Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an die Philipper

Phil 1,27-30

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phil 1,27-30



Übersetzung


Phil 1,27-30:27 Nur sollt ihr euer Leben als Bürger eurer Stadt so gestalten, dass es dem Evangelium (des) Christi würdig ist, damit – gleich ob ich komme und euch sehe oder ob ich ferne bin – ich von euch höre, dass ihr in einem Geist fest steht, einmütig gemeinsam für den Glauben an das Evangelium kämpft 28 und euch in keiner Weise von den Widersachern einschüchtern lasst. Das ist für sie [dann] ein Zeichen des Verderbens, [Zeichen] aber eures Heils - und zwar von Gott her! 29 Denn euch ist das Für-Christus geschenkt – nicht nur das An-ihn-Glauben, sondern auch das Für-ihn-Leiden -, 30 habt ihr doch denselben Kampf [zu bestehen], den ihr an mir gesehen habt und nun von mir hört.



( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 27


Beobachtungen: Die V. 27-30 schließen an die briefliche Selbstempfehlung (1,12-26) des Apostels Paulus an, wobei unklar ist, ob die Verse noch zu der brieflichen Selbstempfehlung gehören oder ob sie schon dem Folgenden, den Ermahnungen an die Adressaten (2,1-18), zuzurechnen sind. Zunächst einmal ist festzustellen, dass es sich bei den V. 27-30 eindeutig um Ermahnungen handelt und sie somit den von Ermahnungen geprägten Abschnitt einleiten.


Das einleitende „monon“ („nur“) hebt hervor, worauf es ankommt: auf einen dem Evangelium Christi angemessenen Lebenswandel. Dabei hat Paulus nicht wie im unmittelbar Vorhergehenden die Zukunft im Blick, sondern die Gegenwart.


Paulus benutzt das Verb „politeuomai“, das nicht nur „leben“ bedeutet, sondern auch den Aspekt der Öffentlichkeit des Lebens beinhaltet: es geht um das Leben in der Polis, in der antiken Stadt. Ursprünglich handelte es sich bei den Poleis um Stadtstaaten, die sich weniger über ihr Territorium als über die ihr zugehörigen Bürger definierten. Mit der Eingliederung in die größeren Staatengebilde der Diadochenreiche und des Römischen Reiches verloren die Stadtstaaten zwar ihre Selbstständigkeit, doch konnten sie sich noch lange Zeit eine begrenzte Eigenständigkeit bewahren. Auch die Christen gehörten dem städtischen Gemeinwesen an, das über die rein christlichen Hausgemeinden hinausging. Das Leben in der Polis war also keine gemeindeinterne Angelegenheit, sondern von einem Zusammenleben mit Nichtchristen geprägt. Da es sich bei Philippi in der Mitte des 1. Jh.s n. Chr. um eine römische Kolonie handelte, dürfte das dortige Leben von den Kriegsveteranen samt Nachkommen und somit von römischer Kultur geprägt gewesen sein.


Die Gestaltung des Lebens der Adressaten soll nicht irgendwie erfolgen, sondern sich am Glauben orientieren. Die Adressaten glauben an das Evangelium Christi, also soll ihr Leben auch dem Evangelium Christi entsprechen. Dabei ist nicht nur an eine ungewertete Angemessenheit gedacht, wie sie beispielsweise vorliegt, wenn man sich einer Tätigkeit oder Situation entsprechend kleidet; vielmehr geht es auch um an eine Entsprechung im Hinblick auf die Würde. Wie man sich zu einem besonders festlichen, würdigen Anlass besonders festlich kleidet, so sollen die Adressaten dem besonders wertvollen, würdigen Evangelium entsprechend ihr Leben als Bürger ihrer Stadt gestalten.


Die Genitivverbindung „Evangelium Christi“ ist mehrdeutig: Es kann sich um ein Evangelium handeln, das von Christus stammt (genitivus originis), oder um eines, das von Christus handelt (genitivus obiectivus). Schließlich kann auch gemeint sein, dass Christus das Evangelium ist (genitivus epexegeticus).


