Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 2,1-7

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 2,1-7



Übersetzung


Eph 2,1-7 :1 Und euch, die ihr tot wart durch eure Verfehlungen und Sünden, 2 in denen ihr einst gewandelt seid, gemäß dem Zeitalter dieser Welt, gemäß dem Herrscher des Machtbereichs der Luft, des Geistes, der jetzt in den Kindern des Ungehorsams wirkt, 3 unter denen auch wir alle einst unser Leben in den Begierden unseres Fleisches geführt haben, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten - auch wir waren der Natur nach Kinder des Zorns wie (auch) die übrigen - ... 4 (der) Gott aber, der reich an Erbarmen ist, hat uns wegen seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 die auch wir tot waren durch die Verfehlungen, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr gerettet! - 6 und hat [uns] mit auferweckt und eingesetzt in den Himmeln in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeitaltern den unermesslichen Reichtum seiner Gnade erweise, in Güte uns gegenüber in Christus Jesus.



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V. 1


Beobachtungen: In Eph 2,1-7 wird das alte Leben der Christen, in dem sie noch nicht dem christlichen Glauben anhingen, dem neuen Leben im christlichen Glauben gegenübergestellt. Die V. 1-3 handeln vom alten Leben, die V. 4-7 vom neuen. Im Gegensatz zu Röm 6,4-8 bezieht Eph 2,1-7 (wie Kol 2,8-15) Tod und Leben auf das gesamte irdische Leben derer, die Christen geworden sind. Anders als in Röm 6,4 erfolgt die Taufe in Eph 2,1-3 nicht in den Tod hinein, sondern das gesamte heidnische Leben vor der Taufe wird als Tod verstanden.


Eph 2,1-7 besteht aus einem einzigen langen Schachtelsatz. Die Übersetzung und das Verständnis werden dadurch erschwert, dass der in V. 1 begonnene Gedanke kein Ende nimmt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er endet im Nichts, wird in 2,4 mit einer überraschenden Wendung im Gedankengang abgebrochen. Das dürfte aber nicht damit zu begründen sein, dass der Verfasser des Eph den Überblick über den Satzbau verloren hat, sondern es dürfte sich vielmehr um einen rhetorischen Kunstgriff, einen Anakoluth, handeln. Beim Anakoluth (an-akolouthon = nicht folgerichtig) wird eine begonnene Satzkonstruktion nicht richtig fortgesetzt, weil die Gedanken mitten im Satz eine andere Richtung nehmen. Es findet sich also ein Bruch im Satz, der aber keinen grammatischen Fehler darstellt, sondern überraschen soll.


Unklar ist, wie sich der Abschnitt 2,1-10 zu 1,15-23 verhält. Das einleitende "Und euch..." lässt zunächst annehmen, dass es sich um eine Fortsetzung von 1,15-23, um eine Fortsetzung der mit "und" ("kai") aneinandergereihten Aussagen handelt, die sich in 1,20-22 finden. Dagegen spricht aber, dass in 1,20-22 auf das "und" ein Vollverb folgt, in 2,1 dagegen ein Partizip, ein Adjektiv und ein Nomen, auf das sogleich ein zweites "und" folgt und danach ein Nomen und Pronomen. Ähnlich sieht es in 2,5 aus, der scheinbaren Fortsetzung der Reihe. Neben diesem grammatischen Aspekt spricht auch ein inhaltlicher gegen eine Fortsetzung der Und-Reihe: In 1,20-23 ging es um Gottes Handeln im Hinblick auf Christus, in 2,1-10 ist dagegen das Handeln Gottes zugunsten der Sünder Thema. Es wird die Kraft Gottes thematisiert, die bereits in 1,19 angesprochen worden war, jedoch in ein Glaubensbekenntnis überging. 2,1-10 dürfte also als Kommentar zu 1,19 zu verstehen sein. Es geht darum, wie es durch das kraftvolle und heilvolle Handeln Gottes an Menschen - Heiden und Juden gleichermaßen - zu einem entscheidenden Wandel in deren Leben kam. Dieser Wandel im Leben wird als ein Übergang vom Tod zum Leben dargestellt, wobei "tot" und "lebendig" existenzielle Begriffe sind, keine den körperlichen Zustand beschreibenden. Die ersten Worte von 2,1 entsprechen Kol 1,23 und es ist möglich, dass sie mit Blick auf diesen Vers (oder eine ihm zugrundeliegende Tradition) gewählt wurden.


