Gal 6,1-5
Übersetzung
Gal 6,1-5:1 Geschwister, wenn ein Mensch bei einer Verfehlung ertappt worden ist, so sollt ihr, die Geistbegabten, den Betreffenden im Geist der Sanftmut zurechtbringen; und achte dabei auf dich selbst, dass nicht auch du versucht wirst. 2 Tragt einander die Lasten, und so werdet ihr das Gesetz (des) Christi erfüllen. 3 Wenn nämlich jemand meint etwas zu sein, obwohl er nichts ist, dann betrügt er sich selbst. 4 Jeder prüfe sein eigenes Werk, und dann wird er nur für sich selbst allein den Ruhm haben und nicht für den anderen. 5 Denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben.
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Beobachtungen: Der Abschnitt 6,1-10 enthält verschiedene Ermahnungen. Sie sind in engem Zusammenhang mit dem Abschnitt 5,13-26, in dem die Liebe als Frucht des Geistes dargestellt wurde, zu sehen. Zunächst ermahnt Paulus in 6,1-5 zu gegenseitiger geschwisterlicher Zurechtweisung. Dabei ist der Abschnitt im Licht des unmittelbar vorausgehenden Verses zu lesen, in dem Paulus dazu ermahnt, keine Prahlhänse zu sein. Das Leben im Geist sei nicht vom gegenseitigen Herausfordern und Beneiden, also einem Denken in der Kategorie „oben-unten“, geprägt, sondern von der geschwisterlichen Liebe. Solche geschwisterliche Liebe sieht von der Erniedrigung des Mitmenschen und von der Selbsterhöhung ab. Die Ausführungen in 6,1-5 sind vermutlich als Konkretisierung des Lebens im Geist am Beispiel des Umgangs mit einem moralischen Fehltritt zu lesen und auch unabhängig von der vehementen Ablehnung der von judaistischen Predigern geforderten und von manchen galatischen Gemeindegliedern angenommenen Gesetzlichkeit, wie sie insbesondere in 3,1-5,12 deutlich wurde, zu verstehen.
Die direkte Anrede „Geschwister“ (vgl. 1,2.11; 3,15; 4,12.28.31; 5,11.13; 6,18) - gemeint sind wahrscheinlich auch Frauen, weshalb das maskuline „adelphoi“ hier besser nicht mit „Brüder“ zu übersetzen ist - macht deutlich, dass Paulus den Adressaten jetzt etwas Wichtiges zu sagen hat. Die Anrede macht zugleich deutlich, dass alle Christen Geschwister im Glauben sind, was religiöses Leistungs- und Konkurrenzdenken sowie Überheblichkeit ausschließt.
Es wird nicht genauer definiert, um was für eine Verfehlung es sich handelt. Der altgriechische, rechtliche Ausdruck „paraptôma“ macht nur deutlich, dass es sich um ein konkretes Vergehen handelt. Ob es leicht oder schwer wiegend ist, bleibt offen. Von daher ist zunächst davon auszugehen, dass bei jeder Übertretung der Ertappte im Geist der Sanftmut zurechtzubringen ist. Mit Blick auf das vom Apostel in 1 Kor 5,1-11 gefordert harte Durchgreifen gegenüber dem Unzüchtigen, der die Frau seines Vaters hat, ist jedoch die Vermutung nahe liegend, dass in Gal 6,1 nur leichte Vergehen alltäglicher Art gemeint sind.
Das passive Verb „prolambanomai“ kann mit „ertappt werden“ oder auch mit „überrascht werden“ übersetzt werden, die Präposition „en“ lokal mit „bei“ oder instrumental mit „durch“. Folglich ergeben sich zwei Interpretationsmöglichkeiten der möglichen Situation: a) Der Mensch - vermutlich ein Christ - wird von einem Glaubensgenossen bei einer Verfehlung ertappt. b) Der Mensch wird durch seine eigene Verfehlung überrascht.
