1 Kor 16,19-24
Übersetzung
1 Kor 16,19-24:19 Es grüßen euch die Gemeinden Asiens. Es grüßen euch im Herrn vielmals Aquila und Prisca samt der Gemeinde in ihrem Haus. 20 Es grüßen euch alle Geschwister. Grüßt einander mit [dem] heiligen Kuss! 21 Der Gruß ist von meiner, des Paulus, Hand. 22 Wenn jemand den Herrn nicht liebt, sei er verflucht! Maranatha! 23 Die Gnade des Herrn Jesus sei mit euch! 24 Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus.
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Beobachtungen: Der Erste Korintherbrief wird durch Grüße abgeschlossen. Die Grüße machen deutlich, dass Paulus in Ephesus nicht als einzelner Christ ein Dasein fristet, sondern mit weiteren Christen und Gemeinden in Kontakt steht, welche wiederum mit der korinthischen Gemeinde in Verbindung stehen.
Dass Paulus gerade von Aquila und Prisca - von einigen Textzeugen Priscilla genannt (vgl. Apg 18,2) - Grüße ausrichtet, lässt sich damit erklären, dass beide ein besonderes Verhältnis zur Stadt Korinth samt ihrer Gemeinde haben. Bei Aquila handelt es sich um einen aus der im Norden der heutigen Türkei gelegenen römischen Provinz Pontus stammenden Juden, der gemäß Apg 18,2 unter dem Kaiser Claudius - wie auch alle anderen Juden - aus Rom verbannt worden war und sich mit seiner Frau Prisca in Korinth niedergelassen hat. Dort nahm er mit seiner Frau Paulus auf, der sich auf seiner Missionsreise das erste Mal in Korinth befand. Zur Zeit der Abfassung des Briefes befinden sich Aquila und Prisca jedoch in Ephesus (oder naher Umgebung), wobei der Kontakt des Ehepaars zu Paulus und zur korinthischen Gemeinde erhalten geblieben ist. Die Einbindung in das kirchliche Leben macht deutlich, dass Aquila und Prisca, über deren Herkunft nichts weiter bekannt ist, inzwischen Christen sind.
Aquila und Prisca scheinen wohlhabende Personen zu sein, denn sonst hätten sie Paulus in Korinth nicht aufnehmen können. Einige Textzeugen gehen sogar davon aus, dass sie Paulus auch in Ephesus aufgenommen haben. Dass Aquila und Prisca wohlhabend sind, lässt auch die Erwähnung einer Hausgemeinde annehmen. Wie die Hausgemeinde beschaffen ist, bleibt offen. Vermutlich gehören ihr die Angehörigen des Haushalts des Ehepaars an, die gemeinsam ihren Glauben ausüben. In welchem Umfang sich jedoch weitere Gemeindeglieder zur Glaubensausübung im Hause des Ehepaars eingefunden haben, ist fraglich. Unklar ist auch, wie die dort betriebene Glaubensausübung konkret erfolgt ist. Es dürfte sich kaum um Versammlungen gehandelt haben, die die Einheit der Gemeinde in Ephesus gefährdet haben, denn dies hätte dem paulinischen Einheitsgedanken widersprochen.
Dass Paulus auch Grüße der Gemeinden Asiens ausrichtet, lässt sich damit erklären, dass der Aufenthaltsort Ephesus die Hauptstadt der im Westen der heutigen Türkei gelegenen römischen Provinz Asien (Asia) ist. Dass Paulus überhaupt von anderen Gemeinden Asiens grüßen lassen kann, setzt voraus, dass im Rahmen der Mission auch außerhalb von Ephesus Gemeinden entstanden sind. Ob die Mission von Ephesus ausgegangen ist, lässt sich nicht erschließen.
Weiterführende Literatur: Mit dem Briefschluss 16,13-24 befasst sich J. A. D. Weima 1994, 201-208, wobei er eine strukturelle und thematische Analyse bietet.
J. Harrison 1999, 32-47 geht zunächst auf die Verbindung zwischen göttlicher Gnade und der Begabtheit der Kirche als "Leib Christi“ ein. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die charismatische Natur der Hausgemeinden und wie sie sich in sozialer Hinsicht ausgedrückt hat. Dann wird den Unterschieden zwischen Paulus’ Hauskirchen und den griechisch-römischen Kultgemeinschaften nachgegangen. Eine Untersuchung der Charakteristika soll dazu dienen, die Probleme zu verstehen, mit denen sich christliche Hausgemeinden konfrontiert sahen. Abschließend wird der Frage nachgegangen, was sich aus dem Vorhergehenden für die Situation in Korinth erschließen lässt.