Das, was Paulus von den Adressaten hören will, ist von seinem eigenen Ergehen gänzlich unabhängig. Dabei lässt das Verb „hören“ („akouô“) daran denken, dass das Gehörte durch Boten vermittelt wird und somit eine gewisse räumliche Entfernung zwischen den Adressaten und dem Apostel vorliegt. Tatsächlich spricht Paulus auch im Hinblick auf seine eigene Anschauung in Philippi vom Hören. Ist also gemeint, dass sich Paulus auch bei der persönlichen Anwesenheit in Philippi vom rechten Verhalten der Adressaten in erster Linie mittels des Hörens überzeugt und nur an zweiter Stelle mittels des Sehens? Oder betont Paulus das Hören, weil er aus seiner gegenwärtigen Lage heraus schreibt, bei der ihn die Gefangenschaft zum reinen Hören von Botschaften zwingt und von der persönlichen Anschauung abhält? Möglich ist auch, dass die Aussage des Apostels im Sinne von „… damit – gleich ob ich komme und euch sehe oder ob ich ferne bin und von euch höre – [ich erfahre], dass…“ zu verstehen ist. „Ich erfahre“ steht nicht im griechischen Text, sondern wäre einzufügen, um den Sinn zu verdeutlichen. Die Auslassung seitens des Apostels ließe sich mit einer gewissen Unruhe im Ausdruck und mit der gegenwärtig fehlenden Möglichkeit der eigenen Anschauung erklären.


Die Adressaten sollen „in einem Geist fest stehen“. „Fest stehen“ bedeutet, unverrückbar zur eigenen Überzeugung, zum eigenen Glauben zu stehen. Dabei erfolgt das Stehen in einem Raum, und zwar „in einem Geist“. Der Raum ist genau genommen ein Machtbereich: hier hat der Geist die Macht. Der eine Geist verbindet die verschiedenen Adressaten. Weil die Adressaten vermutlich ausschließlich Christusgläubige sind, ist nicht von einer weltlichen, sondern von einer geistlichen Verbindung auszugehen. Folglich ist anzunehmen, dass es sich bei dem Geist nicht um einen rein menschlichen, sondern um den heiligen Geist handelt. Wenn der heilige Geist die Menschen prägt, dann ist allerdings auch der Geist der Menschen der gleiche. Die vom heiligen Geist und dem gleichen menschlichen Geist geprägte Gemeinschaft stellt eine eigene Lebenswelt innerhalb der weltlichen, auch Andersgläubige umfassenden Stadtgemeinschaft dar.


Die Formulierung „mia psychê“ („mit einer Seele“) ist vermutlich als „einmütig“ zu deuten. Dass Paulus die Psyche im Sinne eines Leib-Seele-Dualismus im Blick hat, lässt sich aus dem Zusammenhang nicht erschließen.


Paulus benutzt die Sprache des Wettkampfes oder auch Kampfes: Die Adressaten sollen kämpfen, und zwar „tê pistei tou euangeliou“. Diese Formulierung kann zum einen räumlich als „im Evangeliumsglauben“ verstanden werden, zum anderen aber auch das bezeichnen, wofür die Adressaten kämpfen sollen: „für den Evangeliumsglauben“.

Auch die Genitivverbindung „pistis tou euangeliou“ („Evangeliumsglaube“) ist mehrdeutig: Es kann sich um einen Glauben an das Evangelium handeln (genitivus obiectivus) oder um einen Glauben, der von der Evangeliumsverkündigung herrührt (genitivus originis). Auch kann ein Glaube, der das Evangelium ist (genitivus epexegeticus), gemeint sein.

