Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an die Philipper

Phil 1,12-18a

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phil 1,12-18a



Übersetzung


Phil 1,12-18a:12 Wissen lassen will ich euch, Geschwister, dass meine Lage eher zum Fortschritt des Evangeliums geführt hat, 13 so dass meine Fesseln in Christus im ganzen Prätorium und bei allen übrigen bekannt geworden sind 14 und die Mehrheit der Geschwister – im Herrn meinen Fesseln vertrauend – immer mehr wagt, das Wort zu verkünden. 15 Einige verkünden zwar (den) Christus [bloß] aus Neid und Streitsucht, andere aber aus Überzeugung. 16 Die einen aus Liebe, im Wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums bestimmt bin, 17 die anderen verkündigen (den) Christus aus Selbstsucht, nicht aufrichtig; sie meinen Kummer zu bereiten [bei] meinen Fesseln. 18a Was soll’s?! Hauptsache, es wird – auf welche Weise auch immer, sei’s zum Vorwand, sei’s aus Wahrhaftigkeit – Christus verkündigt: dann will ich mich darüber freuen.



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V. 12


Beobachtungen: Paulus setzt neu an. Er kommt nun auf seine eigene Lage und die Auswirkungen auf die Verbreitung des Evangeliums zu sprechen. In V. 12-18a ist die Gegenwart im Blick, in V. 18b-26 die Zukunft.


„Geschwister“ meint hier nicht leibliche Geschwister, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.


Paulus lässt die „Geschwister“ etwas Neues, Unerwartetes wissen. Man sollte meinen, dass die Gefangenschaft des Apostels der Ausbreitung des Evangeliums hinderlich ist, weil der treibende Motor der Mission „in Fesseln“ – gemeint ist vermutlich: im Gefängnis - ist. Dem ist aber nicht so, wie Paulus deutlich macht: Paulus‘ Lage hat eher zum Fortschritt des Evangeliums geführt, wobei der „Fortschritt“ wohl als Verbreitung und Festigung zu verstehen ist.


Die Formulierung „ta kat‘ eme“ ist sehr allgemein und am besten mit „meine Lage“ zu übersetzen. Wie die Lage genau beschaffen ist, schreibt Paulus nicht. Sicher ist nur, dass sich Paulus „in Fesseln“ befindet und seine Haftbedingungen so locker sind, dass er Briefe versenden und außerdem das Evangelium verteidigen und bekräftigen kann (vgl. V. 7), er also (vor Gericht) ausreichend Verteidigungsmöglichkeit hat.


Weiterführende Literatur: Auf verschiedene zentrale Aspekte des Abschnitts 1,1-26 geht D. E. Garland 1980, 327-336 ein, der sich auf S. 331-336 mit der Bedeutung der Gefangenschaft des Apostels gemäß 1,12-26 befasst.


Mit der Frage, wie Paulus seine schwierige Lebenssituation (bezüglich Untersuchungshaft und darüber hinaus) theologisch deutet und so einen tiefen, über den Augenblick hinausreichenden Sinn darin zu finden vermag, beschäftigt sich G. Röhser 2004, 22-32. Das Lebensverständnis des Apostels sei auf Christus bezogen und umfasse auch Leiden und Sterben.


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V. 13


Beobachtungen: Fraglich ist, ob sich „in/durch Christus“ auf „meine Fesseln“ oder auf „bekannt geworden“ bezieht. „In Christus“ ist eine bei Paulus immer wieder begegnende Formel, die eine Sache, Person oder einen Vorgang als durch das Heilsgeschehen von Christi Tod und Auferstehung bestimmt erklärt. Wer/Was „in Christus“ ist, befindet sich also in einem vom Heil geprägten Machtraum, dem Machtraum Christi. Dementsprechend wäre bei ersterer Deutung die Gefangenschaft als Gefangenschaft aufgrund des christlichen Glaubens und Gefangenschaft, die Heil (= Rechtfertigung bei dem endzeitlichen Weltgericht Christi/Gottes und ewiges Leben) nach sich zieht, charakterisiert. Gemäß letzterer Deutung wäre dagegen in Christi Machtraum bekannt geworden, wobei sich der gemeinte Sachverhalt besser darstellen lässt, wenn man die Präposition „en“ statt mit „in“ mit „durch“ übersetzt. Dann wird nämlich klarer, dass es weniger um den Machtraum an sich als vielmehr um das machtvolle Wirken geht: Durch Christi machtvolles Wirken sind die „Fesseln“ des Apostels bekannt geworden.


