Apg 9,26-31
Übersetzung
Apg 9,26-31:26 In Jerusalem angekommen, versuchte er sich den Jüngern anzuschließen. Und alle fürchteten ihn, weil sie nicht glaubten, dass er ein Jünger sei. 27 Barnabas aber nahm sich seiner an und führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie er auf dem Wege den Herrn gesehen und dass er zu ihm geredet habe und wie er in Damaskus unerschrocken im Namen (des) Jesu aufgetreten sei. 28 Und er ging mit ihnen in Jerusalem ein und aus, trat unerschrocken im Namen des Herrn auf 29 und redete und diskutierte auch mit den Hellenisten. Die aber versuchten ihn umzubringen. 30 Als die Brüder es aber erfuhren, brachten sie ihn nach Cäsarea hinab und sandten ihn nach Tarsus. 31 So hatte nun die Kirche über ganz Judäa, Galiläa und Samarien hin Frieden und wurde erbaut und wandelte in der Furcht des Herrn; und unter dem Beistand des heiligen Geistes wuchs sie immer weiter.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: V. 26 knüpft an V. 23-25 an, wo davon die Rede ist, dass Saulus vor den Mordplänen der Juden in Damaskus fliehen musste.
Aus der Sicht des Saulus ist es nachvollziehbar, dass er sich in Jerusalem den Glaubensgenossen anschließen wollte. Diese schienen aber von seinem grundsätzlichen Wandel vom Christenverfolger zum Christen nichts mitbekommen zu haben, so dass sie sich vor ihm fürchteten.
V. 26 steht im Widerspruch zu Gal 1,17-18. Dort schreibt Paulus (= Saulus) nämlich, dass er sich erst in Damaskus, dann in Arabien und danach wieder in Damaskus aufgehalten habe. Erst "drei Jahre später“ sei er nach Damaskus gereist, wobei unklar ist, ob die drei Jahre vom Zeitpunkt des Offenbarungserlebnisses oder vom Zeitpunkt der Rückkehr nach Damaskus an zu rechnen sind. Von einer Verfolgung durch die Juden in Damaskus ist hier nicht die Rede. Apg 9,23-26 schildert dagegen einen anderen Verlauf der Dinge: Nach einem unbekannte Zeit, angesichts der Unwissenheit der Jerusalemer Jünger gewiss aber keine drei Jahre währenden Aufenthalt in Damaskus zog sich Saulus den Zorn der Juden zu, die ihn umzubringen suchten. Nach seiner Flucht aus Damaskus begab er sich sogleich nach Jerusalem. Dem Eigenbericht des Paulus ist im Hinblick auf die historischen Fakten mehr Glauben zu schenken, auch wenn seine Schilderung einer bestimmten Aussageabsicht folgt.
Weiterführende Literatur: J. T. Townsend 1988, 119-131 legt dar, dass gemeinhin angenommen werde, dass in Apg 9,1-29 von denselben Ereignissen die Rede sei, die Paulus selbst in Gal 1,11-20 zur Sprache bringe. Die Widersprüche müssten nicht unbedingt geglättet werden, sondern könnten auch −angesichts der vermutlich größeren historischen Zuverlässigkeit des paulinischen Selbstberichtes − auf Fehler seitens der Apg zurückgeführt werden. Von dieser These ausgehend untersucht J. T. Townsend die Apg und die ihr zugrunde liegende Tradition. Fazit: In Apg 9,1-29 habe der Verfasser der Apg wohl korrekte, aber rudimentäre Informationen ausgeschmückt. Ein Teil dieser Ausschmückungen stamme wohl von dem Verfasser der Apg selbst. Angesichts der Beobachtung, dass sich in dem Bericht der Apg Inhalte finden, die Paulus leugnet, sei wahrscheinlich, dass der andere Teil der Ausschmückungen auf diejenigen Personen zurückgeht, gegen die sich Paulus in seinen Briefen wendet.
