst sich T. Holtz 1983, 57-59 mit 1 Thess 2,1-7, der die Sprache des Paulus im Bereich der Popularphilosophie und ihrer Rhetorik ansiedelt: Die freimütige Offenheit der Rede sei ein Signum der Wahrheit der Botschaft, deren Gegenbild die Schmeichelrede und der Betrug seien.
Mit dem "Evangelium Gottes“ befasst sich T. Söding 1997, 40-41. Die Verkündigung Gottes gehe der Verkündigung Jesu Christi nicht nur zeitlich voraus, sondern bilde deren bleibenden Bezugsrahmen. Gott sei Ursprung und Subjekt des Heilsgeschehens.
Knapp zum Bezug zwischen dem sportlichen Wettkampf und dem Kampf für die Verkündigung des Evangeliums äußert sich P. Iovino 1985, 26-27.
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Beobachtungen: Bei der Predigt der Missionare handelte es sich um eine Paraklese (paraklêsis), wobei der Begriff die Ermahnung oder den Trost meinen kann. Die Forderung der Abkehr von den Götzen ist sicherlich als Ermahnung zu bezeichnen, mit der Sündenvergebung und der Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu Christi und die Auferstehung der Toten ist aber auch der Trost verbunden. Die Verse 3 und 4 legen dar, wie die Ermahnung beschaffen war, indem zunächst gesagt wird, wie sie nicht beschaffen war: Sie kam nicht aus Irrtum, Unlauterkeit oder Arglist und geschah nicht, um den Menschen zu gefallen. Dies ist wohl als Abgrenzung gegenüber heidnischen Rednern zu verstehen. Die Missionare haben das Ziel, Gott zu gefallen, denn er ist ihr Auftraggeber, der sie mit dem Evangelium betraut hat. Dieses Betrautwerden betrachten Paulus, Silvanus und Timotheus als Würde, die nicht jedem Menschen zukommt. Wie die drei mit dem Evangelium betraut wurden, wird nicht gesagt. Dass Silvanus und Timotheus wie Paulus eine Vision oder Audition Jesu Christi gehabt haben, davon ist in der Bibel nirgendwo die Rede. Auch stellt sich die Frage, warum gerade Paulus, Silvanus und Timotheus mit dem Evangelium betraut wurden.
In V. 3 fehlt das Verb, das somit einzufügen ist. Es muss sich auf "Ermahnung“ beziehen, wobei sich die Einfügung des Verbs "kam“ nahelegt. Die Ermahnung des Paulus kam also nicht aus Irrtum, Unlauterkeit oder Arglist. Die Ermahnung beim Eingang bei den Thessalonichern ist in der Vergangenheit erfolgt. Weil die Aussage des Paulus sich aber nicht nur auf vergangenes Geschehen bezieht, sondern auch grundsätzlicher Art ist, wie auch die folgende grundsätzliche Aussage zum Reden zeigt, ist ebenfalls die Einfügung einer präsentischen Verbform, nämlich "kommt“, möglich (vgl. die folgende präsentische Verbform "laloumen“ = "reden“).
Weiterführende Literatur: Ein leicht verständlicher Überblick über das Wirken von Philosophen, Rhetoren, Epigrammatikern, Goeten (Magiern) und Scharlatanen im antiken Thessalonich findet sich bei C. vom Brocke 2001, 143-151. Eine gute Einführung im Hinblick auf die Arbeitsweise der antik-griechischen professionellen Redner, der Sophisten, gibt B. W. Winter 1994, 28-38, der der Frage nachgeht, inwiefern auch Paulus zu den Sophisten gehörte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Paulus wohl eine rhetorische Ausbildung genossen habe, denn seine Briefe entsprechen dem antiken rhetorischen Standard und werden als gewichtig und stark beurteilt. Von den Sophisten unterschieden sei jedoch der mündliche Auftritt des Paulus, der als eher schwach beurteilt wird. Paulus wolle nicht sein eigenes Können als Rhetor unter Beweis stellen, sondern lenke die Aufmerksamkeit auf das Evangelium Gottes.
Zum Wesen der antiken Philosophen siehe R. F. Collins 1984, 185-187.
