Apg 15,1-5
Übersetzung
Apg 15,1-5:1 Da kamen einige von Judäa herab und lehrten die Brüder: "Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach dem Brauch des Mose, könnt ihr nicht gerettet werden.“ 2 Als nun Zwietracht entstand und Paulus und Barnabas einen nicht geringen Wortwechsel mit ihnen hatten, ordnete man an, dass Paulus, Barnabas und einige andere von ihnen zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem wegen dieser Streitfrage hinaufgehen sollten. 3 Diejenigen nun, die von der Gemeinde fortgeleitet worden waren, zogen durch Phönizien und Samarien, berichteten von der Bekehrung der Heiden und machten [damit] allen Brüdern eine große Freude. 4 In Jerusalem angekommen, wurden sie von der Gemeinde, den Aposteln und den Ältesten empfangen [und] berichteten, was alles (der) Gott mit ihnen getan hatte. 5 Da erhoben sich einige von der Partei der Pharisäer, die zum Glauben gekommen waren, und sagten, man müsse sie beschneiden und [ihnen] gebieten, das Gesetz des Mose zu halten.
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Beobachtungen: 15,1-5 schließt an die Rückkehr der beiden Missionare Paulus und Barnabas von ihrer ersten Missionsreise (13,1-14,28) an. Paulus und Barnabas waren nach Antiochia am Orontes zurückgekehrt, von wo aus sie ihre Reise auch gestartet hatten. Bei den antiochenischen Jüngern (= Gemeindegliedern) hielten sie sich nach ihrer Rückkehr nicht geringe Zeit auf (vgl. 14,28). Folglich müssen die Personen, die von Judäa herabkamen, nach Antiochia herabgekommen sein.
Über die Personen ("einige“), die von Judäa nach Antiochia herabkamen, wird nichts ausgesagt. Nur ihre Forderung, dass sich alle Christen beschneiden lassen müssten, wird genannt. Somit bleibt auch offen, was der Beweggrund für das Kommen war. Handelte es sich um Gäste von antiochenischen Gemeindegliedern? Oder um Durchreisende, die gastfreundlich aufgenommen worden waren? Oder um Gesandte einer Gemeinde − derjenigen in Jerusalem? -, die mit der Aufgabe der Lehre oder der Gemeindevisitation betraut waren?
"Von Judäa“ ist eine vage Herkunftsbezeichnung, die das Land Judäa wie auch dessen Hauptstadt Jerusalem einschließt. Die Personen aus Judäa können also aus dem Kreis oder Umfeld der Apostel und Ältesten in Jerusalem gekommen sein, müssen es aber nicht. Dass dies der Fall war, kann nur aus 15,24 geschlossen werden. Dass in V. 1 ein Hinweis auf eine solche Herkunft fehlt, mag damit zusammenhängen, dass hier nicht die genaue Herkunft im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern die Forderung, die der beschneidungslosen Heidenmission entgegen steht. Die Formulierung "von Judäa“ mag darauf verweisen, dass die Forderung typisch judenchristlich war. Außerdem sollen die von Judäa Gekommenen möglicherweise nicht wie eine Gesandtschaft der Jerusalemer Gemeinde erscheinen. Andernfalls würde sich der Eindruck aufdrängen, dass die Apostel und Ältesten auf der Seite der Gesandten waren, wobei sie durch eine solche Parteilichkeit als Schlichter disqualifiziert worden wären.
Eine Textvariante geht davon aus, dass die aus Judäa gekommenen Personen zum Glauben (an Jesus Christus) gekommene Pharisäer waren. Dabei dürfte es sich jedoch um eine nachträgliche Anpassung an V. 5 handeln.
Das Verb "herabkommen“ ("katerchomai“) macht einen Höhenunterschied deutlich. Judäa war ein großenteils bergiges Gebiet, das höher als Antiochia am Orontes lag. Folglich musste herabkommen, wer von Judäa nach Antiochia kommen wollte. Ein Bezug auf das besonders angesehene und insofern "hohe“ Jerusalem liegt hier wohl nicht vor, denn von Jerusalem ist hier ja nicht ausdrücklich die Rede.
Die "Brüder“ waren sicherlich keine leiblichen Brüder, sondern Glaubensbrüder. Eine Eingrenzung auf ganz bestimmte Christusgläubige ist nicht zu erkennen, weshalb die Bezeichnung "Brüder“ auf alle Christen zu beziehen ist, die sich zum Zeitpunkt der Äußerung der Forderung in Antiochia aufhielten. Dabei ist zu bedenken, dass die Forderung grundsätzlicher Art war und sich damit auf alle Christen auch anderer Gemeinden bezog.
Die Forderung der Beschneidung ließ diese heilsnotwendig erscheinen: ohne Beschneidung keine Rettung! Dabei ist jedoch nicht gesagt, was mit "Rettung“ gemeint ist. Geht man davon aus, dass der Begriff im Rahmen der auch von Paulus und Barnabas gepredigten Heilstheologie zu verstehen ist (vgl. 13,16-41), dann dürfte an die Rettung vor dem leiblichen und existenziellen Tod durch die Sündenvergebung, Auferstehung von den Toten und das ewige Leben gedacht sein. Darüber hinausgehend kann die "Rettung“ aber auch weiter gefasst sein und alle Wohltaten umfassen, die Gott seinem Volk zukommen lässt.
Da die Kirche als Heilsgemeinschaft verstanden wurde, bedeutete die Lehre, dass nur Beschnittene in die Kirche aufgenommen werden sollten. Somit stand die Forderung zwar nicht der Heidenmission an sich entgegen, jedoch der Heidenmission, die nicht die Beschneidung als Voraussetzung für die Taufe gefordert hatte.
Die Verbform "peritmêthête“ (Aorist Konjunktiv Passiv) ist genau genommen mit "wenn ihr nicht beschnitten worden seid“ zu übersetzen. Da sich die Lehre, wonach die Beschneidung heilsnotwendig ist, in erster Linie an die unbeschnittenen Christen richtet, ist die sinngemäße Übersetzung "wenn ihr euch nicht beschneiden lasst“ hier passender. Wären alle antiochenischen Christen beschnitten gewesen, dann wäre die Lehre nicht geäußert oder zumindest nicht so in den Mittelpunkt gestellt worden. 15,1 setzt die Heidenmission in Antiochia, wie sie gemäß 11,20-21 erfolgt ist, voraus.
Unter "Beschneidung“ ist die vollständige oder teilweise operative Entfernung der Vorhaut zu verstehen, die die Eichel des Penis bedeckt. Die Beschneidung galt als äußeres Zeichen des Bundes des Gottes JHWH mit seinem Volk Israel (vgl. Gen 17,10-11). Sie war also die Grundvoraussetzung für die Zugehörigkeit (eines Jungen oder Mannes) zum Volk Gottes und hatte bei neugeborenen Jungen am achten Tag nach der Geburt zu erfolgen (vgl. Gen 17,12; 21,4). Weil das biblische Buch Genesis traditionell auf Mose zurückgeführt wurde und bis heute auch als "erstes Buch Mose“ bezeichnet wird, wird die Beschneidung auf den "Brauch des Mose“ zurückgeführt.
Der westliche Text gleicht V. 1 und V. 5 an und liest "Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst und nach dem Brauch des Mose wandelt“ statt "Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach dem Brauch des Mose“. Es wird also von vornherein klargestellt, dass die von Judäa Gekommenen, die der westliche Text in V. 5 (einige Textzeugen auch schon in V. 1) mit den Pharisäern identifiziert, auch das Halten der Satzungen und Gebote forderten.
Weiterführende Literatur: Eine literarische Analyse von Apg 14,27-15,35 bietet A. T. M. Cheung 1993, 137-154. Der Bericht über die Jerusalemer Apostelversammlung habe in 14,27-28, nicht in 15,1, seinen Ausgangspunkt. Lukas versuche auch die kritischen Leser davon zu überzeugen, dass zwischen den juden- und heidenchristlichen Gemeinden Harmonie geherrscht habe. Dazu betone er die untergeordnete Rolle der antiochenischen Gemeinde und des Paulus bei der Jerusalemer Apostelversammlung. A. T. M. Cheung sieht 14,27-15,35 als eine wohlkomponierte Einheit an, nicht als einen aus verschiedenen Quellen aufs Geratewohl zusammengesetzten Flickenteppich. Dabei schlössen literarische Kunstfertigkeit und historische Zuverlässigkeit des Berichteten einander nicht aus.
Mit 15,1-34 befasst sich A. Weiser 1984, 145-167, der auf Aufbau, Form, Historizität, Überlieferungsgrundlage und redaktionelle Komposition, inhaltliche Schwerpunkte der lukanischen Gestaltung und Anregungen aus der lukanischen Darstellung für die Kirche heute eingeht. A. Weiser hält den Abschnitt in formaler Hinsicht für eine geschlossene und ausgewogene Texteinheit. Die Darstellung des Verhandlungsverlaufs und des Ergebnisses (V. 7-29) stamme ganz von Lukas. Er habe sie aber nicht völlig frei gestaltet, sondern dabei auch Elemente aus verschiedenen Überlieferungen aufgenommen und sie miteinander zu einer Einheit verwoben.
Von der verbreiteten Annahme ausgehend, dass sich sowohl Apg 15,1-29 als auch Gal 2,1-21 mit der Frage nach dem "Heil allein durch den Glauben an Christus“ befassten, zeigt M. Conti 2002, 235-256 zunächst den historischen und dogmatischen Zusammenhang der beiden Texte auf. Dann untersucht er die Beziehung zwischen der Rückkehr des Johannes Markus nach Jerusalem (vgl. 13,13) und der Reise "einiger“ nach Jerusalem (vgl. 15,1) sowie der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas wegen des Johannes Markus (vgl. 15,37-39). Es folgt eine synoptische Zusammenschau von Apg 15,1-29 und Gal 1,1-21. M. Conti merkt an, dass in Apg 15,1-12 die Streitfrage hinsichtlich Beschneidung und christlicher Freiheit im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt werde, in Gal 2,1-10 dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Sei im Hinblick auf die Beschneidung auch volle Übereinstimmung erzielt worden, so sei dies im Hinblick auf Streitfrage bezüglich des Verhältnisses von Gesetz und christlicher Freiheit nicht der Fall gewesen. Auch diese Streitfrage werde von der Apg (15,13-21) im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt, in Gal (2,11-21) dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Der Bericht der Apg entspreche nicht der Realität, sondern sei literarisches Werk des Lukas. Er vereinige zwei zeitverschieden diskutierte Streitfragen in ein und demselben Rahmen, nämlich der Jerusalemer Apostelversammlung. Das "Apostolische Dekret“, das in der Apg zur Sprache komme, fordere nicht mehr als die Einhaltung der Bestimmungen von Lev 17-18. Bei allen Menschen hänge das Heil allein von der Gnade des "Herrn“ Jesus ab. Dabei müsse kein Nichtjude zum Juden werden, um ein Christ werden zu können, sondern der Glaube werde auf Grundlage der eigenen Kultur angenommen.
Mit den Entscheidungen der Jerusalemer Versammlung (Apg 15,1-41) befasst sich R. Neuberth 2001, 147-235, wobei er zunächst eine synchrone und danach eine diachrone Analyse bietet.
M. Rothgangel 2001, 237-246 legt dar, dass in Apg 15 nur die V. 1-4 (12b) vom so genannten Jerusalemer Apostelkonvent geprägt seien und im Wesentlichen ab Apg 15,5ff. der Antiochiazwischenfall und seine Lösung die Überlieferungsgrundlage von Apg 15 bildeten.
