Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Korintherbrief

Der erste Brief des Paulus an die Korinther

1 Kor 16,5-12

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Kor 16,5-12

 

 

Übersetzung

 

1 Kor 16,5-12:5 Ich werde aber zu euch kommen, sobald ich durch Makedonien gezogen bin; denn durch Makedonien will ich [nur] hindurchreisen. 6 Bei euch aber werde ich, wenn möglich, [eine Weile] bleiben oder sogar den Winter zubringen, damit ihr mich [zur Weiterreise] ausstattet, wohin ich reisen werde. 7 Denn ich will euch jetzt nicht [nur] auf der Durchreise sehen; ich hoffe nämlich, einige Zeit bei euch zu bleiben, wenn es der Herr zulässt. 8 Ich werde aber bis Pfingsten in Ephesus bleiben, 9 denn mir hat sich eine große und wirksame Tür aufgetan, und es gibt viele Widersacher. 10 Wenn aber Timotheus kommt, so seht zu, dass er ohne Furcht bei euch sein kann; denn er treibt das Werk des Herrn wie auch ich. 11 Es soll ihn also niemand verachten! Schickt ihn vielmehr in Frieden weiter, damit er zu mir kommt; denn ich erwarte ihn mit den Geschwistern. 12 Was aber den Bruder Apollos betrifft: Ich habe ihn mehrmals gebeten, dass er mit den Geschwistern zu euch kommen soll. Doch war es ganz und gar nicht [sein] Wille, jetzt zu kommen. Er wird aber kommen, sobald er Gelegenheit findet.

 

 

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V. 5

 

Beobachtungen: Nachdem Paulus in 16,1-4 seine Absicht bekundet hat, erneut nach Korinth zu reisen, geht er in 16,5-9 auf Einzelheiten seiner Reisepläne ein.

 

Paulus will nicht auf dem Seeweg, sondern auf dem Landweg durch Makedonien nach Korinth reisen. Makedonien ist für Paulus insofern von besonderer Bedeutung, als er hier seine Mission auf europäischem Boden begonnen hat. Dabei hat er in verschiedenen Orten gepredigt, wobei insbesondere Philippi, Thessalonich und Beröa zu nennen sind.

 

Paulus beabsichtigt nicht, in den makedonischen Gemeinden längere Zeit zu verweilen, sondern er will nur hindurchreisen. Dies lässt darauf schließen, dass er dort keine umfangreicheren Dinge zu erledigen hat.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 6

 

Beobachtungen: In Korinth möchte er jedoch einen längeren Aufenthalt einschieben. Dieser ist noch nicht ganz sicher, sondern hängt von nicht näher definierten Umständen ab. Dass Paulus in Korinth verweilen will, lässt sich damit erklären, dass die Gemeinde wieder geordnet werden muss. Aus dem Ersten Korintherbrief geht hervor, dass in Korinth eine Reihe Missstände herrschen, die Gemeinde als Ganze jedoch noch nicht aus dem Ruder gelaufen ist. Dass es in der makedonischen Gemeinde von Thessalonich ähnlich viel zu regeln geben könnte, lässt der stärker von Lob geprägte, früher verfasste erste Brief an die Thessalonicher nicht durchschimmern.

 

Wenn Paulus sagt, dass er in Korinth bleiben will, so hat er dabei keinen dauerhaften Aufenthalt im Blick. Dies geht aus der ergänzenden Anmerkung hervor, dass er in der Stadt möglicherweise den Winter zubringen will. Dass er über Winter bleibt, ist also noch nicht sicher. Geht man davon aus, dass Paulus nicht die aufgrund des kalten Wetters zum Reisen ungünstigste Zeit, den Winter, für seine Durchquerung von Makedonien wählt, so dürfte der Großteil dieses Reiseabschnitts in das Frühjahr oder in den Sommer fallen. In Korinth dürfte Paulus demnach im späten Frühjahr oder im Sommer ankommen, spätestens jedoch im Herbst. Dann wird er vermutlich mindestens einige Wochen, vielleicht aber auch einige Monate in Korinth bleiben. In dieser Zeit gilt es dann zu entscheiden, ob er auch den Winter noch in Korinth verbringen will bzw. kann, oder ob er noch vor dem Wintereinbruch weiterreisen wird. Die maximale Aufenthaltszeit ohne Überwinterung würde ein Jahr betragen. Dass Paulus ins Auge fasst, in Korinth zu überwintern, lässt sich mit dem insbesondere für Seereisen ungünstigen Winterwetter begründen.

