Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Korintherbrief

Der erste Brief des Paulus an die Korinther

1 Kor 14,1-5

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Kor 14,1-5

 

 

Übersetzung

 

1 Kor 14,1-5: 1 Trachtet nach der Liebe; strebt nach den Geistesgaben, besonders aber danach, dass ihr prophezeit. 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht [es/ihn]; er redet vielmehr im Geist Geheimnisse. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet [den] Menschen zur Erbauung, zur Ermahnung und zum Trost. 4 Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst, wer aber prophetisch redet, der erbaut [die] Gemeinde. 5 Ich wollte, dass ihr alle in Zungen reden könntet, noch vielmehr aber, dass ihr prophetisch reden könntet. Größer ist der, der prophetisch redet, als der, der in Zungen redet - außer, er legt [es auch] aus, damit die Gemeinde Erbauung empfängt.

 

 

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V. 1

 

Beobachtungen: V. 1 knüpft vermutlich an 12,31a an, wo Paulus dazu ermahnt hat, nach den "höheren Gnadengaben“ zu streben. Eingeschoben hat Paulus einen Exkurs zum "besseren Weg“, der Ausübung der Gnadengaben in Liebe (12,31b-13,13).

 

Die Liebe ist denn auch das Erste, wonach die Adressaten trachten sollen, doch werden auch die Geistesgaben (= Gnadengaben) als erstrebenswert angesehen, insbesondere die Prophetie. Die Liebe wird gegenüber den Geistesgaben herausgehoben, von diesen abgegrenzt. Sie gehört also nicht zu den gewöhnlichen Geistesgaben. Sofern man davon ausgeht, dass auch sie von Gott gegeben bzw. vom Geist bewirkt ist, kann man sie als "höhere Gnadengabe“ oder "höhere Geistesgabe“ bezeichnen.

 

Weiterführende Literatur: C. Roux 1985, 33-53 thematisiert das Wirken der christlichen Propheten. Unzweifelhaft sei, dass es sie gegeben hat, doch ergäben die überlieferten Informationen kein einheitliches Bild. Möglicherweise habe es verschiedene Arten christlicher Propheten gegeben. Auf S. 40-47 geht C. Roux konkret auf 1 Kor 14 ein. Die prophetische Funktion charakterisiert sie wie folgt: Sie sei öffentlich und der Prophet in das Gemeindeleben eingebunden. Sie diene der Gemeinde, ermutige und ermahne sie und baue sie auf.

 

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V. 2

 

Beobachtungen: Von den Gnadengaben kommen zunächst nur die Prophetie und die Zungenrede in den Blick. Paulus begründet, warum er die erstere höher schätzt als die letztere: Ihr Nutzen ist für die Gemeinde größer. Die Zungenrede (= Glossolalie) ist zwar eine erstrebenswerte Gnadengabe Gottes und wird auch im Geist, d. h. mittels des Wirkens des heiligen Geistes, ausgeübt, doch versteht sie niemand - sofern es nicht jemanden gibt, der sie für die Gemeinde auslegen kann. Kennzeichen der Zungenrede ist also die Unverständlichkeit. Wer in Zungen redet, redet somit "Geheimnisse“, die den Menschen verborgen bleiben. Somit richtet sich die Rede nicht an die Menschen, sondern an Gott, der sie anscheinend versteht.

Das Wort "Geheimnisse“ hat sowohl eine positive als auch eine negative Färbung. Positiv ist sie insofern, als die "Geheimnisse“ von Wert sind; negativ ist sie, weil der wertvolle Inhalt gerade denjenigen verborgen bleibt, für die er eigentlich bestimmt ist.

 

Weiterführende Literatur: G. Theißen 1983, 271-340 beschreibt den wichtigsten Text zur Zungenrede (1 Kor 14) zunächst in seiner Struktur. In einem zweiten Teil werden Traditionen und historische Analogien zur Zungenrede erörtert. Zuletzt wird das Phänomen der Zungenrede religionspsychologisch von drei Ansätzen her (lerntheoretische Aspekte, psychodynamische Aspekte, kognitive Aspekte) analysiert. Dabei wird auch Röm 8,18-30 als eine spezifisch paulinische Interpretation pneumatischen Sprechens herangezogen.