Die Wettkampfsprache weist darauf hin, dass sich der „Evangeliumsglaube“ in der andersgläubigen Umwelt nur mit Anstrengung wahren lässt. Dabei betont Paulus den Gemeinschaftsgedanken: Es soll nicht jeder für sich, sondern es sollen die Gläubigen im Sinne einer Mannschaft oder Armee gemeinsam kämpfen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Vorsilbe „syn“ („mit/zusammen“) nur auf die Gemeinschaft der Adressaten bezogen ist oder ob Paulus sagen will, dass die Adressaten mit ihm zusammen kämpfen sollen. Vermutlich ist sowohl die Gemeinschaft der Adressaten als auch die Gemeinschaft mit ihm beim Kämpfen im Blick, denn Paulus sieht die Christenheit als Einheit.


Weiterführende Literatur: Laut A. H. Snyman 2005, 783-809 sei es ein neuer Trend der rhetorischen Analyse, die rhetorische Strategie des Apostels vom Text selbst ausgehend zu rekonstruieren, anstatt dafür antike oder moderne rhetorische Modelle heranzuziehen. Eine solche textzentrierte Herangehensweise wendet A. H. Snyman hinsichtlich 1,27-2,18 an.


E. M. Krentz 1993, 105-127 analysiert die Sprache von 1,27-30 auf dem Hintergrund von Militärwesen und Kaiserkult.


E. C. Miller 1982, 86-96 greift die These auf, dass das Verb „politeuesthai“ nicht einfach nur „leben“ bedeute, sondern sich auf die römische Bürgerschaft beziehe, die insbesondere in der römischen Kolonie Philippi von besonderer Bedeutung gewesen sei. Zwar sei diese Beobachtung, so E. C. Miller, richtig, doch lasse sich zusätzlich zu einem Bezug auf die römische Bürgerschaft oder eine eigentümliche griechische Bedeutung des Verbs eine weitere Bedeutungsnuance ausmachen: Der jüdisch-christlichen Tradition entsprechend sei mit ihm auch der spezifisch christliche Gedanke der Kirche als neues Israel verbunden. Eine solche Bedeutung habe in der Septuaginta und in der hellenistischen jüdischen Literatur der Zeit des Neuen Testaments und der Jahre davor ihre Wurzeln. In V. 27 werde also den Adressaten eingeschärft, dass sie das wahre Israel sind, das nicht gemäß der Tora, sondern dem neuen Gesetz, dem Evangelium von Jesus Christus, würdig lebt.

Mit der Bedeutung des Imperativs „politeuesthe“ („gestaltet euer Leben als Bürger eurer Stadt“) befasst sich C. Landmesser 1997, 543-577. Der Imperativ Präsens betone den durativen Aspekt des Imperativs. Das ganze Leben der Christen sei ständig und in allen Bezügen geprägt von der Wirklichkeit des „politeuma en ouranois“ („Bürgerrecht in [den] Himmeln“; Phil 3,20). Was es heißt, dem Evangelium zu entsprechen, entfalte Paulus in 1,27b-2,18 ausführlich.

P. Pilhofer 1995, 136-137 zur Bedeutung von 1,27: Die Christen sollen sich nicht ihrer Vorfahren oder ihrer Stadt würdig erweisen, sondern des Evangeliums.


Auf die enge Verbindung von „Evangelium“ („euangelion“) und „Gemeinschaft“ („koinônia“) im Philipperbrief weist G. W. Murray 1998, 316-326 hin. Auf S. 320-322 geht er auf 1,27-28 ein: Auch hier gehe es um gemeinsame Bezeugung des Evangeliums. Paulus ermahne die Adressaten, auch während seiner Abwesenheit die gemeinsame Sache zu vertreten.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 28


Beobachtungen: Die Adressaten sollen sich nicht von den „Widersachern“ einschüchtern lassen. Dabei bleibt offen, wer die „Widersacher“ sind. In Frage kommen konkurrierende Glaubensgenossen, Juden und Heiden. Möglicherweise ist die Offenheit des Begriffs beabsichtigt, denn Paulus kommt es nicht darauf an, wer einschüchtert, sondern darauf, dass die Adressaten jeglichen Einschüchterungen gegenüber standhaft bleiben.