Einen Überblick über die Diskussion, ob sich Paulus gegen wandernde heidnische Philosophen wandte oder ob er in prophetischer Tradition stand und falsche Propheten oder sonstige religiöse Verführer im Blick hatte, gibt W. Horbury 1982, 492-508, der auch auf Meinungen frühchristlicher Autoren eingeht. Zur juristischen Bedeutung der Prüfung zur Zeit des Paulus siehe R. F. Collins 1984, 187-189. Der Einstellung in ein politisches Amt sei eine Prüfung vorausgegangen. Im Folgenden geht er auf die Ähnlichkeit der paulinischen Spache mit der prophetischen, wie sie sich in Jer 11,20; 12,3 (vgl. Ps 16,3) findet, ein und fragt, inwieweit das Selbstverständnis des "Gottesknechtes“ in Deutero-Jesaja Ausgangspunkt für das Selbstbild des Paulus gewesen sein könnte.
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Beobachtungen: Die Verse 5-8 knüpfen an das Wesen der Ermahnung bzw. des Trostes an, nun kommt aber das konkrete Wirken in Thessalonich in den Blick. Erneut erfolgt zunächst eine Abgrenzung, wobei der Begriff "Schmeichelrede“ wiederum deutlich macht, wem die drei Missionare gefallen wollen: Gott, nicht den Menschen. Die Erwähnung der Habgier lässt annehmen, dass auf heidnische Redner angespielt wird, die für ihre den Menschen gefallenden Reden Geld nahmen. Die Ablehnung von Habgier scheint Paulus, Silvanus und Timotheus besonders wichtig zu sein, denn sie werfen sogleich ein, dass Gott Zeuge ist. Wer Reden so hält, dass sie Menschen gefallen, erntet Ruhm. Gerade der Ruhm - sei es bei den Thessalonichern, sei es bei anderen Menschen - ist aber gerade nicht das erklärte Ziel der drei Missionare.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die Formulierung "Apostel Christi“ kann nur allgemein als "Gesandte Christi“ gedeutet werden, denn von Silvanus und Timotheus heißt es nirgendwo in der Bibel, dass sie eine Vision oder Audition Jesu Christi hatten. Apostel im engeren Sinne sind sie im Gegensatz zu Paulus nicht und sie gehören auch nicht zum engeren Kreis der zwölf Apostel.
Die Formulierung "Apostel Christi“ steht in engem Bezug zum Ruhm: Paulus, Silvanus und Timotheus hätten sich damit brüsten können, Apostel Christi zu sein, doch sind sie "êpios“ ("gütig/freundlich“) oder "nêpios“ ("unwissend/kindisch“; Subst.: "Kind“) gewesen. Fraglich ist, welche Lesart die ursprüngliche ist. Waren die Apostel "Kinder im Glauben“ im Sinne von kürzlich zum Glauben Gekommenen oder unschuldig wie Kinder? Oder waren sie zu den Thessalonichern gütig/freundlich? Sofern ein Schreibfehler vorliegt, kann dieser für beide Lesarten geltend gemacht werden: Die Lesart "nêpios“ kann damit erklärt werden, dass der Schreiber versehentlich das letzte "n“ des unmittelbar vorhergehenden Verbs "egenêthêmen“ ("wir sind gewesen/geworden“) doppelt geschrieben hat (= Dittographie). Ebenso kann aber auch das direkt aufeinanderfolgende "n“ den Schreiber dazu verleitet haben, das "n“ von "nêpios“ zu übersehen und auszulassen (= Haplographie). Schwieriger verständlich ist die "nêpios“ bietende Lesart, was für deren Ursprünglichkeit spricht. Allerdings fügt sich "êpios“ besser in den Zusammenhang ein, denn es ist durchaus sinnvoll, die Güte als Gegensatz zum Imponiergehabe zu nennen. Außerdem entsteht kein Widerspruch zur folgenden Aussage, der gemäß Paulus eine "Stillende“ sei. Kann Paulus zugleich "Kind“ als auch "Stillende“ sein? Falls nicht, dürfte wohl die Lesart "êpios“ ursprünglich sein. Ansonsten wäre die Lesart "êpios“ leicht als Korrektur zu deuten, die den Widerspruch zweier sich scheinbar widersprechender Metaphern beseitigen sollte.