Dass die Gemeindeglieder den Menschen, der sich einer Verfehlung schuldig gemacht hat, überhaupt im „Geist der Sanftmut“ zurechtbringen können, hängt mit deren Geistbegabung zusammen. Da alle Adressaten mit dem heiligen Geist versehen sind, bezeichnet sie Paulus ohne Ausnahme als „Geistbegabte“ („pneumatikoi“; ausführlich dazu siehe 1 Kor 2,6-16). Die Geistbegabung ist die Voraussetzung dafür, dass die Christen ihr Leben nach dem Geist ausrichten und die „Frucht des Geistes“ gemäß 5,22-23 hervorbringen können. Zu dieser „Frucht des Geistes“ gehört auch der Sanftmut („prautês“).
Das altgriechische Verb „katartizô“ meint „in Ordnung bringen“. Die rechte Ordnung, die wieder hergestellt werden soll, ist das Leben im Einklang mit dem Geist (vgl. 5,25).
Das plötzliche Umschlagen in die zweite Person Singular („Du“) macht deutlich, dass es Paulus in 6,1-5 weniger um denjenigen geht, der die Verfehlung begangen hat, als vielmehr um denjenigen, dem das Zurechtbringen zukommt und der Gefahr läuft, mit seinem eigenen rechten Handeln zu prahlen. Entsprechend der Bedeutung, die dem Du und seinem Achten auf den eigenen Lebenswandel zukommt, handeln von ihm auch die V. 2-5, allerdings ohne die Anrede „Du“ zu wiederholen.
Paulus sieht die Verfehlung als eine Versuchung an, die jeden Christen treffen kann. Deswegen gibt es für niemanden Anlass, sich besser als derjenige vorzukommen, der die Verfehlung begangen hat. Jeder möge auf sich selbst achten, dass er nicht versucht wird.
Weiterführende Literatur: Der erste Teil der Arbeit S. Schewe 2005 will exemplarisch aufweisen, dass in der Forschung Gal 5,13-6,10 durchgängig als Fremdkörper erscheine. Der zweite Teil der Arbeit führt eine textpragmatische Einzelanalyse der umstrittenen Kapitel 5-6 durch, indem Vers für Vers die pragmatische Gestaltung des Textes 5,1-6,10 erhoben wird (6,1-6: S. 144-172). Der dritte Teil fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen und beantwortet die Frage nach der Funktion von Gal 5-6 im Rahmen des Gesamtbriefes. Laut S. Schewe sei 5,13-6,10 keineswegs ein Fremdkörper innerhalb des Galaterbriefes, sondern stehe ganz im Dienste der Absicht, die Galater von ihrem Verhalten abzubringen, Gesetz und Beschneidung zu akzeptieren.
Laut B. O. Ukwuegbu 2008, 538-559 verbinde Paulus in Gal 5,13-6,10 ein “ethos“ (Verhaltensmuster, Werte und Normen) mit dem „mythos“ des symbolischen Universums „in Christus“.
M. Konradt 2010, 60-81 verfolgt ein doppeltes Anliegen: Er verbindet die Erörterung des Verhältnisses von Freiheit und Liebe mit der Frage, inwiefern Paulus in Gal 5,13-6,10 die Auseinandersetzung mit den Gegnern weiterführt und eine solche Kontextualisierung das spezifische Profil der Entfaltung seines ethischen Ansatzes im Galaterbrief zu verstehen hilft. Er unterstreicht, dass der Galaterbrief im Kontext antiker Diskurse über Freiheit, die Bedeutung der Gesetze und das Verhältnis zwischen Freiheit und Gesetz gelesen werden müsse.
T. A. Rand 1995, 79-92 vertritt die These, dass das der Argumentation im Galaterbrief zu Grunde liegende rhetorische Motiv die „Gemeinschaft“ („koinônia“) sei. Nicht der Beschneidung gelte das Hauptaugenmerk des Heidenapostels, sondern der christlichen Gemeinschaft der galatischen Gemeinden. Unter diesem Gesichtspunkt befasst sich T. A. Rand mit 5,25-6,10.