H. Ponsot 2002, 556-586 geht − im Gegensatz zu zahlreichen anderen Auslegern − nicht davon aus, dass es sich bei der in der Apg berichteten Apostelversammlung in Jerusalem um eine einzige Versammlung gehandelt hat. Vielmehr sei von zwei verschiedenen Versammlungen auszugehen, die zwar beide in Jerusalem stattgefunden haben, jedoch in einem mehrjährigen zeitlichen Abstand und mit verschiedenen Teilnehmern. Die erste Versammlung (vgl. Apg 15,1-12; Gal 1,18; 2,7-8) habe sich der Frage gewidmet, ob Heidenchristen beschnitten werden müssen, und habe vermutlich im Jahr 37 n. Chr. zu Beginn der paulinischen Mission stattgefunden. Bei dieser Versammlung hätten sich Paulus und Petrus getroffen und man sei sich bezüglich der zukünftigen Missionsgebiete einig geworden. Die zweite Versammlung dagegen habe sich der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen gewidmet und erst 52 oder 53 n. Chr. stattgefunden, und zwar nach dem "antiochenischen Zwischenfall“. Bei dieser zweiten Versammlung seien Paulus und Petrus aufgrund missionarischer Aktivitäten nicht anwesend gewesen, sondern nur eine antiochenische Gesandtschaft und die Ältesten der Jerusalemer Gemeinde um Jakobus den Herrenbruder (vgl. Apg 15,13-34; Gal 2,1-10). Hier sei das "apostolische Dekret“ über die Tischgemeinschaft verabschiedet worden.
M.-É. Boismard 1988, 433-440 geht davon aus, dass es sich bei Apg 15 um einen komplexen Bericht handele, bei dem zwei verschiedene Berichte miteinander verwoben wurden. Darauf wiesen folgende Beobachtungen hin: V. 1 und V. 5 bildeten eine Dublette; auf die jeweilige Beschneidungsforderung der Verse folge jeweils eine Diskussion (V. 2.7). Der Beschluss der Versammlung in Jerusalem werde auf zweierlei verschiedene Weise den "Brüdern“ in Antiochia überbracht: in V. 27 werde auch mündliche Überbringung erwähnt, gemäß V. 30b-31 werde ein Brief verlesen. Gemäß V. 30b-31 sei der Zuspruch mittels des Briefes erfolgt, gemäß V. 32 durch Worte. Die beiden Berichte entstammten vermutlich nicht dem gleichen historischen Zusammenhang. Der eine Bericht habe seinen historischen Ort in der Folge der Bekehrung des Kornelius und seines "Hauses“ (vgl. Apg 10-11). Der andere Bericht habe seinen historischen Ort im Aufenthalt des Paulus und Barnabas in Antiochia am Orontes, der gemäß dem Bericht der Apg nach der ersten Missionsreise erfolgte.
R. Pesch 1981, 105-122 geht von den Thesen F. Mußners in dessen Kommentar von 1974 aus, dass trotz der zahlreichen Unterschiede kein Grund zu der Annahme bestehe, Gal 2,1-10 und Apg 15 würden von zwei verschiedenen Ereignissen berichten, und dass vermutlich das "Aposteldekret“ erst einige Zeit nach dem "Apostelkonzil“ zustande gekommen und von Lukas in den Bericht über dasselbe hineingenommen worden sei. R. Pesch stellt nun die Frage, wie Lukas überhaupt dazu kommt, das "Aposteldekret“ in seinen Bericht über das "Apostelkonzil“ hineinzunehmen. Ergebnis: Lukas habe (aus Antiochenischer Tradition) neben dem Bericht über die dortige Gemeindegründung (Apg 11,19-26) einen Bericht über das Jerusalemer Abkommen (Apg 11,27-30; 12,25; 15,1-4.12b) und das Zustandekommen des Aposteldekrets (Apg 10,1-11,18; 15,5-12a.13-33) gekannt. Da ihm daran gelegen sei, die Heidenmission ganz in die Kontinuität der urchristlichen Gemeinde einzubetten und an Jerusalem zurückzubinden, lasse er sie im Werk des Petrus grundgelegt sein. Weil er die Eröffnung der beschneidungsfreien Heidenmission Petrus zuschreibe, dessen Initiative durch die Jerusalemer gebilligt werde, könne er die Berichte über das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts zusammenziehen, wobei er freilich die mit dem Jerusalemer Abkommen zusammenfallende Kollekte der Antiochener ablöse und im (vielleicht ursprünglichen) Anschluss an die Erzählung von der Gründung der Gemeinde kurz erwähne; den knappen Bericht schachtele er um die Überlieferung von der Verfolgung durch Agrippa I.
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Beobachtungen: Das Substantiv "stasis“ bedeutet eigentlich "Aufstand“ oder "Aufruhr“. In Apg 15,2 ist wahrscheinlich an Zwietracht gedacht, die zu Aufruhr führt.
Das Substantiv "zêtêsis“ bedeutet ebenfalls "Zwietracht/Streit“, wobei es wohl eher den Aspekt des heftigen ("nicht geringen“) Wortwechsels betont. Unmittelbar anschließend werden auch die beiden Parteien genannt, die sich bei dem Wortwechsel gegenüber standen: Paulus und Barnabas standen "ihnen“ gegenüber.
Es bleibt offen, auf wen sich das Personalpronomen "ihnen“ ("autous“) bezieht. Die Bezugsgruppe dürfte in V. 1 oder V. 2 genannt, sein, wobei nur die belehrten "Brüder“ und die lehrenden Personen eindeutig als Personengruppen, die mit Paulus und Barnabas gestritten haben könnten, infrage kommen. Da nicht gesagt ist, dass sich die Belehrten die Forderung der Lehrenden zu eigen gemacht haben und sie diese dann auch noch vehement vertreten haben, kann sich das Personalpronomen "ihnen“ eigentlich nur auf die aus Judäa gekommenen Lehrenden beziehen. Allerdings ist zu bedenken, dass sich hinter dem Verb "etaxan“ ("sie ordneten an“) eine andere Bezugsgruppe verbergen kann. Es ist nämlich unklar, wer angeordnet hat. Grammatisch nahe liegend ist, dass die anordnenden Personen mit denjenigen Personen, mit denen Paulus und Barnabas den heftigen Wortwechsel hatten, identisch waren.
