Apg 19,21-22
Übersetzung
Apg 19,21-22: 21 Als sich aber diese Dinge erfüllt hatten, fasste (der) Paulus im Geist den Entschluss, durch Makedonien und Achaia zu ziehen und [dann] nach Jerusalem zu reisen. Er sagte: "Wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen.“ 22 Er sandte zwei von denen, die ihm dienten, Timotheus und Erastus, nach Makedonien; er selbst verweilte noch eine Zeit lang in der [Provinz] Asien.
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Beobachtungen: Apg 19,21-22 gehört zwar zum Abschnitt, der vom Wirken des Paulus in Ephesus handelt (19,1-40), doch unterbricht er diesen auch, indem er auf den weiteren Weg des Paulus nach seiner Zeit in Ephesus verweist.
Fraglich ist, worauf "diese Dinge“ ("tauta“) zu beziehen sind. Liegt ein Bezug auf das gesamte bisherige missionarische Wirken des Paulus vor? Oder nur ein Bezug auf das missionarische Wirken des Paulus während der dritten Missionsreise? Oder ist nur das bisherige Wirken des Paulus in Ephesus im Blick?
Die "Erfüllung dieser Dinge“ lässt an die Erfüllung eines göttlichen Heilsplans denken. Die bisherigen Geschehnisse wären demnach im göttlichen Heilsplan vorgesehen gewesen und hätten sich nun erfüllt.
Es stellt sich die Frage, um welchen Geist es sich handelt. Ist der menschliche Geist des Paulus gemeint, fasste also Paulus bei sich den Entschluss? Oder fasste er den Entschluss im heiligen Geist? Dann wäre der Entschluss im Einklang mit dem heiligen Geist erfolgt oder von diesem bewirkt worden.
Zur römischen Provinz Makedonien gehörten zahlreiche Städte, die Paulus auf seiner zweiten Missionsreise bereist hatte: Neapolis, Philippi, Amphipolis, Apollonia, Thessalonich und Beröa. Dabei hatte Paulus in Philippi, Thessalonich und Beröa Gemeinden gegründet.
Die römische Provinz Achaia (oder: Achäa) umfasste die peloponnesische und die attische Halbinsel, Teile West- und Mittelgriechenlands und zahlreiche griechische Inseln. Die bedeutendsten Städte waren Korinth, der Sitz des Statthalters (Prokonsuls) der Provinz, und Athen. In beiden Städte hatte Paulus das Evangelium verkündigt.
Der von Nestle-Aland, 27. Aufl. für ursprünglich gehaltene Text bietet nur vor "Makedonien“, nicht aber vor "Achaia“ einen bestimmten Artikel. Dieser Text fasst also Makedonien und Achaia als ein Ziel zusammen. Dagegen sieht die Textvariante, die auch vor "Achaia“ einen bestimmten Artikel bietet, zwei verschiedene Ziele gegeben.
Der Grund, warum Paulus zunächst durch Makedonien und Achaia und dann nach Jerusalem reisen will, bleibt offen, ebenso der Grund, warum er danach auch Rom sehen will. Bezüglich der Reise durch Makedonien und Achaia liegt nahe, dass Paulus die bereits gegründeten Gemeinden stärken will. Möglich ist auch, dass er dort, wo die Mission noch nicht erfolgt oder fehlgeschlagen war, erneut das Evangelium verkündigen wollte.
Fraglich ist, wie das Verb "sehen“ ("idein“) zu deuten ist. Wollte Paulus die Stadt Rom aufgrund ihres Ruhms sehen, also ihre Sehenswürdigkeiten wie ein Tourist anschauen? Oder wollte er nur die Christen und ihr Lebensumfeld sehen? Beinhaltet das Verb "sehen“ vielleicht eine die Gemeinde stärkende Aktivität? Gab es in Rom überhaupt schon eine Gemeinde? Oder wollte Paulus diese gründen? Oder wollte er trotz einer schon bestehenden Gemeinde in Rom weiter das Evangelium verkündigen? Sollte der geplante Besuch schon der Mission dienen oder sollte es ein Besuch sein, der eine spätere Mission vorbereitete?