 

W. Pratscher 1983, 119-132 untersucht das Erscheinungsbild und die Entstehung der sog. Glossolalie.

J. W. MacGorman 1983, 389-400 beschreibt zunächst das Wesen der Glossolalie − oder: Zungenrede − und ihren entarteten Gebrauch in Korinth. Dann legt er dar, auf welche Art und Weise Paulus mit dem in 12,1-14,40 thematisierten Problem des entarteten Gebrauchs umgeht.

Die erste und entscheidende Frage der Untersuchung von S. B. Choi 2007 lautet, ob Paulus und die Korinther im Grunde dasselbe Glossolalieverständnis haben und der Unterschied zwischen ihnen wirklich nur in der Bewertung des praktischen Nutzens der Glossolalie für die Gemeinde liegt. Ergebnis: Ein entscheidender Grund, weshalb Paulus die Praktizierung der Glossolalie so stark kritisch beurteilt, liege darin, dass die Realität der korinthischen Gemeinde seinem Verständnis von Gemeinde nicht entspricht. Gemäß Paulus dürften die Geistesgaben nicht der individuellen Selbstdarstellung, sondern müssten der Gemeinde bzw. deren Erbauung dienen. So würden die wahren Wirkungen des Geistes bestätigt.

D. B. Martin 1991, 547-589 vergleicht zunächst die Zungenrede, wie sie in der korinthischen Gemeinde praktiziert wurde, mit vergleichbaren esoterischen Sprachhandlungen, wie sie sich in anderen Gesellschaften und Kulturen beobachten lassen. Dann befasst er sich mit der Zungenrede unter dem Gesichtspunkt von Statusfragen. Die Zungenrede teile die Gemeinde in Gruppen von verschiedenem Status. Dabei sähen sich die Zungenredner selbst als Angehörige der höheren Gesellschaftsschichten an. Angesichts dieser Tatsache stelle sich auch Paulus als Zungenredner von angesehenem Status dar, mache jedoch zugleich deutlich, dass er zugunsten der Gemeindeglieder von niedrigerem Ansehen auf seine eigenen Interessen verzichte. Paulus fordere eine Neubewertung der zu hoch geschätzten Zungenrede, die den weniger angesehenen Gemeindegliedern und der Gemeinde in ihrer Gesamtheit zugute komme.

Ausführlich auf die verschiedenen Aspekte der Zungenrede und auf die Pfingstbewegung geht C. G. Williams 1981 ein.

 

E. A. Engelbrecht 1996, 295-302 setzt sich zunächst mit der These früherer Untersuchungen von N. Engelsen und R. Harrisville auseinander, die darlegen, dass die Formulierung "in Zungen reden“ ("glôssais lalein“) bei Paulus ein technischer Ausdruck für ekstatische Aktivitäten innerhalb der korinthischen Gemeinde sei. Der Ausdruck gehe nicht auf Paulus zurück, sondern auf das vorchristliche Judentum. Auch E. A. Engelbrecht geht davon aus, dass die Formulierung "in Zungen reden“ nicht auf Paulus zurückgehe. Vielmehr handele es sich um einen gebräuchlichen semitischen Ausdruck, der im AT, in den Schriften vom Toten Meer und in rabbinischen Schriften vorkomme. Er werde dort jedoch nicht im Sinne von "ekstatisch reden“, sondern im Sinne von "in einer fremden Sprache reden“ gebraucht. Paulus habe ihn wahrscheinlich aus Jes 28,11 übernommen und ihn auf die korinthische Situation bezogen.

