Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 1,7-10

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 1,7-10



Übersetzung


Eph 1,7-10 :7 In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Verfehlungen, gemäß dem Reichtum seiner Gnade, 8 mit der er uns überschüttet hat, in aller Weisheit und Klugheit, 9 als er uns das Geheimnis seines Willens kundgetan hat, gemäß seinem Ratschluss, den er in ihm festgesetzt hatte, 10 zur Verwirklichung der Fülle der Zeiten, um alles in (dem) Christus zusammenzufassen, was in den Himmeln ist und was auf der Erde in ihm.



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V. 7


Beobachtungen: Nachdem 1,3-6 den Heilsplan Gottes dargelegt hat, haben die V. 7-10 das Heilsgeschehen in Christus zum Thema.


Der Beginn von V. 7 entspricht Kol 1,14, wobei in Eph 1,7 der Bezug des "en hô" auf Jesus Christus, den "Geliebten", deutlicher ist. Hier ist "en hô" sicherlich mit "in ihm", nicht aber mit "durch ihn" zu übersetzen. "In ihm" sagt den Macht- und Wirkungsbereich aus, in dem die Erlösung gewirkt wird. Die folgende Präposition "dia" ("durch") macht dann deutlich, durch was die Erlösung bewirkt wird, nämlich durch "sein Blut".


Die Sündenvergebung ist mit einem konkreten Ereignis verbunden, der „apolytrôsis“. Dieser Begriff bezeichnet in weltlichen Texten den Loskauf aus der Gefangenschaft. Einen speziellen Fall des Loskaufs kennt das antike israelitische Familienrecht: Wenn ein Israelit sich aufgrund der nicht mehr rückzahlbaren Schulden an einen Fremden selbst verkauft hat, soll ihn sein nächster Verwandter mit dem eigenen Vermögen loskaufen (vgl. insbesondere Lev 25,47-55). Im religiösen Sinn bedeutet der Begriff „Erlösung“, wobei diese nicht unbedingt in Zusammenhang mit einem „Lösegeld“ zu sehen ist. Allerdings kann man die Hingabe des Lebens Jesu Christi durchaus als ein „Lösegeld“ verstehen, das die Menschen aus der Macht der Sünde befreit. Aufgrund dieser Befreiung sind die Menschen nicht mehr dem Zorn Gottes und dem ewigen Tod verfallen. Deutet man den Loskauf auf dem Hintergrund des israelitischen Familienrechts, so erscheint Gott bzw. Jesus Christus als nächster Verwandter.


Im Gegensatz zur Parallele Kol 1,14 bietet Eph 1,7 das Wort "paraptôma" ("Verfehlung") statt "hamartia" ("Sünde"). Ein nennenswerter Bedeutungsunterschied dürfte aber nicht vorliegen.


"Reichtum seiner Gnade" dürfte aussagen, dass die Gnade nicht knapp bemessen, sondern in reichem Maße geschenkt ist. Es handelt sich also um eine Betonung der Wirksamkeit der Gnade.


Weiterführende Literatur: Eine Diskursanalyse von Eph 1,3-14 bietet J. P. Louw 1999, 308-315. Es geht um die Frage, wie der Abschnitt als Ganzes zu lesen und zu verstehen ist.


Eine literarische und theologische Analyse von Eph 1,3-14 bietet G. De Virgilio 2017, 121-140. Er nimmt Christi Vorrangstellung in den Blick und geht auf fünf theologische Gesichtspunkte ein, die sich aus dem Lobpreis ergeben: a) die Vorherbestimmung und Adoptivkindschaft; b) die Erlösung und die Sündenvergebung; c) das „Geheimnis“ und das Erbe der Gläubigen; d) das Evangelium und das universale Heil; e) das verwandelnde Handeln des heiligen Geistes.


Wie die Analyse der Texte Eph 1,3-14; 1,21; 2,1-10; 4,22-24; 4,30; 6,13 zeige, werde gemäß T. Witulski 2005, 211-242 die vom Verfasser des Eph vertretene eschatologische Konzeption durch zwei zentrale Aspekte charakterisiert: (1) Im Unterschied zu Paulus sei für den Verfasser des Eph dieses eschatologische Heil den Christen in ihrer Vergangenheit bzw. ihrer Gegenwart vollständig zuteil geworden. (2) Das endzeitliche Heil sei zwar eine objektive, aber noch keine offenbare Wirklichkeit, was für die Christen bedeute, dass dieses Heil in ihrer Gegenwart ihrer Verfügungsgewalt entzogen bleibe und sie es immer noch verlieren können. Erst mit dem Zeitpunkt der Parusie Christi werde dieses Heil zu einer offenbaren, nicht mehr verlierbaren Realität. Das aber heiße, dass die präsentische Eschatologie des Verfassers des Eph unter einem zeitlichen Vorbehalt steht, der in der ethischen Forderung konkrete Gestalt gewinnt: Um das eschatologische Heil als unverlierbaren Besitz zu erlangen, müsse der Christ sich in der Gegenwart im Rahmen eines Entwicklungsprozesses ethisch bewähren.


B. de Klerk 2002, 1-18 erarbeitet über die Struktur und Inhalte des Lobpreises 1,3-14 grundlegende theoretische Elemente des Lobpreises.


G. Baldanza 2014, 231-252 vertritt die These, dass der trinitarische Ablauf, wie er sich in Eph 1,3-14 finde, den gesamten Eph durchziehe und auch in den zentralen argumentativen Passagen 2,14-18; 3,14-19; 4,4-6 und 5,18-20 auftauche. 1,3-14 komme auf die Handlung Gottes, des Vaters, auf die Handlung des Sohnes Jesus Christus und auf die Handlung des heiligen Geistes zu sprechen. In Gott habe der Heilsplan seinen Ursprung, mittels der durch Jesus Christus bewirkten Erlösung verwirkliche er sich und in Jesus Christus werde der heilige Geist gegeben, und zwar als Angeld des verheißenen Erbes, der endgültigen Erlösung. Der trinitarische Ablauf ziele auf die Förderung und auf den Erhalt der kirchlichen Gemeinschaft ab, auf die Überwindung jeglicher Spannung oder Spaltung.


E. Best 1992, 53-69 befasst sich mit dem dogmatischen und liturgischen Material im Eph unter den Fragestellungen, wie der Verfasser des Eph es aufgegriffen und bearbeitet hat und welches die Gründe dafür sind. Auf S. 56-58 geht er auf 1,3-14 ein und untersucht, ob und inwieweit diesem von liturgischer Sprache geprägten Abschnitt eine hymnische Vorlage zugrunde liegt.


J. H. Barkhuizen 1990, 390-413 analysiert die formalen Charakteristika und die Struktur der Passage Eph 1,3-14. Es sei wohl nicht zu bezweifeln, dass es sich um eine bewusst stilisierte Passage handelt. Sie folge der hymnischen Gattung des Lobpreises (Eulogie). Gott werde umfangreich und ausgedehnt für seine Segnungen in Jesus Christus gepriesen. So bereite der Verfasser des Eph die Leser treffend auf die Hauptthemen des Briefes vor.

Dazu auch M. Marenco 2006, 261-277 die darlegt, dass es in der Gemeinschaftsregel eine Passage gebe, die möglicherweise Eph 1,3-10 zugrunde liege: So stelle 1QS XI,2b-22 besonders systematisch und eingehend die Schritte des göttlichen Heilsplanes dar, wie sie in ihm zur Erfüllung kommen, nämlich Gericht und Rechtfertigung, Erkenntnis und Betrachtung des Geheimnisses, Erwählung zur Heiligkeit. Der Lobpreis sei die Antwort auf diese Segnungen.


Die Gliederung des Abschnittes Eph 1,3-14 stellt die Exegeten vor Probleme. Daher gibt es verschiedene Vorschläge bezüglich der Gliederung, die L. Ramaroson 1981, 93-103 vorstellt. L. Ramaroson kommt selbst zu dem Ergebnis, dass 1,3-14 ein Hymnus zugrunde liege, der ursprünglich von einfacher Machart gewesen sei. Es habe sich um einen Lobpreis gehandelt, der Gott für seinen auf dem kosmischen Heilsplan gegründeten Heilsplan den Christen gegenüber, und zwar ohne Unterschied den Heidenchristen und Judenchristen gegenüber, gepriesen habe. Aber der Endredakteur (oder jemand vor diesem) habe die V. 6b-9a eingefügt, um speziell das Thema von Kol 1,13b-14 ins Licht zu setzen. So sei die heutige Verwirrung im Hinblick auf die Gliederung des Lobpreises Eph 1,3-14 entstanden.


C. J. Robbins 1986, 677-687 geht der Frage der Gliederung von Eph 1,3-14 unter zwei Gesichtspunkten antiker Rhetorik nach: a) Quintilians und Ciceros Grundsatz, wonach ein Unterabschnitt eines Kettensatzes nur so lang sein könne, wie er sich in einem Atemzug sprechen lässt; b) Aristoteles' Grundsatz, dass der Unterabschnitt eine in sich schlüssige und abgeschlossene Einheit darstellen müsse.


P. Grelot 1989, 193-209 vertritt folgende These: V. 3a stelle einen Refrain dar, der nach jeder der sechs "Strophen" (vor V. 5, V. 7, V. 9, V. 11 und anstelle von V. 13a-b) aufgenommen werde und jeweils die folgende "Strophe" einleite. Diese knüpfe logisch an einen der beiden Begriffe "Gott" und "Christus" an.


Zum Verhältnis von Erwählung, Sohnschaft und Erlösung siehe C. Reynier 1996, 182-199. Indem Eph 1,3-14 Christus als Inhalt der Offenbarung, aber nicht als Offenbarer darstelle, werde gezeigt, dass die Erlösung ihren Platz im Rahmen der Heilsgeschichte Gottes hat, ohne deren Grundlage zu sein. Ferner lege der Abschnitt - unter Aufnahme der beiden historischen Arten der Offenbarung - die Grundlage der Ekklesiologie, wie sie im Folgenden des Briefes entfaltet werde: Die Kirche werde ausschließlich über die Beziehung der Gläubigen zu Christus definiert, welches auch immer ihre ethnische, kulturelle oder sogar religiöse Herkunft sei.


A. Valentini 2004, 345-359 legt in seiner Auslegung von Röm 8,28-30 und Eph 1,3-14 dar, dass der göttliche Plan hinsichtlich aller Gläubigen seine volle Bedeutung und endgültige Erfüllung in der Person Maria, der Mutter Jesu, erlange. A. Valentini schenkt der einzigartigen Beziehung zwischen Maria und der Kirche besonderes Augenmerk.


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V. 8


Beobachtungen: Das Überschütten mit Gnade (oder: Kundtun) ist in aller "Weisheit und Einsicht" geschehen. Dabei ist unklar, inwieweit die Begriffe "sophia" ("Weisheit") und "phronêsis" ("Klugheit/Einsicht") bedeutungsgleich sind. Geht man von Bedeutungsgleichheit aus, dann dürfte es sich um das Stilmittel des Hendiadyoin handeln, bei dem ein und dieselbe Sache mit zwei Worten ausgedrückt wird („hen dia dyoin“ = „eins durch zwei“). Es ist aber auch möglich, dass beide Begriffe eine leicht unterschiedliche Bedeutung haben, einen anderen Aspekt betonen. So könnte "sophia" den Aspekt der Weisheit/Klugheit betonen, aus der richtiges Verhalten entspringt. "Phronêsis" dagegen könnte das Schwergewicht der Aussage auf den weisen Plan legen, der dem Verhalten zugrunde liegt, ebenso auf die Umsetzung des Plans. Nimmt man beide Begriffe zusammen, ergeben sich drei Aspekte: Das Überschütten mit Gnade war weise, es entsprang einem Plan und es wurde tatsächlich umgesetzt.

"In aller Weisheit und Einsicht" kann sich sowohl auf das Überschütten mit Gnade als auch auf das Kundtun beziehen. Bei ersterem Bezug ist "... mit der er uns überschüttet hat, in aller Weisheit und Klugheit" zu übersetzen, bei letzterem "In aller Weisheit und Klugheit hat er uns kundgetan...".


Weiterführende Literatur: Nach dem "wir" der V. 3-12 werden in den V. 13-14 mit "ihr" unvermittelt die Adressaten angesprochen. S. Schneider 2012, 167-195 fragt: Wie ist dieser Wechsel zu verstehen? Anders gefragt: Wen bezeichnet der Verfasser mit den "wir" und wen mit den "ihr"? Laut S. Schneider seien die V. 11-14 als gleichberechtigter Teil des Lobpreises anzusehen. Somit sei der Ausweg, den problematischen Wechsel durch den vermeintlichen Anhangscharakter der V. 12-14 zu einer vernachlässigbaren Nebensache zu erklären, verwehrt. Andererseits zeige die Gattungsbestimmung Briefeingangseulogie, dass das "ihr" kaum jemand anderes als die Adressaten meinen kann. Bei der Frage gehe es daher eigentlich nur noch darum, wen das "wir" der V. 3-12 bezeichnet. Da man davon ausgehen könne, dass die mit dem "ihr" angesprochenen Adressaten Heidenchristen waren, vertrete eine nicht geringe Anzahl Autoren die Auffassung, in den V. 11-12 bezeichne das "wir" Judenchristen. Dem werde indes zu Recht entgegengehalten, dass bei einer derart gewichtigen Einschränkung des Personenkreises von V. 3b-10 zu V. 11-12 ein Hinweis auf diese zu erwarten wäre. Folglich sei davon auszugehen, dass es sich bei den "wir" der V. 3b-10 und V. 11-12 um dieselbe Gruppe handelt. Stets werde angenommen, dass es sich bei den "wir" der V. 3b-10 um alle Christen handele. Das lege nahe, dies auch im Hinblick auf die V. 11-12 anzunehmen. Das aber mache es schwierig, den Wechsel zum "ihr" in V. 13 zu erklären. Daher sei wahrscheinlicher, dass das "wir" der V. 3-12 nur die Judenchristen meint.


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V. 9


Beobachtungen: Das Partizip "gnôrisas" ist ein Aorist, der anzeigt, dass etwas in der Vergangenheit geschehen und abgeschlossen ist. Das Kundtun des Geheimnisses des Willens Gottes ist die Voraussetzung für die Erlösung, geht ihr voraus. Auch diese Vorzeitigkeit zeigt der Aorist an. Die wörtliche Übersetzung lautet "kundgetan habend". Nun stellt sich die Frage, wie sich das Kundtun des Geheimnisses seines Willens zum Überschütten der Gnade verhält. Ist gemeint, dass beides zeitgleich geschehen ist? Oder ist gemeint, dass das Überschütten der Gnade geschehen ist, indem Gott das Geheimnis seines Willens kundgetan hat? Oder handelt es sich um zwei Geschehnisse, die sich zwar beide in der Vergangenheit abgespielt haben und abgeschlossen sind, die aber nicht unmittelbar verbunden, sondern getrennt voneinander zu sehen sind?


Der Wille Gottes ist ein Geheimnis. Dieses lässt sich von Seiten des Menschen nicht ergründen, und seien die Überlegungen noch so klug. Damit der Wille Gottes dem Menschen überhaupt zugänglich wurde, musste er dem Menschen von Gott selbst kundgetan werden. Dabei bleibt offen, wann und wie dies geschehen ist. Es lässt sich an dieser Stelle erst einmal nur allgemein sagen, dass dies in der Vergangenheit geschehen ist. Aber haben wir an das AT zu denken, konkret an die Passagen, die auf den Messias hinweisen? Oder ist das Kundtun des Willens Gottes mit der Geburt, dem Leben, Kreuzestod und/oder der Auferstehung Jesu erfolgt? Oder ist es mit der Verkündigung erfolgt, die ja Jesus Christus und das mit ihm verbundene Heilsgeschehen zum Inhalt hat? Erst später (3,3.5.10; 6,19) äußert sich der Verfasser des Eph zum Kundtun des Geheimnisses des Willens Gottes genauer.


Das Substantiv "eudokia" kann sowohl mit "Wohlgefallen" als auch mit "Beschluss/Ratschluss" übersetzt werden. Es tauchte bereits in V. 5 auf und bezeichnet dort vermutlich einen Beschluss Gottes. Eine solche Bedeutung ist auch in V. 9 anzunehmen. Gott hat das Geheimnis seines Willens also nicht aus einer spontanen Laune heraus kundgetan, sondern er hat dies beschlossen, und zwar vor dem Kundtun. Gott hatte seinen Ratschluss festgesetzt und hat uns dann später das Geheimnis seines Willens kundgetan.


Das Verb "proetheto", das "festgesetzt hat(te)" bedeutet, enthält das Präfix "pro". Dieses bedeutet gewöhnlich "zuvor/vorher", muss diese Bedeutung aber nicht in diesem Verb haben. Die Vorzeitigkeit kann betont sein, muss es aber nicht. Das Präfix erscheint allerdings auch in den V. 4, 5, 11 und 12 und aus dem Kontext geht hervor, dass an Vorzeitigkeit gedacht ist. Wie lange das Geschehen zurückliegt, wird nicht gesagt. Insofern kann man auch nicht sagen, dass Gott den Ratschluss vor Schöpfung der Welt festgesetzt hatte. Das ist möglich, aber nicht sicher.


Was bedeutet "in ihm" ("en autô")? Zunächst einmal stellt sich die Frage, wer "ihm" ist? Zwei mögliche Antworten legen sich nahe: Entweder ist Gott gemeint oder Christus. Aufgrund der enormen Bedeutung, die die Formel "in/durch Christus" ("en Christô) im Eph hat, ist davon auszugehen, dass hier Christus gemeint ist. Dabei hat die Präposition "en" verschiedene Bedeutungsnuancen: Sie kann "in" bedeuten und einen Macht- und Wirkungsbereich bezeichnen. Im Falle Christi ist dieser Macht- und Wirkungsbereich ein Heilsbereich. Gottes Ratschluss wäre also von vornherein im Lichte des durch Christus bewirkten Heils zu sehen. Man kann die Präposition "en" aber auch instrumental im Sinne von "durch" verstehen". Dann hätte Gott seinen Ratschluss durch Christus festgesetzt. Christus hätte diesen Ratschluss gutgeheißen und an ihm in irgendeiner Form mitgewirkt. Alle diese Bedeutungsnuancen lassen eine große Nähe zwischen Gott und Christus erkennen; sie agieren miteinander zum Heil der Menschen und der ganzen Welt. Diese Nähe und das Miteinander wird dadurch unterstrichen, dass der Verfasser des Eph anscheinend keine Notwendigkeit sieht, scharf zwischen Gott und Christus zu unterscheiden und somit offen lässt, wen "ihm" meint. Christus wird also nicht erst mit seiner Menschwerdung existent und für das Heil der Menschen und der Welt bedeutsam, sondern er ist es schon vorher.


Weiterführende Literatur: M. N. A. Bockmuehl 1990 geht in seinem Buch über "Offenbarung" und "Geheimnis" bei Paulus auch kurz auf relevante Stellen im Epheserbrief ein (S. 199-200 zu 1,9-10), der paulinische Blickwinkel und Gewichtungen fortführe. So entspreche das "Geheimnis des Willens Gottes" dem "abstrakten" Gebrauch des Begriffs "Geheimnis" bei Paulus. Allerdings sei die Vorstellung der universalen, kosmischen Zusammenfassung in Christus bislang nicht als Teil der paulinischen Vorstellung vom "Geheimnis" aufgetaucht, auch wenn sie paulinischer Theologie nicht gänzlich fremd sei (vgl. 1 Kor 15,28; Kol 1,15-20 u. a.).


P. Iovino 1986, 327-367 sieht den Lobpreis (Eulogie) 1,3-14 als den Kern des gesamten Eph an. Er enthalte die wesentliche Botschaft, in verdichteter Form die leitenden Gedankengänge und in Anlage die gesamte Struktur. All dies werde im Folgenden des Eph weiter entfaltet. Die „Kenntnis des Geheimnisses“ (vgl. 1,9) finde im abschließenden Gebet für die offene und freimütige Verkündigung des Geheimnisses des Evangeliums (vgl. 6,19-20) seitens des Paulus ihre Erfüllung.


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V. 10


Beobachtungen: Die Präposition "eis" kann einen Bezug ("in Hinsicht auf"), eine Absicht ("zur") oder eine Zeitangabe ("bis") ausdrücken. Hier geht es wohl darum, mit welcher Absicht Gott seinen Ratschluss in Christus festgesetzt hatte, worauf alles hinausläuft.


Die "oikonomia" bezeichnet im profanen Zusammenhang eigentlich die Verwaltung, insbesondere die Bewirtschaftung eines Hauses, die Haushaltung. Hier ist wohl die Handlung des Verwaltens gemeint, wobei Gott als Verwalter gedacht sein dürfte. In Eph 1,10 geht es aber nicht um profane Verwaltung, sondern um die Heilsordnung. Das bedeutet, Gott hat nicht nur einen Ratschluss festgesetzt, also einen Heilsplan gefasst, sondern er führt diesen auch durch und erreicht so sein Ziel.


Der Begriff "kairos" bezeichnet gewöhnlich die Zeit im Sinne der rechten Zeit oder des rechten Zeitpunktes, nicht aber die Zeit im Sinne eines zeitlichen Ablaufes. Wenn in V. 10 dieser Begriff benutzt wird, so ist vermutlich im Blick, dass jede Zeit im Heilsplan Gottes eine ganz eigene Bestimmung hat. In den einzelnen Zeiten werden also jeweils ganz bestimmte Heilsereignisse durchlaufen, bis ihre "Fülle" und damit die Vollendung der Heilsereignisse erreicht ist. Der Bogen spannt sich von der Zeit vor der Schöpfung bis hin zur Endzeit. Wenn alles in Christus "zusammengefasst" ist, so ist vermutlich gemeint, dass Christus zum einen im Zentrum des Heilsgeschehens steht und ohne ihn das Heil nicht denkbar ist, außerdem dass schließlich alles in das von ihm ausgehende Heil eingeschlossen ist. Neben dieser Deutung besteht aber auch die Möglichkeit, dass in V. 10 der Begriff "kairos" nicht im Sinne von "rechte Zeit", sondern im Sinne von "Zeit" zu verstehen ist und damit der Bedeutung von "chronos" entspricht.


„Christus“ ist nicht ein Name im Sinne eines Vor- oder Nachnamens, sondern ein Heilstitel. „Christus“ bedeutet „Gesalbter“ (griechisch: „christos“). Im AT werden Könige, Priester, Propheten und auch kultische Gegenstände gesalbt. Durch die Salbung mit dem Salböl werden sie der rein profanen Welt enthoben und in den Dienst Gottes gestellt, womit sie in die Sphäre des Heils treten. Wenn Jesus als „Christus“ bezeichnet wird, dann wird er als Heilsbringer (Messias, hebr.: māschiaḥ) verstanden. Jesus Christus ist insbesondere deshalb Heilsbringer, weil er für die Menschen gestorben und von den Toten auferstanden ist. Er bewirkt Sündenvergebung und ewiges Leben.

"In Christus" ist ein Ausdruck für den Macht- und Wirkungsbereich Christi. In ihm wird (ausnahmslos!) alles zusammengefasst, wobei die Vollständigkeit durch die Formulierung "was in den Himmeln ist und was auf der Erde" unterstrichen wird. Nun darf dies nicht so verstanden werden, als sei bisher die Gesamtheit oder ein Teil dessen, was in den Himmeln ist und was auf der Erde, nicht "in Christus" gewesen, sondern müsse erst "in Christus" einverleibt werden. Vielmehr spannt sich der Bogen "in Christus" von der Vergangenheit bis zur Zukunft, von der Erwählung der Christen "in Christus" vor Grundlegung der Welt bis hin zur Zusammenfassung von allem, was in den Himmeln ist und was auf der Erde, "in Christus". Das Heil nimmt also von Christus seinen Ausgang, hat in ihm Bestand und findet in ihm auch sein Ende bzw. seine Erfüllung. Dies ist zum einen zeitlich zu verstehen als auch in dem Sinne, dass es Heil nur mit Christus gibt.

"Zusammenfassen" dürfte wohl zunächst im Sinne von "auf das Wesentliche reduzieren" zu verstehen sein, wie auch eine Zusammenfassung einer Rede, eines Aufsatzes, eines Textes oder eines Filmes auf das Wesentliche reduziert. Dabei ist die Verkürzung jedoch nicht profan zu verstehen, sondern im Lichte des Heils: Christus ist für die ganze Welt Ausgangspunkt, Bewahrer und Vollender des Heils. Entscheidend für das Heil ist (gemäß V. 7) die Erlösung durch Christi Blut, die Vergebung der Verfehlungen. Die Theologie des Epheserbriefes ähnelt derjenigen des Christushymnus' des Kolosserbriefes, insbesondere Kol 1,17-20. Dort heißt es: "Und er ist vor allem und alles hat in ihm Bestand. Und er ist das Haupt des Leibes, der Kirche. Er ist [der] Ursprung, Erstgeborene von den Toten, damit er in allem den Vorrang habe; denn die ganze Fülle hatte Gefallen daran, in ihm Wohnung zu nehmen, und durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen - indem er durch das Blut seines Kreuzes Frieden stiftete - durch ihn, sowohl das, was auf Erden, als auch das, was in den Himmeln ist."

Möglich ist, dass das Verb "anakephalaioô" ("zusammenfassen") anklingen lässt, dass Christus das "Haupt" ist, denn "kephalê" bedeutet "Haupt". Allerdings wird noch nicht gesagt, dass er das Haupt der Kirche ist. Vielmehr erscheint er als Haupt der ganzen Welt.


Weiterführende Literatur: Laut H. Lona 1984, 272-277 denke der Verfasser des Eph die Zusammenfassung des Alls ekklesiologisch, so wie er die Herrschaft Christi ekklesiologisch verstehe.


T. van Aarde 2015, 45-62 legt dar, dass der Begriff "oikonomia" in den paulinischen Texten missionarisch zu verstehen sei. Er werde in Eph 1,10 als Bezeichnung für die missionarische Aktivität Gottes, die missio Dei, und in 3,2 für die missionarische Aktivität des Paulus, die Verkündigung des Evangeliums, gebraucht. Gottes missionarische Aktivität sei von kosmischer Dimension. Die Mission und der Begriff "oikonomia" gründeten im Handeln der Trinität: Gott Vater ergreife die Initiative, Jesus Christus setze den Plan und die Absichten des Vaters um und der heilige Geist erfülle schließlich den Plan und die Absichten des Vaters. Schon in Eph 1 werde impliziert, dass die Kirche aufgefordert sei, an Gottes Plan und Absicht teilzuhaben. Allerdings werde das Verhältnis zwischen der missio Dei und der Kirche nicht vor Eph 3 entfaltet. Die Aufgabe der Kirche im Rahmen des kosmischen Planes Gottes sei es, mittels der Verkündigung des Evangeliums die ethnischen Gruppen und Völker zu vereinen, wie alles in Christus vereint werden solle.


P. T. O' Brien 2004, 206-219 gibt einen kurzen Überblick über die Deutungen der Formulierung "was in den Himmeln ist und was auf der Erde in ihm" seitens der Kirchenväter und geht auf das Bedeutungsspektrum des Verbs "anakephalaioô" gemäß dem Thesaurus Linguae Graecae ein. Demnach bedeute das Verb in den rhetorischen Texten das Zusammenfassen oder zusammenfassende Wiederholen der Hauptpunkte einer Argumentation. In Eph 1,10 finde sich das Verb nicht in einem rhetorischen Zusammenhang. Hier bezeichne es das herrliche Ziel der göttlichen gnädigen Absichten für die gesamte Schöpfung, nämlich das Zusammenbringen oder Zusammenfassen aller Dinge in Christus, mit der Implikation der Vereinigung aller in seinem Sohn Christus.


W. H. Harris III 1991, 75-76 befasst sich kurz mit der Frage, inwiefern der Plural „in den Himmeln“ tatsächlich im Sinne einer Mehrzahl zu verstehen sei. „Himmeln“ könne einfach nur die Wiedergabe des hebräischen Plurals „schamajim“ sein, womit das Universum nur aus zwei Ebenen, Erde und Himmel, bestehe. Es sei aber auch möglich, dass auch die „Niederungen der Erde“ (Eph 4,9) als eine weitere, dritte Ebene im Blick sind. Und schließlich müsse auch in Betracht gezogen werden, dass „ouranos“ und „epouranios“ zwei verschiedene himmlische Ebenen bezeichnen.


Eine ausführliche Studie zu den "Himmeln" in Eph bietet M. J. Brannon 2011, der sich auf S. 110-114 mit der himmlischen Segnung in Eph 1,3-14 befasst. Zu V. 10: Die Formulierung "was in den Himmeln ist und was auf der Erde in ihm" betone die Gegenwärtigkeit der Eschatologie. Dabei seien die "Himmel" Ort und Quelle des geistlichen Segens (vgl. V. 3) und auch Wohnsitz Gottes und damit deutlich von der Erde unterschieden. Der reichhaltige geistliche Segen werde "in Christus" gewährt.



Literaturübersicht


Baldanza, Giuseppe; La funzione del processo trinitario di Ef 1,3-14 nell'argomentazione della lettera, Laur. 55/2-3 (2014), 231-252

Barkhuizen, J. H.; The Trophic Structure of the Eulogy of Ephesians 1:3-14, HTS 46/3 (1990), 390- 413

Best, Ernest; The Use of Credal and Liturgical Material in Ephesians, in: M. J. Wilkins et al. [eds.], Worship, Theology and Ministry in the Early Church (JSNT.SS 87), FS R. P. Martin, Sheffield 1992, 53-69

Bockmuehl, Markus N. A.; Revelation and Mystery (WUNT II/36), Tübingen 1990

Brannon, M. Jeff; The Heavenlies in Ephesians. A Lexical, Exegetical and Conceptual Analysis (LNTS 447), London - New York 2011

de Klerk, Ben; Lofliedere - basisteoretiese elemente uit Efesiërs 1:3-14, IDS 36/1 (2002), 1-18

De Virgilio, Giuseppe; Primato cosmico di Cristo ed esistenza cristiana: Aspetti letterari e teologici di Ef 1,3-14, StMor 55/1 (2017), 121-140

Grelot, Pierre; La structure d'Éphésiens 1:3-14, RB 96/2 (1989), 193-209

Harris III, W. Hall; "The Heavenlies" Reconsidered: Uranos and Epuranos in Ephesians, BS 148/589 (1991), 72-89

Iovino, Paolo; La "conoscenza del mistero". Una inclusione decisiva nella Lettera agli efesini (1,9 e 6,19), RivBib 34,1-2 (1986), 327-367

Lona, Horacio E.; Die Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief (FzB 48), Würzburg 1984

Louw, Johannes P.; A Discourse Reading of Ephesians 1.3-14, in S. E. Porter et al. [eds.], Discourse Analysis and the New Testament (JSNT.S 170), Sheffield 1999, 308-315

Marenco, Mariarita; 1 QS XI,2b-22: una berakah alle origini di Ef 1,3-10, in: S. Grasso, E. Manicardi [eds.], Generati da una parola di verità (Gc 1,18) (SRivBib 47), FS R. Fabris, Bologna 2006, 261-277

O'Brien, Peter T.; The Summing Up of All Things (Ephesians 1:10), in: P. J. Williams et al. [eds.], The New Testament in Its First Century Setting, Grand Rapids, Michigan – Cambridge 2004, 206-219

Ramaroson, Léonard; "La grande bénédiction" (Ep 1,3-14), ScEs 33/1 (1981), 93-103

Reynier, C.; La bénédiction en élection, filiation, rédemption, NRT 118/2 (1996), 182-199

Robbins, Charles J.; The Composition of Eph 1:3-14, JBL 105/4 (1986), 677-687

Schneider, Sebastian; Lobpreis der an Christus glaubenden Israels. Exegetische Überlegungen zum "Wir" in Eph 1,3-14, SNTU 37 (2012), 167-195

Valentini, Alberto; Lettura esegetica di Rm 8,28-30 e Ef 1,3-14, EphMar 54/3-4 (2004), 345-359

van Aarde, Timothy; The Use of oikonomia for the Missional Plan and Purpose of God in Ephesians 1:3-14, Miss. 43/1 (2015), 45-62

Witulski, Thomas; Gegenwart und Zukunft in den eschatologischen Konzeptionen des Kolosser- und Epheserbriefes, ZNW 96/1-2 (2005), 211-242

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