I. Czachesz 1995, 5-32 wendet V. Robbins' sozial-rhetorische Exegese auf Apg 9,1-30 an.
D. Marguerat 1995, 127-155 geht den Fragen "Warum drei Berichte von Paulus' Bekehrung (Apg 9; 22; 26) und warum solch große Unterschiede zwischen den Berichten?“ unter erzählkritischen Gesichtspunkten nach. Fazit: Der Bericht variiere, je nachdem, wer berichtet − der Erzähler oder Paulus − und welches die Aussageabsicht ist. Wichtig sei auch die Frage nach der Funktion innerhalb der Gesamtkomposition der Apg. Apg 9,1-30 stelle Saulus' (= Paulus') Bekehrung als machtvolles Werk Christi dar. Dabei verwandele Christus zwar seinen eigenen Feind, müsse jedoch seine eigene Kirche erst zur Annahme der Akzeptanz von dessen neuer Identität bringen. Schließlich werde Paulus zum Werkzeug von Christi weltweiter Mission. Apg 22 stelle das Judesein des Paulus heraus und Apg 26 mache deutlich, wie die Bekehrung unter den Heiden legitimiert wird.
Auch B. R. Gaventa 1986, 52-95 geht davon aus, dass die Unterschiede zwischen den drei Bekehrungsberichten mit den verschiedenen narrativen Kontexten zu erklären seien. Grundlage sei jedoch ein und dieselbe Tradition. Apg 9 stelle Paulus als Feind der Kirche, der Christ werde, dar. In Apg 22 stelle sich Paulus nach seiner Festnahme in einer ersten Verteidigungsrede als loyaler Jude dar, der vom "Gott der Väter“ aufgefordert worden sei, allen Völkern Zeugnis abzulegen. In der letzten Verteidigungsrede Apg 26 schließlich stelle sich Paulus als Opfer innerjüdischer Auseinandersetzungen dar.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Der Christ Barnabas hieß gemäß Apg 4,36 eigentlich Josef. "Barnabas“ − "Sohn des Trostes“ - wurde er von den Aposteln genannt. Er war ein Levit, gebürtiger Zypriot. Warum gerade er sich Saulus annahm, bleibt offen. Möglicherweise hatte er bei den Aposteln ein besonders gutes Ansehen.
Wenn Barnabas in Jerusalem Saulus zu den Aposteln führte, so lässt dies annehmen, dass Saulus diese auch sah
Aus Apg 9,27 lässt sich nicht entnehmen, welche Apostel Saulus in Jerusalem sah. Die allgemeine Formulierung "die Apostel“ lässt keine Einschränkung zu. Folglich muss man gemäß Apg 9,27 davon ausgehen, dass Saulus in Damaskus alle Apostel sah. Dies widerspricht jedoch Gal 1,18-19, wonach Paulus (= Saulus) nur Kephas und Jakobus, den Bruder des "Herrn', sah. Waren nur Kephas (= Petrus) und Jakobus bei der Ankunft des Saulus in Jerusalem anwesend? Oder bezieht sich die Notiz nur auf einen engeren, privaten Kontakt, zu dem die Begegnung Apg 9,27 nicht gehört? Bezieht man den Begriff "Apostel“ nur auf den Kreis der Zwölf, so ist gemäß Gal 1,18-19 Kephas der einzige Apostel, den Saulus in Jerusalem sah. Steht Kephas für alle Apostel; hat also alle Apostel gesehen, wer Kephas gesehen hat?
Gemäß 9,20 hat Saulus in Damaskus in den Synagogen Jesus gepredigt. Folglich umfasst das griechische Verb "parrêsiazomai“ ("unerschrocken/freimütig auftreten/reden“) mindestens in V. 27 − vermutlich aber auch in V. 28 − das Predigen. Dieses geschah nicht willkürlich, sondern "im Namen (des) Jesu“.
Fraglich ist, wer das, was sich nahe bei und in Damaskus zugetragen hat, erzählte. Weil kein Subjektwechsel ersichtlich ist, ist anzunehmen, dass der als Handelnder erscheinende Barnabas das Subjekt zu "erzählte“ ist. Allerdings wird Barnabas nicht ausdrücklich als Erzählender genannt. Folglich kann auch Saulus Erzählender sein. Nimmt man einen Subjektwechsel an, so muss die Übersetzung genau genommen "und er (= Saulus) erzählte ihnen“ lauten. Diese grammatisch unwahrscheinlichere Deutung würde erklären, woher die erzählende Person überhaupt das Wissen über die Ereignisse hat: Saulus hat die Begebenheiten selbst erlebt. Woher aber sollte Barnabas sein Wissen von den Begebenheiten haben? Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist, dass er sich mit Saulus unterhalten und von diesem die Informationen erhalten hat. Er kann die Informationen auch von Dritten bekommen haben. Inwiefern er mit den Begebenheiten in Damaskus vor Ort in Berührung gekommen ist, muss offen bleiben, weil ein Aufenthalt des Barnabas in Damaskus nicht zur Sprache kommt. Sicher ist, dass er als Christ kein Begleiter des Christenverfolgers Saulus war und somit die Erscheinung Christi nicht selbst miterlebt hat.
