Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Apostelgeschichte (18,23 - 21,17)

Apg 18,24-28

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Apg 18,24-28

 

 

Übersetzung

 

Apg 18,24-28:24 Ein Jude aber namens Apollos, der aus Alexandria stammte, ein beredter Mann, kam nach Ephesus; er war stark in den Schriften. 25 Dieser war im Weg des Herrn unterwiesen und redete und lehrte mit brennendem Geist genau die Dinge über Jesus, obwohl er nur die Johannestaufe kannte. 26 Und dieser fing an, freimütig in der Synagoge zu reden. Als ihn aber Priscilla und Aquila hörten, nahmen sie ihn zu sich und setzten ihm den Weg (des) Gottes [noch] genauer auseinander. 27 Als er aber nach Achaia weiterziehen wollte, ermunterten [ihn] die Brüder [dazu] und schrieben an die Jünger [dort], sie möchten ihn aufnehmen. Er war nach seiner Ankunft denen, die kraft der Gnade zum Glauben gekommen waren, eine große Hilfe. 28 In eindrücklicher Weise nämlich widerlegte er die Juden, indem er anhand der Schriften in aller Öffentlichkeit bewies, dass Jesus der Christus ist.

 

 

( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 24

 

Beobachtungen: Bei dem Abschnitt 18,24-28 handelt es sich um ein Stück, das die Ankunft des Paulus in Ephesus während seiner dritten Missionsreise vorbereitet. Gemäß V. 23 hatte Paulus Antiochia am Orontes wieder verlassen und durchzog nun das galatische Land und Phrygien, wo er die Jünger stärkte. Aus der Reiseroute lässt sich schließen, dass Paulus von vornherein auf Ephesus zustrebte, wo ja die Fortsetzung der unter den Juden begonnenen Verkündigung noch ausstand. Da 18,24-28 weder auf 18,23 noch auf 19,1, die Ankunft des Paulus in Ephesus, Bezug nimmt, kann 18,24-28 als eigenständiges Traditionsstück angesehen werden, das der Verfasser der Apg in seinen Bericht vom Wirken des Paulus eingefügt hat.

 

Einige Textzeugen bieten von "Apollos“ abweichende Namensformen. Der Codex Sinaiticus und einige Minuskeln bieten "Apelles“, der Codex Bezae Cantabrigiensis bietet "Apollonios“.

 

Apollos wird als "Jude“ bezeichnet, doch ist mit Blick auf 18,2 zu erwägen, dass er kein Jude, sondern ein Judenchrist war. Auch Aquila wird in 18,2 vom Verfasser der Apg als "Jude“ bezeichnet, obwohl er Judenchrist gewesen sein dürfte.

 

Das Adjektiv "logios“ kann sowohl "gelehrt“ als auch "beredt“ bedeuten. In V. 24 ist an beide Bedeutungen gleichermaßen zu denken, weil Apollos im Folgenden als sowohl gelehrt als auch beredt dargestellt wird.

 

Die Formulierung "tô genei“ bedeutet hier wohl "der Herkunft nach“. Ausgesagt ist, dass Apollos aus Alexandria stammte, diese ägyptische Großstadt also vermutlich sein Geburtsort war. Nicht ausgesagt ist dagegen wohl, dass Apollos einem Volk der Alexandriner angehörte. Warum die Herkunft des Apollos aus Alexandria erwähnt wird, bleibt offen. Wird sie erwähnt, weil der Verfasser der Apg die Information nicht weglassen wollte, obwohl sie hier nicht von besonderer Bedeutung war? Wollte er einfach nur deutlich machen, dass Apollos von außen nach Ephesus gekommen war, also nicht von dort stammte? Oder soll die Angabe der Herkunft zugleich etwas über die theologische Prägung des Apollos aussagen?

