Apg 21,20-25
Übersetzung
Apg 21,20-25:20 Als sie es hörten, priesen sie (den) Gott und sagten zu ihm: "Du siehst, Bruder, wie viele Zehntausende unter den Juden zum Glauben gekommen sind, und alle sind Gesetzeseiferer. 21 Es ist ihnen aber über dich berichtet worden, du würdest allen Juden, die unter den Heiden sind, Abfall von Mose lehren, indem du sagst, sie sollen die Kinder nicht beschneiden und nicht nach den Gebräuchen wandeln. 22 Was (ist) nun? Jedenfalls werden sie hören, dass du gekommen bist. 23 Tu nun das, was wir dir sagen: Wir haben vier Männer, die ein Gelübde auf sich [genommen] haben. 24 Nimm diese zu dir, lass dich mit ihnen reinigen und übernimm die Kosten für sie, damit sie sich das Haupt scheren lassen können. Und alle werden erkennen, dass nichts an dem ist, was über dich berichtet worden ist, sondern dass du ordentlich wandelst und selbst das Gesetz befolgst. 25 Was aber die gläubig gewordenen Heiden betrifft, haben wir beschlossen und brieflich angeordnet, dass sie sich sowohl vor dem Götzenopferfleisch als auch vor Blut, Ersticktem und Unzucht hüten sollen.“
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Beobachtungen: Der Inhalt von 21,20-25 ist die Reaktion des Jakobus (des Herrenbruders) und der bei Jakobus versammelten Ältesten der Jerusalemer Gemeinde auf die detaillierte Schilderung des Petrus, was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst getan hatte (vgl. V. 19).
Bei dem Verb "edoxazon“ ("sie priesen“) handelt es sich um ein Imperfekt. Es handelte sich also nicht um einen plötzlichen Lobpreis aller, der eine Zeit lang dauerte und dann wieder verstummte, sondern um einen dauerhaften Lobpreis infolge der Schilderung des Paulus.
Da die Anwesenden Gott nach der Schilderung priesen, können sie nichts gegen den Dienst unter den Heiden gehabt haben. Der Dienst unter den Heiden war entweder die Kollekte unter den heidenchristlichen Gemeinden oder − was wahrscheinlicher ist − die missionarische Tätigkeit, die insbesondere die Verkündigung des Evangeliums und den Gemeindeaufbau umfasste. Die Anwesenden hatten also nichts gegen die erfolgte Kollekte oder die missionarische Tätigkeit bei den Heiden.
Eine u. a. vom Codex Bezae Cantabrigiensis gebotene, abweichende Lesart ersetzt "Gott“ ("theos“) durch "Herr“ ("kyrios“). Gott wird also als der "Herr“ der anwesenden Lobpreisenden angesehen.
"Ihm“ bezieht sich auf Paulus, nicht auf Gott. Jakobus und die bei ihm versammelten sprachen also zu Paulus, nicht zu Gott.
"Viele Zehntausende“ meint wahrscheinlich "eine große Menge“. Wenn eine große Menge Juden zum Glauben gekommen sind, dann bedeutet das, dass die Mission unter den Juden erfolgreich verlaufen ist. Dabei ist weder gesagt, wo die missionierten Juden lebten, noch, dass Paulus es war, der sie zum Glauben an Jesus Christus bekehrt hat.
Es stellt sich die Frage, welches "Gesetz“ ("nomos“) gemeint ist. Dass es Juden waren, die zum christlichen Glauben gekommen waren, lässt daran denken, dass das "Gesetz“ das "Gesetz des Mose“, also die Tora (= fünf Bücher Mose), war. Da die Juden aber zum christlichen Glauben gekommen waren, ist aber auch möglich, dass es sich um ein "Gesetz Christi“ handelte, also um christliche Handlungsmaximen. Und da "Gesetz“ nicht weiter konkretisiert wird, ist auch nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein weltliches Gesetz handelte, vielleicht um das im Römischen Reich herrschende Recht. Allerdings ist im gesamten Abschnitt 21,20-25 ansonsten nicht vom Römischen Recht die Rede, was diese Deutung unwahrscheinlich macht.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: In V. 21 ist von einem Gerücht die Rede, dessen Urheber nicht genannt werden. Liest man V. 21 isoliert von den folgenden Versen, dann bleibt offen, ob Jakobus und die bei diesem anwesenden Ältesten dem Gerücht glaubten. Offen bleibt auch, ob das Gerücht auf Tatsachen beruhte. Es lässt sich nur sicher feststellen, dass der Inhalt des Gerüchtes ein Vorwurf war. Dieser Vorwurf bezog sich nicht auf die Mission unter den Heiden, sondern auf die Mission unter den in einer heidnischen Umwelt lebenden Juden.
Die "Juden, die unter den Heiden sind“ erscheinen als eine von den "vielen Zehntausenden unter den Juden, die zum Glauben gekommen sind“ (vgl. V. 20) räumlich getrennte Gruppe, denn letztere hat sich nicht selbst vor Ort bei den "Juden, die unter den Heiden sind“ von der Missionspraxis des Paulus informiert, sondern hat ein kursierendes Gerücht aufgeschnappt. Die "Juden, die unter den Heiden sind“ dürften also Juden gewesen sein, die in einem der heidnischen Gebiete lebten, die Paulus während seiner Missionsreisen aufgesucht hatte. Die "vielen Zehntausende unter den Juden, die zum Glauben gekommen sind“, dürften dagegen aus jüdisch geprägten Gebieten, also am ehesten aus Judäa oder Jerusalem gestammt haben. Dies würde auch erklären, warum Jakobus und die bei ihm anwesenden Ältesten so gut über diese Gruppe informiert waren. Ob die zum christlichen Glauben gekommenen Juden Judäas und Jerusalems dem Gerücht über Paulus Glauben schenkten, bleibt offen. Es wird nur deutlich, dass sie aufgrund des Gerüchts ihre Aufmerksamkeit auf Paulus gerichtet hatten. Vermutlich wollten sie nun erfahren, ob an dem Gerücht etwas Wahres dran war.