Mit der Güte wird − gemäß der "êpios“ bietenden Lesart - die Stillende in Verbindung gebracht. Offen bleibt, ob es sich um die Mutter oder um die Amme handelt, denn dies scheint keine Rolle zu spielen. Vielmehr kommt es auf die liebevolle Zuneigung an, die das Stillen ausmacht.
Weiterführende Literatur: Zum Apostelbegriff siehe R. F. Collins 1984, 182-183, der darauf hinweist, dass es sich in 1 Thess 2,7 um den ältesten Beleg des Wortes "Apostel“ in der erhaltenen christlichen Literatur handele. Der Begriff bezeichne hier Missionare, die von Jesus Christus entsandt worden sind und habe noch nicht die exklusive Bedeutung späterer Briefe, in denen nur Paulus als "Apostel“ erscheine. Ähnlich H. Köster 1980, 287-292, der meint, dass sich der Erste Thessalonicherbrief gegen alle Versuche, den besonderen Charakter der Existenzerfahrung des Paulus herauszustellen, sträube.
Zur Familienfiktion und beziehungsstiftenden Bedeutung des Abschnittes 1 Thess 2,1-12 siehe C. Gerber 2005, 270-313. Der Absender vergleiche sich mit einer Amme, die sich als Mutter um ihre leiblichen Kinder kümmere ohne dafür Geld zu nehmen. Ammen seien in der griechischen und kaiserzeitlichen römischen Antike weit verbreitet gewesen. Stillammen seien in Ermangelung von Substituten für Kinder lebenswichtig gewesen, deren Mütter nicht stillen konnten. Oft sei die Stillamme auch über die Stillzeit hinausgehend Kinderfrau gewesen, die sehr einflussreich für die Entwicklung des Kindes gewesen sei. Dass Ammen eigene Kinder hatten, sei selbstverständlich gewesen, sei es doch physiologische Voraussetzung des Stillens. Im weiteren Sinne des Wortes meine "trophos“ auch eine Frau, die sich als Lohnarbeiterin oder Sklavin um kleine Kinder kümmert. 1 Thess 2,1-12 zeichne das Bild einer "heiligen Familie“: Die Elternbilder lüden dazu ein, die Beziehung zu den Missionaren, allen voran zu Paulus, so eng wie die Bande zwischen Eltern und Kindern zu sehen und sich als Geschwister. Die Mutter kümmere sich selbstlos aus Liebe um die Kinder, dem Vater eigne die Autorität und Wissen. Der vorbildlich fehllose Vater komme seinem Erziehungsauftrag für ein gottwürdiges Leben nach (vgl. V. 10-12).
J. Delobel 1995, 126-133 hält die Lesart "êpios“ für ursprünglich, nicht die Lesart "nêpios“. Paulus sei also zu den Thessalonichern freundlich/gütig gewesen.
Zur textkritischen Frage, ob angesichts des inhaltlichen Zusammenhangs mit der Mehrzahl der Ausleger êpios ("gütig/freundlich“) oder angesichts des Textzeugen-Befundes nêpios ("unwissend/kindisch“; Subst.: "Kind“) zu lesen sei, siehe auch J. A. D. Weima 2000, 547-564, der sich kritisch mit den Hauptargumenten für nêpios und der Sekundärliteratur auseinandersetzt. J. A. D. Weima plädiert für die Übersetzung "Kinder“ und geht von der Vorstellung der Unschuld aus. Ähnlich T. B. Sailors 2000, 81-98; S. Cotrozzi 1999, 155-160; B. R. Gaventa 1991, 193-207; S. Fowl 1990, 469-473 mit weiteren Literaturhinweisen.
