Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Korintherbrief

Der erste Brief des Paulus an die Korinther

1 Kor 10,1-13

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Kor 10,1-13

 

 

Übersetzung

 

1 Kor 10,1-13: 1 Ich will euch nämlich nicht in Unkenntnis [darüber] lassen, Geschwister, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchgingen 2 und alle auf (den) Mose getauft wurden durch die Wolke und durch das Meer. 3 Und sie aßen alle dieselbe geistliche Speise 4 und tranken alle denselben geistlichen Trank; sie tranken nämlich aus einem geistlichen Felsen, der mitfolgte; der Felsen aber war (der) Christus. 5 Doch an den meisten von ihnen hatte (der) Gott kein Wohlgefallen; denn sie wurden in der Wüste niedergestreckt. 6 Das aber sind unsere Vor-Bilder geworden, damit wir nicht nach Bösem begehren, so wie jene begehrten. 7 Werdet auch keine Götzendiener, wie einige von ihnen, wie geschrieben steht: "Es setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um zu tanzen.“ 8 Lasst uns auch nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht getrieben haben, und es fielen an einem Tage dreiundzwanzigtausend. 9 Lasst uns auch nicht (den) Christus versuchen, wie einige von ihnen versucht haben und von den Schlangen getötet wurden. 10 Murrt auch nicht, wie einige von ihnen gemurrt haben und von dem Verderber getötet wurden. 11 Dies aber ist jenen vor-bildhaft widerfahren; aufgeschrieben wurde es aber uns zur Warnung, auf die das Ende der Weltzeiten gekommen ist. 12 Darum, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle. 13 [Noch] hat euch keine [andere] Versuchung getroffen als [nur] menschliche. (Der) Gott aber ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, dass ihr [sie] ertragen könnt.

 

 

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V. 1

 

Beobachtungen: Nachdem sich Paulus in 1 Kor 9 als Vorbild christlichen Lebens dargestellt hat, setzt er nun neu an. Er nimmt an, dass die Adressaten - die "(Glaubens-)Geschwister - etwas Entscheidendes nicht wissen und sie ihrem Nichtwissen entsprechend handeln. Dies nimmt er zum Anlass, sie aufgrund des eigenen Wissens zu belehren.

 

Dass Paulus alle Adressaten belehrt, erstaunt zunächst, bietet doch seine Lehre zumindest den judenchristlichen Adressaten - gemäß Apg 18,8; 1 Kor 1,22-24 u. a. dürfte es in der korinthischen Gemeinde einen nicht unerheblichen Anteil Judenchristen gegeben haben - scheinbar nichts Neues: Als die Vorfahren der Adressaten, die hier mit den Vorfahren der Israeliten gleichgesetzt werden, aus Ägypten auszogen, zog ihr Gott JHWH laut Ex 13,21-22 u. a. als Wolkensäule vor ihnen her, und zwar ganz an der Spitze des Trecks. Unter der Wolke waren sie gemäß Ps 105,39. Und auch dass alle Israeliten durch das "Meer“ - gemeint ist das sog. Schilfmeer - hindurchzogen (vgl. Ex 14), dürfte jedem Korinther, dem die Inhalte der Bibel halbwegs vertraut sind, bekannt sein.

Mit der Wolke und dem Schilfmeer hängen in erster Linie Schutz und Rettung zusammen. Wenn Paulus sagt, dass die Vorfahren unter der Wolke waren, so ist nicht nur der Ort ihres Daseins an sich von Bedeutung, sondern auch die Bewegungsrichtung (Akkusativ!): die Vorfahren hatten sich unter die Wolke und damit unter die Herrschaft und Führung ihres Gottes JHWH begeben und unterstanden damit dessen Schutz. Der wundersame Durchzug durch das Schilfmeer hat die Rettung der Vorfahren besiegelt und die ägyptischen Verfolger endgültig abgeschüttelt.

 

Der griechische Begriff "pateres“ ist wörtlich mit "Väter“ zu übersetzen. Es sind allerdings nicht leibliche Väter gemeint, sondern Vorfahren. Da sicherlich nicht nur die männlichen Vorfahren im Blick sind, sondern auch die weiblichen, sollte die Übersetzung besser "Väter und Mütter“ oder schlicht und einfach "Vorfahren“ lauten.

Paulus unterscheidet nicht zwischen rechtschaffenen und frevelhaften Vorfahren; ausnahmslos alle sieht er als "unsere Vorfahren“, also als seine eigenen Vorfahren und diejenigen der Adressaten an. Dies erstaunt, weil die Adressaten zumindest teilweise Heidenchristen sein dürften, die von den frühen Israeliten weder dem Leibe noch dem Glauben nach abstammen. Dass Paulus dennoch alle Israeliten der Exoduszeit als Vorfahren ausnahmslos aller Christen bezeichnet, zeigt, dass er von einer Kontinuität des Gottesvolkes und Glaubens ausgeht.

 

Weiterführende Literatur: W. Baird 1990, 286-290 legt 10,1-13 aus. Die wesentlichen Aussagen seien: Treue Menschen können der Versuchung aufgrund der Treue Gottes widerstehen. Und: Gottes Gnade zeige sich in den Gaben der Taufe und des Herrenmahls. Gehorsam sei Dankbarkeit als Antwort auf diese Gnade. Eine Auslegung von 10,1-13 bietet auch L. W. Willis 1985, 123-163.

 

Zu den Israeliten als negativer Bezugsgruppe äußert sich knapp R. Dabelstein 1981, 61-62.