Der Leser der Apg ist besser informiert. So geht aus 16,3-4; 18,18; 20,6 hervor, dass das Gerücht nicht die Wahrheit wiedergab. Da Paulus dem Jakobus und den bei ihm versammelten Ältesten nur ausführlich über die Heidenmission berichtet hatte, nicht aber über die Mission unter den "Juden, die unter den Heiden sind“, wussten Jakobus und die bei ihm versammelten Ältesten wahrscheinlich nicht über die Wahrheit Bescheid. Somit ist davon auszugehen, dass sie weder dem Gerücht sofort Glauben schenkten noch das Gerücht sofort als Falschaussage abtaten. Auch ihre Aufmerksamkeit gegenüber dem Verhalten des Paulus dürfte gesteigert gewesen sein.
"Mose“ dürfte für das mosaische Gesetz stehen, also für das Gesetz, das den Israeliten durch Mose übermittelt worden war. "Abfall von Mose“ dürfte also gleichbedeutend mit "Abfall vom mosaischen Gesetz“ sein.
Als wesentlicher Aspekt des Haltens des mosaischen Gesetzes wurde die Beschneidung genannt. Daneben war auch allgemein von den "Gebräuchen“ ("ethê“) die Rede. Dabei handelte es sich nicht nur um Gewohnheiten, sondern um verbindliche Regeln, wie sie sich in dem "Gesetz des Mose“, der Tora, fanden.
Wenn die Verführung zum Abfall von Mose, vom mosaischen Gesetz, verurteilt wurde, so ist daraus zu schließen, dass die zum Glauben gekommenen Juden aus der Umwelt des Jakobus und der Ältesten dem Halten des mosaischen Gesetzes große Bedeutung beimaßen. Ihrer Meinung nach hatten Judenchristen das mosaische Gesetz zu halten, gleich ob sie sich in einer heidnischen Umwelt aufhielten oder nicht. Von Heidenchristen dagegen wurde anscheinend das Halten des mosaischen Gesetzes nicht verlangt.
Weiterführende Literatur: D. L. Balch 1993, 369-383 vertritt die These, dass Apg 22-28 im Lichte von 21,21 zu lesen sei. Die Römer hätten u. a. den Juden gestattet, ihre althergebrachte Religion sowie ihre Sitten und Gebräuche beizubehalten. Nun gehe es um die Frage, ob die Christen die althergebrachten, gültigen und menschenfreundlichen mosaischen Bestimmungen wahren wollten.
E. Larsson 1985, 425-436 legt dar, dass Lukas den Paulus zwar weit gehend als toratreu darstelle, Paulus jedoch trotz dieser Toratreue von den jüdischen Glaubensgenossen angegriffen werde. Die Angriffe seien damit zu begründen, dass sich die Vorstellungen von Toratreue bei Paulus und seinen Glaubensgenossen deutlich unterschieden. So habe Paulus angenommen, dass die Zeit der Erfüllung der Tora bereits angebrochen sei. Die jüdischen Glaubensgenossen hätten dagegen die paulinische Lehre und Einstellung gegenüber der Tora als zerstörerisch empfunden und die Unterscheidung zwischen der Heilsbedeutung der Tora und der Funktion der Tora als Norm für das jüdische Leben nicht nachvollziehen können. Die lukanische Konzeption sei von einer latenten Spannung geprägt: Juden und Heiden würden durch die Gnade Jesu gerettet, und zwar durch den Glauben an ihn. Judenchristen müssten dennoch die Gebote der Tora erfüllen. Heidenchristen bräuchten dagegen − mit Ausnahme der Bestimmungen des Aposteldekrets − der Tora nicht zu folgen. Die latente Spannung sei in erster Linie mit der historischen Entwicklung zu erklären.
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Beobachtungen: Die Frage "Was (ist) nun?“ ist im Sinne von "Was ist nun zu tun?“ zu deuten. Da Jakobus und die bei ihm anwesenden Ältesten in V. 23-24 sogleich sagen, was zu tun ist, hat die Frage rhetorischen Charakter.
Der westliche Text fügt ein, dass die Einberufung einer Versammlung notwendig sei. Auf dieser könnte nach Vorstellung dieser Variante der unklare Sachverhalt bezüglich der paulinischen Lehre geklärt werden. Diese Vorstellung widerspricht aber der Tatsache, dass Paulus ja seine Gesetzestreue durch sein Handeln (statt durch Worte) demonstrieren sollte.
"Jedenfalls werden sie hören, dass du gekommen bist“ lässt an die Fortsetzung "und dich zur Rede stellen“ denken. Das persönliche Erscheinen des Paulus in Jerusalem dürfte von den Judenchristen in Jerusalem als eine große Chance angesehen worden sein, etwas über den Wahrheitsgehalt des Gerüchts zu erfahren. Da die Ältesten ahnten, dass Paulus in Jerusalem von den Judenchristen zur Rede gestellt werden würde, mussten sie darüber nachdenken, wie Paulus den Judenchristen seine Unschuld beweisen könnte. Falls sie selbst nicht von der Unschuld des Paulus überzeugt waren, dachten sie vielleicht auch daran, dass Paulus zugleich ihnen seine Unschuld beweisen könnte.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Ob Paulus selbst die "Gebräuche“ befolgte, stand − folgt man streng dem Wortlaut von V. 21 - nicht zur Debatte. Es ging nur darum, ob er Judenchristen, die in einer heidnischen Umgebung lebten, dazu anhielt, die männlichen Neugeborenen zu beschneiden und nach den "Gebräuchen“ zu wandeln. Folglich musste Paulus bei seiner Rechtfertigung nicht beweisen, dass er selbst nach den "Gebräuchen“ wandelte, sondern dass er Judenchristen aus einem heidnischen Umfeld dazu anhielt, nach den "Gebräuchen“ zu wandeln. Wenn Jakobus und die bei ihm anwesenden Ältesten nun vier "Männer“, die ein Gelübde auf sich genommen hatten, als Möglichkeit ansahen, Paulus zur Rechtfertigung zu verhelfen, dann mussten die vier Männer Judenchristen aus heidnischem Umfeld sein. Da Jerusalem und auch Judäa nicht heidnisch, sondern jüdisch geprägt waren, müssen die vier Männer Zugereiste gewesen sein. Vielleicht waren sie nach Jerusalem gekommen, um dort am Wochenfest teilzunehmen. Dann wäre der Reisegrund ein jüdischer gewesen. Sie können aber auch wie Paulus das Verlangen gehabt haben, den Pfingsttag in Jerusalem zu verleben. Dann wäre der Reisegrund ein christlicher gewesen.
