Phil 1,3-11
Übersetzung
Phil 1,3-11:3 Ich danke meinem Gott, sooft ich an euch denke, 4 allezeit, in all meinem Gebet für euch alle; und ich verrichte das Gebet mit Freude. 5 [Ich danke] für eure Teilhabe am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt 6 und bin dessen gewiss, dass der, der [das] gute Werk in euch begonnen hat, es [auch] vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu. 7 Es ist ja nur recht, dass ich so von euch denke; denn ich trage euch im Herzen, [auch hier] in meinen Fesseln und bei der Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums, [euch, die] ihr alle gemeinsam mit mir Teilhaber an der Gnade seid. 8 Denn Gott ist mein Zeuge, dass ich mich nach euch allen sehne mit [der] Herzenswärme Christi Jesu. 9 Und darum bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und allem Verständnis, 10 so dass ihr prüfen könnt, worauf es ankommt, damit ihr rein und untadelig seid am Tag Christi, 11 erfüllt von der Frucht der Gerechtigkeit, [die] durch Jesus Christus [gewirkt wird], zur Ehre und zum Lob Gottes.
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Beobachtungen: Dem typischen hellenistischen Briefaufbau entsprechend folgt auf das Präskript das Proömium, das aus der Danksagung (V. 3-8) und einer vergleichsweise ausführlichen Fürbitte für die Adressaten (V. 9-11) besteht.
Paulus dankt „seinem Gott“, was eine besondere Beziehung ausdrückt. Diese persönliche Rede entspricht den Psalmen, wo auch von „meinem Gott“ die Rede ist (vgl. Ps 22,2; 25,2 u. v. m.).
Angesichts der Tatsache, dass Phil 1,1 neben Paulus auch Timotheus als Verfasser des Briefes nennt, erstaunt die Verwendung der Ich-Form, die von nun an den gesamten Brief durchzieht. Sie beweist, dass Paulus der Hauptverfasser des Briefes ist und Timotheus als Mitverfasser wohl nur deswegen genannt wird, damit der Brief nicht als Privatbrief des Paulus erscheint, sondern einen öffentlichen und hinsichtlich der Aussagen beglaubigten Charakter bekommt.
Fraglich ist, ob die Präposition „epi“ temporal oder kausal zu verstehen ist, also eine Zeit oder einen Grund angibt. Temporal verstanden wäre die Bedeutung „Sooft ich an euch denke“ (wörtlich: „bei jedem Denken an euch“), womit die Häufigkeit des Dankes angegeben würde: Immer wenn Paulus an die Adressaten denkt, dankt er Gott. Kausal verstanden wäre die Bedeutung „aufgrund all euren Denkens“, wobei es sich um ein Denken an Paulus oder an andere Gemeindeglieder oder gar an Nichtchristen handeln könnte. Für dieses würde Paulus danken. In beiden Fällen sind die Adressaten Grund für den Dank und es ist folglich davon auszugehen, dass sich die Adressaten im Sinne des Apostels verhalten. Gegen die Bedeutung „aufgrund all euren Denkens“ spricht, dass das Objekt des Denkens nicht genannt wäre und außerdem Paulus in V. 4 (weiterhin) die Häufigkeit seines Denkens an die Adressaten betont und dabei konkret auf das Gebet zu sprechen kommt. Für die kausale Bedeutung spricht jedoch, dass die V. 5 einleitende Präposition „epi“ zweifellos kausal zu verstehen ist und nicht temporal. Liest man V. 3 und V. 5 in direkter Folge und deutet „epi“ jeweils kausal, so ist zu übersetzen: „Ich danke meinem Gott für (epi) all euer Gedenken … für (epi) eure Teilhabe am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt“. V. 4 wäre dann ein Einschub. Allerdings lässt sich einwenden, dass zum einen in V. 4 die Präposition „hyper“ statt „epi“ gebraucht wird, um einen Grund des Dankes anzuführen, und zum anderen der partizipiale Satzbau eine enge grammatikalische – und somit auch inhaltliche – Verbindung mit dem vorhergehenden Vers annehmen lässt.
