Röm 16,25-27
Übersetzung
Röm 16,25-27:25 Dem aber, der euch zu stärken vermag nach meinem Evangelium und der Botschaft Jesu Christi, nach [der] Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten verschwiegen worden war, 26 jetzt aber offenbart und durch prophetische Schriften nach [der] Anordnung des ewigen Gottes zum Glaubensgehorsam für alle Völker kundgetan wurde 27 - dem allein weisen Gott durch Jesus Christus, ihm [gebührt] die Ehre in Ewigkeit. Amen.
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Beobachtungen: Der Römerbrief schließt mit einem Gotteslob (Doxologie), das ebenso ausführlich und sorgsam gestaltet ist wie das Präskript (1,1-7). Es handelt sich um einen feierlichen Beschluss, der sich nur in einem Teil der griechischen Handschriften findet. Einige, v. a. ägyptische Handschriften bieten den gesamten Römerbrief (einschließlich V. 25-27) wie er uns heute vorliegt. Eine Kurzfassung des Römerbriefes, die nur die Kapitel 1-14 enthalten hat, wird von dem Kirchenvater Origenes auf Markion und seine Sonderkirche zurückgeführt; sie war aber wohl nicht nur unter den Anhängern Markions verbreitet. Schließlich bietet der um 200 n. Chr. anzusetzende Papyrus 46 eine zunächst nur die Kapitel 1-15 umfassende Version des Römerbriefes; in 15,33 wird das abschließende Amen weggelassen und stattdessen das Gotteslob 16,25-27 mit dem abschließenden „Amen“ angefügt. Dann erst folgt der Abschnitt Röm 16,1-23, wobei es sich offenbar um einen Nachtrag handelt. Angesichts der unterschiedlichen Textfassungen der Handschriften und der komplizierten Textgeschichte ist unklar, ob die V. 25-27 seit jeher zum Römerbrief dazugehören oder nachträglich hinzugefügt wurden.
Im Gotteslob spielt die Stärkung der Adressaten eine große Rolle. In 1,11 schreibt Paulus, dass er sich danach sehne, die Adressaten zu sehen, um ihnen etwas an geistlicher Gnadengabe mitzuteilen zu ihrer Stärkung. Wie in 1,11 taucht auch in 16,25 das Verb „stêrizô“ („stärken“) auf. Gemäß V. 25 ist es Gott, der stärkt. Entweder sind Paulus und Gott gleichermaßen zur Stärkung fähig oder - was wahrscheinlicher ist - das stärkende Wirken des Apostels geht ursächlich auf Gott zurück.
Wie Gott die Adressaten stärkt, ist in „meinem Evangelium“ und der Botschaft Jesu Christi dargelegt. „Mein Evangelium“ ist wohl nicht so zu verstehen, dass es von Paulus ersonnen wurde, sondern in dem Sinne, dass es von Paulus verkündigt wurde und wird.
Das Substantiv „kêrygma“ bezeichnet eine Mitteilung oder Botschaft. Es handelt sich um die Botschaft Jesu Christi, wobei der Genitiv offen lässt, ob sie von Jesus Christus stammt oder ob sie Jesus Christus als zentralen Inhalt hat. Möglicherweise ist beides gemeint. Die Botschaft Jesu Christi - die Formulierung erscheint im NT nur hier - scheint neben dem Evangelium des Apostels zu stehen, als handele es sich um zwei verschiedene Dinge. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es um zwei verschiedene Aspekte der gleichen Sache geht. „Mein Evangelium“ hebt die Verkündigung und den Verkündiger hervor, „Botschaft Jesu Christi“ die Herkunft und den zentralen Inhalt der verkündigten Botschaft.
Auch bei der „Offenbarung des Geheimnisses“ handelt es sich wohl nicht um eine eigenständige Sache, die neben „meinem Evangelium“ und der „Botschaft Jesu Christi“ steht. Vielmehr bezieht sich die „Offenbarung des Geheimnisses“ auf „mein Evangelium“ und „Botschaft Jesu Christi“, und zwar in dem Sinne, dass es sich bei letzteren beiden um die „Offenbarung des Geheimnisses“ handelt. Offenbart wurden das Evangelium und dessen zentraler Inhalt, Jesus Christus.
Das Evangelium samt seinem zentralen Inhalt, Jesus Christus, war ewige Zeiten ein „Geheimnis“, wobei Paulus offen lässt, für wen es ein Geheimnis war. Da Paulus aus der Sicht der Menschen, denen das Evangelium zuteil wird, schreibt, dürfte es für die Menschen ein Geheimnis gewesen sein.
