Phil 1,21-26
Übersetzung
Phil 1,21-26:21 Denn für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn. 22 Wenn [mir] das Leben im Fleisch [bestimmt ist], bedeutet dies für mich [weitere] Frucht der Arbeit. Insofern weiß ich nicht, was ich bevorzugen soll. 23 Es zieht mich zu beidem: Ich habe Sehnsucht danach zu verscheiden und bei Christus zu sein; das wäre das Allerbeste. 24 Aber um euretwillen ist es nötiger, dass ich im Fleisch ausharre. 25 Und im Vertrauen darauf bin ich sicher, dass ich bleiben und euch allen erhalten bleiben werde, zu eurer Förderung und Glaubensfreude, 26 damit euer Ruhm in Christus Jesus überreich werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.
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Beobachtungen: Aus V. 18b-20 ist deutlich geworden, dass Paulus nicht körperliche Gefangenschaft oder Freiheit sowie Tod oder Leben an sich für Erstrebenswert hält, sondern ihm kommt es auf Heil an, darauf, dass er nicht zuschanden wird. Er setzt auf seine Rechtfertigung vor Gott bzw. Christus aufgrund seiner Verherrlichung Christi durch seinen Leib. Die Verherrlichung Christi kann durch Leben oder durch Tod geschehen und erfolgt durch den Leib des Apostels. Das Wirken des Apostels ist also nicht ohne seinen Körper zu denken.
Dass von diesem Blickwinkel aus gesehen sowohl Leben als auch Sterben etwas Positives ist, unterstreicht V. 21, der Ausdruck der eigenen Überzeugung ist, wie das einleitende „für mich“ zeigt. Inwiefern für den Apostel das Leben Christus und das Sterben Gewinn ist, geht erst aus den folgenden Versen hervor.
Weiterführende Literatur: Auf verschiedene zentrale Aspekte des Abschnitts 1,1-26 geht D. E. Garland 1980, 327-336 ein, der sich auf S. 331-336 mit der Bedeutung der Gefangenschaft des Apostels gemäß 1,12-26 befasst.
Mit dem paulinischen Sterbebegehren und seiner Bewertung im Rahmen ntl. Rede über den Tod und gegenwärtiger Sterbebegehren befasst sich J. Punt 2009, 202-220. Die paulinischen Aussagen über den Tod seien auf dem Hintergrund der Sorge um die Philipper und in Verbindung mit Christus zu verstehen. Darüber hinaus habe Paulus den Tod auch als einen vermittelnden Faktor in einer von apokalyptischer Gewalt und Unterdrückung geprägten Welt angesehen.
Mit der Frage, wie Paulus seine schwierige Lebenssituation (bezüglich Untersuchungshaft und darüber hinaus) theologisch deutet und so einen tiefen, über den Augenblick hinausreichenden Sinn darin zu finden vermag, beschäftigt sich G. Röhser 2004, 22-32. Das Lebensverständnis des Apostels sei auf Christus bezogen und umfasse auch Leiden und Sterben.
Laut T. F. Dailey 1990, 18-28 würden zwar Leben und Tod von Paulus gleichermaßen in Erwägung gezogen, doch stelle angesichts des Lebensvorbilds und der Lehre des Apostels in 1,19-26 die eschatologische Perspektive einer „Liturgie des Lebens“ die vortrefflichste Antwort auf die Frage „leben oder nicht leben“ dar: Leben sei Christus. Ausführlich zum „Ja“ zum Leben, das Christus ist, siehe J. Heriban 1982, 211-223.
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Beobachtungen: Der Satzbau von V. 22 ist unklar und lässt zwei Übersetzungen und Deutungen zu. Die Übersetzung bzw. Deutung, die ohne größere Ergänzungen auskommt, sei als erstes genannt. Sie lautet: „Wenn das Leben im Fleisch (dies) für mich [weitere] Frucht der Arbeit bedeutet, so weiß ich nicht, was ich bevorzugen soll.“ Unter grammatischen Gesichtspunkten spricht gegen diese Übersetzung bzw. Bedeutung, dass die Worte „touto“ („dies“) und „kai“ („und/auch/so“) überflüssig sind und stören. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten verwundert bei dieser Übersetzung bzw. Deutung der Zweifel des Apostels, dass sein (weiteres) irdisches Leben tatsächlich (weitere) Frucht bringt. Wieso sollte Paulus an der Frucht seines (weiteren) Wirkens zweifeln? Die zweite mögliche Übersetzung bzw. Deutung bedarf zwar größerer Ergänzungen, passt jedoch besser zur Lage und zum Gedankengang des Apostels: „Wenn [mir] das Leben im Fleisch [bestimmt ist], bedeutet dies für mich [weitere] Frucht der Arbeit. Insofern weiß ich nicht, was ich bevorzugen soll.“ Demnach ist nicht unklar, ob das (weitere) irdische Leben des Apostels (weitere) Frucht bringt, sondern es ist fraglich, ob der Apostel weiter „im Fleisch“ leben wird.
