Apg 18,4-8
Übersetzung
Apg 18,4-8:4 Und er redete jeden Sabbat in der Synagoge und suchte Juden und Griechen zu überzeugen. 5 Nachdem aber (der) Silas und (der) Timotheus von Mazedonien herabgekommen waren, widmete sich Paulus ganz dem Wort und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus sei. 6 Als sie sich jedoch widersetzten und lästerten, schüttelte er die (Ober-)Kleider aus und sprach zu ihnen: "Euer Blut [komme] über euer Haupt!“ Ich [bin daran] unschuldig. Von nun an werde ich zu den Heiden gehen. 7 Und er ging von dort weg und begab sich in [das] Haus eines Gottesfürchtigen namens Titius Justus, dessen Haus an die Synagoge angrenzte. 8 Der Synagogenvorsteher Krispus aber kam mit seinem ganzen Haus zum Glauben an den Herrn, und viele Korinther, die [das] hörten, kamen [ebenfalls] zum Glauben und ließen sich taufen.
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Beobachtungen: Nachdem sich Paulus den "Juden“ (= Judenchristen?) nach seiner Ankunft in Korinth Aquila und Priscilla angeschlossen hatte, um mit ihnen gemeinsam ihrem Gewerbe, dem Zeltmacherhandwerk, nachzugehen (vgl. 18,1-3), begann Paulus nun auch in Korinth in der Synagoge der Juden seine Verkündigung der christlichen Lehre. Die Synagoge war als erster Ort der Verkündigung geeignet, weil Paulus selbst gebürtiger Jude war. Auch als Christ blieb er dem Judentum verbunden. Er wurde möglicherweise auch als Jude angesehen, nämlich als ein Jude, der Jesus als verheißenen Messias (= Christus = Gesalbten) ansah.
Paulus hatte zur Synagoge Zutritt und konnte dort reden (dialegomai). V. 4 lässt allerdings offen, in welcher Form er des tat. Redete er im Gottesdienst zur ganzen jüdischen Gemeinde und legte Schriftstellen aus? Oder redete er in einer Art Lehrgespräch nur mit einer Gruppe Juden? Oder redete er nur mit kleinen Gruppen oder mit Einzelpersonen?
Es erstaunt, dass sich in der Synagoge auch Griechen aufhielten, die wohl als Heiden zu identifizieren sind. Juden mieden nämlich gewöhnlich Heiden und die Heiden hatten mit dem jüdischen Glauben nichts zu schaffen. Am ehesten lässt sich der Aufenthalt der Griechen in der Synagoge damit erklären, dass sie Gottesfürchtige waren, also dem Judentum nahe standen, ohne (wie Proselyten) zum Judentum übergetreten zu sein. Also solche werden sie zur Synagoge Zutritt gehabt haben.
Das Verb "epeithen“ ist genau genommen mit "er überzeugte“ zu übersetzen. Demnach hätte Paulus in der Synagoge einen überwältigenden Missionserfolg sowohl unter Juden als auch unter Heiden erzielt. Von einem solchen Missionserfolg ist jedoch in den folgenden Versen nichts mehr zu erkennen. Dort erscheint die Verkündigung eher mühsam und als von Misserfolg geprägt. Erst in V. 8 wendet sich das Blatt zum Positiven. Daher ist wahrscheinlich, dass in V. 4 nicht gemeint ist, dass Paulus Juden und Christen überzeugte, sondern dass er Juden und Christen zu überzeugen suchte.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Silas und Timotheus waren Mitarbeiter des Paulus, die dieser im mazedonischen Beröa zurückgelassen hatte (vgl. Apg 17,15). Paulus war ohne sie weiter nach Athen und dann nach Korinth gereist und erwartete ihre möglichst baldige Ankunft bei ihm. Gemäß 18,5 kamen Silas und Timotheus erst zu Paulus, als sich dieser schon in Korinth befand. Dazu steht 1 Thess 3,1-5 jedoch in Spannung, wonach Paulus den Timotheus von Athen aus nach Thessalonich gesandt hat. Demnach muss Timotheus schon zu Paulus gestoßen sein, als dieser noch in Athen verweilte. Auch Silas (= Silvanus) dürfte vermutlich schon in Athen zu Paulus gestoßen sein, denn er ist wahrscheinlich − sicher ist dies nicht (vgl. Beobachtungen zu 1 Thess 3,1) - bei der Entsendung des Timotheus dort mit Paulus zurückgeblieben. Der Widerspruch lässt sich nur ausräumen, wenn man davon ausgeht, dass der Verfasser der Apg verschweigt, dass Timotheus schon zu Paulus gereist war, als dieser noch in Athen verweilte, jedoch nochmal nach Mazedonien zurückkehrte und von dort aus dann (Apg 18,5 entsprechend) nach Korinth reiste. Hält man diese Annahme für unwahrscheinlich und geht davon aus, dass tatsächlich ein Widerspruch zwischen 1 Thess 3,1-5 und Apg 18,5 vorliegt, dann ist der Schilderung des Paulus in 1 Thess 3,1-5 der Vorzug zu geben. Als Hauptperson des Geschehens muss er es am besten gewusst haben. Für eine bewusste Verfälschung der Tatsachen besteht an dieser Stelle kein Anlass. Höchstens kann Paulus die Begebenheiten falsch in Erinnerung haben, allerdings ist dies angesichts der sicheren und durchaus auch detaillierten Schilderung noch nicht allzu lange zurückliegender Ereignisse nicht wahrscheinlich.
Das Verb "katerchomai“ bedeutet herabkommen. Das "herab“ lässt erkennen, dass sich Silas und Timotheus auf dem Wege von Beröa nach Korinth in tiefer gelegene Gefilde begaben. Korinth lag küstennah auf einem vergleichsweise niedrigen Hügel.