Es war deswegen den Menschen ein Geheimnis, weil es diesen verschwiegen worden war. Es gab also niemanden, der das Evangelium verkündet hat bzw. verkündigen konnte. Das Passiv „verschwiegen worden war“ lässt offen, wer der/die Verschweigende(n) war(en). Am ehesten kommen die Menschen, insbesondere Paulus und die anderen Prediger, sowie Gott bzw. Jesus Christus in Frage.
Der Gebrauch des Verbs „sigaô“ („verschweigen“) in einem solchen theologischen Zusammenhang ist im gesamten NT ungewöhnlich. Er kann also nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass es sich bei Röm 16,25-27 um einen sekundären Zusatz handelt, denn es bliebe die sprachliche Zuordnung zu anderen ntl. Schriften ungeklärt.
„Ewige Zeiten“ lässt an eine ewige Zeitdauer denken. Weil das Verschweigen durch das Offenbaren abgelöst wurde, kann es sich jedoch nicht um eine ewige Zeitdauer handeln, denn die Zeitdauer ist zumindest nach hinten begrenzt. Ob die Zeitdauer nach vorne, also in den Urzeiten, unbegrenzt ist oder ob „ewige Zeiten“ nur eine sehr lange Zeitdauer meint, ist unklar. Deutlich wird nur, dass die „ewigen Zeiten“ aus einer Mehrzahl - die genaue Anzahl lässt sich nicht bestimmen - zumindest in eine Richtung begrenzter Zeitabschnitte zusammengesetzt sind. Von „ewigen Zeiten“ ist auch in 2 Tim 1,9 und in Tit 1,2 die Rede; es handelt sich also um die Sprache der Pastoralbriefe.
Weiterführende Literatur: I. H. Marshall 1999, 170-184 merkt an, dass die Doxologie 16,25-27 häufig nicht für einen ursprünglichen Bestandteil des Paulusbriefes gehalten, sondern als sekundär angesehen und in eine spätere Zeit – zu denken sei an das 2. Jh. n. Chr. – datiert werde. I. H. Marshall unterstreicht angesichts dieser Vermutung, dass die Doxologie einen gut passenden Schluss darstelle, sei sie auf Paulus zurückzuführen oder nicht.
R. F. Collins 2002, 293-303 nennt zunächst die beiden wesentlichen Gründe, weshalb die Doxologie 16,25-27 gewöhnlich für einen sekundären Zusatz zum Römerbrief gehalten wird: a) Stil und Vokabular unterscheiden sich von den authentischen Pauluspassagen. b) Die mindestens zehn verschiedenen Platzierungen der Doxologie in den antiken Handschriften; darüber hinaus Auslassungen der Doxologie. R. F. Collins macht deutlich, dass sich die Doxologie zwar auf andere Passagen des Römerbriefes, insbesondere den Eingangsgruß, beziehe, die Sprache jedoch weniger paulinisch als diejenige der Pastoralbriefe sei und die Doxologie somit wohl im Kreise von deren Verfassern ihren Ursprung habe.
Inwieweit die Sprache und der Stil der Doxologie 16,25-27 mit der Sprache und dem Stil der authentischen Paulusbriefe und der anderen Teile des NT übereinstimmen und dort Parallelen haben, untersucht J. K. Elliott 1981, 124-130. Ergebnis: Obwohl es bezüglich des Vokabulars in den authentischen paulinischen Briefen Parallelen gebe, sei der Anteil an ungewöhnlichen oder eigentümlichen Begriffen zu hoch. Die Sprache ähnele derjenigen der nachpaulinischen Schriften (Pastoralbriefe, Epheserbrief, Petrusbriefe). Ebenso sei Ähnlichkeit bezüglich des abgeschlossenen Charakters der Doxologien festzustellen, der in den authentischen Paulusbriefen nicht gegeben sei. In diesen entwickle sich die Doxologie aus den vorhergehenden Sätzen und diene als deren Höhepunkt (vgl. Röm 11,36; Gal 1,5; Phil 4,20).
M. N. A. Bockmuehl 1990, 206-208 merkt an, dass die Doxologie von der Vorstellung ausgehe, dass die erfüllende Offenbarung der prophetischen Geheimnisse in Christus nun das AT zu einem begleitenden Zeugen der Verkündigung des Evangeliums mache.
Zur Traditionsgeschichte und Intention des „Revelationsschemas“ (von N. A. Dahl 1954 geprägter Begriff) siehe M. Wolter 1987, 297-319, der auch auf Röm 16,25-26 eingeht.