Paulus spricht wohl deshalb nicht einfach nur vom „Leben“, weil er zwischen dem irdischen und dem jenseitigen Leben unterscheidet. Das irdische Leben ist durch die Fleischlichkeit gekennzeichnet, also durch Leid, Vergänglichkeit und körperliche Begierden.
Die Formulierung „Frucht der Arbeit“ bezieht sich wohl auf den Missionserfolg des Apostels. Die Mission selbst war Arbeit, die Verbreitung des Glaubens an den Messias Jesus Christus war der Erfolg. Diesen Erfolg drückt Paulus in V. 21 wohl mit dem einen Wort „Christus“ aus: Für Paulus ist das Leben Christus. Es fällt auf, dass Paulus in V. 21 nur allgemein vom „Leben“ spricht und die Art des Lebens nicht z. B. als „Leben im Fleisch“ konkretisiert.
„Frucht der Arbeit“ ist etwas Positives, ebenso wie das Sterben. Wieso das Sterben für Paulus etwas Positives – gemäß V. 21 „Gewinn“ - ist, geht aus V. 23 hervor.
Weiterführende Literatur: J. L. Jaquette 1995, 109-120 versucht anhand von 1,21-26 zu zeigen, dass aus Sicht des Paulus Leben und Tod zu den „Adiaphora“ gehören, also zu denjenigen Dingen, die für Paulus von keiner besonderen Bedeutung sind.
C. S. Wansink 1997, 96-125 vertritt die Ansicht, dass Paulus in V. 22 nicht nur eine Präferenz äußere, sondern die Wahl zwischen Leben und Tod habe. Dabei wähle er zugunsten seiner Mitmenschen nicht den (irdischen) Tod, den er bevorzuge, sondern das (irdische) Leben.
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Beobachtungen: Die V. 21-23 zeigen, dass Paulus nicht systematisch schreibt: In V. 21 spricht Paulus vom Leben und vom Sterben und eigentlich wäre zu erwarten, dass V. 22 den vorausgehenden Vers vertieft. Stattdessen kommt aber nur die Bedeutung des Lebens (im Fleisch) zur Sprache. Wenn Paulus in V. 23 nun schreibt, dass es ihn zu beidem zieht, dann bezieht er sich nun wieder sowohl auf das (fleischliche) Leben als auch auf das Sterben. Eigentlich wäre die Erklärung der Aussage im Folgenden zu erwarten. Tatsächlich ist das Erstrebenswerte des (fleischlichen) Lebens schon im vorherigen Satz zur Sprache gekommen; in V. 23 geht Paulus nur noch darauf ein, warum das Streben für ihn erstrebenswert ist.
Der Begriff „epithymia“ („Sehnsucht“) hat bei Paulus gewöhnlich eine negative Färbung, und zwar im Sinne von „Begierde“. Möglich ist, dass auch in Phil 1,23 diese negative Färbung vorliegt: Es geht um das Begehren, das nur dem eigenen Willen folgt und nicht die Bedürfnisse der anderen Menschen berücksichtigt. Für Paulus selbst wäre es das Allerbeste, zu verscheiden und bei Christus zu sein.
Paulus geht von einer über den leiblichen Tod hinaus fortgesetzten Verbindung mit Christus aus: Sieht er in V. 21 sein irdisches Leben untrennbar mit Christus verbunden, so geht er in V. 23 davon aus, dass er nach dem Tod bei Christus ist.
