Apg 17,5-9
Übersetzung
Apg 17,5-9:5 Da wurden die Juden eifersüchtig, holten sich einige üble Burschen, die auf dem Marktplatz herumlungerten, rotteten sich zusammen und stifteten in der Stadt Unruhe. Sie zogen zum Haus des Jason und suchten sie vor das Volk zu führen. 6 Als sie sie aber nicht fanden, schleppten sie Jason und einige Brüder vor die Stadtobersten und riefen: "Die die ganze Welt in Aufruhr versetzt haben, die sind jetzt hier! 7 Jason hat sie bei sich unterkommen lassen. Und diese [Leute] verstoßen alle gegen die Verordnungen des Kaisers, indem sie behaupten, ein anderer sei König, [nämlich] Jesus.“ 8 So brachten sie die Volksmenge und die Stadtobersten, die das hörten, auf. 9 Und [erst] nachdem sie von Jason und den Übrigen eine Kaution bekommen hatten, ließen sie sie frei.
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Beobachtungen: Dass die Juden eifersüchtig wurden, zeigt, dass die Verkündigung des Paulus und Silas in Thessalonich trotz des eher geringen Erfolges unter den Juden doch insgesamt gesehen ein Erfolg war (vgl. 17,4). Die Juden wurden eifersüchtig, weil sie Angst hatten, dass die christliche Lehre in der Synagoge zu großen Einfluss gewinnen und den eigenen Einfluss schmälern könnte.
Die Formulierung "agoraiôn andres“ meint vermutlich Männer, die auf oder bei dem Markt- und Versammlungsplatz, "agora“ genannt, herumlungerten. Sie kann kurz auch mit "Eckensteher“ oder "Gassenpöbel“ übersetzt werden.
Dass sich die Juden solcherlei Burschen holten, mag damit zu erklären sein, dass sie den Aufruhr nicht nur als Sache einer bestimmten religiösen Gruppe der Stadt, nämlich der Juden, erscheinen lassen wollten, sondern als eine Sache des ganzen Volkes. Ob die herbeigeholten Männer tatsächlich solche nichtsnutzigen, üblen Burschen waren, wie uns der Verfasser der Apg glauben macht, lässt sich nicht sagen. Zu bedenken ist auf jeden Fall im Hinblick auf Apg 17,5-9, dass der Verfasser der Apg von den Juden und allgemein den Gegnern des Christentums ein negatives Bild zu zeichnen sucht, das nicht unbedingt der Realität entsprechen muss. Vielleicht war es die Absicht des Verfassers der Apg, die Gegner der Christen als aus der Unterschicht stammend darzustellen, die Christen dagegen als großenteils aus der Oberschicht stammend (vgl. "vornehme Frauen“, V. 4).
Das Verb "ephistamai“ kann hier sowohl "ziehen“, "belagern“ oder "eindringen“. Die Meute zog also zum Haus des Jason und/oder belagerte dieses und/oder drang in dieses ein.
Das Imperfekt "ethoryboun“ ("sie versetzten in Aufruhr“) weist auf eine länger andauernde Handlung an, die wiederum zu einem Zustand führte, nämlich dazu, dass die Stadt in Aufruhr war.
Der Begriff "dêmos“ ("Volk“) kann die Versammlung aller freien Bürger der Stadt oder auch die Versammlung der mit der Gesetzgebung und der Rechtsprechung befassten Bürger meinen.
Jason war wohl der Gastgeber des Paulus und Silas, zumindest nahmen die Juden das an. Der Name "Jason“ war eine griechische Form des hebräisch-aramäischen "Jehoschua“ (lateinisch: "Jesus“), was darauf hinweist, dass Jason gebürtiger Jude war und vermutlich zu den Juden gehörte, die aufgrund der Verkündigung des Paulus und Silas den christlichen Glauben angenommen hatten. Auch in Röm 16,21 wird ein Mann namens Jason erwähnt, wobei dieser ausdrücklich als Stammesgenosse des Paulus, also als gebürtiger Jude, vorgestellt wird. Ob der in Apg 17,5-9 erwähnte Jason mit dem in Röm 16,21 erwähnten identisch ist, ist fraglich.
Weiterführende Literatur: Mit den verschiedenen Ereignissen während des Aufenthaltes des Paulus in Thessalonich befasst sich H. W. Tajra 1985, 233-244.