Es bleibt offen, was für ein Gelübde die vier Männer auf sich genommen hatten. Es lässt sich nur sagen, dass sie das Gelübde in der Vergangenheit auf sich genommen hatten. Hinsichtlich der Art des Gelübdes ist am ehesten an das Nasiräergelübde zu denken, das in Num 6,1-21 thematisiert wird. Dieses Gelübde nahm ein erwachsener Israelit aus eigenem Antrieb auf sich. Als Nasiräer (Gottgeweihter) verpflichtete er sich dazu, sich von berauschenden Getränken zu enthalten, sich keinem Toten zu nähern und sich nicht die Haare zu schneiden bzw. schneiden zu lassen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Das Verb "hagnizô“ bedeutet "reinigen“ oder "weihen“. Es stellt sich die Frage, warum sich Paulus mit den vier Männern reinigen sollten. Hatten sich die vier Männer während der Zeit des Gelübdes verunreinigt, hatten sie also ein berauschendes Getränk getrunken oder waren sie in der Nähe eines Toten gewesen?
Es stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Imperativs "agnisthêti“ ("lass dich reinigen“). Sollte sich Paulus mit den vier Männern reinigen lassen? Dann würde sich die Frage stellen, warum Paulus sich hätte reinigen lassen sollen. Es ist daran zu denken, dass auch Paulus als "Geweihter“ galt, der ein Gelübde abgelegt hatte. Tatsächlich hatte Paulus ein Gelübde − vermutlich ein Nasiräergelübde − abgelegt, doch hatte er sich bereits vor langer Zeit in Kenchreä seine Haare scheren lassen (vgl. Apg 18,18). Da aber das Scheren der Haare noch nicht das Nasiräergelübde beendete, sondern darüber hinaus ein Opfer erforderlich war, das jedoch im Zusammenhang mit dem Scheren der Haare des Paulus nicht erwähnt wurde, ist daran zu denken, dass das Gelübde des Paulus als noch nicht vollständig abgeschlossen galt. Streng genommen musste das Gelübde in Jerusalem abgeschlossen werden. Möglicherweise konnte das Scheren der Haare wie im Falle des Paulus vorgezogen werden (vgl. mNaz 3,6), das abschließende Opfer musste aber wohl am Jerusalemer Tempel dargebracht werden. Ob sich Paulus tatsächlich in der Zwischenzeit zwischen dem Scheren der Haare in Kenchreä und der Ankunft in Jerusalem verunreinigt hatte, ist unklar. Vielleicht wurde schon die lange Zeit in heidnischen Gebieten als Verunreinigung angesehen oder es war während des Aufenthalts in den heidnischen Gebieten eine Verunreinigung unvermeidlich gewesen.
Dass vom "Scheren des Hauptes“ die Rede ist, weist darauf hin, dass die vier Männer tatsächlich ein Nasiräergelübde auf sich genommen hatte, was zeigt, dass sie dem Judentum verbunden gewesen sein müssen. Das Scheren der (Kopf-)Haare war ein für alle sichtbares Zeichen der Beendigung des Gelübdes. Die Haare sollten im Opferfeuer der Stiftshütte bzw. des Tempels dem Gott Israels dargebracht werden (vgl. Num 6,18). Das Scheren der Haare wird aber auch bei der Verunreinigung durch einen Toten verlangt, und zwar am siebten Tag (vgl. Num 6,9). In diesem Fall hat das Scheren der Haare den Charakter eines Reinigungsrituals, das als solches nicht ausdrücklich in den Bestimmungen des Nasiräergelübdes Num 6,1-21 auftaucht. In Apg 21,24 erscheint allerdings das Scheren der Haare als eigene Handlung neben dem Reinigungsritual, was annehmen lässt, dass es nicht der Reinigung diente, sondern eher ein Zeichen der Beendigung des Gelübdes war. Ein Reinigungsritual vor dem Scheren der Haare findet sich in der Bestimmungen der Mischna zum Nasiräergelübde (vgl. mNaz 6,6).
Da das Scheren der Haare in Apg 21,24 als Folge des Übernehmens der Kosten erscheint, ist davon auszugehen, dass die vier Männer Schwierigkeiten hatten, selbst das Geld für das Scheren der Haare aufzubringen. Vielleicht hatten sie sich aus diesem Grund an einen Ältesten oder mehrere Älteste, vielleicht sogar an das ganze Gremium, gewandt, so dass die Ältesten nun auf die vier Männer hinweisen konnten.