 

B. Zerhusen 1997, 139-152 wendet sich gegen die Annahme, dass in 1 Kor 14 von Zungenrede im Sinne einer Sprache die Rede sei, die ihr Sprecher nicht erlernt hat, die er selbst auch nicht verstehen kann, die wundersamer Art und eine Geistbezeugung ist. Vielmehr sei von der Tatsache auszugehen, dass in Korinth als Handelsstadt ein multikulturelles Leben herrschte. So habe man dort die verschiedensten Sprachen hören können − auch im christlichen Gottesdienst. Auf diesem multikulturellen Hintergrund sei 1 Kor 14 zu verstehen. Griechisch sei die Sprache, in der in Korinth der Gottesdienst abgehalten und auch prophezeit wird. Paulus gestehe allen Gottesdienstbesuchern zu, in der Muttersprache zu sprechen, doch solle solche Rede in die griechische Sprache übersetzt werden. Wer zu einer solchen Übersetzung der eigenen Rede nicht in der Lage sei, solle im Gottesdienst schweigen und für sich und zu Gott sprechen.

 

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V. 3

 

Beobachtungen: Die prophetische Rede dagegen wendet sich an die Menschen. Sie wird von diesen verstanden und bewirkt Erbauung, Ermahnung und Trost. Das griechische Substantiv "paraklêsis“ kann sowohl "Ermahnung“ als auch "Trost“ bedeuten. Da der folgende Begriff "paramythia“ mit "Trost“ zu übersetzen ist, dürfte in V. 3 "paraklêsis“ mit "Ermahnung“ zu übersetzen sein. Die Heilsereignisse und das bevorstehende Weltende mit der Wiederkunft Christi bedeuten für die Menschen einerseits Erlösung, was einen Trost darstellt, andererseits gilt es aber auch, sein Leben entsprechend zu führen und sich vorzubereiten, was die Ermahnung bewirken soll. Trost und Ermahnung wiederum sind eng mit der Erbauung, der Stärkung, verbunden.

 

Weiterführende Literatur: T. Callan 1985, 125-140 befasst sich mit der Prophetie in der griechisch-römischen Religion und im Ersten Korintherbrief. Ergebnis: Paulus sei in einer ähnlichen Situation wie Philo von Alexandrien. Er werde mit einer Gemeinde konfrontiert, die nicht zwischen Zungenrede und Prophetie unterscheidet und davon ausgeht, dass Prophetie von Trance begleitet werde. Im Gegensatz dazu unterscheide Paulus beides sehr wohl. Er definiere Prophetie als etwas, was − anders als die Zungenrede - nicht von Trance begleitet wird. Er tue dies aufgrund seiner Treue zum AT und auch, weil es ihm erlaube, verstehbare inspirierte Rede zu fördern, die die Gemeinde erbaut.

 

Mit dem paulinischen Wortfeld oikodomê ("Erbauung“) und oikodomein ("erbauen“) in 1 Kor 14,1-19 befasst sich I. Kitzberger 1986, 98-110.

 

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V. 4

 

Beobachtungen: Auch der Zungenrede erkennt Paulus erbauende Funktion zu. Er macht jedoch deutlich, dass nicht die Gemeinde erbaut wird, sondern der Zungenredner selbst.

 

Weiterführende Literatur: Über das Verhältnis der Prophetie zur Zungenrede reflektiert G. Dautzenberg 1999, 61-63.

 

Gemäß U. Heckel 1992, 117-138 bestehe zwischen der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der charismatischen Bewegung und der paulinischen Erörterung der Geistesgaben eine besondere Nähe. Sie ergebe sich nicht nur durch eine gewisse Ähnlichkeit der Phänomene, sondern komme in verstärktem Ausmaß durch das Problem zustande, dass die Existenz besonderer Charismen den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinden auf die Probe gestellt und einzelne Gruppierungen sich schon abgespalten haben. Deshalb gehe es für Paulus wie für uns nicht nur um eine theologische Bewertung dieser Erscheinungen, sondern auch um den praktischen Umgang mit diesen Parteiungen. Hinsichtlich des letzteren Aspekts ergebe sich ein differenziertes Bild: Einerseits bewerte Paulus die Gnadengaben, die zum Gemeindeaufbau beitrügen, positiv, andererseits wende er sich aber gegen das Überlegenheitsgefühl der Charismatiker. Der Wert einer Gnadengabe sei am Nutzen für den Zusammenhalt und die Erbauung der Gemeinde zu messen.