Auch die Rede von „Widersachern“ hat sportlichen oder militärischen Charakter, denn die „Widersacher“ erscheinen als Gegner im sportlichen Wettkampf oder Gegner im militärischen Kampf. Entscheidend ist, dass die Adressaten den Gegnern nicht unterliegen dürfen.


Worauf bezieht sich das feminine Relativpronomen „hêtis“ („welche“)? Als vorhergehendes feminines Bezugswort kommt am ehesten „pistis“ („Glaube“; V. 27) in Frage. Es kann aber auch ein allgemeinerer Bezug auf die auf dem Glauben gründende Standhaftigkeit der Adressaten gegenüber den Widersachern vorliegen. Schließlich ist auch daran zu denken, dass das Relativpronomen an das folgende feminine Substantiv „endeixis“ („Zeichen“) attrahiert ist.


Das Verhalten der Adressaten ist für die Widersacher ein „Zeichen“ (oder: „Erweis“), durch das ihnen etwas deutlich vor Augen tritt, und zwar ihr eigenes Verderben und das Heil der Adressaten. Für die Adressaten scheint das Verderben der Widersacher und das eigene Heil kein „Zeichen“ zu sein – vielleicht weil für sie der eigene Glaube schon ausreichendes „Zeichen“ ist. Dass das „Zeichen“ nur oder zumindest in erster Linie den Widersachern gelten sollte, hat schon die Schreiber der Handschriften irritiert. So lässt sich erklären, dass verschiedene Textzeugen statt „hymôn de sôtêrias“ („[Zeichen] aber eures Heils“) „hymin de sôtêrias“ („für euch aber [Zeichen] des Heils“) bieten und so auch die Adressaten zu Empfängern des „Zeichens“ machen.


Das Substantiv „apôleia“ kann sowohl mit „Untergang“ als auch mit „Verderben“ übersetzt werden, das Substantiv „sôtêria“ sowohl mit „Rettung“ als auch mit „Heil“. Fraglich ist, ob sich „Untergang/Verderben“ und „Rettung/Heil“ auf das irdische Ergehen beziehen oder auf das Ergehen nach dem leiblichen Tod oder am Ende der Tage beim Weltgericht Gottes bzw. Christi. Bricht also über die Widersacher schon zu Lebzeiten Unheil herein und geht es den standhaften Adressaten in ihrem Leben gut? Oder ist ausgesagt, dass nur die standhaften Adressaten letztendlich vor Gott bzw. Christus gerechtfertigt werden und das ewige Leben zu erwarten haben, wogegen die Existenz der Widersacher der Vernichtung anheim fällt? Wahrscheinlicher ist die eschatologische Deutung, wonach nur die standhaften Adressaten den Tod nicht als Existenzvernichtung zu erwarten haben, weil sie mit der Auferstehung (der verstorbenen Gläubigen), mit der Rechtfertigung (= Sündenvergebung) vor Gott bzw. Christus und mit dem ewigen Leben rechnen können. Die standhaften Adressaten werden also vor der Existenzvernichtung gerettet. Die Widersacher dagegen müssen den Tod als Existenzvernichtung fürchten. Selbst wenn man eine Auferstehung auch der Widersacher annimmt, so werden sie am Ende der Tage doch nicht gerechtfertigt und erlangen damit nicht das ewige Leben. Schließlich ist aber auch eine sportliche oder militärische Deutung von „apôleia“ und „sôtêria“ möglich, die zu dem (Wett-)Kampf zwischen den Adressaten und den Widersachern passen würde: demnach wäre „apôleia“ zunächst einmal nur die „Niederlage“ und „sôtêria“ nur der „Sieg“. Erst an zweiter Stelle wäre dann an das eschatologische „Verderben“ bzw. „Heil“ zu denken, das mit der „Niederlage“ bzw. dem „Sieg“ verbunden wäre.


