Phil 1,1-2
Übersetzung
Phil 1,1-2:1 Paulus und Timotheus, Sklaven Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, samt Aufsehern und Dienern. 2 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und [dem] Herrn Jesus Christus.
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Beobachtungen: Der Briefeingang (Präskript) ist zweiteilig, was der orientalischen Form des Briefanfangs entspricht. Zunächst werden Absender und Adressat angegeben, dann folgt ein Segenswunsch. Die Nennung des Absenders im Nominativ vor dem Adressaten im Dativ entspricht der hellenistischen Form. Somit handelt es sich bei dem Briefanfang dieses Briefes und anderer paulinischer Briefe um eine Mischform.
Paulus ist nicht der einzige Verfasser des Briefes, sondern sein enger Mitarbeiter Timotheus ist Mitverfasser. Ob Timotheus tatsächlich an der Abfassung des Briefes mitgewirkt hat oder ob Paulus nur verdeutlichen will, dass es sich nicht um reinen Privatbrief handelt, ist unklar. Im Gegensatz zu Paulus befindet sich Timotheus wohl nicht in Gefangenschaft (vgl. 2,19-24).
Paulus und Timotheus sind „Knechte“ Jesu Christi (= Christi Jesu). Der Begriff „Knecht“ („doulos“) ist auf dem Hintergrund antiker Sklavenwirtschaft zu verstehen, bei der ein „Herr“ über die ihm zugehörigen Sklaven verfügen kann. Der Begriff macht deutlich, dass das Verhalten von Paulus und Timotheus nicht vom eigenen Willen bestimmt ist, sondern von demjenigen Jesu Christi
Bei den „Heiligen“ handelt sich gemäß frühchristlichem Verständnis nicht um besondere Wundertäter, sondern um alle Christen, die durch ihre Taufe geheiligt worden sind und nun ein neues, heiliges und reines Leben führen (sollten).
Der Zusatz „in Christus Jesus“ konkretisiert die Bezeichnung „Heilige“ und macht deutlich, dass es sich bei diesen um Christen handelt. „In Christus“ gibt dabei den Machtbereich an, in dem sich die Christen befinden: Die Christen befinden sich im Machtbereich Jesu Christi (= Christi Jesu), ihres „Herrn“, an dem sie ihr Leben ausrichten und von dem sie ihr Heil erwarten.
Die angeschriebenen Christen wohnen in Philippi. Bei Philippi handelt es sich um eine bedeutende Stadt in der römischen Provinz Macedonia (Makedonien/Mazedonien), im Nordosten des heutigen Griechenlands. Philippi war die erste Stadt Europas, in die Paulus mit seinen Begleitern das Evangelium brachte (vgl. Apg 16,9-12). Die Formulierung „die in Philippi sind“ sagt nichts über die Gemeindestruktur aus. Dass eine solche existiert, geht aus den folgend genannten „episkopoi“ („Bischöfe/Aufseher“) und „diakonoi“ („Diakone/Diener“) hervor. Fraglich ist jedoch, ob die Gemeinde ganz Philippi umfasst oder ob es einzelne Hausgemeinden gibt, die untereinander in einer bestimmten Weise verbunden sind.
Das Präskript des Römerbriefes ist das einzige Präskript, in dem Paulus „episkopoi“ („Aufseher/Vorsteher“) und „diakonoi“ gesondert erwähnt. Der Grund für die gesonderte Erwähnung ist unklar. Es ist anzunehmen, dass den „episkopoi“ und „diakonoi“ Philippis eine besondere Bedeutung zukommt, sei es im Gemeindeleben, sei es ganz speziell in Bezug auf Paulus.