Sofern es sich bei den Personen, mit denen Paulus und Barnabas einen heftigen Wortwechsel hatten, um die von Judäa Herabgekommenen handelte, dürften diese keine mit Lehrbefugnis ausgestatten Gesandten der Jerusalemer Gemeinde gewesen sein. Andernfalls hätten Paulus und Barnabas angesichts des herausragenden Ansehens der Jerusalemer Urgemeinde die Lehre wahrscheinlich mehr oder weniger widerwillig akzeptiert, zumal ja Barnabas selbst ein von der Jerusalemer Gemeinde Gesandter war (vgl. 11,22).
Das Verb "etaxan“ ist genau genommen mit "sie ordneten an“ zu übersetzen, setzt also eine Weisungsbefugnis voraus. Eine Weisungsbefugnis muss den anordnenden Personen übertragen worden sein, sofern sie nicht aufgrund herausragender Autorität von vornherein eine solche Weisungsbefugnis hatten. Paulus und Barnabas kommen als Anordnende nicht infrage, weil sie nicht Subjekte, sondern Objekte der Anordnung waren. Der antiochenischen Gemeindeleitung mag eine Weisungsbefugnis zugekommen sein, allerdings kommt die Gemeindeleitung nicht in den Blick. Gleiches gilt für eine mögliche Versammlung der gesamten antiochenischen Gemeinde. Dass die Gemeindeglieder, die von den von Judäa Herabgekommenen belehrt worden waren, besondere Autoritätspersonen waren, ist ebenso wenig anzunehmen wie eine Übertragung einer Weisungsbefugnis auf diese Gemeindeglieder. Somit kommen die Belehrten wohl kaum als Anordnende infrage. Auch hinsichtlich der von Judäa Herabgekommenen ist nicht ersichtlich, dass es sich um besondere Autoritätspersonen handelte. Auch ist unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich weisungsbefugt waren, denn die Weisungsbefugnis kann nicht von irgendeiner judäischen Gemeinde übertragen worden sein, sondern nur von der Gemeinde in Jerusalem. Angesichts der Distanzierung in 15,24 erscheint diese Möglichkeit jedoch unwahrscheinlich. Sollten sich die von Judäa Herabgekommenen unrechtmäßig als weisungsbefugt ausgegeben haben? Vom Gesichtspunkt der Grammatik ist dies nahe liegend, denn das Personalpronomen "autous“ ("ihnen“) geht unmittelbar dem Verb "etaxan“ ("sie ordneten an“) voraus. Da sich das Personalpronomen vermutlich auf die von Judäa Herabgekommenen bezieht, ist anzunehmen, dass die von Judäa Herabgekommenen auch angeordnet haben. Dann hätten sie dies jedoch widerrechtlich getan, es sei denn, man unterstellt den Aposteln und Ältesten mit Blick auf 15,24 eine Lüge. Gut möglich ist aber auch, dass der Verfasser der Apg absichtlich nicht erwähnte, wer die Anordnenden waren, weil ihm dies nicht wichtig erschien. Dann wäre unpersönlich mit "man ordnete an“ zu übersetzen. Für diese Lösung spricht, dass sich der Genitiv "ex autôn“ ("von ihnen“) nicht auf die von Judäa Gekommenen beziehen kann, denn Paulus und Barnabas gehörten den von Judäa Gekommenen nicht an. Angesichts der Tatsache, dass sich der Genitiv "ex autôn“ ("von ihnen“) nicht auf die von Judäa Gekommenen beziehen kann, erscheint auch unsicher, ob die von Judäa Gekommenen tatsächlich diejenigen waren, mit denen sich Paulus und Barnabas ein Wortgefecht lieferten. Und selbst wenn dies der Fall war, ist nicht gesagt, dass sie auch die Anordnenden waren, auch wenn dies die Grammatik nahe legt.
Das Verb "hinaufgehen“ ("anabainein“) macht einen Höhenunterschied deutlich. Jerusalem lag im judäischen Bergland und somit höher als Antiochia am Orontes. Folglich musste hinaufgehen, wer von Antiochia nach Jerusalem kommen wollte. Zusätzlich zu dem Höhenunterschied könnte auch das besondere hohe Ansehen Jerusalems zu der Formulierung geführt haben.
Die "Apostel“ und die "Ältesten“ erscheinen als Jerusalemer Gremien, die man als besondere Autoritäten betrachtete. Dabei ist jedoch unklar, ob die beiden Gremien zwischen Paulus und Barnabas und den von Judäa Gekommenen schlichten sollten, oder ob sie Paulus und Barnabas einschärfen sollten, dass die von Judäa Gekommenen zu Recht die beschneidungslose Heidenmission ablehnten.
Als die "Ältesten“ ("presbyteroi“) bezeichnete man wohl ursprünglich das Leitungsgremium einer jüdischen Gemeinde (vgl. 4,5.8.23; 6,12). In 15,2 tauchen sie jedoch als Leitungsgremium der (juden)christlichen Gemeinde in Jerusalem auf.
Bei den "Aposteln“ dürfte es sich um die Jünger handeln, die zum Kreis der Zwölf um Jesus gehört hatten. Dass nur diese dem Verfasser der Apg als "Apostel“ galten, legt Apg 1,21-26 nahe.
Hinsichtlich der Frage, ob der Bericht der Apg den historischen Tatsachen entspricht, lassen sich im Hinblick auf die Apostelversammlung in Jerusalem zwischen dem Bericht des Paulus Gal 2,1-10 und dem Bericht Apg 15,1-5 folgende wesentliche Übereinstimmungen ausmachen: Auch Paulus weiß von einer Reise nach Jerusalem in Verbindung mit dem Auftreten von "Falschbrüdern“ und dem Widerstand gegen diese. Auch Paulus lässt erkennen, dass die "Falschbrüder“ forderten, dass Heidenchristen zu beschneiden seien. Gemäß Paulus reiste er jedoch nicht infolge einer Anordnung (von Menschen), sondern wegen einer Offenbarung (Gottes) nach Jerusalem. Dabei nahm er neben Barnabas auch Titus, einen Heidenchristen, mit (vgl. Gal 2,1-5).