„Dies“ („touto“) kommt von Gott her. Aber worauf bezieht sich das neutrale Demonstrativpronomen „touto“? Auf „endeixis“ („Zeichen“), „apôleia“ („Verderben“) oder „sôtêria“ („Heil“)? Dagegen spricht, dass „endeixis“, „apôleia“ und „sôtêria“ feminine Substantive sind. Eher kann sich das neutrale Demonstrativpronomen auf das Ergehen der Widersacher und der Adressaten insgesamt und dazu vielleicht auch auf das „Zeichen“ beziehen. Ein neutrales Substantiv, das Bezugswort sein könnte, findet sich in V. 28 nicht. Möglich ist aber auch ein Bezug auf die Partizipien „synathlountes“ („gemeinsam kämpfend“) und „mê ptyromenoi“ („sich nicht einschüchtern lassend“). Bei einem Bezug auf diese beiden Partizipien wäre ausgesagt, dass der gemeinsame Kampf und die Standhaftigkeit gegenüber jeder Einschüchterung nicht auf menschlichem Durchhaltevermögen beruhen, sondern von Gott kommen.


Weiterführende Literatur: Mit der Frage, wer die Konkurrenten des Apostels Paulus in Philippi sind, befasst sich H. W. Bateman 1998, 39-61. Gewöhnlich werde eine Zugehörigkeit der Konkurrenten zum Volk der Juden/Israeliten angenommen. Entweder halte man sie für Juden, die nach Philippi gekommen sind, um Heidenchristen zum Übertritt zum Judentum zu bewegen oder man halte sie für Judenchristen, die sich das Ziel gesetzt haben, Heidenchristen zur Befolgung jüdischer Rituale zu bewegen. H. W. Bateman stellt die jüdische Herkunft der Konkurrenten des Apostels in Frage und stellt folgende These auf: Weil Philippi eine mehrheitlich heidnische Stadt gewesen sei, hätten sich weitere Heiden der christlichen Gemeinde der Stadt angeschlossen (vgl. 4,2). Vielleicht hätten einige der Heiden in ihrem Eifer, den neuen Glauben verstehen zu wollen, das AT falsch verstanden und somit den Inhalt des Evangeliums mit zum Judentum gehörigen Ritualen vermengt (vgl. 1,15-17; 3,2). Das irrige Verständnis habe möglicherweise zu eifernden Aussagen geführt, die die Kirche zerrüttet haben (vgl. 1,27-28). Es habe sich um Heiden gehandelt, die sich wie Juden verhielten, ohne tatsächlich Juden zu sein (vgl. 3,2). Sie hätten wie christliche Missionare Christus verkündigt, seien aber keine Christen gewesen, sondern heidnische Judaisten.


S. E. Fowl 2003, 167-179 geht auf V. 28b ein, diskutiert die verschiedenen exegetischen Probleme und Auslegungsmöglichkeiten und kommt schließlich zu folgender Deutung: Der standhafte Glaube der philippischen Christen angesichts ihrer Bedrängnis sei ein Zeichen, welches auf zweierlei Weise verstanden werden könne: Seitens der Widersacher werde es als Zeichen der bevorstehenden Vernichtung der philippischen Christen gedeutet, und zwar im Sinne der Verfolgung seitens der römischen Behörden, der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und/oder des Lebens. Seitens der philippischen Christen werde es dagegen als Zeichen ihres eigenen Heils verstanden. Vgl. G. F. Hawthorne 1984, 296.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 29


Beobachtungen: Das „Für-Christus-Sein“ ist keine menschliche Leistung, sondern dem Menschen gegeben/geschenkt. Vermutlich liegt ein „passivum divinum“ vor, d. h. die Gabe / das Geschenk stammt von Gott.