Weiterführende Literatur: A. H. Snyman 2004, 81-104 analysiert 1,1-11 von einer rhetorischen Perspektive aus, die sich von dem von anderen Auslegern gewählten Ansatz unterscheide. Dieser tendiere dazu, dem Brief Kategorien antiker Rhetorik überzustülpen. Infolgedessen werde davon ausgegangen, dass 1,1-11 ein Teil des als „exordium“ bezeichneten Briefabschnitts 1,3-26 sei, der die Zuhörer auf die eigentliche Argumentation, die „probatio“ 2,1-3,21, einstimme. A. H. Snyman wählt dagegen für seine Analyse den „grounded theoretical approach“ und kommt zu dem Ergebnis, dass 1,1-11 nicht die eigentliche Argumentation des Briefes vorbereite, sondern bereits Teil der Argumentation sei.
Auf verschiedene zentrale Aspekte des Abschnitts 1,1-26 geht D. E. Garland 1980, 327-336 ein, der auf S. 328-329 darlegt, dass die „Danksagung“ 1,3-11 von Dankbarkeit, Zuneigung, Freude und Vertrauen geprägt sei. Diese Prägung sei auch für den weiteren Philipperbrief kennzeichnend, wobei der Dank für die Geldspende (vgl. 2,25-30; 4,10-20) und die Sorge um das fortgesetzte Wachstum der Kirche „in Christus“ zentrale Themen des Briefes seien.
K.-W. Peng 2003, 415-419 weist auf die Diskrepanz zwischen verschiedenen englischen Bibelübersetzungen und der vielfach seitens der Ausleger vertretenen Deutung hin: Sei es in den meisten Übersetzungen Paulus, der an die Adressaten denke, so gingen viele Ausleger davon aus, dass die Adressaten an Paulus denken. Für Paulus als Subjekt des Gedenkens spreche insbesondere, dass die Adressaten zwar Subjekt des Gedenkens sein könnten, sich dann aber kein Objekt des Denkens finde. Außerdem sei in Röm 1,9; Eph 1,16 und Phlm 4 das Substantiv „mneia“ („Gedenken“) eng mit Danksagung im Sinne von Gedenken/Erwähnung im Gebet verbunden. Dagegen lasse sich aber Folgendes einwenden: Gemäß altgriechischer Grammatik bräuchte nicht mittels eines Objektes verdeutlicht zu werden, an wen die Adressaten denken, so lange eine Nominalkonstruktion (hier Gebrauch des Nomens „mneia“) und nicht eine Partizipialkonstruktion (hier Gebrauch des Partizips „mnêneuonti“) vorliege. Außerdem sei der mit dem Substantiv „mneia“ („Gedenken“) verbundene Genitiv in Röm 1,9; Eph 1,16 und Phlm 4 zwar als genitivus obiectivus zu deuten, doch finde er sich in keinem Fall nach der Präposition „epi“. K.-W. Peng hält für wahrscheinlicher, dass die Adressaten das Subjekt des Gedenkens sind und „epi“ somit kausal zu deuten ist.
P. A. Holloway 2006, 419-432 verteidigt die kausale Deutung der Präposition „epi“, wonach Paulus für etwas danke, und zwar für jedes Gedenken an die Adressaten. Bei der Deutung des V. 3 sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Philipperbrief um einen Trostbrief handele. Laut V. 3 finde Paulus bei seinem Gedenken an die Adressaten Trost. Es werde eines der zentralen Themen des Philipperbriefes eingeleitet, und zwar die enge Verbindung der eigenen Freude mit dem Dienst der Philipper am Evangelium.
R. Gebauer 1989, 184-198 weist auf wichtige Stationen der Erforschung des Abschnitts Phil 1,3-11 hin und bietet dann eine problemorientierte Exegese, wobei er sich der Struktur und Form sowie der Funktion des Abschnitts widmet und auf den Grund des Gebets eingeht. Ergebnis: Paulus begründe sein Danken in V. 3b, insofern er hier dessen äußeren Anlass nenne. Dagegen beschreibe er in V. 4b.5 und V. 6 die innere Haltung der Freude und des Vertrauens, die ihn zum Gebet bewege und ihn darin bestimme. Unter diesem Gesichtspunkt könnten diese Verse als Grundlage – in Ergänzung zur Begründung – seines Betens gelten.
