Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (Apg 21,18-26,32)

Apg 26,24-29

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 26,24-29

 

 

Übersetzung

 

Apg 26,24-29:24 Als er dies zu seiner Verteidigung vorbrachte, sprach (der) Festus mit lauter Stimme: "Du bist von Sinnen, Paulus! Das viele Studieren treibt dich in [den] Wahnsinn.“ 25 (Der) Paulus aber entgegnete: "Ich bin nicht von Sinnen, erlauchter Felix, sondern äußere Worte von Wahrheit und Besonnenheit. 26 Über diese Dinge weiß ja der König, zu dem ich auch freimütig rede, Bescheid. Dass ihm nämlich irgendetwas davon verborgen sei, kann ich überhaupt nicht glauben. Denn das hat sich nicht in einem Winkel zugetragen. 27 Glaubst du, König Agrippa II., den Propheten? Ich weiß, dass du glaubst.“ 28 (Der) Agrippa II. aber zu (dem) Paulus: "Wenig fehlt, und du bringst mich dazu, mich als Christ auszugeben.“ 29 Darauf (der) Paulus: "Ich möchte (den) Gott wohl bitten, dass über kurz oder lang nicht nur du, sondern alle meine heutigen Zuhörer so werden, wie (auch) ich bin, abgesehen von diesen Fesseln.“

 

 

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V. 24

 

Beobachtungen: Mit "er“ ist Paulus gemeint, der zuvor (26,2-23) seine Verteidigungsrede gehalten hatte.

 

"Dies“ bezieht sich auf den Inhalt der vorhergehenden Verteidigungsrede. Dass nur bestimmte Aussagen der Verteidigungsrede im Blick sein könnten, ist nicht zu erkennen.

 

"Zu seiner Verteidigung“ dürfte nicht im Sinne einer Verteidigung bei einer Gerichtsverhandlung gemeint sein, denn gemäß 25,11-12 hatte Paulus den Kaiser angerufen und der Prokurator Festus der Anrufung stattgegeben. Die Verteidigungsrede u. a. vor König Agrippa II. war somit nicht eine Verteidigungsrede bei Gericht, sondern eine Rechtfertigung des Paulus. Die Rechtfertigung diente Paulus dazu, den König Agrippa II. und die anderen Zuhörer von seiner Unschuld zu überzeugen. Das war deshalb wichtig, weil es Agrippa II. oblag, den in der Sache uninformierten Prokurator Festus zu unterrichten und Anklagepunkte für das Begleitschreiben des Festus an den Kaiser zu liefern. Wenn Paulus König Agrippa II. und auch den Prokurator Festus von seiner Unschuld überzeugen konnte, dann konnte er hoffen, dass sich im Begleitschreiben an den Kaiser keine stichhaltigen Anklagepunkte finden würden und er schließlich vom Kaiser freigesprochen würde.

 

Wer von Sinnen ist, redet nicht mit Verstand. Der Prokurator meinte also angesichts der Worte des Paulus, dass diese nicht von Verstand geleitet, also unvernünftig seien. Die Aussage, dass das viele Studieren Paulus in den Wahnsinn treibe, lässt erkennen, dass der Prokurator das unvernünftige Reden des Paulus nicht auf Ekstase zurückführte − es sei denn, man nimmt an, dass er die Ekstase als Folgeerscheinung des übermäßigen Studierens ansah. Einen von Ekstase geprägten Eindruck macht die Verteidigungsrede des Paulus allerdings nicht.

 

Der Prokurator Festus gehörte zwar zu den Zuhörenden, jedoch galt die Rede des Paulus in erster Linie dem eigens mit seiner Schwester Berenike angereisten König Agrippa II., der Paulus hatte persönlich hören wollen (vgl. 25,22). Insofern ist es bemerkenswert, dass es Festus war, der Paulus unterbrach, nicht aber Agrippa II. Dass Festus das Wort ergriff, mag damit zu erklären sein, dass er der Gastgeber war und den Paulus dem König und seiner Schwester vorgestellt hatte (vgl. 25,23-27). Er hatte für den rechten Rahmen der Verteidigungsrede gesorgt, weshalb er auch die Verteidigungsrede unterbrechen konnte.

Dass er die Verteidigungsrede unterbrach, mag damit zu erklären sein, dass ihm als Heiden die christlich geprägten Worte des Paulus, vielleicht insbesondere die Rede von der Auferstehung der Toten, als verrückt vorkamen (vgl. 25,19).

