1 Kor 3,1-4
Übersetzung
1 Kor 3,1-5:1 Und ich, Geschwister, konnte nicht zu euch reden wie zu geisterfüllten Menschen, sondern [nur] wie zu fleischlich gesinnten, wie zu Unmündigen in Christus. 2 Milch gab ich euch zu trinken, nicht feste Speise, denn ihr konntet [sie] noch nicht [vertragen]. Ja, auch jetzt könnt ihr’s noch nicht, 3 denn ihr seid noch fleischlich. Wo nämlich Eifersucht und Streit [herrschen], seid ihr da nicht fleischlich und lebt nach Menschenweise? 4 Denn wenn der eine sagt: "Ich gehöre zu Paulus.“, der andere aber: "Ich zu Apollos.“, seid ihr da nicht [fleischliche] Menschen?
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Paulus setzt zu einem neuen Abschnitt seines Briefes an, wie die erneute Anrede der korinthischen Gemeindeglieder mit "Geschwister“ zeigt.
Paulus geht nun auf die Auffassungsgabe der Korinther ein. Zunächst spricht er davon, wie er in der Vergangenheit - zum Zeitpunkt wird nichts gesagt - zu ihnen geredet hat: nicht wie zu geistlich erfüllten Menschen, sondern wie zu fleischlich gesinnten. Die Formulierung "fleischlich“ verweist auf irdische Lüste und Verhaltensweisen, die aus Paulus’ Sicht die nichtchristliche Welt prägen. Weil die Korinther noch dem Irdischen verhaftet waren, hatten sie noch nicht die Erkenntnis von geisterfüllten Christen, sondern wuchsen wie Säuglinge in die christliche Welt samt ihrer Erkenntnis hinein. Sie waren in Fragen christlichen Lebens und christlicher Erkenntnis noch unmündig.
Weiterführende Literatur: M. Bünker 1984, 56-57 befasst sich unter rhetorischen Gesichtspunkten knapp mit 3,1-17 als "probatio“.
J. S. Lamp 2000, 174-177 ist der Meinung, dass Paulus in 3,1-4 nicht die fortgeschrittene Weisheit thematisiere, sondern verdeutliche, warum er die Korinther wieder an die grundlegende Predigt vom gekreuzigten Christus als Weisheit Gottes erinnern musste. In diesem Zusammenhang habe Paulus im vorausgehenden Abschnitt dargelegt, was die Weisheit Gottes ausmacht und was mit ihr einhergeht.
J. Francis 1980, 41-60 geht der Frage nach, welche Funktion das Bild vom Kind/Unmündigen im Rahmen der paulinischen Kritik erfüllt. Ergebnis: Es gehe nicht darum, ob sich der Christ hinsichtlich des Glaubens entwickelt, sondern wie er es tut. Die Frage sei, inwiefern der Glaube im Leben des Christen etwas bewirkt. Dabei könne jeder Christ aufgrund des Geistempfangs mündig werden, sofern er sich der zentralen Glaubensaussage bewusst sei.
C. T. Rhyne 1990, 174-179 geht folgenden Fragen nach: Warum nennt Paulus die Adressaten verächtlich "Kleinkinder“? Was fehlt im Hinblick auf dieses Bild einer frühchristlichen Gemeinde, das die Unverdorbenheit einer sich verschlechternden Situation wieder herstellen könnte? Was mag die Perikope der Kirchengemeinde wohl in einer Predigt der heutigen Zeit sagen?
G. E. Sterling 1995, 355-384 rekonstruiert anhand von 1 Kor 15,44-49; 2,6-3,4 und 11,7-12, wie die Korinther Gen 2,7 und 1,26-27 aufgefasst haben. Diese Rekonstruktion vergleicht er mit exegetischen Traditionen der beiden Genesis-Texte, wie sie bei Philo von Alexandrien nachweisbar seien. 1 Kor 2,6-3,4 behandelt G. E. Sterling auf S. 367-376, wobei er v. a. auf die Begrifflichkeit von 2,14-15 und 3,1-3 eingeht.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Paulus hat die Korinther wie eine Mutter oder Amme im christlichen Leben aufgezogen. Da Milch die für Säuglinge geeignete Speise ist, hat Paulus ihnen diese (im übertragenen Sinn) zu trinken gegeben. Mit der Milch dürfte eine einfache Einweisung in die elementaren christlichen Glaubenslehren gemeint sein, wobei offen bleibt, welches die elementaren Glaubenslehren sind. Es ist anzunehmen, dass Paulus die Bedeutung des Kreuzestodes Christi dazu zählt.