Zum Zustand des Todes gehören laut dem Verfasser des Eph "Verfehlungen" und die "Unbeschnittenheit des Fleisches". Die Verfehlungen werden nicht weiter erläutert, aber es könnte an diejenigen gedacht sein, die in 1 Kor 6,9-10 genannt werden: "Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Weichlinge noch Knabenschänder, weder Diebe noch Habgierige, nicht Säufer, nicht Lästerer, nicht Räuber werden [das] Reich Gottes erben". Die Formulierung Eph 2,1 ähnelt derjenigen in Kol 2,13, erwähnt jedoch die "Unbeschnittenheit eures Fleisches" nicht. Dass die "Unbeschnittenheit eures Fleisches" nicht erwähnt wird, mag damit zu erklären sein, dass sie in Kol 2,13 in einem engen Zusammenhang mit der Taufe auftaucht, die in Eph 2,1 dagegen keine prominente Rolle spielt. Der Verfasser des Eph hätte also aus inhaltlichen Gründen geändert, was aber voraussetzt, dass er Kol 2,13 kannte.

"Tois paraptômasi kai tais hamartiais hymôn" kann mit "in euren Verfehlungen und Sünden", "durch eure Verfehlungen und Sünden" oder mit "wegen eurer Verfehlungen und Sünden" übersetzt werden. Alle drei Übersetzungen nennen einen Aspekt, der mitschwingt: Erstere Übersetzung lässt die Verfehlungen und Sünden als einen Raum erscheinen, in dem sich das Dasein der Adressaten vor der Bekehrung zu Christus abspielte. Dieser Raum ist nicht von Rechtschaffenheit und Christus geprägt, sondern von Verfehlungen und Sünden. Wer in diesem Raum sein Dasein fristet, hat am rechtfertigenden Handeln Christi und somit auch am Leben keinen Anteil, sondern ist tot. Die zweite Übersetzung lässt die Verfehlungen und Sünden als Mittel erscheinen, durch das der Tod bewirkt wird. Und die dritte Übersetzung nennt Verfehlungen und Sünden als Grund für den Tod.

In Kol 2,13 findet sich bei einigen Textzeugen die Präposition "en", die aber auch nicht eindeutig ist, sondern mit "in" oder "durch" übersetzt werden kann. In Eph 2,1 findet sich diese Präposition bei keinem Textzeugen eingefügt.


Bei den beiden Begriffen "paraptômata" ("Verfehlungen") und "hamartiai" ("Sünden") ist nicht auszumachen, wo der Unterschied liegt. Vermutlich drückt der Verfasser des Eph ein und dieselbe Sache mit zwei Worten aus (= Hendiadyoin).


Weiterführende Literatur: P. T. O'Brien 1994, 130-142 befasst sich unter dem Blickwinkel der christlichen Mission mit Eph 2,1-7 als einem Beispiel biblischer Texte, in denen die missliche Lage des Menschen in der nichtchristlichen Welt analysiert wird. Es werde aus göttlicher Sicht dargelegt, wie die Dinge wirklich sind. Zugleich lege der Abschnitt Gottes rettendes Wirken in all seiner Herrlichkeit dar.


Eph 2,1-10 werde laut C. Gerber 2011, 366-391 in der Auslegung vor allem an der paulinischen Tradition gemessen. Irritiere die scheinbar "realisierte Eschatologie" in V. 6, so gelte andererseits V. 8-9 als einer der wenigen nachpaulinischen Reflexe der Rechtfertigungslehre im NT. Allerdings fehle die spezifische Terminologie, und was überhaupt die Rechtfertigungsbotschaft des Paulus ausmacht, sei heute umstritten. C. Gerber fordert daher, den Text in seinem eigenen Duktus und in Wahrnehmung seiner besonderen Tot-lebendig-Metaphorik zu lesen: Jüdische wie nichtjüdische Menschen seien "tot in Sünden" gewesen (V. 1-3.5). Ihre Rettung verdanke sich allein der Gnade Gottes, der die Menschen mit Christus "lebendig mache" So begründe der Text, ohne die Endzeiterwartung zu dispensieren, die Aufgabe zu einem Leben gemäß dem Willen Gottes (V. 10).


Laut E. Best 1981, 9-25 handele es sich bei den Verfehlungen und Sünden in Eph 2,1 nicht um diejenigen des Adam, sondern um diejenigen der Unerlösten. Es handele sich nicht um besonders verabscheuungswürdige Vergehen, sondern um die Allgemeinheit der Sünden der Nichtchristen. Es gehe nicht um einen durch Verfehlungen und Sünden verursachten negativen Wandel im Leben des Christen, sondern um die nichtchristliche, von Verfehlungen und Sünden geprägte Existenz.


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V. 2


Beobachtungen: Das Verb „wandeln“ („peripatein“) lässt das Leben als einen Weg erscheinen, auf dem der Mensch wandelt. Der Weg, der zu gehen ist, ist nicht beliebig, sondern es gibt einen rechten Weg, der gottgefällig ist. Diesen Weg sind die Adressaten vor ihrer Bekehrung zum Christentum aber nicht gegangen, sondern ihr Weg war von Verfehlungen und Sünden geprägt. Ihr Weg führte also in die Irre und war nicht gottgefällig.