Eine sozio-politische Analyse von Apg 17,1-10 bietet N. O. Míguez 1988, 183-206. Obwohl die historische Zuverlässigkeit der Apg nicht über alle Zweifel erhoben sei, lasse sie doch Einblicke in das sozio-politische Umfeld der Christen des 1. Jh.s zu. N. O. Míguez zieht bei seiner Analyse verschiedene exegetische Methoden heran, in besonderem Maße Elemente der strukturellen Analyse.
Zu Apg 17,4-10 gemäß der Textfassung des Codex Bezae Cantabrigiensis siehe É. Delebecque 1982, 605-615.
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Beobachtungen: Es bleibt offen, warum die Juden und ihre Helfershelfer Paulus und Silas nicht bei Jason fanden. War Jason tatsächlich der Gastgeber der beiden Missionare oder irrten sich die Eindringlinge? Hatte Jason die kommenden Geschehnisse geahnt und die beiden Gäste daher versteckt oder zu einer anderen Person geschickt? Oder waren Paulus und Silas nur zufällig gerade abwesend?
Es wird nicht gesagt, dass es sich bei den "Brüdern“ um die Brüder des Jason, also um seine leiblichen Brüder handelte. Die Bezeichnung "Brüder“ meint hier also nicht "leibliche Brüder“, sondern Glaubensbrüder. Dabei sind wohl die Glaubensschwestern eingeschlossen, die jedoch von der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt, unterschlagen werden. Dass sich im Haus des Jason "Brüder“ aufhielten, mag reiner Zufall gewesen sein oder auch darauf hinweisen, dass das Haus des Jason ein Treffpunkt der Thessalonicher Gemeindeglieder war. Möglich ist auch, dass sich die "Brüder“ in Thessalonich nur vorübergehend aufhielten. Dass Jason sich selbst nicht in Sicherheit gebracht hat, mag damit zusammenhängen, dass er zweifellos seinem Haus zugeordnet werden konnte und er sich selbst nicht in gleichem Maße wie die Missionare gefährdet sah. Auch dass sich bei ihm mehrere andere "Brüder“ aufhielten, weist auf ein nicht allzu hohes Gefährdungsbewusstsein hin.
"Politarchen/Stadtobersten“ ("politarchai“) sind uns auch aus vielen Inschriften bekannt. Es handelte sich um die höchsten städtischen Beamten, deren Gremium fünf bis sechs Beamte umfasste. Sie waren für die Rechtsprechung, die Einberufung des Stadtrats, in dem sie den Vorsitz führten, und der Volksversammlung, der sie die vom Rat ausgearbeiteten Vorlagen zur Volksabstimmung vorlegten, zuständig. "Politarchen/Stadtobersten“ gab es in zahlreichen makedonischen Städten, mit Ausnahme der römischen Veteranenkolonien (wie z. B. Philippi).
Die Juden und ihre Helfershelfer machten das, was sie Paulus und Silas vorwarfen: Sie stiften Unruhe. Sie riefen laut und brachten mit ihren Helfershelfern gegen die beiden Missionare Anschuldigungen vor, die verleumderischen Charakter hatten. Sie differenzierten zum einen nicht zwischen Paulus, Silas, Jason und den anderen "Brüdern“, dramatisierten das Geschehen und politisierten es darüber hinaus. Obwohl die Juden und ihre Helfershelfer eigentlich nur Paulus und Silas, die aus ihrer Sicht Hauptschuldigen an der Verbreitung der christlichen Lehre, vor das Volk führen wollten, richteten sie ersatzweise ihre Vorwürfe gegen Jason und die anderen "Brüder“. So kam der Eindruck auf, als hätten alle Christen in der ganzen Welt Unruhe gestiftet und als seien alle Christen aufrührerisch und dem Kaiser gegenüber nicht loyal (vgl. V. 7).
Die Aussage "die sind jetzt hier!“ soll deutlich machen, dass die Gefahr, die von den Christen ausgeht, nicht nur andere Gebiete der Erde betrifft, sondern ganz akut auch die Stadt Thessalonich.
Das Verb "anastatoô“ ist mit "aufwiegeln“ oder "in Aufruhr versetzen“ zu übersetzen, allerdings kann es mit Blick auf V. 7 auch politisch gedeutet werden: "zum Aufstand aufrufen“. Bei dieser Deutung verwischen die Grenzen zwischen dem Vorwurf der Aufwiegelei, also der Störung der Ordnung, und dem Vorwurf der fehlenden Loyalität gegenüber dem Kaiser.