 

Paulus erwartet, dass die Korinther ihn nach dem Winteraufenthalt auf den Weg schicken oder begleiten werden - je nach Übersetzung des Verbs "propempô“ ("auf den Weg schicken / begleiten“). Da Paulus dieses Fortschicken oder Begleiten in einem engen Zusammenhang mit dem Winteraufenthalt sieht, ist davon auszugehen, dass er den Winter im Hinblick auf die Vorbereitungen für die Weiterreise nicht ungenutzt verstreichen lässt. Wahrscheinlich wird er sich in dieser Zeit für die Weiterreise ausstatten lassen. Demnach wäre das Verb "propempô“ mit "[zur Weiterreise] ausstatten“ zu übersetzen. Diese Ausstattung seitens der Gemeinde würde nicht zu dem Missionarslohn gehören, auf den Paulus gemäß 1 Kor 9,1-18 freiwillig verzichtet.

 

Paulus scheint noch nicht zu wissen, wohin er nach dem Aufenthalt in Korinth reisen wird, denn sonst würde er sich nicht so unbestimmt äußern.

 

Weiterführende Literatur: Ausführlich zur apostolischen Parusie in der Schlussparänese siehe F. Schnider, W. Stenger 1987, 92-107. Im Ersten Korintherbrief habe die in die briefliche Schlussparänese eingearbeitete apostolische Parusie weniger die Aufgabe, die apostolische Autorität im Dienst der Schlussparänese geltend zu machen. Das liege daran, dass zu den Inhalten der Schlussparänese eher technische Anweisungen zur Durchführung einer Kollekte gehörten. Paulus sei die Gemeinde vermutlich wichtig, so dass er nicht nur kurz bleiben, sondern bei ihr verweilen und überwintern möchte. Nicht auszuschließen seien auch praktische Absichten: Die Korinther sollten seine weiteren Reisevorhaben vorbereiten und ihn ausstatten.

 

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V. 7

 

Beobachtungen: Paulus sieht Korinth nicht als eine Zwischenstation an. Vielmehr scheint die dortige Gemeinde das eigentliche Ziel der Reise zu sein, was auch erklären würde, dass der weitere Reiseplan noch nicht feststeht.

Paulus scheint den gegebenen Zeitpunkt ("jetzt“) für geeignet zu halten, in Korinth einen längeren Aufenthalt einzuplanen. Aus der Zeitangabe "jetzt“ und der Absicht, längere Zeit in Korinth zu bleiben, lässt sich nicht sicher erschließen, dass Paulus nach seinem ersten, längeren Gründungsaufenthalt auch einmal auf Durchreise in Korinth gewesen ist.

 

Die Aufenthaltsdauer ist anscheinend noch nicht fest geplant, wie die unbestimmte Angabe "einige Zeit“ zeigt. Paulus macht seinen Plan, längere Zeit zu bleiben, vom Willen des "Herrn“ - gemeint ist entweder Gott oder Jesus Christus - abhängig.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 8

 

Beobachtungen: Nachdem Paulus seinen Plan bezüglich der Reiseroute und der Zeiteinteilung dargelegt hat, ist natürlich für die Korinther wichtig zu wissen, wann denn Paulus gedenkt, von seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort abzureisen. Der gegenwärtige Aufenthaltsort ist Ephesus; dort hat Paulus also den Ersten Korintherbrief verfasst. In Ephesus möchte Paulus bis Pfingsten - nach jüdischer Zeitrechnung der fünfzigste Tag nach dem Passafest, also der 6. bzw. 7. Siwan (etwa Mitte Juni) - bleiben. Somit lässt sich auch seine Reiseplanung präzisieren: Paulus wird etwa Pfingsten auf dem Land- oder Seeweg von Ephesus nach Makedonien reisen. Dort wird er vermutlich im Frühsommer ankommen und die trockenste und wärmste Zeit für seine Reise von einer makedonischen Gemeinde zur nächsten nutzen. Je nach Reisetempo wird er im Spätsommer oder im Herbst in Korinth ankommen.