B. R. Gaventa 2007, 17-28 vertritt die Ansicht, dass sich Paulus sowohl als "Kind“ als auch als "Amme“ bezeichnet habe, denn er gehe durchaus kreativ mit Metaphern um. "Kinder“ sei im Sinne von "unschuldigen Charakteren“ und somit im Kontrast zu den im rückwärtigen Kontext verworfenen hinterlistigen Absichten zu verstehen. Und wie sich die Amme den ihr anvertrauten Kindern zuwende, so fürsorglich wende sich der Apostel der Gemeinde zu, freilich ebenso lauter. Ein Punkt sei zwischen beiden Metaphern nicht zu setzen, denn sie stünden in einem untrennbaren Zusammenhang ("gemischte Metapher“). J. A. D. Weima 2000, 547-564 dagegen setzt hinter V. 7b einen Punkt und trennt somit beide Metaphern. V. 7b sei Schlussfolgerung des Vorausgegangenen, V. 7c als Einführung des Nachfolgenden zu verstehen. U. Schmidt 2009, 116-120 knüpft an B. R. Gaventa an: "Nêpios“ sei im Sinne der Abhängigkeit von Gott (hinsichtlich dessen Zuwendung und Beauftragung) zu verstehen. Paulus bringe in 1 Thess 2,7b seine Existenzweise als diejenige eines Empfangenden, der zugleich weiter gibt, bzw. als einer Person, durch die Gott wirkt, in überraschender Weise zum Ausdruck.
H.-W. Kuhn 1992 geht auf Parallelen zwischen Passagen aus dem Ersten Thessalonicherbrief und Qumranschriften ein. Zu 1 Thess 2,7-8.11 wird 1 QH VII 6-25 (und 1 QH IX 35-36) herangezogen. Während man bei dem Qumrantext am ehesten an eine Pflegemutter als "Amme“ zu denken habe, verstehe man bei Paulus am besten das entsprechende Wort allgemeiner als "Säugende“. Der "Lehrer“ sage an dieser Stelle von sich, was in IX 35-36 von Gott ausgesagt wird. Während Paulus sein bescheidenes apostolisches Auftreten gegenüber den Thessalonichern als "sanftes Versorgen der Kinder“ verstehe, bringe der "Lehrer“ das Bild in Verbindung mit seiner Erhöhung durch Gott.
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Beobachtungen: Paulus, Silvanus und Timotheus fügen nun die Parallele an: Sich selbst setzen sie mit der Stillenden, die Thessalonicher mit ihren Kindern gleich. Die drei Missionare belassen es nicht bei der Mitteilung des Evangeliums, sondern teilen auch ihr eigenes Leben mit. Doch was ist mit dem "eigenen Leben“ − genau genommen handelt es sich um mehrere Leben, nämlich um das von Paulus, Silvanus und Timotheus - gemeint? Das ewige Leben kommt nicht in Frage, denn dieses wird durch die frohe Botschaft und deren gläubige Annahme vermittelt. Somit bleibt als Möglichkeit die Lebensart der Missionare. Das Evangelium wird also nicht nur durch Worte vermittelt, sondern mit dem ganzen Leben jedes einzelnen Missionars, das auch die Handlungen und Gefühle umfasst. Die Mitteilung des eigenen Lebens erfolgt nicht bei allen Menschen, sondern nur deswegen, weil Paulus, Silvanus und Timotheus die Adressaten des Briefes lieb gewonnen haben.
Weiterführende Literatur: Auf das Verhältnis des Apostels Paulus zu dem von ihm gepredigten Wort geht in einer knappen Übersicht M. V. Abraham 1983, 62-63 ein.
Zur Mitteilung des eigenen Lebens der Missionare siehe J. Gillman 1990, 62-70. Der Apostel sei die sichtbare Inkarnation der göttlichen Heilsbotschaft. Das Leben und der Charakter des Apostels seien in den Augen der Thessalonicher der Maßstab für die Glaubwürdigkeit der Botschaft.
N. Baumert 1987, 552-563 geht davon aus, dass das Verb omeiresthai nicht "liebevolle Gesinnung gegen jmdn. hegen“ oder "Sehnsucht haben nach jmdm.“ bedeute, sondern "ferngehalten werden“. Tatsächlich bilde meiresthai dessen Grundwort, doch nicht in der häufigeren Bedeutung "als Anteil empfangen“, sondern im Sinn von "teilen / pass.: getrennt werden“. In Verbindung mit der Annahme, dass nêpios ("Kind“) zu lesen sei, schlägt er folgende Übersetzung vor: "Aber wir sind bei euch kindlich (kindgemäß, kinderlieb) geworden, wie wenn eine stillende Mutter ihre eigenen (leiblichen) Kinder wärmt (herzt, labt?). So sind wir, während wir von euch ferngehalten werden, entschlossen, euch nicht nur das Evangelium Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen, weil ihr uns Lieblinge geworden seid.“
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Beobachtungen: In den Versen 9-12 wird nun das vorbildliche Verhalten der Missionare in Thessalonich in Erinnerung gerufen. Demnach haben Paulus, Silvanus und Timotheus Tag und Nacht gearbeitet, um niemandem zur Last zu fallen. Sie waren also keine Berufsprediger; die Verkündigung lief neben der eigentlichen beruflichen Tätigkeit. V. 9 schließt Geldsendungen aus anderen Gemeinden nicht aus. So ist aus Phil 4,17-18 bekannt, dass die Philipper Paulus ein "Gabe“ - wohl Geld - für seinen Bedarf sandten.