Als eine durchaus bedeutende Mitarbeiterin des Apostels Paulus sieht Y.-M. Lee 2006, 249-256 Prisca an. Die Nennung ihres Namens vor demjenigen ihres Ehemannes in Apg 18,18.26; Röm 16,3; 2 Tim 4,19 weise auf die Anerkennung ihrer Mitarbeit hin, da es nicht üblich gewesen sei, die Frau zuerst zu nennen. Dabei ließen sich die beiden Ausnahmen aus dem jeweiligen Kontext verständlich machen: So würden in Apg 18,2 die beiden zum ersten Mal erwähnt und vorgestellt. Hinsichtlich 1 Kor 16,19 könnte der Grund dagegen in der besonderen Situation der korinthischen Gemeinde liegen (vgl. z. B. 1 Kor 14,33-36).
Laut M. Gielen 1986, 109-125 könne die paulinische Formel "hê kat' oikon ekklêsia“ nicht als ein zwingendes Argument zum Beweis eines Nebeneinanders von Haus-(bzw. Teil-) und Ortsgemeinde im Christentum herangezogen werden, sondern es sei aufgrund sprachlicher und sachlicher Kriterien zumindest erwägenswert, hinter dieser Formel jeweils eine Ortsgemeinde zu vermuten. So sei die Möglichkeit einer lokalen Interpretation der Wendung "kat' oikon“ zu bedenken, die derjenigen von "en oikô“ ("im Haus“) entspreche. Zu übersetzen sei also: "Es grüßen / Grüßt N. N. und die Gemeinde in ihrem/seinem Haus.“ Die Gemeinde eines Ortes sei immer auch "Hausgemeinde“, insofern sie in einem Haus zusammenkomme.
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Beobachtungen: Paulus richtet auch Grüße von allen "Geschwistern“ − gemeint sind Glaubensgeschwister, nicht leibliche Geschwister - aus. Eine geographische Begrenzung nennt er nicht. Da er schon den Gruß aller Gemeinden Asiens erwähnt hat, gehen die Grüße von allen "Geschwistern“ über die Provinzgrenzen hinaus, umfassen wahrscheinlich die gesamte Christenheit. Da kaum alle "Geschwister“ zum Gruß aufgefordert haben dürften, handelt es sich vermutlich um einen stellvertretenden Gruß, mit dem Paulus die Einheit der gesamten Christenheit unterstreichen will.
Paulus belässt es nicht bei Grüßen, sondern fordert die Adressaten auch zu Grüßen auf. Wen die Adressaten grüßen sollen, sagt Paulus nicht konkret - sie sollen "einander“ grüßen. Da sich die Adressaten ja in einer einzigen Gemeinde befinden und sie sich ohne Schwierigkeiten persönlich sehen können, hat Paulus anscheinend keine Grüße über eine weite Distanz hin im Blick, wie sie in seinem eigenen Brief erfolgen. Er erwähnt zwar im vorhergehenden Satz "alle Geschwister“, doch bezieht sich das Wort "einander“ sicherlich in erster Linie auf die korinthischen Gemeindeglieder, die sich einander grüßen sollen.
Der Gruß soll untereinander mit dem "heiligen Kuss“ erfolgen. Der Gruß hat nicht wie ein Begrüßungskuss rein weltlichen Charakter, sondern er entspringt dem Wirken des heiligen Geistes. Er ist symbolischer oder ritueller Art. Er verdeutlicht die Zuneigung aller Gemeindeglieder untereinander und damit die Einheit der einzelnen Gemeinde und darüber hinaus aller Gemeinden als Kirche Christi. Der "heilige Kuss“ hebt nicht einzelne Personen hervor, denen Ehrerbietung entgegengebracht wird, sondern er betont vielmehr die Gleichheit aller Christen. Dass die Formulierung auf einem tatsächlich körperlich ausgetauschten Kuss beruht, ist anzunehmen, jedoch nicht sicher.