P. F. Esler 1997, 121-149 vertritt die These, dass Paulus Familienmetaphorik benutze, um für seine Gemeinden eine Identität zu schaffen, die sich stark von derjenigen der vorherrschenden Gruppen außerhalb ihrer Grenzen unterscheidet. Insbesondere weise Paulus den üblichen Kampf um Ehre in der antiken Gesellschaft zurück.
Die Paränese 5,25-6,10 hat N. Baumert 1994, 55-83 zum Thema. Zuerst legt er die Probleme dar, die mit ihrer Auslegung verbunden sind, wobei er der Einheitsübersetzung eine eigene Arbeitsübersetzung gegenüberstellt. Dann bietet er einen Neuansatz, der in eine Reihe von semantischen und grammatisch-syntaktischen Erkenntnissen eingebettet ist, die ihrerseits auch viele andere Passagen der Paulusbriefe betreffen und mehr und mehr zu einem veränderten Paulusbild führen.
J. P. Sweeney 2003, 259-261 legt dar, dass mit dem Ausdruck „Geistbegabte“ nicht eine elitäre Gruppe innerhalb der christlichen Gemeinschaft gemeint sei. Vielmehr erinnere der Ausdruck die ganze Gemeinde an ihre Identität als Volk des neuen Bundes des Geistes. Als solche komme der Gemeinde die pastorale Pflicht zu, eine Person, die bei einer Verfehlung ertappt worden ist, wieder zurechtzubringen.
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Beobachtungen: Eine paradigmatische Analyse von Verben der Ermahnung in Gal 5-6 bietet J. S. Duvall 1994, 17-31, wobei er sich ausführlicher u. a. dem Verb „bastazô“ („dienen“; 6,2.5) zuwendet.
Statt mit dem eigenen rechten Lebenswandel zu prahlen, sollen die Christen lieber einander beim Lasten Tragen helfen. Welche Lasten Paulus genau meint, bleibt offen. Am wahrscheinlichsten ist, dass es sich um die Lasten handelt, die mit der Versuchung oder der Verfehlung in Verbindung stehen. Das gegenseitige Tragen der Lasten setzt voraus, dass die Versuchung und Verfehlung tatsächlich Lasten sind. Da der Mensch, der die Verfehlung begangen hat, zurechtgebracht werden soll, hat das gemeinsame Tragen der Lasten die Bewahrung vor Versuchung und Verfehlung und - im Falle eines erfolgten Fehltrittes - die Wiederherstellung des Lebens im Einklang mit dem Geist als Ziel.
Die Bewahrung vor Versuchung und Verfehlung und - im Falle eines erfolgten Fehltrittes - die Wiederherstellung des Lebens im Einklang mit dem Geist ist die Erfüllung des „Gesetzes Christi“. Der Genetiv „Christi“ macht deutlich, dass es nicht um die Erfüllung des „Gesetzes“ im Sinne des Haltens aller Satzungen und Gebote geht und hier auch nicht in erster Linie an die Nächstenliebe, die aus Sicht des Apostels die Erfüllung des „Gesetzes“ darstellt (vgl. 5,14), gedacht ist, sondern dass ganz konkret die Nachfolge Christi gemeint ist. Auch Jesus Christus trägt Lasten, und zwar die Sündenlasten der Menschen. Wer in der Nachfolge Christi wandelt und dem Geist folgt, wird vor Verfehlungen bewahrt oder - da eine völlige Bewahrung nicht möglich ist - aufgrund des sündenvergebenden Kreuzestodes Christi von deren Last, die bei dem endzeitlichen Weltgericht das Verderben bedeuten kann, befreit.
