Apg 19,11-12
Übersetzung
Apg 19,11-12:11 Und ungewöhnliche Machterweise wirkte (der) Gott durch die Hände des Paulus, 12 so dass man sogar zu den Kranken Schweißtücher und Schurze von seiner Haut forttrug, woraufhin die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren.
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Beobachtungen: Nachdem 19,1-10 von der Lehr- und Predigttätigkeit gehandelt hat, kommt der Verfasser der Apg nun auf wundersame Ereignisse zu sprechen. Diese begleiteten die Lehr- und Predigttätigkeit, wobei jedoch offen bleibt, ob sie sich ereigneten, während Paulus lehrte und predigte, oder ob sie sich zwischen den Lehr- und Predigtzeiten abspielten. Eine Antwort wird dadurch erschwert, dass sich die Lehr- und Predigttätigkeit des Paulus wohl nicht auf das Lehrhaus oder den Hörsaal des Tyrannus beschränkte, sondern auch außerhalb erfolgte.
Das Substantiv "dynamis“ ist gewöhnlich mit "Macht“ mit "Kraft“ zu übersetzen. Der Plural "dynameis“ meint eine Mehrzahl "Machterweise“ oder "Krafterweise“, also "machtvolle Taten“ oder "kraftvolle Taten“.
Diese Machterweise oder Krafterweise waren keine, die sich einfach so, ganz zufällig, ereigneten ("ou tas tychousas“). Sie waren also ungewöhnlich, wundersam.
Nicht Paulus wirkte die Taten, sondern Gott, und zwar der von Paulus und den Juden verehrte Gott (= der Gott). Er wirkte sie durch die Hände des Paulus. Paulus war also kein Mann, der Wunder tun konnte, sondern er − konkret: seine Hände - war ein Werkzeug Gottes.
Weiterführende Literatur: Ausführlich mit den Abschnitten, die vom Aufenthalt des Paulus in Ephesus handeln, und mit dem Kult der Artemis von Ephesus befasst sich R. Strelan 1996, der auf S. 258-259 auf die Forschungsdiskussion zu Apg 19,11-12 eingeht.
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Beobachtungen: Die genaue Bedeutung des Begriffs "soudarion“ (lateinisch: sudarium) ist unklar. Vermutlich handelte es sich um ein Schweißtuch, das um die Stirn gebunden wurde, damit der Schweiß nicht von der Stirn in die Augen laufen konnte.
Ebenfalls unklar ist die Bedeutung des Begriffs "simikinthion“ (lateinisch: semicinctium“). Zwei Bedeutungen kommen infrage: Zum einen kann es sich ebenfalls um ein Schweißtuch gehandelt haben, das allerdings nicht um die Stirn gebunden, sondern in der Hand gehalten wurde, zum anderen ist aber auch an einen Schurz zu denken. Doch wieso sollte Paulus einen Schurz oder gar mehrere Schürze getragen haben? Waren es Arbeitsschürze, die Paulus während seiner Arbeit als Zeltmacher trug? Eine solche kommt nicht in den Blick. Eher ist daran zu denken, dass es sich um Schweißtücher handelte, die er sich um die Taille geschlungen hatte. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie er diese auf der Haut getragen haben könnte, wenn er doch vermutlich ein Unter- und ein Obergewand trug.
Es stellt sich die Frage, ob man bei der Mehrzahl Schweißtücher und vielleicht auch Schürzen an eine Vielzahl zu denken hat. Möglich ist auch, dass man die vorhandenen Schweißtücher und vielleicht auch Schürzen zerschnitt oder zerriss, nachdem sie von der Haut des Paulus genommen worden waren. Falls es sich tatsächlich um eine Vielzahl handelte, stellt sich die Frage, ob Paulus sie gleichzeitig oder nacheinander getragen hat. Letztere Möglichkeit erscheint wahrscheinlicher, denn wieso sollte er eine Vielzahl Schweißtücher und vielleicht auch Schürze getragen haben und wie könnte er sie getragen haben?
Die Schweißtücher und vielleicht auch Schürze hatten mit Paulus' Haut Kontakt. Dass man diese zu den Kranken brachte, zeigt, dass man den Schweißtüchern bzw. Schürzen aufgrund der Berührung mit Paulus Heilkraft beimaß. Ob den Menschen bewusst war, dass nicht Paulus selbst die ungewöhnlichen Machterweise wirkte, sondern Gott, ist unklar. Es ist durchaus möglich, dass die Menschen Paulus wie einen Heiligen verehrten, der Wunder tut.
Es wird kein Wort darüber verloren, wie die Menschen an die Schweißtücher und vielleicht auch Schürze des Paulus kamen. Haben sie ihm diese vom Leib gerissen oder vorsichtig abgenommen? Oder hat Paulus sie ihnen selbst gegeben? Offen bleibt auch, ob Paulus die Schweißtücher und vielleicht auch die Schürze zurückbekam, nachdem sie für die Krankenheilungen benutzt worden waren.