In Alexandria gab es zur Zeit des Apollos ein großes Judenviertel, das sich über zwei Stadtteile erstreckte. Auch das alexandrinische Christentum war jüdisch geprägt. Das Judentum war stark hellenisiert. Es ist davon auszugehen, dass Apollos sowohl mit der griechischen Kultur als auch mit der griechischen Sprache vertraut war. Nach den Eroberungszügen des Makedoniers Alexander d. Gr. war Ägypten ein sogenanntes Diadochenreich, also ein Nachfolgereich des Weltreiches Alexanders d. Gr. In dieser Zeit wurde Griechisch zur Verwaltungssprache, was es auch nach der Eroberung durch die Römer 30 v. Chr. weiterhin war. Apollos wird sicherlich Griechisch gesprochen haben, ebenso wie die Einwohner von Ephesus. So wird es vermutlich keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben haben. Auf dem Hintergrund der alexandrinischen Herkunft kann man das Adjektiv "logios“ ("gelehrt“. "beredt“) so verstehen, dass sich Apollos in der griechischen Kunst der Unterredung, Dialektik genannt, verstand und über die Kenntnis der biblischen Schriften hinausgehend gut gebildet war. Immerhin galt die Stadt Alexandria mit ihrer (bei der Eroberung Ägyptens durch die Römer oder später zerstörten) Bibliothek als Stadt der Bildung.

 

Ephesus war eine der bedeutendsten und mit 200000 − 250000 Einwohnern eine der größten Städte des Römischen Reiches. In Ephesus hatte der Statthalter (Prokonsul) der römischen Provinz Asien (= Asia) seinen Sitz. Da Ephesus auch eine bedeutende Handelsstadt war, zog sie Menschen anderer Städte und Regionen an, weshalb es nicht verwundert, dass Apollos aus Alexandria nach Ephesus gekommen war, zumal auch Alexandria eine Weltstadt war.

 

Die Formulierung "stark in den Schriften“ besagt, dass Apollos schriftkundig war, wobei mit den "Schriften“ die Schriften der hebräischen Bibel (= AT) gemeint sein dürften. Diese biblischen Schriften waren die Glaubensgrundlage sowohl der Juden als auch der Christen. Die griechische Bibel, das heutige NT, existierte noch nicht. Apollos kann schriftkundiger Jude oder schriftkundiger Judenchrist gewesen sein.

 

Weiterführende Literatur:

 

( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 25

 

Beobachtungen: Die Formulierung "im Weg des Herrn unterwiesen sein“ kann als "den Willen Gottes kennen“ und als "den Willen Gottes tun“ gedeutet werden. Der Wille Gottes kann als Heilsplan verstanden werden, der auch das Heil durch den verheißenen Messias (= Christus) beinhaltet und vielleicht auf dieses Heil zuläuft. Gemäß christlicher Deutung wäre Jesus dieser im Heilsplan vorgesehene Messias. Apollos hätte demnach über diesen Bescheid gewusst, und zwar über dessen Leben und insbesondere auch über dessen Heilsbedeutung. Da sich der Titel "Herr“ sowohl auf Gott als auch auf Jesus Christus beziehen kann, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Formulierung "im Weg des Herrn unterwiesen sein“ als "den Willen Jesu Christi kennen“ und als "den Willen Jesu Christi tun“ zu deuten sind. Dann wäre Apollos dem Glauben und Tun nach Christ gewesen.

Der Codex Bezae Cantabrigiensis bietet eine Alternative, wonach Apollos nicht im Weg des Herrn, sondern im Wort des Herrn unterwiesen war. Das "Wort des Herrn“ ist als "Evangelium“ zu deuten, womit das Reden und das Lehren des Apollos als eindeutig christlich erscheint. Der Codex Bezae Cantabrigiensis weiß davon, dass Apollos in seiner Heimat unterwiesen wurde. Allerdings liegen die Anfänge des alexandrinischen Christentums im Dunklen.

 

Es bleibt offen, wie und wo Apollos unterwiesen worden ist. Ist Apollos von einem jüdischen Gelehrten unterrichtet worden und ist er vielleicht selbst zu einem jüdischen Gelehrten (Rabbi) ausgebildet worden? Oder hat er seine Kenntnisse durch die Schriftauslegungen der synagogalen Gottesdienste erworben? Oder ist er in der Familie unterwiesen worden? Geht man davon aus, dass "Weg des Herrn“ in V. 25 speziell die christliche Lehre meint, dann kann die Unterweisung auch bei einem katechetischen Unterricht vor der Bekehrung zum Christentum erfolgt sein. Auch ist an eine christliche Unterweisung durch Familienangehörige, durch weitere Verwandte oder auch durch Freunde zu denken.