Weiterführende Literatur: C. Pigeon 2000, 425-438 stellt drei Deutungen des Ausdrucks „Gesetz Christi“ vor: A) Das mosaische Gesetz werde durch Christus neu interpretiert. B) Paulus habe die Terminologie von seinen Gegnern entliehen, wobei er die Bedeutung umgewandelt habe. C) Das „Gesetz Christi“ entspreche dem Gebot der Nächstenliebe. C. Pigeon stellt die zentrale Bedeutung des gegenseitigen Tragens der Lasten in der christlichen Gemeinschaft heraus. Für einen Christen handele es sich beim Tragen der Lasten des anderen um erstrangige Nächstenliebe. Durch die Macht des heiligen Geistes werde die Umsetzung des Gebotes der Nächstenliebe ermöglicht. Die Erfüllung dieses neu interpretierten mosaischen Gesetzes sei Erfüllung des „Gesetzes Christi“.
Gemäß T. A. Wilson 2006, 123-144 sei Gal 6,2 in der Vergangenheit gewöhnlich auf dem Hintergrund der negativen Bewertung des mosaischen Gesetzes seitens des Apostels Paulus gedeutet worden, wobei der Begriff „Gesetz“ entweder als Umschreibung christlicher Lebensweise oder als Bezug auf irgendein anderes Gesetz verstanden worden sei. In neuerer Zeit mehrten sich jedoch die Stimmen, wonach das „Gesetz“ das mosaische Gesetz meine, ohne Einigkeit in der Frage zu erzielen, wie man das konkret zu verstehen habe. T. Wilson geht dem Aufkommen dieses neuen Trendes nach, verortet ihn im weiteren exegetischen und theologischen Milieu und befasst sich mit den wesentlichen Argumenten, die diese Auslegung unterstützen. Abschließend fragt er nach den Schlussfolgerungen dieses Trendes für die Paulusexegese.
D. B. Garlington 1991, 173-176 legt dar, dass es in verschiedenen rabbinischen Traditionen die Vorstellung eines messianischen Gesetzes gegeben habe. Ein solches Gesetz habe man sich als eine neue Interpretation der Tora in der Macht Gottes vorgestellt, sodass die messianische Tora als neues Gesetz erschienen sei. Das mosaische Gesetz als solches sei jedoch nicht beseitigt worden. Auch Paulus habe das Gesetz nicht verkürzt oder abgeändert, doch habe er die Selbstabgrenzung des Gottesvolkes Israel zu den heidnischen Völkern beseitigt. Für ihn habe die Einheit des Gottesvolkes über nationale Grenzen hinweg in Jesus Christus bestanden. In einer Interpretation der Tora auf Jesus Christus hin habe sich für ihn das endgültige Gesetz Gottes gezeigt. Die endgültige Absicht der Tora könne nur im Lichte ihrer Wiederherstellung als „Gesetz Christi“ erkannt werden. Dieses „Gesetz Christi“ schaffe eine Gemeinschaft der Liebe und erhalte diese Gemeinschaft durch Nachsicht mit denen, die im Glauben gefallen sind.
R. B. Hays 1987, 286-287 vertritt die Ansicht, dass das „Gesetz Christi“ in Gal 6,2 nicht eine neue, messianische Tora oder ein paulinisches neues Gesetz für die Gemeinden meine. Auch sei nicht davon auszugehen, dass „Gesetz Christi“ ein Schlagwort der Widersacher des Apostels ist. Vielmehr beziehe sich der Ausdruck auf ein Handlungsmuster, für das Jesus Christus, der die Lasten anderer getragen habe, indem er „für uns“ zum Fluch wurde, ein Beispiel gegeben habe.