Ist "Tag und Nacht“ so zu verstehen, dass das Geschäft so gut lief, dass es zu dauerhafter Arbeit führte? Oder wurde die ständige Arbeit deshalb nötig, weil eine Existenzgrundlage aufzubauen war, die dem Apostel am fremden Ort fehlte? Angesichts der Tatsache, dass der Erwerb der Lebensgrundlage an einem fremden Ort gewöhnlich von besonderen Schwierigkeiten begleitet ist, ist letztere Deutung wahrscheinlicher.
Weiterführende Literatur: M. D. Goulder 1992, 87-106 behandelt verschiedene Aspekte des Fehlverhaltens von Thessalonicher Gemeindegliedern angesichts der in naher Zukunft erwarteten Parusie Christi, darunter auf S. 88-90 das Aufgeben der eigenen Arbeit, dem Paulus mit der Betonung der eigenen Arbeitsanstrengungen habe entgegenwirken wollen. R. F. Hock 1980 geht auf Paulus’ Tätigkeit als Zeltmacher und auf deren Verbindung mit der missionarischen Tätigkeit ein. Auf S. 29-31 widmet er sich der Unterkunft, die anfangs vermutlich meist in Herbergen, vielleicht aber auch in Gymnasien, Tempeln und Synagogen erfolgt sei. Für längere Aufenthalte habe sich Paulus eine Gastgeberfamilie gesucht. Anders als andere, ärmere Handwerker habe Paulus nicht in Räumen, die mit Geschäften verbunden waren, oder gar auf der Straße nächtigen müssen. Aufgrund seines Gewerbes sei Paulus seinen Gastgeberfamilien nicht zur Last gefallen und habe sich das Notwendigste kaufen können. Auf S. 31-42 geht R. F. Hock auf die Arbeitszeit des Paulus und seine Verkündigungstätigkeit in der Werkstatt (vgl. dazu ausführlich R. F. Hock 1979, 438-450 mit weiteren Literaturhinweisen) ein, deren Existenz in der Bibel nicht belegt ist, aber von R. F. Hock erschlossen wird. Die Formulierung "Tag und Nacht“ − im Altgriechischen steht genau genommen "Nacht und Tag“, was aber wohl gleichbedeutend ist − sei nicht als Arbeit rund um die Uhr zu interpretieren, sondern als Arbeit, die am Tag, aber auch in der Nacht stattfinden konnte. Speziell die Frage, ob Paulus tatsächlich der sozialen Oberschicht angehörte, behandelt R. F. Hock 1978, 555-564, der dieser These zustimmt. Die negative Bewertung seiner handwerklichen Tätigkeit als Anstrengung zeige, dass sie für ihn einen Ansehensverlust bedeutet hat. Auch benutze Paulus in seiner Sprache oberschichtspezifische Begriffe. N. O. Míguez 1989, 65-89 thematisiert die Frage, welcher Schichtzugehörigkeit die Mehrheit der Thessalonicher Christen angehört hat. Er geht auch auf R. F. Hock ein und kommt - u. a. mittels einer Auslegung von 2,9 auf S. 76-80 - zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der armen Unterschicht angehört habe und Handwerker gewesen sei. Die Teilhabe am Leben der Handwerker sei ein wesentlicher Aspekt paulinischer Theologie, denn Paulus verstehe die Teilhabe am Leben der Armen als Kern des Evangeliums.
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Beobachtungen: Erneut werden Zeugen herangezogen; diesmal sind es sowohl die Adressaten des Briefes als auch Gott. Sie bezeugen das heilige, gerechte und untadelige Verhalten des Paulus und wohl auch der anderen Absender des Briefes.