Paulus versteht den Rom-Besuch als ein Muss. Ist dies als dringliches inneres Verlangen zu verstehen? Oder handelt es sich um eine Verpflichtung, die er sich selbst auferlegt hat oder die ihm von anderen auferlegt wurde? Oder ist an den göttlichen Plan gedacht, wonach das Wirken des Paulus in Rom zur Erfüllung kommen muss?
Der Entschluss kann − in Verbindung mit der Erfüllung "dieser Dinge“ - als ein entscheidender Wendepunkt verstanden werden: Mit der Reise durch Makedonien und Achaia wird die dritte Missionsreise zu einem Ende geführt und dann in Jerusalem abgeschlossen. Jerusalem und Rom stellen schließlich die beiden Stationen des letzten Abschnittes des Weges des Paulus dar. Apg 19,21-28,31 kann somit "Paulus als Zeuge des Evangeliums in Jerusalem und Rom“ betitelt werden, auch wenn Paulus gemäß 19,22 noch eine Zeit lang in Ephesus verweilt.
Weiterführende Literatur: C. Burfeind 2000, 75-91 versucht zu zeigen, dass die Theologie des Lukas eine Rom-kritische Pointe habe. Während die Heidenmission auf der ersten Missionsreise des Paulus theologisch legitimiert werde und die Unabhängigkeit dieser Heidenmission von der Synagoge auf der zweiten Missionsreise, werde mit dem Bericht von der Romreise des Paulus die politische Relevanz dieser Universalisierung der Christusverkündigung deutlich: Im gesamten Prozessgeschehen vor römischen Behörden und schließlich in Rom selbst bezeuge Paulus, dass der Christus auch der "Herr“ ("Kyrios“) ist. Die Verkündigung des Gottesreiches betreffe das Römische Reich und relativiere dessen Herrschaftsanspruch. Das zu verkündigen müsse Paulus nach Rom.
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Beobachtungen: Timotheus war einer der wichtigsten Mitarbeiter des Paulus. Gemäß 18,5 war er (mit Silas) in Korinth nach einer kurzzeitigen Trennung wieder zu Paulus hinzugestoßen. Von da an verschwindet er jedoch von der Bildfläche. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass er Paulus von Korinth nach Ephesus begleitet hat. Da in 19,22 vorausgesetzt wird, dass sich Timotheus in Ephesus oder Umgebung aufhielt, muss er mit Paulus zusammen oder nach diesem nach Ephesus gereist sein.
Ein Mann namens Erastus wird auch im Römerbrief (16,23) und im Zweiten Timotheusbrief (4,20) erwähnt. Fraglich ist, ob der Paulus dienende Erastus mit demjenigen der anderen beiden Bibelstellen identisch ist. Als Argument für eine Identität zumindest mit dem in Röm 16,23 genannten Erastus kann angeführt werden, dass der Name des zweiten in Apg 19,22 genannten Dieners, Timotheus, auch in Röm 16,21 auftaucht und somit Erastus und Timotheus in einer engeren Beziehung zueinander stehen. Allerdings kann das zweimalige Auftauchen des gleichen Namens an gleicher Stelle aber auch reiner Zufall sein. Für einen Zufall spricht, dass der in Röm 16,23 erwähnte Erastus ein Stadtkämmerer war. Als solcher dürfte er ortsgebunden gewesen sein und kaum die Möglichkeit gehabt haben, sich für das Evangelium nach Makedonien und Achaia auf eine Reise zu begeben, die längere Abwesenheit von seinem Amt mit sich brachte. Wenn man davon ausgeht, dass der Römerbrief in Korinth verfasst wurde, dann ergibt sich im Hinblick auf Erastus, dass dieser sein Amt wohl in Korinth ausübte. Dann stellt sich jedoch die Frage, warum er sich gemäß Apg 19,22 in Ephesus oder Umgebung aufhielt. Auch der in 2 Tim 4,20 genannte Erastus wird mit Korinth verbunden, denn von ihm heißt es, dass er in Korinth blieb. Bezüglich des Zweiten Timotheusbriefes ist zu bedenken, dass dieser vermutlich nicht von Paulus stammt, sondern von einem späteren Verfasser. Es ist also anzunehmen, dass dieser Brief mit Blick auf die schon vorliegenden paulinischen Briefe und vielleicht auch auf die Apostelgeschichte geschrieben wurde und der Eindruck vermittelt werden sollte, dass Paulus als herausragende Autorität tatsächlich den Brief verfasst hat. Vielleicht hat der Verfasser des Zweiten Timotheusbriefes bei der Erwähnung von Erastus auch gar nicht den von Paulus bzw. vom Verfasser der Apg erwähnten Erastus im Blick gehabt, sondern einen anderen.