Der Aorist "katêlthon“ ("sie kamen herab“) besagt, dass es sich bei dem Herabkommen um eine einmalige, abgeschlossene Handlung der Vergangenheit handelte. Es ist weniger der lange Weg von Beröa nach Korinth als vielmehr die Ankunft in Korinth im Blick. Dabei handelte es sich um ein kurzzeitiges Geschehen. Das Imperfekt "syneicheto“ ("er widmete sich ganz“, "er wurde gedrängt“) dagegen kennzeichnet eine lang anhaltende oder ständig wiederholte Handlung. Nun stellt sich aber die Frage, ob die kurzzeitige erfolgte, während die dauernde Handlung im Gang war, oder ob die kurzzeitige Handlung die andauernde anstieß. Geht man von ersterer Möglichkeit aus, dann liegt folgende Deutung nahe: In der Zeit, in der sich Paulus durch die Verkündigung ganz dem Wort widmete, kamen Silas und Timotheus in Korinth an. Für diese Deutung spricht V. 4, wonach Paulus jeden Sabbat in der Synagoge verkündigte, sich also ganz dem Wort widmete. Gegen diese Deutung spricht, dass V. 5 gegenüber V. 4 wenig neuen Aussagegehalt bieten würde. Warum sollte es für die Hörer und Leser der Apg wichtig sein zu erfahren, dass sich Paulus bei der Ankunft des Silas und Timotheus ganz dem Wort widmete? Hatte er keine Zeit, sich um seine beiden Mitarbeiter zu kümmern? Das ist zwar möglich, doch findet sich in den folgenden Versen dafür kein Anhaltspunkt. Es scheint von keinerlei Interesse zu sein, ob sich Paulus um seine beiden Mitarbeiter kümmerte oder nicht. Entscheidend ist wohl nur die Tatsache, dass das Warten des Paulus auf die beiden Mitarbeiter ein Ende gefunden hatte. Doch warum ist die Ankunft so von Bedeutung, wenn Silas und Timotheus in der auf die Ankunft folgenden Zeit für die Mission keine Rolle mehr gespielt haben? Timotheus wird erst in 19,22 wieder genannt, Silas überhaupt nicht mehr. Eine Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs tut sich auf, wenn man der Möglichkeit folgt, dass die kurzzeitige Handlung die andauernde anstieß. So können Silas und Timotheus mit ihrer Ankunft die Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass sich Paulus ganz dem Wort widmen konnte. Wahrscheinlich begannen sie zu arbeiten, womit Paulus von der Notwendigkeit befreit wurde, durch handwerkliche Arbeit für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. In diesem Fall bliebe offen, welcher Arbeit Silas und Timotheus nachgingen. Es wäre jedoch eine Erklärung gegeben, warum Silas und Timotheus in Korinth nicht mit der Verkündigung in Verbindung gebracht werden, sondern Paulus als der Verkündiger schlechthin erscheint. Es ist aber keinesfalls sicher, dass Silas und Timotheus in Korinth arbeiteten. Möglich ist auch, dass Paulus keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen musste, weil Silas und Timotheus eine Geldsumme für den Lebensunterhalt mitgebracht haben. Dann bliebe jedoch im Dunklen, woher sie diese Geldsumme hatten. Handelte es sich um eine Spende von Gliedern einer Gemeinde, vielleicht derjenigen in Beröa? Angesichts der Tatsache, dass Paulus ja schon jeden Sabbat in der Synagoge geredet hatte, würde sich auch die Frage stellen, wie er sich noch stärker dem Wort widmen konnte. Angesichts der Tatsache, dass Paulus werktags wohl gearbeitet hatte und am Sabbat die Arbeit wohl ruhen ließ, käme als Antwort infrage, dass Paulus sich nun auch werktags der Verkündigung Christi widmete. Diese musste werktags nicht mehr auf die Werkstatt oder das Arbeitsumfeld beschränkt bleiben, sondern konnte möglicherweise auch in der Synagoge stattfinden. Dabei ist davon auszugehen, dass die Synagoge auch Werktags als Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde gut frequentiert war. Abschließend bleibt noch auf eine dritte Deutungsmöglichkeit hinzuweisen, die ebenfalls, wie die zweite Deutungsmöglichkeit, davon ausgeht, dass die kurzzeitige Handlung die andauernde angestoßen hat. Übersetzt man nämlich das Imperfekt "syneicheto“ mit "er wurde gedrängt“, dann wäre die Deutung, dass Paulus durch das Wort gedrängt wurde. Am ehesten wäre das wohl so zu verstehen, dass er jetzt seine ganze Aufmerksamkeit dem Wort widmen konnte und ihm mit Blick darauf nun das Bezeugen des Jesus als Christus besonders dringlich schien.
"Das Wort“ meint sicherlich kein einzelnes Wort, das immer wiederholt wurde, sondern mehrere Worte, eine Rede. Dabei dürfte es sich um das "Wort (des) Gottes“ gehandelt haben, wie eine Textvariante klarstellt. "Wort (des) Gottes“ ist ein anderer Ausdruck für "Evangelium“.
Der zentrale Inhalt des Verkündeten ist "Christus“. "Christus“ ist nicht ein Name im Sinne eines Vor- oder Nachnamens, sondern ein Heilstitel. "Christus“ bedeutet "Gesalbter“ (griechisch: "christos“). Im AT werden Könige, Priester, Propheten und auch kultische Gegenstände gesalbt. Durch die Salbung mit dem Salböl werden sie der rein profanen Welt enthoben und in den Dienst Gottes gestellt, womit sie in die Sphäre des Heils treten. Wenn Jesus als "Christus“ bezeichnet wird, dann wird er als Heilsbringer (Messias, hebr.: māschiaḥ) verstanden. Jesus Christus ist gemäß Paulus insbesondere deshalb Heilsbringer, weil er für die Menschen gestorben und von den Toten auferstanden ist. Er bewirkt Sündenvergebung und ewiges Leben. Der Artikel "der“ weist darauf hin, dass den Juden die Verheißung des Christus/Messias bekannt war. Auch sie erwarteten den Christus/Messias, allerdings gingen sie nicht davon aus, dass Jesus dieser sei.
Weiterführende Literatur: Entgegen anderen Auslegern vertritt D. Slingerland 1991, 439-449 die Ansicht, dass sich von der Beziehung zwischen der Gallio-Inschrift und Apg 18,1-18 ausgehend keine halbwegs genaue absolute Datierung der verschiedenen Ereignisse des paulinischen Wirkens herleiten lasse.
S. Dockx 1982, 749-753 legt dar, dass Paulus allein gereist sei und −von Lystra an − nur von Timotheus begleitet worden sei. Als Paulus Timotheus von Athen nach Thessalonich sandte (vgl. 1 Thess 3,2), sei Paulus allein in Athen zurückgeblieben. Demnach hätte sich Silas (= Silvanus) Paulus nicht in Korinth angeschlossen (vgl. Apg 18,5), sondern sei dort vor ihm gewesen und hätte ihn als Heidenapostel propagiert.
Zur Frage, ob Timotheus (und Silvanus/Silas) in Athen war, setzt sich K. P. Donfried 1991, 189-196 auseinander. Dabei legt er zunächst das Problem dar und geht anschließend auf die Frage ein, ob der Plural monoi ("allein“) in Verbindung mit dem Verb "sandten“ als wirklicher oder als redaktioneller Plural zu verstehen ist, wobei er sich für die Deutung als redaktioneller Plural ausspricht und somit davon ausgeht, dass Paulus allein (ohne Timotheus und Silas/Silvanus) in Athen zurückgeblieben ist. Da die Entsendung des Timotheus nicht in Athen erfolgt sein müsse, sondern Timotheus auch von Beröa aus nach Thessalonich zurückgesandt worden sein könne − eine Entsendung aus der Ferne durch den schon nach Athen weitergereisten Timotheus sei durchaus möglich -, sei anzunehmen, dass Timotheus nicht in Athen gewesen ist. Paulus sei in Athen allein gewesen. Die in Apg 17,14-15 gegebene Information sei also im Wesentlichen korrekt.
Anders A. Meers 1993, 201-206, der sich mit zwei Fragen befasst: Wie reiste Paulus von Beröa nach Athen (vgl. 17,14)? Wie war der weitere Reiseverlauf von Silas und Timotheus? A. Meers gibt einen Überblick über die von den verschiedenen Bibelausgaben gebotenen Übersetzungen und Textvarianten. Er hält die Variante des westlichen Textes für ursprünglich, die "epi tên thalassan“ ("zum Meer“) bietet. Die "Brüder“ hätten also Paulus zum Meer gesandt, was so zu verstehen sei, dass Paulus (zusammen mit makedonischen Christen) auf der Straße flüchtete, die ein Stück Richtung Thessalonich und dann zur Meeresküste und weiter nach Athen führte. Silas und Timotheus dagegen seien "dort“ geblieben, wobei "dort“ im Sinne von "in Makedonien“ zu verstehen sei. Silas sei nach Philippi geflüchtet, wo er Timotheus und Lukas, die dort geblieben seien, über das geänderte Reisevorhaben des Paulus informiert und sich mit ihnen um die junge Gemeinde gekümmert habe. Von Athen aus seien Gesandte nach Philippi gereist (vgl. Apg 17,15). Aus 1 Thess 3,1 sei zu erschließen, dass daraufhin Silas und Timotheus − vermutlich mit dem Schiff − nach Athen reisten. Dann hätten sich, wie aus 1 Thess 3,2 und Apg 18,5 zu erschließen sei, Silas und Timotheus nach Thessalonich begeben. Timotheus sei dort geblieben, wogegen Silas sofort nach Philippi weitergereist sei. Paulus habe sich von Athen nach Korinth begeben (vgl. Apg 18,1-4). Silas sei nach Thessalonich zurückgekehrt, habe Timotheus aufgesucht und sei mit diesem zu Paulus nach Korinth gekommen (vgl. Apg 18,5). Schließlich habe vermutlich Timotheus auf seinem Rückweg nach Thessalonich den "Ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher“ mitgenommen.
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Beobachtungen: Laut V. 6 hatte Paulus bei den Juden mit seinem Zeugnis zunächst keinen Erfolg, sondern rief Widerstand hervor. Der westliche Text bietet als Variante den eingefügten Hinweis, dass dem Widerstand viel Reden und Schriftenauslegung vorangegangen sei.
Unklar ist, ob sich das Lästern der Juden gegen Paulus, Jesus Christus oder Gott richtete. Wahrscheinlich richtete sich das Lästern gegen alle drei, weil die Person des Paulus nicht vom Gegenstand seiner Verkündigung zu trennen ist.
V. 6 setzt eine Kleidung voraus, die aus dem − hier nicht erwähnten - Unterkleid ("chitôn“) und dem Oberkleid ("himation“) besteht. Das Unterkleid wurde direkt auf dem Körper getragen und bestand nur aus einem großen, viereckigen Wolltuch (oder: Leinentuch), das an der linken Körperseite gefaltet wurde und geschlossen war, an der rechten Seite jedoch offen blieb und an der Schulter mit einer Heftnadel zusammengehalten wurde (dorische Form). Das Unterkleid konnte aber auch sackartig geschlossen (ionische Form) und hemdartig mit Ärmeln versehen sein. Oftmals wurde das Unterkleid gegürtet getragen. Das Oberkleid wurde über dem Unterkleid getragen und bestand ebenfalls aus einem großen, viereckigen Wolltuch. Dieses wurde um den Körper geschlungen und auch drapiert, wobei ein Arm unbedeckt blieb. Es konnte auch mit einer Heftnadel auf einer Schulter befestigt werden. Merkwürdigerweise findet sich hier der Plural "himatia“. Demnach hätte Paulus mehrere Oberkleider getragen, was jedoch unwahrscheinlich ist. Eher könnte der Plural "himatia“ hier ein Sammelbegriff für das Unter- und Oberkleid sein, womit die Bedeutung "Kleider“ wäre. Und schließlich bleibt noch die Möglichkeit, dass Paulus zwar mehrere Oberkleider trug, diese jedoch nicht seine eigenen waren. Er hätte sie dann nicht auf dem Leib, sondern in der Hand getragen. Für letztere Deutung spricht das Fehlen des Possessivpronomens "seine“. Insofern ist nicht gesagt, dass es die Oberkleider oder Kleider des Paulus waren. Dass es seine eigenen Oberkleider oder Kleider waren, sagt nur der westliche Text ausdrücklich.