 

"Die Dinge über Jesus“ ("ta peri tou Iêsou“) können sowohl das Leben als auch die Heilsbedeutung Jesu beinhalten. Eine Eingrenzung legt die Formulierung nicht nahe. Allerdings wird auch nicht ausdrücklich gesagt, dass Apollos alle Dinge über Jesus redete und lehrte. Auch der Hinweis, dass er die Dinge über Jesus genau redete und lehrte, sagt nichts über Vollständigkeit aus, sondern besagt nur, dass sich Apollos in dem Bereich der Dinge über Jesus, in denen er sich auskannte, genau auskannte. Angesichts der Tatsache, dass Apollos nur die Johannestaufe kannte, kann man vermuten, dass Apollos nur über das Leben Jesu Bescheid wusste und darüber genau reden und lehren konnte. Da ausgeschlossen ist, dass Apollos die Dinge über Jesus genau reden und lehren konnte, weil er nur die Johannestaufe kannte, muss der mit "epistamenos“ ("kennend“) eingeleitete Partizipialsatz mit "obwohl er nur die Johannestaufe kannte“ übersetzt werden. Apollos wusste also mehr über die Dinge Jesu, als man angesichts seiner Kenntnis nur der Johannestaufe und nicht der christlichen Taufe denken könnte. Um die Dinge über Jesu irdisches Leben genau reden und lehren zu können, hätte es keiner Kenntnis der christlichen Taufe bedurft. Apollos muss folglich auch über die mit Kreuzestod und Auferstehung von den Toten verbundene Heilsbedeutung Jesu Bescheid gewusst haben. Die Kenntnis der wahren Heilsbedeutung ohne Kenntnis der christlichen Taufe ist tatsächlich eine Besonderheit und macht die Anmerkung "obwohl er nur die Johannestaufe kannte“ verständlich

 

Fraglich ist, welcher Geist (pneuma) gemeint ist. Handelt es sich um den Geist des Apollos? Dann würde "mit brennendem Geist“ besagen, dass Apollos begeistert und mit großem Eifer redete und lehrte. Oder handelt es sich um den Geist Gottes bzw. − christlich verstanden − um den heiligen Geist? Die Formulierung "mit brennendem Geist“ würde dann ein enormes Wirken des Geistes Gottes bzw. des heiligen Geistes aussagen. Für diese Deutung spricht der Gebrauch des bestimmten Artikels, der darauf hinweist, dass von einem ganz bestimmten, bekannten Geist die Rede ist. Gegen die christliche Deutung spricht, dass eigentlich anzunehmen wäre, dass Apollos im Zusammenhang mit der Taufe auf den Namen Jesu Christi vom heiligen Geist erfüllt worden ist. Von einer solchen ist aber keine Rede. Ist also Apollos unabhängig von einer solchen Taufe auf den Namen Jesu Christi vom heiligen Geist erfüllt worden?

 

Weiterführende Literatur: Ausführlich mit den Abschnitten, die vom Aufenthalt des Paulus in Ephesus handeln, und mit dem Kult der Artemis von Ephesus befasst sich R. Strelan 1996, der auf S. 210-229 auf die Forschungsdiskussion zu Apg 18,24-28 eingeht.

 

Laut M. Wolter 1987, 49-73 gehe es dem Verfasser der Apg in 19,1-7 nicht um eine Abgrenzung von der Täuferbewegung, sondern der Text wolle von 18,24-28 her gelesen werden. Der Verweis auf die Johannestaufe diene ihm hier wie dort dazu, die Defizienz (fehlender Empfang des heiligen Geistes) des Apollos und der Ephesusjünger in einer für seine Leser plausiblen Weise zu kennzeichnen und beide miteinander zusammenzubinden.

 

( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 26

 

Beobachtungen: Das Verb "parrêsiazomai“ ("freimütig sprechen“) meint das offene, wahrhaftige und furchtlose Sprechen. Als Jude oder Judenchrist wird Apollos problemlos Zugang zur Synagoge bekommen haben, zumal es in Ephesus noch keine antichristlichen Ausschreitungen seitens der Juden gegeben hatte. Offen bleibt, wie sich das freimütige Sprechen genau gestaltete. Hat Apollos im Rahmen der Schriftauslegung des synagogalen Gottesdienstes freimütig gesprochen oder hat er dies außerhalb des Gottesdienstes, vielleicht im kleinen Kreis Interessierter getan?

 

Wenn Aquila und Priscilla den in der Synagoge freimütig redenden Apollos hörten, dann ist daraus zu schließen, dass sie in der Synagoge anwesend gewesen sein müssen. Da Aquila und wohl auch seine Frau "Juden“, also Juden oder Judenchristen, waren, hatten auch sie wohl ohne Probleme zur Synagoge Zutritt.

 

Aquila und Priscilla haben Apollos nicht vor der versammelten Gemeinde den Weg Gottes genauer auseinandergesetzt, sondern sie haben ihn zu sich genommen. Dabei wird nicht genauer dargelegt, wie dies geschah. Haben sie ihn in der Synagoge oder an einem öffentlichen Ort außerhalb der Synagoge zu einem persönlichen Gespräch beiseite genommen oder haben sie ihn zu sich nach Hause genommen?

 

Zwar bleibt offen, inwiefern Priscilla und Aquila ihm den Weg Gottes noch genauer darlegten, doch weist die fehlende Kenntnis der Taufe auf den Namen Jesu Christi seitens des Apollos darauf hin, dass er über diese Art Taufe informiert wurde. Dass Apollos auch getauft wurde, wird jedoch nicht gesagt. Zwar können Priscilla und Aquila den Apollos auch über Kreuzestod und Auferstehung Jesu belehrt haben, doch hätte dies sicherlich einer umfangreicheren Unterweisung in den christlichen Glauben bedurft.

Die Apg hat bisher noch nicht von Missionserfolgen des Paulus in Ephesus berichtet. Insofern kamen in Ephesus nicht viele Christen für die genauere Darlegung des Weges Gottes infrage. Dass den beiden Zugezogenen, Priscilla und Aquila, diese Aufgabe zukam, verwundert daher nicht. Immerhin hatten sie längere Zeit mit Paulus zusammengelebt und waren somit sicherlich mit dessen Theologie vertraut. Aus der genaueren Darlegung des Weges Gottes lässt sich allerdings nicht unbedingt schließen, dass Priscilla und Aquila in Ephesus eine umfangreiche missionarische Tätigkeit entfalteten.

 

Es ist fraglich, ob die Formulierung "den Weg (des) Gottes“ oder die Formulierung "den Weg“ (vom Codex Bezae Cantabrigiensis geboten) ursprünglich ist. Darüber hinaus gibt es noch als weitere Formulierung "den Weg des Herrn“, die von einigen Minuskeln geboten wird.

 

Eine u. a. vom Codex Bezae Cantabrigiensis gebotene Variante vertauscht die Reihenfolge der Namen, nennt also zuerst Aquila und dann Priscilla. Ist dies mit einer frauenfeindlichen Haltung zu erklären, die die Bedeutung der Christinnen in der Urkirche herunter zu spielen suchte?

 

Weiterführende Literatur: W. O. Walker 2008, 479-495 vertritt die Meinung, dass alles, was die Apg über Aquila und Priscilla aussagt, von den paulinischen Briefen entnommen oder hergeleitet sei oder plausibel den literarischen, theologischen und/oder apologetischen Aussageabsichten des Verfassers der Apg zugeschrieben werden könne. Zusätzlich zu den paulinischen Briefen habe der Verfasser der Apg kein Quellenmaterial herangezogen. Es sei davon auszugehen, (a) dass der Verfasser der Apg wenigstens einen Teil der paulinischen Briefe kannte und benutzte, b) dass der Text der Apg eine ausgesprochen antifeministische Einstellung widerspiegele, c) dass der Gedankenhorizont des Verfassers der Apg eine antimarkionitische Komponente enthielt und (d) dass die Abfassung der Apg in das 2. Jh. n. Chr. − möglicherweise in die Mitte − zu datieren sei.

 

Als eine durchaus bedeutende Mitarbeiterin des Apostels Paulus sieht Y.-M. Lee 2006, 249-256 Prisca (= Priscilla) an. Die Nennung ihres Namens vor demjenigen ihres Ehemannes in Apg 18,18.26; Röm 16,3; 2 Tim 4,19 weise auf die Anerkennung ihrer Mitarbeit hin, da es nicht üblich gewesen sei, die Frau zuerst zu nennen. Dabei ließen sich die beiden Ausnahmen aus dem jeweiligen Kontext verständlich machen: So würden in Apg 18,2 die beiden zum ersten Mal erwähnt und vorgestellt. Hinsichtlich 1 Kor 16,19 könnte der Grund dagegen in der besonderen Situation der korinthischen Gemeinde liegen (vgl. z. B. 1 Kor 14,33-36).

 

Laut I. Richter Reimer 1992, 218-226 hätten Priscilla und Aquila nicht nur an den synagogalen Gottesdiensten teilgenommen, sondern auch selbst gelehrt. Wenn sie dem Apollos den Weg Gottes noch genauer darlegten, so habe es sich dabei möglicherweise, aber nicht zwingend um eine entwickeltere paulinische Theologie gehandelt. Festzuhalten sei auf jeden Fall, dass sie einen Lehrer (nämlich Apollos) lehrten.

 

( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 27

 

Beobachtungen: Es bleibt offen, warum Apollos nach Achaia weiterziehen wollte. Die römische Provinz Achaia (oder: Achäa) umfasste die peloponnesische und die attische Halbinsel, Teile West- und Mittelgriechenlands und zahlreiche griechische Inseln. Die bedeutendsten Städte waren Korinth, der Sitz des Statthalters (Prokonsuls) der Provinz, und Athen. Beide Städte hatte Paulus besucht. Da sich dem ersten Brief des Paulus an die Korinther (1,12) entnehmen lässt, dass sich in Korinth Parteiungen gebildet hatten, darunter auch eine um Apollos, ist davon auszugehen, dass Apollos in Ephesus (auch) nach Korinth weiterziehen wollte. Wollte Apollos das Missionswerk des Paulus fortführen? Dass er dies tat, lässt sich aus 1 Kor 3,6 schließen, wonach Paulus gepflanzt und Apollos begossen hat. Voraussetzung für diese Schlussfolgerung ist, dass der im Ersten Korintherbrief erwähnte Apollos auch tatsächlich mit dem in Apg 18,24-19,1 genannten identisch ist. Für die Identität spricht 1 Kor 16,8.12, wonach Apollos in Ephesus verweilte und in möglichst naher Zukunft die korinthische Gemeinde besuchen sollte.

 

"Brüder“ meint hier nicht "leibliche Brüder“, sondern Glaubensbrüder, nämlich Christen. Dabei sind wohl die Glaubensschwestern eingeschlossen, die jedoch von der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt, unterschlagen werden.

 

Dass "Brüder“ einen Brief schrieben, setzt voraus, dass es in Ephesus zumindest eine kleine christliche Gemeinde gab. Da Paulus in Ephesus bei seinem einzigen Aufenthalt wohl keinen nennenswerten Missionserfolg gehabt hatte (vgl. Apg 18,19-21), dürfte die Gemeinde wohl nicht auf sein Wirken zurückgehen, sondern eher auf das Wirken der Priscilla und des Aquila oder auf das Wirken des Apollos.

 

Bei dem Partizip "protrepsamenoi“ ("ermuntert habend / sich bittend gewendet habend“) handelt es sich um einen Aorist. Daraus ist zu folgern, dass die "Brüder“ jemanden vor der Abfassung des Briefes an die Jünger ermuntert hatten. Da in V. 26 und am Anfang des V. 27 Apollos im Mittelpunkt des Interesses stand, ist davon auszugehen, dass die "Brüder“ den Apollos ermuntert haben. Sie dürfte ihn gemäß dieser Deutung dazu ermuntert haben, seinen Beschluss in die Tat umzusetzen. Einer solchen Ermunterung bedurfte es deshalb, weil sich die Juden in Athen und insbesondere in Korinth zunehmend gegen den dort vor Apollos missionarisch tätigen Paulus gewandt hatten. Insofern konnte Apollos in der Nachfolge des Paulus unter den Juden nicht mit Gastfreundschaft rechnen. Da er vermutlich den Christen nicht bekannt war, konnte er vermutlich auch seitens der Christen nicht ohne Weiteres mit Gastfreundschaft rechnen. Somit musste zum einen Apollos ermuntert werden, tatsächlich nach Achaia weiterzuziehen, zum anderen mussten die "Brüder“ an die Jünger, also die Christen, in Achaia einen Empfehlungsbrief schreiben, in dem sie den Adressaten die gastfreundliche Aufnahme des Apollos ans Herz legte. Diese Deutung ergibt Sinn, doch ist sie nicht über alle Zweifel erhaben, weil der Verfasser der Apg weder ausdrücklich schreibt, wen die "Brüder“ ermunterten, noch darlegt, was der Inhalt der Ermunterung war. So ist es auch möglich, dass die "Brüder“ nicht Apollos ermunterten, sondern die Christen in Achaia. Sie hätten diese in ihrem Brief dazu ermuntert, d. h. gebeten, den Apollos bei sich gastfreundlich aufzunehmen. Auch diese Deutung ergibt Sinn, allerdings widerspricht ihr die Tatsache, dass das Partizip "protrepsamenoi“ ein Aorist ist und damit ein bei der Abfassung des Briefes bereits erfolgtes Geschehen nennt.

Der Codex Bezae Cantabrigiensis bietet einen von Nestle-Aland, 27. Aufl. abweichenden Text. In dieser Variante wird eine Begründung dafür gegeben, warum Apollos nach Achaia weiterziehen wollte: Demnach hätten ihn Korinther, die sich in Ephesus aufhielten und ihn gehört hatten, gebeten, sie in ihre Heimat zu begleiten. Apollos habe zugestimmt, worauf die Epheser den Jüngern in Korinth den Brief mit der Bitte um gastfreundliche Aufnahme des Mannes geschrieben hätten.

 

Dass einmal von "Brüdern“ die Rede ist, das andere Mal von "Jüngern“, obwohl jeweils Christen im Blick sind, ist möglicherweise damit zu erklären, dass die "Brüder“ bereits eine persönliche Beziehung zu Apollos hatten, also dessen "Brüder“ waren. Diese persönliche Beziehung fehlte zwischen den "Jüngern“ und Apollos noch. Angesichts der Tatsache, dass an anderen Stellen aber schon die Glaubensverbindung ohne weitere persönliche Beziehung ein ausreichender Grund für den Gebrauch der Bezeichnung "Brüder“ ist, kann der begriffliche Wechsel aber auch einfach mit dem Bemühen einer abwechslungsreichen Wortwahl seitens des Verfassers der Apg zu begründen sein.

 

Fraglich ist, ob "kraft der Gnade“ ("dia tês charitos“) auf "die zum Glauben gekommen waren“ ("tois pepisteukosin“) oder auf "war er ihnen eine große Hilfe“ ("paragenomenos synebaleto poly“) zu beziehen ist. Für ersteren Bezug sprechen sowohl die Stellung unmittelbar hinter "die zum Glauben gekommen waren“ als auch die Parallele Apg 15,11, doch ist auch letzterer Bezug möglich. Bei ersterem Bezug lautet die Übersetzung "Er war nach seiner Ankunft denen, die kraft der Gnade zum Glauben gekommen waren, eine große Hilfe“, bei letzterem Bezug "Er war nach seiner Ankunft denen, die zum Glauben gekommen waren, kraft der Gnade eine große Hilfe“.

Es ist davon auszugehen, dass Gottes oder Christi Gnade gemeint ist. Bei ersterem Bezug wären also die Christen in Korinth kraft Gottes bzw. Christi Gnade zum Glauben gekommen, bei letzterem Bezug wäre Apollos kraft Gottes bzw. Christi Gnade den Christen in Korinth eine große Hilfe gewesen.

 

Weiterführende Literatur: C. K. Barrett 1984, 29-39 nimmt an, dass in 18,24-28 und 19,1-7 von Johannesjüngern die Rede sei. Gruppen solcher Johannesjünger hätten den Tod ihres Lehrers und auch Jesu Tod und Auferstehung überdauert. Nun habe sich jedoch die Frage gestellt, ob diese Johannesjünger nach der Johannestaufe einer weiteren Taufe bedurften, um vollgültige Christen zu sein bzw. zu werden. C. K. Barrett vermutet, dass sich in der ephesinischen Zeit verschiedene christliche und den Christen nahe stehende Gruppierungen getroffen und angenähert haben. Bezüglich der Notwendigkeit einer Taufe auf den Namen des Herrn Jesus hätten verschiedene Meinungen nebeneinander gestanden, was auch aus 18,24-28 und 19,1-7 hervorgehe. Letztlich bestehe aber Lukas darauf, dass sich die Meinung des Paulus durchgesetzt habe und normativ geworden sei.

 

S. Heine 1987, 51-53 geht auf die Textfassung des Codex Bezae Cantabrigiensis ein. Diese Textvariante lasse das Ehepaar Aquila und Priscilla in V. 27 verschwinden, indem sie von "sich in Ephesus aufhaltenden Korinthern“ spricht. Diese Textvariante sei im Lichte des grundsätzlichen Bemühens zu deuten, Frauen in der Bibel zum Verschwinden zu bringen.

M. W. Holmes 2003, 199-200 stellt die These von A. Harnack infrage, wonach den Schreiber des Codex Bezae Cantabrigiensis die Priscilla störte und er sie nicht als Briefschreiberin gelten lassen wollte. M. W. Holmes geht zwar auch davon aus, dass Priscilla und Aquila in der Bezeichnung "die Brüder“ eingeschlossen gewesen seien, jedoch habe die Gruppe der "Brüder“ wohl kaum nur aus diesen beiden bestanden. Tatsächlich werde seitens des Codex Bezae Cantabrigiensis in V. 27 nicht nur Priscilla von der Bildfläche beseitigt, sondern auch Aquila. Dies sei mit einer Paraphrasierung des Versanfangs zu begründen, wo von einem Besuch einiger Korinther in Ephesus die Rede war. Die Änderung von "Brüder“ ("adelphoi“) zu "Epheser“ ("ephesioi“) solle verdeutlichen, welche Gruppe Gläubige den Brief schrieb.

 

( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 28

 

Beobachtungen: V. 28 erklärt, inwiefern Apollos den Christen in Achaia eine große Hilfe war: Aufgrund seiner Redegewandtheit und auf guter Schriftkenntnis beruhenden Argumentationsstärke war er in der Lage, anhand der biblischen Schriften zu beweisen, dass Jesus der Christus ist. Da die Juden von Apollos widerlegt wurden, nicht jedoch die Heiden, dürfte V. 28 darauf hinweisen, dass sich Apollos mindestens die längste Zeit, vielleicht sogar ausschließlich, in Korinth und nicht in Athen oder einer anderen Stadt Achaias aufhielt. Nur in Korinth scheint es nämlich eine jüdische Gemeinde von nennenswerter Größe gegeben zu haben. So hätte sich Apollos wohl in Athen ebenso wie zuvor schon Paulus in erster Linie mit Heiden auseinandersetzen müssen (vgl. Apg 17,16-34). Dass sich Apollos tatsächlich in Korinth aufhielt, geht eindeutig aus 19,1 hervor.

 

"In eindrücklicher Weise“ beinhaltet hier vermutlich sowohl die Redegewandtheit als auch die fachliche Kompetenz, auf der die Widerlegung der Juden beruhte.

 

"In aller Öffentlichkeit“ ("dêmosia“) kann sich entweder auf "er widerlegte“ ("diakatêlencheto“) oder auf "indem er bewies“ ("epideiknys“) beziehen. Bei ersterem Bezug lautet die Übersetzung "In eindrücklicher Weise nämlich widerlegte er in aller Öffentlichkeit die Juden, indem er anhand der Schriften bewies, dass Jesus der Christus ist“. Bei letzterem Bezug lautet die Übersetzung "In eindrücklicher Weise nämlich widerlegte er die Juden, indem er anhand der Schriften in aller Öffentlichkeit bewies, dass Jesus der Christus ist“. Folgt man der Logik, so ist eher letzterer Bezug zu wählen. Aus dem Beweis anhand der Schriften folgt nämlich nicht die Öffentlichkeit der Widerlegung, denn der Beweis anhand der Schriften hätte auch in der Synagoge oder in den Häusern erfolgen können. Wenn der Beweis jedoch nicht in aller Öffentlichkeit erfolgte, war auch keine Widerlegung in aller Öffentlichkeit möglich. Dagegen konnte ein Beweis in der Öffentlichkeit durchaus die Eindrücklichkeit der Widerlegung steigern, weil er sich nicht nur an die Juden in der Synagoge oder private Hausgemeinschaften richtete, sondern an die gesamte Öffentlichkeit.

Eine Variante, die u. a. der Codex Bezae Cantabrigiensis bietet, fügt nach "dêmosia“ die Worte "dialegomenos kai“ ("redend und“) ein. Gemäß dieser Variante lautet die Übersetzung des Beginns von V. 28 "In eindrücklicher Weise nämlich widerlegte er die Juden in aller Öffentlichkeit, indem er redete und anhand der Schriften bewies, …“ oder "In eindrücklicher Weise nämlich widerlegte er die Juden, indem er in aller Öffentlichkeit redete und anhand der Schriften bewies, …“. Eine weitere Variante findet sich im Codex Laudianus. Dort heißt es "in aller Öffentlichkeit und daheim“, wobei es sich wohl um eine Anpassung an eine ähnliche Formulierung in Apg 20,20 handelt.