Vielleicht war unerheblich, ob sich Paulus wie die vier Männer verunreinigt hatte oder nicht. Entscheidend könnte gewesen sein, dass Paulus mittels der Reinigung beweisen konnte, dass das Gerücht (vgl. V. 21) nicht auf Tatsachen beruhte. Hätte Paulus aber nur beweisen sollen, dass er nicht die in heidnischer Umgebung lebenden Judenchristen den "Abfall von Mose“ lehrte, dann hätte es gereicht, wenn er die vier Männer dazu angehalten hätte, sich zu reinigen. Der eigenen Reinigung hätte es nicht bedurft. Dieser bedurfte es nur, wenn Paulus zugleich beweisen musste, dass auch er selbst nach den im mosaischen Gesetz niedergeschriebenen "Gebräuchen“ wandelte. Dass er dies beweisen sollte, geht auch ausdrücklich aus V. 24 hervor, womit ein Vorwurf deutlich wird, der mit demjenigen des Gerüchtes V. 21 zwar zusammenhing, aber nicht identisch war: Paulus würde selbst nicht ordentlich wandeln und das "Gesetz des Mose“ befolgen. Wenn sich nun aber Paulus mit dem inzwischen nachgewachsenen Haar zusammen mit den vier Männern reinigen ließ, musste dies auf die Judenchristen sehr merkwürdig wirken, wenn nicht bekannt war, dass Paulus sein Gelübde noch nicht endgültig abgeschlossen hatte. Es musste also vor der Reinigung den Judenchristen vermittelt werden, dass noch das Opfer ausstand, das das Nasiräergelübde endgültig abschloss. Neben dieser Deutung ist auch die Deutung möglich, dass sich Paulus vor dem Betreten des Tempels (vgl. 21,26) reinigen musste.
Jakobus und die bei ihm anwesenden Ältesten hatten sich den Vorwurf, Paulus würde selbst nicht ordentlich wandeln und das "Gesetz des Mose“ befolgen, nicht zu eigen gemacht. Daher diskutierten sie mit Paulus auch nicht über seine Verhaltensweisen und die Paulus aufgetragenen Handlungen dienten folgerichtig nicht der Rechtfertigung ihnen gegenüber, sondern den Judenchristen ihrer Umgebung gegenüber. Offen bleibt allerdings, ob sie sich den im Gerücht V. 21 enthaltenen Vorwurf zu eigen gemacht hatten. Da dieser von Jakobus und den bei ihm anwesenden Ältesten anscheinend in einem engen Zusammenhang mit dem aus V. 24 ersichtlichen Vorwurf gesehen wurde, ist dies nicht wahrscheinlich. Jakobus und die bei ihm versammelten Ältesten hatten also vermutlich kein schlechtes Bild von Paulus. Ein schlechtes Bild scheinen aber zahlreiche Jerusalemer Gemeindeglieder gehabt zu haben. Deshalb schritten wohl Jakobus und die bei ihm versammelten Ältesten ein.
Es bleibt offen, von welchem Geld Paulus das Scheren der Haare der vier Männer bezahlen sollte. Sollte er es mit dem Geld der Kollekte bezahlen? Dann würde sich die Frage stellen, ob das Geld, das ja für die "Heiligen“ der Jerusalemer Gemeinde bestimmt war, tatsächlich der eigentlichen Bestimmung zukam oder nicht eher zweckentfremdet wurde. Für eine Zweckentfremdung spricht, dass die vier Männer, für die letztendlich die Kollekte geschmälert würde, vermutlich nicht aus Jerusalem kamen. Das wäre kein Problem gewesen, wenn das Geld in irgendeiner Form dennoch der Jerusalemer Gemeinde zugute gekommen wäre, vielleicht indirekt durch die Bezahlung der Haarscherer oder durch eine Zahlung an den Tempel. Ob die Haarscherer der Jerusalemer Gemeinde angehörten, ist fraglich, denn es ist erstens nicht klar, dass sie Christen waren, und zweitens müssen sie nicht aus Jerusalem gestammt haben. Dass das Geld dem Jerusalemer Tempel zufloss, wird nicht ausgesagt. Die Haarschneider müssen nämlich nicht im Dienste des Tempels gearbeitet haben. An den Tempel flossen die Gelder für die Opfer, die zum endgültigen Beschluss des Nasiräergelübdes im Tempel dargebracht werden mussten. Es ist aber nicht ausdrücklich die Rede davon, dass diese Opfer, die erst in V. 26 zur Sprache kommen, von Paulus bezahlt wurden. Diese Beobachtungen lassen annehmen, dass Paulus das Scheren der Haare der vier Männer von seinem eigenen Geld bezahlte. Es ist ja nicht gesagt, dass Paulus völlig mittellos war.
Das Verb "stoicheô“ bedeutet genau genommen "in einer Reihe marschieren/gehen“, hat also militärischen Charakter. Auch in V. 24 ist das Gehen nach einer bestimmten Ordnung im Blick, nämlich nach der Ordnung des mosaischen Gesetzes.
Dass Paulus den "vielen Zehntausenden unter den Juden, die zum Glauben gekommen sind“ zeigen sollte, dass er selbst das Gesetz befolgte, lässt darauf schließen, dass auch die "vielen Zehntausenden unter den Juden, die zum Glauben gekommen sind“ das Gesetz befolgten und ihnen wichtig war, dass auch Paulus dies tat. In diesem Sinne dürfte also ihre Charakterisierung als "Gesetzeseiferer“ zu verstehen sein. Das Befolgen des Gesetzes beinhaltete die Beschneidung der Vorhaut des Gliedes der Jungen und Gebräuche wie das Nasiräergelübde. Da sowohl die Beschneidung als auch das Nasiräergelübde im "Gesetz des Mose“ thematisiert wird, dürfte sich das "Gesetz“ auf das "Gesetz des Mose“ beziehen. So erklärt sich auch die Erwähnung des Mose in V. 21. "Abfall von Mose“ war aus Sicht der gesetzestreuen Judenchristen etwas Schlechtes und die Lehre des "Abfalls von Mose“ hätte Paulus diskreditiert.