Hatte der Verfasser des Eph in 1,21 von "diesem Zeitalter" gesprochen und dieses dem "kommenden Zeitalter" gegenübergestellt, so spricht er nun in 2,2 von dem "Zeitalter dieser Welt". Dabei liegt der Schwerpunkt nicht auf der Gegenwärtigkeit des Zeitalters, sondern auf seinem Charakter: Es ist der irdischen Welt, wie wir sie gegenwärtig vorfinden, zugeordnet, ja verhaftet.


Die Passage "... gemäß dem Herrscher des Machtbereichs der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt" besteht aus gleich zwei doppelten Genitiven. Doppelte Genitive kommen im Eph häufig vor, sie sind typisch für ihn.


Wer ist der "Herrscher des Machtbereichs der Luft"? Zunächst einmal ist er negativ qualifiziert, denn er wird mit Verfehlungen und Sünden, mit dem Zeitalter dieser Welt und mit Ungehorsam in Verbindung gebracht. Der Herrscher hat einen Machtbereich, und zwar einen sehr begrenzten, nämlich die "Luft". Dieser Machtbereich mag als zwischen irdischen und himmlischen Gefilden gelegen gedacht sein. Bei der "Luft" scheint es allerdings weniger um eine räumliche Verortung oder um das Element an sich zu gehen, als vielmehr um ein bestimmtes Wirken des Herrschers.

Die "Luft" wird als "Geist, der jetzt in den Kindern des Ungehorsams wirkt", charakterisiert. Es wird nicht konkretisiert, wie das Wirken genau beschaffen ist, sondern es wird nur ausgesagt, wo er wirkt, nämlich "in den Kindern des Ungehorsams", und was er wirkt, nämlich Ungehorsam.

Die Formulierung "Kinder des Ungehorsams" taucht auch in einigen Textzeugen von Kol 3,6 auf. Sie charakterisiert dort Menschen, die allerlei Lastern verfallen sind und alle möglichen Arten Sünden begehen und daher den Zorn Gottes auf sich ziehen. "Ungehorsam" dürfte also allgemein einen Lebenswandel meinen, der dem christlichen entgegengesetzt ist. Der Ungehorsam dürfte Christus gegenüber bestehen. Folglich wirkt der "Herrscher des Machtbereichs der Luft" in Nichtchristen und wirkt in ihnen so, dass sie sich unchristlich verhalten.

Von den Adressaten heißt es, dass sie in der Vergangenheit durch ihre Verfehlungen und Sünden tot waren. Sie sind aber zwischenzeitlich Christen geworden. Damit hat das Wirken des "Herrschers des Machtbereichs der Luft" aber nicht gänzlich sein Wirken eingestellt, sondern er wirkt weiterhin und somit (auch) jetzt, nur eben in anderen Menschen.


"Kinder des Ungehorsams" sind keine leiblichen Kinder, sondern sind Kinder dem Geiste nach. Es dürfte sich um Menschen handeln, deren Verhalten von Ungehorsam geprägt ist, von diesem im übertragenen Sinne abstammen. "Hyioi" kann sowohl eine reine Männergruppe als auch eine gemischtgeschlechtliche Gruppe meinen und folglich mit "Söhne" oder "Kinder" übersetzt werden. Weil hier keine Begrenzung nur auf Männer zu erkennen ist, ist die Übersetzung "Kinder" passender.


Weiterführende Literatur: Zu den Zeitkonzeptionen im Epheserbrief siehe S. Rantzow 2008, die sich auf S. 141-142 mit der dämonischen Zeit (Eph 2,2) befasst. Der Begriff "aiôn" ("Weltzeit/Zeitalter") könne hier synonym zu "theos" ("Gott") gebraucht sein, also ein göttliches Wesen bezeichnen, und zwar im Sinne der Lebensdauer dieses göttlichen Wesens, oder die Dauer "dieser Welt" meinen. Auf jeden Fall sei "aiôn" ein Zeitbegriff. "Aiôn" bezeichne im Epheserbrief die unendliche kosmische Zeit, die Macht hat über das, was sie umschließt. Konkrete historische Ereignisse seien mit diesem Zeitkonzept nicht verbunden (vgl. S. 155).


F. J. Long 2013, 113-154 legt dar, dass in der mediterranen Welt das "Zeitalter dieser Welt" als ein Zeitalter unter der besonderen Leitung und Einflussnahme des römischen Kaisers, des "Herrschers" (zur Zeit der Abfassung des Eph Nero), verstanden worden sei. Demnach hätten die Herrscher unter der Gerichtsbarkeit des höchsten Gottes Roms, Jupiter-Zeus, gestanden. Dieser Gott sei als "Luft" identifiziert worden, als ein Gott, der Befugnisse über den Bereich der Luft gehabt habe. Darüber hinaus seien - beginnend mit Augustus - die römischen Kaiser verschiedentlich als Jupiter-Zeus, als Triumphator in Verbindung mit Jupiter Capitolinus dargestellt worden, sogar dauerhaft in Plastiken in Tempeln (z. B. Caesarea Maritima) oder auf Münzen oder Schmuckgegenständen (z. B. Gemma Augustea).