 

Dass der Christusbeweis in aller Öffentlichkeit statt in der Synagoge erfolgte, mag damit zu erklären sein, dass die Juden nach dem Aufenthalt des Paulus und den Ausschreitungen in Korinth nicht gewillt waren, Juden, die sich zum christlichen Glauben bekannten, in der Synagoge sprechen und die Schrift auslegen zu lassen. Welcher konkrete Ort sich hinter der Formulierung "in aller Öffentlichkeit“ verbirgt, bleibt offen. Die größte Öffentlichkeit dürfte wohl auf dem Marktplatz gegeben gewesen sein. Nach der Zurückweisung der Klage der Juden gegen Paulus durch den Prokurator Gallio mag sich die Lage in Korinth beruhigt und so die Möglichkeit ergeben haben, den Schriftbeweis, dass Jesus der Christus ist, auf dem Marktplatz zu führen. Da die Nichtjuden mit den biblischen Schriften und der messianischen Weissagung vermutlich nichts oder nur wenig anfangen konnten, dürfte sich der Schriftbeweis "in aller Öffentlichkeit“ in erster Linie an Juden und den Juden nahe stehende Personen gerichtet haben.

 

Die Aussage "Jesus ist der Christus“ ist eine Art Glaubensbekenntnis. "Christus“ ist nicht ein Name im Sinne eines Vor- oder Nachnamens, sondern ein Heilstitel. "Christus“ bedeutet "Gesalbter“ (griechisch: "christos“). Im AT werden Könige, Priester, Propheten und auch kultische Gegenstände gesalbt. Durch die Salbung mit dem Salböl werden sie der rein profanen Welt enthoben und in den Dienst Gottes gestellt, womit sie in die Sphäre des Heils treten. Wenn Jesus als "Christus“ bezeichnet wird, dann wird er als Heilsbringer (Messias, hebr.: māschia) verstanden.

 

Weiterführende Literatur: G. H. R. Horsley 1992, 121-127 merkt an, dass den epigraphischen Inschriften nur wenig über das Leben von Juden in Ephesus zu entnehmen sei. Eine Synagoge sei bis heute nicht gefunden worden, wobei jedoch eine Inschrift auf die Existenz einer solchen hinweise. Trotz dieses mageren Befundes sei nicht ausgeschlossen, dass es, anderen großen Städten entsprechend, auch in Ephesus mehrere Synagogen gab. Der antike Geschichtsschreiber Josephus zumindest berichte von einer sehr großen jüdischen Gemeinde in der Stadt. Allerdings stehe zu diesem Bericht auch die geringe Zahl archäologischer Funde im Kontrast.

 

 

Literaturübersicht

 

Barrett, Charles Kingsley; Apollos and the Twelve Disciples of Ephesus, in: W. C. Weinrich [ed.], The New Testament Age, vol. 1, FS B. Reicke, Macon, Georgia 1984, 29-39

Heine, Susanne; Frauen der frühen Christenheit: zur historischen Kritik einer feministischen Theologie, Göttingen − Zürich, 2., durchges. Aufl. 1987

Holmes, Michael W.; Women and the “Western” Text of Acts, in: T. Nicklas et al. [eds.], The Book of Acts as Church History: text, textual traditions and ancient interpretations (BZNW 120), Berlin 2003, 183-203

Horsley, G. H. R.; The Inscriptions of Ephesos and the New Testament, NT 34 (1992), 105- 168

Lee, Young-Mi; Ich, Priska, in: M. Keuchen, H. Kuhlmann, H. Schroeter-Wittke [Hrsg.], Die besten Nebenrollen: 50 Porträts biblischer Randfiguren, Leipzig 2006, 249-256

Richter Reimer, Ivoni; Frauen in der Apostelgeschichte des Lukas: eine feministisch- theologische Exegese, Gütersloh 1992

Strelan, Rick; Paul, Artemis, and the Jews in Ephesus (BZNW 80), Berlin − New York 1996

Walker Jr., William O.; The Portrayal of Aquila and Priscilla in Acts: The Question of Sources, NTS 54/4 (2008), 479-495

Wolter, Michael; Apollos und die ephesinischen Johannesjünger (Act 18,24-19,7), ZNW 78/1-2 (1987), 49-73

 

( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )