Apg 18,9-11
Übersetzung
Apg 18,9-11:9 Es sprach aber der Herr in einer Nacht durch ein Traumgesicht zu Paulus: "Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht, 10 denn ich bin mit dir; und niemand wird dich antasten, um dir Böses anzutun, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.“ 11 Er ließ sich aber für ein Jahr und sechs Monate nieder und lehrte unter ihnen das Wort (des) Gottes.
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Beobachtungen: Nachdem sich die Juden der Verkündigung des Evangeliums seitens des Paulus zunächst widersetzt hatten, konnte er bei den Juden doch noch Missionserfolge verbuchen. So kam der Synagogenvorsteher Krispus samt seinem ganzen "Haus“ zum Glauben. Auch wenn dies von Krispus und seinem ganzen "Haus“ nicht ausdrücklich gesagt wird, so ist doch anzunehmen, dass auf die Bekehrung die Taufe folgte. Dies war nämlich bei vielen anderen Korinthern der Fall, die dem Beispiel des Krispus und seines ganzen "Hauses“ folgten. Ob diese Korinther Juden, Gottesfürchtige oder Heiden waren, bleibt offen (vgl. Apg 18,4-8).
Der Titel "Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der "Herr“ übt gemäß dem antiken Klientelverhältnis Macht über seine Untergebenen (= Klienten) aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem "Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. In V. 9 ist unklar, ob Jesus Christus oder Gott als "Herr“ bezeichnet wird. Da in V. 8 eindeutig Jesus Christus gemeint war, liegt es nahe, auch in V. 9 an Jesus Christus zu denken.
Der Begriff "horama“ bedeutet zunächst einmal ganz allgemein "Erscheinung“. Dabei bleibt offen, ob Paulus die Erscheinung im wachen, ekstatischen oder schlafenden Zustand hatte. Dass es in der Nacht zu der Erscheinung kam, lässt vermuten, dass Paulus schlief und die Erscheinung im Schlaf hatte. Folglich ist wahrscheinlich, dass es sich um eine Erscheinung im Traum, also um ein Traumgesicht handelte.
Angesichts der Missionserfolge, die sich − wenn auch erst nach einiger Zeit − einstellten, verwundert es zunächst, dass Paulus Furcht überkommen haben sollte. Immerhin war durch die Missionserfolge ja seine Stellung gestärkt worden. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, die Furcht und das folgende Traumgesicht zu deuten. Die erste Deutung ist, dass das Schwergesicht der Aussage nicht auf der Furcht liegt, sondern auf dem Beistand des "Herrn“. So erscheint die Mission nicht als große Tat des Paulus, sondern als Wille des "Herrn“. Auf dem Beistand des "Herrn“ würde dann auch der Missionserfolg gründen. Die zweite Deutung ist, dass es durch die Bekehrung und vermutlich auch Taufe des Krispus und seines "Hauses“ in der jüdischen Gemeinde zu Spannungen gekommen war, die sich in Feindseligkeiten derjenigen, die Jesus als Christus (= Messias) ablehnten, gegen diejenigen, die Jesus als Christus anerkannten, äußerten. Auch Paulus mag die zunehmenden Spannungen zu spüren bekommen haben. Auch in der heidnischen Bevölkerung mögen die Christen als Unruheherd wahrgenommen worden sein und vermehrt Abneigung hervorgerufen haben. Wahrscheinlich ist, dass beide Deutungen in gewisser Weise richtig sind: Einerseits sollte das Missionswerk auf dem Willen und Beistand des "Herrn“ gegründet erscheinen, andererseits hatten aber auch die Bekehrungen zu Jesus Christus zu Spannungen in der jüdischen und nicht-jüdischen Bevölkerung von Korinth geführt.
Weiterführende Literatur: Entgegen anderen Auslegern vertritt D. Slingerland 1991, 439-449 die Ansicht, dass sich von der Beziehung zwischen der Gallio-Inschrift und Apg 18,1-18 ausgehend keine halbwegs genaue absolute Datierung der verschiedenen Ereignisse des paulinischen Wirkens herleiten lasse.
Deute sich in der Bitte des mazedonischen Mannes (vgl. 16,9-10) laut B. Heininger 1996, 279-284 eher indirekt an, dass das wunderbare Handeln Gottes in Jesus in Paulus' Missionstätigkeit eine Fortsetzung erfährt, werde das nächtliche Gesicht in Korinth 18,9-10 deutlicher: Es sei Werk und Auftrag des Erhöhten selbst, was sich im Wirken des Paulus realisiere. B. Heininger zieht angesichts beachtlicher Ähnlichkeiten in Erwägung, dass Jer 1,17-19LXX als direkte Vorlage für die Abfassung des paulinischen Gesichts in Apg 18,9-10 diente.
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Beobachtungen: Auf den ersten Blick scheint die Formulierung "niemand wird dich antasten, um dir Böses anzutun“ zu bedeuten, dass niemand Paulus mit dem Ziel antasten wird, ihm Böses anzutun. Dann wäre ausgesagt, dass Paulus völlig unversehrt bleiben wird. Allerdings zeigt sich schon in 18,12-17, dass Paulus durchaus bedroht wurde und auch Leid ertragen musste. Hat der "Herr“ Paulus die Sicherheit also nur vorgegaukelt und vielleicht sogar wissentlich gelogen? Wahrscheinlicher ist, dass die Formulierung nur besagt, dass niemand Paulus antasten und infolgedessen Böses antun wird. Das "Böse“ steht dabei wohl nicht für alles Leid, sondern nur für Leid, das Paulus zugrunde richtet. Bedrohung und Leid sind demnach Begleiterscheinungen des Lebens als Missionar. Der "Herr“ stellt jedoch sicher, dass der Missionar nicht an den Bedrohungen und am Leid zugrunde geht und ermutigt so zur furchtlosen Verkündigung des Evangeliums. Für Paulus bedeutete das, dass er Korinth nicht zu verlassen brauchte.