Es fällt auf, dass Paulus das Sein bei Christus nicht von dessen erfolgter Wiederkunft abhängig macht. Geht er hier davon aus, dass er unmittelbar nach seinem Tod bei Christus ist? Falls ja: Wie kann er davon ausgehen, zu Christus zu gelangen, bevor er beim Jüngsten Gericht von aller Schuld freigesprochen ist? Setzt Paulus hier den Gedanken eines Partikulargerichtes voraus, der besagt, dass der Mensch sich direkt nach dem Tod als Einzelner vor Gott bzw. Christus zu verantworten hat und erst später zum endzeitlichen Gericht Gottes bzw. Christi über die Welt vorgeladen wird? Hat er hier gar den Gedanken an ein endzeitliches Weltgericht gänzlich verworfen? Oder liegt nicht der Gedanke an ein Partikulargericht der Aussage zugrunde, sondern die Vorstellung, dass der christusgläubige Mensch schon direkt nach seinem Tod in der schlafähnlichen Wartezeit bis zum endzeitlichen Weltgericht Christus näher ist, als er es zu irdischen Lebzeiten sein kann? Dann würde sich jedoch die Frage stellen, wie Menschen in ihren Gräbern bei Christus sein können, wo dieser doch von den Toten auferstanden ist und das Grab verlassen hat. Schließlich bleibt noch offen, ob Paulus das vorzeitige Sein bei Christus als sein eigenes Privileg ansieht oder ob er es bei allen – zumindest allen christusgläubigen – Menschen erwartet. Sein ganz persönliches Privileg könnte es aufgrund seines Einsatzes für die Verbreitung des Evangeliums, aber auch aufgrund seines Todes für den Glauben, der ihn zu einem Märtyrer machen würde, sein.
Weiterführende Literatur: Zum Leben bei Christus nach dem Tod siehe R. Penna 1983, 133-145.
E. Treiyer 1994, 559-563 liest V. 23 im Lichte der auf das Kreuz fixierten Aussagen V. 20-23: In seinem Verlangen, „bei Christus zu sein“ und „Christus zu gewinnen“ (vgl. 3,8), sehe Paulus den Tod – insbesondere das Martyrium - als den höchsten Grad der Teilhabe an den Leiden Christi an (vgl. 3,10).
S. Vollenweider 1994, 93-115 legt dar, dass Paulus in 1,21-26 in hohem Maß auf traditionelles antikes Sprach-und Gedankengut zurückgreife. Lege er in diesem Text die beiden Möglichkeiten seiner Zukunft, Leben und Sterben, in die Waagschalen, so scheine er trotz des persönlichen Tons von einem bekannten rhetorischen Muster, der Synkrisis, also dem wertenden Vergleich, Gebrauch zu machen. 1,21-24(/25f.) lasse sich ohne größere Probleme als eine kleine Synkrisis von Leben und Tod identifizieren. Die rhetorische Intention bestehe darin, die Vorzüglichkeit des Sterbens durch die christologisch begründete größere Vorzüglichkeit des Lebens zu überholen.
Laut S. Schreiber 2003, 336-359 sei in Phil 1,23 von einem primär chronologisch zu verstehenden „Zwischenzustand“ zwischen dem Tod des Individuums und dem Anbruch der Endzeit die Rede. Die Qualität des „Zwischenzustands“ formuliere Paulus knapp als mit-Christus-Sein. Paulus erhoffe für sich ein zur irdischen Welt zeitparalleles postmortales „Sein mit Christus“ (also im Jenseits). Damit falle der Vers aus dem Rahmen: An anderen Stellen – auch im Philipperbrief – gehe Paulus von einem „Endzeit-Modell“ aus, wonach die Wiederkunft Christi, bei der sich die Auferweckung der toten Christen und die Verwandlung zur Herrlichkeit ereignen, nahe sei (vgl. U. Schnelle 1989, 45-46, der auf die am individuellen Geschick des Apostels orientierte gebrochene akute Naherwartung im Philipperbrief eingeht; zu 2 Kor 5,8 und Phil 1,23 als Belege individueller Naherwartung siehe K. Erlemann 1995, 204-205). Es stelle