Ob Paulus im Rahmen seines Aufenthaltes in Ephesus dem Pfingstfest eine besondere Bedeutung beimisst, lässt sich nicht erschließen.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 9

 

Beobachtungen: Unklar ist jedoch, in welcher Zeit des Jahres Paulus seine Reisepläne des Ersten Korintherbriefes niederschreibt bzw. diktiert. Wenn er sagt, dass sich ihm eine große und wirksame Tür aufgetan habe, so scheint sich eine gute Chance für die Mission in Ephesus ergeben zu haben, die er sicherlich nutzen will. Es wird folglich noch eine geraume Zeit bis Pfingsten hin sein. Dafür spricht auch die Anmerkung, dass es viele Widersacher gebe. In ihr klingt an, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis der erhoffte Missionserfolg gegen die vielen Widersacher erreicht sein wird. Andererseits lässt die präzise Zeitangabe "bis Pfingsten“ auf einen überschaubaren Zeitraum schließen. Die Begründungen bezüglich des Abreisezeitpunktes klingen wie eine Rechtfertigung bezüglich eines möglichen Vorwurfs, dass Paulus auch schon früher abreisen könnte. Der Vorwurf, dass Paulus sich nicht in Korinth blicken lasse, klingt in stärkerem Maße auch in 3,18-19 an. Ein früherer Abreisezeitpunkt könnte jedoch nur im Frühjahr vor Pfingsten liegen, nicht im Sommer oder Herbst des vorhergehenden Jahres. Andernfalls würde sich wieder das Problem der Reise in den Wintermonaten stellen. Aus klimatischen Gründen ist eine Abreise im Frühjahr am sinnvollsten. Es ist also anzunehmen, dass Paulus den Ersten Korintherbrief im beginnenden Frühjahr schreibt, in dem Pfingsten schon in Sichtweite ist. Für eine solche Datierung spricht auch die Anspielung auf das Passafest in 5,7-8.

 

Unklar ist, inwiefern sich Paulus eine große und wirksame Tür aufgetan hat. Die Formulierung besagt zunächst einmal, dass sich in Ephesus eine große Missionschance (= Tür) ergeben hat. Wie es zu dieser gekommen ist, sagt Paulus nicht, spielt also in seinen Ausführungen keine Rolle. Am ehesten ist an die Bekehrung eines einflussreichen Einwohners - oder auch mehrerer - oder an die Erlaubnis, an einem wichtigen öffentlichen Ort zu predigen, zu denken.

 

Die Widersacher scheinen Paulus’ Missionsbemühungen zu behindern, aber nicht zu verhindern. Auf jeden Fall sind sie nicht so bedrohlich, dass Paulus eine Flucht in Erwägung ziehen müsste. Allerdings hat Paulus in Ephesus auch schon eine lebensbedrohliche Situation erlebt (vgl. 15,32).

 

Weiterführende Literatur:

 

V. 10

 

Beobachtungen: V. 10 knüpft an 3,17 an, wo Paulus seinen nach Korinth gesandten und wahrscheinlich noch auf der Reise befindlichen Mitarbeiter Timotheus als sein "geliebtes und treues Kind im Herrn“ bezeichnet. Timotheus werde die Korinther an Paulus’ Weisungen in Jesus Christus erinnern. Auch in 16,10 erscheint Timotheus als rechtgläubiger und rechtschaffener Mitarbeiter, der wie Paulus das "Werk des 'Herrn’“ treibt.