Fraglich ist, wie das Ausschütteln der Oberkleider oder Kleider zu verstehen ist. Handelt es sich um einen bildlichen Ausdruck für die Aufgabe der Missionsbemühungen unter den Juden oder zumindest den Juden in der Synagoge? Oder handelt es sich um eine tatsächlich ausgeführte Symbolhandlung? Falls Letzteres der Fall ist: Wie hat Paulus die Oberkleider oder Kleider ausgeschüttelt? Hat er die Oberkleider, die er in der Hand hielt und die nicht seine eigenen waren, ausgeschüttelt? Oder hat er sich die Kleider ausgezogen und diese dann ausgeschüttelt? Oder hat er seine Kleider anbehalten und den Staub so ausgeschüttelt oder ausgeklopft?
Der Staub kann den Schmutz und die Unreinheit, aber auch die Vergeblichkeit einer Bemühung symbolisieren. Der Schmutz und die Unreinheit weisen demnach auf die Distanz (der Juden in der Synagoge) zu Gott - hier in Verbindung mit Jesus Christus gesehen − und zum Heil hin. Durch das Ausschütteln des Staubes befreite sich Paulus von Schmutz und Unreinheit und von dem Alten, den bisherigen Bemühungen, und konnte sich so einer neuen Zielgruppe zuwenden.
Die Redewendung "Euer Blut [komme] über euer Haupt!“ ist wohl kaum wörtlich zu verstehen, denn sonst wäre vorhergesagt, dass es das Blut der Juden regnet oder das eigene Blut über den Häuptern der Juden ausgegossen wird. Eine andere Deutungsmöglichkeit ist, dass zur Strafe für den Widerstand das Blut der Juden vergossen wird, auf welche Weise auch immer. Am ehesten könnte dann das Blutvergießen bei der Einnahme Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer gedacht sein, das dem Verfasser der Apg bekannt gewesen sein dürfte. Aber sollte der Verfasser der Apg den Paulus hier tatsächlich ein geschichtliches Ereignis vorhersagen lassen? Das ist fraglich, zumal Korinth weit von Jerusalem entfernt lag und sich vielleicht die Juden dort nicht in gleichem Maße mit dem Schicksal Jerusalems verbunden fühlten wie die Juden Palästinas. Auch ist unklar, warum Paulus so unvermittelt Strafe androhen bzw. vorhersagen sollte. Bei der Deutung der Redewendung scheint angesichts der vielen offenen Fragen weiterführend zu sein, die Bedeutung ähnlicher Redewendungen an anderen Stellen der Bibel zu betrachten. Gemäß Mt 27,25 rief vor der Kreuzigung Jesu das ganze Volk (der Juden): "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Hier scheint das Blut für Schuld und Verantwortung zu stehen. Es ist fremdes Blut, das über das Volk (der Juden) kommt. Erhellend scheint auch Ez 33,1-7 zu sein, wo der Prophet Ezechiel angesichts einer lebensbedrohenden Gefahr als Wächter Israels dargestellt wird. Es ist demnach zwar nicht gesagt, dass das Volk auf den Wächter hört, aber der Wächter hat Verantwortung für das Volk. So fordert Gott vom Propheten Rechenschaft für das Blut des Volkes. Liest man Apg 18,6 auf dem Hintergrund dieser beiden Texte, so erscheint folgende Deutung plausibel. Paulus als Verkündiger trägt Verantwortung für das Ergehen des Volkes der Juden. Da das Evangelium mit der Auferstehung und dem ewigen Leben eine existenzielle Angelegenheit beinhaltet, es also im existenziellen Sinn um Leben oder Tod der Juden geht, muss er sich für das Heil der Juden einsetzen, so weit es ihm möglich ist. Ist der Widerstand der Juden zu groß für die Fortsetzung der Verkündigung unter den Juden, dann muss Paulus vor Gott bzw. Jesus Christus Rechenschaft ablegen. Mittels der Redewendung dürfte Paulus also deutlich machen, dass er innerhalb der Synagoge alles getan hat, um die Juden zu ihrem Heil zu bekehren. Nun lag die Verantwortung für ihr Unheil bei den Juden, nicht mehr bei Paulus. Ein Ende jeglicher Judenmission seitens des Paulus war damit aber wohl nicht ausgesagt, eher das Ende der Verkündigung in dem Synagogengebäude. Auch in Korinth blieb die Judenmission damit weiterhin möglich, doch war sie sehr eingeschränkt worden.
Fraglich ist, ob "katharos egô“ ("rein/unschuldig ich“) für sich getrennt zu verstehen oder mit den folgenden Worten zu einem Satz zusammen zu ziehen ist. In ersterem Fall würde die Übersetzung "ich bin rein/unschuldig“ lauten. In letzterem Fall wäre der ganze Satz mit "Rein/Unschuldig werde ich von nun an zu den Heiden gehen“ zu übersetzen. Welcher Möglichkeit man auch folgt, gemeint ist, dass Paulus alles versucht hat, um die Juden zu Christus zu bekehren und er an deren Unheil schuldlos ist. Über diese Bedeutung hinausgehend kann auch kultische Reinheit gemeint sein. Juden hielten sich von den Häusern der Heiden nach Möglichkeit fern, weil sie sich in diesen nicht − z. B. durch nicht den Reinheitsgeboten entsprechende Mahlzeiten − verunreinigen wollten. So kann sich Paulus durch seine Betonung seiner Reinheit selbst den Weg zu den Heiden geöffnet haben, im Sinne von "die Unreinheit der Heiden kann meine Reinheit nicht beeinträchtigen“.