sich die Frage, auf welchem religionsgeschichtlichen Hintergrund Paulus bzw. seine Leserinnen und Leser die in Phil 1,23 geäußerte Vorstellung erfassen konnten. Die Vorstellungen der griechisch-hellenistischen Welt, die von einer spezifischen Anthropologie – einer Leib-Seele-Dichotomie – und einer Trennung von Leib und Seele im Tod ausgingen, aber keine allgemeine Totenerweckung kennen würden, könnten den paulinischen Gedankengang nicht befriedigend erklären. Sie böten einen allgemeinen rezeptionsgeschichtlichen Hintergrund, seien zum Verständnis der Sprachgestalt bedeutsam und gewährleisteten die Anschlussfähigkeit der paulinischen Aussage. Es bleibe die Frage nach Parallelen, die das gesamte Vorstellungsgefüge des Verses treffen, also eine postmortale Christus-Gemeinschaft und die Erwartung der endzeitlichen Parusie. Im Bereich des Frühjudentums, besonders der Apokalyptik, jedoch fänden sich entsprechende Ansätze. S. Schreiber stellt drei Theorien vor: a) Die „Märtyrer“-Theorie, wonach die Märtyrer direkt mit dem Tod zu Gott versetzt werden (vgl. 2 Makk 7,36; 4 Makk 13,17; 17,17-19; 18,3; in 7,18-19 Ausweitung auf alle Frommen). Gegen diese Theorie spreche jedoch, dass keine Exklusivität der Märtyrer besteht und Paulus das „mit-Christus-Sein“ nicht von einem gewaltsamen Tod abhängig macht. Außerdem beanspruche Paulus kein „Sondergeschick“. b) Die „Gerechte“-Theorie, nach der die „Gerechten“ noch vor dem Endgericht eine himmlische Wohnstatt erhalten (vgl. äth. Hen. 39,4-5). Gegen diese Theorie spreche jedoch, dass viele Belege für einen himmlischen „Zwischenzustand“ nicht existieren. Manches bleibe in der Darstellung des äthiopischen Henochbuches unausgeglichen und unsystematisiert. Die übliche Vorstellung scheine doch der Aufenthalt im „Totenreich“ bis zum Endgericht zu sein. c) Die „Väter“-Theorie, die von S. Schreiber vorgeschlagen wird. So werde in einem möglicherweise etwa zeitgenössisch zu Paulus entstandenen Text, Apk.Mos. 31,1-43,4, Adams Tod und Aufnahme ins Paradies erzählt. Dabei werde ein Nebeneinander von Zwischenzeit und Endzeit offenbar problemlos gedacht. Zur These, dass eine Wandlung im paulinischen Denken vorliege: Die Differenz von Phil 1,23 zu den sonstigen paulinischen Jenseits-Aussagen erkläre sich nicht durch eine theologische Entwicklung der paulinischen Theologie, sondern sei in doppelter Hinsicht (Problemsituation in Philippi und Gefangenschaft des Paulus) situationsspezifisch.
D. W. Palmer 1975, 203-218 geht der Frage nach, wie „bei Christus sein“ für den Apostel ein Gewinn sein kann, wo sein Leben doch Christus gleichgestaltet ist. Wenn es bei der Wiederkunft Christi eine allgemeine Auferstehung der Toten und eine Vereinigung mit Christus gibt, welchen Vorteil hat dann ein vorzeitiger Tod? D. W. Palmer vermutet, dass die Antwort nicht im Zusammenhang des Briefes, sondern in dem griechisch-römischen Topos zu finden sei, wonach der Tod eine Befreiung von der Mühsal des Lebens darstelle. Lese man 1,21-26 auf dem Hintergrund dieses Topos‘, so sei der Tod für Paulus nicht wegen des Seins bei Christus ein Gewinn, sondern wegen der Erlösung von den irdischen Bedrängnissen. Einwand von N. C. Croy 2003, 522-223: Paulus beklage die Bedrängnisse im Philipperbrief nicht, sondern ziehe aus ihnen positive theologische Schlussfolgerungen. Außerdem erscheine im Falle der schweren Erkrankung des philippischen Gesandten Epaphroditus der mögliche Tod als etwas Belastendes, nicht als Grund zur Freude.