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Beobachtungen: Es liegt also nahe davon auszugehen, dass der Begriff „mneia“ (V. 3) das Bindung voraussetzende Denken an die Adressaten an sich meint, der Begriff „deêsis“ (V. 4) dagegen den Rahmen des Denkens, das Gebet. Es handelt sich also nicht nur um ein rein profanes Denken, wie Freunde aneinander denken, sondern das Denken ist religiöser Art. Gott ist nicht nur Adressat des Dankes, sondern als Vater Jesu Christi auch Grund für die Bindung. Die Einbettung des Denkens in das Gebet lässt annehmen, dass es sich nicht nur um eine reine Erinnerung handelt, sondern auch um eine Fürbitte, die von Gott das Wohlergehen der in das Gedenken Einbezogenen erbittet. Somit überrascht nicht, dass in V. 9-11 eine recht ausführliche Fürbitte folgt.
Paulus betont die Intensität des Denkens zum einen dadurch, dass er die Häufigkeit unterstreicht, zum anderen dadurch, dass er alle Christen in Philippi ausnahmslos einschließt.
Der erfreuliche Hintergrund des Gebets wird dadurch hervorgehoben, dass Paulus betont, dass er das Gebet mit Freude verrichtet. Paulus treibt also nicht die Sorge um die Glaubensfestigkeit der Adressaten zum Gebet, sondern seine Freude über die (zumindest aus seiner Sicht) tatsächlich vorhandene Glaubensfestigkeit.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die Formulierung „Teilhabe am Evangelium“ sagt nicht aus, wie die Teilhabe beschaffen ist. Auf jeden Fall ist eingeschlossen, dass die Adressaten am Glauben an das Evangelium teilhaben. Sie haben insofern vom ersten Tag an am Glauben Anteil, als Philippi gemäß Apg 16,9-12 die erste Stadt war, in die Paulus mit seinen Begleitern das Evangelium brachte. „Bis jetzt“ haben sie am Glauben an das Evangelium Anteil, weil sie auch zur Zeit der Abfassung untadelig dem Christusglauben anhängen. Dass die Philipper zwischenzeitlich vom Glauben abgefallen sind, geht aus den Worten des Apostels nicht hervor. Dass die „Teilhabe am Evangelium“ auch Missionstätigkeit und/oder Geldspenden einschließt, ist möglich, aber nicht sicher. Reine Spekulation ist die Annahme, dass „Teilhabe am Evangelium“ speziell die Missionstätigkeit und/oder Geldspenden meine.
Weiterführende Literatur: Auf die enge Verbindung von „Evangelium“ („euangelion“) und „Gemeinschaft“ („koinônia“) im Philipperbrief weist G. W. Murray 1998, 316-326 hin. Auf S. 317-320 geht er auf 1,5 ein: „koinônia eis to euangelion“ meine aktive Gemeinschaft bei der Bezeugung des Evangeliums. „Koinônia“ sage in diesem Vers nicht nur aus, was die Gläubigen füreinander tun, sondern auch, was sie für andere Menschen tun.
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Beobachtungen: Worum es sich bei dem „guten Werk“ handelt, schreibt Paulus nicht. Angesichts der vorhergehenden Rede von der „Teilhabe am Evangelium“ dürfte jedoch die „Teilhabe am Evangelium“ gemeint sein, also vermutlich der christliche Glaube. Dieser Glaube ist als innerlich („in euch“) gedacht.
Wer das „gute Werk“ angefangen hat, bleibt offen. Auf jeden Fall sieht Paulus nicht sich selbst als Wirkmacht, denn er unterscheidet sich eindeutig von ihr. Weil eine andere Wirkmacht schwerlich denkbar ist, dürfte Gott gemeint sein, vielleicht auch Jesus Christus.
Das „gute Werk“ stellt nicht einen unveränderlichen Zustand dar, sondern ist veränderlich. Hier ist an eine Weiterentwicklung gedacht, was hinsichtlich des Glaubens Festigung oder Ausbreitung bedeuten kann. Eine Festigung würde bedeuten, dass die Vollendung sich auf den Glauben der Adressaten bezieht und die Ortsangabe „in euch“ somit nicht nur auf den Beginn, sondern auch auf die Vollendung zu beziehen ist. Vorausgesetzt wäre, dass die Festigkeit des Glaubens der Philipper zwar erfreulich, aber noch nicht vollkommen ist. Eine Ausbreitung würde eine Ausweitung des Glaubens über den Kreis der Adressaten hinaus bedeuten, wobei in erster Linie an weitere Glaubensübertritte in der Stadt Philippi, wo weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung einem heidnischen Glauben angehören dürfte, zu denken wäre. Die Ortsangabe „in euch“ wäre dann nur auf den Beginn, aber nicht auf die Vollendung zu beziehen.
