Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an Philemon

Phlm 4-7

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phlm 4-7



Übersetzung


Phlm 4-7:4 Ich danke meinem Gott jedes Mal, wenn ich in meinen Gebeten deiner gedenke, 5 denn ich höre von deiner Liebe und deiner Treue, die du dem Herrn Jesus und allen Heiligen entgegenbringst. 6 Möge die Gemeinschaft deines Glaubens sich auswirken in [der] Erkenntnis alles Guten, das in uns ist, auf Christus hin. 7 Ich hatte nämlich viel Freude und Trost wegen deiner Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich erquickt worden sind, Bruder.



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V. 4


Beobachtungen: 4-7 stellt das Proömium, die Danksagung, dar, die vermutlich aufgrund von positiven Nachrichten erfolgt. V. 4 spricht vom Dank an sich, V. 5 von dem Anlass des Danks. V. 6 nennt die erhoffte Auswirkung des Anlasses und V. 7 spricht davon, was der Anlass ganz konkret bei Paulus schon bewirkt hat.


Paulus benutzt von V.4 an nicht mehr die erste Person Plural, sondern die erste Person Singular, wechselt also vom „wir“ bzw. „unser“ zum „ich“ bzw. „mein“. Das beweist, dass Paulus der Hauptverfasser des Briefes ist und der in 1,1 genannte Mitverfasser Timotheus nur Nebenverfasser ist oder gar nur formal genannt wird, um den Brief nicht als reinen Privatbrief erscheinen zu lassen.


Paulus gedenkt Philemon und überbrückt so die räumliche Distanz. Das Gedenken geschieht allezeit, wobei sich „allezeit“ auf die Zeiten bezieht, in denen Paulus betet. Wo er die Gebete spricht, bleibt offen. Er kann sie sowohl im gottesdienstlichen Rahmen als auch außerhalb davon, z. B. bei sich zu Hause, sprechen.


Weiterführende Literatur:


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V. 5


Beobachtungen: Fraglich ist, von wem Paulus „von deiner Liebe und deinem Glauben / deiner Treue“ hört. Geht man von einem Hören im eigentlichen Sinne aus, so muss das Gehörte mündlich übermittelt worden sein und sich die übermittelnde Person in unmittelbarer Nähe des Apostels aufgehalten haben. Zu den Personen, die in Frage kommen, gehören am ehesten Timotheus, der in 1 genannte Mitverfasser des Philemonbriefes, und der Sklave Onesimus (vgl. 8-13). Für Onesimus spricht, dass er von seinem Herrn Philemon zu Paulus gekommen ist und somit gut die Informationen übermittelt haben kann. Gegen Onesimus spricht, dass ihn wohl eine Auseinandersetzung mit Philemon zu Paulus getrieben hat (vgl. 15-20). Sollte Onesimus trotz der Auseinandersetzung bei Paulus positiv über seinen Herrn gesprochen haben? Versteht man das Hören (akouein) im weiten Sinn als das Empfangen von Nachrichten, dann könnten die Informationen über Philemon auch mittels eines Briefes Paulus zugekommen sein. Wie auch immer: Das präsentische „ich höre“ lässt annehmen, dass das Hören nicht irgendwann in der Vergangenheit erfolgt, sondern als gegenwärtig gedacht ist – gegenwärtig im Sinne der weiteren Andauer des Hörens oder des vollen Bewusstseins des in jüngster Vergangenheit Gehörten.