Im ersten Teil seines Aufsatzes untersucht A. J. Droge 1988, 263-286 einige antike Theorien bezüglich Selbstmord. Dabei vertritt er die These, dass die Sokrates in Platons Schrift Phaidon (61D-62C) zugeschriebenen Aussagen einen besonderen Einfluss auf die philosophische Selbstmord-Diskussion ausgeübt hätten und paradoxerweise sowohl für die Rechtfertigung als auch für Entgegnungen herangezogen worden seien. Im zweiten Teil des Aufsatzes befasst sich A. J. Droge mit den paulinischen Aussagen in Phil 1,21-26 im Lichte dieser Theorien. Dabei versucht er nachzuweise, dass die Sehnsucht des Apostels nach dem Tod in dieser Passage am besten als eine Reflexion der Möglichkeit oder gar der Erstrebung des Selbstmords verstanden werden könne. Die paulinischen Aussagen erinnerten an diejenigen des Sokrates, wie sie sich im Phaidon finden und insbesondere wie sie vom stoischen Moralisten Epiktet gedeutet worden sind. Weil sich aus Phil 1,21-26 keine unmittelbare Todesbedrohung erschließen lasse, seien die Gedanken unter dem Aspekt einer Willensentscheidung zu verstehen, wobei der mögliche Tod nicht als unumgängliche Todesstrafe, sondern als frei wählbarer Selbstmord zu verstehen sei. Paulus lehne den Selbstmord nicht grundsätzlich ab, sehe jedoch (noch) nicht die rechten Rahmenbedingungen dafür gekommen. Laut A. J. Droge 1989, 14-21.42 habe Paulus den Selbstmord in Betracht gezogen und im Hinblick auf seine eigene Person auch für wünschenswert gehalten. Dennoch habe er ihn letztendlich nicht begangen, weil er dem gegenwärtigen Willen Gottes habe nachkommen wollen, dem Verkündigungsdienst. N. C. Croy 2003, 517-531 setzt sich mit A. J. Droges These auseinander und übt folgende Kritik: Zum einen sei nicht ausgeschlossen, dass Paulus durch sein eigenes Verhalten den Ausgang des Prozesses beeinflussen kann, zum anderen handele es sich bei der ratlosen Unentschiedenheit vermutlich um eine rhetorische Technik. In der Antike habe es keine einheitliche Meinung bezüglich des Selbstmords gegeben. Pythagoreer und Neuplatoniker hätten ihn verurteilt und auch Sokrates verurteile ihn in der Schrift Phaidon, sofern nicht ganz bestimmte, außergewöhnliche Rahmenbedingungen vorliegen. Die Bibel hülle sich, sofern sie sich nicht ablehnend äußere, im Hinblick auf die Beurteilung des Selbstmords in Schweigen. Auch Paulus dürfe nicht durch die platonische oder stoische Brille gelesen und so verstanden werden, als sei der Selbstmord philosophisch zu rechtfertigen. Auch D. P. O’Mathúna 1996, 55-60 setzt sich mit A. Droges These kritisch auseinander. Ergebnis: In Phil 1,19-26 erkenne Paulus zwar an, dass der Tod eine starke Anziehungskraft haben und das Verlangen danach groß sein könne, doch sollten Christen diesem – Paulus gleich – nicht nachgeben. Stattdessen sollten sie Wege zur Nächstenliebe und zum Gottesruhm finden.
J. L. Jaquette 1994, 177-192 geht auf zwei Schwachpunkte ein, die er in der Begründung der These von A. J. Droge ausmacht: Erstens bleibe offen, wie sich die Überlegungen des Heidenapostels hinsichtlich des Selbstmords in den rhetorischen Aufbau des Philipperbriefes einfügen, zweitens werde nicht deutlich, warum Paulus nicht direkt zum Punkt kommt, sondern nur indirekte Anspielungen auf den Selbstmord macht. Laut J. L. Jaquette seien brisante Sachverhalte in der Antike gerne auf umschreibende Art und Weise behandelt worden. Die umschreibende Thematisierung des Selbstmords verstärke Motive, die sich allgemein in einem psychogogischen („psychogogic“) Freundschaftsbrief fänden.