Laut O. Hofius 1983, 262-286 rufe das „Gesetz Christi“ zu einem Tun und Verhalten „nach Christus Jesus“, d. h. zu einem Tun und Verhalten, das an der Heilstat Christi orientiert ist und sich dem gekreuzigten „Herrn“ verpflichtet und verantwortlich weiß, auf. Das bedeute aber, dass mit dem „Gesetz Christi“ weder die durch Christus aufgerichtete und für den Christen verbindlich gemachte Sinai-Tora noch auch das Liebesgebot von Lev 19,18 als Quintessenz der Tora gemeint ist. Das „Gesetz Christi“ sei vielmehr die Weisung des Gekreuzigten, die verbindliche, die Gemeinde im Gehorsam an ihren Herrn bindende Proklamation seines Herr-Seins als des Gekreuzigten. Es sei der in dem Zuspruch des Evangeliums Christi begründete Anspruch eben dieses Evangeliums selbst. Die Bezeichnung „Gesetz Christi“ sei auf dem Hintergrund der Botschaft des Propheten Deuterojesaja, insbesondere des von Paulus christologisch gedeuteten ersten Gottesknechtlieds (Jes 42,1-4) zu verstehen.
Gemäß E. Lohse 1996, 378-389 fasse Paulus mit dem Ausdruck „Gesetz Christi“ die für das Leben der Christen geltende Weisung zusammen. Offensichtlich sei dieser Begriff seinen Gemeinden bereits bekannt gewesen, denn dieser erfahre keine Erläuterung. Wahrscheinlich handele es sich um eine paulinische Wortprägung, an die auch die Bemerkung des Apostels anklinge, er sei mitnichten ohne Gesetz, sondern sei einer, der unter dem Gesetz Christi stehe (vgl. 1 Kor 9,21). Indem Paulus sich dieser Wendung bediene, trete er in aller Entschiedenheit irrigen Behauptungen entgegen, als ob Freiheit in Christus mit Beliebigkeit oder Willkür eigenen Verhaltens verwechselt werden dürfte. Im Gegenteil, wer zu Christus gehört, sei ihm als seinem Herrn zum Gehorsam unterstellt.
Der Ausdruck „Gesetz Christi“ in V. 2 meine laut M. Winger 2000, 537-546 weder bestimmte Worte wie Lev 19,18 (Gebot der Nächstenliebe) noch eine durch das Beispiel Christi gegebene Handlungsnorm. Es handele sich vielmehr um eine Metapher für den Geist, der im Leben der Christen den gleichen Stellenwert wie das Gesetz im Leben der Nicht-Christen innehabe. Dabei diene der Ausdruck auch dazu, das jüdische Religionsgesetz zu relativieren, indem angedeutet werde, dass dieses Gesetz nur als eines neben anderen, nicht jedoch als das höchste anzusehen ist.
I.-G. Hong 1992, 113-130 meint, dass das Gesetz bei Paulus durchaus eine positive Rolle spiele. Zwar seien die beiden charakteristischen Aufgaben des Gesetzes, die Verpflichtung auf den Sinaibund und die wirkmächtige Versklavung, durch die Erlösungswerke Christi aufgehoben, doch stelle es gemäß Paulus trotz der nationalen Begrenzung einen Ausdruck der Liebe dar. Der Christ sei aber nicht gehalten, die Satzungen und Gebote des Gesetzes zu befolgen.
G. Stanton 2001, 47-59 untersucht die Wirkungs- und Auslegungsgeschichte des Ausdrucks „Gesetz Christi” in Gal 6,2 von der Alten Kirche bis zur Gegenwart.
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Beobachtungen: Wenn jemand meint etwas Besonderes zu sein, aber in Wirklichkeit nichts Besonderes ist, so betrügt er sich selbst. Aber nicht der durch Selbstbetrug eingebildete rechte Lebenswandel ist entscheidend, sondern der tatsächlich geführte Lebenswandel.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Diesen tatsächlichen Lebenswandel, das eigene Werk, gilt es zu prüfen, wobei jeder sich selbst zu prüfen hat. Diese Prüfung kann durchaus gut ausfallen. Dann gibt es durchaus Grund, seinen Lebenswandel zu rühmen. Dieses Rühmen soll jedoch bei sich selbst und nicht vor den anderen geschehen. Erwirbt nämlich jemand aufgrund seines rechten Lebenswandels bei seinen Glaubensgenossen Ruhm, so ist der Weg zum religiösen Leistungsdenken, zum Herausfordern und Beneiden, geebnet.