Die Vollendung ist im Hinblick auf den „Tag Christi Jesu“ gedacht. Mit dem „Tag Christi Jesu“ ist wohl der Tag der Wiederkunft des nach seiner Auferweckung von den Toten gen Himmel gefahrenen Jesus Christus gemeint. An diesem Tag müssen sich alle Menschen vor dem Gericht Jesu Christi bzw. Gottes verantworten, was eine sorgsame Vorbereitung erforderlich macht.
Wann der „Tag Christi Jesu“ zu erwarten ist, schreibt Paulus nicht. Sicher ist, dass bis dahin noch mehr oder weniger Zeit verstreichen wird, die Wandlungen annehmen lässt. Weil weder gesichert ist, dass die Adressaten weiterhin glaubensfest bleiben werden, noch sicher von einer weiteren Ausbreitung des Glaubens ausgegangen werden kann, muss Paulus auf das Wirken Gottes bzw. Jesu Christi setzen. Nicht die Menschen schaffen Gewissheit, sondern das Vertrauen auf Gottes bzw. Jesu Christi Wirken.
Weiterführende Literatur: J. G. Janzen 1996, 27-54 unterstreicht die Bedeutung des „sociology of knowledge“ bei der Bibelauslegung. Demnach hänge die Art und Weise, wie ein Mensch die Welt oder einen Text deute, von dem ganz individuellen Lebenshorizont ab. Von diesem grundlegenden Ansatz ausgehend deutet J. G. Janzen V. 6 in seinem unmittelbaren Kontext.
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Beobachtungen: „Kathôs“ leitet einen neuen Gedanken ein. Paulus unterstreicht nun die Rechtmäßigkeit seiner in den vorhergehenden Versen geäußerten Gedanken. Aus dem Verhalten der Philipper folgt eine innige Verbundenheit des Apostels mit den Adressaten.
Nun stellt sich jedoch die Frage, wer wen im Herzen trägt. Die Formulierung „dia to echein me en tê kardia hymas“ ist doppeldeutig: Sie kann sowohl „Weil ich euch im Herzen trage“ als auch „Weil ihr mich im Herzen tragt“ übersetzt werden. Weil das Verb ein Infinitiv ist, gibt es nicht darüber Auskunft, ob das Subjekt Einzahl oder Mehrzahl ist. Der weitere Verlauf von V. 7 lässt beide Deutungen zu.
Paulus befindet sich „in Fesseln“. Inwieweit der Ausdruck wörtlich zu nehmen ist, ist unklar. Es kann sein, dass Paulus tatsächlich im Gefängnis mit Fesseln/Ketten angebunden ist. Es kann aber auch nur die beschränkte Bewegungsfreiheit gemeint sein, sei es, dass Paulus eingesperrt ist, sei es, dass er sich nicht frei nach seinem eigenen Belieben umher bewegen kann.