Ein heiliges, gerechtes und untadeliges Verhalten ist ein Verhalten, wie es gläubigen Christen, den "Heiligen“, geziemt. Wenn Paulus (und wohl auch die anderen Absender des Briefes) den Thessalonichern gegenüber heilig, gerecht und untadelig war, dann sagt Paulus nichts über sein gegenwärtiges Verhalten aus, sondern nur über sein vergangenes. Aber von welchem Zeitpunkt der Vergangenheit spricht Paulus? Spricht er von seinen ersten Missionsbemühungen unter den Thessalonichern? Zu dem Zeitpunkt waren aber die Adressaten - mindestens die große Mehrheit - noch keine (an Jesus Christus) Glaubenden. Glaubende sind die Adressaten jedoch zur Zeit der Abfassung des Briefes. Oder spricht Paulus von der Zeit direkt nach der Bekehrung der Adressaten? Dann hätte Paulus besser schreiben können, dass er den Adressaten gegenüber heilig, gerecht und untadelig ist, denn sein Verhalten den Adressaten gegenüber dürfte sich nicht verändert haben. Das lässt darauf schließen, dass Paulus vom Zeitpunkt seiner ersten Missionsbemühungen unter den Thessalonichern spricht. Die hinzugefügte Bezeichnung der Adressaten als "Glaubende“ sagt wohl nicht aus, dass die Adressaten bereits "Glaubende“ waren, sondern sie es als Adressaten des Briefes sind. Dass sie zum christlichen Glauben gekommen sind, zeigt, dass das Verhalten des Paulus und wohl auch der anderen Missionare tatsächlich heilig, gerecht und untadelig war. Ihr Glaube dürfte sie also dazu befähigen, Zeugen zu sein.
Weiterführende Literatur: Zur Bedeutung der Adjektive "heilig“, "gerecht“ und "untadelig“ siehe R. F. Collins 1984, 193-195.
Zur Bezeichnung "Gläubige“ siehe R. F. Collins 1984, 212.216-217.
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Beobachtungen: Das Bild des Umgangs des Vaters mit seinen Kindern ist ein Pendant zum Bild der ihre Kinder versorgenden Stillenden. Zu dem Umgang des Vaters gehört das Ermahnen ebenso wie das Ermutigen und auch das Beschwören.
Das Verb "beschwören“ unterstreicht die Dringlichkeit des christlichen Verhaltens. Die Dringlichkeit beruht darauf, dass Gott die Thessalonicher zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit berufen hat.
"Kalountos“ ("berufend“) ist ein Partizip Präsens, das Gleichzeitigkeit aussagt. Die Berufung kann also gleichzeitig mit der Mission des Paulus unter den Thessalonichern erfolgt sein, vielleicht mit der Taufe, es kann aber auch die Dauerhaftigkeit der Berufung ausgesagt sein: Gott beruft die Adressaten zur Zeit der Abfassung des Briefes weiterhin, sie ist zeitgleich mit der Abfassung des Briefes gegeben. Auf jeden Fall ist nicht ausgesagt, dass Gott die Adressaten bereits vor der Missionstätigkeit des Paulus in Thessalonich berufen hatte, sie also zum Glauben vorherbestimmt waren.
Diesem Ruf Gottes sollen, ja müssen die Glaubenden folgen, indem sie ihr Leben würdig führen. Was genau mit dem "Reich“ und der "Herrlichkeit“ Gottes gemeint ist, wird nicht weiter ausgeführt, doch dürfte der Blick auf die Wiederkunft Christi und das Ende der Tage gerichtet sein.
Weiterführende Literatur: An 1 Thess 1-3 lasse sich gemäß J. Bickmann 1998 zeigen, dass Leid- und Todeserfahrungen der frühesten Christusgläubigen nicht dadurch ihre identitätsgefährdende Kraft verloren haben, dass diese Menschen sich zu Jesus als dem Christus bekannten. Zugleich lasse sich aber an 1 Thess herausstellen, wie einer solchermaßen in die Krise geratenen Gemeinde durch ihren Gründer und Lehrer im Brief ein Weg gebahnt wird, angesichts des Glaubens an die Auferstehung Jesu und der Christusgläubigen Sterben und Tod nicht zu bagatellisieren, sondern in der Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen und im Widerstand gegen sie Trost zu erfahren. Wie in 1 Thess diese Auseinandersetzung durch Lektüre geschieht, solle in den Analysen vor allem zu 1 Thess 1-3 gezeigt werden. Auf S. 156-214 befasst sich J. Bickmann mit den vielfältigen Beziehungen (familiäre bzw. freundschaftliche Beziehungen, Lehr- und Lernbeziehungen, hierarchische Beziehungen), wie sie in 1,2-2,16 zum Ausdruck kommen, und mit der Re-Konstruktion der idealen Kommunikationsgemeinschaft.
R. F. Collins 1984, 195-196 geht der Frage nach, was die Metaphern, die den Missionar als "Mutter“ und "Vater“ darstellen, bedeuten. Das Mutterbild betone Zuneigung und Liebe, das Vaterbild den Aspekt der Abhängigkeit im Hinblick auf Glauben und Lehre. Im Vorderen Orient sei die Weitergabe weisheitlicher Lehren an die Kinder dem Vater zugekommen. Zur durch diese beiden Pole geprägten Beziehung siehe auch D. Marguerat 2000, 373-389, der meint, dass Paulus mit der Erinnerung an die Vergangenheit bezwecken wolle, dass die Widerstandskraft der durch Gottes Gnade gesegneten Gemeinde gegen Angriffe von Gegnern gestärkt wird. J. Schoon-Janßen 1991, 39-65 macht deutlich, dass man Paulus’ Beziehung zu den Thessalonichern als die von Eltern zu Kindern sehen müsse. Ein Lehrer-Schüler-Verhältnis sei dagegen nicht wahrscheinlich. Zwar sei dabei eine gewisse Überlegenheit auf Seiten des Apostels gegeben, jedoch vor allem eine herzliche gegenseitige Verbundenheit, die die unter Freunden sogar noch übertreffe. Motive des antiken Freundschaftsbriefes seien für den Ersten Thessalonicherbrief prägend. Zur Form antiker Briefe und der Einordnung des Ersten Thessalonicherbriefes als Freundschaftsbrief siehe auch J. Schoon-Janßen 2000, 179-193. T. Holtz 2000, 69-80 geht auf diesen Artikel ein. Er hält einerseits die Einschätzung, dass es sich um eine Art Freundschaftsbrief handele, für richtig, kann jedoch der These, dass es sich bei 2,1-12 nicht um eine Apologie handele (s. o.), nicht folgen. Auch J. A. D. Weima 2000, 114-131 sieht die Ablehnung der These, dass es sich um eine Apologie handele, kritisch. J. S. Vos 2000, 81-88 wiederum antwortet auf den Aufsatz von T. Holtz: Paulus erwidere nicht auf tatsächliche, gegenwärtig gemachte Vorwürfe, sondern auf eine potenzielle Infragestellung des göttlichen Charakters des Evangeliums.
G. Haufe, 1985, 467-472 beschäftigt sich mit der traditionsgeschichtlichen Fragestellung, warum die für die Jesustradition zentrale Rede vom "Reich Gottes“ in den echten Paulusbriefen nur ganze sieben Mal begegnet. Ergebnis. Das Basileia-Thema habe seinen Sitz im Leben in der Taufparaklese und Missionspredigt. Wenn Paulus nicht öfter auf dieses Thema zurückgreift, so sei dies nicht mit theologischen Vorbehalten seinerseits zu begründen, sondern damit, dass die Lebensprobleme seiner Gemeinden nicht einfach von Missionspredigt und Taufparaklese her zu lösen sind, sondern neue theologische Antworten nötig machen. Auch K. P. Donfried 1987, 181-183 vertritt in seiner traditionsgeschichtlichen Untersuchung zu den paulinischen "Reich Gottes“-Texten die Ansicht, dass 1 Thess 2,11-12 im Zusammenhang der Taufe zu sehen sei.
J. O. Holloway III 1992, 29-36 untersucht den metaphorischen Gebrauch (u. a.) des Verbs peripateô ("wandeln“) in 1 Thess 2,1-12. Der "würdige Lebenswandel“ sei der rhetorische Höhepunkt des Abschnittes und bereite die Ausführungen in 4,1-5,24 über den Lebenswandel vor, besonders die Ermahnungen 4,1-12.
Literaturübersicht
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