Weiterführende Literatur: Dass Paulus zeit seiner Wirksamkeit jedwedem Ruhm der Werke als dem Gipfel der Blasphemie widerstanden hat, werde gemäß G. Klein 1986, 202-211 durch Gal 6,4 nicht dementiert, sondern bestätigt. J. Lambrecht 1997, 33-56 setzt sich mit dieser Ansicht auseinander, vertritt jedoch eine andere Meinung: Paulus stelle in 6,4 falsches Rühmen einem durchaus möglichen rechtmäßigen Rühmen, das jedoch keinen Vergleich mit anderen anstellen dürfe, gegenüber.
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Beobachtungen: Unklar ist, welche Bürde gemeint ist. Paulus benutzt in V. 5 das Wort „phortion“ und nicht wie in V. 2 das Wort „baros“. Der Begriffswechsel kann einen Bedeutungswechsel umfassen, jedoch auch nur stilistischer Art sein. Zunächst einmal ist festzustellen, dass beide Begriffe hier im engen Zusammenhang mit Versuchung und Verfehlung auftauchen, wobei „baros“ im Gegensatz zu „phortion“ die erfolgte Verfehlung voraussetzt. In Verbindung mit der Beobachtung, dass V. 2 das gemeinsame Tragen der Lasten anmahnt, V. 5 dagegen das alleinige Tragen der Last, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die in V. 2 erwähnte Last schwer, die in V. 5 erwähnte dagegen leicht ist. Nur die schwere muss gemeinsam getragen werden, die leichte lässt sich auch alleine schultern. Nun handelte V. 3 jedoch vom Selbstbetrug. Der Selbstbetrug setzt voraus, dass der eigene Lebenswandel auch unrühmlich sein kann. Der Selbstbetrug vertuscht die Unrühmlichkeit des Lebenswandels, doch gilt es diese mittels einer ehrlichen Selbstprüfung aufzudecken. Wenn es aufgrund von eigenen Verfehlungen keinen Grund zum Rühmen gibt, dann kann die Last durchaus schwer sein. Das bedeutet, dass in diesem Fall der Begriff „phortion“ eine schwere Last meint. Dann wäre kein Unterschied zur Bedeutung des Begriffs „baros“ gegeben. Nun stellt sich aber die Frage, wieso jemand die schwere Last alleine tragen soll, wenn dies doch unmöglich ist und laut V. 2 die anderen Gemeindeglieder beim Tragen helfen sollen. Auf die wahrscheinliche Antwort weist der Gebrauch des Verbs „bastazô“ („tragen“) hin, der in unterschiedlichen Zeitformen erfolgt. In V. 2 findet sich ein Imperativ im Präsens, in V. 5 ein Indikativ im Futur. Das gemeinsame Tragen der Lasten soll also in der Gegenwart erfolgen, wogegen das alleinige Tragen der eigenen Last in der Zukunft erfolgen wird. Als Zukunft, in der ein gemeinsames Tragen der Last jedes Menschen nicht mehr möglich ist, ist an den Tag des endzeitlichen Weltgerichtes, des Jüngsten Gerichtes, zu denken. Vor diesem Gericht, bei dem Jesus Christus bzw. Gott den Menschen prüfen und sein Urteil fällen wird, wird jeder Mensch für seine eigene Sündenlast einzustehen haben. Damit ein negatives Urteil verhindert wird, soll jeder einzelne Christ seinen Lebenswandel prüfen und auf den Einklang mit dem heiligen Geist ausrichten. So kann jeder Christ sich selbst vor Fehltritten bewahren oder - falls doch ein solcher erfolgt ist - versuchen, wieder dem heiligen Geist zu folgen. Darüber hinaus sollen sich aber auch alle Gemeindeglieder vor der Versuchung bewahren oder - bei dennoch erfolgtem Fehltritt - wieder auf den rechten Weg im Einklang mit dem heiligen Geist bringen. Bei solcher sorgfältiger Vorbereitung auf das Jüngste Gericht ist aufgrund des sündenvergebenden Kreuzestodes Christi die Rettung vor dem Verderben und der Eingang in das Gottesreich zu erwarten. Wer jedoch den „Werken des Fleisches“ frönt und sich nicht auf das Jüngste Gericht vorbereitet, den wird trotz Christi Heilshandelns für die Menschen das Verderben treffen (vgl. 5,19-21).