Das „Für-Christus-Sein“ stellt eine Parteinahme dar, und zwar für Christus. Es umfasst nicht nur den Glauben an sich, sondern auch die unangenehme Konsequenz, die der Glaube nach sich ziehen kann, nämlich das Leiden. Sowohl der Glaube als auch das Leiden sind in Bezug zu Christus zu sehen: es handelt sich um den Glauben an Christus und um das Leiden für Christus. Dabei ist das „Für-ihn-Leiden“ wohl nicht im Sinne des stellvertretend für Christus Leiden zu deuten, sondern im Sinne eines Leidens, das aus der Parteinahme für Christus und der Nachfolge im Glauben resultiert.


Weiterführende Literatur:


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 30


Beobachtungen: Auch der Begriff „agôn“ („Wettkampf/Kampf“) ist sportlicher oder militärischer Art. Dabei stellt Paulus sich selbst als (Wett-)Kämpfer dar und betont die Gemeinsamkeit des (Wett-)Kampfes, den er und die Adressaten gegen die Widersacher ausfechten. Das lässt annehmen, dass Paulus in V. 27 sich selbst in den gemeinsamen Kampf einschließt.


Wie ist „derselbe Kampf“ beschaffen? Die allgemeinste Deutung ist, dass sowohl Paulus als auch die Adressaten in ihrem christlichen Glauben bedroht werden und sich der Bedrohung widersetzen und standhaft bleiben müssen. Dabei kann sich die Bedrohung im Einzelnen verschieden gestalten. Der Kampf, den die Adressaten an Paulus gesehen haben und nun von ihm hören, wäre der Kampf eines Christen, der ganz individuelle Bedrängnisse erfährt. Paulus hat verschiedene Leiden erfahren und erfährt gegenwärtig ganz konkret das Leid der Gefangenschaft. In dem Kampf an sich wäre Paulus demnach Vorbild, aber nicht in der konkreten Art des Leidens. Die Adressaten wären zwar angehalten, wie Paulus zu kämpfen, doch müssten sie nicht der Art und Weise seines Kampfes folgen. Die Adressaten bräuchten also nicht zu missionieren oder Gefangenschaft auf sich zu nehmen. Sie müssten nur, wenn es das Bekenntnis zu Christus erfordert, grundsätzlich bereit sein, Leiden auf sich zu nehmen. Geht man davon aus, dass „derselbe Kampf“ auch in einem bestimmten Maß die gleichen Umstände des Kampfes umfasst, wäre zu klären, welchen Kampf die Philipper an Paulus gesehen haben und nun von ihm hören. Der Kampf, den die Philipper gegenwärtig von Paulus hören, lässt sich leichter bestimmen: Paulus befindet sich wegen seines Glaubens in Gefangenschaft. Ob der Apostel letztendlich hingerichtet oder freigelassen wird, ist noch nicht abzusehen. Welchen Kampf die Adressaten an Paulus gesehen haben ist unklar. Die Unklarheit hat mehrere Gründe: Erstens ist nicht klar, ob es sich um das Sehen eines ganz bestimmten, einzelnen Bedrängnisses handelt, wie die Aorist-Verbform („eidete“) annehmen lässt, oder ob das Sehen der gesamten Lebensführung des Apostels als Missionar samt der Bedrängnisse im Blick ist. Zweitens ist fraglich, von welchen Leiden des Missionars die Philipper überhaupt Kenntnis bekommen haben. Im zweiten Brief an die Korinther (vgl. 11,23-28) führt Paulus zwar die verschiedensten erduldeten Leiden wie Schläge, Gefangenschaften, Hunger und Durst, Gefahren durch Räuber, psychische Belastungen usw. auf, doch ist nicht gesagt, dass den Philippern die Inhalte des zweiten Briefs an die Korinther bekannt sind. Wissen können die Adressaten noch am ehesten von den Leiden und Misshandlungen, die der Apostel in Philippi erdulden musste (vgl. 1 Thess 2,2). Allerdings bleibt offen, wie die Leiden und Misshandlungen genau beschaffen waren. Zwar ist in Apg 16,22 davon die Rede, dass Paulus und seinem Mitarbeiter Silas in Philippi im Rahmen eines Aufruhrs die Kleider vom Leib gerissen und die beiden gegeißelt wurden, doch stammt dieser Bericht nicht von Paulus selbst. Und selbst wenn die Adressaten von der gesamten Lebensführung und von allen Bedrängnissen und Leiden des Apostels wüssten, so bliebe noch die Frage offen, in welchem Maße ihre Lebensführung und ihre Bedrängnisse und Leiden denen des Apostels gleichen müssten. Müssten sie alle missionieren, gegeißelt werden, in Gefangenschaft geraten, Hunger und Durst erleiden usw? All diese Unklarheiten lassen eher annehmen, dass „derselbe Kampf“ sich ganz allgemein auf das christliche Dasein samt den dazugehörigen Leiden bezieht. Gegen weitere Konkretisierungen spricht auch, dass Paulus V. 29 nicht im Sinne einer Forderung, sondern im Sinne der Beschreibung der christlichen Existenz formuliert. Er fordert nicht, dass die Adressaten so leben und leiden müssen wie er selbst. Er macht nur deutlich, dass der Kampf für den Glauben Leiden mit sich bringt. Wie die Bedrängnisse und daraus resultierenden Leiden beschaffen sein können – aber nicht müssen – konnten die Philipper in der Vergangenheit an Paulus sehen und in der Gegenwart von Paulus hören. Gegenwärtig ist keine eigene Anschauung seitens der Philipper möglich, weil Paulus nicht in Philippi gefangen ist, sondern an einem anderen Ort. Grundsätzlich dürfte Paulus bei seinem Schreiben davon ausgehen, dass sich die Lebensbedingungen der Adressaten im Einzelnen von seinen eigenen unterscheiden und auch in Zukunft unterscheiden werden. Das Gemeinsame ist die bedrohte Existenz und der Kampf gegen die Bedrohung.