Paulus schreibt, wo seine „Fesseln (in Christus)“ bekannt geworden sind: „en holô tô praitôriô kai tois loipois pasin“. Bei dem „praitôrion“ („Prätorium“) handelt es sich in der römischen Kaiserzeit zuvörderst um die kaiserliche Leibwache in Rom, die Prätorianergarde, oder um den Ort, an dem die Prätorianergarde stationiert ist, die Kaserne. Die Erwähnung des Prätoriums lässt daran denken, dass Paulus in Rom inhaftiert ist. Paulus erwähnt das Prätorium im Zusammenhang mit seiner Gefangenschaft und vermutlich auch dem Gerichtsprozess. Die kaiserliche Leibgarde selbst dürfte mit der Überwachung des gefangenen Apostels betraut sein. Geht man davon aus, dass Paulus bei der Gerichtsverhandlung das Evangelium verteidigt und bekräftigt hat, so mögen Angehörige der Leibgarde vom Evangelium Kenntnis erhalten haben, als sie bei dem Prozess Wache standen. Vielleicht erzählten sie unter ihren Kollegen das Gehörte weiter. Unwahrscheinlicher - allerdings durchaus möglich – ist, dass Paulus während seiner Gefangenschaft direkt seinen Wächtern gepredigt hat. Unmittelbarer als die kaiserliche Leibgarde an sich ist der Prätorianerpräfekt („praefectus praetorii/o“), dem die Leibgarde unterstellt ist, mit der Gerichtsverhandlung betraut. Zwar ist er im 1. Jh. – also zur Zeit der Abfassung des Philipperbriefes - noch in erster Linie militärischer Kommandeur, doch bekommt er im Laufe der Zeit immer mehr juristische Befugnisse. Im 2. und 3. Jh. handelt es sich bei den Prätorianerpräfekten schließlich um die ständigen Vertreter des Kaisers in Rechtssachen und folglich werden sie aus den berühmtesten Rechtsgelehrten ausgewählt. Die Zahl der Prätorianerpräfekten schwankt: es können zwei (ursprüngliche Zahl) oder auch mehr oder auch nur ein einziger sein. Nun ist die Nennung des Begriffs „praitôrion“ aber noch kein Beleg dafür, dass der Philipperbrief tatsächlich in Rom verfasst wurde, denn erstens setzt das Bekanntwerden nicht die Anwesenheit des Gefangenen in Rom voraus, weil sich die Meldung auch über weite Strecken schriftlich oder mündlich nach Rom verbreitet haben kann; zweitens wird der Begriff auch für die Residenz der Statthalter in den Provinzen verwendet. So wird an verschiedenen Stellen des NT die Residenz des Statthalters von Judäa in Cäsarea „praitôrion“ genannt (vgl. Mt 27,27; Mk 15,16; Joh 18,28.33; 19,9; Apg 23,35). Das spricht für eine Abfassung des Philipperbriefes in Cäsarea (oder: Jerusalem). Schließlich ist aber auch zu bedenken, dass sich in Ephesus, der Hauptstadt der römischen Provinz Asia, ebenfalls eine Statthalterresidenz befunden hat. Allerdings handelt es sich bei der Provinz Asia im Gegensatz zur Provinz Judäa nicht um eine kaiserliche, sondern um eine senatorische Provinz. Eine senatorische Provinz wird nicht vom Kaiser, sondern vom Senat verwaltet und ihr Statthalter muss senatorischen Ranges sein. Da sich kein Beleg dafür findet, dass die Residenz eines Statthalters in einer senatorischen Provinz „praetorium/praitôrion“ genannt wird, ist unwahrscheinlich, dass in V. 13 die Residenz des Statthalters in Ephesus gemeint ist. Auch die Anwesenheit von Angehörigen der Prätorianergarde in Ephesus ist unwahrscheinlich, auch wenn in lateinischen Inschriften (vgl. CIL, III, 6085, 7135, 7136) ein solcher genannt wird. Zu beachten ist nämlich, dass es sich bei der genannten Person um einen früheren Angehörigen der Prätorianergarde handelt, der außerhalb der Garde im Raum Ephesus einen polizeilichen Dienst versieht.