Die Präposition "epi“ kann sowohl "zu…hin“ als auch "auf“ bedeuten. Man trug also die Schweißtücher und vielleicht auch Schürze auf jeden Fall zu den Kranken hin, legte ihnen sie diese vielleicht auch auf. Da wir nichts über die Art der Krankheit(en) wissen, bleibt offen, ob die Kranken standen, saßen, knieten oder lagen, und warum sie nicht selbst zu Paulus hingingen. Gleich ob die Schweißtücher und vielleicht auch Schürze auf die Kranken gelegt wurden oder nicht, so ist doch davon auszugehen, dass die Kranken die Schweißtücher bzw. Schürze berührten. Durch die Berührung eines Stoffes, der die Haut des Paulus berührt hatte, wird man sich die Heilung erhofft haben. Man glaubt demnach an die Übertragung der Wunderkraft.
Da diese Vorgehensweise tatsächlich zu Heilungen führte, erscheint sie nicht als Aberglaube. Aberglaube könnte höchstens die Vorstellung gewesen sein, dass Paulus selber die Wunder tue.
Da man Bakterien oder Viren noch nicht kannte, führte man die Krankheiten auf böse Geister zurück. Beim Weichen der Krankheiten und dem Ausfahren der Geister handelt es sich wohl nicht um zwei voneinander unabhängige Geschehnisse, sondern um zwei zusammenhängende. Die Krankheiten wichen von den Kranken, weil die bösen Geister ausfuhren. Dass nicht zuerst das Ausfahren der bösen Geister und dann das Weichen der Krankheiten genannt wird, mag damit zusammenhängen, dass die bösen Geister nicht ausschließlich mit Krankheiten in Verbindung gebracht wurden, sondern darüber hinaus auch mit dem Bösen. Dass für das Austreiben der bösen Geister auch exorzistische Formeln benutzt wurden, wird nicht gesagt.
Weiterführende Literatur: Zu Magie und Heidentum in der Apg siehe H.-J. Klauck 1996, der sich auf S. 112-117 mit der schwierigen Abgrenzung von Wunder und Magie befasst.
T. J. Leary 1990, 527-529 legt dar, dass es sich bei dem "simikinthion“ (lateinisch: semicinctium“) vermutlich um ein nicht nur von Lederarbeitern, sondern auch von anderen Menschen getragenes Kleidungsstück gehandelt habe, das in Verbindung mit der Tunika getragen worden sei. Am ehesten sei an einen Gürtel zu denken. Dass das "simikinthion“ allgemein getragen worden sei, könne laut R. Strelan 2003, 154-157 zwar sein, doch missachte T. J. Leary den Kontext. So heiße es in 19,9-10, dass Paulus über zwei Jahre hin täglich im Lehrhaus des Tyrannus redete. Strelan betont die Verbindung von "soudarion“ (lateinisch: sudarium) und "simikinthion“. Bei ersterem handele es sich vermutlich um ein zur Tracht der Redner gehöriges Tuch, das eher um des Effektes als um praktischer Gründe Willen um den Hals geschlungen wurde. Bei letzterem handele es sich wohl um eine dünnere Form des "cinctium“, des Gürtels. Solche Gürtel seien von Männern und Frauen gleichermaßen getragen worden. Der Gürtel sei wohl von manchen Menschen so verstanden worden, dass ihm eine gewisse Kraft eigen war, oder dass er eine Leben spendende Kraft symbolisierte.
Eine sehr oberflächliche und unkritische Art und Weise der Bestimmung des antiken Hintergrundes ntl. Texte beklagt B. A. Paschke 2006, 71-87. Er versucht anhand von Lk 8,43-48; Apg 5,15 und 19,12 exemplarisch zu zeigen, dass viele Ausleger nicht die vorhandenen griechisch-römischen oder jüdischen Primärquellen einem gründlichen Eigenstudium unterzögen, sondern (falsche) Einschätzungen aus der Sekundärliteratur einfach unkritisch übernähmen. Die unzutreffende Darstellung des antiken Hintergrundes wirke sich wiederum negativ auf die Exegese der ntl. Texte aus.
Literaturübersicht
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Klauck, Hans-Josef; Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167), Stuttgart 1996
Leary, T. J.; The “Aprons” of St. Paul − Acts 19:12, JTS 41/2 (1990), 527-529
Paschke, Boris A.; The Mystery of the Vanishing Sources: How New Testament Scholars Superficially and Uncritically Identified the Ancient Background of Luke 8:43-48, Acts 5:15, and Acts 19:12, BN NF 129 (2006), 71-87
Strelan, Richard; Acts 19:12: Paul’s “Aprons” again, JTS 54/1 (2003), 154-157
Strelan, Rick; Paul, Artemis, and the Jews in Ephesus (BZNW 80), Berlin − New York 1996