Weiterführende Literatur: R. Tomes 1995, 194-197 legt dar, dass auf den ersten Blick in Apg 21,23-24 von einem vor der Beendigung stehenden Nasiräergelübde auszugehen sei, jedoch die Hinweise auf eine siebentägige Reinigungsperiode eher darauf hinwiesen, dass hier ein Gelübde vorliegt, das durch Verunreinigung null und nichtig geworden ist. Es gebe zwar Analogien zu Paulus' Rolle bei der Bezahlung der Opfer, aber nicht dazu, dass sich Paulus ebenfalls der Reinigung unterzog. Lukas könne Kenntnisse von Variationen der Bräuche gehabt haben, die uns heute unbekannt sind, aber es sei auch möglich, dass Lukas nur eingeschränkte Kenntnisse der Bräuche hatte.
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Beobachtungen: Nachdem die V. 21-24 von der Mission bei den in einem heidnischen Umfeld lebenden Judenchristen handelten, richtet sich der Blick nun auf die Heidenmission. Aus V. 25 geht ebenso wie aus V. 20 keine Kritik an der Heidenmission hervor, ganz im Gegenteil: die Heidenmission wurde seitens des Jakobus und der bei ihm versammelten Ältesten als geregelt angesehen, und zwar als von ihnen selbst geregelt.
Diesen Sachverhalt betont der Codex Bezae Cantabrigiensis mittels eines Einschubs, der besagt, dass gemäß Jakobus und den bei ihm anwesenden Ältesten die vielen "Zehntausende unter den Juden, die zum Glauben gekommen sind“ wegen der zum Glauben gekommenen Heiden nichts gegen Paulus einzuwenden hatten.
Die in 21,25 genannten Bestimmungen entsprechen − bei kleinen Abweichungen − den in 15,20 genannten Bestimmungen. Da diese den verschiedenen Gemeinden mittels Briefen bekanntgegeben worden waren, taucht in 21,25 ebenso wie in 15,20 das Verb "epistellô“ ("brieflich mitteilen“ oder "brieflich auftragen/vorschreiben“) auf.
Dass den Heidenchristen nur vergleichsweise wenige Bestimmungen auferlegt worden waren, macht deutlich, dass sie sich nicht an das gesamte "Gesetz des Mose“ zu halten brauchten. So brauchten sie beispielsweise nicht das Beschneidungsgebot zu befolgen. Allerdings waren die Heidenchristen auch nicht gänzlich von den Bestimmungen des mosaischen Gesetzes befreit.
Neben der von 15,20 abweichenden Reihenfolge derjenigen Dinge, vor denen sich die Heidenchristen hüten sollten, ist in 21,25 − wie auch in 15,29 - die Nennung des Begriffs "Götzenopferfleisch“ ("eidôlothyton“) bemerkenswert. In 15,20 ist dagegen von "Befleckungen der Götzen“ ("alisgêmatôn tôn eidôlôn“) die Rede. Bei dem "Götzenopferfleisch“ handelte es sich um Fleisch von Tieren, die heidnischen Göttern geopfert worden waren. Die Fleischstücke, die nicht bei dem Opfer vernichtet worden waren, wurden von den Anhängern des heidnischen Kultes verspeist. Die Christen, die sich vom heidnischen Glauben losgesagt hatten, sollten solches Fleisch, das auf dem Markt verkauft wurde (vgl. 1 Kor 10,25-27), ablehnen und möglicherweise auch die Versammlungen, bei der das Götzenopferfleisch verspeist wurde, grundsätzlich meiden.
Das Blut (haima) ist die Flüssigkeit, die den menschlichen und tierischen Körper zum Transport von Sauerstoff und Nährstoffen durchströmt. Blut kann aus dem Menschen oder Tier austreten, und zwar sowohl bei einem (noch) lebenden als auch bei einem sterbenden oder toten Menschen bzw. Tier. Aus einem lebenden Menschen oder Tier kann das Blut auf natürliche Weise austreten, aber auch auf unnatürliche durch Gewalteinwirkung. Natürlicher Blutaustritt erfolgt durch Körperöffnungen. So erfolgt die Regelblutung (Menstruation) durch die Scheide der Frau aufgrund des natürlichen Regelzyklus'. Nasenbluten kann entstehen, wenn ein Blutgefäß in der Nasenschleimhaut platzt. Auf unnatürliche Weise tritt Blut aus dem Menschen bzw. Tier bei Verletzungen oder bei einer Operation aus. Blut kann auch austreten, wenn ein Mensch ermordet und ein Tier z. B. durch Schlachtung getötet wird. Auch ein eben gestorbener Mensch oder ein eben gestorbenes Tier kann Blut verlieren, was insbesondere bei einem geschlachteten Tier, das ausbluten soll, der Fall ist. Die verschiedenen Arten der Blutverluste sind jedoch nicht die einzigen Möglichkeiten des Kontaktes des Menschen mit fremdem Blut. Mit Blut kann der Mensch auch über Nahrungsmittel wie Wurst oder Fleisch und bei Opferzeremonien in Kontakt kommen, bei denen Blut an den Altar gesprengt oder andersartig genutzt wird. Versteht man unter "sich hüten vor“ jeglichen Kontakt, dann muss sich der Heidenchrist vor allen genannten Kontaktmöglichkeiten schützen. Möglich ist aber auch ein eingeschränktes Verständnis von "sich hüten vor“, wie der Verzicht auf den Genuss jeglicher bluthaltiger Lebensmittel. Das Verb "sich hüten vor“ kann auch mit der Abwendung vom Götzendienst in Verbindung gebracht werden, was bedeuten würde, dass heidnische Opferriten samt ihrer rituellen Verwendung von Blut gemieden werden. Und schließlich bleibt auch als Möglichkeit, dass "Blut“ im Sinne von "Blutvergießen“ zu verstehen ist. Dann wäre Heidenchristen Gewaltanwendung bis hin zu Mord und Totschlag untersagt. Deutet man die Vorschrift, sich von Blut zu enthalten, auf dem Hintergrund der Gebote der Tora (= fünf Bücher Mose), dann liegt es nahe, "sich hüten vor Blut“ ebenso wie "sich hüten vor Ersticktem“ als Enthaltung von Fleisch, das man nicht durch eine fachgerechte Schlachtung hat ausbluten lassen, zu verstehen. Dann wären jedoch die zweite und die dritte Enthaltungsvorschrift eine Doppelung. Folglich ist entweder für "sich hüten vor Ersticktem“ eine andere Bedeutung anzunehmen oder die Bedeutung von "sich hüten vor Blut“ anders oder weiter zu fassen. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Tora auch der Verunreinigung durch Körperflüssigkeiten wie Blut, wobei insbesondere auf die Bestimmungen bezüglich des Reinigungsblutes bei einer Geburt (vgl. Lev 12,1-8) und bezüglich des Menstruationsblutes (vgl. Lev 18,19) hinzuweisen ist. Wahrscheinlich sollten die Heidenchristen auch diese Bestimmungen beachten.