Sofern der Kuss tatsächlich körperlich ausgetauscht wird und nicht nur im übertragenen Sinn gemeint ist, stellt sich die Frage, in welchem Rahmen der Austausch erfolgt. Gibt man einander den "heiligen Kuss“ nur im Gottesdienst oder (auch) außerhalb? Nahe liegend wäre es, den "heiligen Kuss“ nach der Verlesung des Paulusbriefes auszutauschen. Dass dies tatsächlich so geschieht und der Erwartung des Paulus entspricht, ist jedoch nicht gesagt.
Weiterführende Literatur: Einen Überblick über Konsens und Dissens der Ausleger zu den verschiedenen Streitfragen im Hinblick auf die Texte 1 Kor 10,3-4.16-17; 11,17-34; 16,20-22 bietet W. Schrage 1996, 191-198.
J. Ellington 1990, 409-416 geht der Form und Funktion des Kusses in der Bibel nach. Dabei geht er auch auf den "heiligen Kuss“ ein. Es handele sich vermutlich um einen spontanen Gruß, der demjenigen unter Verwandten oder Freunden ähnele. Er habe möglicherweise eine gegenseitige Umarmung, das gegenseitige Berühren der Wangen links und rechts sowie das gegenseitige Berühren der Wangen mit den Lippen umfasst. Der "heilige Kuss“ sei in der späteren Kirchengeschichte weiterentwickelt worden.
W. Klassen 1993, 122-135 weist darauf hin, dass die Aufforderung zum Kuss in den paulinischen Briefen viermal vorkommt (Röm 16,16; 1 Kor 16,20; 2 Kor 13,12; 1 Thess 5,26) und im Ersten Petrusbrief (5,14) einmal. Angesichts dieser Tatsache stelle sich die Frage, warum eine solch spontane Handlung wie der Kuss geboten wird. Schließlich sei auch die besondere Bedeutung des Adjektivs "heilig“ zu klären. Ergebnis konkret im Hinblick auf den von Paulus gebotenen Kuss: Der Kuss als geheiligte Handlung habe Paulus und seinen Mitarbeitern geholfen, die Christenheit vor einer Entartung zu einer Abstraktion und zu einem Ritual zu bewahren. Er habe über Jahrzehnte hinweg die Einheit der Kirche bewahren geholfen und sei ein Ausdruck der ausnahmslosen Liebe der Glaubensgeschwister untereinander. Der "heilige Kuss“ sei die öffentliche Bezeugung des Glaubensbekenntnisses, dass in Christus nicht männlich noch weiblich, nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier ist (vgl. Gal 3,28). Weitere Literatur zum "heiligen Kuss“ siehe 1 Thess 5,26.
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Beobachtungen: Paulus betont, dass "der Gruß“ von seiner Hand ist. Er ist also handgeschrieben, was insofern eine Besonderheit ist, als es in der Antike üblich war, Briefe einem Schreiber zu diktieren.
Doch welchen Umfang hat "der Gruß“? Paulus hat bisher nur Grüße ausgerichtet, jedoch nicht selbst gegrüßt. Und dass Paulus seinen gesamten Brief als Gruß verstehen sollte, ist eher unwahrscheinlich, weil die Grüße der antiken Form entsprechend einen eigenen Abschnitt im Schlussteil des Briefes bilden. Im Ersten Korintherbrief umfassen die Grüße 16,19-21. Sollte sich die Formulierung "der Gruß“ tatsächlich auf 16,19-21 beziehen, dann hätte Paulus diese Verse eigenhändig geschrieben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass "der Gruß“ sich einzig und allein auf V. 21 bezieht, denn nur dieser Vers beinhaltet tatsächlich einen Gruß des Apostels. Dann wäre also nur V. 21 von Paulus eigenhändig geschrieben, der Rest einem Schreiber diktiert.
