Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Kolosserbrief

Der Brief des Paulus an die Kolosser

Kol 3,5-11

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Kol 3,5-11



Übersetzung


Kol 3,5-11 : 5 Tötet also die Glieder auf der Erde: Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, welche Götzendienst ist! 6 Wegen dieser Dinge kommt der Zorn (des) Gottes über die Kinder des Ungehorsams. 7 In ihnen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr [noch] in ihnen lebtet. 8 Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Grimm, Schlechtigkeit, Lästerung, unflätige Rede aus eurem Mund. 9 Belügt einander nicht, denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten ausgezogen 10 und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat. 11 Da ist nicht mehr Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.



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V. 5


Beobachtungen: Bereits in Kol 2,11 hat der Verfasser des Kol von der "Ablegung des Fleischesleibes" gesprochen, also von der Abkehr vom heidnischen Leben mit all seinem - großenteils mit dem Körper verbundenen - Fehlverhalten. Außerdem hat der Verfasser des Kol in 2,20 (vgl. 2,8) deutlich gemacht, dass die Adressaten des Kol den "Elementen der Welt" weggestorben sind. Es zeigt sich im Brief des Kol also eine sehr distanzierte Haltung gegenüber dem Irdisch-Materiellen und dessen positiver Bewertung seitens der Heiden und Irrlehrer.


In 3,5-11 knüpft der Verfasser des Kol an die Begrifflichkeit rund um Sterben und Tod, Erde, Materie und Leib an, die er mit Heidentum und Irrlehrern verbindet.


Welche Glieder sind gemeint? Da Paulus die Christen als Glieder des Leibes Christi versteht (vgl. 1 Kor 6,15; 12,12.22.27), könnte man meinen, dass in Kol 3,5 dazu aufgefordert wird, dass sich die Christen gegenseitig umbringen. Die Christen leben ja durchaus auf der Erde. Allerdings wäre bei einer solchen Aussage zu erwarten, dass die Glieder genauer bestimmt werden: "Glieder des Leibes" oder "Glieder Christi". Dies ist aber nicht der Fall. Auch ist nirgends im Kol davon die Rede, dass die Christen Glieder des Leibes Christi sind. Vielmehr wird in 1,18 Christus als das Haupt des Leibes, der Kirche, bezeichnet. Dass die Christen Glieder des Leibes sind, ist zwar anzunehmen, wird aber im Kol nicht ausdrücklich gesagt. Somit ist diese Deutung wohl auszuschließen. Eher können die Körperglieder wie Arme, Beine, Zunge, Ohren usw. gemeint sein. Aber wie soll man diese töten? Soll man die Glieder abhacken oder verstümmeln, damit sie funktionsunfähig werden? Auch diese Deutung trifft in Anbetracht der unmittelbar folgenden Aufzählung der verschiedenen Arten des Fehlverhaltens nicht den wahren Sachverhalt. Das Schwergesicht des Verses liegt nämlich auf den einzelnen Arten des Fehlverhaltens. Nicht die Körperglieder an sich sind das Problem, sondern die verschiedenen Arten des Fehlverhaltens. Nun könnte man sagen: "Dann verstümmele dein Sexualorgan, wenn du Unzucht treibst oder dazu neigst. Hacke deine Arme ab, wenn sie dich zur Unreinheit verführen!" Eine solch rigide Deutung übersieht aber, dass die verschiedenen Arten Fehlverhalten nicht ausschließlich körperlicher Art sind, sondern den ganzen Menschen umfassen. Habsucht beispielsweise ist nicht an Körperglieder gebunden, sondern eine Grundhaltung. Die Körperglieder sind zwar Mittel, mit denen Geld und materieller Besitz angehäuft wird, die eigentliche Triebkraft ist jedoch die innere Grundeinstellung. Diese gilt es zu beseitigen, nicht die Körperglieder, die nur Mittel zum Zweck sind. Insofern ist folgende Deutung von V. 5 am wahrscheinlichsten: Bei den "Gliedern" handelt es sich um die aufgezählten Arten Fehlverhalten. Diese gilt es zu "töten", d. h. zu beseitigen, weil sie der Erde zugehören und typisch für den irdisch gesinnten Menschen sind. Die Christen dagegen sollen nach dem sinnen, was "droben" ist (vgl. 3,1-2). Den Begriff "Glieder" mag der Verfasser des Kol deswegen gewählt haben, weil er zugleich die Vielfalt, die Zugehörigkeit zum Menschen, die Erdgebundenheit, die Vergänglichkeit und die Handlung ausdrückt. Will sagen: Wie der Körper des Menschen aus verschiedenen Körpergliedern zusammengesetzt ist, so ist auch sein Verhalten aus verschiedenen Gliedern, d. h. Verhaltensweisen, zusammengesetzt. Die irdisch gesinnten Verhaltensweisen, die als "Glieder auf der Erde" bezeichnet werden, geziemen den Christen nicht. Sie führen nicht zum himmlischen Heil, sondern stehen diesem entgegen. Daher sind sie zu beseitigen, so dass auch die Christen als Glieder des kirchlichen Leibes, dessen Haupt Christus ist, und deren Körperglieder ihnen nicht mehr dienen können.

Eine Textvariante verdeutlicht die Zugehörigkeit der "Glieder" zu den Adressaten des Kol, indem sie das Possessivpronomen "eure" hinzufügt. Damit wird herausgestellt, dass konkret die Adressaten angesprochen und aufgefordert sind, die irdischen Verhaltensweisen abzulegen.


In Kol 3,5-8 zählt der Verfasser des Kol zehn Arten von Fehlverhalten auf, die für ihn typisch irdisch sind. Die ersten fünf nennt er in V. 5, die weiteren fünf in V. 8. Diese Arten von Fehlverhalten finden sich großenteils schon in den allgemein für echt gehaltenen Paulusbriefen. So wird in 2 Kor 12,21 das frühere, heidnische Leben als von Unreinheit („akatharsia“), Unzucht („porneia“) und Ausschweifung („aselgeia“) geprägt dargestellt. Alle drei Begriffe tauchen in anderer Reihenfolge auch in Gal 5,19 auf und werden dort „Werke des Fleisches“ genannt. Unzucht („porneia“) und Unreinheit („akatharsia“), werden auch in Kol 3,5-8 genannt, die Ausschweifung („aselgeia“) taucht dagegen nicht auf.