"Pniktos“ bedeutet "erstickt“ oder "erwürgt“. Doch was ist mit dem "Erstickten/Erwürgten“ in Apg 15,20 gemeint? Ist der Kontakt mit einem erstickten oder erwürgten Menschen oder Tier verboten? Oder der Verzehr des Fleisches von einem erstickten oder erwürgten Tier? Oder ist das Verbot im Blick, einen Menschen oder ein Tier zu erwürgen oder zu ersticken oder grundsätzlich zu töten? Am wahrscheinlichsten ist, dass an das Verbot gedacht ist, Fleisch von Tieren zu essen, das man nicht durch eine fachgerechte Schlachtung hat ausbluten lassen (vgl. Gen 9,4; Ex 22,30; Lev 3,17; 7,23-27; 17,10-15; 19,26; Dtn 12,16.20-28; 15,23; 1 Sam 14,32-34; Ez 33,25; Weish 12,3-5).
Das Substantiv "porneia“ ("Unzucht“) ist vom Verb "pernêmi“ ("verkaufen“) abgeleitet. Von daher ist zunächst die Prostitution gemeint, bei der es sich um käufliche körperliche Liebe handelt. In der Antike handelte es sich bei den Prostituierten häufig um Sklavinnen. Auch gab es im Zusammenhang mit heidnischen Fruchtbarkeitsriten kultische Prostitution. Darüber hinausgehend meint das Wort "porneia“ in der weiteren Bedeutung allgemein den illegitimen Geschlechtsverkehr, zu dem auch die Prostitution gehört. Illegitim ist jeder Geschlechtsverkehr mit einer Person, mit der keine feste partnerschaftliche Bindung, eine Ehe, besteht. Da das Christentum von der Einehe ausgeht, kann legitimer Geschlechtsverkehr während des Bestehens der Ehe auch nur mit dem einen Ehepartner oder der einen Ehepartnerin erfolgen. Im AT bezeichnet die Formulierung "sich eine Frau nehmen“ die Eheschließung, wobei der Mann als die aktive, treibende Kraft erscheint. Dieser ist somit auch "Herr“ über das Geschlechtsorgan der Frau, so dass bei Nachkommen klar ist, dass diese vom Ehemann stammen. Der Vater ist folglich nachweisbar. Da der Ehebruch ("moicheia“) diese Ordnung zerstört, ist er im Hinblick auf den illegitimen Geschlechtsverkehr an erster Stelle zu nennen. Welche weiteren Arten der Sexualität von Jakobus als illegitim angesehen wurden, bleibt wegen der fehlenden Erklärung des Wortes "porneia“ offen. Zu denken ist insbesondere an Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten, der in Lev 18,6-18 thematisiert wird, und an die verschiedenen Bestimmungen des Abschnittes Lev 18,19-23.
Die Reihenfolge derjenigen Dinge, vor denen sich die Heidenchristen hüten sollten, entspricht Apg 15,29. Wie ist zu erklären, dass die "Unzucht“ nicht mehr wie in 15,20 an zweiter, sondern an vierter und damit letzter Stelle genannt wird und die "Enthaltung von Blut“ − anders als in 15,20 - vor statt nach der "Enthaltung von Ersticktem“? Am ehesten lassen sich die Umstellungen mit einer Anpassung an die Reihenfolge in Lev 17-18 erklären. So finden sich in Lev 17,1-9 Bestimmungen zum Opfer und Opferfleisch, in 17,10-16 Bestimmungen zum Blutgenuss und in 18,6-23 Bestimmungen zur Unzucht.
Weiterführende Literatur: Wenn es Apg 21,25 heißt, dass Anordnung erging, so weise dies laut A. Strobel 1981, 81-104 relativ unmissverständlich auf Briefboten und autorisierte Sendlinge hin. Diese apostolisch autorisierten Überbringer des Dekrets seien vermutlich mit den Gegnern des Paulus in Galatien und Korinth zum Ende der sogen. Dritten Missionsreise identisch. Das theologische Gewicht des Zeugnisses von Apg 21,18ff. beruhe darin, dass Paulus mit der Anerkennung der ihm und den Heidenchristen zugemuteten Auflagen des Dekrets nun nicht mehr das Ringen um die Wahrheit über die Einheit der Kirche stellt, sondern am Ende den Gesichtspunkt der Einheit dem Kampf um die Wahrheit vorordnet.
J. Jervell 1995, 227-243 stellt die Frage: Warum eigentlich das Aposteldekret 15,20.29; 16,4; 21,25? Er zählt verschiedene, seitens der Ausleger gegebene Antworten auf diese Frage auf: a) Ermöglichung der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden; b) Ablösung des Gesetzes; c) Freiheit vom Gesetz; d) Auflegung von einzelnen Teilen des Gesetzes; e) Kontinuität zum alten Gottesvolk; f) Konzession an die Heidenchristen bzw. Judenchristen; g) freiwilliger Verzicht; h) Glaubensbewährung. Die Antwort von J. Jervell lautet: Das Gesetz des Mose als das Gesetz des Gottesvolkes bedeute für Lukas ein Bekenntnis zu dem einen Gott Israels und somit auch Abwehr gegen den Götzendienst. Das Dekret verbinde die Heiden mit dem Gesetz, somit auch mit Israel und solle durch die vier Regeln Götzendienst abwehren und die Reinheit des Gottesvolkes bewahren.
Mit den Varianten und der Geschichte des Aposteldekrets befasst sich C.-B. Amphoux 2002, 209-226. Ergebnis: Zum Zeitpunkt der Jerusalemer Apostelversammlung um 50 n. Chr. habe das Aposteldekret noch nicht existiert. Die Apostelversammlung sei so abgelaufen, wie es in Gal 2,1-10 geschildert wird, und habe nur zur Trennung der paulinischen und petrinischen Missionsgebiete geführt, nicht jedoch zum Aposteldekret. Auch die erste redaktionelle Überarbeitung der Apg durch einen Paulus nahe stehenden Antiochener habe weder ein Aposteldekret noch einen Pastoralbrief gekannt. Vielmehr sei das von Jakobus herangezogene "noachitische Gesetz“ (Gen 9,1-17) in Form einer Rede des Jakobus in den Mittelpunkt gestellt worden, wobei sich der eigentliche Wortlaut in Apg 21,25 finde. Erst viel später, um 160 n. Chr., sei aus gegebenem Anlass im Zuge der letzten redaktionellen Überarbeitung der Apg die Apostelversammlung in den Mittelpunkt gerückt worden. Als deren Ergebnis habe man ein auf einer Übereinkunft der Teilnehmer beruhendes Aposteldekret ersonnen, dessen Formulierung vom "noachitischen Gesetz“ geprägt sei. Diese fiktive Übereinkunft über wichtige, das Gesetz betreffende Fragen, sei einige Jahre später, gegen 175, zu reinen Speisegeboten (ohne das Verbot der Unzucht) umformuliert worden. Origenes schließlich habe wieder das Verbot der Unzucht eingefügt und somit dem Aposteldekrets seine Doppeldeutigkeit gegeben.
Mit der Deutung von Apg 15 in den ersten christlichen Jahrhunderten befasst sich C. Gianotto 1996, 123-141, wobei sein Hauptaugenmerk auf dem sogenannten Aposteldekret liegt. Er geht zunächst auf den Text und dessen Varianten ein und befasst sich dann mit dem Fortleben der Speisegebote in den ersten christlichen Jahrhunderten und mit der zunehmend ethischen Deutung der Reinheitsgebote. Abschließend geht er darauf ein, wie im Rahmen der innerchristlichen Auseinandersetzungen (insbesondere mit Markion und seinen Anhängern) auf den Text Bezug genommen wurde.
Der Frage nach dem Verhältnis von Israel und Kirche geht M. Neubrand 2006 nach, die auf S. 39-79 einen Überblick über die lukanische Sicht von "Israel“ und "Kirche“ in der gegenwärtigen ntl. Forschung gibt. Auf das "Jerusalemer Abkommen“ im Kontext der Jakobusrede geht sie auf S. 220-249 ein. Das so genannte Aposteldekret (15,20.29; 21,25), dessen Einhaltung der Herrenbruder Jakobus und die Jerusalemer Versammlung nach lukanischer Darstellung für die nichtjüdische Christusanhängerschaft für unerlässlich hielten, lasse sich in diesem Zusammenhang als Bestätigung des neuen Erwählungsstatus' der nichtjüdischen Christusanhängerschaft verstehen. Es fordere das, was unerlässlich ist für diejenigen aus den Völkern, die sich zum Gott Israels hinkehren und als "Volk (Gottes) aus den Völkern“ anerkannt werden.
Mit dem Apostelkonvent und Aposteldekret, mit dem Aposteldekret und historischen Paulus sowie mit den Nachwirkungen des Aposteldekrets befasst sich O. Böcher 1989, 325-336. Zum Aposteldekret: Nur die Reihenfolge der Verbote in Apg 15,29; 21,25 entspreche derjenigen von Lev 17-18; ob die Reihenfolge Apg 15,20 ursprünglich ist, das Aposteldekret also nachträglich auf Grund der Schriftbelege geordnet wurde, lasse sich nicht entscheiden. Was gemeint ist, könne nicht zweifelhaft sein: "Götzenopferfleisch“ sei Fleisch aus nichtjüdischer Schlachtung, möglicherweise Überbleibsel von heidnischen Fleischopfern (vgl. 1 Kor 8,1-13); "Blut“ denke an den Blutgenuss, nicht an das Blutvergießen. "Ersticktes“ sei nicht geschächtetes, in seinem Blut gleichsam ersticktes Fleisch; "Unzucht“ bedeute den Verstoß gegen die normen der jüdischen Sozialethik, darunter gewiss auch − aber sicher nicht ausschließlich − das Verbot der Verwandtenehen (Lev 18,6-18). Neben dem ethischen sei der rituelle Aspekt der "Unzucht“ zu bedenken: "Unzucht“ verunreinige genauso wie der Genuss verbotener Speisen. Der sog. Westliche Text der Apg biete eine Variante des Dekrets, die den Sinn vom Rituellen ins Ethische verschiebt. An allen drei Stellen (Apg 15,20.29; 21,25) sei die Erwähnung des "Erstickten“ getilgt worden. Dadurch sei eine dreigliedrige Vorschrift entstanden, deren Verbote auf Götzendienst, Blutvergießen und Unzucht − letztere nunmehr als ethisches Delikt − bezogen werden müssten. Die in einer Variante von Apg 15,20.29 den Verboten angefügte "Goldene Regel“ erweitere die Warnung vor den drei "Todsünden“ Götzendienst, Mord und Unzucht zu einer Art von Katechismus. Offenbar stehe diese jüngere, ethisierte Fassung des Aposteldekrets hinter den drei kleinen Lasterkatalogen der Johannesapokalypse, Offb 9,20-21; 21,8; 22,15.
C. H. Savelle 2004, 449-468 befasst sich mit Ursprung, Absicht und Bedeutung der vier Bestimmungen des Aposteldekrets. Ergebnis: Die ursprüngliche Fassung der Bestimmungen gebe vermutlich der alexandrinische Text wieder. Die leichten Abweichungen bei den Aufzählungen in den verschiedenen Versen seien wohl stilistischer Art und nicht weiter von Bedeutung. Woher die Verbote konkret stammen können, sei nicht auszumachen. Die in der Forschung ausgemachten Quellen sagten mehr über das Ethos, das zu den Verboten führte, als über die Herkunft aus. Am wahrscheinlichsten sei, dass alle vier Verbote in einem gewissen Maß mit heidnischen religiösen Praktiken zusammenhingen. Durch die Befreiung der Heidenchristen von der Notwendigkeit der Beschneidung einerseits und die Vermeidung von Ärgernissen für die Judenchristen andererseits habe die Einheit von Heiden- und Judenchristen gestärkt werden sollen. Die untersagten Handlungen hätten einen offensichtlich anstößigen Punkt, nämlich unerlaubte sexuelle Handlungen, und drei weniger offensichtliche, aber nichtsdestotrotz in hohem Maße anstößige Punkte, nämlich den Götzen geopfertes Fleisch, das Essen des Fleisches von erdrosselten Tieren und das Essen von blutigem Fleisch eingeschlossen.
F. Vattioni 1981, 745-770 untersucht die Bedeutung des Begriffs "Blut“ in einer Vielzahl von biblischen und außerbiblischen Textstellen und kommt im Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs im Aposteldekret zu folgendem Ergebnis: Im Aposteldekret werde das Essen von Blut und von blutigem Fleisch verboten.
Einen Überblick über die Forschung zum Aposteldekret in der Fassung des westlichen Textes gibt J. Delobel 1998, 67-81. Die Entstehung und Entwicklung des westlichen Textes sei ein komplexes Phänomen, das Anlass zu völlig unterschiedlichen Theorien gebe. Es sei schwierig, die neueren Theorien miteinander zu vergleichen oder einander gegenüber zu stellen. Sie gingen von völlig verschiedenen Sichtweisen aus und seien methodisch kaum miteinander in Einklang zu bringen. Im Rahmen des Forschungsüberblicks findet sich eine eingehende, kritische Auseinandersetzung mit den Begründungen von M.-É. Boismard; A. Lamouille und W. A. Strange für die Ursprünglichkeit des westlichen Textes.
J. J. Scott 1983, 171-183 geht der Frage nach, welche Lebenssituationen das Aufkommen und die Entwicklung der verschiedenen Textvarianten begünstigten.
Literaturübersicht
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Amphoux, Christian-B.; Les variantes et l’histoire du “décret apostolique”. Actes 15,20.29; 21,25, in: A. Denaux [éd.], New Testament Textual Criticism and Exegesis (BETL 161), FS Delobel, Leuven 2002, 209-226
Balch, David L.; “You teach all the Jews…to forsake Moses, telling them not to…observe the customs” (Acts 21:21; cf. 6:14), SBL.SPS 32 (1993), 369-383
Böcher, Otto; Das sogenannte Aposteldekret, in: H. Frankemölle, K. Kertelge [Hrsg.], Vom Urchristentum zu Jesus, FS J. Gnilka, Freiburg i. Br. − Basel − Wien 1989, 325-336
Delobel, Jean; The “Apostolic Decree” in Recent Research on the “Western” Text of Acts, in: J. Keřkovský u. a. [Hrsg.], EPITOAUTO, FS P. Pokorný, Prag 1998, 67-81
Gianotto, Claudio; L’interpretazione di Atti 15 nei primi secoli cristiani, ASEs 13/1 (1996), 123-141
Jervell, Jacob; Das Aposteldekret in der lukanischen Theologie, in: T. Fornberg, D. Hellholm [eds.], Texts and Contexts, Oslo 1995, 227-243
Larsson, Edvin; Paul: Law and Salvation, NTS 31/3 (1985), 425-436
Neubrand, Maria; Israel, die Völker und die Kirche. Eine exegetische Studie zu Apg 15 (SBS 55), Stuttgart 2006
Savelle, Charles H.; A Reexamination of the Prohibitions In Acts 15, BS 161/4 (2004), 449- 468
Scott, J. Julius; Textual Variants of the “Apostolic Decree” and their Setting in the Early Church, in: M. Inch, R. Youngblood [ed.], The Living and Active Word of God, FS S. J. Schultz, Winona Lake, Indiana 1983, 171-183
Strobel, August; Das Aposteldekret als Folge des antiochenischen Streites. Überlegungen zum Verhältnis von Wahrheit und Einheit im Gespräch der Kirchen, in: P.-G. Müller [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. 1981, 81-104
Tomes, Roger; Why Did Paul Get His Hair Cut? (Acts 18:18, 21:23-24), in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 188-197
Vattioni, Francesco; Il significato di “sangue” nel decreto apostolico, in: F. Vattioni [ed.], Sangue e antropologia biblica, vol. 2 (Centro Studi Sanguis Christi 1), Roma 1981, 745-770