Weiterführende Literatur: S. R. Bechtler 1987, 53-77 untersucht exegetisch die lukanischen Berichte von der Berufung und Beauftragung des Paulus innerhalb der Erzählung Lk-Apg, um deren Funktion innerhalb dieser Erzählung und deren Bedeutung und Wichtigkeit für Lukas aufzudecken.
R. Trevijano Etcheverría 1997, 295-339 legt dar, dass Apg 9,26-30 auf den authentisch paulinischen Informationen über den ersten Besuch in Jerusalem Gal 1,18-19.21 gründe. Den zweiten, in Gal 2,1-10 thematisierten Besuch in Jerusalem, der die Beschneidungsfrage zum Inhalt gehabe habe, teilten Apg 11,27-30; 12,25 und 15 in zwei (oder sogar drei) Reisen auf. Sei in Gal 2,1-10 von der privaten Vorlage des Evangeliums und von der Übereinkunft mit den Jerusalemer Gemeindeleitern die Rede, so habe bei Lukas eine Reise die Übergabe der antiochenischen Kollekte und die andere Reise die Anerkennung der paulinischen Mission durch eine Apostelversammlung zum Thema. Dabei füge Lukas das "apostolische Dekret“ ein, zu dem es jedoch erst nach dem "antiochenischen Zwischenfall“ (Gal 2,11-14) komme. Die Heidenmission des Petrus (Apg 10,1-11.18; 15,7-9) und die erste Missionsreise des Barnabas und Paulus (Apg 13-14) seien zeitlich nach der Übereinkunft von Jerusalem anzusetzen.
M. Diefenbach 2006, 409-418 geht der Frage nach, was "Jesus erschien Paulus“ bedeutet. Er stellt eine Steigerung der Darstellung des so genannten Damaskusereignisses in der Apg fest. Obwohl der Verfasser der Apg aus einer ganz anderen zeitlichen und theologischen Perspektive auf Paulus zurückblicke, komme er ihm in vielem überraschend nahe. Obwohl die Damaskuserscheinung für diesen Verfasser keine Ostererscheinung sei, überrage sie doch in unvergleichlicher Weise alles, was in der Apg sonst noch an Visionen und Offenbarungen erzählt wird. Obwohl Paulus nach der Auffassung des Verfassers der Apg kein Apostel sei, würden die Größe seiner Berufung und die Vorbildlichkeit seines missionarischen Wirkens so meisterhaft geschildert, dass er als "Zeuge“ am Ende doch fast auf derselben Stufe wie die Apostel stehe. Die Missionstätigkeit des Paulus sei nach Apg 26 eine von Gott selbst gewollte, so auch der Standpunkt des Paulus im Galaterbrief.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Die Gemeinschaft des Saulus mit den Aposteln wird analog zur Gemeinschaft der Zwölf mit dem auferstandenen Jesus beschrieben (vgl. 1,21). Das gemeinsame Ein- und Ausgehen ist wohl als Zeichen der Eintracht und gemeinsamen Aktivitäten zu verstehen.
Die Formulierung "eisporeuomenos kai ekporeuomenos eis Iêrousalêm“ ist wörtlich mit "ein- und ausgehend in Jerusalem hinein“ zu übersetzen. Gemäß dieser wörtlichen Übersetzung hat Saulus gemeinsam mit den Aposteln Jerusalem verlassen und ist mit ihnen wieder nach Jerusalem zurückgekehrt. Demnach haben sich die gemeinsamen Aktivitäten außerhalb von Jerusalem abgespielt, und zwar wahrscheinlich im Jerusalemer Umland, das zu Judäa gehörte. Eine solche Deutung widerspricht aber Gal 1,22, wo Paulus (= Saulus) schreibt, dass ihm die Gemeinden Judäas unbekannt geblieben seien. Wahrscheinlicher ist also, dass die Präposition "eis“ ("in…hinein“) im Sinne von "en“ ("in“) zu verstehen ist. Gemäß dieser Deutung ist Saulus mit den Aposteln innerhalb Jerusalems ein- und ausgegangen, und zwar in die Häuser hinein und aus der Häusern heraus. Erst das Verlassen der Häuser, in denen sich das Private abspielte, ermöglichte das öffentliche Wirken.