 

B. J. Oropeza 1998/99, 69-86 legt 10,1-12 von einem kulturanthropologischen Ansatz ausgehend aus. Der Rede von Israels Reise durch die Wildnis liege ein jüdisch-apokalyptisches Verständnis von Eschatologie zugrunde. B. J. Oropeza vergleicht die Sichtweise des Paulus mit Schwellenprozessen im Rahmen von Pilgerreisen und Übergangsriten, wie sie vom Kulturanthropologen V. Turner diskutiert werden. Zwar seien die korinthischen Christen aufgrund eines Trennungsprozesses, dessen Vorbild der Exodus Israels sei, in den Körper Christi aufgenommen worden, doch tendierten viele von ihnen während ihres Übergangsstatus’ vor dem Erreichen des endgültigen Ziels der lebenslangen Reise zum Abfall vom Glauben.

 

R. L. Jeske 1980, 245-255 stellt die Frage, warum die Verse 10,1-13 nicht als Einleitung zu 10,23-11,1 gelten können, wo sie doch als Einleitung zu 10,14-22 angesehen werden. Zur Beantwortung dieser Frage geht er auf die Ekklesiologie von 1 Kor 10 ein.

Mittels einer Analyse unter rhetorischen Gesichtspunkten versucht J. F. M. Smit 1997, 40-53 zu beweisen, dass es sich bei 10,1-12 um einen in sich geschlossenen Argumentationsstrang innerhalb von Paulus’ Abhandlung zum Götzenopfer handele.

 

C. Burchard 1987, 102-134 liest neutestamentliche Texte mit Blick auf die apokryphe Schrift "Joseph und Aseneth“, wobei er sich auf S. 119-128 1 Kor 10-11 widmet.

 

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V. 2

 

Beobachtungen: Die Unterstellung unter den Gott JHWH, den Schutz und die Rettung bringt Paulus mit der Taufe in Verbindung, ja er meint sogar, dass die Israeliten tatsächlich getauft wurden. Diese Interpretation ist das Neue, das Paulus den Adressaten mitteilt und über die er sie nicht im Unklaren lassen möchte.

 

Gemäß der paulinischen Interpretation ließen sich die Israeliten taufen (vgl. den medialen Aorist der Variante) oder sie wurden getauft (vgl. den passiven Aorist), und zwar wörtlich genommen "in“ der Wolke und "in“ dem Meer. Da sich die Israeliten nicht in der Wolke, sondern unter ihr befanden, ist wohl "durch“ die Wolke und "durch“ das Meer zu deuten und zu übersetzen. Die Tatsache, dass sich die "Väter“ unter die Wolke begeben hatten und von nun an unter ihr waren und ihres Weges gingen, und die Tatsache, dass sie das Meer durchschritten, sind für die "Taufe“ wesentlich. Keine Rolle spielt die Materie der "Taufe“: Weder Lufthauch noch Wasser - die Israeliten sind ja schließlich trockenen Fußes durch das Schilfmeer hindurchgegangen - kommen in den Blick. Das erstaunt zwar angesichts der Bedeutung des Untertauchens in Wasser bei der christlichen Taufe, doch ist die Parallele zum christlichen Taufbad offensichtlich. Die Wolke spielt wahrscheinlich auf den heiligen Geist an, mit dem der Täufling im Rahmen der Taufe erfüllt wird.

Eine dritte Anspielung erfolgt auf die Taufformel: Die Vorfahren wurden nicht auf Jesus Christus oder - gemäß der in nachpaulinischer Zeit entwickelten trinitarischen Taufformel - auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes (wörtl.: in den Namen ... hinein) getauft, sondern auf Mose. Was damit gemeint ist, bleibt unklar. Die mit "auf“ übersetzte Präposition eis, die eigentlich "in ... hinein“ zu übersetzen ist, lässt annehmen, dass mit der "Taufe“ ein Eintritt in den Machtbereich des Mose erfolgt ist.

 

Weiterführende Literatur: W. B. Badke 1988, 23-29 geht der Bedeutung der Formulierung "auf Mose getauft“ nach. Ergebnis: Die Lehre vom Sterben und Auferstehen verbinde Paulus erst im Römerbrief mit der Taufe. Vorher sei die Taufe ein deutlich sichtbares Zeichen einer Gefolgschaft. Die Israeliten seien Mose gefolgt und mit der Taufe erkenne der Mensch die Herrschaft Christi an. Das Motiv vom Sterben und Auferstehen vertiefe diese Bindung: Der Christ sei mit seinem Heiland gestorben und habe anstelle seines eigenen Lebens dasjenige seines Heilandes erhalten.

 

Zu Basilius’ von Caesarea Auslegung von V. 2 siehe M. A. G. Haykin 1986, 135-144.

 

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V. 3

 

Beobachtungen: Das wiederholte "alle“ fällt auf. Paulus macht deutlich: Das Gesagte gilt ausnahmslos für alle Vorfahren. So haben auch alle Vorfahren von der geistlichen Speise gegessen, wobei wiederum betont wird, dass es sich um dieselbe Speise handelte. Paulus macht keinerlei Unterschiede.

 

Bei der Speise handelt es sich nicht um eine rein materielle Speise, die von Menschen bereitet wurde und nur den Körper sättigt, sondern sie ist darüber hinaus "geistlich“. Ob damit die göttliche Herkunft gemeint ist oder eine über die körperliche Sättigung hinausgehende Wirkung, bleibt offen.

Die Formulierung "geistliche Speise“ weist vermutlich auf das christliche Abend- bzw. Gemeinschaftsmahl hin.

 

Weiterführende Literatur: Einen Überblick über Konsens und Dissens der Ausleger zu den verschiedenen Streitfragen im Hinblick auf die Texte 1 Kor 10,3-4.16-17; 11,17-34; 16,20-22 bietet W. Schrage 1996, 191-198.

 

F. Hahn 1998, 23-33 untersucht, wie die drei Texte, in denen sich Paulus über das "Herrenmahl“ äußert (1 Kor 10,[1/]3-4; 10,16-22; 11,17-34), aufeinander zu beziehen sind. Es empfehle sich dabei, von 1 Kor 11,17-34 auszugehen, weil hier ein eindeutiger Bezug auf vorpaulinische Tradition vorliege, dann die beiden Stellen in 1 Kor 10,(1/)3-4 und 10,16-22 zu besprechen, und im Anschluss daran ihre wechselseitige Beziehung zu erörtern.