Der Begriff „pistis“ kann „Treue“ oder „Glaube“ bedeuten, darüber hinaus auch „Vertrauen“, „Zuverlässigkeit“ oder „Glaubwürdigkeit“. Paulus hat sie ebenso wie die „agapê“ („Liebe“) entweder sowohl dem „Herrn Jesus“ und „allen Heiligen“ gegenüber oder nur dem „Herrn Jesus“ oder „allen Heiligen“ gegenüber. In letzterem Fall müsste Philemon – der Reihenfolge entsprechend - die „agapê“ dem „Herrn Jesus“ gegenüber und die „pistis“ „allen Heiligen“ gegenüber haben. Man kann auch einen Chiasmus (= Bezug über Kreuz) nach dem Muster a – b – b – a annehmen; dann wäre die „agapê“ auf „alle Heiligen“ und „pistis“ auf „Herrn Jesus“ bezogen. Ein gleicher Bezug der beiden Begriffe kommt nicht in Frage, denn es sind zwingend zwei Bezüge anzunehmen. Fraglich ist nur, ob sich diese beiden Bezüge aus der Summe des jeweils einen Bezuges ergeben, oder ob bei mindestens einem der beiden Begriffe ein doppelter Bezug vorliegt. Weil sich aus dem Satzbau kein unterschiedlicher Bezug erschließt, ist als am wahrscheinlichsten anzunehmen, dass Philemon sowohl die „pistis“ als auch die „agapê“ sowohl dem „Herrn Jesus“ als auch „allen Heiligen“ gegenüber hat. In diesem Fall dürfte „pistis“ wohl nicht allein den religiösen Glauben an den „Herrn“ Jesus meinen, denn ein religiöser Glaube an „alle Heiligen“ ergibt keinen Sinn. Folglich muss die Bedeutung „Treue“ mitschwingen, sofern sie nicht sogar allein gemeint ist. Das würde bedeuten, dass Philemon nicht nur an den „Herrn Jesus“ glaubt, sondern diesem gegenüber auch treu ist. Ebenso treu wäre er allen Heiligen gegenüber, wobei „alle Heiligen“ wohl alle Christusgläubigen meinen dürfte. Ausgesagt wäre, dass Philemon nicht nur dem Christusglauben treu bleibt, sondern auch der Gemeinschaft der Christusgläubigen. Treue zum Glauben und Treue zur Glaubensgemeinschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Diese Treue stellt in gewisser Weise auch eine Zuverlässigkeit – und damit auch eine Glaubwürdigkeit - dar. Auch Vertrauen mag damit verbunden sein, allerdings in erster Linie dem „Herrn“ Jesus gegenüber, denn was sollte das Vertrauen in alle Heiligen begründen? Nicht die Heiligen wirken Heil, sondern nur der „Herr“ Jesus bzw. Gott, der „Vater“. Die Heiligen befinden sich in der Heilssphäre Jesu bzw. Gottes. Das Vertrauen allen Heiligen gegenüber könnte höchstens im Sinne eines Zutrauens verstanden werden.


Weiterführende Literatur:


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V. 6


Beobachtungen: Der Begriff „koinônia“ kann „Gemeinschaft“ oder „Teilhabe“ bedeuten. Die Genetivverbindung „koinônia tês pisteôs sou“ ist also wörtlich mit „Gemeinschaft/Teilhabe deines Glaubens / deiner Treue“ zu übersetzen. Dabei ist wohl nicht gemeint, dass Philemons Glaube/Treue an sich die Gemeinschaft darstellt oder an irgendetwas Anteil hat, sondern es geht um Gemeinschaft, die auf Philemons Glauben gründet, oder um Teilhabe an Philemons Treue/Glauben. Beide Deutungen beziehen das Possessivpronomen„sou“ („deines/deiner) allein auf „tês pisteôs“ („des Glaubens / der Treue“). Dabei stellt sich bei letzterer Deutung die Frage, wer an Philemons Glauben/Treue Anteil hat. Etwa alle Heiligen? Diese Unklarheit legt nahe, dass sich bei der Deutung der „koinônia“ als „Anteilhabe“ das Possessivpronomen auch auf „koinônia“ beziehen muss. Es wäre dann „deine Anteilhabe am Glauben / an der Treue“ zu übersetzen. Es würde deutlich, dass es Philemon ist, der an dem Glauben / der Treue Anteil hat. Eine Entscheidung für eine der beiden Bedeutungen - „Gemeinschaft/Teilhabe deines Glaubens / deiner Treue“ oder „deine Anteilhabe am Glauben / an der Treue“ ist nicht notwendig, weil sich beide Bedeutungen nicht ausschließen: Philemon gehört nicht nur der Gemeinschaft derjenigen an, die an Christus glauben und ihm treu sind, sondern er hat zugleich am christlichen Glauben und an der Treue Jesus Christus und allen Heiligen gegenüber Anteil.


Es ist davon auszugehen, dass in V. 6 – V. 5 entsprechend – das Wort „pistis“ sowohl „Glaube“ als auch „Treue“ bedeutet. Ebenso wie in V. 5 ist aber auch möglich, dass nur „Treue“ gemeint ist. Und schließlich ist auch möglich, was in V. 5 eher unwahrscheinlich ist, nämlich dass „pistis“ nur den religiösen Glauben meint. In V. 6 scheint sich die Bedeutung des Wortes „pistis“ also von der „Treue“ hin zum „Glauben“ zu verlagern. Mit dem Glauben kann Zuverlässigkeit oder Glaubwürdigkeit verbunden sein.


Paulus äußert die Hoffnung – vielleicht eine Gebetsbitte -, dass die auf dem christlichen Glauben beruhende Gemeinschaft und die Anteilhabe am christlichen Glauben eine Auswirkung haben, nämlich „Erkenntnis“ bewirken. Dabei scheint er davon auszugehen, dass die bewirkte „Erkenntnis“ mehr oder weniger auf eigener, gläubiger Aktivität beruht, also nicht rein passiv empfangen wird.

Das zu Erkennende ist das „Gute“, über das wir nichts weiter erfahren, als dass es sich „in uns“ („en hêmin“) – daneben ist auch die Variante „in euch“ („en hymin“) gut bezeugt - befindet und in irgendeiner Weise mit Christus zu tun hat. Zu denken wäre an das Erfülltsein vom heiligen Geist und/oder an die vom heiligen Geist bewirkte neue Weltsicht angesichts des von Christus bewirkten, den Christen zugesagten Heils. Vielleicht ist die Offenheit der Formulierungen beabsichtigt, weil sie sowohl als grundsätzliche Aussagen als auch ganz konkret auf dem Hintergrund des Briefanlasses und –zwecks verstanden werden sollen. Auf dem Hintergrund des Briefanlasses und –zwecks gelesen könnte V. 6 als indirekte Aufforderung an Philemon verstanden werden, das „Gute“ auch in dem Christen zu erkennen, in dem es im Brief an Philemon geht: Onesimus. Es wäre dann nur entscheidend, dass das „Gute“ erkannt wird, nicht aber, wie das „Gute“ beschaffen ist. Somit wäre nachvollziehbar, dass Paulus das „Gute“ nicht definiert. Bei dieser Deutung könnte die Lokalisierung des „Guten“ „in uns“ als Betonung nicht nur der Gemeinschaft der Christen als Gesamtheit, sondern ganz konkret auch der Gemeinschaft des Paulus, des Philemon und des Onesimus verstanden werden. Aus dieser betonten Gemeinschaft kann eine Schlussfolgerung für das angemessene, „gute“ Verhalten gegenüber dem gemeinschaftlich Verbundenen – hier: Onesimus - gezogen werden. Das angemessene, „gute“ Verhalten wiederum wird durch das „Gute“, das auch dem Christen Philemon eigen ist, ermöglicht.


Was das „Gute“ mit Christus zu tun hat, ist unklar, weil die Formulierung „eis Christon“ („auf Christus hin“) verschieden gedeutet werden kann: Christus kann das (eschatologische) Ziel des „Guten“ sein, der Zweck (Christus als zu Rühmender), die Richtung (im Sinne der Annäherung an Christus), der Ort („in Christus“, also in dessen Macht- und Heilsbereich) oder schließlich auch der Bezug des „Guten“.


Weiterführende Literatur: Ausführlich auf die Bedeutung von V. 6 geht H. Riesenfeld 1982, 251-257 ein. Er schlägt abschließend folgende Übersetzung vor (vgl. Revised Standard Version): „May the sharing of your faith promote a thorough understanding of all the good that is yours (i. e. belongs to you and your fellow-Christians) in view of Christ.”

Gemäß G. Panikulam 1979, 86-90 gehe V. 6 vom gemeinsamen Glauben an Jesus Christus zu einer neuen Verwirklichung der Gleichheit und gegenseitigen Achtung unter den Mitgliedern dieser Gemeinschaft über. So werde eine neue christliche Existenz geschaffen, in der jeder den anderen in Nächstenliebe annimmt.


Viele Ausleger verstünden laut N. T. Wright 1991, 41-55 fälschlicherweise „Christus“ in V. 6 nicht als einen Titel mit der Bedeutung „Messias“, sondern als Eigennamen. Richtig sei es, „Christus“ bei Paulus immer als „Messias“ zu lesen. Der Begriff „Christus“ sei in erster Linie körperschaftlich zu verstehen: Im Messias werde das Volk Gottes zusammengefasst, so dass von ihm als „in ihm“ seiend oder als „in ihn hinein“ kommend oder wachsend gesprochen werden könne. Diese These versucht N. T. Wright u. a. anhand einer Auslegung von Phlm 6 zu belegen. So beziehe Paulus „Christus“ in V. 6 auf die Einheit, Ganzheit und gegenseitige Teilhabe, wie sie der sich „in Christus“ befindenden Kirche eigen sei. Diese Kirche „in Christus“ sei das Volk des Messias.


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V. 7


Beobachtungen:Ta splanchna“ („die Herzen“) sind genau genommen die Innereien des Menschen, die hier wohl Ausdruck für das Innere des Menschen, für die Empfindungsfähigkeit sind. Weil wir heutzutage im westlichen Kulturkreis an erster Stelle das Herz mit der Empfindung in Verbindung bringen, ist die Übersetzung „Herzen“ passend.


Das Proömium hat im Falle des Philemonbriefes wohl nicht nur die Funktion, Wohlwollen bei dem/den Adressaten zu wecken und für das folgende Anliegen günstig zu stimmen („captatio benevolentiae“), sondern es werden zwei Begriffe im Briefeingang eingeführt, um deren praktische Anwendung es im Hauptteil gehen wird: „Liebe“ („agapê“) und „Gutes“ („agathon“). Das Proömium des Briefes (V. 4-7) bereitet also den Hauptteil des Briefes (V. 8-20) vor.


Gemäß Paulus hat die Liebe bei ihm selbst Freude und Trost und bei den „Heiligen“ Erquickung bewirkt. Auch wenn nicht gesagt wird, auf welche Weise die Erquickung erfolgt ist und wie sich diese gezeigt hat, lässt sich doch grundsätzlich festhalten, dass das Ausüben von Liebe als förderlich für das christliche Gemeindeleben erscheint. Somit legt sich nahe, die Liebe auch in einem konkreten Streitfall einzufordern, wie er Hintergrund des Philemonbriefes sein dürfte.

Unklar bleibt, wer in V. 7 die „Heiligen“ sind. Handelt es sich wie in V. 5 um „alle Heiligen“, also alle Christen? Oder sind nur die „Heiligen“ im Blick, mit denen Philemon näheren Umgang hat? Dann wäre an das „Haus“ des Philemon und an die zugehörige Hausgemeinde zu denken (vgl. V. 1-2).


Die Anrede „Bruder“ dürfte dazu dienen, bei Philemon als „Glaubensbruder“ – leiblicher Bruder ist er sicherlich nicht - die Glaubensbande ins Gedächtnis zu rufen, die nicht nur allgemein zwischen Christen, sondern ganz konkret auch zwischen Paulus und Philemon besteht. Angesichts der Tatsache, dass sich Paulus in der Absenderangabe des Präskripts (1) bewusst demütig als „Gefangener Christi Jesu“ bezeichnet und auf die Nennung eines Ehrentitels wie „Apostel“ verzichtet, scheint dem Gleichheitsgedanken große Bedeutung zuzukommen. Paulus erhebt sich trotz seines Status‘ als Apostel nicht über Philemon.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Panikulam, George; Koinônia in the New Testament: A Dynamic Expression of Christian Life (AnBib 85), Roma 1979

Riesenfeld, Harald; Faith and Love Promoting Hope. An Interpretation of Philemon v. 6, in: M. D. Hooker, S. G. Wilson [eds.], Paul and Paulinism, FS C. K. Barrett, London 1982, 251-257

Wright, Nicholas T.; The Climax of the Covenant: Christ and the Law in Pauline Theology, Edinburgh 1991

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