Gleich wie in Damaskus trat Saulus auch in Jerusalem unerschrocken im Namen des "Herrn“ öffentlich auf, wobei dieses Auftreten Reden umfasste. Neben Streitgesprächen dürfte das Reden wie in Damaskus auch das Predigen umfasst haben.
Mit dem "Herrn“ dürfte in V. 28 Jesus gemeint sein, denn in V. 27 ist statt von "im Namen des Herrn“ von "im Namen (des) Jesu“ die Rede.
Weiterführende Literatur:
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Aus V. 29 lässt sich zweifellos erschließen, dass Saulus Streitgespräche führte, wobei als Gesprächspartner ausdrücklich die "Hellenisten“ genannt werden.
Die "Hellenisten“ sind Menschen aus dem griechischen Sprach- und/oder Kulturraum. Dabei schreibt der Verfasser der Apg nicht, welcher Religion diese Menschen angehören. Es kann sich also um Heiden, Juden oder Christen handeln. In 6,1 ist ebenfalls von "Hellenisten“ die Rede. Dort ist davon die Rede, dass zur Zeit des Wachsens der Zahl der Jünger (Jesu) ein Streit zwischen "Hellenisten“ und "Hebräern“ entstand, weil erstere ihre Witwen nicht ausreichend versorgt sahen. Die vorausgehende Rede von "Jüngern“ lässt annehmen, dass es sich um einen Streit unter Christen handelte. Die "Hellenisten“ sind wohl als (Juden-)Christen des griechischen Sprach- und/oder Kulturraums zu identifizieren, die "Hebräer“ als (Juden-)Christen des hebräischen Sprach- und/oder Kulturraums. In 9,29 kommt allerdings eine Deutung der "Hellenisten“ als (Juden-)Christen nicht infrage, denn das Reden des Saulus ist eindeutig missionarischer Art: die Zuhörer und Gesprächspartner sollen Jesus als Christus (= Messias; Gesalbter) anerkennen. Die "Hellenisten“ sträuben sich dagegen aber und reagieren wie die Juden (vgl. 9,23) mit Mordgelüsten. Die Parallele zum Verhalten der Juden und die Parallele zum Streitgespräch des Stephanus mit Juden verschiedener Herkunft (vgl. 6,9) sowie das jüdische Umfeld in Jerusalem legen nahe, dass es sich bei den "Hellenisten“ um Juden aus dem griechischen Sprach- und/oder Kulturraum handelt. Dass der Verfasser der Apg das Reden und Diskutieren des Saulus mit den "Hellenisten“ eigens erwähnt, mag damit zu begründen sein, dass Saulus selbst ein "Hellenist“ ist, allerdings ein christusgläubiger. Angesichts dieser Ähnlichkeit ist die gewalttätige Reaktion der Gesprächspartner besonders erwähnenswert.
Inwieweit schon die Diskussion − vielleicht als förmliche Disputation zu verstehen − ein Streitgespräch im wahrsten Sinne des Wortes ist, bleibt offen. Zunehmende unterschwellige oder offene Aggression der Gesprächspartner des Saulus ist wahrscheinlich.
Wie schon bei den Juden in Damaskus (vgl. 9,22-24) führte die argumentative Unterlegenheit der Hörer der Argumentation nicht dazu, dass sich diese überzeugen ließen, sondern sie beharrten auf ihrem alten Standpunkt. Damit sie nicht weiter argumentativ in Bedrängnis gebracht wurden und sich schließlich doch noch überzeugen ließen, versuchten (Imperfekt: dauerhaftes Vorhaben) sie den argumentativen Sieger umzubringen. Argumente wichen also der Gewalt.