Das Substantiv „porneia“ („Unzucht“) ist vom Verb „pernêmi“ („verkaufen“) abgeleitet. Von daher ist zunächst die Prostitution gemeint, bei der es sich um käufliche körperliche Liebe handelt. In der Antike handelte es sich bei den Prostituierten häufig um Sklavinnen. Auch gab es im Zusammenhang mit heidnischen Fruchtbarkeitsriten kultische Prostitution. Darüber hinausgehend meint das Wort „porneia“ in der weiteren Bedeutung allgemein den illegitimen Geschlechtsverkehr, zu dem auch die Prostitution gehört. Illegitim ist jeder Geschlechtsverkehr mit einer Person, mit der keine feste partnerschaftliche Bindung, eine Ehe, besteht. Da das Christentum von der Einehe ausgeht, kann legitimer Geschlechtsverkehr während des Bestehens der Ehe auch nur mit dem einen Ehepartner oder der einen Ehepartnerin erfolgen. Im AT bezeichnet die Formulierung „sich eine Frau nehmen“ die Eheschließung, wobei der Mann als die aktive, treibende Kraft erscheint. Dieser ist somit auch „Herr“ über das Geschlechtsorgan der Frau, sodass bei Nachkommen klar ist, dass diese vom Ehemann stammen. Der Vater ist folglich nachweisbar. Da der Ehebruch („moicheia“) diese Ordnung zerstört, ist er im Hinblick auf den illegitimen Geschlechtsverkehr an erster Stelle zu nennen. Paulus führt ihn nicht gesondert auf, was bei einigen Textzeigen zu dessen Einfügung geführt hat. Welche weiteren Arten der Sexualität vom Apostel als illegitim angesehen werden, bleibt wegen der fehlenden Erklärung des Wortes „porneia“ offen. Dass sich Paulus bei seiner Deutung von Aussagen der hebräischen Bibel (= AT) leiten lässt, zeigt der in 1 Kor 5,1-5 thematisierte Fall von Unzucht. Demnach hat ein korinthisches Gemeindeglied die Frau seines Vaters genommen. Paulus ereifert sich darüber, wobei unklar bleibt, was der Grund für die Aufregung ist. Am ehesten ist anzunehmen, dass Paulus das Verbot in Lev 18,7-8; 20,11; Dtn 23,1; 27,20 im Hinterkopf hat. Da er aber die Notwendigkeit der Befolgung aller Satzungen und Gebote zur Erlangung des Heils verneint, ist fraglich, ob Paulus die Befolgung aller Bestimmungen fordert, die den legitimen bzw. illegitimen Geschlechtsverkehr betreffen. Im Rahmen der paulinischen Deutung dürfte sich auch der Verfasser des Kol bewegen.


Das Wort „akatharsia“ („Unreinheit“) ist eigentlich ein Begriff aus der Sprache des Kultes und meint die rituelle Unreinheit. Unreinheit steht im Widerspruch zur Heiligkeit Gottes, sodass sich reinigen muss, wer sich Gott nähern will. Im AT gelten v. a. götzendienerische Kulte und Praktiken als unrein, dann aber auch mit körperlichen Ausflüssen verbundene Vorgänge wie die Menstruation oder Geburt. Auch der Kontakt mit einem Leichnam verunreinigt, ebenso der Genuss sogenannter unreiner Tiere. Im AT findet sich auch ein ethisch-moralisches Verständnis der Reinheit, und zwar v. a. bei den Propheten, in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur. Unrein ist demnach derjenige, dessen Leben nicht gottgefällig, sondern von Falschheit, Bosheit usw. geprägt ist. Im NT verliert das rituelle Reinheitsverständnis an Bedeutung. So macht Jesus deutlich, dass der Mensch nicht durch das unrein wird, was er isst, sondern durch das, was er denkt, fühlt und sagt (vgl. insbesondere Mk 7,14-23; Mt 15,11-20). Auch Paulus macht deutlich, dass nichts an sich selbst unrein ist (vgl. Röm 14,14; 1 Kor 8,7-8). Was der Verfasser des Kol in 3,5 unter „Unreinheit“ versteht, schreibt er nicht. Da Christen generell aufgrund des sündenvergebenden Kreuzestodes Christi von den Sünden befreit und damit gereinigt sind, ist allgemein an eine beeinträchtigte Beziehung zu Gott, an ein gottfernes Leben und fehlende Buße zu denken. Wer "unrein" ist, hat gegenüber Gott und Jesus Christus keine "reine Weste". Dass das Wort „akatharsia“ in Kol 3,5 in erster Linie die sexuelle Unreinheit - was man auch immer darunter verstehen mag - meint, kann man aus der Nachbarschaft zu „porneia“ schließen, doch ist dieser Schluss nicht zwingend.


Die Leidenschaft ("pathos") taucht als eigener Aspekt des Fehlverhaltens nicht in den allgemein für echt gehaltenen Paulusbriefen, sondern nur in Kol 3,5 auf. In 1 Thess 4,5 ist von leidenschaftlicher Begierde (wörtlich: Leidenschaft der Begierde) die Rede. Dort werden also die Leidenschaft ("pathos") und die Begierde ("epithymia") zusammengezogen, wobei die Leidenschaft wohl den leidenschaftlichen inneren Antrieb meint. In Kol 3,5 bilden die Leidenschaft ("pathos") und die Begierde ("epithymia") einen jeweils eigenen Aspekt des Fehlverhaltens, wobei die Begierde als böse ("kakê") dargestellt wird. Es wird nicht gesagt, worauf sich die Leidenschaft und die Begierde beziehen, weshalb eine Eingrenzung z. B. auf Sexualität nicht textgemäß ist. Vielmehr sind die beiden Begriffe auf dem Hintergrund einer Ausrichtung des Verhaltens am Irdisch-Materiellen zu verstehen, zu dem körperliche Gelüste wie die Sexualität gehören. Offen bleibt auch, was unter "böse" zu verstehen ist. So lässt sich nur allgemein sagen, dass es sich um ein Verhalten handelt, das dem christlichen entgegengesetzt ist.


Besondere Bedeutung scheint der Verfasser des Kol der Habsucht ("pleonexia") beizumessen, die er als "Götzendienst" bezeichnet. Die Habsucht taucht auch in den allgemein für echt gehaltenen Paulusbriefen als den Heiden zugeschriebenes Fehlverhalten auf, in Röm 1,29 direkt neben der Bosheit und der Schlechtigkeit. Aus 2 Kor 9,5 geht hervor, dass der Begriff "pleonexia" nicht nur die Gier, in den Besitz von materiellen Gütern zu kommen, meint, sondern auch das Bestreben, diese behalten zu wollen. Habgier enthält also auch den Aspekt des Geizes. Dass der Verfasser des Kol die Habgier als Götzendienst ansieht, mag damit zu erklären sein, dass der Geist auf das Irdisch-Materielle gerichtet ist und nicht auf Gott. Gemäß dem Motto, dass der Mensch nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen kann, handelt es sich bei der Habgier um einen Dienst am Mammon und nicht an Gott. Weil die Ausrichtung am Irdisch-Materiellen gemäß dem Verfasser des Kol typisch für die Heiden ist, die heidnische Götter ("Götzen") verehren, ist auch der Dienst am Mammon ein Götzendienst.


Weiterführende Literatur: Mit dem christlichen Leben gemäß dem Kol befasst sich H. W. House 1994, 440-454. Zu 3,1-11: Die Christen sollten die sündigen Taten ablegen.


Gemäß A. R. Bevere 2002, 182-224 füge sich die Aufzählung der Laster und Tugenden 3,5-17 in die Argumentation des gesamten Kol ein. Die an die Heiden gerichtete Ermahnung an die Heiden und die Toraobservanz im Judentum (und somit auch seitens der kolossischen Philosophen) teilten da eine ähnliche Perspektive, wo Ethik tatsächlich Theologie ist. Das zeige sich in der durchgängigen Integration der beiden in die Argumentation des gesamten Briefes und auch in der Ermahnung selbst. Die Laster und Tugenden in Kol seien weder einzigartig noch spiegelten sie einfach nur die gängige zeitgenössische Moral wieder. Sie seien auf die Argumentation des Kol bezogen, wobei die Form der Aufzählungen konventionell sei, der Inhalt dagegen jüdische Belange widerspiegele, insbesondere was den Götzendienst und sexuelle Morallosigkeit betreffe. Die Aufzählungen seien nicht nur leicht christianisiert, sondern auf das spezifisch christliche Leben ausgerichtet. Das Ziel christlich-moralischen Lebens sei die Nachahmung Christi (imitatio Christi). Die aufgezählten Tugenden erinnerten an Leben und Lehre Christi, die aufgezählten Laster stünden dem entgegen. Die Aufzählungen hätten eine eschatologische Ausrichtung, sie seien in der eschatologischen Hoffnung verwurzelt - der neuen Schöpfung, wie sie mit der Auferstehung Christi Wirklichkeit geworden sei.