Aus der Tatsache, dass Paulus sich in Gefangenschaft befindet, lassen sich der Abfassungsort und die Abfassungszeit erschließen. Allerdings lässt die Angabe drei verschiedene Schlüsse zu, denn Paulus war laut biblischem Befund mindestens an zwei oder drei verschiedenen Orten in Gefangenschaft. Am unsichersten ist der Befund bezüglich einer möglichen Gefangenschaft in Ephesus, denn Paulus spricht zwar davon (vgl. 1 Kor 15,32), dass er in der Provinz Asia mit „wilden Tieren“ gekämpft habe, doch erwähnt er die Provinzhauptstadt nicht mit Namen. Außerdem ist möglich, dass Paulus die Auseinandersetzung mit aggressiven Menschen bildlich als Kampf mit wilden Tieren bezeichnet. Auch in 2 Kor 1,8-9 spricht Paulus nur allgemein von einer lebensgefährlichen Bedrängnis in der Provinz Asia. 2 Kor 6,5 und 11,23 sprechen zwar von Gefängnisaufenthalten, lokalisieren diese aber nicht. Wird eine Abfassung des Briefes in Ephesus angenommen, so dürfte sie – je nach Berechnung - in die Zeit 52-55 n. Chr. fallen. Eindeutiger sind die biblischen Aussagen zu den beiden anderen Gefangenschaften, nämlich zu derjenigen in Jerusalem und Caesarea sowie zu derjenigen in Rom. Allerdings werden sie nicht in den paulinischen Briefen genannt, sondern in der Apostelgeschichte. Die Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea wird sogar über eine längere Passage hin thematisiert und die gesamte gerichtliche Verhandlung geschildert (vgl. Apg 21,27-26,32). Mit der Gefangenschaft des Paulus in Rom endet die Apostelgeschichte (vgl. 28,16-31). Eine Abfassung des Philipperbriefes in Caesarea wäre – je nach Berechnung - in den Zeitraum 55-59 n. Chr. zu datieren, eine Abfassung in Rom in den Zeitraum 59-61 n. Chr. Da Paulus zur Zeit der Abfassung von 2 Kor 6,5 und 11,23 noch nicht die Gefangenschaften in Jerusalem/Caesarea und Rom erlebt hatte, kann die in diesen beiden Versen erwähnte Mehrzahl der Gefangenschaften nicht diejenigen in Jerusalem/Caesarea und Rom einbeziehen. Da nur eine einzige, nicht einmal sicher nachweisbare in Ephesus verbleibt, stellt sich die Frage, welches die anderen Gefangenschaften waren. Diese unbekannten Gefangenschaften müssen aber bei der Lokalisierung und Datierung der Abfassung des Philipperbriefes berücksichtigt werden, was die Suche nach einer Antwort zusätzlich erschwert.
Geht man davon aus, dass die Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums vor einem nichtchristlichen Gericht bei der Verteidigung des Apostels, die dieser zur Verkündigung nutzte, erfolgte, ist festzustellen, dass der Apostel immerhin die Möglichkeit der Verteidigung hatte. Diese war laut Apostelgeschichte sicher in Jerusalem/Caesarea gegeben und ist auch für Rom anzunehmen. In sämtlichen dieser Orte hatte Paulus im Rahmen seiner Gefangenschaft die Möglichkeit der Verkündigung des Evangeliums. Zu den früheren Gefangenschaften, möglicherweise auch in Ephesus, lässt sich nichts sagen.
Die Formulierung „Teilhaber an der Gnade“ erinnert an die ähnliche Formulierung „Teilhabe am Evangelium“ (V. 5). Es liegt also der Gedanke nahe, dass „Evangelium“ und „Gnade“ zueinander in einem engen Verhältnis stehen. Mit dem Evangelium und dem Glauben an das Evangelium ist die Gnade verbunden, die dem gläubigen Menschen geschenkt wird. Weil die Philipper an das Evangelium glauben, ist davon auszugehen, dass sie auch die Gnade geschenkt bekommen. Insofern sind sie ebenso wie der gleichfalls an das Evangelium glaubende Paulus „Teilhaber an der Gnade“. Man kann die Formulierung „Teilhaber an der Gnade“ aber auch anders deuten: Geht man davon aus, dass Paulus in V. 3 dafür dankt, dass die Adressaten an ihn denken, liegt der Gedanke nahe, dass auch in V. 7 Teilhabe am Schicksal des Apostels gemeint ist. Das Schicksal des Apostels ist Gefangenschaft, die man insofern als „Gnade“ deuten kann, als die Gefangenschaft ein besonders intensiver Bestandteil der Nachfolge Christi ist. Wer für den Glauben sogar in das Gefängnis geworfen wird, hat seinen Glauben bezeugt und bezeugt ihn im Gefängnis in besonderem Maße. Weil mit dem Glauben das Geschenk der Gnade verbunden ist, kann man die Gefangenschaft als Gnade verstehen. Ob die Adressaten mit dem gefangenen Apostel „nur“ mit Gedanken oder durch Gebet verbunden sind oder ob sie ihn in irgendeiner Form unterstützen – es ist an diplomatische Intervention durch Gesandte oder Gaben materieller oder finanzieller Art zu denken (vgl. 4,10-20) - oder gar teilweise ein ähnliches Schicksal erleiden wie er, bleibt jedoch offen. Möglich ist auch, dass die „Gnade“ insbesondere die Gnade meint, die mit der tätigen Verkündigung und der Kollekte verbunden ist, doch gründet eine solche Einschränkung der Bedeutung ebenso wie bei der Formulierung „Teilhabe am Evangelium“ auf reiner Spekulation. Gnade lässt sich nicht auf die aktive Verkündigung begrenzen, weil auch Menschen, die „nur“ hören und gläubig das Verkündigte glauben, die Gnade erlangen. Auch wer nicht verkündigt oder Geld sammelt bzw. gibt kann folglich „Teilhaber an der Gnade“ werden. Ebenso ist die Situation der Gefangenschaft nicht mit der Situation der tätigen Verkündigung oder der Kollekte gleichzusetzen, auch wenn sie mit tätiger Verkündigung (und vielleicht auch mit der Kollekte) im Zusammenhang zu sehen ist.