Die feste Speise ist das geeignete Nahrungsmittel für alle Herangewachsenen. Sie dürfte für die Vermittlung tiefer gehender christlicher Glaubenslehren stehen, wobei auch diesmal unklar ist, was darunter zu verstehen ist.
Paulus schlägt eine Verbindung von der Vergangenheit, vermutlich den Anfängen der Gemeinde, und der Gegenwart. Er zieht aus den Streitigkeiten und vielleicht auch den weiteren Missständen innerhalb der korinthischen Gemeinde das frustrierende Fazit, dass die Korinther in der Glaubensentwicklung nicht wirklich vorangekommen sind und sich weiterhin im Anfangsstadium befinden.
Weiterführende Literatur: V. Branick 1982, 251-269 setzt sich mit der seiner Meinung nach irrigen These auseinander, dass Paulus von zwei Sorten Christen spreche, und zwar von den geistlich Vollkommenen und von den geistlich Unvollkommenen. Da nicht beachtet werde, dass es sich bei 1 Kor 1-3 um eine literarische Komposition handelt, gehe man davon aus, dass die geistlich Vollkommenen "feste Speise“ als Nahrung bekommen, die geistlich Unvollkommenen dagegen "Milch“ (vgl. 3,1-5). Tatsächlich handele es sich bei 1,18-31, 2,6-16 und 3,18-23 um eine sorgfältig zusammengesetzte Homilie, die ursprünglich wohl nicht an die Korinther, sondern an eine Gruppe Juden gerichtet gewesen sei. 3,1-3 hätten nicht zur Homilie gehört und somit könnten die Verse nicht unmittelbar zur Interpretation von 2,6-16 herangezogen werden. Die Homilie sei aus sich selbst heraus zu interpretieren.
T. Söding 1995, 23-56 geht auf die beiden Stellen (1 Kor 3,1-2; Hebr 5,11-6,3) des NT ein, in denen von Stufen oder Formen der religiösen Unterweisung die Rede ist, von denen die eine als "Milch“ und die andere als "Speise“ oder "feste Nahrung“ bezeichnet wird. Dabei kommt er auch auf die Unterscheidung von Elementarkatechese und Vertiefung in der heutigen Katechese zu sprechen.
B. R. Gaventa 2007, 41-50 richtet das Hauptaugenmerk auf die Ich-Form, in der Paulus redet. Paulus selbst − in Abgrenzung zu anderen christlichen Lehrern − nähre die Korinther als Amme (vgl. 1 Thess 2,7). Gewöhnlich werde 1 Kor 3,1-2 von der Diskussion um die Weisheit, wie sie in 1 Kor 2 entfaltet werde, gelesen und als scharfer Ausdruck für die Sorge des Paulus um die Reife der Korinther verstanden. Gemäß B. R. Gaventa sei 1 Kor 3,1-2 aber auch mit Blick auf das Folgende zu deuten: Die Verse trügen zur unmittelbar nachfolgenden Argumentation zum Wesen des authentischen apostolischen Dienstes bei.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Gemeindeglieder Korinths sind weiterhin fleischlich gesinnt. Paulus begründet seine Einschätzung damit, dass in der Gemeinde Eifersucht und Streit herrschen.
Mit der "Eifersucht“ ist weniger die Eifersucht im Liebesleben, als vielmehr die Rivalität gemeint. Konkret hat Paulus vermutlich die Rivalität der verschiedenen Parteiungen im Blick.
Ein Lebenswandel nach Menschenweise orientiert sich an dem Irdischen, nicht aber an dem Göttlichen.