 

Dass Paulus eigens betonen muss, dass die korinthischen Gemeindeglieder zusehen sollen, dass Timotheus ohne Furcht bei ihnen sein kann, lässt annehmen, dass dies nicht selbstverständlich ist. Timotheus könnte also durchaus Widerstand entgegen schlagen - doch von wem? Am ehesten ist an Widersacher innerhalb der Gemeinde zu denken, denn Timotheus hat als Hauptauftrag mitbekommen, die korinthischen Gemeindeglieder an Paulus’ Weisungen in Jesus Christus zu erinnern. Von einer Mission unter den Heiden und Juden ist nicht die Rede. Aus den Ausführungen des Ersten Korintherbriefes wird deutlich, dass sich ein Teil der Gemeindeglieder für besonders "geisterfüllt“ hält und andere Gemeindeglieder an den Rand drängt. Dass sich solche Gemeindeglieder ungern zurechtweisen lassen, liegt auf der Hand. Von ihnen und auch von denjenigen, die bisher ungestraft Verfehlungen begehen konnten, ist Widerstand zu erwarten. Da es sich jedoch bei diesen Personen nur um einen Teil der Gemeindeglieder handelt, kann Paulus die wohlgesonnenen dazu aufrufen, Timotheus in Schutz zu nehmen.

Paulus scheint davon auszugehen, dass sich Timotheus nicht allein gegen größere Widerstände durchsetzen kann. Bedeutet dies, dass Timotheus ein zurückhaltender oder gar furchtsamer Mensch ist? Eine solche Folgerung ist möglich, jedoch nicht zwingend. Vielleicht möchte Paulus einfach nur von vornherein dafür sorgen, dass sein enger Mitarbeiter einen möglichst konfliktfreien Aufenthalt in Korinth verlebt.

 

Weiterführende Literatur: C. R. Hutson 1997, 58-73 setzt sich kritisch mit der These auseinander, dass Timotheus furchtsam und schüchtern gewesen sei. In der Apostelgeschichte und im Ersten Korintherbrief erscheine Timotheus nicht als furchtsam und schüchtern, sondern − ganz im Gegenteil - als unerschrocken. Erstere Interpretation gehe v. a. auf 2 Tim 1,7 und 4,12 zurück, wonach Timotheus ein schüchterner, junger und unerfahrener Missionar zu sein scheine. Doch stelle sich bei dieser Interpretation die Frage, warum Paulus gerade ihn zu einer solch schwierigen Gemeinde, wie es die korinthische ist, schickt. Das griechische Adjektiv "aphobôs“ sei mit "furchtlos“ zu übersetzen und bezeuge nicht Timotheus’ Furcht, sondern vielmehr dessen Furchtlosigkeit den Korinthern gegenüber. Im ermahnenden Kontext von 2 Tim 1,6-14 sei die Formulierung "Geist der Furcht“ (2 Tim 1,7) auf die Empfindsamkeit junger Menschen im Hinblick auf Ehre und Scham zu beziehen und als gängiges Motto antiker Rhetorik zu verstehen.

 

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V. 11

 

Beobachtungen: Es gilt zu verhindern, dass Timotheus in eine feindselige Atmosphäre hineingerät, in der ihm Verachtung entgegenschlägt. Paulus scheint davon auszugehen, dass Timotheus nicht lange in Korinth bleibt, denn er kommt sogleich auf die Rückkehr des Timotheus zu sprechen. Für eine kurze Aufenthaltsdauer spricht auch, dass Timotheus bis Pfingsten wieder in Ephesus zurück sein muss, damit es bezüglich Paulus’ Abreise kein Verzug ergibt.

 

Die korinthischen Gemeindeglieder sollen Timotheus in Frieden - also nicht in Zwietracht - nach Ephesus weiterschicken. Das schon in V. 6 benutzte Verb "propempô“ weist darauf hin, dass es sich nicht um ein einfaches Fortschicken handelt, sondern auch um ein Ausstatten für die Rückreise.