Weiterführende Literatur: F. Schnider, W. Stenger 1987, 135-158 gehen auf den Eigenhändigkeitsvermerk und die Namensunterschrift ein. Dass Paulus im Eschatokoll von 1 Kor 16,21-24 seinen Namen erwähnt, sei für die Antike Epistolographie höchst ungewöhnlich. Die Namensunterschrift fehle in den Eschatokollen antiker Briefe. Weil man den Brief als Ersatz für die persönliche Gegenwart verstanden habe, habe man den Brief nicht namentlich zu unterschreiben brauchen, wie ja auch Gesprächspartner nicht nach jedem Gesprächsbeitrag ihren eigenen Namen sagen. Das nicht vom Schreiber, sondern vom Briefverfasser eigenhändig geschriebene "Lebe wohl!“ als Eschatokoll habe die bei uns übliche Namensunterschrift vertreten. F. Schnider, W. Stenger fragen nach der Funktion des ungewöhnlichen Eigenhändigkeitsvermerks und der Namensunterschrift. Zur Klärung ziehen sie die einzige ntl. Parallele Phlm 19, Parallelen in zeitgenössischen jüdischen und hellenistischen Briefen, sowie den Eigenhändigkeitsvermerk Gal 6,11 (samt Kontext) heran. Ergebnis: Der Eigenhändigkeitsvermerk in 1 Kor 16,21 solle zunächst erkennen lassen, dass hier die Handschrift des Briefstellers einsetzt, die die Authentizität des Briefes anzeigt. Allerdings sei − anders als im Hinblick auf Gal 6,11 - zu bezweifeln, dass der Gruß tatsächlich von des Paulus Hand ist. Es sei wahrscheinlicher, dass er von einem Überarbeiter stammt, der nicht nur darauf gezielt habe, den an die korinthische Gemeinde gerichteten Brief des Paulus der Großkirche zugänglich zu machen, sondern auch darauf, die Anordnungen des Apostels zu "heiligem Recht“ bzw. zu apostolisch begründetem Kirchenrecht mit Geltung für die Großkirche vermutlich des paulinischen Missionsraumes zu machen. Im Hinblick auf den Eigenhändigkeitsvermerk sei sich der Überarbeiter durchaus dessen Funktion juristischer Ingeltungsetzung bewusst gewesen und habe sie durch die Hinfügung der Namensunterschrift noch verstärkt.
Zur Handschrift siehe auch J. Nijenhuis 1981, 255-258, der darauf hinweist, dass sich der Eigenhändigkeitsvermerk nicht in den paulinischen Briefen findet, deren Echtheit umstritten ist. Dies sei eines der Argumente, die gegen ihre Echtheit sprechen.
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Beobachtungen: Paulus droht demjenigen, der den "Herrn“ - gemeint ist entweder Jesus Christus oder Gott - nicht liebt, die Verfluchung an. Dabei sagt er jedoch nicht, worin sich die fehlende Liebe zeigt. Es ist anzunehmen, dass Paulus mit der Androhung der Verfluchung die Verbindlichkeit seiner Ermahnungen unterstreichen will. Die Verfluchung würde demnach denjenigen treffen, der Paulus’ Ausführungen und Ermahnungen nicht ernst nimmt und sich diesen möglicherweise gar entgegenstellt.
Der aramäische Ausruf "Maranatha!“ bedeutet entweder "unser 'Herr’, komm!“ oder "unser Herr ist gekommen“ Paulus hat den Ausruf vermutlich aus der Liturgie einer Gemeinde des aramäischen Sprachgebietes, also Palästinas, übernommen. Der "Sitz im Leben“ des Ausrufs ist dort möglicherweise das Herrenmahl. Mit dem Herrenmahl ist er auf jeden Fall in der frühchristlichen Didache (10,6) verbunden, wo vor einer unwürdigen Teilnahme am Herrenmahl gewarnt wird.
Im Zusammenhang des Ersten Korintherbriefes macht der Ausruf "Maranatha!“ deutlich, wie sehr Paulus die christliche Existenz von der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi geprägt sieht. Auf die Wiederkunft Christi gilt es sich angemessen vorzubereiten, will man nicht verflucht werden und damit jeglicher Rettungsmöglichkeit verlustig gehen. Aber auch der Aspekt der Präsenz Christi noch vor der Wiederkunft dürfte von Bedeutung sein, insbesondere in Verbindung mit dem Herrenmahl. Es ist also wahrscheinlich, dass die Aspekte beider Übersetzungsmöglichkeiten in die Bedeutung des Ausrufs in 1 Kor 16,22 einfließen, auch wenn dieser Vers keinen unmittelbaren Bezug zum Herrenmahl erkennen lässt.