Die Formulierung "laos…polys“ kann mit "viel Volk“ oder "ein großes Volk“ übersetzt werden. Gemeint ist angesichts der vielen Bekehrungen das große Volk der zu Jesus Christus Bekehrten. Dabei macht der "Herr“ anscheinend keinen Unterschied zwischen Judenchristen und Heidenchristen.
Wieso macht der "Herr“ deutlich, dass er ein großes Volk in "dieser Stadt“, nämlich Korinth, hat? Wird das große Volk der zu Jesus Christus Bekehrten Paulus in der Bedrängnis beistehen und die Angreifer überwältigen? Dann wäre nicht der "Herr“ der wahre Beschützer des Paulus, sondern sein Volk. Da der "Herr“ aber zuvor betont hat, dass er selbst bei Paulus sein werde, ist eine andere Deutung wahrscheinlicher: Mit dem Beistand des "Herrn“ hat Paulus in Korinth schon eine Vielzahl an Bekehrungen erreichen können. Grund genug, in Korinth zu bleiben und die Arbeit mit dem Beistand des "Herrn“ fortzusetzen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Das Verb "ekathisen“ bedeutet hier "er ließ sich nieder“. Versteht man das Niederlassen als Folge der Worte des "Herrn“, dann sind das eine Jahr und die sechs Monate, also eineinhalb Jahre, von diesem Zeitpunkt an zu rechnen. Paulus hätte sich demnach alles in allem länger als diese Zeit in Korinth aufgehalten, denn er hatte ja schon eine gewisse Zeit dort gewirkt und Menschen zum christlichen Glauben bekehrt. Man kann V. 11 aber auch so verstehen, dass er eine zusammenfassende Angabe zum Wirken des Paulus in Athen macht. Dann hätte er sich insgesamt ein Jahr und sechs Monate in Korinth aufgehalten.
Der Codex Sinaiticus und die syrischen Übersetzungen fügen das Zahlwort "hena“ ("ein“) nach "eniauton“ ("Jahr“) ein, betonen also, dass sich Paulus ein Jahr und sechs Monate in Korinth aufgehalten habe.
Paulus hat in dieser Zeit unter "ihnen“ gelehrt, wobei der Plural wohl auf die in V. 8 genannten Korinther verweist. Vermutlich ist dabei die Gesamtheit der Korinther im Blick. Paulus hätte demnach unter Nicht-Christen und Christen gelehrt. Die Lehre hätte also sowohl die Verkündigung als auch die Schriftauslegung und Bestärkung im Glauben umfasst und somit dem Gemeindeaufbau im weiten Sinne gedient.
Die Formulierung "Wort (des) Gottes“ ("logos tou theou“) ist eine der vom Verfasser der Apg am häufigsten gebrauchten Wendungen. Der Genitiv kann besagen, dass das Wort von Gott stammt oder ihn zum Inhalt hat. Gemeint ist mit dem "Wort“ nicht ein einzelnes Wort, sondern eine Botschaft, nämlich die "frohe Botschaft“ (Evangelium). Sie hat göttliches Heilshandeln − insbesondere Tod und Auferstehung Christi − zum Inhalt, ist also nicht vom Menschen ersonnen. Auch die Art und Weise der Verkündigung der "frohen Botschaft“ ist nicht dem Ermessen des Menschen anheim gestellt. Soll die Verkündigung der "frohen Botschaft“ recht sein, so muss sie von Gott bewirkt werden.
Weiterführende Literatur: Laut M. Ebner 2009, 535-548 zeigten die Korinth-Episoden in Apg 18,1-18, wie sich Lukas im Modell christliche Gemeindeentwicklung vorstellt: In klarer Kontinuität zum Judentum, aber nicht in Abhängigkeit von evtl. lokal bedingten negativen Reaktionen; auf jeden Fall offen für Heiden. Dass Christen inzwischen getrennt von den Synagogen in eigenen Häusern lehren und "Brot brechen“, sehe Lukas als Konsequenz von eigentlich unbegründeten Anfeindungskampagnen von Seiten der Juden. Positives Kriterium für die christlichen Hausgemeinden sei die Versöhnung von religiösen und sozialen Gegensätzen. Das, so erzähle es Lukas, schaffe Akzeptanz auch auf der städtischen Ebene − wie in Korinth an der Gallioszene zu sehen sei.
Literaturübersicht
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Ebner, Martin; Soziale und religiöse Grenzüberschreitung in der Gemeinde von Korinth nach Apg 18,1-18: Ein lukanisches Genrebild, in: C. J. Belezos et al. [eds.], Saint Paul and Corinth, vol. I, Athen 2009, 535-548
Heininger, Bernhard; Paulus als Visionär: Eine religionsgeschichtliche Studie (Herders biblische Studien 9), Freiburg i. Br. 1996
Slingerland, Dixon; Acts 18:1-18, the Gallio Inscription, and Absolute Pauline Chronology, JBL 110/3 (1991), 439-449