Weiterführende Literatur: Laut M. Ebner 2009, 535-548 zeigten die Korinth-Episoden in Apg 18,1-18, wie sich Lukas im Modell christliche Gemeindeentwicklung vorstellt: In klarer Kontinuität zum Judentum, aber nicht in Abhängigkeit von evtl. lokal bedingten negativen Reaktionen; auf jeden Fall offen für Heiden. Dass Christen inzwischen getrennt von den Synagogen in eigenen Häusern lehren und "Brot brechen“, sehe Lukas als Konsequenz von eigentlich unbegründeten Anfeindungskampagnen von Seiten der Juden. Positives Kriterium für die christlichen Hausgemeinden sei die Versöhnung von religiösen und sozialen Gegensätzen. Das, so erzähle es Lukas, schaffe Akzeptanz auch auf der städtischen Ebene − wie in Korinth an der Gallioszene zu sehen sei.
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Beobachtungen: Da kein Ortswechsel erwähnt wurde, ist davon auszugehen, dass Paulus von der Synagoge wegging und sich zum Haus des Gottesfürchtigen namens Titius Justus begab. Da dessen Haus an die Synagoge angrenzte, war der Weg nicht weit.
Der westliche Text versteht dies anders. Er sieht wohl Aquila als einen noch nicht zum christlichen Glauben bekehrten Juden an. Daher geht er davon aus, dass Paulus von seinem Gastgeber Aquila weggegangen sei und somit seine Unterkunft gewechselt habe.
Warum ging Paulus gerade zum Haus dieses Gottesfürchtigen? Ging er dorthin, weil das Haus das nächstgelegene war? Oder ging er dorthin, weil nicht nur das Haus nahe lag, sondern auch der Gedanke, die Verkündigung statt an die Juden nun an die Gottesfürchtigen zu richten? Die Juden zählten zwar zu den Heiden, standen jedoch dem Judentum nahe und hielten sich auch im Umfeld der Synagoge auf. Möglich ist auch, dass Paulus aus irgendeinem Grund ganz konkret den Gottesfürchtigen Titius Justus zum christlichen Glauben bekehren wollte. Vielleicht hatte Titius Justus bei den Juden und/oder bei den Heiden ein besonders hohes Ansehen. Da er in der Bibel aber nur in Apg 18,7 erwähnt wird und wir kein außerbiblisches Zeugnis von ihm haben, lässt sich zu seiner Person nichts Genaueres sagen. Höchstens lässt sich aus dem Namen schließen, dass er römischer Herkunft war.
Unter den Handschriften herrscht große Uneinheitlichkeit, wie denn der Name des Gottesfürchtigen gelautet hat. Ursprünglich dürfte wohl der Name "Titius Justus“ sein. Daneben gibt es jedoch auch die Varianten "Titus Justus“, "Justus“ und "Titus“. Sind die beiden Varianten, die "Titus Justus“ und "Titus“ bieten, als Versuche anzusehen, den Gottesfürchtigen mit dem Paulusmitarbeiter Titus in Verbindung zu bringen? Und ist die Variante "Justus“ damit zu erklären, dass "Titus“ gestrichen wurde, weil man Titus nicht für einen Korinther hielt?
Weiterführende Literatur: Dass gemäß dem westlichen Text Paulus von Aquila wegging, hält M. W. Holmes 2003, 197 für ein Missverständnis des Urhebers dieser Variante. Dieser habe "von dort“ im Sinne von "von Aquilas Haus“ gedeutet und daher einen Ortswechsel statt einer Verlagerung der Predigtaktivitäten des Paulus angenommen.
A. T. Kraabel 1981, 113-126 setzt sich kritisch mit der Annahme auseinander, dass es sich bei den "Gottesfürchtigen“ um eine zahlenmäßig starke Gruppe Heiden gehandelt habe, die sich durch eine besondere Nähe zum Judentum auszeichnete. A. T. Kraabel untersucht Inschriften und Symbole, die in sechs Synagogen (Dura Europos, Sardis, Priene, Delos, Stobi, Ostia) der jüdischen Diaspora im Römischen Reich gefunden wurden. In den synagogalen Inschriften tauche keiner der Begriffe "phoboumenos“ ("fürchtend“) oder "sebomenos“ ("fromm seiend / fürchtend“) auf. Der Begriff "theosebês“ ("gottesfürchtig“) tauche zwar zehnmal auf, aber immer in Bezug auf Juden, insbesondere jüdische Stifter, nie aber im Hinblick auf dem Judentum nahestehende Heiden. Auch die Symbolik der Synagogen lasse nicht die Existenz einer solchen heidnischen Gruppe erkennen, sondern sei auf die jüdische Gemeinschaft ausgerichtet. Angesichts dieses Befundes wendet sich A. T. Kraabel dem literarischen Belegmaterial zu, wobei er davon ausgeht, dass unsere Kenntnis einer angeblich existierenden Gruppe heidnischer "Gottesfürchtiger“ insbesondere auf der Apg gründe, wobei auch isolierte Belege aus der klassisch-antiken Literatur und griechische und lateinische Inschriften herangezogen würden. Der Verfasser der Apg habe die "Gottesfürchtigen“ aber nur aus literarischen Gründen eingebaut. Sie erschienen immer nur dann, wenn sie einen bestimmten Zweck zu erfüllen hätten und verschwänden nach der Erfüllung dieses Zwecks wieder von der Bildfläche. Fazit: Es gebe keine überzeugenden Belege dafür, dass eine Gruppe Heiden, die dem Judentum nahe stand und als "Gottesfürchtige“ bezeichnet wurde, tatsächlich existierte. Vgl. R. MacLennan, A. T. Kraabel 1986, 46-53. J. G. Gager 1986, 91-99 stimmt A. T. Kraabel insofern zu, als Lukas von den "Gottesfürchtigen“ aufgrund eigener theologischer Aussageabsichten spreche. Insbesondere dienten sie als Rechtfertigung seiner Ansicht, dass die Heiden(christen) an die Stelle der Juden als von Gott erwähltes Volk getreten seien. Anders als A. T. Kraabel annehme, sei allerdings nicht die Gruppe der "Gottesfürchtigen“ an sich eine lukanische Erfindung, sondern die sofortige und völlige Aufgabe des Judentums zugunsten des Christentums. T. M. Finn 1985, 75-84 kann der These von A. T. Kraabel nicht folgen. Seiner Meinung nach sei das Schweigen der synagogalen Inschriften bezüglich der "Gottesfürchtigen“ keineswegs so ausgeprägt, wie von A. T. Kraabel angenommen. So erscheine in einer Inschrift der Synagoge in Aphrodisias (Provinz Asia) die Bezeichnung "theosebeis“ ("Gottesfürchtige“), wobei es sich allem Anschein nach um eine Gruppe handele, die von Proselyten und gebürtigen Juden unterschieden ist. Was den Bericht der Apg angehe, so seien Ende des 1. Jh.s n. Chr. die "Gottesfürchtigen“ − gleich ob sie real existierten oder nur eine Erfindung waren − eine Gruppe gewesen, deren Existenz glaubhaft schien. Die Dreiteilung Juden, Gottesfürchtige, Heiden sei letztendlich eine zu starke theologische Vereinfachung der komplexen sozialen Prozesse in den Missionsgebieten. Und schließlich bekräftige eine Lektüre der klassischen Schriftsteller Juvenal, Josephus und Philo die Annahme der Apg, dass es an verschiedenen Orten Heiden gab, die sich zum jüdischen Glauben und zur jüdischen Glaubenspraxis hingezogen fühlten, ohne gleich zum Judentum überzutreten. Ähnlich L. H. Feldman 1986, 58-63, der aus klassischer, talmudischer und christlicher Literatur sowie aus Inschriften und Papyri die Existenz einer Gruppe Heiden erschließt, die bestimmte jüdische Praktiken befolgte, ohne Juden geworden zu sein. Diese Gruppe sei insbesondere in Palästina und in Kleinasien (Asia Minor) vertreten gewesen. Auch P. R. Trebilco 1991, 145-166 untersucht die Existenz einer als "Gottesfürchtige“ bezeichneten Gruppe Heiden, die dem Judentum nahestand. Die von Josephus, Philo, Juvenal, Epiktet und der Apg genannten "Gottesfürchtigen“ fänden sich auch in Inschriften. Auch wenn "Gottesfürchtiger“ ("theosebês“) als Bezeichnung für fromme Juden vorkomme, gebe es auch Beispiele, in denen die Bezeichnung in enger Verbindung zur Synagoge stehende Heiden meint. Dies sei sicher bei der Aphrodisias-Inschrift der Fall, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Inschriften aus Panticapäum und Tralles und wahrscheinlich auch bei Inschriften aus Sardis und Milet. Auch wenn es sich um eine an vielen Orten bekannte Personengruppe gehandelt habe, stamme die Mehrzahl der relevanten Inschriften aus Kleinasien (Asia Minor). Möglicherweise hätten dort die Synagogen und deren Gemeinden auf die Heiden eine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Aus den Inschriften gehe hervor, dass zumindest in einigen Fällen Heiden, die regelmäßig an Versammlungen teilnahmen und bestimmte jüdische Praktiken befolgten, eine Form synagogaler Mitgliedschaft eröffnet wurde. Eine präzise, allgemeingültige Definition der "Gottesfürchtigen“ in Kleinasien lasse die Untersuchung jedoch nicht zu. Die Verbindung mit dem vielgestaltigen Judentum sei vermutlich von Ort zu Ort verschieden gewesen. Auch J. Murphy-O’Connor 1992, 418-424 ist der Ansicht, dass die Aphrodisias-Inschrift die Existenz von "Gottesfürchtigen“ im lukanischen Sinn bestätige, weist jedoch auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs "theosebês“ hin.
Zu den Ausgrabungsergebnissen in Aphrodisias samt der in der Nähe des Aphrodisias-Museums gefundenen Inschrift siehe M. J. Mellinck 1977, 296.305-306. Eine Veröffentlichung und Kommentierung der Inschrift von Aphrodisias bieten J. Reynolds, R. F. Tannenbaum 1987 (griechischer Wortlaut samt deutscher Übersetzung siehe B. Wander 1998, 235-239). Sie fragen danach, was denn nun ein "theosebês“ ("Gottesfürchtiger“) sei: ein halb paganisierter Jude oder ein judaisierender Heide oder ein sehr frommer Jude oder ein sehr reicher und hochrangiger Heide? Ergebnis: Es sei jemand, der genügend angezogen wird von dem, was er vom Judentum gehört hat, und nun zur Synagoge kommt, um mehr zu lernen; der, nach einiger Zeit, als Ergebnis, gewillt sei, den jüdischen Lebensentwurf nachzuahmen, in welcher Art und Intensität er es wünscht (bis hin zur Mitgliedschaft in Gemeinschaftsverbindungen, in denen Gesetzesstudium und Gebet eingeschlossen ist); dem verschiedene Kurzformeln vorgetragen worden seien, wobei er aber keiner einzigen folgen müsse; der dem Monotheismus der Juden folge und seine angestammten Götter aufgebe, es aber trotzdem nicht müsse, und dem, ob er es tut oder nicht, eine Teilhabe an der Auferstehung für seine Mühe versprochen werde. Solche Menschen hätten einen bedeutenden Anteil aus der Bevölkerung in der jeweiligen Synagogengemeinde ausgemacht, wo wir einen quantitativen Nachweis ihrer Existenz haben. Ob dies allgemein und überall gültig war, sei aber schwer zu sagen. Vgl. R. F. Tannenbaum 1986, 54-57.