Weiterführende Literatur: M. Zugmann 2009, 295-406 befasst sich mit dem theologischen Profil der "Hellenisten“ in Apg 6,1 und 9,29. Zu 9,29: Als jüdische "Hellenisten“ seien zwar im weiteren Sinn alle griechischsprachigen Juden in Diaspora und Palästina zu verstehen. Im Kontext von 9,29 (in Verbindung mit 2,5; 6,9) seien mit den jüdischen Hellenisten aber vor allem jene griechischsprachigen Juden gemeint, die um des Tempels, des Gesetzes und der Heiligkeit des Landes willen aus der Diaspora nach Jerusalem zugewandert waren, sich hier niedergelassen hatten und in landsmannschaftlichen Synagogen organisiert waren. Diese jüdischen Hellenisten, die "Rückwanderer“ aus der Diaspora, dürften in der Regel nicht, wie es die Auffassung der Tübinger Schule gewesen sei, eine liberale Einstellung gegenüber Gesetz und Tempel gehabt haben, im Gegenteil: ihnen habe besonders viel an diesen zentralen Instanzen des jüdischen Glaubens gelegen. Vgl. E. Larsson 1987, 220-223, der unterstreicht: Der hellenistische Hintergrund garantiere keineswegs, dass die christlichen Diasporajuden eine freiere Auffassung von Israels heiliger Tradition, mit dem Tempel und dem Gesetz als vornehmsten Exponenten, gehabt haben. Die Entfernung zum Tempel und die Unmöglichkeit einer genuinen Gesetzesbeachtung in fremder Umgebung habe offenbar bei vielen Diasporajuden eine Liebe zu den Institutionen des Heimatlands geschaffen, die die Hingabe ihrer zuhause gebliebenen Landsleute weit überstieg.
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Tarsus war eine wichtige Handelsstadt in Kilikien, aus der Saulus stammte (vgl. Apg 9,11; 21,39; 22,3). Ob dies der Grund dafür war, dass Saulus dorthin gesandt wurde, ist fraglich, denn der Grund wird nicht genannt. Tarsus als Reiseziel passt in etwa zur Angabe Gal 1,21, wo Paulus (= Saulus) von sich schreibt, dass er von Jerusalem in die Gebiete von Syrien und Kilikien gegangen ist. Allerdings lässt diese Notiz annehmen, dass Saulus zunächst nach Syrien und erst danach nach Kilikien gereist ist. Außerdem lässt sich ihr keine Fluchtsituation entnehmen; vielmehr lässt sie auf einen freiwilligen Ortswechsel schließen. In Apg 9,30 erscheint dagegen der Ortswechsel als Abschluss der Verfolgung durch die Juden und Hellenisten in der Anfangszeit der Verkündigung: Saulus ist seinen Verfolgern entkommen.
Saulus wird von den "Brüdern“ − gemeint sind hier Glaubensbrüder − insofern herabgebracht, als der Weg vom erhöht im Bergland Judäas gelegenen Jerusalem zum in der Küstenebene gelegenen Cäsarea führte.
Das am Mittelmeer gelegene Cäsarea war Hauptstadt der römischen Provinz Judäa und zugleich wichtigster Hafen. Weil Cäsarea nur als Durchgangsort ohne erwähnenswerte Begebenheiten erscheint, ist anzunehmen, dass Saulus nur hierher gebracht wurde, weil er von hier mit dem Schiff weiter nach Tarsus geschickt werden konnte.
Weiterführende Literatur:
( Nach oben ) ( Literaturübersicht )
Beobachtungen: Mit der Abreise des früheren Verfolgers und jetzigen Verfolgten, Saulus, beruhigt sich die Lage. Die Beruhigung führt dazu, dass sich die Kirche festigt, kräftigt und ausbreitet. Welche Faktoren neben der Abreise des Saulus zu dieser Entwicklung geführt haben, bleibt offen.
In V. 31 bezeichnet der Begriff "ekklêsia“ die gesamte Kirche, nicht die einzelne Gemeinde. Verschiedene Textzeugen bieten jedoch den Plural "ekklêsiai“, haben also die Vielzahl von Gemeinden, aus denen die Gesamtkirche besteht, im Blick.