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V. 3


Beobachtungen: V. 3 beginnt mit der Formulierung "en hois" ("in/unter denen"), die der Formulierung "en hais" ("in/unter denen") ähnelt, die V. 2 einleitet. Das feminine "en hais" hatte sich auf "tais hamartiais" ("durch die Sünden") bezogen. Darauf kann sich das maskuline "en hois" aber nicht beziehen, zumindest nicht ausschließlich. Es ist aber möglich, dass es sich auf die gesamte Passage "tois paraptômasin kai tais hamartiais hymôn" ("durch eure Verfehlungen und Sünden") bezieht, denn "tois paraptômasin" ist maskulin. Nur auf "tois paraptômasin" ("durch die Verfehlungen") wird sich "en hois" nicht beziehen, denn der Abstand zu diesen theoretisch möglichen Bezugsworten ist zu groß. Als weitere Möglichkeit ist auch daran zu denken, dass sich "en hois" auf "en tois hyiois tês apeitheias" ("in den Söhnen des Ungehorsams") bezieht. Diese Möglichkeit liegt im wahrsten Sinne des Wortes näher, denn bei ihr gehen die Bezugsworte unmittelbar voraus.


Wer ist mit "wir alle" gemeint? In V. 1-2 hatte der Verfasser von den Adressaten gesprochen, die er mit "ihr" angesprochen hatte. "Wir alle" kann nicht die Adressaten einschließen, denn es heißt "auch wir alle". Es handelt sich also um eine Gruppe, die von den Adressaten unterschieden ist, ihr aber in ihrem Lebenswandel glich. "Wir alle" schließt auf jeden Fall den Verfasser des Eph ein. Dabei kann es sich aber nicht um ein literarisches "wir" handeln, bei dem der Verfasser des Eph die erste Person Plural verwendet, wenn er nur von sich spricht, denn es heißt ja "wir alle". Es ist also auf jeden Fall eine Mehrzahl Personen gemeint. Sind "wir alle" etwa alle Menschen außer den Adressaten? Das ist unwahrscheinlich, weil es um ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen geht. Vergangen ist das Geschehen aber nur bei den Christen, die ja auf den Weg der Nachfolge Christi gewechselt sind. Die Heiden und vielleicht auch Juden werden weiterhin als auf dem von Verfehlungen und Sünden geprägten Weg Wandelnde angesehen. Somit kann sich "wir alle" auf alle Christen außer den Adressaten beziehen. Dann würde die einzige Unterscheidung darin bestehen, ob ein Christ zu den Adressaten gehört oder nicht. Es kann aber auch sein, dass der Verfasser des Eph die Heidenchristen und die Judenchristen zwei verschiedenen Personengruppen zuordnet. Diese These nimmt ihren Ausgang von der Beobachtung, dass es sich bei den Adressaten - mindestens mehrheitlich - um Heidenchristen handelt (vgl. Eph 2,11; 3,1; 4,17). Von den Heidenchristen würden die Judenchristen unterschieden. Aber bringt der Verfasser des Eph tatsächlich Juden, die die Judenchristen ja früher waren, dermaßen eng mit Verfehlungen und Sünden in Verbindung und stellt sie so den Heiden, die die Heidenchristen früher waren, gleich? Das kann durchaus sein, denn der Verfasser des Eph gibt sich als Paulus aus (vgl. 1,1). Paulus war ein Judenchrist, womit "wir alle" mindestens einen ehemaligen Juden einschließt. Paulus war aber auch ein Missionar, womit noch eine weitere mögliche Unterscheidung in den Blick kommt: Die Adressaten stellen die Seite der zu Christus Bekehrten dar; zu der Gruppe, auf die sich "wir alle" bezieht, gehören dagegen - nach ihrer eigenen Bekehrung - Missionare, also zu Christus Bekehrende.


Das vorchristliche Leben wird als ein Leben "in den Begierden des Fleisches" dargestellt. Die allgemeine Formulierung lässt nicht daran denken, dass es um sexuelle Begierden geht. Eher ist daran zu denken, dass die Formulierung auf das anspielt, was Paulus in Gal 5,19-21 als "Werke des Fleisches" bezeichnet: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifer, Zornausbrüche, Selbstsüchteleien, Zwietracht, Parteiungen, Neid, Trunkenheit und Schwelgereien und dergleichen. Eph 2,3 spricht dabei nicht von Werken, sondern von Begierden, kommt dann aber auf das Tun zu sprechen.

Getan wird der "Wille des Fleisches und der Gedanken". So vage diese Formulierung auch sein mag, eins ist jedoch sicher: Ein solches Tun widerspricht dem geistbewegten Leben in der Nachfolge Christi. Das "Fleisch und die Gedanken" sind rein menschlich und rein irdisch, haben nichts mit Gott, Jesus Christus und dem heiligen Geist zu tun.


Wie ist der Ausdrück "physei" zu verstehen? "Physis" ist mit "Natur" zu übersetzen, der Dativ "physei" mit "von Natur" oder "der Natur nach". Im Blick ist der vorchristliche Zustand, also der Zustand vor der Hinwendung zum Christentum samt der Taufe. Im Gegensatz zur Hinwendung zum Christentum, die eine Aktivität darstellt, war der vorchristliche Zustand vorgegeben, und zwar vermutlich mit der Geburt in eine bestimmte Glaubenswelt hinein. Dieser Gesichtspunkt kommt in der Übersetzung "von Natur" zum Ausdruck. Allerdings scheint es hier weniger um die Geburt an sich zu gehen als vielmehr um die Prägung eines Zustandes. Der vorchristliche Zustand war dem christlichen entgegengesetzt und somit kein Zustand des Heils, sondern des Zorns. Auf die Prägung des Zustandes weist am ehesten die Übersetzung "der Natur nach" hin. Offen bleibt, ob der Gedanke der Erbsünde eine Rolle spielt.


"Kinder des Zorns" ist nicht im Sinne der leiblichen Abstammung zu deuten, sondern "des Zorns" dürfte ein Genitiv sein, der die Bestimmung aussagt. Der vorchristliche Mensch ist demnach dazu bestimmt, den Zorn - gemeint dürfte der Zorn Gottes (oder Christi) sein - auf sich zu ziehen.


Unklar ist, warum der Verfasser des Eph in V. 2 das Substantiv "hyioi" ("Söhne/Kinder") benutzt, in V. 3 dagegen das Substantiv "tekna" ("Kinder"). Weist der Wechsel darauf hin, dass "hyioi" im Sinne von "Söhne" zu deuten ist? Da nicht nur Männer angesprochen sind, wäre an einen erbrechtlichen Hintergrund zu denken, denn das Erbrecht oblag nur den Söhnen, nicht den Töchtern. Die Nichtchristen würden also als "Söhne" etwas erben, vermutlich Zorn. Allerdings ist der Zorn mit dem Substantiv "tekna" verbunden, das keinen erbrechtlichen Hintergrund haben dürfte. Als weitere Möglichkeit für den Wechsel von "hyioi" zu "tekna" kommt infrage, dass "hyioi" hier die Abstammung, die Zugehörigkeit, betont, "tekna" dagegen die Bestimmung aussagt. Auch kann "hyioi" stärker als "tekna" das Urteilsvermögen, die Entscheidungsfähigkeit und die eigene Verantwortung in den Blick nehmen, denn ein 18jähriger ist zwar der Abstammung nach noch ein Sohn/Kind, aber nicht dem Urteilsvermögen, der Entscheidungsfähigkeit und der Verantwortung nach. Der Ungehorsam wäre demnach Folge eigenen Urteils, eigener Entscheidung und eigener Verantwortung. Und schließlich kann der Wechsel stilistisch zu begründen sein oder auf die Übernahme von zwei dem Verfasser des Eph bereits bekannte Formulierungen zurückgehen. Diese hätte der Verfasser des Eph nicht angeglichen.


"Die übrigen/anderen" dürfte alle anderen Nichtchristen meinen. Diese Gruppe geht über die Gruppe der Adressaten und auch die Wir-Gruppe hinaus. Der unheilvolle Zustand betrifft alle Nichtchristen.


Weiterführende Literatur:


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V. 4


Beobachtungen: In V. 4 erfolgt ein überraschender gedanklicher Neuansatz, der plötzlich das neue Leben in den Blick rückt. Dabei kommt V. 4 zunächst einmal auf Gott und seine große Liebe den Menschen gegenüber zu sprechen.


V. 4 spricht nicht von einer dauerhaften Liebe Gottes, sondern von einer in der Vergangenheit liegenden Liebe, die abgeschlossen und wohl einmalig ist. Vermutlich ist das Kreuzesgeschehen im Blick, das auf die Liebe Gottes zurückgeführt wird. Dabei ist die Liebe Gottes nicht mickrig, sondern groß.


Weiterführende Literatur: E. Best 1992, 53-69 befasst sich mit dem dogmatischen und liturgischen Material im Eph unter den Fragestellungen, wie der Verfasser des Eph es aufgegriffen und bearbeitet hat und welches die Gründe dafür sind. Auf S. 60-61 geht er auf 2,4-10 ein, wobei er zu dem Ergebnis kommt, dass der Abschnitt von dem Verfasser des Eph stamme, auch wenn ihm in hohem Maße Ausdrücke und Gedanken zugrunde lägen, die im 1. Jh. n. Chr. weit verbreitet waren.


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V. 5


Beobachtungen: Im Gegensatz zu Röm 6,4-8 bezieht Eph 2,5 (ähnlich Kol 2,13) Tod und Leben auf das gesamte irdische Leben der Adressaten. Anders als in Röm 6,4 erfolgt die Taufe in Eph 2,5 (sie wird hier zwar nicht erwähnt, ist aber das Ritual, das den Übergang zum Christentum markiert) nicht in den Tod hinein, sondern das gesamte heidnische Leben vor der Taufe wird als Tod verstanden. Die Adressaten und auch die Wir-Gruppe samt dem Verfasser des Eph waren in den Verfehlungen tot. Dabei kann mit dem Tod nicht der leibliche Tod gemeint sein, weil die Adressaten ja weiterhin am Leben sind. Und dass sie bereits leiblich von den Toten auferweckt worden sind, ist auch nicht anzunehmen, weil es dann mehrere Auferweckungen von den Toten geben müsste. Daher ist ein übertragener Sinn von "Tod" und ebenfalls auch von "Leben" anzunehmen. Aber was könnte die übertragene Bedeutung sein? Die Wir-Gruppe war - ebenso wie die Adressaten - tot, bevor sie mit Christus von Gott lebendig gemacht wurde. Die Auferweckung Christi hat also für die Menschen - speziell die Christen - existenzielle Bedeutung, begründet den Übergang zum Leben. Mit dem "Leben" ist somit ein irdisches Leben im Lichte der Auferweckung Christi und der Überwindung des Todes gemeint. Der Tod ist ein irdisches Leben außerhalb der Macht- und Heilssphäre Christi, sei es als Heide oder als Jude. Im Gegensatz zum Begriff "Tod" weist der Begriff "Leben" über das irdische Leben hinaus.


Einige Textzeugen lesen "en tô Christô" statt "tô Christô" , womit die Übersetzung "mit/zusammen lebendig gemacht in (dem) Christus" statt "mit Christus lebendig gemacht" lautet. Bei dieser Variante wird die Einheit mit dem Christusgeschehen weniger deutlich ausgedrückt, zugunsten der Betonung eines gemeinsamen Geschehens in Christus. Aber worauf bezieht sich das Gemeinsame? Bezieht es sich auf die Teilhabe am Christusgeschehen? Oder bezieht es sich auf ein Geschehen, das die Christen miteinander zu einer Einheit verbindet, in dem Sinne, dass die Christen zusammen in Christus lebendig gemacht worden sind? Bei letzterer Deutung könnte das Thema der Einheit von Heiden- und Judenchristen in 2,11-22 vorweggenommen sein.


Das pointierte "aus Gnade seid ihr gerettet!" fasst für die Adressaten in wenigen, klaren Worten die Rechtfertigungslehre des Paulus zusammen, wobei der Verfasser des Eph nicht (mehr) von der "Rechtfertigung", sondern von der "Rettung" spricht. Wovor die Rettung erfolgt, wird nicht gesagt. Am ehesten ist an die Rettung vor dem Zorn Gottes (vgl. V. 3) und den Folgen für die eigene Existenz zu denken. Der Begriff "Gnade" wird später in 2,8-11 in Verbindung mit den Begriffen "Glaube" und "Werke" theologisch entfaltet.

Schon früh scheint man sich gefragt zu haben, wie der plötzliche, die Adressaten direkt anredende Ausbruch "aus Gnade seid ihr gerettet!" in den grammatischen Zusammenhang passen mag. Die Variante, die vor "chariti" ("aus Gnade") den genitivus possessoris "hou" ("seine/dessen") einfügt, dürfte dementsprechend als ein Versuch zu verstehen sein, den Ausbruch besser in den grammatischen Zusammenhang einzubinden. Folgt man der Variante, ist "durch dessen Gnade ihr gerettet seid" zu übersetzen.


Weiterführende Literatur: Laut T. G. Gombis 2004, 403-418 werde Eph 1,20-2,22 gewöhnlich als eine Erweiterung oder Fortsetzung des Lobpreises und der Danksagung in Eph 1 verstanden und behauptet, dass keine durchdachte theologische Argumentation und noch nicht einmal ein klarer und schlüssiger Gedankengang zu erkennen sei. Das sei aber falsch: Werde der Text im Lichte göttlicher Kriegsideologie gelesen, wie sie uns in Texten des Alten Vorderen Orients begegne (Baal-Zyklen Ugarits, Enuma Elisch) und auch im AT und NT Verwendung finde, dann werde die Argumentation des Eph offenbar: Die Triumphe Christi über die bösen Mächte bestätigten den erhöhten Status des Herrn Christus, der seinen Sieg durch die Verkündigung des Friedens ankündige. So wie die siegreichen vorderorientalischen Gottheiten Tempel oder Paläste besaßen, die zu ihren Ehren errichtet worden waren, würden auch in Eph 2 die Triumphe des erhöhten kosmischen Herrn Christus mittels des Baus des Tempels, der gleichermaßen aus Juden- und Heidenchristen zusammengesetzt sei, in Erinnerung gebracht.


H. Hübner 1989, 392-406 geht Glossen in Eph 2 nach. Ein störendes Element sei an sich noch nicht als Glosse zu werten. Eine Glosse sei erst dann wahrscheinlich, wenn die störenden Worte aufgrund ihres Inhalts oder ihrer Begrifflichkeit kaum dem Autor der betreffenden Schrift zugeschrieben werden könnten. Erst recht sei eine Glosse oder Interpolation dann zu vermuten, wenn durch ihre Entfernung eine Unstimmigkeit in der Argumentation oder gar ein Widerspruch in der Gedankenführung beseitigt werden kann. In Eph 2 seien die V. 5b und 8-9 als Glossen auszumachen. Die Betonung der Rettung durch Gnade und Glauben lasse sich so erklären: V. 10 könnte (ohne den Kontext der beiden zuvorstehenden Verse) wegen der Zielbestimmung "geschaffen zu guten Werken" als zu unpaulinisch angesehen worden sein, so dass ein Interpolator, der sich mehr dem Geiste des Paulus verpflichtet sah, als er ihn in Eph 2 wahrzunehmen glaubte, V. 5b und V. 8-9 als Glossen eingesetzt hat.


R. H. Suh 2007, 715-733 betrachtet Eph 2 auf dem Hintergrund von Ez 37. Obwohl Ez 37 und Eph 2 ihren je eigenen historischen Hintergrund hätten, sei schon auf den ersten Blick folgende Parallele bezüglich der Kernaussage zu erkennen: Ez 37 sage aus, dass Juda und Israel unter göttlicher Führung eine Einheit werden, wobei das Gesetz (= jüdische Religionsgesetz) beachtet und befolgt werde. Eph 2 sage aus, dass Juden und Christen in der neuen Schöpfung eine Einheit geworden seien, und zwar aufgrund Christi Erlösungswerk, mit dem das Gesetz abgelöst worden sei. R. H. Suh geht dann genauer auf die verbalen, strukturellen und thematischen Parallelen zwischen beiden Texten ein. Als thematische Parallelen, mit denen auch die Parallelen bezüglich der Wortwahl zusammenhängen, nennt er: a) die neue Schöpfung vom Tod zum Leben; b) das Wandeln auf dem Weg des Herrn; c) der Bund; d) der Friede; e) der verheißene Messias aus dem Hause Davids, nämlich Jesus; f) der Tempel als Heiligtum und Wohnort Gottes; g) die Einheit; h) das Volk Gottes; i) der heilige Geist.


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V. 6


Beobachtungen: "In den Himmeln" ist vermutlich eine örtliche Bestimmung und sagt aus, wo die Segnung geschehen ist. Dabei fällt auf, dass der Verfasser des Eph die Formulierung "en tois epouraniois" statt "en tois ouranois" ("in den Himmeln") benutzt. "Epouraniois" findet sich im NT neunzehnmal, davon fünfmal im Eph (1,3.20; 2,6; 3,10; 6,12). "Epouranios" ist eigentlich ein Adjektiv, das "himmlisch" oder "an/im Himmel befindlich" bedeutet. Der Verfasser des Eph benutzt es hier substantiviert im Sinne von "Himmel/Himmlische".


"Mit auferweckt" und "mit eingesetzt" ist im Sinne von "mit Jesus Christus auferweckt" und "mit Jesus Christus eingesetzt" zu verstehen. Dabei handelt es sich nicht um zeitgleiches Geschehen, sondern um ein Geschehen, das existenzieller Art ist und sich an dem vergangenen, Jesus Christus betreffenden Geschehen orientiert (vgl. 1,20). Dabei fehlt jedoch der Hinweis, dass die Einsetzung - wie bei Jesus Christus - zur Rechten Gottes geschehen ist. Ist "zur Rechten Gottes" implizit mitgemeint oder macht die Auslassung deutlich, dass die eigentliche Königsherrschaft in äußerster Nähe zu Gott und seinem Willen nur Jesus Christus obliegt? Letzteres ist wahrscheinlicher, denn Jesus Christus wird herausgehoben und die Christen regieren "nur" mit ihm. Allerdings macht die Einsetzung der Christen in den Himmeln deutlich, dass die Christen nicht mehr dem Irdischen verhaftet sind, sondern schon erhöht sind und mit Jesus Christus in den Himmeln mitregieren. So sind sie nicht mehr dem Herrscher der Luft und seinem Wirken unterworfen und den Begierden des Fleisches verhaftet.