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Beobachtungen: Nicht das Begehren des Apostels ist entscheidend, sondern das, was die anderen Menschen – speziell die Adressaten - nötig haben. Sie haben nötig, dass Paulus weiter lebt, im „Fleisch“ ausharrt. Auch hier dürften mit dem „Fleisch“ die negativen Aspekte der Vergänglichkeit, des Leidens und der Begierde verbunden sein.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Ist Paulus selbstmordgefährdet? Seine Sehnsucht nach dem Tod könnte darauf schließen lassen. Dagegen spricht allerdings erstens, dass Paulus sowohl dem irdischen Leben als auch dem Tod samt dem folgenden jenseitigen Leben etwas Positives abgewinnen kann, er also nicht aus seinem Dasein zu entfliehen sucht. Paulus ist nicht depressiv und es ist auch kein Lebensschicksal ersichtlich, weshalb er vor dem fleischlichen Leben entfliehen sollte. Die Sehnsucht nach dem Tod ist rein religiös begründet. Zweitens sieht sich Paulus in die Heilsgeschichte gebettet. Er ist darin Gottes Werkzeug und fügt sich dementsprechend in sein Schicksal. Selbstmord wäre dieser Haltung entgegengesetzt, weil sich der Apostel selbst zum Macher aufschwingen würde, der gewaltsam in den Lauf der Dinge eingreift.
Das Demonstrativpronomen „touto“ („darauf“) bezieht sich vermutlich auf V. 24, nicht auf den folgenden Inhalt von V. 25. Paulus vertraut darauf, dass sein Schicksal so verläuft, wie es die anderen Menschen – speziell die Adressaten – nötig haben. Er hat es nicht selbst in der Hand, sondern sieht sein Schicksal gelenkt.
Bei dem in einem Atemzug erfolgenden Gebrauch der ähnlich lautenden Verben „menô“ („bleiben“) und „paramenô“ („erhalten bleiben“) scheint es sich um ein Wortspiel zu handeln.
Wer ist mit „euch allen“ gemeint? Alle Adressaten oder alle Christen? In ersterem Fall würde nur das Vorhaben des Apostel durchschimmern, die Philipper zu besuchen, in letzterem Fall auch das Vorhaben, die anderen Gemeinden zu besuchen. Bei einem Bezug nur auf die Adressaten wäre zu fragen, warum Paulus nicht einfach „euch“ schreibt, sondern „alle“ hinzufügt. Gibt es Spannungen in der Gemeinde, so dass Paulus die Gemeinde betont als Einheit darstellt, die er als ganze besuchen will? Zwar stellt Paulus die Gemeinde in Philippi als eine solche dar, die ihm ans Herz gewachsen ist (vgl. 1,3-11), doch scheinen nicht alle Prediger des Evangeliums ihm wohlgesonnen zu sein (vgl. 1,15-17). Fraglich ist, inwieweit die missgünstigen Prediger der Gemeinde in Philippi angehören und somit möglicherweise Ausdruck – vielleicht auch Ursache - von gemeindeinternen Spannungen sind.
Was ist mit der „Förderung“ („prokopê“) und „Glaubensfreude“ der Adressaten gemeint? Vermutlich ist die „Förderung“ ebenso wie die „Freude“ auf den Glauben zu beziehen. Das Beisein des Apostels fördert demnach den Glauben und die Freude. Der Glaube und die Freude hängen wohl insofern miteinander zusammen, dass der Glaube zur Rechtfertigung und somit zum ewigen Leben führt, was Grund für Freude ist.
Weiterführende Literatur: R. R. Reeves 1992, 273-289 liest 1,21-26 als Auseinandersetzung mit der Bestechlichkeit der römischen Justiz. Vermutlich gehe es in diesem Abschnitt nicht um die Wahl zwischen Leben und Tod, sondern um die Wahl zwischen Freiheit und Gefangenschaft. Paulus habe die Geldgabe der Philipper nicht für den vorgesehenen Zweck verwenden wollen, nämlich für den Freikauf von der Gefangenschaft. Daher habe sich der Apostel gezwungen gesehen, seiner geliebten Gemeinde zu erklären, warum er lieber die Schande der Gefangenschaft ertragen, einen ungünstigen Prozessausgang riskieren und trotz der Notwendigkeit seiner Hilfe von den philippischen Gemeindegliedern fern bleiben will. Paulus habe zwar auf seine Befreiung vertraut, habe diese jedoch nicht von Bestechungsgeld, sondern vom Wirken Christi abhängig machen wollen. Bei seiner Rückkehr nach Philippi sollten die dortigen Gemeindeglieder nicht das Bestechungsgeld rühmen, sondern Jesus Christus.