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Beobachtungen: Zu Lebzeiten des Apostels ist die Offenbarung des bisherigen Geheimnisses bereits erfolgt. Das Adverb „jetzt“ („nun“) zeigt an, dass Paulus die Offenbarung als vor nicht allzu langer Zeit erfolgt ansieht. Das lässt annehmen, dass Paulus die Offenbarung zu den Geschehnissen seines eigenen Zeitalters zählt.
Kundgetan wurde das Geheimnis durch prophetische Schriften. Dabei handelt es sich um einen Teil der hebräischen Bibel, die aus der Weisung / dem Gesetz (Tora), den prophetischen Schriften und den sonstigen Schriften zusammengesetzt ist. Möglich ist auch, dass die Formulierung „prophetische Schriften“ über die eigentlichen prophetischen Schriften hinausgehend auch Texte umfasst, die den sonstigen Schriften angehören. So könnte der König David, auf den ein Teil der Psalmen ausdrücklich zurückgeführt wird, als Prophet verstanden werden, sodass die Psalmen (und auch die anderen den Schriften zugehörigen biblischen Bücher) als prophetische Schriften angesehen werden.
Schon im Präskript hat Paulus dargelegt, dass Gott sein Evangelium durch seine Propheten in heiligen Schriften im Voraus verheißen hat (vgl. 1,1-2). Es ist den Menschen also nicht erst durch Paulus und die anderen Prediger kundgetan geworden, sondern schon durch die Propheten, denen die Funktion von „Sprachrohren Gottes“ zukam. Im Hinblick auf 16,25 bedeutet dies, dass es sich bei den Verschweigenden wohl nicht in erster Linie um Paulus und die anderen Prediger handelt, sondern eher um die Propheten.
Die Propheten konnten jedoch nicht aufgrund eigenen Wissens und aufgrund eigener Vollmacht kundtun. Vielmehr bedurfte es der Offenbarung des Geheimnisses und der Anordnung des ewigen Gottes. Da anzunehmen ist, dass es Gott war, der das Geheimnis offenbart hat, dürfte es sich bei dem Verschweigenden vermutlich auch um Gott handeln. Das Passiv „verschwiegen worden war“ in V. 25 ist somit wohl als passivum divinum zu verstehen.
Auch von der „Anordnung Gottes“ ist in den Pastoralbriefen (1 Tim 1,1; Tit 1,3) die Rede, was daran denken lässt, dass Röm 16,25-27 aus der Feder eines Redaktors stammt, der den Verfassern der Pastoralbriefe zuzuordnen ist. Allerdings findet sich die Formulierung „ewiger Gott“ nur in Röm 16,26 und nicht in den Pastoralbriefen oder anderswo im NT.
Das Kundtun des Offenbarten hatte den Glaubensgehorsam für alle (Heiden-)Völker zum Ziel, von dem schon im Präskript, nämlich in 1,5, die Rede war. Fraglich ist, wie die Genitivverbindung „Gehorsam des Glaubens“ (oder: „Gehorsam der Treue“) zu verstehen ist. Ist es der Glaube selbst, der dem Evangelium gehorsam ist oder Gehorsam bewirkt (genitivus subiectivus)? Oder ist der Gehorsam im Hinblick auf den Glauben (oder: die Treue Gottes) als Inhalt des Evangeliums gemeint (genitivus obiectivus)? Oder handelt es sich um einen Gehorsam, der aus Glauben besteht (Näherbestimmung des Gehorsams)?
Der Plural „ethnê“ („Völker“) kann alle Völker meinen, wird jedoch im NT häufig konkret auf die Heidenvölker, also die Nichtjuden, bezogen. In diesem Sinne ist er auch in Röm 1,5 gebraucht. So ist zunächst daran zu denken, dass auch in 16,26 der Glaubensgehorsam der Heidenvölker im Blick ist. Weil die Propheten jedoch nicht in erster Linie zu den Heidenvolkern, sondern zum Volk Israel sprachen, ist durchaus wahrscheinlich, dass in 16,26 der Plural „ethnê“ alle Völker einschließlich Israel meint. Dafür spricht, dass auch die Juden zum Glauben an Jesus Christus kommen sollen, auch wenn das Land Israel nicht zum paulinischen Missionsgebiet gehört.
Weiterführende Literatur: F. Belli 2002, 413-426 legt dar, dass sich in Röm 1,1-3; 3,21 und 16,25-27 Paulus auf die Schrift beziehe, um die Glaubwürdigkeit seines Diskurses herauszustellen. Die Schrift bezeuge das Christusgeschehen lediglich indirekt. Nicht die Schrift erkläre das Christusgeschehen, sondern das Christusgeschehen erkläre die Schrift.