Der Ursprung des Wortes „episkopos“ liegt im Dunklen. Das verwandte Verb „episkopeô“ bedeutet „anschauen“ oder „nach etw. schauen“, wobei das Schauen sorgenden oder beaufsichtigenden Charakter haben kann. So kann das Verb „episkopeô“ auch mit „sorgen für“, „beaufsichtigen“ oder „prüfen“ übersetzt werden. Die „episkopoi“ – es handelt sich in Philippi um eine Mehrzahl – haben also vermutlich die Aufgabe, für etw. oder jmdn. zu sorgen oder etw. oder jmdn. zu beaufsichtigen oder zu (über)prüfen. Zu denken ist insbesondere an sittlich-moralische Aufsicht, Finanzaufsicht und Rechtsprechung in Gemeindeangelegenheiten, vielleicht auch an Fürsorge für Gemeindeglieder. In der späteren Kirchengeschichte handelt es sich bei dem „episkopos“ um ein Amt, und zwar um das des Bischofs mit all seinen Aufgaben in der Kirchenleitung und Rechtsprechung. Schon die Mehrzahl „episkopoi“ lässt jedoch daran zweifeln, dass schon im frühen Christentum zur Zeit der Abfassung des Briefes an die Philipper ein Amt existiert, das demjenigen des späteren Bischofs entspricht. Möglicherweise handelt es sich aber um ein dem Bischofsamt mehr oder weniger ähnelndes Vorsteheramt. Das Vorhandensein eines Amtes würde für eine eher späte Abfassung des Philipperbriefes sprechen, denn es braucht eine gewisse Zeit, bis sich Ämter ausgebildet haben. So ist für die Zeit der später abgefassten Pastoralbriefe eine solche Ausbildung anzunehmen. Es kann aber auch sein, dass nicht ein Amt im Blick ist, sondern nur eine Aufgabe, die der Herausbildung eines Amtes zugrunde liegt. Man kann auch noch weiter gehen und daran zweifeln, dass die Begriffe „episkopoi“ und „diakonoi“ überhaupt zwei verschiedene Personengruppen meinen. Wird nämlich das Begriffspaar als Hendiadyoin verstanden, also als das Ausdrücken ein und derselben Sache mittels zweier verschiedener Begriffe, dann würde es sich nur um eine Personengruppe handeln. Möglicherweise würde „episkopoi“ die (leitende/vorstehende) Aufgabe der Personengruppe bezeichnen und „diakonoi“ die (dienende) Ausführung der Aufgabe. Wie auch immer: Es stellt sich die Frage, wie sich das Amt oder die Aufgabe des „episkopos“ im Vergleich mit dem- bzw. derjenigen des in 1 Thess 5,12 und Röm 12,8 erwähnten „proistamenos“ („Vorstehender/Vorsteher“) gestaltet und wie das Verhältnis zu den „presbyteroi“ („Älteste“) genannten jüdischen Gemeindevorstehern beschaffen ist.
Bei den „diakonoi“ handelt es sich in der späteren Kirchengeschichte um „Diakone“. Aber auch diesmal ist fraglich, ob in Phil 1,1 tatsächlich Inhaber eines Amtes im Blick sind oder nicht vielmehr nur die Aufgabe des Dienens oder die (dienende) Art und Weise der Ausübung einer Leitungsfunktion gemeint ist. Der Dienst als Amt oder Aufgabe dürfte am ehesten den Tischdienst beim Abendmahl und/oder soziale Aufgaben wie Krankenbesuche, Sorge für Arme u. Ä. umfassen.
Weiterführende Literatur: A. H. Snyman 2004, 81-104 analysiert 1,1-11 von einer rhetorischen Perspektive aus, die sich von dem von anderen Auslegern gewählten Ansatz unterscheide. Dieser tendiere dazu, dem Brief Kategorien antiker Rhetorik überzustülpen. Infolgedessen werde davon ausgegangen, dass 1,1-11 ein Teil des als „exordium“ bezeichneten Briefabschnitts 1,3-26 sei, der die Zuhörer auf die eigentliche Argumentation, die „probatio“ 2,1-3,21, einstimme. A. H. Snyman wählt dagegen für seine Analyse den „grounded theoretical approach“ und kommt zu dem Ergebnis, dass 1,1-11 nicht die eigentliche Argumentation des Briefes vorbereite, sondern bereits Teil der Argumentation sei.