 

Dass es sich bei dem Partizip ("apologoumenou“) des Genitivus absolutus um ein Präsens handelt, weist darauf hin, dass die Rede des Paulus noch nicht beendet war. Festus unterbrach diese also, was vermuten lässt, dass er der Rede mit steigender Erregung zugehört hatte und ihm schließlich der Kragen platzte. Da anzunehmen ist, dass der Verfasser der Apg, der den Auftritt des Paulus vermutlich literarisch gestaltet hat, den Lesern nichts Wichtiges vorenthalten wollte, dürfte aus seiner Sicht Paulus bis zur Unterbrechung durch Festus alles Wesentliche gesagt haben. Insofern ist zu konkretisieren, dass die Rede zwar noch nicht beendet, aber bereits alles Wesentliche gesagt war.

Den emotionalen Aspekt betont auch der Gebrauch der präsentischen Verbform "phêsin“, die wörtlich mit "spricht“ zu übersetzen ist. Das Präsens ist hier wohl als historisches Präsens zu deuten, bei dem ein vergangenes Geschehen besonders lebendig geschildert wird. Das laute Sprechen des Festus ist demnach in der Vergangenheit geschehen und besonders lebhaft gewesen. Entsprechend kann die Übersetzung "sagte/sprach“ oder aber auch − betont man die Lebendigkeit in Verbindung mit der Lautstärke − "rief“ lauten.

 

Der Begriff "gramma“ kann "Buchstabe“, das aus Buchstaben bestehende "Buch“ oder die Beschäftigung mit dem Buch, nämlich das "Studieren“, bedeuten. Hier ist anzunehmen, dass Festus die übermäßige Beschäftigung des Paulus mit Büchern − gemeint sind wohl gelehrte oder heilige, wie die Schriften der hebräischen Bibel − kritisierte, weshalb "ta polla grammata“ ("die vielen Buchstaben“, "die vielen Bücher“, "das viele Studieren“) am besten mit "das viele Studieren“ zu übersetzen ist. Das viele Studieren treibe Paulus in den Wahnsinn, also zu den nicht vernunftgemäßen Aussagen der Verteidigungsrede.

 

Weiterführende Literatur: F. Crouch 1996, 333-342 befasst sich mit der Form, der rhetorischen Dynamik und dem Überzeugungspotenzial der paulinischen Verteidigungsrede. Die Verteidigungsrede folge konventionellen griechisch-römischen rhetorischen Regeln und diene einer weiter gefassten Erzählabsicht. Die Kürze der Rede mache es schwer, das traditionelle Format zu erkennen, auch wenn man die Rede in Einführung (26,2-3), Erzählung (narratio; 26,4-8), Beweisführung (26,9-18) und Nachwort (26,19-23) einteilen könne. Die Unterbrechung des redenden Paulus durch Festus erschwere darüber hinaus den Versuch, die Struktur der Rede heraus zu arbeiten, denn es sei nicht klar, ob Paulus die Rede beenden konnte. Allerdings sei die Struktur für das Überzeugungspotenzial der Rede nachrangig.

 

Laut S. Lücking 1998, 115-130 habe Festus die bloße Erwähnung von "den Propheten und Mose“ (vgl. 26,22) - einem gängigen Klischee entsprechend −dahingehend missverstanden, dass die Diskussionen unter den Juden etwas mit der Auslegung von Schriften zu tun haben, bei der es um jeden Buchstaben geht (vgl. Mt 5,18). Es stelle sich allerdings die Frage, ob es sich nicht um ein Missverständnis handelt. Denn "die Propheten und Mose“ würden bei Paulus nicht gelesen, sondern "sprächen“ von selbst. Und das, was sie Apg 26,23 zufolge sagen, finde sich so in keiner der Schriften des AT − zumindest nicht Buchstabe für Buchstabe. Was Paulus hier in den Mund der Propheten und Moses lege, sei also bestenfalls das Ergebnis der Auslegung der prophetischen und mosaischen Schriften. Paulus interessierten nicht die Buchstaben an sich, sondern ihr immer wieder neu anzueignender Sinn. Er setze dabei ein Schriftverständnis voraus, nach dem die Heiligen Schriften so eng mit der Praxis mündlicher Verkündigung und Auslegung verbunden sind, dass in der mündlichen Aktualisierung "die Propheten und Mose“ selber sprechen. Von diesen Beobachtungen ausgehend setzt sich S. Lücking mit dem Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Kultur in ntl. Zeit als grundlegende hermeneutische Voraussetzung biblischer Exegese auseinander.