 

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V. 5

 

Beobachtungen: V. 5 unterstreicht nochmal, dass Paulus die Zungenrede zwar schätzt und die Gnadengabe jedem Gemeindeglied wünscht, er jedoch die prophetische Rede noch mehr schätzt und sie den Gemeindegliedern noch mehr wünscht. Der Hauptgrund für die Höherschätzung ist der Nutzen für die Gemeinde. Die Zungenrede ist nur dann mit der Prophetie gleichzusetzen, wenn sie für die Gemeinde ausgelegt und auf diese Weise für diese verständlich gemacht wird.

 

Weiterführende Literatur: G. Röhser 1996, 243-265 diskutiert die Forderung v. a. der sog. "geistlichen Erneuerung“, die Gaben des heiligen Geistes zu erbitten, zu erwarten und für deren praktische Anwendung Erfahrungsmöglichkeiten und Freiräume zu schaffen, nicht zuletzt im Rahmen eines Gottesdienstes. G. Röhser steht einer solchen Forderung kritisch gegenüber. Es bestehe die Gefahr einer erneuten Dogmatisierung von Teilen antiker Weltanschauung bei der Suche nach heutiger Glaubenspraxis. Nicht der Autorität konkreter einzelner urchristlicher Glaubens- und Lebensvollzüge sei Vorrang zu geben, sondern den theologischen Grundaussagen der Texte. Am Beispiel der Zungenrede versucht G. Röhser zu zeigen, in welche Probleme man sich bei dem Versuch einer Nachahmung vermeintlich historischer Erscheinungen des Urchristentums verstricken kann. In einem zweiten Abschnitt geht er speziell auf 1 Kor 12-14 ein, um dann in einem dritten Teil eine Definition des Charismen-Begriffs vorzunehmen. Abschließend wird dann vor dem Hintergrund der Weltbildfrage nach der heutigen Übersetzbarkeit der paulinischen Charismen-Lehre gefragt.

 

 

Literaturübersicht

 

Callan, Terrance; Prophecy and Ecstasy in Greco-Roman Religion and in 1 Corinthians, NT 27 (1985), 125-140

Choi, Sung Bok; Geist und christliche Existenz. Das Glossolalieverständnis des Paulus im Ersten Korintherbrief (1 Kor 14) (WMANT 115), Neukirchen-Vluyn 2007

Dautzenberg, Gerhard; Prophetie bei Paulus, JBTh 14, Neukirchen-Vluyn 1999, 55-70

Engelbrecht, Edward A.; “To Speak in a Tongue”: The Old Testament and Early Rabbinic Background of a Pauline Expression, CJ 22/3 (1996), 295-302

Heckel, Ulrich; Paulus und die Charismatiker. Zur theologischen Einordnung der Geistesgaben in 1 Kor 12-14, TBe 23/3 (1992), 117-138

Kitzberger, Ingrid; Bau der Gemeinde: Das paulinische Wortfeld oikodomê (FzB 53), Würzburg 1986

MacGorman, J. W.; Glossolalia Error and its Correction: 1 Corinthians 12-14, REx LXXX/3 (1983); 389-400

Martin, Dale B.; Tongues of Angels and Other Status Indicators, JAAR 59 (1991), 547-589

Pratscher, Wilhelm; Zum Phänomen der Glossolalie, in: S. Heine, E. Heintel [Hrsg.], Gott ohne Eigenschaften? FS G. Fitzer, Wien 1983, 119-132

Röhser, Günter; Übernatürliche Gaben? Zur aktuellen Diskussion um die paulinische Gnadenlehre, ThZ 52 (1996), 243-265

Roux, Christine; Prophétie et ministère prophétique selon Saint Paul, Hok 29 (1985), 33-53

Theißen Gerd, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie (FRLANT 131), Göttingen 1983

Williams, Cyril G.; Tongues of the Spirit: A Study of Pentecostal Glossolalia and Related Phenomena, Cardiff 1981

Zerhusen, Bob; The Problem Tongues in 1 Cor 14: A Reexamination, BTB 27/4 (1997), 139- 152

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