In V. 30 stellt Paulus sich selbst als Vorbild der Standhaftigkeit in allen Bedrängnissen und allem Leiden der christlichen Existenz dar. Somit kann man V. 27-30 durchaus zu der brieflichen Selbstempfehlung zählen, die dann 1,12-30 umfassen würde. Weil der Abschnitt aber zugleich die folgenden Ermahnungen einleitet, kann man ihn als eine „Brücke“ betrachten, die von der brieflichen Selbstempfehlung hin zu den Ermahnungen führt.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bateman, Herbert W.; Were the Opponents at Philippi Necessarily Jewish?, BS 155/617 (1998), 39-61

Fowl, Stephen E.; Philippians 1:28b, One More Time, in: A. M. Donaldson et al. [eds.], New Testament Greek and Exegesis, Grand Rapids, Michigan 2003, 167-179

Hawthorne, Gerald F.; The Interpretation and Translation of Philippians 1,28b, NTS 30/2 (1984), 296

Krentz, Edgar M.; Military Language and Metaphors in Philippians, in: B. H. McLean [ed.], Origins and Method: Towards a New Understanding of Judaism and Christianity (JSNT.S 86), Sheffield 1993, 105-127

Landmesser, Christof; Der paulinische Imperativ als christologisches Performativ, in: C. Landmesser u. a. [Hrsg.], Jesus als die Mitte der Schrift: Studien zur Hermeneutik des Evangeliums (BZNW 86), FS O. Hofius, Berlin 1997, 543-577

Miller Jr., Ernest C.; Politeuesthe in Philippians 1,27: Some Philological and Thematic Observations, JSNT 15 (1982), 86-96

Murray, George W.; Paul’s Corporate Witness in Philippians, BS 155/619 (1998), 316-326

Pilhofer, Peter; Philippi, Bd. I: Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87), Tübingen 1995

Snyman, A. H.; A Rhetorical analysis of Philippians 1:27-2:18, VE 26/3 (2005), 783-809


( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )