Apg 9,23-25
Übersetzung
Apg 9,23-25:23 Als aber viele Tage vergangen waren, beschlossen die Juden, ihn umzubringen. 24 Dem Saulus wurde aber ihr Plan bekannt. Sie bewachten aber auch die Tore Tag und Nacht, damit sie ihn umbringen könnten. 25 Da nahmen [ihn] seine Jünger und ließen ihn des Nachts durch die Mauer hinab, indem sie [ihn] in einem Korb abseilten.
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Beobachtungen: Aufgrund der Tatsache, dass Saulus bewiesen hatte, dass Jesus der Christus (Messias; = "Gesalbter“) ist (V. 22), sollte man eigentlich meinen, dass auch die Juden den Glauben an Jesus Christus annahmen. Doch weit gefehlt! Stattdessen beschlossen die Juden, ihn umzubringen. Aus Sicht des Verfassers der Apg ging es den Juden weniger um die besseren Argumente als vielmehr um die Macht. Saulus war ihnen und ihrer Ablehnung des Christusglaubens gefährlich geworden und deshalb mussten sie ihn beseitigen.
Der Ablauf einer bestimmten Zeit − hier "viele Tage“ − ist als "Erfüllung“ gedacht. Die "Erfüllung“ setzt voraus, dass die Zeitspanne von vornherein festgelegt ist, und zwar vermutlich von Gott. Möglicherweise liegt der Gedanke zugrunde, dass die geschichtlichen Ereignisse einem (Heils-)Plan Gottes folgen.
Es handelte sich nicht um den Beschluss einiger weniger Juden, sondern um einen gemeinsam gefassten Beschluss (symbouleuomai = sich gemeinsam beraten; Aorist: gemeinsam beschließen). Mit 9,23 beginnt eine Kette von Anschlägen, denen Saulus nur knapp entrinnt (vgl. 14,5; 17,5.13; 18,12-17; 24,1-9; 25,7).
Weiterführende Literatur: R. Buitenwerf 2008, 78-82 befasst sich mit der Frage, welche Quelle Apg 9,19b-25 zugrunde liegt. Fazit: Als Quelle sei 2 Kor 11,32-33 anzunehmen. Dass sich in Apg 9,23-25 keine Erwähnung des Ethnarchs des Königs Aretas findet, könne nicht als stichhaltiges Argument für eine andere Quelle als 2 Kor 11,32-33 herangezogen werden.
J. T. Townsend 1988, 119-131 legt dar, dass gemeinhin angenommen werde, dass in Apg 9,1-29 von denselben Ereignissen die Rede sei, die Paulus selbst in Gal 1,11-20 zur Sprache bringe. Die Widersprüche müssten nicht unbedingt geglättet werden, sondern könnten auch −angesichts der vermutlich größeren historischen Zuverlässigkeit des paulinischen Selbstberichtes − auf Fehler seitens der Apg zurückgeführt werden. Von dieser These ausgehend untersucht J. T. Townsend die Apg und die ihr zugrunde liegende Tradition. Fazit: In Apg 9,1-29 habe der Verfasser der Apg wohl korrekte, aber rudimentäre Informationen ausgeschmückt. Ein Teil dieser Ausschmückungen stamme wohl von dem Verfasser der Apg selbst. Angesichts der Beobachtung, dass sich in dem Bericht der Apg Inhalte finden, die Paulus leugnet, sei wahrscheinlich, dass der andere Teil der Ausschmückungen auf diejenigen Personen zurückgeht, gegen die sich Paulus in seinen Briefen wendet.
I. Czachesz 1995, 5-32 wendet V. Robbins' sozial-rhetorische Exegese auf Apg 9,1-30 an.
M. Harding 1993, 518-538 prüft anhand eines Vergleichs von Apg 9,23-25 mit 2 Kor 11,32-33 die Thesen von C. Hemer, dass die paulinischen Briefe nicht immer der Apg als Quelle bezüglich Paulus' Leben vorzuziehen seien, und dass jeder Bericht historischer Ereignisse diese deute. Gemäß M. Harding sei zwar Lukas ein beeindruckend genauer und sorgfältiger Historiker, doch lasse sich auch Lukas von theologischen und pastoralen Prämissen leiten. So sei die in Apg 9,23-25 erkennbare anti-jüdische Tendenz historisch nicht für bare Münze zu nehmen.
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Beobachtungen: Paulus war nicht von vornherein bekannt, dass die Juden ihn zu töten suchten, sondern er hat dies erfahren. Von wem er dies erfahren hat, bleibt offen.
Mit den "Toren“ sind vermutlich die Stadttore gemeint. Damit Saulus durch diese nicht entkommen konnte, wurden diese Tag und Nacht bewacht. Die Bewachung mag in Zusammenarbeit mit Soldaten und/oder Torwächtern erfolgt sein.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Gemäß V. 25 hatte Saulus "Jünger“, womit Anhänger gemeint sein dürften, die vielleicht durch Saulus' Predigt zum Glauben gekommen sind. Auf einen den zehn Jüngern Jesu entsprechenden festen Kreis Vertrauter lässt die Erwähnung der "Jünger“ nicht schließen.
Einige Textzeugen bieten statt "hoi mathêtai autou“ ("seine Jünger“) die Formulierung "auton hoi mathêtai“ ("ihn die Jünger“; bei einigen Minuskeln fehlt das "auton“). Diese Formulierung stellt nicht ausdrücklich heraus, dass es sich um die "Jünger“ des Saulus handelte. Fraglich ist der Grund für diese Abweichung: Handelt es sich um einen Hör- oder Schreibfehler oder um eine absichtliche Änderung, eine Korrektur? Das "u“ kann versehentlich für ein “n“ gehalten oder absichtlich in ein "n“ umgewandelt worden sein. Bei einer solchen Änderung lag die Voranstellung des "auton“ als das im Akkusativ stehende − im von der Mehrheit der Textzeugen gebotenen Text fehlende - Objekt zu "labontes“ ("da nahmen“) nahe. Diesem Verständnis nach musste es "labontes de auton hoi mathêtai“ ("da nahmen ihn die Jünger“) heißen. Bei dieser Formulierung bleibt offen, ob es sich um die Jünger des Saulus, um Jesu Jünger oder um die Jünger einer anderen Person handelte. Sie mag Schreibern als angemessener erschienen sein, denn bei der Rede von Saulus' Jüngern statt von Jesu Jüngern schien sich die Bedeutung von Saulus zu stark derjenigen von Jesus anzugleichen. Umgekehrt kann allerdings auch der besser bezeugte, von Nestle-Aland 27. Aufl. als ursprünglich gehaltene Text, der schwieriger ist, ein Hör- oder Schreibfehler sein. So sind in der Apg nämlich mit den "Jüngern“ gewöhnlich Jesu Jünger gemeint und nicht Jünger einer anderen christlichen Persönlichkeit wie Saulus. Die Variante hat diesen Fehler vielleicht ausgemerzt, indem sie die ursprüngliche Fassung wieder herstellte.
Der dramatische Bericht von der Flucht des Saulus aus Damaskus entspricht in Grundzügen der Schilderung, die Paulus (= Saulus) selbst in 2 Kor 11,32-33 von den Ereignissen gibt, wobei jedoch Abweichungen festzustellen sind: Gemäß 2 Kor 11,32-33 wurde Paulus nicht von den Juden, sondern von dem Ethnarchen des Nabatäerkönigs Aretas IV. verfolgt. Gemäß Gal 1,17 hatte sich Paulus nach der Bekehrung eine Zeit lang in Arabien, also vermutlich im Nabatäerreich, aufgehalten, bevor er wieder nach Damaskus zurückkehrte. Möglicherweise hatte er sich bei diesem Aufenthalt Feinde gemacht, was zu der Verfolgung führte. Von einem Arabienaufenthalt weiß der Verfasser der Apg nichts: Dort wird die Verfolgung erzählerisch direkt mit der frühen Verkündigungszeit verbunden. Weil die atl. Messiasverheißung in erster Linie dem Volk Israel galt und sich Saulus wohl deswegen zunächst predigend an die Juden wandte, waren es gemäß der Apg die Juden, die zu den ersten Feinden des Saulus wurden. Es ist eher anzunehmen, dass die Schilderung des Paulus historisch richtig ist, weil er das Geschehen selbst erlebt hat. Dabei kann jedoch die Verfolgung seitens des Ethnarchen von den Juden veranlasst gewesen sein.
Die Verben "kathiêmi“ und "chalaô“ sind nicht bedeutungsgleich. Ersteres Verb bedeutet hier das Hinablassen im Sinne einer Ortsveränderung von oben nach unten. Letzteres Verb in Form eines Partizips in der Zeitform Aorist bezeichnet die Handlung an sich, die erforderlich war, damit Saulus überhaupt von oben nach unten gelangen konnte. Insofern ist es berechtigt, "kathiêmi“ mit "hinablassen“ und "chalaô“ mit "abseilen“ zu übersetzen.
Es wird nicht gesagt, durch welche Öffnung Saulus durch die Mauer − gemeint ist sicherlich die Stadtmauer − hinabgelassen wurde. Infrage kommen eigentlich nur zwei Öffnungen: ein Fenster (vgl. 2 Kor 11,33) und eine Öffnung zwischen zwei Zinnen.
"Spyris“ − in 2 Kor 11,33 ist von einer "sarganê“ die Rede - ist die Bezeichnung für einen kleinen, geflochtenen Korb. In diesem Fall muss er allerdings zumindest so groß gewesen sein, dass Saulus in ihm − wie knapp auch immer − Platz hatte. Der Korb dürfte eigentlich für den Transport von Lebensmitteln oder Gegenständen bestimmt gewesen und nur ausnahmsweise im Rahmen der Flucht zum Hinablassen eines (oder mehrerer) Menschen umfunktioniert worden sein.
Die Tore wurden Tag und Nacht gleichermaßen bewacht. Dass die Flucht im Korb nachts erfolgte, dürfte wohl damit zu erklären sein, dass nachts viele Menschen schliefen, also weniger Menschen die Flucht bemerken konnten, und dass nachts wegen der Dunkelheit das Herablassen des Korbes nicht so gut zu sehen war.
Weiterführende Literatur: E. A. Knauf 1997, 50-51 begründet das Fehlen eines Hinweises auf einen Missionsaufenthalt des Saulus in Arabien (vgl. Gal 1,17) damit, dass diesem keine bleibenden Erfolge, Gemeindegründungen etwa, beschieden gewesen seien.
Literaturübersicht
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Buitenwerf, Rieuwerd; Acts 9:1-25. Narrative Theology based on the Letters of Paul, in: R. Buitenwerf et al. [eds.], Jesus, Paul and Early Christianity, Leiden 2008, 61-88
Czachesz, István, Socio-rhetorical Exegesis of Acts 9:1-30, CV 37/1 (1995), 5-32
Harding, Mark; On the Historicity of Acts: Comparing Acts 9:23-25 with 2 Corinthians 11:32-33, NTS 39/4 (1993), 518-538
Knauf, Ernst Axel; Damaskus im Neuen Testament − Zwischen Arabien und Rom, WUB 2/1 (1997), 50-51
Townsend, John T.; Acts 9:1-29 and Early Church Tradition, SBL.SPS 27 (1988), 119-131