Offen bleibt, inwiefern Timotheus und Erastus Paulus dienten. Ist das Dienen so zu verstehen, dass Timotheus und Erastus dem Paulus bei der Verkündigung des Evangeliums halfen? Oder ist an einen konkreten Dienst gedacht? Als ein konkreter Dienst kommt insbesondere die Hilfe bei der Kollekte für die "Heiligen“ in Jerusalem infrage. Mit dieser Kollekte wird in 2 Kor 8,19-20 und Röm 15,25 das Verb "dienen“ ("diakoneô“) und in 2 Kor 8,4; 9,1.12-13; Röm 15,31 das Substantiv "Dienst“ ("diakonia“) in Verbindung gebracht. Dass Timotheus und Erastus Paulus − und nicht etwa Gott, Jesus Christus oder den "Heiligen“ in Jerusalem -dienten, zeigt, dass sie ihm untergeordnet waren. Eine Kollekte konnte besonders gut von einem Stadtkämmerer durchgeführt werden. Dies kann als ein Argument dafür vorgebracht werden, dass es sich bei dem gemäß Apg 19,22 nach Makedonien gesandten Erastus um den in Röm 16,21 genannten Stadtkämmerer Erastus handelte. Aber sollte dieser in finanziellen Dingen qualifizierte Mann tatsächlich bei der Kollekte dem Paulus untergeordnet gewesen sein?
Der "Dienst“ der Kollekte würde auch verständlich machen, warum Paulus nochmals durch Makedonien und Achaia ziehen wollte: Er wollte die Kollekte einsammeln und dann nach Jerusalem bringen. Damit wäre auch der Grund für die geplante Jerusalemreise klar.
"Asien“ ("Asia“) ist hier sicherlich nicht die Bezeichnung des Kontinentes, sondern die Bezeichnung der römischen Provinz Asien (Asia). Diese bestand aus dem Gebiet des ehemaligen Königreichs Pergamon, das 133 v. Chr. als Erbschaft an das Römische Reich gefallen war. Die Hauptstadt der Provinz Asien war Ephesus. Wenn Paulus noch eine Zeit lang in der Provinz Asien verweilte, so lässt dies offen, ob er in der Hauptstadt blieb oder auch anderswo in der Provinz wirkte.
Es wird nicht der Grund genannt, warum Paulus noch eine Zeit lang in der Provinz Asien blieb. Dass er Timotheus und Erastus nach Makedonien voraussandte, lässt sich am ehesten damit erklären, dass diese die Einsammlung der Kollekte vorbereiten oder sogar schon mit der Einsammlung beginnen sollten.
Es stellt sich die Frage, ob die Entsendung des Timotheus mit der in 1 Kor 4,17; 16,10 angekündigten identisch ist. Da der Erste Korintherbrief vermutlich in die frühe Zeit des paulinischen Wirkens zu datieren ist, ist eine Identität unwahrscheinlich.
Wieso verschweigt der Verfasser der Apg in seinem Werk konsequent die Kollekte? Maß er ihr keine besondere Bedeutung zu? Wollte er nicht die Kollekte in den Mittelpunkt stellen, sondern die Verkündigung des Evangeliums, die Stärkung der Gemeinden und/oder den göttlichen Willen, den göttlichen Heilsplan?
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Burfeind, Carsten; Paulus muß nach Rom. Zur politischen Dimension der Apostelgeschichte, NTS 46 (2000), 75-91