Weiterführende Literatur: Mit dem Verhältnis der Apg zum Galaterbrief befasst sich D. Trobisch 1999, 331-338. Lukas versuche die Ereignisse darzustellen, die dem Galaterbrief zugrunde lagen, wobei die historische Zuverlässigkeit der Darstellung seitens der Ausleger unterschiedlich beurteilt werde. Gemäß Lukas seien Petrus und Paulus keine Widersacher gewesen, sondern beide hätten auch in Rom als Missionare gewirkt und seien dort als Märtyrer gestorben. Diese Sichtweise entspreche der dem kanonischen NT zugrunde liegenden des 2. Jh.s. Lukas gehe davon aus, dass Paulus den Galaterbrief nach dem antiochenischen Zwischenfall (gemäß den Berichten Apg 15,1-2; Gal 2,11-14), aber vor dem Aufbruch zur Jerusalemer Apostelversammlung (gemäß dem Bericht 15,4-29) verfasst hat.
Gemäß J. Taylor 1992, 373-378 habe der Ersteller der Didascalia Apostolorum, einer - vermutlich in Syrien - in griechischer Sprache abgefassten Sammlung von Kirchenordnungen aus dem 3. Jh., bei seiner Beschäftigung mit Apg 15 bereits drei literarische Probleme erkannt, die auch von modernen Auslegern diskutiert werden: logischer Bruch zwischen V. 1-2 und V. 3-4; die Anspielungen von Apg 15,7-11. auf Apg 10-11, was die zweite Rede 15,7-11 als Dublette der ersten Rede 11,4-17 erscheinen lasse; die fehlende Notwendigkeit der Erwähnung des Barnabas und Paulus in 15,12.
R. Trevijano Etcheverría 1997, 295-339 legt dar, dass Apg 9,26-30 auf den authentisch paulinischen Informationen über den ersten Besuch in Jerusalem Gal 1,18-19.21 gründe. Den zweiten, in Gal 2,1-10 thematisierten Besuch in Jerusalem, der die Beschneidungsfrage zum Inhalt gehabe habe, teilten Apg 11,27-30; 12,25 und 15 in zwei (oder sogar drei) Reisen auf. Sei in Gal 2,1-10 von der privaten Vorlage des Evangeliums und von der Übereinkunft mit den Jerusalemer Gemeindeleitern die Rede, so habe bei Lukas eine Reise die Übergabe der antiochenischen Kollekte und die andere Reise die Anerkennung der paulinischen Mission durch eine Apostelversammlung zum Thema. Dabei füge Lukas das "apostolische Dekret“ ein, zu dem es jedoch erst nach dem "antiochenischen Zwischenfall“ (Gal 2,11-14) komme. Die Heidenmission des Petrus (Apg 10,1-11.18; 15,7-9) und die erste Missionsreise des Barnabas und Paulus (Apg 13-14) seien zeitlich nach der Übereinkunft von Jerusalem anzusetzen.
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Beobachtungen: Das Verb "propempô“ bedeutet zunächst einmal "vorausschicken“. Demnach wäre "hoi propemphthentes“ mit "die Vorausgeschickten“ zu übersetzen. Diese Übersetzung kommt hier aber nicht infrage, weil dem nach Jerusalem Geschickten niemand nachfolgte. Das Verb "propempô“ kann auch "fortschicken“ bedeuten. Dann wäre "hoi propemphthentes“ mit "die Fortgeschickten“ zu übersetzen. Da es sich nicht um ein feindliches Fortschicken handelte, sondern um eine wohlwollende Verabschiedung, die mit einem Gottesdienst verbunden gewesen sein kann, wäre hier die Übersetzung "die Verabschiedeten“ oder "die feierlich Verabschiedeten“ zu wählen. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass angesichts des weiten Weges an den materiellen Aspekt der Verabschiedung gedacht ist, nämlich an die Ausstattung zur Reise. Dann wäre "propempô“ mit "[zur Reise] ausstatten“ zu übersetzen und "hoi propemphthentes“ mit "die [zur Reise] Ausgestatteten“ (vgl. Röm 15,24; 1 Kor 16,6; 2 Kor 1,16). Und schließlich kann "propempô“ auch "fortgeleiten“ bedeuten. Dann wäre die antike Sitte im Blick, Freunde oder Gäste oder − wie hier − Gemeindeglieder bei der Verabschiedung ein Stück des Wegs zu begleiten. Die Entscheidung für eine dieser Bedeutungen fällt schwer. Angesichts der Tatsache, dass das Verb "propempô“ ansonsten in der Apg (20,38; 21,5) "geleiten“ oder "fortgeleiten“ bedeutet, liegt diese Bedeutung auch in Apg 15,3 nahe. Dabei dürften Paulus und Barnabas nicht von der ganzen Gemeinde fortgeleitet worden sein, sondern nur von einem Teil.
"Men oun“ leitet hier wohl eine neue Handlung ein: Die "feierlich Verabschiedeten“, "[zur Reise] Ausgestatteten“ oder "Fortgeleiteten“ zogen nun berichtend durch Phönizien und Samarien.
"Phönizien“ ist die Bezeichnung für einen etwa 120 Kilometer langen Streifen an der Mittelmeerküste vom Berg Karmel im Süden bis zum Fluss Eleutheros im Norden. Dieser Küstenstreifen gehört heute zu den beiden Staaten Libanon und Syrien.
Das Gebiet Samarien gehörte von 6 − 41 n. Chr. zur prokuratorischen Provinz Judäa und war somit Teil des Römischen Reiches. Von 41 − 44 n. Chr. war es Bestandteil des Reiches des Königs Herodes Agrippa I. Nach dessen Tod (vgl. Apg 12,20-23) gehörte es erneut zur wieder hergestellten prokuratorischen Provinz Judäa.
Wahrscheinlich berichteten Paulus und Barnabas während der gesamten Reise durch Phönizien und Samarien von der Bekehrung der Heiden, und zwar vermutlich von derjenigen während der ersten Missionsreise (vgl. 13,1-14,28).
Da nur Phönizien und Samarien als durchreiste Gebiete genannt werden, nicht jedoch Galiläa, ist anzunehmen, dass Paulus, Barnabas und die Begleiter den Küstenstreifen am Mittelmeer entlang nach Süden reisten und so Galiläa umgingen. Sie wären demnach bei Cäsarea direkt von Phönizien nach Samarien hinübergegangen.
Es bleibt offen, auf welche Weise sich die Reisegruppe fortbewegte. Da kein Verkehrsmittel genannt wird, ist zu vermuten, dass sie zu Fuß gegangen ist.
Das Vorhandensein von "Brüdern“ − gemeint sind geistliche Brüder, also Christen − setzt voraus, dass in Phönizien und Samarien bereits erfolgreich missioniert worden war. Dass dies tatsächlich der Fall war, geht aus 8,4-25; 8,40; 9,31-10,48 und 11,19 hervor, wobei nur in letzterem Vers Phönizien in den Blick kommt. Die Freude aller "Brüder“ über die Heidenmission ohne Erfordernis der Beschneidung lässt annehmen, dass die von Judäa nach Antiochia Gekommenen die Meinung einer sehr kleinen Minderheit vertraten. Sofern diese Meinung für Judenchristen typisch war, wäre daraus zu folgern, dass es weder in Phönizien noch in Samarien Judenchristen gab, denen Paulus und Barnabas vom Geschehen auf der ersten Missionsreise berichtet haben. Diese Folgerung widerspricht aber 8,1 und 11,19, wonach Judenchristen aufgrund von Verfolgung sowohl nach Samarien als auch nach Phönizien versprengt worden waren. Gemäß 11,19 verkündigten diese in Phönizien sogar nur unter Juden. Paulus und Barnabas müssen also auch Judenchristen das Geschehene berichtet haben. Dass sie streng zwischen Heiden- und Judenchristen unterschieden und nur ersteren berichtet haben, ist unwahrscheinlich. Wenn auch die Judenchristen in Phönizien und Samarien die Meinung der von Judäa nach Antiochia Gekommenen nicht teilten, dann müssen diese eine Meinung vertreten haben, die ausschließlich Judenchristen aus Judäa und Jerusalem vertraten. Aber auch dies ist unwahrscheinlich, denn die Forderung nach Beschneidung ist aus judenchristlicher Sicht keineswegs abwegig und dürfte von zahlreichen Judenchristen nicht nur in Judäa und Jerusalem geteilt worden sein. Also bleibt als Fazit zu sagen, dass der Verfasser der Apg die Unterstützung für die Position des Paulus und Barnabas vermutlich übertrieben darstellt und Widerspruch gegen die Position verschweigt. So erscheint die weltweite Mission unter Verzicht auf die Beschneidung als von der übergroßen Mehrheit gewünscht und das Verhalten der beiden Missionare gerechtfertigt. So kann der Leser schon erahnen, dass sich die Geschichte zugunsten der beiden Missionare entwickelt und der Widerstand gegen den Verzicht der Beschneidung bei der Heidenmission schließlich überwunden wird. Dies alles erscheint als Wille Gottes, der mit den beiden Missionaren gewirkt hat.
Weiterführende Literatur: Mit der Funktion des Zitats Hab 1,5 LXX in der Apg befasst sich R. W. Wall 2000, 247-258. Dabei geht er insbesondere auf die Funktion in Apg 13,41 und auf den Wiederhall in 15,3 ein. Ergebnis: Paulus ziehe in der Apg Hab 1,5 LXX heran, um an ganz Israel die eindringliche Warnung zu richten, dass die Verweigerung des Glaubens an das von Paulus verkündete "Werk“ Gottes − gemeint sei dessen Evangelium − einer Zurückweisung des "Wortes Gottes“ und schließlich der Konfrontation mit dem Gericht Gottes gleichkomme. Dadurch gingen die Verweigerer der Wohltat des ewigen Lebens verlustig (vgl. Apg 13,46). In diesem Lichte sei auch Apg 15,3 zu lesen. Auch hier tauche das Verb "ekdiêgeomai“ ("berichten“) auf, was auf einen ausdrücklichen Wiederhall von Hab 1,5 LXX schließen lasse. Den judenchristlichen Gegnern der Heidenmission in der judäischen Gemeinde werde implizit eingeschärft, dass sie den Bericht von der Heidenmission mit einer ebensolchen Freude aufnehmen sollten, wie die "Brüder“ in Phönizien und Samarien. Andernfalls würden auch sie mit Gottes Gericht konfrontiert und würden möglicherweise auch des ewigen Lebens verlustig.
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Beobachtungen: Die Gemeinde, die Apostel und die Ältesten erscheinen als drei verschiedene Gruppen, als hätten die Apostel und die Ältesten nicht zur (Jerusalemer) Gemeinde gehört. Tatsächlich dürfte die Gruppe der Gemeinde aber alle diejenigen Gemeindeglieder umfasst haben, die nicht den Aposteln und den Ältesten angehörten.
Der Empfang lässt keine Abneigung der Jerusalemer Gemeinde, der Apostel und der Ältesten den beiden Missionaren und seinen Begleitern gegenüber erkennen. Vielmehr scheinen die von Antiochia nach Jerusalem Hinaufgekommenen freundlich als Glaubensgenossen einer anderen Gemeinde aufgenommen worden zu sein.
Es wird nicht gesagt, in welchem Rahmen Paulus und Barnabas berichteten, was alles Gott mit ihnen getan hatte. Dass sie es − vergleichbar mit dem ständigen Bericht auf der Reise durch Phönizien und Samarien - während des gesamten Aufenthaltes in Jerusalem bis zum Beginn der Apostelversammlung taten, ist nicht anzunehmen, denn dies hätte statt des Verbs in der Zeitform Aorist ("anêngeilan“) ein Verb in der Zeitform Imperfekt erwarten lassen. Eher ist anzunehmen, dass sie im Rahmen einer Gemeindeversammlung berichteten. Auf dieser dürften auch die zum Glauben an Jesus Christus gekommenen Pharisäer anwesend gewesen sein, die gemäß V. 5 das Wort ergriffen.
Die Formulierung "mit ihnen“ ("met’autôn“) betont, dass die beiden Missionare nicht auf eigene Faust losgereist sind und mittels eigener Kraft und eigenem Vermögen missioniert haben, sondern dass Gott ihnen beigestanden hat, ja sogar der eigentliche Handelnde war. Nicht Paulus und Barnabas haben mit Gott gehandelt, sondern Gott hat mit Paulus und Barnabas gehandelt. Da liegt der - hier nicht ausgedrückte − Gedanke nahe, dass Gott mittels der beiden Missionare gehandelt hat.
Der Berichtsinhalt "was alles Gott mit ihnen getan hatte“ entspricht demjenigen in Antiochia (vgl. 14,27), wobei dort auch berichtet worden war, dass Gott den Heiden eine Glaubenstür geöffnet hatte. Letzterer Inhalt dürfte auch in Jerusalem berichtet worden sein, war doch die Einbeziehung der Heiden in Verkündigung und Bekehrung zum christlichen Glauben ein wesentlicher Bestandteil des Geschehens während der ersten Missionsreise. Dass der Verfasser diesen Inhalt im Hinblick auf den Bericht vor den Jerusalemer Gemeindegliedern verschweigt, mag damit zusammenhängen, dass er in Jerusalem zurückhaltender als in Antiochia berichtet wurde. die Jerusalemer Christen, die vermutlich Judenchristen waren. Im Gegensatz zu den antiochenischen Zuhörern waren die Jerusalemer in ihrer Gemeinde wohl noch nicht − zumindest nicht in nennenswertem Maße - mit der Heidenmission in Berührung gekommen und sahen die Sache mit judenchristlichen Augen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Aus V. 5 geht die judenchristliche Prägung der Jerusalemer Gemeinde hervor.
Die "Pharisäer“ waren im antiken Judentum neben den Sadduzäern und Pharisäern eine der religiösen Hauptgruppen, hier "Partei“ ("hairesis“) genannt. Die Pharisäer, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren, dürften weiterhin gesetzestreu gewesen sein. Die Annahme des Glaubens, dass Jesus tatsächlich der den Erzvätern verheißene Messias (= Christus) war, hinderte sie nicht daran, das "Gesetz des Mose“ zu befolgen und die Befolgung auch von anderen Christen zu fordern.
Mit dem "Gesetz des Mose“ dürfte die Tora gemeint sein, in der die Satzungen und Gebote niedergeschrieben waren, die gemäß jüdischer Vorstellung von Gott gegeben und von Mose übermittelt worden waren.
In V. 5 identifiziert der westliche Text die Pharisäer, die sich erhoben, mit den von Judäa Gekommenen. Diese Identifizierung erklärt, warum der westliche Text die nach Antiochia Gekommenen aus Jerusalem stammen lässt (vgl. V. 2).
Offen bleibt, ob die Pharisäer, die zum Glauben gekommen waren, dem Bericht des Paulus und Barnabas im Stehen oder im Sitzen zuhörten. Somit stellt sich die Frage, ob sie nur ihr Wort erhoben oder ob sie sich zunächst von ihren Sitzen erhoben und dann im Stehen ihr Wort erhoben. Entscheidend ist hier, dass die Pharisäer, die zum Glauben gekommen waren, ihre Meinung kundtaten.
Fraglich ist, ob sich das Personalpronomen "sie“ ("autous“) in V. 5 nur auf die Begleiter der beiden Missionare Paulus und Barnabas oder auf alle Heidenchristen bezieht. Da nicht die Begleiter der beiden Missionare im Mittelpunkt stehen, sondern der grundsätzliche Umgang mit den Heidenchristen zur Diskussion steht, dürfte letzteres der Fall sein. Dabei dürfte sich die Forderung aufgrund ihres grundsätzlichen Charakters auch auf die Begleiter der beiden Missionare beziehen, sofern diese überhaupt Heidenchristen waren. Ein Bezug auf Paulus und Barnabas kommt nicht infrage, weil beide als gebürtige Juden bereits beschnitten waren.
Weiterführende Literatur: Mit dem Gesetz in Apg 15 befasst sich W. Radl 1986, 169-174. Der Gegenstand der Auseinandersetzung in Jerusalem sei das mosaische Gesetz als ganzes, allem voran die Beschneidung. Es stehe zur Debatte, ob dieses Gesetz für die Heidenchristen verbindlich ist, genauer: ob die Beobachtung des Gesetzes für sie heilsnotwendig ist. Diese Frage werde von Petrus (mit dem Hinweis auf die Ereignisse von Apg 10-11) klar negativ beantwortet; er wolle die Juden nicht mit dem Gesetz behelligen. Jakobus dagegen meine eindeutige gesetzliche Verpflichtungen auch für die Heidenchristen angeben zu können. Jakobus nähere sich der Lösung des Problems im Licht der Schrift, des Gesetzes wie der Propheten. Nach Ausführungen zu der Regelung im Einzelnen kommt W. Radl auf den Stellenwert der gesetzlichen Verpflichtungen zu sprechen: Die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen sei der Rettung nicht vor-, sondern nachgeordnet. Der Glaube führe zur Rettung, und als Folge der Rettung, d. h. der Aufnahme unter die Geretteten, ergebe sich die Erfüllung bestimmter Forderungen. Das Gesetz formuliere nicht die Bedingungen für die Aufnahme in das Gottesvolk, sondern die Regeln für das Leben im Gottesvolk.
Mit der Annahme, dass Lukas das Heil der Heiden in voller Übereinstimmung mit dem jüdischen Religionsgesetz gesehen habe, setzt sich M. A. Seifrid 1987, 39-57 kritisch auseinander. Seiner Meinung nach habe in den Augen des Lukas eine anders geartete, auf dem messianischen Status Jesu gründende Ethik das Mosaische Gesetz als maßgebliche ethische Richtschnur abgelöst. Das schließe nicht die Befolgung des Mosaischen Gesetzes aus, doch habe diese nur zu erfolgen, wenn dies die neue, vom auferstandenen Christus ausgehende Ethik verlange. Bei vier Punkten lasse Lukas erkennen, dass er eine Ethik zugrunde legt, die die Tora überschreitet (und punktuell auch aufheben kann): a) der inthronisierte Messias, Jesus, stelle neue Forderungen an die Menschheit; b) nicht das Mosaische Gesetz sei für die Empfänger des Heils (und somit das Volk Gottes) maßgeblich, sondern der Glaube an Jesus; c) das Mosaische Gesetz sei nicht das Kriterium, nach dem die Lebensweise der Heidenchristen auszurichten sei; d) auch das Verhalten der Judenchristen müsse sich nicht nach dem Mosaischen Gesetz ausrichten.
Der Frage nach dem Verhältnis von Israel und Kirche geht M. Neubrand 2006 nach, die auf S. 39-79 einen Überblick über die lukanische Sicht von "Israel“ und "Kirche“ in der gegenwärtigen ntl. Forschung gibt. Auf den Anlass und Gegenstand der Jerusalemer Versammlung (15,1-5) geht sie auf S. 80-91 ein.
Laut D. R. Schwartz 1996, 263-282 sei zwischen dem Bericht vom "Apostelkonzil“ samt der vorausgehenden Diskussion gemäß Apg 15 und Josephus' Bericht von der Bekehrung der königlichen Familie von Adiabene in Antiquitates 20 (insbesondere § 34-48) eine gewisse Ähnlichkeit festzustellen. Beide handelten von nahezu zeitgleichen Begebenheiten und hätten Heiden, die Gott verehren wollen, zum Thema. Dabei werde der Frage nachgegangen, ob diese Heiden das jüdische Gesetz befolgen müssen. Nach einer kurzen Abhandlung über den Bericht des Lukas wendet sich D. R. Schwartz Josephus zu. Er deutet Josephus' Text und vergleicht ihn mit dem lukanischen Bericht. Abschließend geht er der Frage nach einer möglichen Beeinflussung von Lukas durch Josephus nach. Von einer solchen sei auszugehen, auch wenn Lk-Apg meist in die Mitte der 80er Jahre datiert werde, dagegen Josephus' Antiquitates erst 93/94 n. Chr. erschienen seien.
Zur engen Verbindung von Predigt und Dogmatik siehe C. K. Barrett 1983, 14-32. Jede Predigt enthalte ein dogmatisches Element; Dogmatik dagegen sei eine Form der Predigt. Der Kanon stelle den Rahmen für die Predigt dar; Dogmatik sei, wo sie ausgeübt werde, eine spezifisch entwickelte Art der Predigt. Ntl. Theologie enthalte sowohl Elemente der Predigt als auch der Dogmatik und könne als kritischer Prozess beschrieben werden, durch den der Kanon beides kontrolliere. Auch im Hinblick auf die Jerusalemer Apostelversammlung sei die enge Verbindung zu erkennen: Im Vorfeld der Versammlung habe es dogmatische Auseinandersetzungen gegeben. Bei der Versammlung sei zunächst die Predigt Thema, wie sie in der Welt erfolgen soll. Dabei komme es auch zu einer Erörterung dogmatischer Fragen und zum Schluss verabschiede die Versammlung ein Dekret.
Literaturübersicht
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Barrett, Charles Kingsley; Apostles in Council and in Conflict, ABR 31 (1983), 14-32
Boismard, Marie-Émile; Le "Concile“ de Jérusalem (Act 15,1-33). Essai de critique littéraire, ETL 64/4 (1988), 433-440
Cheung, Alex T. M; A Narrative Analysis of Acts 14:27-15:35. Literary Shaping in Luke’s Account of the Jerusalem Council, WTJ 55/1 (1993), 137-154
Conti, Martino; Il Concilio Apostolico e la lettera ai Galati (At 15,1-29; Gal 2,1-21), Anton. 77/2 (2002), 235-256
Neuberth, Ralph; Demokratie im Volk Gottes? Untersuchungen zur Apostelgeschichte (SBB 46), Stuttgart 2001
Neubrand, Maria; Israel, die Völker und die Kirche. Eine exegetische Studie zu Apg 15 (SBS 55), Stuttgart 2006
Pesch, Rudolf; Das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts. Ein Versuch über Gal 2, Apg 10,1-11,18, Apg 11,27-30; 12,25 und Apg 15,1-41, in: P.-G. Müller, W. Stenger [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. 1981, 105-122
Ponsot, Hervé; Peut-on encore parler de "concile“ de Jérusalem? À propos d’Ac 15 et de la chronologie paulinienne, RB 109/4 (2002), 556-586
Radl, Walter; Das Gesetz in Apg 15, in: K. Kertelge [Hrsg.], Das Gesetz im Neuen Testament, Freiburg i. Br. 1986, 169-174
Rothgangel, Martin; Apg 15 als Darstellung des Jerusalemer Apostelkonvents? Eine "einleitungswissenschaftliche“ Reminiszenz, in: J. Frühwald-König u. a. [Hrsg.], Steht nicht geschrieben?, Regensburg 2001, 237-246
Schwartz, Daniel R.; God, Gentiles, and Jewish Law: On Acts 15 and Josephus' Adiabene Narrative, in: H. Cancik u. a. [Hrsg.], Geschichte, Tradition, Reflexion I, Tübingen 1996, 263-282
Seifrid, M. A.; Jesus and the Law in Acts, JSNT 30 (1987), 39-57
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