Wenn man „im ganzen Prätorium“ auf den Ort des Prätoriums bezieht, dann ist auch „und bei allen übrigen“ auf Orte zu beziehen. In diesem Fall wäre „und an allen übrigen Orten“ gemeint, wobei allerdings die Worte „en“ („in/an“) und „topois“ („Orten“) hinzu zu denken wären. Um welche weiteren Orte es sich handelt, bliebe unklar. Es läge eine ähnliche Deutung nahe, wie sie sich bietet, wenn man „im ganzen Prätorium“ auf die Angehörigen des Prätoriums bezieht, wobei „bei allen Angehörigen des Prätoriums“ gemeint wäre. „Und bei allen übrigen“ würde die Menschen außerhalb des Prätoriums im Blick haben, die sich an anderen Orten, also außerhalb des Prätoriums, befinden. Da Paulus hier nicht von weltweiter Verbreitung der Kunde von seinen „Fesseln (in Christus)“ spricht, sondern die Verbreitung der Kunde bei seinem Prozess im Blick hat, wäre anzunehmen, dass die Formulierung „und bei allen übrigen“ Personen meint, die zwar in irgendeiner Form mit dem Prozess in Kontakt kamen, aber nicht wie die Angehörigen des Prätoriums direkt mit ihm befasst waren. Am ehesten wäre an Zuhörer, an zufällig in der Nähe des Prozesses Verweilende oder an Mitgefangene zu denken. Wie dem auch sei: Mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich bei denjenigen, denen die „Fesseln (in Christus)“ des Apostels bekannt geworden sind, um Heiden. Diese sind es nämlich, die die missionierenden Christen anklagen, nicht die Christen selbst. Die Christen erscheinen als diejenigen, die eine Anklage zu befürchten haben.


Weiterführende Literatur: Laut D. Hartland 2010, 21-44 lasse Phil 1,13 erkennen, in welchem Maße auch militärische Kreise, konkret die Prätorianergarde in Rom und damit in Verbindung stehende Personen in Philippi, mit dem Evangelium in Kontakt kamen. Es sei nicht auszuschließen, dass es in diesen militärischen Kreisen auch zu Bekehrungen zum Christentum kam. Mindestens seien Paulus, die von ihm vertretene Sache und das Evangelium Gesprächsthema gewesen.


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V. 14


Beobachtungen: Fraglich ist, ob sich „im Herrn“ auf „Geschwister“ oder auf „vertrauend“ bezieht: Handelt es sich um „Geschwister im Herrn“ oder vertraut die Mehrheit der „Geschwister“ „im Herrn“? Letzterer Bezug ist wahrscheinlicher, weil die Bezeichnung „Geschwister“ keinen Zusatz braucht. Wenn Paulus von „Geschwistern“ spricht oder seine „Adressaten“ mit „Geschwister“ anredet, dann sind zweifellos Glaubensgeschwister gemeint. Der Zusatz „im Herrn“ würde eine unnötige Doppelung darstellen, die der paulinischen Ausdrucksweise widerspricht.

Die Mehrheit der Geschwister hat durch die „Fesseln“ Vertrauen gewonnen, und zwar „im Herrn“. „Im Herrn“ ist wahrscheinlich so zu verstehen, dass der „Herr“ – gemeint ist Gott oder Jesus Christus – das Vertrauen bewirkt hat.


Das durch den „Herrn“ gewirkte Vertrauen in die „Fesseln“ hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Brüder“ immer mehr wagt, das „Wort“ zu „reden“ („lalein“). Das Adverb „perissoterôs“ besagt, dass die Mehrheit der Geschwister auch bisher schon das „Wort“ „geredet“ hat, allerdings in zaghafterer Weise.


Der Begriff „logos“ („Wort“) ist wohl nicht im engen Sinn zu verstehen, wonach nur ein einziges Wort verkündet wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei dem „Wort“ um die Gesamtheit einer Vielzahl von Worten handelt. Diese Gesamtheit stellt eine Rede dar, deren Inhalt Paulus nicht nennt. Auch das folgende Verb „lalein“, das „reden“ bedeutet, sagt nichts über den Inhalt, der profan oder religiös sein kann, aus. Erst die in den folgenden Versen benutzten Verben „kêryssô“ und „katangellô“ lassen auf eine Verkündigung schließen, und zwar um spezifisch christliche Verkündigung. Vermutlich handelt es sich um die Verkündigung des Evangeliums.


Fraglich ist, auf welche Menge sich die „Mehrheit der Geschwister“ bezieht. Da sich keine Einschränkung findet, ist zunächst daran zu denken, dass die „Mehrheit“ aller „Geschwister“ weltweit gemeint ist. Gegen eine solche Deutung spricht aber, dass Paulus in seiner Gefangenschaft wohl kaum einen Überblick über das Verhalten der Christen weltweit hat. Er dürfte nur einen Überblick darüber haben, wie sich die Christen seines näheren Umfeldes, also vermutlich seines Aufenthaltsortes und der näheren Umgebung, verhalten. Nur auf diese Christen dürfte sich die „Mehrheit“ beziehen.


Wie ist das Vertrauen in die „Fesseln“ zu verstehen? Das Bewusstsein, dass der maßgebliche Missionar in Gefangenschaft geraten ist (oder: eine irgendwie beschaffene Freiheitsberaubung erdulden muss), sollte doch eigentlich zu besonderer Vorsicht mahnen und nicht zu einer besonders mutigen Verkündigung! Ist das Vertrauen vielleicht so zu verstehen, dass die Befreiung des Apostels abzusehen ist und den Glaubensgenossen deutlich wird, dass die Bedrohung seitens der Widersacher doch nicht so groß ist, wie bisher angenommen? Dies würde erklären, warum die Christen bei ihrer Verkündigung plötzlich mutiger werden. Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, dass sich Paulus gemäß dem folgenden Abschnitt 1,18b-26 bezüglich des Ausgangs des Prozesses völlig unsicher ist. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Glaubensgenossen des Gefangenen im Gegensatz zum Gefangenen selbst des positiven Ausgangs des Verfahrens sicher sein sollten. Das würde voraussetzen, dass die Glaubensgenossen ein Mehr an Wissen haben, das jedoch aus dem Text nicht zu erschließen ist. Paulus spricht mit keinem Wort ein Mehr an Wissen seiner Glaubensgenossen an, obwohl dies doch für ihn als Betroffenen von besonderer Bedeutung sein müsste. Folglich scheinen tatsächlich die „Fesseln“ des Apostels selbst der Grund für das Vertrauen zu sein. Die Freiheitsberaubung scheint also positiv bewertet zu werden, und das im Zusammenhang mit dem Evangelium und seiner Verkündigung. Es ist gut möglich, dass die Gefangenschaft des Apostels als Teilhabe am Leiden Christi und somit als besondere Christusnachfolge verstanden wird. Nun dürften es jedoch nicht die Teilhabe am Leiden Christi und die besondere Christusnachfolge an sich sein, die als dermaßen attraktiv empfunden werden, dass sie zu verstärkter Verkündigung des Evangeliums anhalten, sondern die Attraktivität dürfte im verheißenen Heil begründet liegen, das mit der Teilhabe am Leiden Christi und mit der besonderen Christusnachfolge verbunden ist. Der Blick dürfte neben der Teilhabe am Leid auch – und das vielleicht in besonderem Maße – auf die Teilhabe am Heil gerichtet sein. Insbesondere ist bei der Teilhabe am Heil an die Auferstehung von den Toten und an die damit verbundene Rechtfertigung (= Sündenvergebung) bei dem Jüngsten Gericht zu denken. Warum sich die Christen der Umgebung des Apostels angesichts der „Fesseln“ in solchem Maße des theologischen Hintergrunds bewusst geworden sind, ist jedoch unklar. Hat allein das Bewusstsein der Freiheitsberaubung des Apostels zu einer solchen Ermutigung geführt oder ist ihnen die theologische Bedeutung der Freiheitsberaubung um Christi willen durch eine Predigt, vielleicht sogar durch einen Brief des Apostels selbst, nahe gebracht worden?