Weiterführende Literatur: J. Schlosser 1995, 67-76 befasst sich mit der Mitwirkung und der Mitverantwortung der Christen in Philippi bei der Verkündigung des Evangeliums und geht dabei genauer auf Phil 1,7 samt seinen zahlreichen syntaktischen und semantischen Schwierigkeiten ein.
G. W. Murray 1998, 319-320 zu V. 7: Die Adressaten seien hinsichtlich der Aktivitäten (Leiden und Verkündigung) mit Paulus Teilhaber an der Gnade.
P. Oakes 1998, 155-164 liest 1,1-11 aus der Sicht zweier verschieden situierter, fiktiver Gemeindeglieder aus Philippi mit Folgerungen für die heutige Rezeption. Das eine fiktive Gemeindeglied ist der arme, leidende Jason, das andere die wohlhabende und Paulus großzügig finanziell unterstützende, von Leid verschonte Penelope. Im Anhang favorisiert P. Oakes die Minderheitsmeinung, dass „Teilhaber an meiner Gnade“ Teilhabe am apostolischen Leiden im Blick habe, nicht finanzielle Unterstützung. Aber die unterschiedliche Lebenserfahrung der ersten Hörer könne auch zu einer unterschiedlichen Auslegung dieses Verses führen.
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Beobachtungen: Paulus sehnt sich nach den Adressaten, was als Zeichen besonders tiefer Verbindung zu deuten ist. Die Tiefe der Verbindung wird durch die Formulierung „en splanchnois Christou Iêsou“ unterstrichen.
Der Begriff „splanchnon“ meint das Eingeweide, das als Sitz der Gefühle gilt. Es handelt sich nicht um irgendwelche Eingeweide bzw. Gefühle, sondern um diejenigen Christi Jesu (= Jesu Christi). Jesus Christus ist derjenige, mit dem die Gnade ursächlich verbunden ist und derjenige, der den Grund für die Verbindung zwischen Paulus und den Adressaten darstellt. Die Präposition „en“ („in/mit“) gibt den Machtbereich oder die enge Verbindung an, hier im Sinne der Entsprechung. Die Sehnsucht des Apostels nach den Adressaten entspricht in der Intensität den „Eingeweiden“ Jesu Christi, also dessen Gefühlstiefe oder -wärme für die Gläubigen. Weil wir heute in der westlichen Welt das Gefühl in hohem Maße mit dem Herzen verbinden, ist die Bezeichnung der Gefühlstiefe oder –wärme als „Herzenswärme“ angemessen.
Inwiefern Jesus Christus den (gläubigen) Menschen, konkret auch den Philippern, in besonderer Intensität verbunden ist, bleibt offen. Man kann an seine Menschenliebe zu Lebzeiten denken, als er sich den Sündern zugewandt und für die Menschen Wunder gewirkt hat. Angesichts der Bedeutung, die Paulus dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi beimisst, ist jedoch wahrscheinlicher, dass an die tiefe, liebende Verbundenheit mit den Menschen gedacht ist, die sich im Tod und in der Auferstehung gezeigt hat bzw. zeigt. Tod und Auferstehung sind in einem engen Zusammenhang mit der Sündenvergebung und deren Verkündigung zu sehen.
Paulus beschwört die Richtigkeit seiner Aussagen, indem er auf Gott als Zeugen verweist. Menschenwort wird so göttlich beglaubigt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Das Denken an andere Menschen hängt eng mit der Fürbitte im Gebet zusammen. Deshalb überrascht es nicht, dass Paulus an den Dank, in dem er ausführlich von seinem Denken an die Adressaten (und evtl. vom Denken der Adressaten an ihn) spricht, eine vergleichsweise ausführliche Fürbitte anschließt.