Weiterführende Literatur: B. Byrne 1987, 83-87 legt dar, dass in 1 Kor 1,10-4,21 drei Themen im Vordergrund ständen: Spaltungen in der Gemeinde; Weisheitspredigt; die rechte Bewertung des christlichen Dienstes. Diese Themen seien ineinander verwoben, so dass ihr Verhältnis untereinander zu klären sei. Außerdem sei nach Ursache und Symptom der korinthischen "Krankheit“ zu fragen. Frühere exegetische Studien hätten die Parteiungen fokussiert, später hätten Exegeten aber auch eine christologische Häresie in Korinth angenommen. Die meisten Exegeten nähmen jedoch an, dass die falsche Erwartung, dass die Prediger Weisheit predigen sollten, Schuld an den Streitigkeiten sei. B. Byrne unterstreicht, dass Paulus’ Dienstverständnis theozentrisch sei und das Kreuz in den Mittelpunkt stelle. Mit dem rechten Verhältnis zu Gott sei auch die Bewahrung der menschlichen Würde und Freiheit und das rechte Verhältnis zur Welt verbunden. Personenkult und Prahlerei zeigten nur, wie weit die Korinther davon entfernt sind, geisterfüllte Menschen (pneumatikoi) zu sein, die sich Gottes rühmen.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Paulus verweist nochmals auf die Parteiungen, wobei im Vergleich zu 1,10-17 auffällt, dass er nicht mehr vier Parteiungen, nämlich die des Paulus, Apollos, Kephas (= Petrus) und Christus, nennt, sondern nur noch zwei Parteiungen. Warum lässt Paulus die anderen beiden fort? Nahe liegend ist zunächst einmal die beabsichtigte Kürze des Hinweises auf die Parteiungen. Da genügt es, exemplarisch zwei herauszugreifen. Nun stellt sich aber die Frage, warum Paulus gerade die Parteiungen des Kephas und Christus weglässt. Folgende Begründungen lassen sich heranziehen. Zunächst einmal ist die Christuspartei keine Parteiung im eigentlichen Sinne, sondern alle Christen sollten ihr angehören. Paulus sieht es nicht als problematisch an, dass sich Christen zu Christus bekennen, sondern dass diese Anhänger in Korinth nur eine Gruppierung unter vielen darstellen. Von Kephas ist nicht bekannt, dass er in Korinth gewirkt hat. Daher konzentrieren sich menschliche Rivalitäten in Korinth am ehesten auf die Anhänger des Paulus und des Apollos. Ob es auch zwischen Paulus und Apollos bewusste oder unbewusste Rivalitäten gab, ist unbekannt. Die Bildung von Anhängerschaften weist zumindest darauf hin, dass Paulus und Apollos unterschiedliche Charaktere besaßen, unterschiedlich auf die Korinther wirkten und möglicherweise einen anderen Missionsansatz hatten. Es ist gut möglich, dass es zwischen den beiden Missionaren eine - wenn auch nicht offen ausgetragene, so aber doch unterschwellig vorhandene - Rivalität gab, die allerdings nicht in Paulus’ vom christlichen Einheitsgedanken getragenes theologisches Konzept passte.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Branick, Vincent P., Source and Redaction Analysis of 1 Corinthians 1-3, JBL 101 (1982), 251-269
Bünker, Michael; Briefformular und rhetorische Disposition im I Korintherbrief, Göttingen 1984
Byrne, Brendan; Ministry and Maturity in 1 Corinthians 3, ABR 35 (1987), 83-87
Francis, James; "As babes in Christ“ − Some proposals regarding 1 Corinthians 3.1-3, JSNT 7 (1980), 41-60
Gaventa, Beverly Roberts; Our Mother Saint Paul, London − Louisville, Kentucky 2007
Lamp, Jeffrey S.; First Corinthians 1-4 in Light of Jewish Wisdom Traditions (Studies in Bible and Early Christianity 42), Lewiston et al. 2000
Rhyne, C. Thomas; 1 Corinthians 3,1-9, Interp. 44/2 (1990), 174-179
Söding, Thomas; “Milch” und “feste Speise” (1 Kor 3,1f und Hebr 5,11-6,3). Elementarkatechese und theologische Vertiefung in neutestamentlicher Sicht, in: T. Söding [Hrsg.], Studien zur neutestamentlichen Theologie (WUNT 82), Tübingen 1995, 23-56 (= TvTZ 76 [1967], 233-246.261-280)
Sterling, Gregory E.; "Wisdom among the Perfect“: Creation Traditions in Alexandrian Judaism and Corinthian Christianity, NT 37 (1995), 355-384