 

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V. 25

 

Beobachtungen: Der Titel "Erlauchter“ war einem Prokurator ritterlichen Rangs durchaus angemessen, weshalb Paulus den Festus als "erlaucht“ bezeichnete. Trotz der Unterstellung der Verrücktheit redete Paulus den Festus den Gepflogenheiten gemäß an.

 

Der griechische Begriff "sôphrosynê“ ist hier wohl nicht im Sinne von "Vernunft“, sondern im Sinne von "Besonnenheit“ zu deuten. Es geht hier nicht darum, dass die Worte menschlicher Vernunft entsprechen, denn das tun sie nicht. Die Auferweckung von den Toten beispielsweise ist nicht mit menschlicher Vernunft zu erfassen. Vielmehr geht es darum, dass Paulus nicht in Ekstase gesprochen hat, sondern seiner Worte durchaus Herr war. Dabei gründen die besonnen geäußerten Aussagen auf wahren, also nicht erfundenen Begebenheiten. So ist beispielsweise die Auferstehung Jesu wahr, was dadurch erwiesen ist, dass Jesus als leibhaftig Auferstandener von Menschen gesehen und ertastet wurde. Dieses nachgewiesen Wahre gilt es zu glauben. Auf den Glauben an dieses nachgewiesenermaßen Wahre ist die menschliche Vernunft beschränkt

 

Weiterführende Literatur: A: Moda 1993, 21-59 befasst sich mit der Perikope 23,23-26,32 und geht dabei auf die zu Tage kommenden juristischen Probleme, auf die Anklage des Paulus und dessen Verteidigung ein. Dabei widmet er ein besonderes Augenmerk den Verteidigungsreden des Paulus (24,10b-21.25; 25,8.10-11; 26,2-29).

 

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V. 26

 

Beobachtungen: Paulus ging davon aus, dass der König Agrippa II. Bescheid wusste, wobei er nicht ausdrücklich sagte, worüber der König Bescheid wusste. Zunächst ist an die "Worte von Wahrheit und Besonnenheit“ der Verteidigungsrede zu denken, doch macht die Begründung deutlich, dass diese nicht im Blick sind. Vielmehr ist etwas im Blick, was sich zugetragen hat. Dieses Zugetragene hatte sich nicht in einem Winkel zugetragen, sondern in aller Öffentlichkeit. Insofern ging Paulus davon aus, dass es dem König Agrippa II. bekannt geworden sein musste. Nun enthalten jedoch die "Worte von Wahrheit und Besonnenheit“ Informationen über vielerlei Dinge, die sich zugetragen haben. Sind nun alle diese Dinge, die sich zugetragen haben, im Blick?

 

Weiterführende Literatur: A. J. Malherbe 1985/86, 193-210 legt dar, dass Paulus nach Art der Moralphilosophen spreche und die Aussage "Denn das hat sich nicht in einem Winkel zugetragen“ Teil der apologetischen Argumentation des Paulus analog zu derjenigen der christlichen Apologeten des 2. Jh.s n. Chr. sei. Kirche werde als eine öffentliche Angelegenheit dargestellt.

 

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V. 27

 

Beobachtungen: Paulus kam nun auf den Glauben an die Propheten, d. h. den Glauben an die Prophezeiungen der Propheten zu sprechen. Er brachte also das, was sich zugetragen hatte, mit den Prophezeiungen der Propheten in Verbindung. Weil sich die Prophezeiungen der Propheten wohl nicht auf das Leben des Paulus bezogen hatten, sondern auf das Leben Jesu, dürfte das, was sich zugetragen hatte, unmittelbar das Leben Jesu betroffen haben. In 26,22-23 wird folgende, Jesus (Christus) betreffende Rede den Propheten zugeschrieben: "Dass der Christus leiden und dass er als erster aus der Auferstehung der Toten dem Volk und auch den Heiden Licht ankündigen werde.“ Folglich dürfte das Leiden und die Auferstehung Jesu von den Toten das sein, was sich in aller Öffentlichkeit zugetragen hatte und somit dem König Agrippa II. bekannt sein musste.