G. Segalla 1988, 329-342 vertritt die Ansicht, dass der „Gehorsam des Glaubens“ der umfassendste Leitgedanke sei. Er strukturiere den gesamten Brief, einschließlich des kerygmatischen und paränetischen Teils. G. Segalla untersucht die Bedeutung des Ausdrucks im Allgemeinen, im Präskript, in der abschließenden Doxologie und im Rahmen des gesamten Briefes.
D. B. Garlington 1990, 201-224 meint, dass die Formulierung „Gehorsam des Glaubens“ („hypakoê pisteôs“) in Röm 1,5; 16,26 zwei Bedeutungen habe: Zum einen sei der Gehorsam gemeint, der aus Glaube besteht, zum anderen der Gehorsam, der ein Ergebnis des Glaubens ist.
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Beobachtungen: Angesichts der Unkenntnis der Menschen und der Abhängigkeit ihres Wissens von Gottes Offenbarung seiner Geheimnisse, erscheint allein Gott als weise (vgl. den hymnischen Lobpreis 11,33-36). Deshalb gebührt ihm die Ehre in Ewigkeit.
Gottes Weisheit ist untrennbar mit Jesus Christus verbunden. Durch ihn hat Gott gehandelt und er ist der zentrale Inhalt des Evangeliums. Aus dieser untrennbaren Verbindung kann der Schluss gezogen werden, dass auch Jesus Christus die Ehre in Ewigkeit gebührt.
Aus der Tatsache, dass Gott allein weise ist, folgt nicht zwingend, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Möglich ist auch die Existenz weiterer, allerdings unwissender Götter. Für Paulus ist allerdings nur der weise Gott wahr und - aufgrund der Verbindung mit Jesus Christus - heilsrelevant. Daher ist auch nur dieser eine Gott verehrenswürdig, ganz gleich, wen die Heiden in ihrer Unwissenheit als Gott verehren. Dieser allein wahre und verehrenswürdige Gott kann folglich von Paulus an anderer Stelle (3,29-30) als Gott der Juden und Heiden bezeichnet werden.
Die Ewigkeit besteht aus einer Mehrzahl aufeinander folgender Weltzeiten („aiônes“). Wenn Gott bzw. Jesus Christus in Ewigkeit, also in allen Weltzeiten, Ehre gebührt, dann bedeutet dies, dass es nie eine Zeit gab, in der Gott bzw. Jesus Christus keine Ehre gebührt hätte.
„Amên“ ist hebräisch und bedeutet „gewiss“. Es wird also abschließend bekräftigt, dass das zuvor in dem Gotteslob Gesagte gewisslich wahr ist.
Weiterführende Literatur: D. M. Davis 2006, 404-418 versucht zu zeigen, wie Paulus die fesselndste Streitfrage bezüglich Andersartigkeit seiner Zeit und seines Ortes in Gang setze, nämlich das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum. Fern von einer engen und beschränkten Sicht von Gottes Heilswerk durch Jesus Christus habe Paulus eine überwältigende, wundererfüllte Sichtweise des Werkes Gottes durch Christus.
Literaturübersicht
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Belli, Filippo; “Testimoniada por la ley y los profetas”. Rom 3,21: Pablo y las Escrituras, RevAg 43/2 (2002), 413-426
Bockmuehl, Markus N. A.; Revelation and Mystery (WUNT II/36), Tübingen 1990
Collins, Raymund F.; The Case of a Wandering Doxology: Rom 16,25-27, in: A. Denaux [ed.], New Testament Textual Criticism and Exegesis (BETL 161), Leuven et al. 2002, 293-303
Davis, D. Mark; The Centrality of Wonder in Paul’s Soteriology, Interp. 60/4 (2006), 404-418
Elliott, J. K.; The Language and Style of the Concluding Doxology to the Epistle to the Romans, ZNW 72/1-2 (1981), 124-130
Garlington, D. B.; The Obedience of Faith in the Letter to the Romans. I: The Meaning of hypakoê pisteôs (Rom 1:5; 16:26), WTJ 52/2 (1990), 201-224
Marshall, I. Howard; Romans 16:25-27 – An Apt Conclusion, in: S. K. Soderlund, N. T. Wright [eds.], Romans and the People of God, FS G. D. Fee, Grand Rapids, Michigan 1999, 170-184
Segalla, Giuseppe; L‘„obbedienza di fede“ (Rm 1:5; 16:26) tema della Lettera ai romani?, RivBib 36/3 (1988), 329-342
Wolter, Michael; Verborgene Weisheit und Heil für die Heiden. Zur Traditionsgeschichte und Intention des „Revelationsschemas“, ZThK 84/3 (1987), 297-319