Weiterführende Literatur: C. U. Manus 1990, 27-38 befasst sich mit der Frage, mit welcher Technik Lukas die Perikope Apg 17,1-9, die den Zeitpunkt enthalte, von dem aus der gesamte folgende Dienst des Paulus bei den Thessalonichern und die Korrespondenz mit ihnen zu verstehen ist, zusammengesetzt hat. Was ist an der Erzählung historisch, was lukanisch? C. U. Manus legt dar, dass Lukas auf Grundlage ihn besonders beeindruckender historischer Fakten (Existenz der Synagoge, Menschen auf dem Marktplatz, Verordnungen des Kaisers sowie Jason und die Politarchen) und unter Heranziehung der Logienquelle und des Markusevangeliums seine Erzählung gemäß seinen theologischen Aussageabsichten gestaltet habe.
Auf S. 187-267 bringt W. Stegemann 1991, 187-267 die Gefährdung der Christen durch den Verdacht von Staatsverbrechen zur Sprache, analysiert also die Konfliktebene lukanischer Christen mit der heidnischen Obrigkeit. Dabei solle anhand von vier in der Apg geschilderten Konflikten des Paulus und anderer Christen (vgl. 19,23-40; 16,19-40; 17,6-7; 18,12-17) die rechtliche bzw. politische Dimension dieser Konflikte im Verhältnis der Christen zur heidnischen Öffentlichkeit aufgezeigt und aus der besonderen historischen Situation von Christen unter dem Prinzipat Domitians erklärt werden. In einem Vergleich mit anderen christlichen Texten werde schließlich die Gefährdung der lukanischen Christen wieder historisch eingeordnet. Zu Apg 17,6-7: Die Thessalonike-Anklage spreche nicht dafür, mit einer regelrechten Verfolgung der Christen unter Domitian zu rechnen. Vielmehr zeige sich hier erneut, dass die Identifizierung der Christen als eine weltweite aufrührerische Bewegung deren Nähe bzw. Verbindung mit dem Judentum voraussetzt, hier in besonderer Weise verstanden als Teil des rebellischen, sich gegen Rom richtenden Judentums.
F. Morgan-Gillman 1990, 39-49 befasst sich anhand der Texte Röm 16,21; Apg 17,5-9; 1 Thess 2,14 mit dem ntl. Bild des Jason und gibt einen Überblick über das Jasonbild in der gegenwärtigen exegetischen Literatur.
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Beobachtungen: Dass die Juden und ihre Helfershelfer ihre Anklage nicht auf der religiösen Ebene beließen, sondern auf politische Ebene hoben, dürfte damit zusammenhängen, dass sie wussten, dass die Staatsbeamten grundsätzlich auf den Vorwurf des politischen Aufruhrs dünnhäutiger reagierten als auf religiöse Streitereien. Ob die Anklage berechtigt war, lässt sich nicht sagen. Zu bedenken ist, dass es den Anklägern nicht darauf ankam, den wahren Sachverhalt darzustellen, sondern den Angeklagten zu schaden. Wahrscheinlicher als die korrekte Darstellung der Tatsachen ist, dass die Ankläger absichtlich oder unabsichtlich das von den Christen geistlich verstandene Königtum Jesu als irdisch-politisches Königtum missverstanden.
Es bleibt offen, auf welche Verordnungen (dogmata) des Kaisers sich die Juden und deren Helfershelfer bezogen. Der Vorwurf der fehlenden Loyalität der Christen gegenüber dem Kaiser lässt darauf schließen, dass es sich um Verordnungen handelte, die den Kaiserkult und den Gehorsam gegenüber dem Kaiser behandelten. Ob der Verweis der Ankläger auf Verordnungen des Kaisers berechtigt war, lässt sich dem biblischen Text nicht entnehmen.
Fraglich ist, ob hier mit dem Begriff "basileus“ der König oder der Kaiser gemeint ist. Im geistlichen Sinne galt Jesus Christus den Christen als Weltherrscher. Da sich der Titel "Kaiser“ speziell auf den römischen Kaiser bezog, hielten die Christen ihren "Herrn“ Jesus Christus wohl für einen König. Angesichts der Tatsache, dass die Machtfülle des römischen Kaisers größer als die Machtfülle der Könige war, lag aber auch der Gedanke nahe, dass Jesus Christus der wahre Kaiser ist. Nur dieser Gedanke ließ Jesus Christus als dem Kaiser ebenbürtig und damit als wirkliche Gefahr erscheinen. Es ist wahrscheinlich, dass dem Verfasser der Apg diese Doppeldeutigkeit bewusst war und er sie auch beabsichtigte.