Weiterführende Literatur: N. M. Pritchard 1980, 55-70 legt anhand der Passagen 1 Kor 11,27-34; 14,23; 16,22 dar, dass Paulus möglicherweise auch Ungläubige zum Herrenmahl zugelassen habe. Er geht von dem Abschnitt 11,27-34 aus. Dann stellt er anhand von 14,23 die These auf, dass Abendmahlsgottesdienste nicht nur für Gläubige zugänglich gewesen seien, und versucht nachzuweisen, dass der frühchristliche Gottesdienst sowohl das Wort als auch das Sakrament umfasst habe. 16,22 schließlich lasse annehmen, dass die Ungläubigen auch an dem Herrenmahl teilnehmen konnten. Die Verfluchung solle die Teilnehmer − auch die ungläubigen! − am Herrenmahl ermahnen, sich dem Herrenmahl mit Bedacht und vorsichtig zu nähern. Von daher sei zweifelhaft, ob sich die Forderung der Kirche, vor dem Abendmahl den Glauben zu bekennen, mit der Lehre des NT begründen lässt.
Zum aramäischen Hintergrund des Titels "Herr“ (Kyrios) und des Ausrufs "Maranatha!“ siehe J. A. Fitzmyer 1998, 218-235.
W. Radl 1981, 62-66 versteht den unübersetzten Ausdruck "Maranatha!“ als Formel, die nur in einer ausschließlich aramäisch sprechenden Gemeinde entstanden sein könne und dort bereits besondere Bedeutung und solch stereotype Form erlangt haben müsse, dass sie beim Übergang in die griechisch redenden Gemeinden in ihrem Wortlaut formelhaft übernommen wurde. Demnach stamme die Formel aus der palästinischen Urgemeinde. Sie beziehe sich wahrscheinlich auf die Parusie. Die formelhafte Bitte um Christi Parusie fungiere in der unmittelbaren Verbindung mit einem Satz heiligen Rechts als dessen Bekräftigung. Der Spruch hebe auf das bevorstehende Gericht ab, und so folge als besiegelnder Abschluss die Bitte um die baldige Ausführung, wenn der Inhalt der knappen Formel Griechen überhaupt klar gewesen sei.
P. von der Osten-Sacken 2001, 302-308 legt zunächst die zwei gewöhnlich erwogenen Deutungen des aramäischen Ausrufs "Maranatha!“, die Deutung als begründende Zusage mit drohendem Unterton und die Deutung als Bitte, dar. P. von der Osten-Sacken ist selbst der Ansicht, dass es verschiedene Argumente gebe, die für eine Deutung des Rufes in 1 Kor 16,22 und Did 10,6 im Sinne einer Bitte sprächen, und zwar im Sinne einer Bitte um zeitenwendendes, richtendes und rettendes Kommen des "Herrn“. Diese Deutung müsse für 1 Kor 16,22 erschlossen werden, für Did 10,6 dürfte sie angesichts der Eingangsbitte der zitierten Tradition klar zutage liegen. In beiden Fällen sei der Ausruf freilich angesichts seiner Verwendung im Zusammenhang mit der Eucharistie offen dafür, zugleich als Bitte um die gemeindestärkende, verborgene Parusie zum Mahl verstanden zu werden und damit in gewissem Sinne als Angeld der kosmischen Parusie. Auch der Aspekt, dass das "Maranatha!“ eine Verbindung zum Vorangehenden, also zur Verfluchung bzw. zum Umkehrruf hat, werde im Rahmen dieser Deutung nicht hinfällig.
K. Luke 1984, 54-73 kommt unter Berücksichtigung des Kontextes und der syrischen Überlieferung zu dem Ergebnis, dass "Maranatha!“ in 1 Kor 16,22 mit "Come, our Lord!“ zu übersetzen sei.
A. Eriksson 2001, 115-126 legt dar, dass der Schluss des eher wohlüberlegten Briefes noch mal Emotionen wecken solle. Einerseits solle Hoffnung auf die Wiederkunft Christi, andererseits jedoch auch Furcht vor Christi Zorn und Strafe hervorgerufen werden. Der Ausruf "Maranatha!“ enthalte beide Aspekte.
J. D. G. Dunn 1997, 42-56 fragt danach, welche Bedeutung angesichts der enttäuschten Hoffnungen und der verschiedentlichen Abwertungen die Vorstellung von der Wiederkunft Christi im Glauben der heutigen Zeit hat.