Weiterführende Literatur:


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V. 15


Beobachtungen: Die Verkündigung geschieht jedoch nicht nur aus lauteren Beweggründen wie der eigenen Überzeugung, sondern auch aus Neid und Streitsucht. Die Begriffe „phthonos“ („Neid“) und „eris“ („Streitsucht“) tauchen auch in Lasterkatalogen auf (vgl. Röm 1,29; Gal 5,20-21; 1 Tim 6,4; in 1 Kor 3,3 findet sich als ähnliches Paar „zêlos“ [„Eifersucht“] und „eris“), was ihre negative Bewertung belegt. Wem gegenüber Neid und Streitsucht herrschen, schreibt Paulus nicht. Entweder herrschen Neid und Streitsucht unter den Verkündigenden, ohne dass Paulus in besonderem Maße betroffen wäre, oder Neid und Streitsucht gelten Paulus. Dann wäre der Versuch anzunehmen, die herausragende Stellung des Apostels als Missionar zu untergraben. Fraglich wäre jedoch, warum Glaubensgenossen an der herausragenden Stellung des Apostels als Missionar Anstoß nehmen. Es scheint Differenzen zwischen Paulus und anderen Predigern zu geben, wobei sich die Frage stellt, ob sie eher persönlicher oder eher theologischer Natur sind oder die gesamte Missionsstrategie betreffen. Es ist wahrscheinlich, dass die Differenzen über rein persönliche Unverträglichkeiten hinausgehen.


Der zentrale Inhalt des Verkündeten ist „Christus“. „Christus“ ist nicht ein Name im Sinne eines Vor- oder Nachnamens, sondern ein Heilstitel. „Christus“ bedeutet „Gesalbter“ (griechisch: „christos“). Im AT werden Könige, Priester, Propheten und auch kultische Gegenstände gesalbt. Durch die Salbung mit dem Salböl werden sie der rein profanen Welt enthoben und in den Dienst Gottes gestellt, womit sie in die Sphäre des Heils treten. Wenn Jesus als „Christus“ bezeichnet wird, dann wird er als Heilsbringer (Messias, hebr.: māschia) verstanden. Jesus Christus ist gemäß Paulus insbesondere deshalb Heilsbringer, weil er für die Menschen gestorben und von den Toten auferstanden ist. Er bewirkt Sündenvergebung und ewiges Leben. Im Zentrum der Predigt dürften also der stellvertretende Sündentod und die Auferstehung Christi und somit die Sündenvergebung und das ewige Leben stehen.


Weiterführende Literatur: Mit der Frage, wer die Konkurrenten des Apostels Paulus in Philippi sind, befasst sich H. W. Bateman 1998, 39-61. Gewöhnlich werde eine Zugehörigkeit der Konkurrenten zum Volk der Juden/Israeliten angenommen. Entweder halte man sie für Juden, die nach Philippi gekommen sind, um Heidenchristen zum Übertritt zum Judentum zu bewegen oder man halte sie für Judenchristen, die sich das Ziel gesetzt haben, Heidenchristen zur Befolgung jüdischer Rituale zu bewegen. H. W. Bateman stellt die jüdische Herkunft der Konkurrenten des Apostels in Frage und stellt folgende These auf: Weil Philippi eine mehrheitlich heidnische Stadt gewesen sei, hätten sich weitere Heiden der christlichen Gemeinde der Stadt angeschlossen (vgl. 4,2). Vielleicht hätten einige der Heiden in ihrem Eifer, den neuen Glauben verstehen zu wollen, das AT falsch verstanden und somit den Inhalt des Evangeliums mit zum Judentum gehörigen Ritualen vermengt (vgl. 1,15-17; 3,2). Das irrige Verständnis habe möglicherweise zu eifernden Aussagen geführt, die die Kirche zerrüttet haben (vgl. 1,27-28). Es habe sich um Heiden gehandelt, die sich wie Juden verhielten, ohne tatsächlich Juden zu sein (vgl. 3,2). Sie hätten wie christliche Missionare Christus verkündigt, seien aber keine Christen gewesen, sondern heidnische Judaisten.