F. Hahn 1986, 312-313 befasst sich im Rahmen seines Aufsatzes über Herrengedächtnis und Herrenmahl bei Paulus mit der Bedeutung der Aussage in 1 Kor 10,3-4 über die "geistliche Speise“ und den "geistlichen Trank“. Ergebnis: Die paulinischen Aussagen über die Gemeinschaft (Koinonia) an Leib und Blut Christi besagten, dass wir hineingenommen sind in das Heilshandeln Christi und in seinen Heilsbereich. Dort, wo vom Geist die Rede ist, gehe es in nt. Texten, gerade auch bei Paulus, immer darum, dass uns eine Gabe geschenkt ist, die in uns wohnen soll, aber darüber hinaus sei es eine Gabe, durch die wir selbst handeln und wirken dürfen. Der Text in 1 Kor 10,3-4 wolle somit zum Ausdruck bringen, dass das Mahl des "Herrn“ nicht nur die Wegzehrung für uns selbst ist in der Zeit unseres Lebens bis zu Jesu Wiederkunft, sondern dass die Gabe des Herrenmahles uns auch die Kraft gibt, durch die wir Boten und Zeugen, Diener seines Heils sein können.

 

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V. 4

 

Beobachtungen: Die Ausnahmslosigkeit und Unterschiedslosigkeit gilt auch für den geistlichen Trank.

Bezüglich der Formulierung "geistlicher Trank“ gilt das schon zur "geistlichen Speise“ Gesagte.

Der "geistliche Trank“ dürfte wie auch die "geistliche Speise“ auf das christliche Abend- bzw. Gemeinschaftsmahl hinweisen.

 

Der "geistliche Trank“ stammt aus einer "geistlichen Quelle“, also nicht aus einer ganz gewöhnlichen natürlichen Quelle. Dass die Quelle ungewöhnlich ist, zeigt schon die Tatsache, dass sie gemäß Paulus "mitfolgte“. Sie befand sich also nicht an einem einzigen bestimmten geographischen Ort, an dem die Israeliten nur einmal vorbeizogen, sondern sie folgte dem Marsch der Israeliten mit.

Sucht man im AT jedoch nach Belegen für das Mitfolgen, so wird man enttäuscht: Das AT weiß nichts von einem Mitfolgen, sondern es ist von zwei verschiedenen Wasserwundern des Mose die Rede, wobei eins gemäß Ex 17,1-7 ganz am Anfang der Wüstenwanderung stattfand, das andere gemäß Num 20,1-11 am Ende der Wüstenzeit. Hinzu kommt gemäß Num 21,16-18 die Wasserspendung seitens eines Brunnens, wobei sich Num 21,16 auf Num 20,8 bezieht. Angesichts dieses Bezuges und der Ähnlichkeit der beiden Wasserwunder nahmen jedoch rabbinische Ausleger an, dass eigentlich nur von einer einzigen Quelle die Rede sei. Diese sei den Israeliten bei dem Weg durch die Wüste mitgefolgt. Eine solche Interpretation macht sich anscheinend auch Paulus zu eigen.

 

Diese eine, mitfolgende Quelle wird von Paulus mit Christus gleichgesetzt.

 

Weiterführende Literatur: L. Kreitzer 1993, 109-126 legt dar, dass eine neuerliche Betrachtung vorchristlicher, jüdischer Parallelen zum Felsen von Horeb (= Sinai) uns zu einem besseren Verständnis nicht allein der frühchristlichen Messiasvorstellung, sondern auch des Neuen Bundes, den der Messias mit sich bringt, verhelfe. Insbesondere geht er dabei auf die Textpassage Legum II 86 ein, wo Philo von Alexandria die Begriffe "Fels“, "Wort (Logos)“ und "Weisheit“ miteinander verbinde. Dieser Text könne die Bedeutung von 1 Kor 10,4 erhellen, wo Paulus das Bild des "Felsens vom Horeb“ benutze und auf typologische Art und Weise auf Christus beziehe.

 

G. Schimanowski 1985, 320-324 befasst sich mit dem heilspendenden Fels in der Wüste., wobei er davon ausgeht, dass auch in 10,1-11 bei Paulus in der paränetischen Auslegung der Wüstenzeit wieder der weisheitliche Hintergrund klar sichtbar werde. Paulus habe die traditionelle Vorstellung der Präexistenz der Weisheit gekannt und mache sie sich in seiner eigenen Schriftauslegung zu eigen. Wahrscheinlich aber habe er die enge Parallelisierung von der Weisheit und Christus schon aus der urchristlichen Tradition übernommen.

G. Bienaimé 1984, 45(Anm. 129).76(Anm. 68).276-277 geht im Rahmen seines Buches über Mose und die Wasserspende in der antiken jüdischen Tradition auch auf 1 Kor 10,4 ein.

 

P. E. Enns 1996, 23-38 befasst sich mit der außerbiblischen Tradition der mitfolgenden Quelle. Dabei zeigt er, dass es sich bei V. 4 um ein Beispiel einer allgegenwärtigen exegetischen Tradition handele, die sich den Fels in der Wüste (Ex 17; Num 20-21) in irgendeiner Form als beweglich vorstellte: Sie "folgte“ den Israeliten. Er geht dem exegetischen Prozess nach, der diese Tradition hervorbrachte und widmet sich den Folgen, die aus der Gegenwart einer solchen Tradition in Paulus’ Brief resultieren, wobei insbesondere die Beschaffenheit von Eingebung und Schriftautorität im Mittelpunkt des Interesses steht. Schließlich bietet er einen altehrwürdigen Vorschlag im Hinblick auf eine Lösung.