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Beobachtungen: Das griechische Substantiv „kauchêma“ kann sowohl den Ruhm als auch das Rühmen bezeichnen. Beide Bedeutungen sind in V. 26 möglich. Ist der Ruhm gemeint, so handelt es sich nicht um Ruhm bei den Menschen, sondern um Ruhm „in Christus“, also um einen Ruhm bei Christus, der aus dem gestärkten Christusglauben resultiert und zur Rechtfertigung und somit zur Freude führt. Der Glaube der Philipper ist schon stark, durch die Wiederkunft und das Beisein des Apostels würde er noch stärker und somit auch der Ruhm „in Christus“ „überreich“ werden. Sofern das Rühmen gemeint ist, ist das Rühmen „in Christus“ im Blick. Das dürfte bedeuten, dass das Rühmen im machtvollen Wirkungsbereich Christi erfolgt: Die Philipper glauben an Christus, gründen auf ihren Christusglauben ihre Freude und werden in ihrem Christusglauben und in ihrer Freude aufgrund der von Christus (oder Gott?) bewirkten Wiederkunft des Apostels gestärkt. All dies wäre Anlass genug, Christus überschwänglich zu rühmen.
Die wörtliche Übersetzung von „dia tês emês parousias palin pros hymas“ lautet „aufgrund meiner Wiederkunft bei euch“ (oben mit „wenn ich wieder zu euch komme“ wiedergegeben).
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Croy, N. Clayton; „To Die Is Gain“ (Philippians 1:19-26): Does Paul Contemplate Suicide?, JBL 122/3 (2003), 517-531
Dailey, Thomas F.; To Live or Die. Paul’s Eschatological Dilemma in Philippians 1:19-26, Interp. 44/1 (1990), 18-28
Droge, Arthur J.; Mori lucrum: Paul and Ancient Theories of Suicide, NT 30/3 (1988), 263- 286
Droge, Arthur J.; Did Paul Commit Suicide?, BiRe 5/6 (1989), 14-21.42
Erlemann, Kurt; Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament: ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrungen (TANZ 17), Tübingen – Basel 1995
Garland, David E.; Philippians 1,1-26. The Defense and Confirmation of the Gospel, RExp 77/3 (1980), 327-336
Heriban, Jozef; Per me il vivere è Cristo (Fil 1,21), PSV 5 (1982), 211-223
Jaquette, James L.; A Not-so-noble Death: Figured Speech, Friendship and Suicide in Philippians 1,21-26, Neotest. 28/1 (1994), 177-192
Jaquette, James L.; Discerning What Counts: The Function of the adiaphora Topos in Paul’s Letters (SBLDS 146), Atlanta 1995
O’Mathúna, Dónal P.; Did Paul Condone Suicide? Implications for Assisted Suicide and Active Euthanasia, Ethics & Medicine 12/3 (1996), 55-60
Palmer, D. W.; “To Die Is Gain” (Philippians i 21), NT 17 (1975), 203-218
Penna, Romano; Vivere con Cristo dopo la morte (2 Cor 5,1-10; Fil 1,23), PSV 8 (1983), 133-145
Punt, J.; A Biblical Death-Wish: Paul Celebrating Dying in Phil 1:21, VE 30/1 (2009), 202- 220
Reeves, Rodney R.; To Be Or Not To Be? That Is the Question: Paul’s Choice in Philippians 1:22, PRSt 19/3 (1992), 273-289
Röhser, Günter; „Christus ist mein Leben“. Leben und ewiges Leben nach dem Neuen Testament, ZNT 13 (2004), 22-32
Schreiber, Stefan; Paulus im „Zwischenzustand“: Phil 1.23 und die Ambivalenz des Sterbens als Provokation, NTS 49/3 (2003), 336-359
Schnelle, Udo; Wandlungen im paulinischen Denken (SBS 137), Stuttgart 1989
Treiyer, Enrique B.; S’en Aller et Être Avec Christ: Philippiens 1:23, ETR 69/4 (1994), 559- 563 (= Seminary Studies 34/1 [1996], 47-64)
Vollenweider, Samuel; Die Waagschalen von Leben und Tod – Zum antiken Hintergrund von Phil 1,21-26, ZNW 85/1-2 (1994), 93-115
Wansink, Craig S:; Chained in Christ. The Experience and Rhetoric of Paul’s Imprisonment (JSNT.SS 130), Sheffield 1997