Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an Philemon

Phlm 1-3

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phlm 1-3



Übersetzung


Phlm 1-3:1 Paulus, Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, den Geliebten und unseren Mitarbeiter, 2 und Apphia, die Schwester, sowie an Archippus, unseren Mitstreiter, und an deine Hausgemeinde: 3 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und [dem] Herrn Jesus Christus.



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V. 1


Beobachtungen: Der Briefeingang (Präskript) ist zweiteilig, was der orientalischen Form des Briefanfangs entspricht. Zunächst werden Absender und Adressat angegeben, dann folgt ein Segenswunsch. Die Nennung des Absenders im Nominativ vor dem Adressaten im Dativ entspricht der hellenistischen Form. Somit handelt es sich bei dem Briefanfang dieses Briefes und anderer paulinischer Briefe um eine Mischform.


Paulus ist nicht der einzige Verfasser des Briefes, sondern sein enger Mitarbeiter Timotheus ist Mitverfasser. Ob Timotheus tatsächlich an der Abfassung des Briefes mitgewirkt hat oder ob Paulus nur verdeutlichen will, dass es sich nicht um reinen Privatbrief handelt, ist unklar. Sofern die Lage des Timotheus derjenigen entspricht, die sich aus dem Philipperbrief erschließen lässt, dürfte sich Timotheus im Gegensatz zu Paulus wohl nicht in Gefangenschaft befinden (vgl. Phil 2,19-24).

Timotheus ist vermutlich kein leiblicher Bruder des Paulus, sondern ein Glaubensbruder. Damit ist er „Bruder“ aller Christen. Wäre er der leibliche Bruder des Apostels, dann hätte Paulus statt „der Bruder“ sicherlich „mein Bruder“ geschrieben und die leibliche Verwandtschaft würde in einem der Paulusbriefe näher zur Sprache kommen.


Paulus bezeichnet sich als „desmios Christi Jesu“, was genau genommen mit „Gefesselter Christi Jesu“ zu übersetzen ist. Weil aber unklar ist, ob Paulus tatsächlich gefesselt ist oder ob er nicht vielmehr gewisse Freiheiten (z. B. Bewegungsfreiheit) genießt, scheint hier die allgemeinere Übersetzung „Gefangener Christi Jesu“ angemessen zu sein.


Der Hinweis auf die Gefangenschaft verweist auf einen Abfassungshintergrund, der demjenigen des ebenfalls während einer Gefangenschaft abgefassten Philipperbriefes (vgl. Phil 1,7.13; ebenso in der Gefangenschaft abgefasst wurden gemäß Eph 6,20 und Kol 4,3 auch der Epheserbrief und der Kolosserbrief) gleicht oder zumindest ähnelt: Aus der Tatsache, dass Paulus sich in Gefangenschaft befindet, lassen sich der Abfassungsort und die Abfassungszeit erschließen. Allerdings lässt die Angabe drei verschiedene Schlüsse zu, denn Paulus war laut biblischem Befund mindestens an zwei oder drei verschiedenen Orten in Gefangenschaft. Am unsichersten ist der Befund bezüglich einer möglichen Gefangenschaft in Ephesus, denn Paulus spricht zwar davon (vgl. 1 Kor 15,32), dass er in der Provinz Asia mit „wilden Tieren“ gekämpft habe, doch erwähnt er die Provinzhauptstadt nicht mit Namen. Außerdem ist möglich, dass Paulus die Auseinandersetzung mit aggressiven Menschen bildlich als Kampf mit wilden Tieren bezeichnet. Auch in 2 Kor 1,8-9 spricht Paulus nur allgemein von einer lebensgefährlichen Bedrängnis in der Provinz Asia. 2 Kor 6,5 und 11,23 sprechen zwar von Gefängnisaufenthalten, lokalisieren diese aber nicht. Wird eine Abfassung des Briefes in Ephesus angenommen, so dürfte sie – je nach Berechnung - in die Zeit 52-55 n. Chr. fallen. Eindeutiger sind die biblischen Aussagen zu den beiden anderen Gefangenschaften, nämlich zu derjenigen in Jerusalem und Caesarea sowie zu derjenigen in Rom. Allerdings werden sie nicht in den paulinischen Briefen genannt, sondern in der Apostelgeschichte. Die Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea wird sogar über eine längere Passage hin thematisiert und die gesamte gerichtliche Verhandlung geschildert (vgl. Apg 21,27-26,32). Mit der Gefangenschaft des Paulus in Rom endet die Apostelgeschichte (vgl. 28,16-31). Eine Abfassung des Philipperbriefes in Caesarea wäre – je nach Berechnung - in den Zeitraum 55-59 n. Chr. zu datieren, eine Abfassung in Rom in den Zeitraum 59-61 n. Chr. Da Paulus zur Zeit der Abfassung von 2 Kor 6,5 und 11,23 noch nicht die Gefangenschaften in Jerusalem/Caesarea und Rom erlebt hatte, kann die in diesen beiden Versen erwähnte Mehrzahl der Gefangenschaften nicht diejenigen in Jerusalem/Caesarea und Rom einbeziehen. Da nur eine einzige, nicht einmal sicher nachweisbare in Ephesus verbleibt, stellt sich die Frage, welches die anderen Gefangenschaften waren. Diese unbekannten Gefangenschaften müssen aber bei der Lokalisierung und Datierung der Abfassung des Philipperbriefes berücksichtigt werden, was die Suche nach einer Antwort zusätzlich erschwert.

Unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich auszuschließen ist, dass Paulus nicht im eigentlichen, sondern „nur“ im übertragenen Sinn „Gefangener Christi Jesu“ ist. Dann wäre er nicht frei, sondern im Handeln als Diener und Verkündiger Christi gebunden (= gefangen).


„Gefangener Christi Jesu (= Jesu Christi)“ kann so gedeutet werden, dass Paulus von Jesus Christus selbst gefangen genommen wurde. Wahrscheinlicher ist jedoch die Deutung, dass Paulus um Jesu Christi willen gefangen genommen wurde. Die Gefangenschaft ist also nicht auf ein profanes Vergehen zurückzuführen, sondern auf die Verkündigung des Evangeliums, das das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen zum Inhalt hat. Paulus scheint also den Grund der Gefangenschaft deutlich machen zu wollen; das Erregen von Mitleid wegen der Gefangenschaft ist wohl nicht beabsichtigt. Die Vorstellung, dass Jesus Christus selbst Paulus gefangen genommen hat, ist eine radikale Fortführung des Gedankens, dass Jesus Christus der Grund für die Gefangenschaft des Apostels ist.

Es fällt auf, dass sich Paulus nur in der Absenderangabe des Philemonbriefes, nicht jedoch in derjenigen des Philipperbriefes als „Gefangener Christi Jesu“ bezeichnet. Wenn dieser Tatsache Bedeutung beizumessen ist, so ist nach dem Grund für sie zu fragen. Identifiziert sich Paulus im Philemonbrief stärker mit seiner Lage als bei der Abfassung des Philipperbriefes, hat er sie stärker verinnerlicht? Dann wäre davon auszugehen, dass der Philemonbrief nach dem Philipperbrief verfasst wurde. Je größer der angenommene Zeitabstand zwischen den beiden Briefen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der gesamte Abfassungshintergrund unterscheidet. So kann es sich zwar um dieselbe Gefangenschaft am selben Ort handeln, doch können sich bestimmte Umstände geändert haben. Es kann auch sein, dass die Gefangenschaft des Philemonbriefes eine andere als diejenige des Philipperbriefes ist, so dass auch ein anderer Gefangenschafts- und Abfassungsort möglich wäre. Und schließlich ist an die Möglichkeit zu denken, dass Paulus mit der Selbstbezeichnung „Gefangener Christi Jesu“ ein rhetorisches Ziel verfolgt: Er vermeidet Selbstbezeichnungen oder Titel, die mit Ehre verbunden sind, und wählt stattdessen eine Selbstbezeichnung, die die Demut herausstellt. Die Herausstellung der Demut mag dem Erreichen des Zieles dienen, das Paulus mit der Abfassung des Briefes verfolgt.


Von den drei namentlich genannten Adressaten ist Philemon der erste. Philemon wird als „Geliebter“ bezeichnet. „Geliebt“ wird er von Paulus wohl nicht im partnerschaftlichen Sinn –andernfalls wäre Paulus homosexuell veranlagt -, sondern im Sinne der engen Vertrautheit zweier Glaubensgenossen. So wird Philemon auch als „unser Mitarbeiter“ bezeichnet, was darauf hinweist, dass beide vertrauensvoll und freundschaftlich bei der Sache des Evangeliums zusammen arbeiten oder zusammen gearbeitet haben. Sowohl die Bezeichnung „Geliebter“ als auch die Bezeichnung „Mitarbeiter“ betonen die Gleichrangigkeit des Paulus und des Philemon. Über die Liebe des Paulus hinausgehend ist auch daran zu denken, dass Philemon von Gott bzw. Jesus Christus geliebt ist. Dann läge nicht nur zwischen Paulus und Philemon, sondern auch zwischen Gott bzw. Jesus Christus und Philemon ein enges Verhältnis vor. Timotheus wäre wohl nicht nur als Christ von Gott bzw. Jesus Christus geliebt, sondern insbesondere bei der Verkündigungsarbeit als von Gott bzw. Jesus Christus erwähltes Werkzeug herausgehoben.