Weiterführende Literatur: J. K. Hardin 2006, 29-49 setzt sich kritisch mit der u. a. von H. W. Tajra 1989, 36-42 vertretenen These auseinander, dass Paulus gegen die den Hochverrat betreffenden kaiserlichen Verordnungen verstoßen habe, weil er einen anderen König als den Kaiser verkündet und so zum Abfall vom Kaiserkult aufgerufen habe. Laut J. K. Hardin liege jedoch ein anderer Sachverhalt vor. So werde Jason vorgeworfen, gegen das Vereinswesen betreffende Verordnungen verstoßen zu haben, indem er Personen beherbergt hat, die andernorts Unruhe gestiftet haben. Die Gemeinschaft des Jason und der Missionare sei als eine illegale politische Vereinigung angesehen worden.
Auch K. P. Donfried 1985, 342-346 bezweifelt die These vom Hochverrat, weil die Vorstellung vom Hochverrat nicht auf kaiserlichen Verordnungen, sondern auf dem öffentlichen Recht begründet gewesen sei. Eher sei daran zu denken, dass in Apg 17,7 ein Verstoß gegen den geforderten Treueeid auf den Kaiser im Blick ist. Dieser sei den "Politarchen/Stadtobersten“ angezeigt worden, weil diese für die Durchführung des Treueides und etwaige Verstöße gegen diesen zuständig gewesen seien.
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Beobachtungen: Die mit lautem Rufen vorgebrachten Anschuldigungen wurden von der Volksmenge und den Stadtobersten gehört. Der Begriff "ochlos“ ("Volksmenge“) lässt daran denken, dass der Begriff "dêmos“ in V. 5 nicht nur die Versammlung der mit der Gesetzgebung und der Rechtsprechung befassten Bürger meint, sondern die Versammlung aller freien Bürger.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die Stadtobersten scheinen die Anschuldigungen nicht allzu ernst genommen oder bei der Überprüfung als nicht wirklich überzeugend empfunden zu haben, denn immerhin ließen sie die Beschuldigten wieder frei. Dass sie dies aber erst taten, nachdem diese eine Kaution hinterlassen hatten, zeigt allerdings, dass die Stadtobersten die Sache auch nicht auf die leichte Schulter nahmen. Bei der Kaution (to hikanon = wörtlich: das Genügende) handelte es sich wohl um eine Geldsumme, die Jason und die "Brüder“ hinterlegen mussten. Mit dieser Geldsumme bürgten sie dafür, dass Paulus und Silas und vermutlich auch sie selbst sich in Zukunft recht verhielten. Im Falle weiteren Fehlverhaltens behielten die Stadtobersten das Geld ein. Da die Bürgschaft Paulus und Silas zur Einstellung der Verkündigung in Thessalonich zwang, mussten sie, wenn sie weiter das Evangelium verbreiten wollten, Thessalonich verlassen.
Fraglich ist, ob die Freilassung der Beschuldigten noch am Tag des Tumultes und der Vorführung vor dem "Volk“ und den Stadtobersten geschah, oder ob die Beschuldigten einen oder mehrere Tage in Gewahrsam blieben.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Delebecque, Édouard; Paul à Thessalonique et à Bérée selon le texte occidental des Actes (XVII,4-15), RThom 82/4 (1982), 605-615
Donfried, Karl Paul; The Cults of Thessalonica and the Thessalonian Correspondence, NTS 31 (1985), 336-356
Hardin, Justin K.; Decrees and Drachmas at Thessalonica: An Illegal Assembly in Jason’s House (Acts 17.1-10a), NTS 52/1 (2006), 29-49
Manus, Chris Ukachukwu; Luke’s Account of Paul in Thessalonica (Acts 17,1-9), in: R. F. Collins [ed.], The Thessalonian Correspondence, Leuven 1990, 27-38
Míguez, Néstor O.; Lectura socio-política de Hechos 17,1-10, RBíb 50/2-3 (N. E. 30/31) (1988), 183-206
Morgan-Gillman, Florence; Jason of Thessalonica (Acts 17,5-9), in: R. F. Collins [ed.], The Thessalonian Correspondence, Leuven 1990, 39-49
Stegemann, Wolfgang; Zwischen Synagoge und Obrigkeit: Zur historischen Situation der lukanischen Christen (FRLANT 152), Göttingen 1991
Tajra, Harry William; Saint Paul à Thessalonique, PosLuth 33/3 (1985), 233-244
Tajra, Harry William; The Trial of Paul: A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles (WUNT II/35), Tübingen 1989