Gemäß J. R. Levison 1989, 93-108 hätten vier in jüngerer Zeit erschienene Studien gezeigt, welch erheblichen Beitrag der Abschnitt 48,42-52,7 der syrischen Baruch-Apokalypse bei der Deutung schwer verständlicher Elemente von Kol 3,1-6 leiste. Die Autoren dieser Studien deuteten das verborgen-offenbart-Schema von Kol 3,3-4 im Lichte der apokalyptischen Überzeugung, dass das, was in Herrlichkeit offenbart werde, für die Dauer des gegenwärtigen Zeitalters verborgen sei (vgl. syrBar 48,49; 52,7). Sie betrachteten zudem die irritierende Gleichsetzung der leiblichen "Glieder" mit Sünden als einen Ausdruck der frühjüdischen Sichtweise, dass die Glieder des Körpers mit den Sünden in einem engen Zusammenhang stünden. Als einen bezeichnenden Beleg für diese Sichtweise zitierten sie syrBar 49,3. J. R. Levison versucht in seinem Aufsatz aufzuzeigen, dass syrBar 48,42-52,7 drei weitere Aspekte von Kol 3,1-6 zu erhellen vermöge: a) Das Verhältnis zwischen räumlich (V. 1-2) und zeitlich (V. 3-4); b) den Inhalt der "Dinge, die droben sind", nämlich das Paradies und die Engelsschar (V. 1-2; syrBar 51,8-12); c) die Lokalisierung der Körperglieder auf der Erde (V. 5; syrBar 49,2-3). Der Kol als auch syrBar teilten eine gemeinsame apokalyptische Sichtweise. Der Unterschied zwischen diesen beiden Texten liege darin, dass die syrBar ein detailliertes Porträt dieser Sichtweise bietet, wogegen der Kol es bei kurzen Aussagen belasse, die den Lesern die apokalyptische Sichtweise in Erinnerung rufen sollen.


Gemäß R. Yates 1991, 241-251 fänden sich in Kol 3,1-4,6 drei verschiedene Typen traditionellen katechetischen und ethischen Materials: Laster- und Tugendkataloge, die Haustafel und sprücheartige ethische Aussagen, die als "topoi" bekannt seien. Es gebe guten Grund für die Annahme, dass alle drei Typen vorpaulinisch sind. Sie hätten sich schon im hellenistischen und jüdischen religiösen Leben gefunden, würden in 3,1-4,6 jedoch spezifisch christlich gebraucht.


Laut L. Hartman 1987, 237-247 werde oftmals angenommen, dass es sich bei der Haustafel Kol 3,18-4,1 um eine literarische Einheit handele, die noch vor der Abfassung des Kol formuliert worden sei. Ihr Stil sei von der umgebenden Ermahnung verschieden und der Text ließe sich auch dann noch flüssig lesen, wenn man die Haustafel überspringt. Wenn es sich bei der Haustafel also um eine Entlehnung handelt, von wo ist sie übernommen worden? Was sagt uns die Entlehnung zur Geschichte der frühen Kirche und über ihre Beziehung zur umgebenden Welt? Und schließlich: Welche Funktion hat die Haustafel im Rahmen des gesamten Kol und welche im Hinblick auf die Lage der Adressaten? Ergebnis: Die Tradition, die der Haustafel vorangehenden Ermahnung zugrunde liege, habe vermutlich von Anfang an einen christlichen Sitz im Leben gehabt. Darauf wiesen die Anklänge an Jesu Lehre hin. Aber ihre Deutungen des Dekaloges seien letzten Endes vom Judentum inspiriert. Die listenartige Form sei in jüdischen wie auch in anderen hellenistischen Kreisen weit verbreitet gewesen. Auch die Haustafel stehe in einem Bezug zum Dekalog, allerdings indirekt, auch wenn ihre Parallele im Eph mit Bezug auf einen Teil von ihr das fünfte Gebot zitiere. Allerdings betreffe die Haustafel Menschen in ihren gesellschaftlichen Positionen, d. h. im "Haus". Ihre Ausdrucksweise erinnere an das sog. apodiktische Recht, was an eine ursprünglich jüdische Inspiration denken lasse. Aus diesen Beobachtungen lasse sich bezüglich der Geschichte der frühen Kirche nichts schließen. 3,1-4,6 stelle einen gottgegebenen Kontrast zu menschlichen Vorschriften dar. Über die Funktion der Haustafel (und auch umgebenden Ermahnung) lasse sich nur wenig sagen. Es lasse sich aber erschließen, dass die "Philosophie" den "Standard" nicht für gut genug gehalten und daher gefordert habe, die Gläubigen sollten auch in einem guten Verhältnis zu anderen Mächten neben Jesus Christus stehen und weitere Regeln einhalten. Der Verfasser des Kol habe dagegen den "Herrn" Jesus und den entsprechenden Lebenswandel für gut genug gehalten.


Laut H. Merklein 1981, 194-210 sei Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 zu verstehen. Genauer sei diese Rezeption als Transformation zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung der Antithetik "irdisch vs himmlisch = christlich" (Kol) zu "heidnisch vs christlich" (Eph) ergebe.


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V. 6


Beobachtungen: Das Präsens "erchetai" ("kommt") kann die grundsätzlich und dauerhaft drohende Gefahr des Gotteszorns aussagen, aber auch als zukünftiger Gotteszorn gedeutet werden, der aber so unmittelbar bevorsteht, als sei er gegenwärtig.


Fraglich ist, ob in V. 6 "über die Kinder des Ungehorsams" nach "Wegen dieser Dinge kommt der Zorn (des) Gottes" ursprünglich ist oder nicht. Für die Ursprünglichkeit spricht insbesondere, dass sich die Worte bereits in frühen Handschriften finden, die zudem geographisch weit verstreut sind. Das Hauptargument gegen die Ursprünglichkeit ist, dass die Worte durchaus mit Blick auf die Parallele Eph 5,6, wo sich derselbe Wortlaut findet, hinzugefügt worden sein können. In Eph 5,6 ist die Ursprünglichkeit dieser Worte nicht umstritten. Eine Hinzufügung ist wahrscheinlicher als eine Auslassung, die aufgrund der Ehrfurcht vor dem heiligen Text eher unabsichtlich als absichtlich erfolgt sein dürfte. Die schwierigere Lesart ist "Wegen dieser Dinge kommt der Zorn (des) Gottes.", weil sie offen lässt, über wen der Zorn Gottes kommt. Es mag schon in frühen Jahren und von vielen Schreibern das Bedürfnis da gewesen sein, diese Leerstelle zu füllen. So kann an mehreren Orten eine Zufügung erfolgt sein, aber sich auch ein Zusatz schnell und weit verbreitet haben.


Weiterführende Literatur:


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V. 7


Beobachtungen: V. 7 verweist auf das frühere Leben. Dass kein jüdisches, sondern ein heidnisches Leben im Blick ist, erschließt sich zum einen aus der Tatsache, dass die Mehrheit der Adressaten Heidenchristen sein dürften (vgl. Kol 1,27; 2,13), zum anderen aus der Wortwahl: Eine solch negative Darstellung jüdischer Lebensweise ist - trotz aller Kritik - angesichts der gleichen Wurzeln kaum denkbar.

Die Adressaten des Kol sind Christen, keine Heiden. Sie müssen also getauft sein, denn die Taufe markiert den Übertritt zum Christentum, in den Macht- und Heilsbereich Christi, der neuer "Herr" wird. Somit sollte man annehmen, dass sich die Adressaten nicht mehr wie Heiden verhalten, sondern wie Christen. Dass dies noch nicht im gewünschten Maße der Fall ist, zeigt die Ermahnung in V. 8.


Weiterführende Literatur: Zur Eschatologie im Kol siehe H. Lona 1984, 83-240, der sich auf S. 84-120 mit dem Zeitverständnis und mit der Offenbarung des Mysteriums nach Kol 1,24-29 befasst. Die Ähnlichkeiten im Zeitverständnis zwischen dem "einst-jetzt" und dem Revelationssschema seien leicht zu erkennen. Beiden sei die Kontraststruktur gemeinsam. Danach würden Vergangenheit und Gegenwart mit entsprechender Bewertung einander gegenübergestellt. Die Vergangenheit gelte als die Zeit der Entfremdung, der Verborgenheit des Mysteriums, die Gegenwart hingegen als die Zeit der Verwirklichung des Heils, der Offenbarung des Mysteriums. Die Verwendung dieser Schemata ziele jeweils auf eine Hervorhebung der Gegenwart. Eine weitere Gemeinsamkeit bestehe in der pragmatischen Bezogenheit. Der Rückblick auf die Vergangenheit wolle kein "historisches" Wissen vermitteln. Dazu wäre er viel zu einfach und zu pauschal. Die Gegenwart werde aus einer einzigen Perspektive gesehen: die Wirklichkeit der Versöhnung, die Offenbarung des Mysteriums. Von dort aus werde die Gegenwart qualifiziert. In 3,7-8 komme aufgrund des paränetischen Zusammenhangs das pragmatische Moment besonders stark zum Vorschein. Die Gegenwart sei hier nicht die Zeit der Erfüllung, sondern die Zeit des Imperativs. Durch das Schema "einst - jetzt" ergehe die Aufforderung, das Böse durch die guten Taten zu überwinden.


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V. 8


Beobachtungen: "Jetzt aber" bezieht sich nicht auf die bereits erfolgte Taufe, sondern auf die Gegenwart. Hier wird deutlich, dass - wie in Kolossä - hinsichtlich der Lebensweise der Christen Anspruch und Realität auseinander klaffen können. Andernfalls hätten die christlichen Adressaten keine Ermahnung mehr nötig. Die Missstände bezüglich des Verhaltens sind aber nicht so groß, dass der Verfasser des Kol das Christsein der Adressaten infrage stellt. Ganz im Gegenteil: Er bezeichnet sie zu Beginn des Briefes als "heilige und treue Geschwister" (vgl. 1,1) und merkt lobend und dankend an, dass ihr Verhalten untereinander von Liebe bestimmt ist. Aber die Vorstellung des "Wachsens der Frucht" (vgl. 1,3-8) macht deutlich, dass das Leben als Christ keine statische Angelegenheit ist, bei der unmittelbar nach der Taufe ein vorbildlich christliches Verhalten eintritt, das auf Dauer anhält. Vielmehr handelt es sich bei dem christlichen Verhalten wie auch bei dem Christentum insgesamt um ein Wachsen. Dieses schließt zeitweises Fehlverhalten oder Glaubensschwäche nicht aus. Dem Verfasser des Kol ist ein gewisser Enthusiasmus der Frühzeit des Christentums eigen, in dem es mit der Ausbreitung des Christentums und den entsprechenden Verhaltensweisen nur vorwärts zu gehen schien. Spätere krisenhafte Aspekte kommen bei ihm noch nicht in den Blick. Auch scheint die Sicht des Kol grundsätzlich eher dogmatischer und utopischer Art zu sein, wogegen in den allgemein für echt gehaltenen Paulusbriefen stärker die täglichen konkreten Probleme missionarischer Tätigkeit durchschimmern.


Der Unterschied zwischen den beiden griechischen Begriffen "orgê" ("Zorn") und "thymos" ("Grimm") ist unklar. Nebeneinander tauchen sie auch in Röm 2,8 auf, wo sie - ebenso wie in Kol 3,7 - nicht erklärt werden. Es ist durchaus möglich, dass es sich um das Stilmittel "Hendiadyoin" handelt, bei dem ein und dieselbe Sache mit (= dia) zwei (= dyo) Begriffen bezeichnet wird. Möglich ist auch, dass "orgê" die grundsätzliche Gemütshaltung bezeichnet, "thymos" dagegen den einzelnen Zornesausbruch. In diesem Sinne taucht in den paulinischen Briefen der Begriff "thymos" in 2 Kor 12,20 auf. Dort findet sich allerdings der Plural "thymoi", der auf eine Mehrzahl ganz konkreter Zornesausbrüche hinweist.


Auch der Begriff "kakia" ist unklar und kann sowohl mit "Schlechtigkeit" als auch mit "Bosheit" übersetzt werden. Die Unschärfe ist vielleicht beabsichtigt, weil den Heiden von christlicher Seite ganz pauschal alles Schlechte unterstellt wurde. Angesichts der Tatsache, dass in 1 Kor 5,8 das bedeutungsgleiche oder -ähnliche Wortpaar "kakia" und "ponêria" auftaucht und an dieser Stelle "kakia" mit "Schlechtigkeit" und "ponêria" mit "Bosheit" übersetzt wird, wird hier in Kol 3,8 "kakia" ebenfalls mit "Schlechtigkeit" übersetzt.


Und schließlich ist auch der Unterschied zwischen den griechischen Begriffen "blasphêmia" und "aischrologia" unscharf. "Blasphêmia" bezeichnet die Lästerung und Verleumdung, die sich auf Menschen oder Götter bzw. Gott beziehen kann. Die "aischrologia" - der Begriff taucht im NT nur hier auf - dagegen scheint in ihrem Bedeutungsspektrum weiter gefasst zu sein und die unangemessene, schändliche oder unsittliche (= aischros) Rede (= logia) zu meinen. Das Bedeutungsspektrum umfasst also alle Arten der einem Christen unangemessenen Redeweise, darunter auch Lästerung und Verleumdung, bis hin zu Unanständigkeiten wie Fäkalbegriffe oder sexuelle Anzüglichkeiten. In Kol 3,8 ist zwar nicht unbedingt das gesamte Bedeutungsspektrum im Blick, doch fehlen Anhaltspunkte für eine Konkretisierung. Man kann mit Blick auf die vorausgehende "blasphêmia" die Meinung vertreten, dass - im Sinne eines Hendiadyoins - auch die "aischrologia" im Sinne von Lästerung und Verleumdung zu deuten sei. Man kann aber auch zu einer umgekehrten Schlussfolgerung kommen, wonach eine andere Bedeutung als Lästerung und Verleumdung vorliegen müsse.


Weiterführende Literatur:


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V. 9/10


Beobachtungen: Nach der Aufzählung der zehn Arten typisch irdisches Fehlverhalten in V. 5-8 kommt der Verfasser des Kol nun in V. 9-10 auf den "neuen Menschen" zu sprechen, den er dem "alten Menschen" gegenüberstellt.


Die Partizipien "apekdysamenoi" (V. 9) und "endysamenoi" (V. 10) sind wörtlich mit "ausgezogen habend" bzw. "angezogen habend" zu übersetzen. Flüssiger ist die Übersetzung "nachdem ihr ausgezogen habt" bzw. "nachdem ihr ausgezogen habt". Entscheidend ist, dass die beiden Partizipien vorzeitig sind, also etwas bereits Geschehenes wiedergeben. Möglich und hier gut passend ist auch die Übersetzung "denn ihr habt ausgezogen" bzw. "denn ihr habt angezogen". Möglich ist auch die Übersetzung als Imperativ (vgl. Kol 3,12): "zieht ... aus!" bzw. "zieht ... an!". Wahrscheinlicher ist hier aber, dass ausgesagt wird, warum die Adressaten nicht einander belügen sollen: Sie haben den alten Menschen mit seinen Taten ausgezogen und den neuen angezogen. Dies wäre in der Vergangenheit geschehen, wobei an die Taufe zu denken ist. Der Imperativ dagegen würde das Ausziehen des alten Menschen und das Anziehen des neuen nicht mit der Taufe verbinden, sondern mit dem tatsächlichen, der Taufe entsprechenden Verhalten des Menschen. Ein solches liegt bei den Adressaten noch nicht in dem Maße vor, dass der Verfasser des Kol zufrieden ist.


Das "Ausziehen" und "Anziehen", bei dem der Wechsel von Kleidung anklingt, bezeichnet einen Seinswandel, der auch einen Wandel bei den Taten beinhaltet. Ob dieser Formulierung ein ritueller Wechsel der Kleider bei der Taufe zugrunde liegt, ist unklar.


Bei dem Partizip "anakainoumenon" handelt es sich um ein Präsens, womit die wörtliche Übersetzung "erneuert werdend" lautet. Die Erneuerung ist also ein fortlaufender Prozess im Leben der Christen. Vermutlich liegt dieser Vorstellung die Beobachtung zugrunde, dass ein Mensch nach seiner Taufe nicht in Gänze sein Fehlverhalten ablegt, sondern diesem immer wieder verfällt. Insofern bedarf der "neue Mensch" der ständigen Erneuerung.


Die Präposition "eis" kann eine Bewegungsrichtung angeben, einen Raum, in den die Bewegung erfolgt, oder das Ziel. Es kann also eine Bewegung hin zur Erkenntnis gemeint sein oder eine Bewegung in die Erkenntnis hinein oder die Erkenntnis als Ziel. Letztendlich geht es darum, dass Erneuerung eine (spirituelle) Bewegung ist, die auf die Erkenntnis hin oder in die Erkenntnis als Lebensraum hinein zielt. Da es Gottes Wille ist, der für den Lebenswandel der Christen maßgeblich ist, dürfte wohl Erkenntnis Gottes (vgl. 1,9-10), Erkenntnis des Willens Gottes oder Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, Christus (vgl. 2,2), gemeint sein.


Wer hat den Menschen erschaffen? Zunächst ist mit Blick auf den ersten Schöpfungsbericht an Gott zu denken, der die Menschen erschaffen hat (vgl. Gen 1,26-27). In Kol 1,16 heißt es jedoch, dass alles durch Christus und auf ihn hin erschaffen ist. Der Verfasser des Kol sieht also Christus als Ursprung und Ziel des Schöpfung - eine Vorstellung, die auch 3,10 zugrunde liegen dürfte.

Zugleich ist Christus aber Abbild/Bild Gottes (vgl. Kol 1,15). Abbild/Bild Gottes ist gemäß Gen 1,26 ebenfalls der Mensch - und er ist dies, gleich ob er an Gott und/oder Christus glaubt oder nicht. Auch Heiden sind Abbilder/Bilder Gottes. Aber ihre Taten entsprechen dem nicht, sondern es sind die Taten von an Götter glaubenden Heiden. Sie haben keine Erkenntnis Gottes, Erkenntnis des Willens Gottes und/oder Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, Christus. Erkenntnis erfolgt gemäß dem Verfasser des Kol im Zusammenhang mit Offenbarung. Diese denkt er in zwei Schritten: Das Wort Gottes samt seinem zentralen Inhalt, Christus, wurde bereits offenbart (vgl. Kol 1,25-26; 2,2-3). Vor dieser Offenbarung waren alle Menschen mit dem "alten Menschen" bekleidet. Diejenigen, die den christlichen Glauben angenommen und erste Einsicht in Gott bzw. Gottes Geheimnis, Christus, erlangt haben, haben mit der Taufe den "alten Menschen" mit seinen Taten ausgezogen und den "neuen Menschen" angezogen. Aber die Taten entsprechen noch nicht in Gänze diesem "neuen Menschen". In der bereits vorhandenen Erkenntnis ist also eine Entwicklung zu vermehrter Erkenntnis nötig, die sich in entsprechenden Taten zeigt. Die Christus gemäße Erkenntnis ist letztendlich das Ziel. Vollständige Erkenntnis, d. h. Einsicht in Gott bzw. sein Geheimnis, Christus, wird aber erst in Zukunft möglich sein, wenn die gemeinsame Offenbarung Christi und der Christen erfolgt (vgl. Kol 3,4). In der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Christus bis hin zur letzten Offenbarung und in der Einsicht in diese Schicksalsgemeinschaft und im entsprechenden Handeln drückt sich aus, dass der Mensch als "Abbild/Bild Gottes" dem "Abbild/Bild Gottes" Christus gemäß wird.


Weiterführende Literatur: Mit der besonderen Bedeutung der Partizipien in der argumentatio Kol 1,24-4,1 befasst sich unter syntaktischen und rhetorischen Gesichtspunkten L. Giuliano 2013, 293-317. Ihnen komme bei der Fortentwicklung des Gedankengangs eine entscheidende Rolle zu. Im ersten Abschnitt 1,24-2,5 konzentriere sich das wiederholte Auftreten der Partizipien insbesondere auf die Person des Apostels Paulus. Im zweiten Abschnitt 2,6-23 verschiebe sich der Schwerpunkt hin zu Christus und den Gläubigen. In Kol 3,1-4,1 würden Partizipien in erster Linie im Rahmen von ethischen Ermahnungen gebraucht.


Zum Widerhall von Gen 1,26-27 in Kol 3,10 siehe C. A. Beetham 2008, 231-245. Paulus habe den Schöpfungsbericht des Buches Genesis gekannt und es gebe mit Gen 1,26-27 Übereinstimmungen im Wortschatz. Paulus nehme Gen 1,26-27 wohl typologisch auf. Paulus stelle einen Adam-Christus-Vergleich an, spreche vom "alten" und "neuen" Menschen und nehme eine heilsgeschichtliche Perspektive ein.


Gemäß J.-Y. Thériault 1991, 311-312 könne Kol 3,10 sowohl in Verbindung mit dem ersten als auch mit dem zweiten Teil des Christushymnus 1,15-20 gelesen werden. Bei einer Verbindung mit dem ersten Teil werde auf die Ordnung der Versöhnung abgezielt, die aus den Getauften ein neues Geschöpf mache. Bei einer Verbindung mit dem zweiten Teil trete vom Verhalten der Christen und der besseren Ausformung des Bildes von Christus als Schöpfer her der Aspekt des Umweltschutzes in den Vordergrund.


R. Canavan 2012 legt dar, dass sich der Verfasser des Kol in 3,1-17 als literarischer Kunstgriff der Bilderwelt der Kleidung bediene, um die Identität der Christengemeinde in Kolossä zu erneuern. Dies geschehe in einem Kontext einer Umwelt, in der sich visuelle Bilder (auf Statuen, Grabmälern und Münzen) von Kleidung und Leib, die Macht und Werte der regierenden Elite darstellten, geradezu aufdrängten. Der schriftliche Gebrauch dieser Bilderwelt beschreibe, wie Mitglieder des Leibes Christi erkannt werden können. Er sei metaphorisch und gehe über die literarische Bedeutung des Anziehens von Kleidung hinaus.


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V. 11


Beobachtungen: Kol 3,10-11 ähnelt Gal 3,27-28. Gemäß Kol 3,10-11 haben die Christen das "neue Leben" angezogen, gemäß Gal 3,27-28 Christus. In beiden Texten ist ausgesagt, dass die Christen "einer in Christus Jesus" sind, in Gal 3,27-28 explizit, in Kol 3,5-11 implizit. "In Christus Jesus" gelten die aufgezählten Unterscheidungen nicht mehr; sie gelten nur noch nach irdischen Maßstäben. Aufgrund der weiterhin für das irdische Dasein fortdauernden Gültigkeit der Unterschiede ruft der Verfasser des Kol auch nicht zur Beseitigung der Unterschiede auf Erden, zur sozialen Revolution einschließlich der Befreiung der Sklaven auf. Aber er macht deutlich, dass beispielsweise der Freie gegenüber dem Sklaven "in Christus Jesus" keinen Vorrang beanspruchen kann. Nach Vorstellung des Verfassers des Kol ist die wahre Existenz des Christen ("in Christus Jesus") nicht auf Erden, sondern oben im Himmel. Diese ist bereits gegenwärtig.


Gal 3,27-28 stellt nicht eigens die Aufhebung von Beschneidung und Vorhaut heraus. Die Aufhebung dieser Unterscheidung dürfte dort bei der Aufhebung der Unterscheidung von Jude und Grieche mitgedacht sein, denn wesentliches Kennzeichen der Juden ist, dass sie an der Vorhaut des Gliedes beschnitten sind. Die Griechen dagegen - Nicht-Juden des jüdischen Sprach- und Kulturraumes - sind noch im Besitz ihrer Vorhaut und somit Unbeschnittene. Wenn Kol 3,10-11 die Beschneidung und Vorhaut eigens nennt, bedeutet das, dass in diesen beiden Versen bei der Unterscheidung von Jude und Grieche nicht in erster Linie an die (fehlende) Beschneidung gedacht ist. Vorrangig dürften die Unterschiede in Sprache und Kultur und bezüglich der rechtlichen Grundlagen im Blick sein. Die Beschneidung ist zudem nicht an die Geburt als Jude gebunden.

Aufgrund der Aufhebung der genannten Unterscheidungen haben die Beschneidung und das Halten der jüdischen Satzungen und Gebote im Hinblick auf das Heil in Jesus Christus keine Relevanz mehr. Judaistisch gesinnte Prediger, die die Gemeinden im Lykostal (zu denen gehört auch Kolossä) zu beeinflussen suchen und Beschneidung und Gesetzestreue fordern, tun dies im Widerspruch zum Gedanken der christlichen Einheit, die nicht an das Judentum gebunden ist.

Da bei dem Gegensatzpaar Beschneidung - Vorhaut zuerst die Beschneidung und dann die Vorhaut genannt wird, wäre parallel dazu bei dem vorangehenden Gegensatzpaar Grieche - Jude eigentlich die Erwähnung des Juden vor dem Griechen zu erwarten gewesen. Schließlich ist ja der Jude beschnitten und der Grieche ist es nicht. Eine solche Reihenfolge hätte umso mehr nahe gelegen, als auch Paulus in Gal 3,28 zuerst den Juden nennt und erst danach den Griechen. Hat die unerwartete Reihenfolge in Kol 3,10-11 einen bestimmten Grund? Will der Verfasser des Kol das Gegensatzpaar Beschneidung - Vorhaut vom Gegensatzpaar Grieche - Jude noch deutlicher trennen, als es bereits durch die separate Nennung geschieht? Ist die unerwartete Reihenfolge ein Hinweis darauf, dass der Verfasser des Kol nicht Paulus ist und folglich auch nicht die Reihenfolge des Galaterbriefes, eines vermutlich echten Paulusbriefes, verwendet? Oder ist die Voranstellung des Griechen damit zu begründen, dass es sich bei den Adressaten in erster Linie um Heidenchristen handelt?


Die Barbaren sind Menschen, die nicht der griechischen Kultur angehören und der griechischen Sprache nicht mächtig sind. Ihre eigene Sprache wiederum ist den Griechen unverständlich (zum sprachlichen Aspekt vgl. 1 Kor 14,11). Aus Sicht der Griechen dürften die Juden, sofern sie nicht hellenisiert sind, zu den Barbaren zählen. Der Verfasser des Kol lässt aber durch die ausdrückliche Nennung des Juden neben dem Griechen und Barbaren erkennen, dass für ihn ein Jude kein Barbar ist. Der Verfasser des Kol schreibt nicht aus der Sicht eines heidnischen Griechen, sondern aus der Sicht eines Christen. Und er schreibt auch nicht an heidnische Griechen, sondern an Christen. Das Christentum war in der Anfangszeit ein Teil des Judentums und hat sich erst im Laufe der Zeit zunehmend verselbständigt. Insofern hat es eine besondere Beziehung zum Judentum, was ausschließt, die Juden einfach zu den Barbaren zu zählen.


Die Skythen waren ein in den Steppen im Süden des heutigen Russlands beheimatetes Volk von Ackerbauern und Nomaden. Aber warum werden sie in Kol 3,11 eigens erwähnt? Inwieweit spielen sie im Bewusstsein der Adressaten eine besondere Rolle? Der Süden Russlands grenzt zwar nicht an das Lykostal im Westen der heutigen Türkei, ist aber auch nicht Tausende von Kilometern entfernt. Gerade von der im Schwarzen Meer gelegenen Halbinsel Krim aus, auf der die allmählich von den Sarmaten unterworfenen Skythen noch bis in das 3. Jh. n. Chr. nachweisbar sind, ist es bis Kolossä im Lykostal nicht weit. So können die Kolosser gut mit skythischen Kriegern, Händlern oder Diplomaten in Kontakt gekommen sein. Aber wieso werden nicht die Sarmaten genannt, die den Skythen ja ihre Lebensräume streitig machten? Und wieso werden die Skythen nicht einfach zu den Barbaren gezählt, wo sie doch weder dem griechischen Sprach- noch dem griechischen Kulturraum angehörten? Am einfachsten lassen sich diese Merkwürdigkeiten damit erklären, dass sich in Kolossä Skythen niedergelassen hatten und diese somit einen Bestandteil des täglichen Lebens der Kolosser bildeten. Vielleicht gab es auch Christen skythischer Herkunft.

Man kann V. 11 so deuten, dass vier Gegensatzpaare aufgezählt werden, wovon das dritte das Gegensatzpaar Barbar - Skythe ist. Aber wo liegt der Gegensatz? Unterscheiden sich die Skythen in der Lebensweise von Barbaren? Oder unterscheiden sie sich von Barbaren hinsichtlich des Bezugs, den die Adressaten zu ihnen haben? Oder gibt es einen anderen Grund für die Gegenüberstellung? Zu denken ist auch daran, dass es sich nicht um Gegensatzpaare im eigentlichen Sinne handelt, sondern sich die beiden "gegensätzlichen" Teile des Paares so ergänzen, dass sie eine Gesamtheit ergeben. Grieche und Jude bilden zusammen alle Bewohner der östlichen Mittelmeerraumes, Beschneidung und Vorhaut alle Religionen und Kulturen, Barbar und Skythe alle heidnischen Nichtgriechen und Sklave und Freier die Gesamtheit der Menschen nach personalrechtlichem Status.


Das Gegensatzpaar männlich-weiblich findet sich nur in Gal 3,28, nicht jedoch in Kol 3,11. Ein Grund dafür ist nicht ersichtlich. Man könnte annehmen, dass der Verfasser des Kol die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich beibehalten sieht, jedoch ist dies unwahrscheinlich, würde dies doch die Infragestellung der Aufhebung der Unterschiede "in Christus Jesus" bedeuten. Wahrscheinlicher ist, dass Kol 3,11 nicht in enger Abhängigkeit von Gal 3,28 entstanden ist und vielleicht nicht auf derselben Quelle beruht. Auch ist wahrscheinlicher, dass es dem Verfasser des Kol weniger auf die Aufhebung der Unterscheidung der Geschlechter ankommt als vielmehr auf die Aufhebung von kulturellen Unterschieden und der Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden. Möglicherweise will er auch keinen Anlass geben, die in Kol 3,18-19 geforderte Unterordnung der Frauen unter die Männer infrage zu stellen. Gegen letztere Möglichkeit spricht allerdings, dass der Verfasser des Kol dann auch nicht den Sklaven und den Freien erwähnen dürfte, denn in 3,22-25 wird ja auch der Gehorsam der Sklaven gegenüber den irdischen Herren gefordert.

Eine Variante fügt das Gegensatzpaar "männlich und weiblich" ("arsen kai thêly") ein, und zwar an erster Stelle. Dabei dürfte es sich aber um eine nachträgliche Harmonisierung mit Gal 3,28 handeln.


Die Formulierung "... sondern alles und in allen (oder: allem) Christus" lässt auf den Blick an Pantheismus christologischer Art denken: Alles, was existiert, ist in Christus aufgelöst und mit ihm eins. Christus ist zudem in allen (oder: allem). Auf eine andere Fährte kommt man aber, wenn man einen Blick auf die ähnliche Formulierung "...damit Gott sei alles in allem" in 1 Kor 15,28 wirft. Dort sagt die Formulierung wohl Alleinherrschaft und Unterordnung von allem aus. Das legt nahe, auch in Kol 3,11 an Alleinherrschaft und Unterordnung zu denken. Es ist hier aber - anders als in 1 Kor 15,28 - nicht Gott, der alleine herrscht und sich alles unterordnet, sondern Jesus Christus. Der Verfasser des Kol stellt Christus absolut in den Mittelpunkt: In ihm und durch ihn und zu ihm hin wurde alles erschaffen, in ihm hat alles Bestand und er ist Grund allen Heils (vgl. Kol 1,15-20). Nicht, dass Gott nicht existieren würde oder Jesus Christus unterworfen wäre - vielmehr widmet der Verfasser der Unterscheidung zwischen Gott und Jesus Christus wenig Aufmerksamkeit, denn nichts soll von Jesus Christus ablenken. Die fehlende klare Trennung zwischen Jesus Christus und Gott lässt Gottes Wirken ganz im Lichte Jesu Christi und Jesus Christus als göttlich erscheinen.


Die Form "pasin" ist auf jeden Fall ein Plural und außerdem ein Dativ. Aber ist es ein Maskulinum oder ein Neutrum, muss die Übersetzung also "in allen" oder "in allem" lauten? Dass alles von Christus durchdrungen ist, passt genauso gut zum Gedankengut des Verfassers des Kol wie die Vorstellung, dass Christus allen Menschen innewohnt. Dass Christus allen Menschen innewohnen sollte, verwundert zunächst, weil längst nicht alle Menschen an Christus glauben und christlich leben, ja manche Menschen Christus bestimmt ablehnen. Aber Unterschiede zwischen Christen und Nichtchristen zu machen, würde der ganzheitlichen, auf Christus hin ausgerichteten Weltsicht Abbruch tun. Der Verfasser des Kol spricht von ausnahmsloser Erfüllung. Nicht die Erfüllung selbst steht infrage, sondern ob und in welchem Maße die Erfüllung im Menschen Entfaltung findet, sich im Glauben und im Verhalten zeigt. In der Aussage, dass Christus allen Menschen innewohnt, könnte der missionarische Optimismus der Anfangszeit des Christentums mitschwingen, der davon ausging, dass alle Menschen früher oder später das Evangelium zu hören bekommen und sich zu Christus bekehren lassen würden. Mit der Erfüllung der ganzen Welt samt allen Menschen durch Christus ist die Herrschaft Christi über die ganze Welt samt allen Menschen eng verbunden. So bekommt auch die Formulierung "denn ihr seid alle einer in Christus Jesus" (vgl. Gal 3,28) einen kosmologischen Sinn. Eine solche kosmologische Deutung der Einheit der Christen könnte Kol 3,11 zugrunde liegen.


Weiterführende Literatur: H. O. Maier 2005, 323-349 spürt Vokabular, Motiven und theologischen Themen im Kol nach, die der Sprache des römischen Kaiserkults entspringen. Zu Kol 3,11: Die frühen christlichen Verkündigungen einer Einheit, die ethnische Grenzen überwindet, seien in einem Römischen Reich erfolgt, das sein Einheitsverständnis auf der militärischen Unterwerfung der anderen Völker gegründet habe. Die Einwohner des Römischen Reiches seien dazu genötigt worden, das Römische Reich als eine göttlich bestimmte Macht zur Beherrschung der Welt anzuerkennen. Im Kol bringe nicht das Römische Reich die gute Weltordnung und das rechte Verhalten, sondern der Triumph Christi.

H. O. Maier 2005, 385-406 liest den Kol - besonders die Erwähnung der "Barbaren" und der Skythen - vor dem Hintergrund römischer Kaiserbildnisse, die den Herrscherkult feiern. H. O. Maier vertritt die Ansicht, dass eine Deutung des Paars "Barbaren, Skythen" als eine Verstärkung des vorhergehenden "Vorhaut/Unbeschnittene" der römischen Ikonographie und den römischen politischen Idealen nicht genug Gewicht gebe. Das Paar - darin stimmt er D. A. Campbell zu - weise auf territoriales Gedankengut hin. Römische Ikonographie stelle den römischen Frieden (pax) als Frucht göttlich bestimmten militärischen Sieges über unterworfene Völker dar und drücke bildlich die utopische Vision einer die verschiedenen Völker übergreifenden Einheit im Römischen Reich aus.


Laut T. Martin 1995, 249-261 handele es sich bei den Paaren Grieche/Jude, Beschneidung/Unbeschnittenheit und Sklave/Freier jeweils um Gegensatzpaare. Insofern irritiere das Paar Barbar/Skythe, bei dem nicht klar sei, ob es sich auch um ein Gegensatzpaar handelt und - wenn ja - wo der Gegensatz liegt. Viele Exegeten seien der Meinung, dass es sich nicht um ein Gegensatzpaar handele, sondern sich beide Begriffe überlappten. Entweder würden die Skythen als besonders edle Barbaren angesehen oder als ein besonders schlechtes - d. h. rohes, wildes und inhumanes - barbarisches Volk. Eine zweite Position gehe davon aus, dass es sich bei "Barbaren" und "Skythen" um ganz bestimmte rassische oder geographische Kategorien handele, beispielsweise die "Barbaren" im Süden leben, die Skythen dagegen im Norden. Für diese zweite Position spreche im Vergleich zur ersten, dass ein Gegensatz angenommen wird und sich das Paar somit nahtlos in die anderen Gegensatzpaare einfügt. Beide Positionen litten jedoch daran, dass eine rein griechische Perspektive angenommen werde. Tatsächlich handele es sich bei den ersten beiden Paaren um eine jüdische Sichtweise. Bei einer griechischen Sichtweise hätte das erste Gegensatzpaar nicht Grieche/Jude, sondern Grieche/Barbar gelautet. Und die Beschneidung sei vor allem für die Juden von Bedeutung gewesen. Mit Blick auf das Paar Barbar/Skythe werde der Gegensatz deutlich, wenn man die skythische Sicht einnimmt. Für die Skythen seien alle, die nicht skythisch sprechen, Barbaren. Die Kyniker hätten sich mit den Skythen identifiziert, um einen scharfen Widerspruch zwischen sich und dem Rest der Menschheit auszudrücken. Zugleich hätten sie aber behauptet, dass alles Übel von Trennung und Unterscheidung her stamme, was einen Widerspruch darstelle. Mit der Feststellung, dass mit Christus alle Gegensätze aufgehoben sind, mache der Verfasser des Kol den Widerspruch deutlich und lasse Christus als Lösung erscheinen. Der Verfasser des Kol nehme also im Hinblick auf das Gegensatzpaar Barbar/Skythe die skythische Perspektive ein, um die Widersprüchlichkeit im philosophischen Selbstverständnis der kynischen Irrlehrer offenzulegen. D. A. Campbell 1997, 81-84 hält in seiner Erwiderung durchaus für richtig, dass T. Martin davon ausgeht, dass auch Barbar/Skythe ein Gegensatzpaar sei. Die These, dass das Gegensatzpaar Barbar/Skythe eine skythische Sichtweise einnehme, hält er jedoch nicht für plausibel. Erstens sei ein spezifisch ethnisches Gegensatzpaar im Hinblick auf die christlichen Adressaten in der Provinz Asien doch verwunderlich. Zweitens sei zu erwarten, dass die skythische Sichtweise in einem einheimischen Idiom vermittelt wird, nicht aber in der griechischen Sprache. Drittens müsse aus kynischer Sicht das Gegensatzpaar Barbar/Grieche lauten, denn die Skythen und Barbaren stünden untereinander nicht in einem Gegensatz; vielmehr stellten die Griechen einen Gegensatz sowohl zu den Barbaren als auch zu den Skythen dar. Die These von T. Martin sei also ungereimt. Plausibler sei laut D. A. Campbell 1996, 120-132 folgende These: Die Gegensatzpaare Barbar/Skythe und Sklave/Freier stellten einen Chiasmus ähnlich der chiastischen Struktur der ersten beiden Gegensatzpaare Grieche/Jude und Beschneidung/Unbeschnittenheit dar. Gemäß der A-B-B-A-Struktur seien die Entsprechungen "Barbar" und "Freier" sowie "Skythe" und "Sklave". Von den Skythen hätten viele Sklaven her gestammt, was die Entsprechung von "Skythe" und "Sklave" erkläre. T. W. Martin 1999, 256 verteidigt seine These: Der spezifisch ethnische Gegensatz Barbar/Skythe werde im übertragenen Sinne gebraucht, der übertragene Sinn nicht ausgeschlossen. Außerdem werde die skythische Sichtweise richtigerweise in der Sprache der Adressaten vermittelt, nicht in der eigenen Sprache. Die Annahme, dass der Gegensatz Barbar/Grieche bzw. Skythe/Grieche statt Barbar/Skythe lauten müsse, zeige, dass D. A. Campbell bei seiner Kritik die griechische Sichtweise einnimmt, als hätten sich Kyniker nur unter den Griechen und nicht unter den Skythen befunden. Das sei aber unzutreffend. Und schließlich sei der Chiasmus nicht überzeugend. Wenn sich laut D. A. Campbell in Kol 3,11 eigentlich nur zwei Kontraste, nämlich der zwischen beschnittenen Juden und unbeschnittenen Griechen sowie der zwischen freien Barbaren und skythischen Sklaven, fänden und dies den beiden Kontrasten zwischen Juden und Griechen sowie Sklave und Freier in den Parallelen 1 Kor 7,17-24; 9,20-22; 12,13 und Gal 3,28 entspreche, dann basiere diese Annahme zum einen auf sprachlichen Ungenauigkeiten und zum anderen auf fragwürdigen Annahmen bezüglich der Parallelen. So seien die Parallelen keineswegs auf zwei Kontraste beschränkt, wie insbesondere Gal 3,28 zeige, wo sich als dritter Kontrast derjenige zwischen männlich und weiblich finde. Warum hätte Paulus nicht auch in Kol 3,11 einen dritten Kontrast einbauen können?


Zum Einschub von "männlich und weiblich" ("arsen kai thêly") seitens der insbesondere vom sog. Westlichen Text gebotenen Variante siehe M. Grosso 2011, 2-3. Die harmonisierende Tendenz sei typisch für den sog. Westlichen Text. Dass "männlich und weiblich" als erstes Gegensatzpaar aufgeführt wird und nicht wie in Gal 3,28 als letztes, lasse sich möglicherweise mit der Neigung des Verfassers des Kol zur Umkehrung der Reihenfolge (vgl. Kol 4,10-17 im Vergleich mit Phlm 2.23-24; Kol 1,14 im Vergleich zu Phlm 5; Kol 2,9-10 im Vergleich mit Kol 1,15-20) erklären.


L. Bormann 2009, 83-102 deutet die Gemeinde, die sich der Verfasser des Kol vorstellt, als soziale Gruppe, die durch Synthese und Platzierung eine gruppenspezifische Raumfiguration entwickele. Diese Gruppe orientiere sich an einem Weltbild, das sie vor allem als ein Gegenüber von oben und unten, von Himmel und Erde, Thron Gottes und Schöpfung wahrnehme. In diese Struktur, die aus der biblischen Tradition übernommen sei, werde nun das christliche Moment als dynamische Bewegung integriert. Die Erhöhungsvorstellung sei ebenfalls aus den ersten Gemeinden übernommen. Vor diesem Hintergrund würden nun Vorstellungen entwickelt, die gruppenspezifisch sind. Die Gegenüberstellung Skythe und Barbar mache deutlich, dass der Kol an der Relevanz einer realen horizontalen Raumordnung festhält. Die Erde bestehe aus Ländern, in denen konkrete Menschen leben. Diese Welt - als "Schöpfung unter dem Himmel" (1,23) zu einem Ganzen verknüpft - sei der Raum, der durch die Praxis der (universalen) Evangeliumsverkündung angeeignet wird.


T. A. Wayment 2015, 528-533 befasst sich mit einem in der historischen ägyptischen Stadt Oxyrhynchus entdeckten Amulett (UC 32070), das insofern von großer Bedeutung sei, weil es als erstes Amulett in griechischer Sprache Verse des Kol (3,9-10) enthalte, und zwar auf Papyrus. Das Amulett habe wohl als "aide mémoire" ("Gedächtnisstütze") gedient und seinen Träger an die Bedeutung der christlichen Taufe erinnert.



Literaturübersicht


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