Paulus nennt den zentralen Begriff, der das Verhalten der Philipper kennzeichnet, nämlich die „Liebe“ („agapê“). Dabei wird nicht klar, ob der Apostel insbesondere das Denken der Adressaten an ihn als „Liebe“ bezeichnet. Auch ist fraglich, ob Paulus sein eigenes Denken an die Adressaten als „Liebe“ bezeichnen würde. Die Rede vom Sehnen und der „Herzenswärme“ in V. 8 lässt dies annehmen.
Die „Liebe“ der Adressaten soll mehr und mehr „überströmen“. Diese Formulierung lässt erkennen, dass Paulus bei den Adressaten schon ein hohes Maß an „Liebe“ erkennt, das Maß jedoch noch steigerungsfähig ist.
Die „Liebe“ steht nicht - im Sinne der totalen Emotion – für ich allein, sondern ist in Erkenntnis und Verständnis eingebettet. Paulus benutzt an dieser Stelle zwei verschiedene Begriffe für „Verständnis/Erkenntnis“: „epignôsis“ und „aisthêsis“, wobei sich letzterer im NT nur hier findet. Ersterer Begriff scheint allgemeiner zu sein als letzterer, denn Paulus scheint mehrere Arten der „aisthêsis“ auszumachen, die er alle eingeschlossen sieht. Paulus dürfte sich an dieser Stelle (wie auch in V. 10) der Sprache und Gedankenwelt der hellenistischen Moralphilosophie bedienen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die in Verständnis und Erkenntnis eingebettete Liebe dient einem bestimmten Zweck: Der verstehend und erkennend liebende Mensch soll prüfen, worauf es ankommt. Hier tritt ein typischer Wesenszug paulinischer Ethik zu Tage: Paulus bedient sich nicht gesetzlicher Kasuistik, die in bestimmten Situationen vorschreibt, was zu tun ist, sondern er stellt rechtes Tun der eigenen Prüfung anheim. Der verstehende und erkennende, liebende Mensch soll mittels eigener Prüfung selbst entscheiden, was der Wille Gottes ist (vgl. 1 Thess 5,21; Röm 12,2).
Ziel der eigenen Prüfung ist es, dass der (gläubige) Mensch so handelt, dass er am „Tag Christi“ rein und untadelig ist. Das ist deswegen wichtig, weil der „Tag Christi“ – gedacht ist wohl an den Tag der Wiederkunft des nach seiner Auferstehung gen Himmel gefahrenen Christus – ein Gerichtstag ist, an dem das Verhalten der Menschen von Christus bzw. Gott geprüft und gerichtet wird. Paulus versteht das ganze Christenleben als Vorbereitung auf das Gericht. Die für das Bestehen erforderliche moralische Untadeligkeit versteht er als Reinheit.
Weiterführende Literatur: J. H. Roberts 1986, 29-35 befasst sich mit den eschatologischen Texten in den Übergängen zu den paulinischen Briefkorpora. Er untersucht die verschiedenen Techniken, v. a. die eschatologische Klimax in 1 Kor 1,7-8, Phil 1,10, 1 Thess 1,1-10, 2 Thess 1,6-10, und legt den Forschungsstand dar. Auch geht er auf den größeren Zusammenhang ein. Ergebnis: Die eschatologischen Übergänge hätten wichtige rhetorische Bedeutung. Auf die in Phil 1,10 angemahnte Reinheit und Untadeligkeit am Tage Christi hin seien auch 2,1-5.11 und 4,3 zu lesen.