Paulus geht davon aus, dass Timotheus auf seinem Rückweg begleitet wird, und zwar von den "adelphoi“ ("Geschwistern“). Allerdings ist unklar, wer mit "den Geschwistern“ − es ist an Glaubensgeschwister gedacht - gemeint ist. Es kann sich um Christen handeln, die Timotheus auf der Hinreise nach Korinth schon begleitet haben, oder auch um korinthische Gemeindeglieder. In letzterem Fall wäre schon geklärt, wer Timotheus nach Ephesus begleitet, denn sonst wären weitere bestimmende Angaben zu erwarten. Bei den "Geschwistern“ kann es sich ausschließlich um Männer, um "Brüder“, handeln, denn "adelphoi“ ist ein Maskulinum. Allerdings ist dies nicht zwangsläufig anzunehmen, denn auch Frauen kann das Maskulinum einschließen. Voraussetzung für dessen Verwendung ist, dass zu der Gruppe mindestens ein Mann gehört. In diesem Fall werden die Frauen von der männerorientierten Sprache unterschlagen.

 

Weiterführende Literatur:

 

V. 12

 

Beobachtungen: Aus V. 12 geht hervor, dass es sich bei den in V. 11 erwähnten "Geschwistern“ nicht um korinthische Gemeindeglieder handelt, sondern um Personen, die Timotheus auf dem Weg von Ephesus nach Korinth begleiten und auch - wenn alles wie geplant verläuft - wieder zurückbegleiten werden. Dass es sich dabei um Christen aus Ephesus handelt, ist wahrscheinlich, jedoch nicht sicher. Welche Aufgabe sie im Rahmen der Reise haben, wird nicht gesagt. Angesichts der verschiedenen Gefahren, die unterwegs lauern können, ist jedoch an ein schützendes Geleit für Timotheus zu denken.

 

Auch bezüglich Apollos scheint Paulus auf eine Anfrage der Korinther zu antworten. Aus 1,12 geht hervor, dass der Missionar Apollos, der in Korinth Paulus’ Werk der Gemeindegründung fortgesetzt hat (vgl. 3,6), dort eine recht große Anhängerschar hat. Es ist also durchaus nachvollziehbar, dass im Brief der Gemeinde nachgefragt wird, ob auch Apollos wieder nach Korinth kommt.

 

Wenn man Paulus’ Worten glauben darf, so scheint er eine Reise des Apollos nach Korinth durchaus gewünscht, ja geradezu gefordert zu haben. Paulus hat demnach Apollos mehrmals gebeten, ihn jedoch nicht zum Aufbruch - evtl. mit Timotheus und seinen Begleitern - bewegen können. Apollos scheint seine Weigerung gemäß Paulus’ Worten damit begründet zu haben, dass ihm zum jetzigen Zeitpunkt die Reise sehr ungelegen komme; bei Gelegenheit wolle er aber die Reise antreten. Über den Grund, warum Apollos die Reise zum gegenwärtigen Zeitpunkt ungelegen kommt, lässt sich nur spekulieren. Nahe liegend ist, dass Apollos andere Dinge zu erledigen hat, die ihm dringlicher als eine Reise nach Korinth erscheinen. Aus der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Apollos wird deutlich, dass sich dieser entweder in Ephesus oder im näheren Umkreis aufhält.

 

Warum Apollos von Paulus so dringlich ermahnt wird, nach Korinth zu reisen, ist unklar. Sicher ist nur, dass Paulus von dessen erneutem Aufenthalt in Korinth keine Verstärkung der Spaltungen (vgl. 1,10-17) erwartet. Vielmehr scheint er sich positive Auswirkungen auf das Gemeindeleben zu erhoffen. Erhofft sich Paulus von Apollos’ Anwesenheit in Korinth klare Worte gegen die Bildung von Parteiungen? Oder baut er darauf, dass Apollos aufgrund seines hohen Ansehens bei einem Teil der korinthischen Gemeindeglieder für innergemeindliche Ordnung sorgen kann? Oder will Paulus auf jeden Fall der Bitte der Korinther nachkommen? Das vehemente Drängen des Paulus und die wiederholte Weigerung des Apollos, zum jetzigen Zeitpunkt nach Korinth zu reisen, lässt eine Auseinandersetzung zwischen Paulus und Apollos annehmen. Diese macht deutlich, dass Apollos nicht weisungsgebunden arbeitet. Reibereien und die Bildung von Parteiungen in Korinth lassen jedoch nicht unbedingt auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen Paulus und Apollos schließen. Wahrscheinlicher sind unterschiedliche Charaktere und unterschiedliche Herangehensweisen, die allerdings zumindest unterschwellig zu Konkurrenz führen können. Bei einer offensichtlichen oder gar beabsichtigten Konkurrenz hätte Paulus jedoch sicherlich nicht auf eine Reise des Apollos nach Korinth gedrängt - und Apollos hätte vermutlich nicht zugelassen, dass allein Paulus’ enger Vertrauter Timotheus in Korinth Anweisungen gibt.