Vielleicht ist die Bezeichnung „Geliebter“ im Hinblick auf den Namen gewählt, der vermutlich „Liebenswerter“ oder „Liebevoller“ (griech. philein = lieben) bedeutet.

Das Possessivpronomen „unser“ lässt annehmen, dass Philemon nicht nur mit Paulus zusammen arbeitet bzw. gearbeitet hat, sondern auch mit weiteren Personen. Wer zu dieser Gruppe gehört, deren Mitarbeiter Philemon ist bzw. war, bleibt offen. Möglich ist auch, dass „unser“ nur eine Person meint, nämlich Paulus, dessen Mitarbeiter Philemon ist bzw. war. Es würde sich dann um einen brieflichen Plural handeln, bei dem Paulus von sich selbst im Plural spricht. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht wahrscheinlich, weil der Apostel ab V. 4 „ich“ – und eben nicht „wir“ - sagt, wenn er von sich selbst spricht.

Wie die Zusammenarbeit beschaffen ist bzw. war, wird nicht konkretisiert. Weil Paulus vor allem mit der Glaubensverbreitung und –festigung befasst ist, dürfte auch Philemon in diesem Bereich tätig sein. Bei seiner Arbeit handelt es sich folglich am ehesten um Predigttätigkeit, Leitung einer Hausgemeinde, Unterbringung von Missionaren oder Gesandten anderer Gemeinden oder um weitere Tätigkeiten im Rahmen der Glaubensverbreitung oder –festigung.


Weiterführende Literatur: C. S. Wansink 1997, 147-174 geht der Frage nach der Bedeutung der Formulierung „Gefangener Christi Jesu“ nach. Ergebnis: Paulus stelle sich als Soldat und Kriegsgefangener dar. Wie ein vorbildlicher Soldat desertiere auch Paulus angesichts drohender Gefahr nicht und nehme – wie auch Sokrates oder andere herausragende Philosophen – Gefangenschaft oder gar den Tod in Kauf. Die Gefangenschaft des geistlichen Soldaten Paulus sei Folge seines hingebungsvollen Dienstes für Jesus Christus und das Evangelium.


Zum Adjektiv „agapêtos“ („geliebt“) siehe O. Wischmeyer 1986, 476-480. Sie vertritt die Meinung, dass Paulus in einer uns nur noch sporadisch fassbaren jüdischen Tradition stehe, wonach Gott die Patriarchen, Abraham, Joseph, David, Jerusalem und schließlich das ganze Volk Israel geliebt habe und liebe, ebenso wie er es auch erwählt habe. Diesen Ehrentitel habe Paulus auf die Christen übertragen.


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V. 2


Beobachtungen: Von Apphia erfahren wir nichts weiter, als dass sie eine „Schwester“ ist. Sie kann die Schwester des Paulus, des Philemon oder auch des Archippus sein, doch ist leibliche Schwesternschaft unwahrscheinlich, weil erstens das zu erwartende Possessivpronomen („meine“ oder „seine“) fehlt und zweitens Apphia vor Archippus genannt wird und sie somit nur die Schwester des Paulus oder des Philemon sein könnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass Apphia eine Glaubensschwester ist: Alle Christen und Christinnen stellen nach paulinischem Denken eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Glauben an Christus dar. Insofern wäre Apphia Glaubensschwester der Paulus und auch des Archippus. Die Bezeichnung „Schwester“ entspricht wohl der Bezeichnung „Bruder“, wie sie Timotheus zukommt.

Warum werden zusätzlich zu Philemon gerade Apphia und Archippus als Adressaten genannt? Besteht zwischen diesen dreien ein enges Verhältnis? Sind sie miteinander verwandt? Oder ist Apphia vielleicht die Ehefrau des Philemon und Archippus deren gemeinsamer Sohn? Ein solch enges Verhältnis geht aus dem Text nicht hervor, so dass eine entsprechende Annahme auf Spekulation beruht. Es ist auch nicht nötig, Apphia in besonderer Beziehung zu Philemon und/oder Archippus zu sehen. Sie kann auch – unabhängig von den beiden – eine besondere Rolle in der christlichen Gemeinschaft, vielleicht der nachfolgend genannten Hausgemeinde, spielen.


Archippus wird als „unser Mitstreiter“ bezeichnet. Dabei gilt für Archippus Gleiches wie für „unseren Mitarbeiter“ Philemon: Das Possessivpronomen „unser“ bezieht sich wohl auf eine nicht genauer bestimmte Gruppe zusammen arbeitender Personen, die Paulus einschließt, es kann aber auch ein brieflicher Plural vorliegen, bei dem Paulus von sich selbst im Plural sprechen würde.

Der Begriff „Mitstreiter“ hat militärischen Charakter: Archippus erscheint als Glaubenssoldat, der in einer Welt der Anfechtungen und Anfeindungen gemeinsam mit Paulus (und vermutlich auch weiteren Mitstreitern) den Glauben verteidigt und verbreitet (hat). Ob darüber hinaus an eine konkrete Gefährdungssituation gedacht ist, die Paulus (und vermutlich auch weitere Mitstreiter) und Archippus gemeinsam durchstehen müssen bzw. mussten, ist fraglich. Sollte Archippus tatsächlich Sohn des Philemon und der Apphia sein, so wäre er auf jeden Fall erwachsen, denn ein Minderjähriger dürfte wohl kaum als „Mitstreiter“ bezeichnet werden.


Archippus taucht auch in Kol 4,17 auf, und zwar als Amtsinhaber. Mit der Erwähnung des Namens lässt sich allerdings nicht klären, wo die Adressaten des Philemonbriefes wohnen. Erstens ist nämlich fraglich, ob der im Kolosserbrief genannte Archippus mit dem im Philemonbrief als Adressat genannten identisch ist. Zweitens ist fraglich, ob der im Kolosserbrief genannte Archippus der Gemeinde von Kolossä oder der Gemeinde von Laodizea (vgl. Kol 4,15-16) zuzuordnen ist. Dass die Namen Archippus und Apphia in Phrygien – und damit auch in Kolossä und Laodizea – verbreitet sind, spricht einerseits für eine Herkunft der Adressaten aus der Region, andererseits erhöht dies jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, dass der im Kolosserbrief erwähnte Archippus nicht mit dem in Phlm 2 erwähnten identisch ist.

Weil der Wohnort von Philemon, Apphia und Archippus unbekannt ist, lässt sich auch nicht sagen, ob Timotheus vielleicht deshalb als Mitverfasser des Briefes genannt ist, weil er zu den Adressaten eine besondere Beziehung hat. Selbst wenn man von den phrygischen Städten Kolossä oder Laodizea als mögliche Wohnorte ausgeht, ist unklar, ob und wie lange sich Timotheus in Kolossä oder Laodizea aufgehalten hat. Die Apostelgeschichte weiß zwar davon, dass Timotheus Begleiter des in der Provinz Asia missionierenden Apostels Paulus war (vgl. Apg 19,22), doch wird der Schwerpunkt der Tätigkeit des Apostels in Ephesus lokalisiert. Phrygien wurde dem Bericht nach zwar durchwandert (vgl. Apg 18,23), wird jedoch mit keinen nennenswerten Geschehnissen verbunden. Auch ist nicht sicher, dass Timotheus auch in Phrygien Begleiter des Apostels war.


Ebenfalls als Adressatin erscheint „deine Hausgemeinde“, wobei offen bleibt, um wessen Hausgemeinde es sich handelt. Die Erwähnung direkt nach Archippus lässt daran denken, dass es die Hausgemeinde des Archippus ist. Gegen eine solche Annahme spricht allerdings, dass nur Philemon im Verlauf des weiteren Briefes noch eine Rolle spielt und direkt als Einzelperson angesprochen wird. Folglich dürfte auch in V. 2 die direkte Anrede Philemon gelten. Philemon wird an erster Stelle genannt und ist – darauf weist die direkte Anrede hin – wohl Hauptadressat des Briefes. Dem trägt die Bezeichnung „Philemonbrief“ Rechnung. Da nur Philemon als Haupt der Hausgemeinde erscheint, nicht jedoch zugleich Apphia und/oder Archippus, ist anzunehmen, dass Philemon, Apphia und Archippus nicht eng miteinander verwandt sind.

Wenn die ganze Hausgemeinde Mitadressatin ist, so bedeutet das nicht, dass der Philemonbrief ein offizieller Gemeindebrief ist, denn dann müsste die Gemeinde alleinige oder doch zumindest vorrangige Adressatin sein. Vielmehr bedeutet das, dass es sich nicht um einen reinen Privatbrief handelt, denn der Briefinhalt wird nicht nur dem Hauptadressaten Philemon und darüber hinaus Apphia und Archippus zuteil, sondern auch der ganzen Hausgemeinde. Daraus ist zu schließen, dass die Aussagen des Apostels zu der thematisierten persönlichen Angelegenheit zwischen Philemon und Onesimus für die ganze Hausgemeinde relevant sind. Ob es sich bei der Hausgemeinde um die einzige Hausgemeinde am Ort handelt oder ob es noch weitere gibt, bleibt offen. In letzterem Fall wäre innerhalb des Wohnortes der Adressaten eine Begrenzung der Adressatenschaft und damit auch der Öffentlichkeit des Briefes gegeben.


Weiterführende Literatur:


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V. 3


Beobachtungen: Der Segenswunsch enthält den Wunsch, Gnade und Friede sollten bei der Gemeinde sein. Dabei handelt es sich nicht um die Gnade und den Frieden von Menschen, sondern von Gott, dem Vater, und von dem „Herrn“ Jesus Christus. Mit dem Frieden ist vermutlich kein seelischer Zustand gemeint, aus dem der Friede der Christen untereinander resultiert, sondern das durch Jesus Christus bereinigte Verhältnis zu Gott.


Weiterführende Literatur: Einen grundsätzlichen Einstieg in das Thema „Präskript“ bieten F. Schnider, W. Stenger 1987, 3-41. Sie gehen auf die äußere und innere Adresse, die Angaben von Absender und Adressaten und auf den Eingangsgrußwunsch ein. Zur Unterscheidung von orientalischem und hellenistischen Briefeingang äußern sich Einleitungen in das NT. Besonders verständlich wird sie auch bei E. Lohse 1996, 120-124 dargestellt. Ausführlich widmet sich J. M. Lieu 1985, 161-178 der hellenistischen und orientalischen Grußform. Sie gibt zahlreiche Literaturhinweise und berücksichtigt auch außerbiblische antike Literatur. Sie vertritt die Ansicht, dass Paulus nicht einfach die hellenistische Grußform, sondern auch orientalische Elemente benutze. Eine paulinische Besonderheit sei die Erwähnung der „Gnade“, die in der Septuaginta eine geringe Rolle spiele und erst in der zwischentestamentlichen Literatur als eine göttliche Gabe auftauche. Die Erwähnung sei erst recht in Verbindung mit dem in orientalischen Präskripten gebräuchlichen Begriff „Friede“ ungewöhnlich. J. M. Lieu gibt eine Übersicht über das Vorkommen der Verbindung Gnade - Friede in der neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur und listet die verschiedenen Stellen in einer Tabelle auf S. 171 auf. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Paulus die Eigenheiten zur Betonung des apostolischen Auftrags benutze. Die hohe liturgische Bedeutung und der Gebrauch in der frühchristlichen Literatur zeugten davon, dass manchen frühchristlichen Autoren die Außergewöhnlichkeit und Bedeutung des paulinischen apostolischen Grußes bewusst gewesen sei.


M. Buscemi 2001, 247-269 geht der Bedeutung der Formulierung „Gott Vater“ in den paulinischen Briefen nach. Zunächst widmet er sich dem Gebrauch des Begriffes „Vater“ in den paulinischen Briefen, dann legt er dar, inwiefern Gott „Vater“ Jesu Christi, der Schöpfung und der Christen ist. Zuletzt werden die Heilstaten des „Vaters“ für die Menschheit unter die Lupe genommen. Grundsätzlich sei Gott der „Vater“. Stehe also „Vater“ allein, so sei Gott gemeint. Das Vater-Sohn-Verhältnis zu Jesus Christus mache eine innige Beziehung zwischen beiden deutlich. Zudem sei Jesus Christus Grund und Mittler des gnadenhaften Heils, das Gott den Menschen zugedacht hat. Durch das erlösende Heilshandeln Christi würden die Gläubigen zu „Gotteskindern“. Auch sei Gott „Vater“ seiner gesamten Schöpfung.



Literaturübersicht


Buscemi, Marcello; Dio Padre in S. Paolo, Anton. 76/2 (2001), 247-269

Lieu, Judith M.; „Grace to you and Peace“: The Apostolic Greeting, BJRL 68 (1985), 161- 178

Lohse, Eduard; Paulus: eine Biographie, München 1996

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), 1987

Wansink, Craig S:; Chained in Christ. The Experience and Rhetoric of Paul’s Imprisonment (JSNT.SS 130), Sheffield 1997

Wischmeyer, Oda; Das Adjektiv agapêtos in den paulinischen Briefen. Eine traditionsgeschichtliche Miszelle, NTS 32 (1986), 476-480



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