 

Laut D. P. Moessner 2009, 303-317 sei Paulus weit davon entfernt, Mose als Typos Christi beim Heil, wie es sich bei der Kommunion von Leib und Blut Christi in Korinth manifestiere, darzustellen. Vielmehr verstehe Paulus den "Herrn“, der gemäß Ex 17,6 am Felsen "steht“, als Schlüssel für die Deutung von Num 20, der Gegenwart Christi am Felsen. Paulus habe sich bei seinem Gedankensprung, wonach der Fels in der Wildnis die Gegenwart Christi symbolisiere, auf traditionelles Gedankengut stützen können. Das Verhalten des Mose und der Israeliten, die sich in der lebensspendenden Gegenwart Gottes zu sicher fühlten und zugrunde gingen, werde den ebenfalls zu sicheren "starken“ Korinthern als warnendes Beispiel vorgeführt.

 

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V. 5

 

Beobachtungen: Paulus kommt jetzt auf einen Gegensatz zu sprechen. Eigentlich wäre anzunehmen, dass die Israeliten, die ja alle "getauft“ wurden und von der geistlichen Speise gegessen und von dem geistlichen Trank getrunken haben, Gott gefallen und daher Heil erfahren und wohlbehalten die Wüste durchqueren müssten. Das dürfte die Logik sein, die Paulus den selbstsicheren und sorglosen korinthischen Gemeindegliedern unterstellt. Tatsächlich ist das Ergebnis anderer Art: Ein Teil von den "Vätern“ - die Mehrheit sogar! (vgl. Num 14,29-30, wonach sogar nur zwei, nämlich Kaleb und Josua, verschont werden) - wird in der Wüste niedergestreckt.

Das Verb "niederstrecken“ macht deutlich, dass es sich nicht um einen natürlichen Tod handelte, sondern um einen durch äußere Einflüsse bedingten Tod.

 

Paulus’ Grundaussage dürfte sein: Trotz der Taufe und der Teilnahme am Abend- bzw. Gemeinschaftsmahl können sich die korinthischen Gemeindeglieder nicht sicher wähnen und das Heil schon für sich verbuchen. Wenn sie nicht dem Willen Gottes gemäß leben, haben sie trotz der Taufe das göttliche Missfallen und somit auch Strafe zu befürchten. Die Taufe ist keine Heilsgarantie.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 6

 

Beobachtungen: Was ist mit dem hinweisenden "das“ gemeint? Im Altgriechischen handelt es sich um ein Neutrum Plural. Somit können nicht die Israeliten, die "Väter“ gemeint sein, die ein Maskulinum verlangt hätten. Im Blick ist also eine Mehrzahl Ereignisse: die "Taufe“ durch die Wolke und das Meer, das Essen der geistlichen Speise und das Trinken des geistlichen Tranks aus dem geistlichen Felsen, und schließlich das Erschlagenwerden.

All diese Ereignisse bezeichnet Paulus als "typoi“, als "Vor-Bilder“. Dabei handelt es sich nicht um Vorbilder, denen es nachzueifern gilt, sondern um Geschehnisse, die auf spätere Geschehnisse (in der Zeit des Paulus) hinweisen, ihnen entsprechen und sie vorweg abbilden. Die "Taufe“ durch die Wolke und das Meer weist demnach auf die christliche Taufe im Wasser und heiligen Geist hin, das Essen der geistlichen Speise und das Trinken des geistlichen Tranks auf das christliche Abend- bzw. Gemeinschaftsmahl, und der geistliche Felsen auf Christus - dabei wird der geistliche Felsen sogar mit Christus gleichgesetzt. Das Niedergestrecktwerden wäre als "typos“ der existenziellen Vernichtung am Ende der Tage zu verstehen. Von den "typoi“, den "Vor-Bildern“, ist der Begriff "Typologie“ hergeleitet.

 

Diese "Vor-Bilder“ sollen dazu dienen, dass die Christen nicht nach dem Bösen streben.

 

Weiterführende Literatur: F. Hahn 1998, 27-30 geht im Rahmen seiner Ausführungen zum Herrenmahl bei Paulus auf dessen typologische Rede von Taufe und Herrenmahl in 10,1-13 ein.

 

A. McEwen 1986, 3-10 thematisiert, wie Paulus in 10,4 mit dem AT umgeht. Ergebnis: Erstens weise das AT die Christen an, indem es mit Israel ein auf Gottes Willen basierendes "Vor-Bild“ des nt. Gottesvolkes präsentiere. Die Kirche sei also das eschatologische Israel. Zweitens würden die im AT berichteten Ereignisse als tatsächlich geschehen angesehen. Drittens könnten die at. Geschehnisse im Lichte des Wirkens Christi interpretiert werden, und zwar mittels einer pesharimartigen Exegese, bei der Christus den Auslegungsschlüssel darstellt. Viertens könnten verschiedene at. Texte nach Methode der Midraschim, insbesondere mittels Wortentsprechung, miteinander in Beziehung gesetzt werden. Fünftens könne zeitgenössische (und wahrscheinlich bekannte) außerbiblische Begrifflichkeit benutzt werden, um die Lehre des AT darzulegen.

B. Schaller 2001, 167-190 befasst sich anhand von 10,1-10(13) mit der Frage nach den übergreifenden, insbesondere materialen Zusammenhängen und Voraussetzungen, die Paulus in der Auslegung biblischer Texte bestimmen. Ergebnis: Paulus zeige sich im Umgang mit den biblischen Texten als ausgeprägter Schriftkenner. Seine Auslegung sei freilich nicht nur text- und kontextbestimmt, sondern weise materiell vielfach auch Einflüsse traditioneller midraschartiger Auslegung auf. Ihr liege als textliche Grundlage ein Bibeltext zugrunde, der der griechischen Übersetzung der Septuaginta entspricht. Die Textverweise des Paulus erfolgten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an Hand einer schriftlichen Vorlage, sondern aus dem Gedächtnis, gleichsam "freihändig“. Die Auslegungen träfen sich materiell wie hermeneutisch in den meisten Fällen mit Auslegungen, wie sie aus palästinisch-rabbinischen Quellen bekannt sind.

J. C. Inostroza Lanas 2000 versteht 10,1-13 als paulinischen Midrasch. Nach einleitenden methodischen Erwägungen widmet er sich den Wüstentraditionen des AT, den Gaben und Aufständen in der Wüste gemäß den Qumrantexten, Philo von Alexandria, der rabbinischen Literatur und weiteren haggadischen Texten, und geht schließlich auf die Disqualifizierung des Mose und auf das Dasein des Volkes Israel in der Wüste ein.

Auch A. Lindemann 1996, 214-216 versteht (allerdings nur) 10,1-5 als eine Art "Midrasch“ zu einigen Aspekten der Exodus-Tradition, mit der in V. 6 ausdrücklich als Typologie bezeichneten Tendenz, die Vergangenheit Israels als Warnung für die Gemeinde der Gegenwart zu deuten. Dabei zeige sich in dem Textabschnitt 10,1-13 zum ersten Mal innerhalb des Ersten Korintherbriefes der Aspekt, dass nach Meinung und Erwartung des Autors die Adressaten über Grundkenntnisse der jüdischen Geschichte bzw. der biblischen Tradition verfügen müssen, um die Aussagen des Briefes verstehen zu können. Man müsse von daher fragen, ob die von Paulus in dieser Weise Angeredeten nicht eher Juden- als Heidenchristen sind.

C. Perrot 1983, 437-452 fragt nach dem Grund für den Einbau der Beispiele (typoi = "Vor-Bilder“) der V. 6-11 in 1 Kor 10. Er geht dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Zusammenstellung der verschiedenen Beispiele nach und fragt nach dem Verbindenden. Paulus führe die Beispiele nach Art der haggadischen Aufzählungen, wie sie in den Synagogen üblich waren, an. Aus der jüdischen Tradition schöpfend gestalte er die Aufzählung nach Art eines Midraschs, wobei er die konkrete Situation in Korinth im Blick habe. Der Aufzählung komme im Argumentationsgang von 1 Kor 10 und auch im Hinblick auf die Ausführungen zur würdigen Einnahme des Herrenmahls in 1 Kor 11,17-34 besondere Bedeutung zu.

 

H. Löhr 1994, 226-248 vergleicht, wie die Autoren von Hebr 3f. und 1 Kor 10 die ihnen geläufige Beziehung zwischen in der Schrift bezeugten Ereignissen der Wüstenzeit und der als in der Endzeit befindlich gesehenen Gemeinde paränetisch nutzen. Während für Paulus mit einem konkreten und aktuellen Problem zugleich die theologisch relevante Grundorientierung der Gemeinde auf dem Spiele stehe, thematisiere der Autor des Hebräerbriefes auch hier die eine, den ganzen Text prägende Sorge, nicht vom Heil abzufallen. Während für Paulus in 1 Kor 10 die paränetische Verwendung der Schrift in eine typologisierende (und allegorisierende) Lektüre der biblischen Geschichte selbst übergehe, bleibe der Hebräerbrief seiner offenbarungstheologischen Erkenntnis treu: Das im Sohn geoffenbarte Heil und damit Zusammenhängendes äußerten sich vorab prophetisch in der Schrift.

 

B. J. Oropeza 1998, 9-10 fragt nach der Bedeutung der Lasterkataloge, die sich gerade im Ersten Korintherbrief zahlreich fänden (vgl. 3,3-4; 5,9-11; 6,9-10; 10,6-10; 13,4-7). Ergebnis: Obwohl Paulus in anderen Briefen die Laster möglicherweise willkürlich gewählt habe, hätten sie doch im Ersten Korintherbrief einen Bezug zur Situation. Die korinthischen Gemeindeglieder hätten zahlreiche der genannten Laster begangen.

 

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V. 7

 

Beobachtungen: Die Christen sollen sich nicht so verhalten, wie einige von den Vorfahren. Sie sollen beispielsweise keinen Götzenkult treiben, denn dies würde zu dem Bösen gehören, von dem Paulus in V. 6 spricht.

 

Bezüglich des abschreckenden Verhaltens zitiert Paulus Ex 32,6bLXX. Dort ist von kultischen Mählern der Israeliten im Rahmen von Gemeinschaftsopfern und dem anschließenden kultischen Tanz die Rede. Das Verb "paizein“ ist dementsprechend auch nicht mit "spielen“, sondern mit "tanzen“ zu übersetzen.

 

Weiterführende Literatur: K.-G. Sandelin 1995, 257-273 vertritt die Ansicht, dass Paulus in 1 Kor 10,1-13 einen jüdischen Text als Grundlage für seine an die korinthischen Gemeindeglieder gerichteten Warnungen benutze. Diese liefen Gefahr, durch ihre Teilnahme an heidnischen Festessen zu Götzendienern zu werden. Die Aufforderung, nicht Götzendiener zu werden, und das Zitat von Ex 32,6 in 1 Kor 10,7 seien die wichtigsten paulinischen Hinzufügungen zu dem vorpaulinischen Text und enthielten somit den zentralen Aussagegehalt des Textes. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass sich Paulus in 10,1-13 an Sakramentalisten mit übersteigertem Selbstbewusstsein wendet. 10,12 sei als Warnung an alle Gläubigen zu verstehen. Ähnlich K.-G. Sandelin 1995, 165-182.

 

W. A. Meeks 1982, 64-78 beklagt die stiefmütterliche traditionsgeschichtliche Behandlung der Anspielungen auf die Schrift in V. 6-10 sowie die seines Erachtens daraus resultierende häufige Nichtbeachtung der Einheit der V. 1-13. Er setzt dem die These entgegen, V. 1-13 seien eine literarische Einheit, die noch vor ihrem Gebrauch in ihrem jetzigen Kontext ausgesprochen sorgfältig komponiert worden sei. Er bezeichnet sie als Homilie, für deren besondere Komposition es kein spezifisches Modell im Judentum gebe, die vielmehr Beziehungen zu verschiedenen Gattungen aufweise. Die Annahme einer in sich einheitlichen Homilie erkläre die häufig überschätzten Unstimmigkeiten im Hinblick auf die anderen Abschnitte von 1 Kor 8 − 10. Als grundsätzliche, einheitliche Linie sei festzuhalten: Paulus gehe es nicht darum, Kontakte zu den Heiden und das Essen von Götzenopferfleisch zu verbieten, sondern darum, dass die Christen auf keinen Fall am heidnischen Kult teilnehmen. Im Zentrum der Ermahnungen stehe nicht die Abgrenzung nach außen hin, sondern die Solidarität innerhalb der christlichen Gemeinde.

G. D. Collier 1994, 55-75 setzt sich kritisch mit W. A. Meeks These auseinander, dass 1 Kor 10,1-13 den Vers Ex 32,6 kommentiere. Vielmehr werde nach Art eines Midraschs Num 11 (Stichwort: epithymia = Gier) in der Tradition von Ps 78 und 106 ausgelegt, wobei Ex 32,6 dazu diene, Num 11 zu erschließen. G. D. Collier geht davon aus, dass 10,1-13 eine ursprünglich unabhängige Homilie zugrunde liege, die Paulus in seinen Brief eingebaut habe. Der Text sei eine in sich geschlossene Einheit.

P. von der Osten-Sacken 1989, 60-86 pflichtet W. A. Meeks Meinung bei, dass die V. 1-13 durch einen strengen Aufbau geprägt seien. Allerdings kritisiert er W. A. Meeks Gliederung des Textes, die ihn zu seiner Meinung führt. Nach W. A. Meeks gliedere sich der Text in zwei Abschnitte, nämlich durch den Gegensatz zwischen "allen“ Israeliten, die sich der Rettung am Schilfmeer durch Gott und seines Schutzes in der Wüste erfreuten, und "einigen (den meisten) von ihnen“, die sich gegen ihn erhoben hätten und bestraft worden seien. Fünf positive und fünf negative Beispiele würden gegenübergestellt. Laut P. von der Osten-Sacken könne man aber allenfalls von vier Beispielen sprechen, womit W. A. Meeks Aussagen zu Zusammenhängen der rabbinischen Schriftauslegung hinfällig und seine vorgeschlagene Gliederung fraglich würden. P. von der Osten-Sacken nimmt von festen gattungsmäßigen Qualifizierungen und zu symmetrischen Konstruktionen Abstand und wendet sich stattdessen den rhetorisch-stilistischen Auffälligkeiten zu, insbesondere dem Sachverhalt, dass Paulus in V. 1-13 Zusamenhänge aus der Tora aufnimmt. Mache man sich diesen Sachverhalt bewusst, stelle sich die geläufige Frage nach dem Umgang des Paulus mit der Schrift in 1 Kor 10 präziser als Frage nach seinem Umgang mit ihr als Tora. Und ebenso folgerichtig schließe sich die weitergehende, desgleichen auffällig vernachlässigte Frage an, in welchem Verhältnis der so befragte Text 1 Kor 10 zu anderen Zusammenhängen der paulinischen Briefe steht.

 

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V. 8

 

Beobachtungen: Auch das Unzucht Treiben gehört zum Bösen. Paulus erwähnt wohl Götzenopferkult wie auch Unzucht, weil beides in Korinth eine Rolle spielte. Wiederum ist ein Teil der Israeliten abschreckendes Beispiel: Gemäß Num 25,1-9 (vgl. Ps 106,28-29) trieb er nämlich in Schittim mit Moabiterinnen kultische Unzucht. Laut Num 25,9 wurden jedoch infolgedessen 24000 und nicht 23000 Israeliten Opfer einer Seuche; zudem ist dort nicht die Rede davon, dass dies an einem einzigen Tag geschehen sei. Die Zahl 23000 taucht in Num 26,62 auf, gibt jedoch die Summe der Leviten nach ihren Geschlechtern an, was nichts mit der kultischen Unzucht zu tun hat. Bringt Paulus hier in seiner Erinnerung zwei ähnliche Zahlenangaben durcheinander?

 

Weiterführende Literatur: B. J. Koet 1996, 607-615 befasst sich dem alttestamentlichen Hintergrund von V. 6-12, insbesondere V. 7-8. V. 7 zitiere Ex 32,6. Auch V. 8 spiele auf die at. Erzählung vom Goldenen Kalb an, wobei wissentlich Ex 32,28 und Num 25,9 miteinander vermischt würden. So lasse sich u. a. erklären, dass von 23000 statt von 24000 Opfern die Rede ist.

 

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V. 9

 

Beobachtungen: Bezüglich des Versuchens bezieht sich Paulus auf Num 21,4-6: Die Israeliten murrten, so dass ihr Gott JHWH sie von Schlangen plagen ließ, die viele töteten. Mit dem Verb "versuchen“ dürfte aber noch mehr gemeint sein als "nur“ murren. In Num 21,4-6 ist vom Reden wider Gott und wider Mose die Rede. In Ex 17,2 heißt es ausdrücklich, dass das Volk haderte und JHWH "versuchte“. Gemeint ist wohl das geäußerte Misstrauen gegenüber Gottes Führung und Macht, das Gott unterstellt, er führe das Volk in Elend und Untergang. Durch solche Äußerungen wird Gott auf die Probe gestellt: Wie lange reicht seine Geduld, bis er straft?

 

Unklar ist, wen die Vorfahren der Christen versucht haben. In Num 21,4-6 ist das noch klar: Gott (und Mose). Insofern liegt zunächst nahe, dass auch 1 Kor 10,9 so zu lesen ist, dass die Vorfahren der Christen Gott versucht haben. Allerdings wird kein Objekt genannt. Geht man davon aus, dass das zuvor genannte Objekt der Versuchung, Christus, nicht nur auf die Christen, sondern auch auf die Vorfahren der Christen zu beziehen ist, dann hätten die Vorfahren Christus versucht. Diese Deutung widerspricht zwar Num 21,4-6, aber möglicherweise ist hier zu bedenken, dass Paulus den mit der Exoduserzählung verbundenen Fels (bzw. die Felsen) mit Christus identifiziert. Allerdings wurde in der Geschichte auch der umgekehrte Weg gegangen: "Lasst uns auch nicht (den) Christus versuchen“ wurde von Schreibern zu "Lasst uns auch nicht (den) Herrn versuchen“ korrigiert. "Herr“ kann sowohl Gott als auch Christus meinen.

 

Das Verb "töten“ steht im Imperfekt, was anzeigt, dass nicht die in kurzer Zeit erfolgende Tötung an sich im Vordergrund steht, sondern die längere Zeit andauernde Plage, die Todesopfer forderte.

 

Weiterführende Literatur: H. E. Lona 1983, 311-317 geht auf den Text 10,1-22, der wie ein Fremdkörper in 1 Kor 8-10 wirke, ein. H. E. Lona gliedert den Text und fragt danach, wie sich inhaltlich − und nicht auf literarkritische Weise - die Spannung zu dem Rest von 1 Kor 8-10 lösen lasse. Paulus halte auch in 10,1-22 das Opferfleisch und die Götzen für nichtig. Im Hintergrund bleibe also die im Bekenntnis begründete Freiheit. Aber im Falle des Opfermahles sei auf etwas anderes zu achten. Auch wenn die Götzen nichtig sind, dürfe der Christ die Macht der Dämonen nicht vergessen. Entscheidend für das Verständnis der paulinischen Argumentation sei die Vorstellung der Gemeinschaft mit Christus, die dem Gläubigen durch die Teilnahme am Becher des Segens und am gebrochenen Brot zuteil werde. Diese hänge mit einem Zugehörigkeitsprinzip zusammen, wonach der Christ zu dem einen Leib gehört. Dieses Zugehörigkeitsprinzip bedeute jedoch keine Heilsgarantie, die jede Handlungsweise − wie z. B. die Teilnahme am heidnischen Opfermahl − rechtfertigen würde.

 

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V. 10

 

Beobachtungen: Nun kommt Paulus auf das Murren zu sprechen, das ein Bestandteil des Versuchens ist und wahrscheinlich auch im Hinblick auf das Verhältnis der korinthischen Gemeindeglieder zu Paulus eine besondere Rolle spielt. So dürfte Paulus sicherlich mit seinen Anweisungen bei manchen Gemeindegliedern auf wenig Gegenliebe gestoßen sein und Murren und Widerstand hervorgerufen haben.

 

Unklar ist, auf welchen at. Text sich Paulus in V. 10 stützt. Am ehesten kommt Ex 17,6-15 in Frage, wo geschildert wird, wie infolge des Murrens 14700 Israeliten (außer denen, die mit Korach starben), bei einer Seuche ums Leben kamen. Dann wäre aber der "Verderber“ Gott selbst, denn er hat die Seuche über sein Volk kommen lassen. Nur die frühjüdische Auslegung dieser Stelle nennt im Zusammenhang mit diesem Text einen Engel des Verderbens, wie er auch in Ex 12,23; 2 Sam 24,16 und 1 Chr 21,15 auftaucht. Der Engel des Verderbens wäre dann ein himmlisches Wesen, das auf der Erde im Auftrag des transzendenten Gottes Verderben stiftet. Möglich ist auch, dass mit dem "Verderber“ der Satan im Blick ist. Dieser tritt aber v. a. im AT eher als Ankläger des Menschen vor Gott und als Anstifter des Menschen zum Bösen auf.

 

Es fällt auf, dass sowohl in V. 10 als auch in V. 9 und in V. 8 der Tod die Folge des Fehlverhaltens ist. Der Tod scheint für Paulus im Hinblick auf die Endzeit von besonderer Bedeutung zu sein; weniger der leibliche Tod als vielmehr der existenzielle Tod, also das Ausbleiben der Rettung vor der Vernichtung am Ende der Tage.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 11

 

Beobachtungen: Paulus betont wieder die typologische Bedeutung der Ereignisse (vgl. V. 6). Sie wurden nicht um ihrer selbst willen aufgeschrieben, sondern für Paulus’ Generation, und zwar als Warnung.

 

Paulus gehört zu der Generation, "auf die das Ende der Weltzeiten (Äonen) gekommen ist“. Er geht also davon aus, dass es mehrere Weltzeiten gegeben hat und er sich mit seiner Generation an deren Ende befindet. Sollte die im 1. und 2. Jh. n. Chr. verbreitete Vorstellung von den zwei Weltzeiten, der gegenwärtig-gottlosen und der zukünftig-eschatologischen (vgl. 1 Kor 2,6), den Hintergrund der Formulierung bilden, so sieht Paulus sich und seine Generation am Ende des gesamten Weltenlaufes und nicht am Übergang von "dieser Weltzeit“ zur endzeitlichen. Da sich die Weltzeiten überlappen - die gegenwärtig-gottlose Weltzeit ist noch nicht vergangen, da ist schon die endzeitliche Weltzeit angebrochen - kann er die Bibel vom Endpunkt der Zeiten her interpretieren.

 

Erst vom Ende der Weltzeiten her, das Paulus unmittelbar bevorstehend sieht, lässt sich die Bedeutung der Geschichte Israels samt seiner Wüstenzeit wirklich erfassen. Die biblischen Ereignisse und Aussagen sind auf die endzeitliche Generation hin zu beziehen.

 

Weiterführende Literatur: Mit der paulinischen Eschatologie befasst sich R. Penna 1999, 77-103, der auf S. 89-91 auf das unmittelbar bevorstehende Ende der Weltzeiten gemäß 1 Kor 10,11 eingeht.

 

Enge thematische Parallelen zwischen 1 Kor 4,6-21 und 1 Kor 8,1-11,1 sieht C. E. Still 2004, 17-41: 4,6-7 // 8,1-3: Hochmut anderen Menschen gegenüber; 4,8 // 8,4-6: eschatologische Überheblichkeit; 4,9-13 // 8,13-9,27 (besonders 9,12b.15-18): das Muster für Nachahmung; 4,14.18-21 // 10,1-22 (besonders 10,11.22): Warnungen vor dem Gericht; 4,15-17 // 10,33-11,1: Aufforderung zur Nachahmung. In Kor 1-4 werde die theologische Grundlage der Antworten des Paulus auf die in 1 Kor 5-15 zur Sprache kommenden Probleme gelegt.

 

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V. 12

 

Beobachtungen: Paulus plädiert nun an die eigene Verantwortung derjenigen, die meinen, dass sie "stehen“ - womit nicht gesagt ist, dass dies tatsächlich der Fall ist. Mit dem "Stehen“ ist sicherlich nicht das körperliche Stehen, sondern das Stehen im Glauben gemeint. Paulus hat vermutlich also gerade diejenigen Korinther im Blick, die sich glaubenssicher sind. Diese sollen sich aber nicht zu sicher sein, sondern zusehen, dass sie nicht "fallen“. Mit dem "Fallen“ ist wohl die Abwendung von Gott gemeint. Verschiedene "Fallstricke“ hat Paulus in V. 7-10 genannt.

 

Weiterführende Literatur: I. Broer 1989, 299-325 befasst sich mit 1 Kor 10,12-13 im Kontext von 1 Kor 10,1-13. Zunächst geht er auf die Rezeptionsgeschichte der V. 12-13 ein. Dann wendet er sich 10,1-13 im Kontext des ersten Korintherbriefes und dem Zusammenhang von 10,1-13 und 10,14-22 zu und analysiert den Abschnitt 10,1-13. Schließlich befasst er sich mit V. 12-13 und geht insbesondere auf das Gegensatzpaar "Stehen“ und "Fallen“ bei Paulus ein.

 

K.-G. Sandelin 1995, 257-273 geht davon aus, dass sich V. 12 (wie auch allgemein V. 1-13) nicht an Sakramentalisten mit übersteigertem Selbstbewusstsein wende, sondern eine Warnung sei, die jeden Gläubigen betrifft.

 

J. M. Gundry Volf 1990, 120-130 macht deutlich, dass Paulus kein Urteil über die korinthischen Christen spreche und sie für schuldig erkläre. Bestrafung könne vermieden werden, indem die Korinther mittels der Sakramente in Gemeinschaft mit Christus treten und sich von heidnischen kultischen Mahlen, die Gemeinschaft mit den Dämonen bewirken, enthalten.

 

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V. 13

 

Beobachtungen: Paulus bleibt nicht bei der Versuchung und dem "Fallen“ stehen, sondern kommt abschließend auf das Standhalten gegenüber der Versuchung zu sprechen. Damit Menschen aber überhaupt standhalten können, darf die Versuchung nicht zu stark werden. Bisher ist sie "menschlich“ gewesen, und damit schwächer, als es eine "göttliche“ Versuchung gewesen wäre. Dabei gibt es jedoch zwei verschiedene Möglichkeiten, wie das Adjektiv "menschlich“ gedeutet werden kann: a) Die Versuchung ist nur von Menschen, speziell den Heiden, ausgegangen und nicht vom Satan oder Gott. b) Die Versuchung hatte ein Maß, das nicht von vornherein das menschliche Standhaltevermögen überfordert hat. - Da der Satan auch für Paulus der Versucher schlechthin ist (vgl. 1 Kor 7,5; 1 Thess 3,5), ist kaum anzunehmen, dass bisher nur Menschen versucht haben sollten. Auch geht es Paulus in diesem Abschnitt weniger darum, wer versucht, sondern vielmehr darum, welches Ausmaß die Versuchung erreicht hat und erreichen darf. Interpretation b) ist somit wahrscheinlicher.

 

Gottes Rolle hinsichtlich der Versuchung ist nicht ganz durchsichtig: Einerseits heißt es, er habe die Versuchung "gemacht/geschaffen“. Damit geht sie ursächlich auf ihn zurück und er lässt sie auch zu. Andererseits sieht er zu, dass die Versuchung nicht das menschliche Maß übersteigt. Mehr noch: Gott wird sogar den Ausweg aus der misslichen Lage des Versuchtwerdens schaffen. Da die Präposition "mit“ nicht unbedingt die Zeitgleichheit der Schaffung von Versuchung und Ausweg anzeigt, kann sich das Futur "wird schaffen“ auch allein auf den Ausweg beziehen. Die Versuchung gibt es ja eigentlich schon.

Unklar bleibt jedoch, wie der Ausweg beschaffen sein wird. Es lässt sich nur soviel sagen, dass der Ausweg die Versuchung nicht ablöst, sondern nur dazu beiträgt, sie zu ertragen. Folglich kann nicht vorrangig die Wiederkunft Christi im Blick sein.

 

Gott steht den Gläubigen in der Versuchung bei und schafft auch einen Ausweg. Daher bezeichnet Paulus Gott als "treu“.

 

Weiterführende Literatur:

 

 

Literaturübersicht

 

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Broer, Ingo; “Darum: Wer da meint zu sehen, der sehe zu, daß er nicht falle.” 1 Kor 10:12f im Kontext von 1 Kor 10,1-13, in: H. Merklein [Hrsg.], Neues Testament und Ethik, FS R. Schnackenburg, Freiburg − Basel − Wien 1989, 299-325

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