 

Ob es sich bei dem "Willen“ ("thelêma“) um den Willen von Apollos oder um den Willen Gottes oder Jesu Christi handelt, bleibt offen. Wenn Apollos’ Wille gemeint wäre, wäre das Possessivpronomen "sein“ zu erwarten gewesen. Andererseits macht Paulus aber auch nicht deutlich, dass der Wille Gottes oder Jesu Christi gemeint ist. Angesichts dieser Unklarheit spricht die Tatsache, dass es letztendlich an Apollos liegt, eine Gelegenheit für einen Besuch zu finden, dafür, dass Apollos’ Wille gemeint ist.

 

Weiterführende Literatur: M. M. Mitchell 1989, 229-256 untersucht die Rolle, die Beobachtungen über die peri de (Was aber … betrifft)-Formel in der jüngeren Auslegungsgeschichte des Ersten Korintherbriefes gespielt haben, versucht die zu Grunde gelegten Annahmen aufzudecken, legt eine begründete These zum korrekten Wesen der Formel auf Grundlage ihres Gebrauchs in antiken griechischen literarischen und brieflichen Texten dar und weist abschließend auf einige Schlussfolgerungen hinsichtlich eines rechten Verständnisses der Formel für die Analyse der Aufbaus des Ersten Korintherbriefs hin.

 

D. P. Ker 2000, 75-97 befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Paulus und Apollos. Dieses sei von Konkurrenz geprägt gewesen. Bezüglich Apollos’ Weigerung, zum jetzigen Zeitpunkt nach Korinth zu reisen, vermutet er, dass Apollos nicht die Spaltung der korinthischen Gemeinde verstärken wolle. Paulus lasse den Grund für Apollos’ Weigerung offen, wobei er sich selbst so hinstellt, als habe er alles versucht, um seinen Mitarbeiter doch noch zum Aufbruch zu bewegen. Dessen Handeln lasse sich dagegen von Seiten der Adressaten verschieden deuten und könne fehlinterpretiert und kritisiert werden. Somit stehe Paulus in einem guten Licht da, auf Apollos fielen dagegen Schatten.

 

Nach Meinung von W. Rebell 1986, 90-92 liege ein Dissens zwischen Paulus und Apollos vor. Es handele sich um eine deutliche Meinungsverschiedenheit, die freilich keine wirkliche Auseinandersetzung sei, was bereits durch den Brudernamen angezeigt werde, mit dem Apollos hier bedacht wird. Ob es im Willen des Apollos oder im Willen Gottes begründet liegt, dass Apollos dem Zureden des Paulus nicht folgte, lasse der Text offen; psychologisch gesehen spiele eine Unterscheidung keine Rolle. Die Weigerung des Apollos lasse sich mit dem sozialpsychologischen Konzept der Reaktanz erklären, das von den Bedrohungen der Freiheit eines Menschen und seinen Reaktionen auf diese Bedrohungen handelt.

 

 

Literaturübersicht

 

Hutson, Christopher R.; Was Timothy Timid? On the Rhetoric of Fearlessness (1 Corinthians 16:10-11) and Cowardice (2 Timothy 1:7), BR 42 (1997), 58-73

Ker, Donald P.; Paul and Apollos − Colleagues or Rivals?, JSNT 77 (2000), 75-97

Mitchell, Margaret M.; Concerning peri de in 1 Corinthians, NT 31/3 (1989), 229-256

Rebell, Walter; Gehorsam und Unabhängigkeit: eine sozialpsychologische Studie zu Paulus, München 1986

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), Leiden 1987

 

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