Mit dem Problem der angemessenen Übersetzung von „syn episkopois kai diakonois“ befasst sich C. Rico 2009, 262-271. Da in der Zeit des Paulus die kirchliche Ämterstruktur noch nicht so weit ausgebildet gewesen sei, dass man schon von „Bischöfen“ (lat. episcopi; frz. évêques) oder „Diakonen“ (lat. diaconi; frz. diacons) sprechen könnte, sei nach einer alternativen Übersetzung zu suchen. Diese solle auch dem bildlichen Aussagegehalt der beiden Bezeichnungen gerecht werden. C. Rico analysiert verschiedene englische und französische Übersetzungen und spricht sich schließlich für die Übersetzung „avec les ministres établis pour veiller et les ministres établis pour servir“ aus, kurz: „avec les ministres établis, les uns pour veiller et les autres pour servir“.
Auf verschiedene zentrale Aspekte des Abschnitts 1,1-26 geht D. E. Garland 1980, 327-336 ein, der sich auf S. 327-328 mit der Bedeutung der ungewöhnlichen Formulierung „samt Aufsehern und Dienern“ befasst. Er weist die verschiedentlich geäußerte These, wonach Aufseher und Diakone deswegen gesondert gegrüßt würden, weil sie mit finanziellen Angelegenheiten und somit auch mit der Organisation der Kollekte für die „Armen“ in Jerusalem betraut gewesen seien, zurück. Sie gebe nämlich der Präposition „mit“ zu starkes, auszeichnendes Gewicht und werfe die Frage auf, warum die Aufseher und Diakone nicht im Rahmen der Ausführungen zur Kollekte 4,10-20 genannt werden. Vielmehr sei die Formulierung mit dem Geist der Demut zu begründen, der den ganzen Brief durchziehe. Paulus verzichte bei der Nennung der Absender auf seinen eigenen Titel „Apostel“ und bezeichne sich und Timotheus stattdessen als „Knechte Christi Jesu“. Angesichts der zentralen Bedeutung Jesu Christi spielten menschliche Persönlichkeiten und Ämter keine große Rolle.
Laut T. C. Skeat 1995, 12-15 sei 1,1 die einzige Passage im paulinischen Korpus, in dem der Apostel eine Form kirchlicher Hierarchie anerkenne. Daher sei es interessant, sich den Text des vermutlich ältesten uns überkommenen Manuskripts des Philipperbriefes, des Chester Beatty Papyrus (P 46; um 200) anzuschauen. Auf diesem Papyrus fänden sich jedoch nur noch die ersten sieben Worte des V. 1, der Rest des Verses sei mit dem darunter folgenden Text verloren gegangen. T. C. Skeat bestimmt den Umfang des unten auf der Seite zerstörten Textes und kommt anhand dessen zu dem Ergebnis, dass der Platz der zerstörten Textzeilen nicht für die Worte „syn episkopois kai diakonois“ („samt Aufsehern und Dienern“) ausgereicht habe. Der Papyrus habe maximal die Worte „syn episkopois“ („samt Aufsehern“) geboten. Allerdings sei zu bedenken, dass statt dieser Worte auch der Übergang von V. 3 zu V. 4, und zwar der Text von „pasê“ („jeder/sooft“) bis „pasê“ („all“) gefehlt haben könnte.
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Beobachtungen: Der Segenswunsch soll der Gemeinde Heil zueignen und enthält den Wunsch, Gnade und Friede sollten bei der Gemeinde sein. Dabei handelt es sich nicht um die Gnade und den Frieden von Menschen, sondern von Gott, dem Vater, und von dem „Herrn“ Jesus Christus. Bei der Gnade ist wohl allgemein an Gunst zu denken. Mit dem Frieden ist vermutlich kein seelischer Zustand gemeint, aus dem der Friede der Christen untereinander resultiert, sondern das durch Jesus Christus bereinigte Verhältnis zu Gott.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Garland, David E.; Philippians 1,1-26. The Defense and Confirmation of the Gospel, RExp 77/3 (1980), 327-336
Rico, Christophe; L’adresse de l’épître aux Philippiens: syn episkopois kai diakonoi (Ph 1,1), RB 116/2 (2009), 262-271
Skeat, T. C.; Did Paul Write to „Bishops and Deacons“ at Philippi? A Note on Philippians 1:1, NT 37/1 (1995), 12-15
Snyman, A. H.; A Rhetorical Analysis of Philippians 1:1-11, ATh 24/2 (2004), 81-104