Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (15,1-35)

Die Apostelversammlung in Jerusalem

Apg 15,6-11

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 15,6-11

 

 

Übersetzung

 

Apg 15,6-11:6 Da kamen die Apostel und die Ältesten zusammen, um über diese Angelegenheit zu beraten. 7 Nach langer Auseinandersetzung stand Petrus auf und sagte zu ihnen: "Brüder, ihr wisst, dass seit alten Tagen unter euch (der) Gott die Wahl getroffen hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben kommen sollten. 8 Und (der) Gott, der die Herzen kennt, hat für sie Zeugnis abgelegt, indem er [ihnen] den heiligen Geist gab wie auch uns; 9 und er machte zwischen uns und ihnen keinen Unterschied, nachdem er ihre Herzen durch den Glauben gereinigt hatte. 10 Nun also, was fordert ihr (den) Gott heraus, indem [ihr] ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten? 11 Wir glauben doch vielmehr, durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet zu werden, auf gleiche Weise wie (auch) jene.“

 

 

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V. 6

 

Beobachtungen: Aus V. 4-5 ist nicht hervorgegangen, in welchem Rahmen die beiden Missionare Paulus und Barnabas nach ihrer Aufnahme durch die Jerusalemer Gemeinde, die Apostel und die Ältesten berichteten, was Gott während der ersten Missionsreise mit ihnen getan hatte. Es wird nur deutlich, dass ihnen seitens der Pharisäer, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren, Widerspruch entgegenschlug. Diese vertraten die Ansicht, dass man die Heidenchristen beschneiden und ihnen gebieten müsse, das Gesetz des Mose zu halten. Über diese Forderung/Angelegenheit ("peri tou logou toutou“) scheint unter den Jerusalemer Gemeindegliedern Uneinigkeit geherrscht zu haben, so dass die Apostel und Ältesten zusammenkamen, um über sie zu beraten.

Das Verb "idein“ bedeutet "betrachten“. Es ging also darum, den Sachverhalt zu betrachten und die Argumente abzuwägen, um dann zu einem Ergebnis zu kommen.

 

Bei der Versammlung scheint es sich um eine geschlossene Versammlung gehandelt zu haben, an der nur die Apostel und die Ältesten und wahrscheinlich auch Paulus und Barnabas (vgl. V. 12) teilnahmen. Ob auch die Begleiter des Paulus und Barnabas an der Versammlung teilnahmen, bleibt offen. Laut einer schwach bezeugten Variante gehörte auch "die Menge“ ("to plêthos“) zu den Versammelten, wobei wahrscheinlich an die in V 4 als "Gemeinde“ ("ekklêsia“) bezeichneten, nicht zu den Aposteln und Ältesten gehörenden Gemeindeglieder gedacht ist. Gemäß der Variante handelte es sich also um eine Versammlung der gesamten Gemeinde samt ihren Führungspersonen. Die Rede von der "Menge“ statt von der "Gemeinde“ lässt sich vermutlich damit erklären, dass in V. 12 ebenfalls eine "Menge“ ("plêthos“) erwähnt wird, die anwesend war. Allerdings dürfte der Begriff an dieser Stelle wohl eher die auf der geschlossenen Versammlung Anwesenden als die nicht zu den Aposteln und Ältesten gehörenden Gemeindeglieder meinen.

 

Weiterführende Literatur: M Eine literarische Analyse von Apg 14,27-15,35 bietet A. T. M. Cheung 1993, 137-154. Der Bericht über die Jerusalemer Apostelversammlung habe in 14,27-28, nicht in 15,1, seinen Ausgangspunkt. Lukas versuche auch die kritischen Leser davon zu überzeugen, dass zwischen den juden- und heidenchristlichen Gemeinden Harmonie geherrscht habe. Dazu betone er die untergeordnete Rolle der antiochenischen Gemeinde und des Paulus bei der Jerusalemer Apostelversammlung. A. T. M. Cheung sieht 14,27-15,35 als eine wohlkomponierte Einheit an, nicht als einen aus verschiedenen Quellen aufs Geratewohl zusammengesetzten Flickenteppich. Dabei schlössen literarische Kunstfertigkeit und historische Zuverlässigkeit des Berichteten einander nicht aus.

 

Mit den Entscheidungen der Jerusalemer Versammlung (Apg 15,1-41) befasst sich R. Neuberth 2001, 147-235, wobei er zunächst eine synchrone und danach eine diachrone Analyse bietet.

 

Mit 15,1-34 befasst sich A. Weiser 1984, 145-167, der auf Aufbau, Form, Historizität, Überlieferungsgrundlage und redaktionelle Komposition, inhaltliche Schwerpunkte der lukanischen Gestaltung und Anregungen aus der lukanischen Darstellung für die Kirche heute eingeht. A. Weiser hält den Abschnitt in formaler Hinsicht für eine geschlossene und ausgewogene Texteinheit. Die Darstellung des Verhandlungsverlaufs und des Ergebnisses (V. 7-29) stamme ganz von Lukas. Er habe sie aber nicht völlig frei gestaltet, sondern dabei auch Elemente aus verschiedenen Überlieferungen aufgenommen und sie miteinander zu einer Einheit verwoben.

 

Von der verbreiteten Annahme ausgehend, dass sich sowohl Apg 15,1-29 als auch Gal 2,1-21 mit der Frage nach dem "Heil allein durch den Glauben an Christus“ befassten, zeigt M. Conti 2002, 235-256 zunächst den historischen und dogmatischen Zusammenhang der beiden Texte auf. Dann untersucht er die Beziehung zwischen der Rückkehr des Johannes Markus nach Jerusalem (vgl. 13,13) und der Reise "einiger“ nach Jerusalem (vgl. 15,1) sowie der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas wegen des Johannes Markus (vgl. 15,37-39). Es folgt eine synoptische Zusammenschau von Apg 15,1-29 und Gal 1,1-21. M. Conti merkt an, dass in Apg 15,1-12 die Streitfrage hinsichtlich Beschneidung und christlicher Freiheit im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt werde, in Gal 2,1-10 dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Sei im Hinblick auf die Beschneidung auch volle Übereinstimmung erzielt worden, so sei dies im Hinblick auf Streitfrage bezüglich des Verhältnisses von Gesetz und christlicher Freiheit nicht der Fall gewesen. Auch diese Streitfrage werde von der Apg (15,13-21) im Rahmen einer kirchlichen Versammlung behandelt, in Gal (2,11-21) dagegen im Rahmen einer autobiographischen Erörterung. Der Bericht der Apg entspreche nicht der Realität, sondern sei literarisches Werk des Lukas. Er vereinige zwei zeitverschieden diskutierte Streitfragen in ein und demselben Rahmen, nämlich der Jerusalemer Apostelversammlung. Das "Apostolische Dekret“, das in der Apg zur Sprache komme, fordere nicht mehr als die Einhaltung der Bestimmungen von Lev 17-18. Bei allen Menschen hänge das Heil allein von der Gnade des "Herrn“ Jesus ab. Dabei müsse kein Nichtjude zum Juden werden, um ein Christ werden zu können, sondern der Glaube werde auf Grundlage der eigenen Kultur angenommen.

 

M. Rothgangel 2001, 237-246 legt dar, dass in Apg 15 nur die V. 1-4 (12b) vom so genannten Jerusalemer Apostelkonvent geprägt seien und im Wesentlichen ab Apg 15,5ff. der Antiochiazwischenfall und seine Lösung die Überlieferungsgrundlage von Apg 15 bildeten.

 

H. Ponsot 2002, 556-586 geht − im Gegensatz zu zahlreichen anderen Auslegern − nicht davon aus, dass es sich bei der in der Apg berichteten Apostelversammlung in Jerusalem um eine einzige Versammlung gehandelt hat. Vielmehr sei von zwei verschiedenen Versammlungen auszugehen, die zwar beide in Jerusalem stattgefunden haben, jedoch in einem mehrjährigen zeitlichen Abstand und mit verschiedenen Teilnehmern. Die erste Versammlung (vgl. Apg 15,1-12; Gal 1,18; 2,7-8) habe sich der Frage gewidmet, ob Heidenchristen beschnitten werden müssen, und habe vermutlich im Jahr 37 n. Chr. zu Beginn der paulinischen Mission stattgefunden. Bei dieser Versammlung hätten sich Paulus und Petrus getroffen und man sei sich bezüglich der zukünftigen Missionsgebiete einig geworden. Die zweite Versammlung dagegen habe sich der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen gewidmet und erst 52 oder 53 n. Chr. stattgefunden, und zwar nach dem "antiochenischen Zwischenfall“. Bei dieser zweiten Versammlung seien Paulus und Petrus aufgrund missionarischer Aktivitäten nicht anwesend gewesen, sondern nur eine antiochenische Gesandtschaft und die Ältesten der Jerusalemer Gemeinde um Jakobus den Herrenbruder (vgl. Apg 15,13-34; Gal 2,1-10). Hier sei das "apostolische Dekret“ über die Tischgemeinschaft verabschiedet worden.

 

R. Pesch 1981, 105-122 geht von den Thesen F. Mußners in dessen Kommentar von 1974 aus, dass trotz der zahlreichen Unterschiede kein Grund zu der Annahme bestehe, Gal 2,1-10 und Apg 15 würden von zwei verschiedenen Ereignissen berichten, und dass vermutlich das "Aposteldekret“ erst einige Zeit nach dem "Apostelkonzil“ zustande gekommen und von Lukas in den Bericht über dasselbe hineingenommen worden sei. R. Pesch stellt nun die Frage, wie Lukas überhaupt dazu kommt, das "Aposteldekret“ in seinen Bericht über das "Apostelkonzil“ hineinzunehmen. Ergebnis: Lukas habe (aus Antiochenischer Tradition) neben dem Bericht über die dortige Gemeindegründung (Apg 11,19-26) einen Bericht über das Jerusalemer Abkommen (Apg 11,27-30; 12,25; 15,1-4.12b) und das Zustandekommen des Aposteldekrets (Apg 10,1-11,18; 15,5-12a.13-33) gekannt. Da ihm daran gelegen sei, die Heidenmission ganz in die Kontinuität der urchristlichen Gemeinde einzubetten und an Jerusalem zurückzubinden, lasse er sie im Werk des Petrus grundgelegt sein. Weil er die Eröffnung der beschneidungsfreien Heidenmission Petrus zuschreibe, dessen Initiative durch die Jerusalemer gebilligt werde, könne er die Berichte über das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts zusammenziehen, wobei er freilich die mit dem Jerusalemer Abkommen zusammenfallende Kollekte der Antiochener ablöse und im (vielleicht ursprünglichen) Anschluss an die Erzählung von der Gründung der Gemeinde kurz erwähne; den knappen Bericht schachtele er um die Überlieferung von der Verfolgung durch Agrippa I.

 

Laut D. R. Schwartz 1996, 263-282 sei zwischen dem Bericht vom "Apostelkonzil“ samt der vorausgehenden Diskussion gemäß Apg 15 und Josephus' Bericht von der Bekehrung der königlichen Familie von Adiabene in Antiquitates 20 (insbesondere § 34-48) eine gewisse Ähnlichkeit festzustellen. Beide handelten von nahezu zeitgleichen Begebenheiten und hätten Heiden, die Gott verehren wollen, zum Thema. Dabei werde der Frage nachgegangen, ob diese Heiden das jüdische Gesetz befolgen müssen. Nach einer kurzen Abhandlung über den Bericht des Lukas wendet sich D. R. Schwartz Josephus zu. Er deutet Josephus' Text und vergleicht ihn mit dem lukanischen Bericht. Abschließend geht er der Frage nach einer möglichen Beeinflussung von Lukas durch Josephus nach. Von einer solchen sei auszugehen, auch wenn Lk-Apg meist in die Mitte der 80er Jahre datiert werde, dagegen Josephus' Antiquitates erst 93/94 n. Chr. erschienen seien.

 

J. L. North 1983, 264-266 vermutet, dass es sich bei der Formulierung "idein peri“ in Apg 15,6 um einen Latinismus handelt. Darauf weise zum einen ihr sehr seltenes Vorkommen nur in zwei Stellen bei Epiktet, dem jüngeren Zeitgenossen des Lukas, hin, zum anderen das häufige Vorkommen der entsprechenden lateinischen Formulierung "videre de“. Dass Lukas in Apg 15,6 die gängige Formulierung "episkeptesthai peri“ durch "idein peri“ ersetzt hat, lasse sich damit erklären, dass er erstere Formulierung dem göttlichen Eingreifen in menschliche Angelegenheiten vorbehalte (vgl. Lk 1,68.78; 7,16; 19,44; Apg 15,14). Auch bei der Formulierung "opsesthe autoi“ ("seht selber zu!“) in Apg 18,15 sei lateinischer Einfluss wahrscheinlich.

 

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V. 7

 

Beobachtungen: Die Formulierung "pollês de zêtêseôs genomenês“ ist wörtlich mit "nachdem viel Streit/Wortgefecht entstanden war“ zu übersetzen. Es stellt sich die Frage, was unter "viel (oder: großer/großes)“ zu verstehen ist. Zum einen kann die Länge − und damit verbunden die Intensität − der Auseinandersetzung (im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Materie oder im Sinne eines Streites?) im Blick sein, die zu keinem Ergebnis führte und schließlich ein Machtwort einer besonders angesehenen Persönlichkeit herausforderte. Zum anderen kann aber auch die Heftigkeit des Streites im Blick sein, womit die Unversöhnlichkeit der verschiedenen Ansichten herausgehoben würde. Auch in diesem Falle wäre das Machtwort einer besonders angesehenen Persönlichkeit für eine Entscheidungsfindung erforderlich gewesen. Eine solche Persönlichkeit war Petrus, der schließlich das Wort ergriff.

 

Dass Petrus aufstand, mag den Grund haben, dass die Versammelten zwar saßen, der Redner jedoch der besseren Verständlichkeit halber aufstand. Möglich ist auch, dass Petrus vor seiner Rede an einen bestimmten Platz ging, was jedoch nicht ausdrücklich gesagt wird.

Gemäß dem westlichen Text stand Paulus "im Geist“ auf. Mit diesem Zusatz stellt er stärker die Autorität des Petrus und die Wichtigkeit des Gesagten heraus. Es wird verdeutlicht, dass Petrus nicht nur seine Meinung sagte, wie dies vor ihm schon viele andere Diskussionsteilnehmer gemacht hatten, sondern eine theologische Wahrheit äußerte.

 

Angesichts der Tatsache, dass Petrus nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft infolge der Nachstellungen des Königs Herodes Agrippa I. an einem anderen Ort Zuflucht genommen hatte und somit nicht mehr in Jerusalem verweilte (vgl. 12,17), erstaunt der Auftritt des Petrus in Jerusalem. Auch wenn eine Rückkehr von dem unbekannten Zufluchtsort nicht berichtet wird, ist es jedoch durchaus möglich, dass Petrus nach dem Tod des Herodes Agrippa I. (vgl. 12,23) wieder nach Jerusalem zurückgekehrt war oder sich dort zumindest zeitweise aufhielt.

 

Das Substantiv "anêr“ bedeutet gewöhnlich "Mann“ und nur ausnahmsweise "Mensch“. Die Anrede "andres adelphoi“ ("Ihr Männer [und] Brüder“; kurz: "Brüder“) macht also wahrscheinlich deutlich, dass unter den Zuhörern der Rede nur Männer, jedoch keine Frauen waren.

 

Gott hat "unter euch“, also unter den Versammelten, seine Wahl getroffen. Da die Wahl auf Petrus fiel, dürfte Petrus sich als zu den Versammelten gehörig empfunden haben, was vermutlich zu der Textvariante "unter uns“ geführt hat. Er war einer der Zwölf, die Jesus zu Lebzeiten begleitet hatten, und gehörte somit zu den Aposteln, zu denen der Verfasser der Apg gemäß 1,21-26 nur die Zwölf zählt. Dass Gott unter den Versammelten, konkret den Aposteln, die Wahl getroffen hatte, machte aus Petrus einen Erwählten, und zwar einen aus dem Kreise der Versammelten bzw. Apostel Erwählten. Als Erwählter hatte er eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Dass Gott eine Wahl getroffen und ihn für eine ganz bestimmte Aufgabe ausersehen habe, ist eine Deutung des vergangenen Geschehens seitens Petrus. Dass seinem Wirken unter den Heiden tatsächlich eine Wahl Gottes vorausging, hat der Verfasser der Apg zuvor nicht erkennen lassen. Vielmehr kam er auf das Umherziehen des Apostels durch alle Gemeinden (oder: Gegenden) unvermittelt zu sprechen (vgl. 9,32).

Wie konnte Petrus voraussetzen, dass die Versammelten seine Deutung kannten? Vermutlich ist Petrus davon ausgegangen, dass die Versammelten durch Betrachtung der Geschehnisse zu der gleichen Deutung kommen würden wie Petrus. Somit dürfte er von der Kenntnis der Geschehnisse auf die Kenntnis der Deutung geschlossen haben. Dass die Versammelten über die Geschehnisse im Hinblick auf die Heidenmission des Petrus Bescheid wussten, kann aus 11,1-18 geschlossen werden, wonach Petrus den Aposteln und in Judäa lebenden Brüdern über sie berichtet hatte.

 

Petrus bestimmte die Zeitangabe "seit alten Tagen“ nicht genauer. Genau genommen handelt es sich um die Angabe einer Zeitdauer, womit Gott "seit alten Tagen“ dauerhaft die Wahl getroffen hätte. Eine solche Dauer ließe aber die Zeitform Imperfekt erwarten, tatsächlich handelt es sich bei dem Verb "exelexato“ ("er hat die Wahl getroffen“) jedoch um einen Aorist, was an ein einmaliges, abgeschlossenes Tun denken lässt. Versteht man "seit alten Tagen“ im Sinne von "von Anfang an“ (vgl. V. 14.21), dann hätte Gott seine Wahl vor der Geburt des Petrus bzw. der anderen Apostel getroffen. Es hätte sich um eine Vorherbestimmung gehandelt. Ebenso ist möglich, dass Gott seine Wahl getroffen hat, als sich Petrus im Leib seiner Mutter befand. Sofern die Wahl Gottes nach der Geburt des Petrus erfolgt ist, was die Formulierung "unter euch“, die an einen bereits bestehenden Apostel- und Ältestenkreis denken lässt, nahe legt, dann muss die Wahl Gottes vor dem Wirken des Petrus unter den Heiden erfolgt sein. Vermutlich ist die Zeitangabe absichtlich ungenau gewählt, weil es Petrus nicht auf den genauen Zeitpunkt der Wahl, sondern auf die Folge der Wahl ankam. Weil der genaue Zeitpunkt der Wahl Petrus unbekannt gewesen sein dürfte, reichte es aus, die Wahl in eine lange vergangene Zeit und damit auf jeden Fall vor das Wirken unter den Heiden zu datieren.

 

Weiterführende Literatur: Mit dem Verhältnis der Apg zum Galaterbrief befasst sich D. Trobisch 1999, 331-338. Lukas versuche die Ereignisse darzustellen, die dem Galaterbrief zugrunde lagen, wobei die historische Zuverlässigkeit der Darstellung seitens der Ausleger unterschiedlich beurteilt werde. Gemäß Lukas seien Petrus und Paulus keine Widersacher gewesen, sondern beide hätten auch in Rom als Missionare gewirkt und seien dort als Märtyrer gestorben. Diese Sichtweise entspreche der dem kanonischen NT zugrunde liegenden des 2. Jh.s. Lukas gehe davon aus, dass Paulus den Galaterbrief nach dem antiochenischen Zwischenfall (gemäß den Berichten Apg 15,1-2; Gal 2,11-14), aber vor dem Aufbruch zur Jerusalemer Apostelversammlung (gemäß dem Bericht 15,4-29) verfasst hat.

 

Gemäß J. Taylor 1992, 373-378 habe der Ersteller der Didascalia Apostolorum, einer -vermutlich in Syrien - in griechischer Sprache abgefassten Sammlung von Kirchenordnungen aus dem 3. Jh., bei seiner Beschäftigung mit Apg 15 bereits drei literarische Probleme erkannt, die auch von modernen Auslegern diskutiert werden: logischer Bruch zwischen V. 1-2 und V. 3-4; die Anspielungen von Apg 15,7-11. auf Apg 10-11, was die zweite Rede 15,7-11 als Dublette der ersten Rede 11,4-17 erscheinen lasse; die fehlende Notwendigkeit der Erwähnung des Barnabas und Paulus in 15,12.

 

M.-É. Boismard 1988, 433-440 geht davon aus, dass es sich bei Apg 15 um einen komplexen Bericht handele, bei dem zwei verschiedene Berichte miteinander verwoben wurden. Darauf wiesen folgende Beobachtungen hin: V. 1 und V. 5 bildeten eine Dublette; auf die jeweilige Beschneidungsforderung der Verse folge jeweils eine Diskussion (V. 2.7). Der Beschluss der Versammlung in Jerusalem werde auf zweierlei verschiedene Weise den "Brüdern“ in Antiochia überbracht: in V. 27 werde auch mündliche Überbringung erwähnt, gemäß V. 30b-31 werde ein Brief verlesen. Gemäß V. 30b-31 sei der Zuspruch mittels des Briefes erfolgt, gemäß V. 32 durch Worte. Die beiden Berichte entstammten vermutlich nicht dem gleichen historischen Zusammenhang. Der eine Bericht habe seinen historischen Ort in der Folge der Bekehrung des Kornelius und seines "Hauses“ (vgl. Apg 10-11). Der andere Bericht habe seinen historischen Ort im Aufenthalt des Paulus und Barnabas in Antiochia am Orontes, der gemäß dem Bericht der Apg nach der ersten Missionsreise erfolgte.

 

R. Trevijano Etcheverría 1997, 295-339 legt dar, dass Apg 9,26-30 auf den authentisch paulinischen Informationen über den ersten Besuch in Jerusalem Gal 1,18-19.21 gründe. Den zweiten, in Gal 2,1-10 thematisierten Besuch in Jerusalem, der die Beschneidungsfrage zum Inhalt gehabe habe, teilten Apg 11,27-30; 12,25 und 15 in zwei (oder sogar drei) Reisen auf. Sei in Gal 2,1-10 von der privaten Vorlage des Evangeliums und von der Übereinkunft mit den Jerusalemer Gemeindeleitern die Rede, so habe bei Lukas eine Reise die Übergabe der antiochenischen Kollekte und die andere Reise die Anerkennung der paulinischen Mission durch eine Apostelversammlung zum Thema. Dabei füge Lukas das "apostolische Dekret“ ein, zu dem es jedoch erst nach dem "antiochenischen Zwischenfall“ (Gal 2,11-14) komme. Die Heidenmission des Petrus (Apg 10,1-11.18; 15,7-9) und die erste Missionsreise des Barnabas und Paulus (Apg 13-14) seien zeitlich nach der Übereinkunft von Jerusalem anzusetzen.

Die Beziehung zwischen Jesus und Gott nach den Petrusreden der Apg hat M. Cifrak 2003 zum Thema. Auf S. 295-315 befasst er sich mit 15,7-11 und arbeitet dabei folgende Beziehungen heraus: Gott und Jesus hätten Petrus auserwählt, um den Heiden das Wort des Evangeliums, das Wort der Gnade des Herrn Jesus, zu verkündigen. Die Heiden sollten nach dem Hören dieses Wortes glauben. Durch den Glauben bzw. durch den Empfang des Wortes habe Gott ihre Herzen gereinigt. Wie die Heiden würden auch die Juden gerettet.

 

Zur engen Verbindung von Predigt und Dogmatik siehe C. K. Barrett 1983, 14-32. Jede Predigt enthalte ein dogmatisches Element; Dogmatik dagegen sei eine Form der Predigt. Der Kanon stelle den Rahmen für die Predigt dar; Dogmatik sei, wo sie ausgeübt werde, eine spezifisch entwickelte Art der Predigt. Ntl. Theologie enthalte sowohl Elemente der Predigt als auch der Dogmatik und könne als kritischer Prozess beschrieben werden, durch den der Kanon beides kontrolliere. Auch im Hinblick auf die Jerusalemer Apostelversammlung sei die enge Verbindung zu erkennen: Im Vorfeld der Versammlung habe es dogmatische Auseinandersetzungen gegeben. Bei der Versammlung sei zunächst die Predigt Thema, wie sie in der Welt erfolgen soll. Dabei komme es auch zu einer Erörterung dogmatischer Fragen und zum Schluss verabschiede die Versammlung ein Dekret.

 

Der Frage nach dem Verhältnis von Israel und Kirche geht M. Neubrand 2006 nach, die auf S. 39-79 einen Überblick über die lukanische Sicht von "Israel“ und "Kirche“ in der gegenwärtigen ntl. Forschung gibt. Auf die Rede des Petrus (15,7-11) geht sie auf S. 92-107 ein. Nach lukanischer Darstellung verdeutliche Petrus mit dieser Rede, dass Gott auch Nichtjuden allein aufgrund ihres Trauens auf das Evangelium rettet, ohne dass sie den besonderen jüdischen Weg in der Beziehung zu Gott gehen (müssen).

 

Die Tatsache, dass weder Paulus noch Barnabas eine Rede halten und sich stattdessen eine von Petrus gehaltene, typisch paulinische Rede findet, lässt F. Refoulé 1993, 239-251 nach einer Begründung suchen. Er setzt sich mit der These (von M.-É. Boismard) auseinander, wonach sich Lukas von den Briefen an die Galater und an die Epheser habe inspirieren lassen. F. Refoulé hält diese These für nicht überzeugend, denn sie werfe die Frage auf, warum sich die von Lukas in der Apg gebotene Schilderung der Jerusalemer Apostelversammlung so stark von der von Paulus in seinem Brief an die Galater gebotenen Darstellung unterscheidet. Wenn Paulus die beiden Briefe des Paulus an die Galater und an die Epheser gekannt hätte, dann wären die Aussagen zur Jerusalemer Apostelversammlung wohl kaum so unterschiedlich ausgefallen. Daher sei zu erwägen, ob nicht vielleicht Lukas den Paulus als in der Nachfolge des Petrus und Jakobus stehend darstellen wollte; als jemanden, der keineswegs in dem Maße ein Erneuerer war, wie es die Judenchristen argwöhnten.

 

Terminologische Beobachtungen insbesondere anhand von 15,7.14, die Doppelung des Berichtes von den Zeichen und Wundern durch V. 12 (zusätzlich zu V. 4) und die Beobachtung, dass der Bericht in keinster Weise in der Rede des Jakobus aufgenommen wird, lassen H. van de Sandt 1992, 73-97 zu der These kommen, dass Apg 15,6-21 als eine Neudeutung und Bearbeitung von Dtn 4,29-35LXX zu verstehen sei. In Dtn 4,29-31 verkünde Mose die Rückkehr des verbannten Volkes Israel zu Gott. Es werde den "Herrn“ in den letzten Tagen suchen und finden, denn dieser sei ein barmherziger Gott.

 

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V. 8

 

Beobachtungen: Wenn Gott die Herzen der Menschen kennt, so ist ausgesagt, dass Gott nicht − oder nicht nur − nach dem Äußeren urteilt, sondern (auch) nach dem Inneren. Das Herz dürfte nicht nur als Sitz der Gefühle, sondern insbesondere auch als Sitz der Gedanken und Absichten verstanden sein. Die Formulierung "Gott, der die Herzen kennt“ lässt annehmen, dass es von Gott positiv und von Gott negativ bewertete Herzen gab. Die Menschen, die mit einem positiven Herzen versehen waren, wären für die Hinwendung zum christlichen Glauben und für den Empfang des heiligen Geistes bestimmt gewesen. Möglich ist auch, dass sich die Kenntnis des Herzens nicht auf die Zeit vor der Bekehrung zum christlichen Glauben, sondern auf die Zeit unmittelbar nach der Bekehrung bezog. Dann hätte Gott erkannt, wessen Herz aufrichtig war und wessen neu erworbener christlicher Glaube somit aufrichtig und dauerhaft sein würde, und hätte den mit einem solchen Herzen versehenen Menschen den heiligen Geist gegeben.

 

Das "Zeugnis“ erscheint als Bekräftigung, und zwar als Bekräftigung des in Gottes Augen guten Herzens. Die Bekräftigung erfolgte durch die Gabe des heiligen Geistes.

 

Der heilige Geist war dem heidnischen Hauptmann Kornelius und allen in seinem Haus Versammelten bei dem Besuch des Petrus gegeben worden (vgl. 10,44). Damit hatten sie den heiligen Geist ebenso empfangen wie zuvor die Apostel und die Ältesten (vgl. 2,1-4.38.41).

 

Weiterführende Literatur: M. A. Couto 1984, 35-39 stellt als zentrale theologische Aussagen der Rede des Petrus heraus, dass das Heil universal sei, was sich darin zeige, dass der heilige Geist gleichermaßen auf Juden(christen) und Heiden(christen) herabkommt (vgl. Kornelius-Erzählung). Das Heil werde von Gott gewährt.

 

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V. 9

 

Beobachtungen: Hatte V. 8 annehmen lassen, dass Gott zwischen guten und schlechten Herzen zu unterscheiden wusste, so geht V. 9 von der Reinigung der Herzen aus. Demnach wären alle Herzen vor der Bekehrung zum christlichen Glauben unrein und damit schlecht gewesen. Erst die Bekehrung hätte die Reinigung durch Gott bewirkt. Somit hätte eine Unterscheidung zwischen reinen, also guten, und unreinen, also schlechten, Herzen erst nach der Bekehrung stattfinden können. Dann hätte Gott die Beschaffenheit der einzelnen Herzen gekannt, weil er sie zum Teil gereinigt hat, zum Teil aber auch nicht.

 

Wenn Gott erst keinen Unterschied mehr machte, nachdem er die Herzen gereinigt hatte, dann bedeutet das, dass er zuvor durchaus einen Unterschied gemacht hatte. Dies widerspricht der im Rahmen der Heidenmission von Gott an Petrus ergangenen Aufforderung, keinen Menschen als unrein anzusehen (vgl. 10,15.20.34; 11,9.12). Der Widerspruch lässt sich damit erklären, dass die Aussagen in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit verschiedener Absicht erfolgt sind. Die Aufforderung, keinen Menschen als unrein anzusehen, eröffnete die Möglichkeit der Heidenmission, die durch die Furcht vor Unreinheit verhindert oder zumindest erschwert worden war. Die Rede von der Reinigung der Herzen der Heiden und dem gleichen Ansehen von Juden und (gereinigten) Heiden zielte darauf ab, zum christlichen Glauben gekommene Heiden ohne Beschneidung in das zuvor nur aus den Juden bestehende Gottesvolk einschließen zu können.

Eine Harmonisierung beider Aussagen ist möglich, indem der Zeitpunkt, wann von einer Annahme des christlichen Glaubens gesprochen und somit die Reinigung durch den Glauben angenommen werden kann, so früh wie möglich angenommen wird. Nach außen hin wird die Annahme des christlichen Glaubens durch die Taufe kundgetan. Im Falle des Hauptmanns, seiner Gesandten und seiner im Haus versammelten Verwandten und Freunde wäre die Reinigung jedoch bei der Ankunft des Petrus noch nicht erfolgt gewesen, weil sie zu dem Zeitpunkt noch nicht getauft waren. Also muss die Reinigung vorher stattgefunden haben. Auch den heiligen Geist hatten sie noch nicht empfangen. Im Falle des Kornelius, seiner Gesandten und seiner im Haus versammelten Verwandten und Freunde wäre die Reinheit vielleicht dadurch gegeben gewesen, dass sie gottesfürchtig waren und dem durch einen Engel geäußerten Willen Gottes folgten. Aufgrund dieser Tatsache konnte Petrus ohne Furcht vor Unreinheit den Gesandten des Kornelius zu dessen Haus folgen (vgl. 10,1-11,18). Als frühestmöglicher Zeitpunkt der Glaubensannahme ist an den Augenblick zu denken, in dem der Mensch von Gott zum Glauben erwählt wird. Dieser hier ausgeführte Harmonisierungsversuch gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, wieso auch Menschen, die von vornherein den christlichen Glauben verweigern, als rein erklärt werden, wenn doch die Herzen "durch den Glauben“ gereinigt werden. Diesbezüglich könnte die Antwort lauten, dass zwischen dem reinen bzw. gereinigten Menschen und dem reinen bzw. gereinigten Herz zu unterscheiden ist. Eine solche Unterscheidung lässt sich allerdings aus der Apg nicht erschließen und wäre auch verwunderlich, weil das Herz ein zentrales inneres Organ ist und auch damals als solches verstanden wurde. Es ist kaum anzunehmen, dass ein solch zentrales Organ vom dem Menschen als Ganzem getrennt betrachtet werden sollte. Sinnvoll ist es nur, die kultische Reinheit bzw. Reinigung, wie sie durch eine Waschung erfolgt, von der Reinheit bzw. Reinigung des Herzens oder des ganzen Menschen zu unterscheiden.

 

Weiterführende Literatur:

 

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V. 10

 

Beobachtungen: "Nun also“ ("nyn oun“) leitet die Schlussfolgerung ein: Wenn Judenchristen wie Heidenchristen den heiligen Geist empfangen haben und die Herzen der Heidenchristen aufgrund des Glaubens von Gott gereinigt worden sind, so dass Gott zwischen Juden- und Heidenchristen keinen Unterschied macht, dann darf laut Petrus den Heidenchristen nicht ein unnötiges "Joch“ auferlegt werden.

 

Das Verb "peirazô“ bedeutet "in Versuchung führen“ oder "auf die Probe stellen“. Inwiefern wurde Gott in Versuchung geführt oder auf die Probe gestellt? Wurde Gott in Versuchung geführt, von den Heidenchristen die Beschneidung und das Befolgen des Gesetzes des Mose zu fordern? Das ist unwahrscheinlich, weil dann Gott sein Handeln nach dem Handeln der Menschen ausrichten würde. Wurde Gott in Versuchung geführt, die Menschen, die von den Heidenchristen die Beschneidung und das Befolgen des Gesetzes des Mose forderten, zu bestrafen, weil sie sich dem Willen und Handeln entgegenstellen? Diese Deutung dürfte in die richtige Richtung gehen. Hinsichtlich der Übersetzung "auf die Probe stellen“ würde das bedeuten, dass Gottes Geduld mit den Fordernden auf die Probe gestellt wurde. Am besten wird der Sachverhalt bei der Übersetzung "herausfordern“ deutlich: Diejenigen, die von den Heidenchristen die Beschneidung und das Befolgen des Gesetzes des Mose forderten, forderten Gott heraus, indem sie sich seinem Willen und Handeln entgegenstellten. Eine solche Gefahr musste Gottes Ärger heraufbeschwören und letztendlich zu einer Bestrafung führen (zu dieser Deutung des Verbs "peirazô“ vgl. Ex 17,2.7LXX; Num 14,22LXX; Jes 7,12LXX; Ps 77,18.41.56LXX; Weish 1,2LXX).

Wörtlich lautet die Übersetzung von Apg 15,10: "Nun also, was fordert ihr (den) Gott heraus, ein Joch auf den Nacken der Jünger zu legen, das …“. Die wörtliche Übersetzung lässt offen, wer das Joch auf den Nacken der Jünger legt(e). Die obige Deutung zeigt jedoch, dass nicht daran gedacht ist, dass Gott ein Joch auf den Nacken der Jünger − gemeint sind hier konkret die Heidenchristen − legen könnte, sondern dass die Pharisäer, die zum Glauben gekommen waren, dies taten und die Gefahr bestand, dass auch die anderen zur Beratung Versammelten auf deren Seite gezogen könnten.

 

Das Joch (zygos) ist ein Teil des Geschirrs, mit dem Zugtiere, insbesondere Ochsen, vor den Pflug oder Wagen gespannt werden. Das Joch liegt auf der Stirn oder dem Nacken auf und wird an der Deichsel mittels eines Bandes oder Seiles und eines Vorsteckers befestigt. Vom Joch gehen Druck und Belastung aus, weshalb es für Druck und Belastung steht.

 

Hier ist bei dem Joch an die Beschneidung und vermutlich auch an das Befolgen des Gesetzes des Mose gedacht, denn beides forderten die Pharisäer, die zum Glauben gekommen waren (vgl. 15,5).

Weder die "Väter“ − hier ist sicherlich nicht an die leiblichen Väter, sondern an die Erzväter, die Vorfahren, gedacht − der Versammelten noch die Versammelten selbst waren in der Lage das Joch zu tragen. Das bedeutet, dass sie zwar allesamt beschnitten waren und die Gesetze des Mose zu befolgen versuchten, jedoch ihrem hohen Anspruch nicht Genüge tun konnten und sich immer wieder Fehltritte leisteten. V. 10 lässt das Befolgen des Gesetzes des Mose als etwas Schwieriges, ja sogar zu Schwierigeres erscheinen. Offen bleibt dabei, ob es denn überhaupt möglich ist, das Gesetz des Mose voll und ganz zu befolgen. Diesen Sinn gibt am besten die Übersetzung "Nun also, was fordert ihr (den) Gott heraus, indem [ihr] ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das…“ wieder.

 

Weiterführende Literatur: Mit dem Gesetz in Apg 15 befasst sich W. Radl 1986, 169-174. Der Gegenstand der Auseinandersetzung in Jerusalem sei das mosaische Gesetz als ganzes, allem voran die Beschneidung. Es stehe zur Debatte, ob dieses Gesetz für die Heidenchristen verbindlich ist, genauer: ob die Beobachtung des Gesetzes für sie heilsnotwendig ist. Diese Frage werde von Petrus (mit dem Hinweis auf die Ereignisse von Apg 10-11) klar negativ beantwortet; er wolle die Juden nicht mit dem Gesetz behelligen. Jakobus dagegen meine eindeutige gesetzliche Verpflichtungen auch für die Heidenchristen angeben zu können. Jakobus nähere sich der Lösung des Problems im Licht der Schrift, des Gesetzes wie der Propheten. Nach Ausführungen zu der Regelung im Einzelnen kommt W. Radl auf den Stellenwert der gesetzlichen Verpflichtungen zu sprechen: Die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen sei der Rettung nicht vor-, sondern nachgeordnet. Der Glaube führe zur Rettung, und als Folge der Rettung, d. h. der Aufnahme unter die Geretteten, ergebe sich die Erfüllung bestimmter Forderungen. Das Gesetz formuliere nicht die Bedingungen für die Aufnahme in das Gottesvolk, sondern die Regeln für das Leben im Gottesvolk.

 

Mit der Annahme, dass Lukas das Heil der Heiden in voller Übereinstimmung mit dem jüdischen Religionsgesetz gesehen habe, setzt sich M. A. Seifrid 1987, 39-57 kritisch auseinander. Seiner Meinung nach habe in den Augen des Lukas eine anders geartete, auf dem messianischen Status Jesu gründende Ethik das Mosaische Gesetz als maßgebliche ethische Richtschnur abgelöst. Das schließe nicht die Befolgung des Mosaischen Gesetzes aus, doch habe diese nur zu erfolgen, wenn dies die neue, vom auferstandenen Christus ausgehende Ethik verlange. Bei vier Punkten lasse Lukas erkennen, dass er eine Ethik zugrunde legt, die die Tora überschreitet (und punktuell auch aufheben kann): a) der inthronisierte Messias, Jesus, stelle neue Forderungen an die Menschheit; b) nicht das Mosaische Gesetz sei für die Empfänger des Heils (und somit das Volk Gottes) maßgeblich, sondern der Glaube an Jesus; c) das Mosaische Gesetz sei nicht das Kriterium, nach dem die Lebensweise der Heidenchristen auszurichten sei; d) auch das Verhalten der Judenchristen müsse sich nicht nach dem Mosaischen Gesetz ausrichten.

 

E. Larsson 1985, 425-436 legt dar, dass in der Forschung gewöhnlich streng zwischen den paulinischen Briefen und der Apg unterschieden werde. Allerdings sei in Apg 13,38-39 eine Verbindung zwischen dem Paulus der Briefe und dem lukanischen Paulus der Apg erkennbar. In der Apg stelle sich zwar Paulus des Öfteren als toratreu dar (vgl. 24,14-15; 25,8 u.a.), doch gehöre 13,38-39 zu den torakritischen Aussagen. 15,10 habe den gleichen Inhalt, stamme aber aus dem Mund des Petrus. Dieser Vers sei wahrscheinlich von Lukas formuliert worden, um im Hinblick auf die Torafrage zu verdeutlichen, dass Übereinstimmung zwischen Petrus und Paulus geherrscht habe. Er könne also herangezogen werden, um das paulinische Gesetzesverständnis gemäß Lukas zu erhellen. E. Larsson hält für nicht wahrscheinlich, dass 13,38-39 besage, dass es bestimmte Sünden gibt, für die es durch das Gesetz keine Rechtfertigung gibt, sondern nur durch den Glauben. Wahrscheinlicher sei, dass Paulus jegliche Rechtfertigung durch das Gesetz abstreitet.

 

J. Nolland 1981, 105-115 legt dar, dass in V. 10 das Joch nicht als schwer, als kaum zu tragen, gedacht sei. Die Erwähnung des Jochs dürfe nicht isoliert betrachtet werden, sondern müsse mit Blick auf die Aussagen der V. 7-11 erfolgen. Der Grundgehalt dieser Aussagen sei, dass dem jüdischen Religionsgesetz keine Heilsrelevanz zukomme. In diesem Sinne sei auch die Erwähnung des Jochs zu verstehen.

 

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V. 11

 

Beobachtungen: Zwar bleibt offen, was mit der "Gnade des Herrn Jesus“ gemeint ist, doch geht aus 15,6-11 hervor, dass diese Gnade im Zusammenhang mit dem Glauben an Jesus Christus und der Gabe des heiligen Geistes zu sehen ist. Nicht das "Joch“ führt zur Rettung, sondern die "Gnade des Herrn Jesus“.

 

Der Titel "Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der "Herr“ übt gemäß dem antiken Klientelverhältnis Macht über seine Untergebenen (= Klienten) aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem "Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen.

 

Es wird nicht ausgeführt, in welcher Weise die Christen gerettet werden. Die Rettung ist nicht von Jesus Christus, und damit wahrscheinlich auch nicht von dessen Kreuzigung und Auferstehung von den Toten zu trennen. Wahrscheinlich ist an eine Rettung gedacht, wie sie aus der Predigt des Paulus in der Synagoge von Antiochia in Pisidien hervorgeht: Auferstehung von den Toten, Sündenvergebung und ewiges Leben (vgl. 13,16-41). All dies ist nicht ohne Jesus Christus zu denken. An ihn und an das Heilsgeschehen gilt es zu glauben.

 

Fraglich ist, ob sich "(auch) jene“ ("kakeinoi“) auf "Jünger“ bezieht oder auf das näher stehende "unsere Väter“. In ersterem Fall wäre gemeint, dass auch die "Jünger“, also die Heidenchristen, durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet werden. In letzterem Fall wäre gemeint, dass auch die Vorfahren der Versammelten durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet wurden. Weil die Vorfahren der Versammelten zwar an den Gott Israels glaubten, allerdings Jesus Christus noch nicht geboren und somit auch noch nicht den Kreuzestod gestorben und von den Toten auferstanden war, ist eine Rettung der Vorfahren durch die Gnade des Herrn Jesus kaum denkbar. Folglich dürfte ein Bezug auf die "Jünger“ vorliegen.

 

Weiterführende Literatur: Mit der Theologie der Jerusalemer Versammlung befasst sich R. Dickinson 1990, 65-83, dessen Hauptaugenmerk auf der Rede des Petrus (vgl. 15,7-11) und auf der Rede des Jakobus (vgl. 15,13-21) liegt. Es gehe um die Frage, wie die Heiden gerettet werden können.

 

Mit der Argumentation des Petrus und des Jakobus auf dem sog. Apostelkonzil befasst sich M. Cifrak 2010, 9-18. Beide gingen davon aus, dass für die Erlangung des Heils der Glaube an die Wirksamkeit des Heilstodes Christi ausreiche, ohne dass es eines komplementären Mittels der Rechtfertigung bedürfe. Auch leugneten sie nicht, dass die Heiden durch das Wirken und die Verkündigung des Petrus (und Paulus) bedingungslos zur Kirche gehörten. Allerdings müssten sich aus Sicht des Jakobus die Heidenchristen als Proselyten benehmen, denn wenn die Juden die anderen Juden mit den Heiden sähen, dann würden sie nie auf die frohe Botschaft hören. Dies sei der Hintergrund der Klauseln, die wir in Lev 17-18 finden. Damit stehe Gal 2 im Einklang. Wenn Petrus die Juden gewinnen wolle, dann müsse er sich entsprechend verhalten. Wenn sie ihn am Tisch mit den Heiden(christen) gesehen hätten, dann würden sie kaum auf ihn hören.

 

 

Literaturübersicht

 

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