C. Böttrich 2004, 84-101 geht auf 1,12-18 samt Kontext ein, gibt einen Überblick über Erklärungsmodelle zum Neid der „Brüder“ in Phil 1, geht dem Neid als Indikator sozialer Beziehungen nach, befasst sich mit Paulus und der Anatomie des Neides sowie der Art und Weise, wie Paulus den Konfliktfall thematisiert. Er entfaltet dabei folgende These: Die Verkündigung aus „Neid und Rivalität“, von der Paulus in 1,12-18 spreche, spiegele keine primär theologische Kontroverse wider. Vielmehr verweise sie auf einen Konflikt im Sozialgefüge der (ephesischen) Gemeinde. Es gehe dabei um die Fragen von Autorität, Ehre und Einfluss, die ihre eigenen theologischen Implikationen aufwiesen.


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V. 16


Beobachtungen: Es ist anzunehmen, dass diejenigen, die das „Wort“ aus Überzeugung verkünden, auch zu denjenigen gehören, die es aus Liebe verkünden. Unterscheidungen zwischen beiden Gruppen lassen sich deshalb nicht vornehmen, weil Paulus nur jeweils eine positiv und eine negativ charakterisierte Gruppe einander gegenüberstellt und an weiteren Ausdifferenzierungen der Gruppen nicht interessiert ist. Ihm geht es im Wesentlichen um die Betonung der Tatsache, dass die einen aus lauteren Gründen predigen, die anderen dagegen aus unlauteren Gründen.


Wer oder was das Objekt der Liebe ist, bleibt offen. In Frage kommen Gott/Jesus Christus, alle Menschen, alle Christen oder Paulus. Letztere Möglichkeit ist am wahrscheinlichsten, weil sich Neid und Missgunst (V. 14) wohl konkret gegen Paulus wenden. Außerdem spricht Paulus in weiteren Verlauf des V. 15 von sich selbst.


Die Formulierung „Verteidigung des Evangeliums“ konkretisiert nicht, wo denn die Verteidigung stattfindet. So könnte jeder Augenblick der Mission gemeint sein, in dem Paulus wegen des verkündigten Evangeliums angegriffen wird und dieses verteidigen muss. Nun befindet sich Paulus aber bei der Abfassung des Briefes an die Philipper in „Fesseln“, also in einer mehr oder weniger lockeren Gefangenschaft. Somit ist anzunehmen, dass Paulus in V. 16 die „Verteidigung des Evangeliums“ in der Gefangenschaft meint. Dabei kann die Verteidigung beim Warten auf die Gerichtsverhandlung oder bei der Gerichtsverhandlung selbst erfolgen (vgl. die Beobachtungen zu V. 7).

Die Verteidigung des Evangeliums sieht Paulus als seine Bestimmung an, wobei der Bestimmende Gott sein dürfte. Wenn die Verteidigung im Rahmen seiner Gefangenschaft eingeschlossen oder ausschließlich gemeint ist, so ist auch die Gefangenschaft an sich als Bestimmung anzusehen. Das Wissen der Glaubensgenossen um die „Verteidigung des Evangeliums“ (in der Gefangenschaft) seitens des Apostels scheint die Liebe als Verkündigungsgrund zu bewirken oder zumindest zu bestärken.


Weiterführende Literatur:


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V. 17


Beobachtungen: Das Substantiv „eritheia“ meint die Streit- oder die Selbstsucht. Wenn Paulus manchen Predigern „eritheia“ vorwirft, dann dürfte gemeint sein, dass manche Prediger zwar am eigenen Ruhm interessiert sind, aber nicht an der Sache, der Verbreitung des Evangeliums, an sich.