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Beobachtungen: Paulus benutzt für die Rede von der Untadeligkeit das Bild des Obstgartens, dessen Bäume reiche Frucht tragen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie der Ausdruck „Frucht der Gerechtigkeit“ zu deuten ist. Handelt es sich um die „Frucht“, die aus der „Gerechtigkeit“ hervorgeht, oder handelt es sich um eine „Frucht“, die aus „Gerechtigkeit“ besteht? In ersterem Fall wäre daran gedacht, dass sich niemand die Gerechtigkeit (im Sinne der Sündenvergebung) vor Gott verdient, sondern sie ihm von Gott geschenkt wird. Dieses Geschenk befreit den Menschen, der an das Geschenk glaubt, zu einem Gott wohlgefälligen Leben. Ein solches Leben wäre die beste Vorbereitung auf das endzeitliche Weltgericht. Was genau zu einem Gott wohlgefälligen Leben, der „Frucht“, gehört, bliebe offen. Zunächst wäre an die in V. 9 genannte Liebe zu denken, dann auch an den mit der Liebe zusammenhängenden Glauben und an die Hoffnung (vgl. 1 Kor 13,13) sowie an Freude, Friede, Langmut, Rechtschaffenheit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung, die zu den „Früchten des Geistes“ zählen (vgl. Gal 5,22-23). Geht man davon aus, dass die „Frucht der Gerechtigkeit“ als eine aus „Gerechtigkeit“ bestehende „Frucht“ gedacht ist, dann würden die Adressaten durch ihr gottgefälliges Leben von „Gerechtigkeit“ erfüllt. Hinter dieser Vorstellung stünde der Gedanke, dass das Geschenk der „Gerechtigkeit“ (im Sinne der Sündenvergebung) zu einem gottgefälligen Leben verpflichtet. Erst ein solches Leben bringt letztendlich als „Frucht“ die Verwirklichung der zugesagten „Gerechtigkeit“ hervor.
Das Partizip „peplêrômenoi“ kann als Medium oder Passiv gedeutet werden. Bei ersterer Deutung kann die Erfüllung von der „Frucht der Gerechtigkeit“ zumindest in einem beschränkten Maßen auf die Adressaten zurückgeführt werden. Für diese Deutung spricht der folgende Akkusativ. Geht man dagegen davon aus, dass ein passivisches Partizip vorliegt, dann wäre ausgesagt, dass die Adressaten von der „Frucht der Gerechtigkeit“ erfüllt werden. Die Erfüllung wäre auf Jesus Christus zurückzuführen. Weil zweifellos Jesus Christus als wirkende Kraft angeführt wird, scheint am angemessensten zu sein, das Partizip als Passiv zu deuten. Aufgrund des für ein Medium sprechenden Akkusativs wäre jedoch ein gewisser Eigenanteil der Adressaten in Betracht zu ziehen.
Weiterführende Literatur: Laut C. Rico 2007, 447-451 beinhalte V. 11 eine Metapher aus dem Finanzwesen. Laut Phil 4,16 hätten die Philipper, als Paulus in Thessalonich war, zweimal für seinen Bedarf gesandt. Um diese Schuld zu begleichen, habe er vorweg die „Gewinnanteile“ („Dividenden“; „karpon“) der Gerechtigkeit ausgezahlt, die von Christus her komme. Wenn die Philipper also ihre Außenstände eingezogen haben, dann liege das an dem Übermaß der Verdienste Christi.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Garland, David E.; Philippians 1,1-26. The Defense and Confirmation of the Gospel, RExp 77/3 (1980), 327-336
Gebauer, Roland; Das Gebet bei Paulus: forschungsgeschichtliche und exegetische Studien, Gießen – Basel 1989
Holloway, Paul A.; Thanks for the Memories: On the Translation of Phil 1.3, NTS 52/3 (2006), 419-432
Janzen, J. Gerald; Creation and New Creation in Philippians 1:6, HBT 18/1 (1996), 27-54
Murray, George W.; Paul’s Corporate Witness in Philippians, BS 155/619 (1998), 316-326
Oakes, Peter; Jason and Penelope Hear Philippians 1.1-11, in: C. Rowland, C. H. T. Fletcher- Louis [eds.], Understanding, Studying and Reading (JSNT.S 153), Sheffield 1998, 155-164
Peng, Kuo-Wei; Do We Need an Alternative Rendering for Philippians 1.3?, BiTr 54/4 (2003), 415-419
Rico, Christophe; Une métaphore financière de l’épître aux Philippiens: Peplêrômenoi karpon dikaiosynês (Ph 1,11), RB 114/3 (2007), 447-451
Roberts, J. H.; The Eschatological Transitions to the Pauline Letter Body, Neotest. 20 (1986), 29-35
Schlosser, Jacques; La communauté en charge de l’Évangile. A propos de Ph 1,7, RHPR 75/1 (1995), 67-76
Snyman, A. H.; A Rhetorical Analysis of Philippians 1:1-11, ATh 24/2 (2004), 81-104