Weiterführende Literatur: D. W. Kuck 1994, 289-297 legt dar, dass sich in V. 5 die Frage stelle, ob es sich um ein Tragen der Bürde am Ende der Tage beim Jüngsten Gericht oder im alltäglichen Leben handelt. Er vertritt die These, dass Paulus in V. 5 die Vorstellung eines Endgerichts über die einzelnen Christen gebrauche, um seine Ermahnungen in 6,1-5 hinsichtlich der Bedeutung der individuellen Selbstprüfung innerhalb der Gemeinde einem rhetorischen Höhepunkt zuzuführen. J. Lambrecht 1997, 33-56 hält die eschatologische Interpretation für nicht neu, wahrscheinlich eine knappe Mehrheit der Ausleger plädiere für sie. Er selbst kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die „eigene Bürde“ im Sinne der täglichen Sorgen gemeint sei.
Literaturübersicht
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Baumert, Norbert; Zur Paränese von Gal 5,25-6,10, in: C. Mayer u. a. [Hrsg.], Nach den Anfängen fragen, FS G. Dautzenberg, Gießen 1994, 55-83
Duvall, J. Scott; Pauline Lexical Choice Revisited: A Paradigmatic Analysis of Selected Terms of Exhortation in Galatians 5 and 6, FN 7/13 (1994), 17-31
Esler, Philip F.; Family Imagery and Christian Identity in Gal 5:13 to 6:10, in: H. Moxnes [ed.], Constructing Early Christian Families, London 1997, 121-149
Garlington, D. B.; Burden Bearing and the Recovery of Offending Christians (Galatians 6:1- 5), TrinJ 12/2 (1991), 151-183
Hays, Richard B.; Christology and Ethics in Galatians: The Law of Christ, CBQ 49 (1987), 269-290
Hofius, Otfried; Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, ZThK 80/3 (1983), 262-286
Hong, In-Gyu; The Law and Christian ethics in Galatians 5-6, Neotest 26/1 (1992), 113-130
Klein, Günter; Werkruhm und Christusruhm im Galaterbrief und die Frage nach einer Entwicklung des Paulus. Ein hermeneutischer und exegetischer Zwischenruf, in: W. Schrage [Hrsg.], Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments, FS H. Greeven (BZNT; 47), Berlin 1986, 196-211
Konradt, Matthias; Die Christonomie der Freiheit. Zu Paulus’ Entfaltung seines ethischen Ansatzes in Gal 5,13-6,10, Early Christianity 1/1 (2010), 60-81
Kuck, David W.; “Each Will Bear His Own Burden”: Paul’s Creative Use of an Apocalyptic Motif, NTS 40 (1994), 289-297
Lambrecht, Jan; Paul’s Coherent Admonition in Galatians 6,1-6: Mutual Help and Individual Attentiveness, Bib. 78/1 (1997), 33-56
Lohse, Eduard; Das Gesetz Christi. Zur theologischen Begründung christlicher Ethik im Galaterbrief, in: R. Kampling, T. Söding [Hrsg.], Ekklesiologie des Neuen Testaments, FS K. Kertelge, Freiburg 1996, 378-389
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