Paulus scheint diese Verhaltensweise Kummer zu bereiten, weil sie ihn selbst betrifft: „Seinen Fesseln“ wird nämlich durch die Streit- bzw. Selbstsucht Kummer bereitet. Die Formulierung „meinen Fesseln“ ist wohl im Sinne von „bei meinen Fesseln“ und – freier übersetzt - „mir Gefangenem“ zu verstehen. Dass Paulus Kummer verspürt, liegt wohl in seiner aufgrund der Freiheitsberaubung sehr begrenzten Handlungsfähigkeit begründet.

Warum aber ist nun die Gefangenschaft ein Problem? Ist das Problem, dass die Kritisierten durch ihre Predigten an Ansehen gewinnen und angesehener als Paulus werden? Dann könnte man den Neid des Apostels als selbstsüchtig ansehen, weil es ihm statt auf die Verbreitung des Evangeliums auf die Steigerung seines mit der Verkündigung verbundenen Ansehens ankäme. Oder predigen die Kritisierten Inhalte, die nicht mit denen der paulinischen Verkündigung übereinstimmen? Dann wäre zu erwarten, dass Paulus die inhaltlichen Unterschiede anprangert, was er aber nicht tut. Oder lassen die Kritisierten die Gefangenschaft des Paulus oder den der Freiheit Beraubten selbst in einem schlechten Licht erscheinen? Dann wäre zu erwarten, dass Paulus eine negative Beeinflussung seiner Glaubensgenossen befürchtet. Seltsamerweise geht aber aus den Worten des Apostels nicht hervor, dass seine Gefangenschaft negativ bewertet werden könnte – ganz im Gegenteil: gemäß V. 14 bewirken die „Fesseln“ des Apostels bei den Glaubensgenossen Vertrauen und mutigere Verkündigung, auch bei den Kritisierten! Möglich – und wohl am wahrscheinlichsten – ist, dass die theologische und psychologische Betrachtungsweise der Dinge unterschieden werden müssen: Theologisch gesehen bewertet Paulus die Gefangenschaft positiv, weil sie zu einer Stärkung der Verkündigungstätigkeit der Glaubensgenossen führt. Psychologisch gesehen scheint Paulus aber – vielleicht mehr, als er sich selbst bewusst ist – zu wurmen, dass es auch seine persönlichen Gegner sind, die mutiger verkündigen. Es scheint von beiden Seiten ein bewusst oder unbewusst geführter Konkurrenzkampf geführt zu werden, bei dem mit Unbehagen gesehen wird, wenn sich eine missliebige Person des werten Evangeliums annimmt und dieses sozusagen an sich reißt.


Weiterführende Literatur:


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V. 18


Beobachtungen: Paulus‘ bewusst mitgeteilte Botschaft ist, dass es nicht darauf ankommt, warum jemand verkündigt, sondern darauf, dass verkündigt wird. Dass das Evangelium nicht verfälscht verkündigt wird, wird dabei von ihm vorausgesetzt. Bewusst oder unbewusst scheint Paulus aber sehr zu ärgern, dass auch missliebige Personen verstärkt verkündigen. Diesen Ärger formuliert er aber (in V. 15-17) nur verhalten, weil er ansonsten das Persönliche über die Sache stellen würde.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bateman, Herbert W.; Were the Opponents at Philippi Necessarily Jewish?, BS 155/617 (1998), 39-61

Böttrich, Christfried; Verkündigung aus “Neid und Rivalität”? Beobachtungen zu Phil 1,12- 18, ZNW 95/1-2 (2004), 84-101

Garland, David E.; Philippians 1,1-26. The Defense and Confirmation of the Gospel, RExp 77/3 (1980), 327-336

Hartland, Doreen; Breaching the “Silence” on Early Christianity and Military Service: Paul and the Praetorian Guard, IBS 28/1 (2010), 21-44

Röhser, Günter; „Christus ist mein Leben“. Leben und ewiges Leben nach dem Neuen Testament, ZNT 13 (2004), 22-32


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