Die Präposition "kata“ bedeutet hier "über…hin“. Angegeben wird also die Fläche, über die hinweg die Kirche Frieden hatte. Diese Fläche umfasste die Gebiete Judäa, Galiläa und Samarien, also das Wohngebiet des Volkes Israel.
Der Gemeindeaufbau in Judäa, Galiläa und Samarien stellte einen Meilenstein auf dem Wege der Ausbreitung des Christentums dar, die gemäß 1,8 von Jerusalem über ganz Judäa und Samarien bis an das Ende der Erde erfolgte.
Bis 9,31 ist Galiläa nicht als Missionsgebiet erschienen. Vermutlich gab es in diesem Gebiet aufgrund des Wirkens Jesu seit jeher Anhänger Jesu, die sich zu Gemeinden zusammenschließen konnten. Ob darüber hinaus missionarische Aktivitäten von Jerusalem und/oder Judäa ausgingen, ist unklar. Dass Galiläa in der Missionsgeschichte der Apg keine besondere Rolle spielt, mag damit zusammenhängen, dass in diesem Gebiet die Zahl der Christen trotz des Wirkens Jesu gering war.
Mit dem "Frieden“ ("eirênê“) ist sicherlich zunächst einmal die Ruhe vor Verfolgung gemeint. Darüber hinaus klingt aber auch das Wohlergehen an, das unmittelbar folgend geschildert wird.
Das Verb "oikodomeomai“ ("auferbaut werden“) enthält zum einen den Aspekt der inneren Festigung, zum anderen den Aspekt des Wachstums bezüglich der Zahl der Gemeindeglieder. Die innere Festigung kann die Einheit, das geistliche Leben und/oder die Gemeindeorganisation betreffen.
Mit dem Wandel in der Furcht des "Herrn“ dürfte ein Lebenswandel im Lichte des Gerichtes Gottes/Christi gemeint sein. Die "Furcht“ stellt dabei weniger Angst als Ehrfurcht dar. Angst muss nur derjenige haben, der sein Leben nicht so gestaltet, dass er von dem Gericht Gottes/Christi bestehen kann.
Der griechische Begriff "paraklêsis“ kann "Trost“, "Ermahnung“ oder "Beistand“ bedeuten, wobei der "Beistand“ wohl die beiden Aspekte des Trostes und der Ermahnung enthält. Der heilige Geist erscheint als eine Kraft, die durch Trost und Ermutigung sowie durch Ermahnung die Kirche auf dem rechten Wege hielt. Aufgrund des Fehlens von Verfolgungen durch Nicht-Christen und von innergemeindlichen Verfehlungen und Streitigkeiten wuchs die Kirche beständig weiter.
Weiterführende Literatur: Laut K. N. Giles 1985, 135-142 benutze Lukas den Begriff "ekklêsia“ durchgehend im Sinne von "(einzelne) Gemeinde“, nicht im Sinne von "(gesamte) Kirche“. Es stelle sich die Frage, ob Apg 9,31 und 20,28 von dieser Grundregel abweichen. K. N. Giles verneint dies. So sei bezüglich 9,31 zu beachten, dass der Plural "ekklêsiai“ der Variante gut bezeugt ist und der Singular mehr Probleme aufwerfe als löse. Zudem gebe es variierende Lesarten, die Verben und Partizipien im Plural bieten. Es könne daher also durchaus von einer Mehrzahl Gemeinden die Rede sein. Gehe man dagegen von der Ursprünglichkeit des Singulars "ekklêsia“ aus und verbinde diesen mit den Verben und Partizipien im Plural, dann sei eine konkrete Gemeinde im Blick, nämlich die Jerusalemer Gemeinde. Der Plural der Verben und Partizipien verweise auf die Zerstreuung der vielen Mitglieder dieser einen Gemeinde in Judäa, Galiläa und Samarien (vgl. 8,1). 20,28 könne nicht als Ausnahme vom typischen lukanischen Gebrauch des Begriffs "ekklêsia“ herangezogen werden, weil sich dieser Vers in einer paulinischen Rede finde. Selbst wenn Paulus die Worte so nicht gesagt hat, so könnte er sie durchaus so gesagt haben. Die Ekklesiologie und Soteriologie von 20,28 entsprächen also derjenigen von Paulus und seien nicht als lukanisch zu betrachten.
Laut H. Zeigan 2006, 65-78 hätten die Wachstumsnotizen der Apg (2,47b; 5,14-16; 6,7; 9,31; 11,21-24; 12,24; 13,49; 16,5; 19,20; 28,30-31) eine wichtige gliedernde Funktion und machten deutlich, dass es sich bei der Apg um eine Wachstumsgeschichte handelt. Die Gliederung sei wie folgt: 1,1-3: Prolog; 1,4-6,6: Die Jerusalemer Urgemeinde (1,4-2,47a: Der Geist in der Gemeinde; 2,47b: Wachstum der Jerusalemer Gemeinde; 3,1-5,13: Auftreten der Gemeinde; 5,14-16: Wachstum der Jerusalemer Gemeinde und ihrer Taten; 5,17-6,6: Probleme der jungen Gemeinde); 6,7: "Das Wort wuchs“; 6,8-12,23: Die Mission (6,8-9,30: Die Mission der Hellenisten außerhalb Jerusalems; 9,31: Wachstum der Gemeinde in Judäa, Galiläa, Samaria; 9,32-11,20: Die Heidenmission; 11,21-24: Wachstum der Gemeinde Antiochias; 11,25-12,23: Antiochia und Jerusalem); 12,24: "Das Wort wuchs“; 13,1-48: Die systematische Heidenmission; 13,49: "Das Wort wuchs / verbreitete sich“; 13,50-19,19: Systematische Heidenmission in weitem Umkreis (13,50-16,4: Probleme der Heidenmission; 16,5: Wachstum der heidenchristlichen Gemeinden; 16,6-19,19: Ausbreitung der Mission); 19,20: "Das Wort wuchs“; 19,21-28,29: Der Weg zum Ziel; 28,30-31: Das Wort ist am Ziel.
H. A. Brehm 1990/91, 29-40 befasst sich mit der Bedeutung der summarischen Erzählungen (2,42-47; 4,32-35; 5,12-16) und Aussagen (6,7; 9,31; 12,24; 16,5; 19,20) in der Apg. Zu den summarischen Aussagen: Mittels der stets wiederkehrenden Formel "das Wort wuchs“ und der Platzierung der summarischen Aussagen an Stellen, die einen Übergang markieren, würden die zunehmende Verbreitung des Evangeliums und das Wachstum der Gemeinden zum Ausdruck gebracht.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Bechtler, Steven Richard; The Meaning of Paul’s Call and Commissioning in Luke’s Story: An Exegetical Story of Acts 9, 22, and 26, SBT 15/1 (1987), 53-77
Czachesz, István, Socio-rhetorical Exegesis of Acts 9:1-30, CV 37/1 (1995), 5-32
Brehm, H. Alan; The Significance of Summaries for Interpreting Acts, SWJT 33/1 (1990/91), 29-40
Diefenbach, Manfred; Das "Sehen des Herrn“ vor Damaskus: Semantischer Zugang zu Apg 9, 22 und 26, NTS 52/3 (2006), 409-418
Gaventa, Beverly Roberts; From Darkness to Light: Aspects of Conversion in the New Testament (Overtures to Biblical Theology 20), Philadelphia, Pennsylvania 1986
Giles, K. N.; Luke’s Use of the Term “EKKLÊSIA” with Special Reference to Acts 20.28 and 9.31, NTS 31/1 (1985), 135-142
Larsson, Edvin; Die Hellenisten und die Urgemeinde, NTS 33 (1987), 205-225
Marguerat, Daniel; Saul’s Conversion (Acts 9,22,26) and the Multiplication of Narrative in Acts, in: C. M. Tuckett [ed.], Luke’s Literary Achievement (JSNTS 116), Sheffield 1995, 127-155
Townsend, John T.; Acts 9:1-29 and Early Church Tradition, SBL.SPS 27 (1988), 119-131
Trevijano Etcheverría, Ramón; El contrapunto lucano (Hch 9,26-30; 12,25 y 15,1-35) a Gal 1,18-20 y 2,1-10, Salm. 44/3 (1997), 295-339
Zeigan, Holger; Die Wachstumsnotizen der Acta. Ein Vorschlag zur Gliederung des lukanischen Werks, BN NF 131 (2006), 65-78
Zugmann, Michael; "Hellenisten“ in der Apostelgeschichte (WUNT II/264), Tübingen 2009