N. Baumert 2001, 49-58 macht deutlich, dass der Ausruf "Maranatha!“ auf den "Ad-vent“ verweise, den wir doch nur in diesem Dreiklang richtig vollzögen: "Der Herr ist gekommen.“ (geschichtlich auch "in der Fülle der Zeit“) und ist da (sakramental; existenziell in den "Höhepunkten“ meines Lebens); "der Herr kommt jetzt“ (wenn man ihn im Geist als Kommenden "erfährt“); "der Herr wird wieder-kommen“. Unsere Adventsspiritualität bestehe nicht darin, den "Herrn“ herbeizuziehen, sondern zunächst wahr-zu-nehmen, wo Er schon gekommen ist und wo Er sein Kommen ankündigt. Advent sei zunächst eine Aussage über Sein Tun. Advent feiern bedeute, seine tägliche Ankunft feiern: sie wahr-nehmen, für sie danken, von ihr berichten, durch unser Tun auf sie antworten.
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Beobachtungen: Paulus bleibt jedoch nicht bei der Fluchandrohung stehen, sondern geht zu dem über, was das christliche Leben prägt: die Gnade Gottes. Die Gnade - und nicht die Verfluchung - soll mit den Adressaten sein. Die Herausstellung der Gnade des "Herrn“ Jesus im Schlussgruß ist typisch christlich; im gewöhnlichen hellenistischen Privatbrief findet sich nur die Formulierung "Lebe(t) wohl!“.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Der Schlusssatz enthält Aspekte, die für das Verhältnis des Paulus zu den Adressaten bei aller Kritik und bei allen Ermahnungen charakteristisch sind: Sein Verhältnis ist von einem Wohlwollen geprägt, das er als "Liebe“ bezeichnet. Diese Liebe schließt kein korinthisches Gemeindeglied aus. Und: Die Liebe ist nicht ein Werk des Paulus, sondern geht auf das Wirken Jesu Christi zurück.
Paulus Aussagen und Verhalten sind im Lichte der Forderung zu verstehen, alles in Liebe geschehen zu lassen (vgl. 1 Kor 13; 16,14). Hochmut und Besserwisserei liegen ihm fern.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Baumert, Norbert; Maranatha: Gegenwart und Ankunft des Herrn − 1 Kor 16,22. Zur Adventsfrömmigkeit, in: N. Baumert [Hrsg.], Studien zu den Paulusbriefen (Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 32), Stuttgart 2001, 49-58 (= Geist und Leben 58 [1985], 445-454)
Dunn, James D. G.; He Will Come Again, Interpr 51/1 (1997), 42-56
Ellington, John; Kissing in the Bible: Form and Meaning, BiTr 41/4 (1990), 409-416
Eriksson, Anders; Fear of eternal damnation, in: T. H. Olbricht, J. L. Sumney [eds.], Paul and Pathos (SBLSS 16), Atlanta 2001, 115-126
Fitzmyer, Joseph A.; To Advance the Gospel: New Testament Studies (BRS), Grand Rapids, Michigan, 2nd ed. 1998
Gielen, Marlis; Zur Interpretation der paulinischen Formel Hê kat’Oikon Ekklêsia, ZNW 77/1-2 (1986), 109-125
Harrison, Jim; Paul’s House Churches and the Cultic Associations, RTR 58, 32-47
Klassen, William, The Sacred Kiss in the New Testament: An Example of Social Boundary Lines, NTS 39 (1993), 122-135
Lee, Young-Mi; Ich, Priska, in: M. Keuchen, H. Kuhlmann, H. Schroeter-Wittke [Hrsg.], Die besten Nebenrollen: 50 Porträts biblischer Randfiguren, Leipzig 2006, 249-256
Nijenhuis, John; This Greeting in My Own Hand, Bible Today 19/4 (1981), 255-258
Pritchard, Norman N.; Profession of Faith and Admission to Communion in the Light of 1 Corinthians 11 and other Passages, ScotJT 33/1 (1980), 55-70
Radl, Walter; Ankunft des Herrn. Zur Bedeutung und Funktion der Parusieaussagen bei Paulus (BET 15), Frankfurt a. M. 1981
Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), Leiden 1987
Schrage, Wolfgang; Einige Hauptprobleme der Diskussion des Herrenmahls im 1. Korintherbrief, in: R. Bieringer [ed.], The Corinthian Correspondence (BETL 125), Leuven 1996, 191-198
von der Osten-Sacken, Peter; “Ja, ich komme bald!” Signalworte messianischer Erwartung im Neuen Testament und im jüdischen Gottesdienst, in: C. Maier [Hrsg.], Exegese vor Ort, Leipzig 2001, 301-319
Weima, Jeffrey A. D.; Neglected Endings: The Significance of the Pauline Letter Closings (JSNTS 101), Sheffield 1994