Ausführlich zu den epigraphischen und literarischen Belegen der "Gottesfürchtigen“ sowie zu den Gottesfürchtigen im Hinblick auf den Kult des Höchsten Gottes sowie zu den Gottesfürchtigen in Kleinasien siehe I. Levinskaya 1996, 51-126. I. Levinskaya legt dar, dass die Gottesfürchtigen zu den ersten Heiden gehört hätten, die den christlichen Glauben annahmen. Die Offenheit für den christlichen Glauben habe für die Juden ein ernsthaftes Problem dargestellt, denn die Beziehungen zu den Gottesfürchtigen, die oftmals der sozialen Oberschicht angehört hätten, hätten einen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität geleistet. Als Antwort auf die christliche Mission hätten sich die Juden um eine Intensivierung der Beziehungen zu den Gottesfürchtigen bemüht. Die Apg lasse erkennen, dass die Gottesfürchtigen entweder das Rückgrat christlicher Gemeinden waren oder ein großes Hindernis für die Ausbreitung des Christentums darstellen konnten. Letzteres gehe insbesondere aus 13,50 hervor, wo davon die Rede ist, dass die Juden die angesehenen gottesfürchtigen Frauen und die Vornehmen der Stadt gegen die Christen aufhetzten.
M. Wilcox 1981, 102-122 stellt die Existenz einer Gruppe Heiden, die dem Judentum nahe stand, nicht infrage. Er geht vielmehr der Frage nach, wie die Tatsache zu bewerten ist, dass der Verfasser der Apg verschiedene Bezeichnungen für fromme bzw. gottesfürchtige Personen benutzt ("eulabês“ in Lk 2,25; Apg 2,5; 8,2; 22,12; "eusebês“ in Apg 10,2.7; "hoi phoboumenoi ton theon“ in Lk 1,50; Apg 10,2.22.35; 13,16.26; "hoi sebomenoi ton theon“ in Apg 13,43 [?]; 13,50 [?]; 16,14; 17,4 [?]; 17,14; 18,7 [vgl. 18,13]). Handelt es sich um "termini technici“ für verschiedene Personengruppen? Oder um verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Personengruppe? Oder sind die verschiedenen Bezeichnungen darauf zurückzuführen, dass sich der Verfasser der Apg bei der Abfassung seines Berichtes auf verschiedene Quellen stützte? M. Wilcox kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Bezeichnung "hoi phoboumenoi ton theon“ in der Apg auf besonders fromme Personen inmitten der jüdischen Gemeinde beziehe, seien es Juden oder Heiden, Proselyten oder "Sympathisanten“. Dementsprechend tauche die Bezeichnung nur in den Abschnitten auf, wo es zuvörderst um die Mission unter der Juden geht, also vor 13,45-46, wo sich der Beschluss des Paulus und Barnabas findet, sich den Heiden zuzuwenden. Kornelius sei also jemand, der sich eine den Juden entsprechende Frömmigkeit zu eigen gemacht hat. Die Bezeichnung "hoi sebomenoi ton theon“ dagegen werde nach 13,45-46 benutzt, also bei der Schilderung der Begebenheiten während der Heidenmission. Zu Apg 18,7: Aus dem − sowieso uneinheitlich überlieferten − römischen Namen des Titius Justus könne nicht geschlossen werden, dass dieser ein Heide war, und dass dieser als Heide dem Judentum nahestand, denn auch Juden hätten römische, griechische oder andere nichtjüdische Namen getragen.
J. A. Overman 1988, 17-26 befasst sich mit zwei seiner Meinung nach in der Diskussion um die "Gottesfürchtigen“ vernachlässigten Aspekten: Zum einen geht er auf den Begriff "prosêlytos“ ein. Dieser habe zur Zeit der Evangelisten Matthäus und Lukas mindestens zwei Bedeutungen gehabt: Das Matthäusevangelium spiegele die eher technische Bedeutung, wie sie sich in späterer rabbinischer Literatur finde, wider, wonach es sich bei dem "prosêlytos“ um einen zum Judentum übergetretenen Heiden handele (= Proselyt). Das Lukasevangelium und die Apg folgten dagegen der Bedeutung, wie sie sich in der Septuaginta findet. Demnach handele es sich bei einem "prosêlytos“ um einen Nicht-Israeliten (Heiden), der dem Judentum zugetan ist und am Leben der jüdischen Gemeinde teilnimmt. Zum anderen befasst sich J. A. Overman mit der Formulierung "hoi phoboumenoi“ ("die Fürchtenden“). Eine solchermaßen benannte Gruppierung tauche an mindestens fünf Stellen der Septuaginta auf (2 Chr 5,6LXX; Ps 115,9-11LXX; 118,2-4LXX; 135,19-20LXX; Mal 3,16LXX). Lukas, der in der Septuaginta bewandert gewesen sei, habe möglicherweise die Formulierung "hoi phoboumenoi ton kyrion“ ("die den Herrn Fürchtenden“) auf eine von der Synagoge zwar unterschiedenen, aber mit dieser verbundenen Gruppe bezogen. Offensichtlich sei, dass Lukas von seiner Tradition einen Begriff übernommen hat, um in der Apg eine Gruppe Heiden zu benennen, die mit der Synagoge verbunden und dem Judentum zugetan ist. Vermutlich habe es tatsächlich eine solche Gruppe gegeben, womit sie nicht von Lukas erdacht worden sei.
Eine ausführliche Studie zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen bietet B. Wander 1998, der insbesondere die Terminologie analysiert. "Gottesfürchtige“ seien eine terminologisch ermittelbare Gruppe innerhalb des Umfeldes der Diasporasynagogen, ohne dass sie in den anderen Bezeichnungen wie "Sympathisanten“ oder "Nachahmern“ oder "Proselyten“ aufgehen.
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Beobachtungen: Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass V. 8 berichtet, dass Titius Justus zum Glauben kam. Stattdessen ist völlig unvermittelt davon die Rede, dass der Synagogenvorsteher Krispus mit seinem ganzen "Haus“ zum Glauben kam. Es ist fraglich, wie Krispus samt seinem "Haus“ im Haus des Titius Justus zum Glauben kommen konnte. Hielt er sich dort auf? Oder hat Paulus zwischenzeitlich das Haus des Titius Justus wieder verlassen und ist zum Haus des Krispus gegangen? Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Krispus mit seinem ganzen "Haus“ im Haus des Titius Justus aufhielt und Paulus davon wusste. Das würde erklären, warum sich Paulus zwar zum Haus des Titius Justus begab, von diesem jedoch nichts weiter ausgesagt wird, auch keine Bekehrung zum christlichen Glauben.
Warum ist nicht davon die Rede, dass Titius Justus zum Glauben kam? Versperrte er sich wie schon die Juden in der Synagoge dem Evangelium? Oder war er bereits zum Glauben gekommen? In diesem Falle würde zwar verwundern, warum dies in keinster Weise deutlich gemacht wird, z. B. durch die Bezeichnung "Bruder“, doch mag eine Parallele zu den vermutlich ebenfalls schon zum christlichen Glauben gekommenen "Juden“ Aquila und Priscilla vorliegen (vgl. 18,2).
Die Bekehrung des Krispus samt seines ganzen "Hauses“ macht deutlich, dass Paulus nicht sämtliche Missionsbemühungen unter den Juden abgebrochen hatte. Außerhalb der Synagoge nahm er die Missionsgelegenheiten, die sich ihm ergaben, anscheinend wahr.
Bei dem "Haus“ handelte es sich nicht um das Gebäude, sondern um die Hausgemeinschaft. Diese Gemeinschaft wohnte in einem Haus oder war zumindest einer Hauswirtschaft zugeordnet. Zur Hausgemeinschaft gehörten die - zumindest engeren - Familienangehörigen sowie die Arbeitskräfte, also die Sklaven, an.
Krispus wird auch in 1 Kor 1,14 genannt, wo Paulus Gott dafür dankt, dass er niemanden von den Korinthern getauft hat als Krispus und Gaius. In 1,16 erwähnt Paulus auch noch, dass er das "Haus“ des Stephanas getauft habe. Es ist wahrscheinlich, dass der in Apg 18,8 genannte Krispus mit dem in 1 Kor 1,14 genannten identisch ist. Allerdings widersprechen sich beide Texte im Hinblick auf die Tauftätigkeit des Paulus. Aus Apg 18,8 ist nämlich zu schließen, dass Paulus zusätzlich zu Krispus auch dessen ganzes "Haus“ zum christlichen Glauben bekehrt und vermutlich auch getauft hat. Ob Gaius zum "Haus“ gehört hat, bleibt offen. Selbst wenn das der Fall war, sind mehr oder andere Menschen von Paulus getauft worden als (nur) Krispus, Gaius und das "Haus“ des Stephanas. Nun sagt aber Apg 18,8 nicht ausdrücklich, dass es Paulus war, der die Taufen vorgenommen hat. Aber selbst wenn jemand anderes die Taufen vorgenommen hat, bliebe ein Widerspruch bestehen, denn in 1 Kor 1,14 sagt ja Paulus ausdrücklich, dass er Krispus getauft habe. Dieser Widerspruch lässt sich mit der Annahme lösen, dass Paulus nur Krispus (und vielleicht auch Gaius) getauft hat, nicht jedoch dessen "Haus“. Das ist möglich, weil Krispus als Synagogenvorsteher ein besonderes Ansehen zukam und er vielleicht unbedingt von Paulus getauft werden sollte/wollte. Allerdings wäre schon verwunderlich, dass Paulus nicht alle Taufen durchführte, wo er schon dabei war.
Unklar ist, ob Krispus der einzige Vorsteher der Synagoge war, oder ob es neben ihm noch einen oder mehrere weitere gab. Der bestimmte Artikel "der“ mag darauf hinweisen, dass er der einzige war, doch kann er auch nur besagen, dass "Synagogenvorsteher“ ein ganz bestimmtes Amt war, das Krispus bekleidete. Sollte es weitere Synagogenvorsteher gegeben haben, dann könnte Sosthenes ein solcher gewesen sein (vgl. 18,17).
Fraglich ist, wer die vielen anderen Korinther waren, die zum Glauben kamen, und wie sie von der Taufe des Krispus und seines Hauses erfahren hatten. Waren sie bei der Verkündigung des Paulus, bei der Bekehrung des Krispus und seines "Hauses“ und bei den Taufen anwesend? Hatten sie also zugehört, was geredet wurde? Oder waren sie bei dem Geschehen nicht persönlich anwesend gewesen, hatten aber gehört, was geschehen war, und ließen sich deshalb taufen? Gleich ob ersteres oder letzeres der Fall war: Es ist wahrscheinlich, dass zu den vielen Korinthern auch Juden gehörten. In ersterem Falle liegt das nahe, weil der Synagogenvorsteher Krispus wohl eher mit Juden und Gottesfürchtigen Umgang gepflegt hat als mit Heiden, die nichts mit dem Judentum zu tun hatten. In letzterem Falle liegt das ebenfalls nahe, weil die Botschaft, dass der Synagogenvorsteher Krispus samt seinem "Haus“ zum Glauben gekommen ist, wohl eher Juden und Gottesfürchtige als Heiden zur Taufe gereizt hätte.
Das Imperfekt "episteuon“ ("sie glaubten / kamen zum Glauben“) weist darauf hin, dass die vielen Korinther nicht alle gemeinsam zeitgleich zum Glauben kamen, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg. Dies lässt annehmen, dass die vielen Korinther zwar davon hörten, dass sich der Synagogenvorsteher Krispus samt seinem ganzen "Haus“ hatte taufen lassen, jedoch nicht sogleich zum Glauben kamen und sich taufen ließen. Eher dürften sie nur aufgehorcht und sich für den christlichen Glauben geöffnet haben. Erst durch weitere Verkündigung des Paulus und viele zwischenmenschliche Kontakte werden sie schließlich zum Glauben gekommen sein und sich haben taufen lassen. V. 8 spricht demnach nicht von Massenbekehrungen, sondern von einem dauerhaften, einen längeren Zeitraum währenden Wachstum der Gemeinde. Ob auch das in 1 Kor 1,16 erwähnte "Haus“ des Stephanas zu den vielen Korinthern gehörte, ist fraglich. Ebenso ist fraglich, ob Paulus die vielen Korinther selbst getauft hat. 1 Kor 1,14.16 spricht dagegen.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
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