 

Dass König Agrippa II. den Propheten glaubte, ist keine Tatsachenaussage, sondern eine Unterstellung des Paulus. Einen Hinweis darauf, dass Agrippa II. den Propheten tatsächlich glaubte, findet sich nicht. Dass Paulus dem Agrippa II. den Glauben unterstellte, mag am ehesten damit zu erklären sein, dass Paulus mit rhetorischen Mitteln ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte, nämlich die Zuhörer von sich und seiner Lehre zu überzeugen. Wenn Paulus nun dem König Agrippa II. den Glauben unterstellte, dann setzte er voraus, dass diesem die Propheten vertraut waren und er auch deren Rede Vertrauen schenkte. Da Paulus sicherlich wusste, dass Agrippa II. ein Jude war, konnte er ein solches Vertrauen durchaus voraussetzen, denn ein Jude lernte die prophetischen Schriften schon bei den wöchentlichen Synagogenbesuchen kennen. Dass Agrippa II. von Kaiser Claudius die Aufsicht über den Jerusalemer Tempel und das Recht der Einsetzung des Hohenpriesters übertragen bekommen hatte, ließ ihn als einen mit besonderer Verantwortung versehenen Juden erscheinen. Tatsächlich konnte ein Jude anhand der prophetischen Schriften zu dem Ergebnis des Paulus kommen, nämlich dass die Aussagen tatsächlich auf Jesus Christus zu beziehen seien. Was Paulus jedoch überging, ist die Tatsache, dass ein Bezug auf Jesus Christus nicht zwingend war. So erklärte sich auch, dass er von Juden, die eigentlich seine Glaubensgenossen waren, angefeindet wurde.

 

Weiterführende Literatur: D. Marguerat 1995, 127-155 geht den Fragen "Warum drei Berichte von Paulus' Bekehrung (Apg 9; 22; 26) und warum solch große Unterschiede zwischen den Berichten?“ unter erzählkritischen Gesichtspunkten nach. Fazit: Der Bericht variiere, je nachdem, wer berichtet − der Erzähler oder Paulus − und welches die Aussageabsicht ist. Wichtig sei auch die Frage nach der Funktion innerhalb der Gesamtkomposition der Apg. Apg 9,1-30 stelle Saulus' (= Paulus') Bekehrung als machtvolles Werk Christi dar. Apg 22 stelle das Judesein des Paulus heraus und Apg 26 mache deutlich, wie die Bekehrung unter den Heiden legitimiert wird. Die entscheidende Rolle bei der Rechtfertigung einer Berufung zur Heidenmission spiele die Begegnung mit dem Auferstandenen, und zwar nicht wegen ihrer theophanischen Dimension (vgl. 9,3-8) oder aufgrund ihrer Übereinstimmung mit dem Gesetz (vgl. 22,14-16), sondern weil die Auferstehung des Messias die Prophezeiungen erfüllt (26,23).

 

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V. 28

 

Beobachtungen: Die Bedeutung der Wendung "en oligô“ ist unklar. Wörtlich übersetzt lautet sie "in wenigem“. Dabei kann "in einem kleinen Raume / auf einem beschränkten Raume“, "in kurzer Zeit“ oder "mit wenig Mühe“ gemeint sein. In ersterem Falle wäre die Übersetzung des Beginns der Aussage des Königs Agrippa II. "In einem kleinen Raume bringst du mich dazu, …“, in letzerem Falle "In kurzer Zeit bringst du mich dazu,…“. Da fraglich wäre, was mit dem Raum gemeint sein soll, wenn nicht ein Zeitraum, ist von einem kurzen Zeitraum auszugehen. In diesem kurzen Zeitraum − zu denken ist an den Zeitraum der Verteidigungsrede − kann Paulus den König tatsächlich zu etwas gebracht bzw. von etwas überzeugt haben, oder er kann es nur versucht haben, den König zu etwas zu bringen oder von etwas zu überzeugen, ohne letztendlich in Gänze erfolgreich zu sein. Schließlich kann Paulus den König auch mit wenig Mühe zu etwas gebracht bzw. von etwas überzeugt haben, oder er kann es nur versucht haben, den König zu etwas zu bringen oder von etwas zu überzeugen, ohne letztendlich in Gänze erfolgreich zu sein Diese fehlende gänzliche Überzeugung könnte ebenfalls aus der Wendung "in wenigem“ hervorgehen. Dann wäre die Bedeutung "Nicht in Gänze bringst du mich dazu,…“. Dann wäre der König Agrippa II. zwar nicht in Gänze, aber doch ansatzweise von Paulus zu etwas gebracht bzw. von etwas überzeugt worden. Agrippa II. könnte zwar davon überzeugt worden sein, dass die Propheten die Auferstehung der Toten prophezeit haben, aber nicht der Annahme gefolgt sein, dass es Jesus war, der als erster von den Toten auferstanden ist und infolgedessen Grund der Auferstehung der Toten ist. Folgt man dieser Deutung, so ist auch die Übersetzung "Wenig fehlt, und du bringst mich dazu,…“ möglich. Das "wenig fehlt“ kann auf das Fehlen von Überzeugung, aber auch auf das Fehlen von Zeit hinweisen. Bei einem Fehlen an Zeit hätte er nicht die nötige Zeit für eine eingehendere geistige Durchdringung des Geredeten gehabt und hätte sich folglich nicht in Gänze überzeugen lassen.

Unklar ist die Bedeutung der Formulierung "Christianon poiêsai“, die wörtlich mit "einen Christen zu machen“ zu übersetzen ist. Wie ist "einen Christen zu machen“ zu verstehen? Die erste Deutungsmöglichkeit ist, dass "aus mir einen Christen zu machen“ gemeint ist, wobei "aus mir“ nicht im Text steht. Bei dieser Deutung würde Agrippa II. als Handelnder erscheinen, der aus sich selbst (beinahe) einen Christen macht. Dass Agrippa II. eine nicht genannte Person (beinahe) zu einem Christen machen könnte, ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, jedoch unwahrscheinlich, weil der Gedanke des missionarischen Handelns sehr vage bliebe und der Schritt vom Dasein als Jude hin zum christlich-missionarischen Handeln zu groß wäre. Der erste, nahe liegendere Schritt wäre die eigene Annahme des christlichen Glaubens. Die zweite Deutungsmöglichkeit ist, dass es sich bei dem "Machen“ nicht um die Annahme des christlichen Glaubens handelt, sondern um ein zeitlich begrenztes Ausgeben oder Auftreten als Christ. Dann wäre Agrippa II. (beinahe) dazu gebracht worden, sich als Christ auszugeben oder als Christ aufzutreten. Dieses könnte als Zweck haben, Paulus zu schützen und vor einer Verurteilung zu bewahren. Da nicht bekannt ist, dass Agrippa II. tatsächlich Christ geworden ist oder sich als Christ ausgegeben hat oder als solcher aufgetreten ist, ist davon auszugehen, dass er dazu nur beinahe von Paulus gebracht worden ist.

Eine Textvariante umgeht das Problem der Deutung des "poiêsai“ ("machen“), indem sie "genesthai“ ("werden“) liest. In ihr geht es also um das Christwerden.

 

Unklar bleibt, ob die Aussage des Königs ernst oder ironisch gemeint ist. In ersterem Fall hätte er die Verteidigung des Paulus als recht überzeugend empfunden, in letzterem Fall wie der Prokurator Festus als unvernünftig abgetan. So ist nur festzustellen, dass Agrippa II. wohl nicht so überzeugt worden ist, dass er tatsächlich Christ geworden ist oder sich als Christ ausgegeben hat oder als solcher aufgetreten ist.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 29

 

Beobachtungen: Die Aussage des Königs Agrippa II. war dermaßen schwammig und unverbindlich, dass Paulus nicht weiter auf sie einging. Nicht Agrippa II. taugte als Vorbild, sondern er selbst.

 

Der Optativ ("euxaimên“) weist auf einen demütig an Gott gerichteten Wunsch (oder: Bitte) hin. Paulus kann zwar etwas von Gott wünschen oder erbitten, ob der Wunsch bzw. die Bitte jedoch erfüllt wird, ist allein Sache Gottes.

 

Was bedeutet "so werden, wie (auch) ich bin“? Bezieht sich "wie (auch) ich bin“ auf Paulus' gesamte Persönlichkeit oder nur auf einen bestimmten Aspekt oder auf einige ganz bestimmte Aspekte? Es ist kaum anzunehmen, dass die Zuhörer der Verteidigungsrede tatsächlich der gesamten Persönlichkeit des Paulus entsprechen sollten. Eine solche vollständige Entsprechung wurde schon dadurch verhindert, dass die Zuhörer mindestens mehrheitlich keine Ausbildung zum bibelfesten Pharisäer genossen hatten. Insofern fehlte ihnen der pharisäische Hintergrund. Ebenso ist unwahrscheinlich, dass Paulus sich von seinen Zuhörern solch ausgiebige Missionsreisen wünschte, wie er sie selbst unternommen hatte. Bei all den Einschränkungen kann aber als sicher gelten, dass Paulus sich wünschte, dass die Zuhörer seiner Verteidigungsrede ebenso Christen würden wie er. Nicht ganz so sicher, aber doch wahrscheinlich ist darüber hinaus, dass die Zuhörer den christlichen Glauben ebenso bezeugen sollten wie Paulus, auch in der Bedrängnis.

 

Die Wendung "en oligô kai en megalô“ ist wörtlich mit "im Kleinen wie im Großen“ zu übersetzen. Wie schon in V. 28 bei "en oligô“ ("im Kleinen“) kann wiederum ein Bezug auf den Raum, den Zeitraum oder auf die Mühe vorliegen. Am wahrscheinlichsten ist ein Bezug auf den Zeitraum, womit die Bedeutung "über kurz oder lang“ wäre. Paulus wäre es demnach nicht wichtig gewesen, dass die Zuhörer der Verteidigungsrede in kurzer Zeit zum christlichen Glauben kamen und diesen offen auch bezeugten, sondern sie sollten dies über kurz oder lang tun. Mit der Kürze oder Länge des Zeitraums könnte ein unterschiedliches Maß an Mühe verbunden sein. Die Wendungen "en oligô“ und "en oligô kai en megalô“ sind zwar ähnlich, jedoch verbietet es ihre Unklarheit und Mehrdeutigkeit, die eine Wendung im Lichte der anderen zu deuten.

 

Die Fesseln gehörten zwar nicht zur Persönlichkeit des Paulus, waren aber wesentlicher Bestandteil seines Lebens. Sie verdeutlichten die Bedrängnis, die ihm widerfuhr. Paulus wusste zwar, dass der christliche Glaube und dessen Bezeugung Bedrängnis verursachen konnte, doch wünschte er diese seinen Zuhörern nicht.

Es ist fraglich, ob Paulus tatsächlich gefesselt war, denn er genoss gemäß 24,23 erleichterte Haftbedingungen. Warum werden trotzdem die Fesseln erwähnt? Entweder waren die Fesseln trotz der Hafterleichterung nicht abgenommen worden, oder die Erleichterung der Haftbedingungen endete mit der Amtszeit des Prokurators Felix, oder Paulus meinte mit den "Fesseln“ nicht die Fesseln im eigentlichen Sinne, sondern die Gefangenschaft.

 

Weiterführende Literatur: Zu erleichterten Bedingungen der Gefangenschaft des Paulus siehe B. Rapske 1994, 145-149. 22,30-23,10 weise darauf hin, dass Paulus für kurze Zeit aus römischer Haft völlig frei war. Zwar sei Paulus wieder Gefangener geworden (vgl. 23,18), jedoch seien 26,29; 28,16.20 nicht so zu deuten, dass Paulus wieder gefesselt wurde. Paulus sei in der Burg Antonia von Fesseln frei geblieben und habe sogar ein gewisses Ansehen genossen. S. 283-312 zur Schande der Gefangenschaft: Paulus sei sich der Schande bewusst gewesen, die mit der Gefangenschaft verbunden war, und habe deren negativen Folgen gefürchtet. Allerdings habe Paulus sich nicht von der Schande überwältigen lassen, sondern habe seine schandhaften Lebensbedingungen überwunden.

 

 

Literaturübersicht

 

Crouch, Frank; The Persuasive Moment: Rhetorical Resolutions in Paul’s Defense before Agrippa, SBL.SPS 35 (1996), 333-342

Lücking, Stefan; “Die vielen Buchstaben treiben dich in den Wahnsinn” (Apg 26,24). Neutestamentliche Reflexionen über Schriftlichkeit und Schriftkultur, in: A. Leinhäupl-Wilke − Stefan Lücking [Hrsg.], Fremde Zeichen: Neutestamentliche Texte in der Konfrontation der Kulturen, Münster 1998, 115-130

Malherbe, Abraham J.; “Not in a Corner”: Early Christian Apologetic in Acts 26:26, SecCent 5/4 (1985/86), 193-210

Marguerat, Daniel; Saul’s Conversion (Acts 9,22,26) and the Multiplication of Narrative in Acts, in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 127-155

Moda, A.; Paolo prigioniero e martire. Gli avvenimenti di Cesarea, BeO 35 (1993), 21-59

Rapske, Brian; The Book of Acts and Paul in Roman Custody (The Book of Acts in Its First Century Setting 3), Grand Rapids, Michigan - Carlisle 1994

 

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