Weiterführende Literatur: Von der Beobachtung ausgehend, dass die Auferstehung der Christen in den unzweifelhaft authentischen Paulusbriefen erst in der Zukunft angenommen, in Eph 2,1-10 und Kol 3,1-4 dagegen als gegenwärtig verstanden wird, befasst sich G. Barbaglio 1982, 224-233 mit der Bedeutung der Zeiten im Eph und Kol. Die Zeiten seien nicht nur chronologisch zu verstehen, als Abfolge von Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft, sondern sie besäßen bestimmte Charakteristika im Hinblick auf den vom Geist Gottes bewegten Menschen: Die Vergangenheit stelle die negative, finstere Seite des Menschen dar; die Gegenwart werde in Begriffen des Übergangs vom Tod zum Leben beschrieben; die Zukunft sei die Hoffnung auf die vollständige Umsetzung des Heilswirkens Gottes. Die "geistliche" Erfahrung sei dynamisch, für neue Entwicklungen offen: Die Vergangenheit werde immer mehr zur Vergangenheit, in der Gegenwart erfolgten Schritte hin zur Zukunft und die Hoffnung werde durch eine - wenn auch nur teilweise - Vorwegnahme dessen, was sein wird, verstärkt. Die Christen seien also noch auf dem Weg, nicht angekommen. Das neue Leben gleiche einem Samenkorn, das sich zu einer ausgewachsenen Pflanze entwickelt. Es müsse sich durch christliches Handeln entwickeln und werde erst mit dem Erscheinen Christi am Ende der Tage vollständig offenbar.


Wie die Analyse der Texte Eph 1,3-14; 1,21; 2,1-10; 4,22-24; 4,30; 6,13 zeige, werde gemäß T. Witulski 2005, 211-242 die vom Verfasser des Eph vertretene eschatologische Konzeption durch zwei zentrale Aspekte charakterisiert: (1) Im Unterschied zu Paulus sei für den Verfasser des Eph dieses eschatologische Heil den Christen in ihrer Vergangenheit bzw. ihrer Gegenwart vollständig zuteil geworden. (2) Das endzeitliche Heil sei zwar eine objektive, aber noch keine offenbare Wirklichkeit, was für die Christen bedeute, dass dieses Heil in ihrer Gegenwart ihrer Verfügungsgewalt entzogen bleibe und sie es immer noch verlieren können. Erst mit dem Zeitpunkt der Parusie Christi werde dieses Heil zu einer offenbaren, nicht mehr verlierbaren Realität. Das aber heiße, dass die präsentische Eschatologie des Verfassers des Eph unter einem zeitlichen Vorbehalt steht, der in der ethischen Forderung konkrete Gestalt gewinnt: Um das eschatologische Heil als unverlierbaren Besitz zu erlangen, müsse der Christ sich in der Gegenwart im Rahmen eines Entwicklungsprozesses ethisch bewähren.


T. G. Allen 1986, 103-120 bringt die Erhöhung Christi gemäß Eph 1,20 und die Erhöhung der Christen gemäß Eph 2,6 miteinander in Verbindung, um darzulegen, wie der Verfasser des Eph die Einheit von Christus und den Christen denkt. Der Verfasser fülle die volkstümliche Leibmetapher mit seinen semitischen Vorstellungen über den Menschen. Wesentlich sei der Gedanke des Einen, an dem die Vielen teilhaben.


W. H. Harris III 1991, 77-78 deutet „in den Himmeln“ (2,6) lokal, und zwar im Sinne des Ortes des aufgefahrenen, nun in den Himmeln zur universalen Herrschaft erhöhten Christus. „In den Himmeln“ seien auch die Christen, weil sie zu einem Zustand der Teilhabe an ihm Zugang bekommen hätten.


Eine ausführliche Studie zu den "Himmeln" in Eph bietet M. J. Brannon 2011, der sich auf S. 126-176 mit Eph 2,6 befasst und meint, dass es sich bei "... und hat [uns] mit auferweckt und eingesetzt in den Himmeln in Christus Jesus" um eine Aussage handele, die so stark wie kaum eine andere von gegenwärtiger Eschatologie geprägt ist. M. J. Brannon geht zwei Fragen nach: Aus welchem Motiv heraus mag Paulus diese Aussage getätigt haben? Was meint Paulus mit dieser Aussage? Zum Motiv: Paulus habe die Aussage vermutlich als Schutz gegenüber einer ähnlichen Lehre des jüdischen asketischen Mystizismus geschrieben. Zur Bedeutung: Die Auferweckung und Einsetzung seien nicht physisch, sondern spirituell zu verstehen.


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V. 7


Beobachtungen: Die Rede von den "kommenden Zeitaltern" erstaunt, denn Eph 1,21 scheint nur von einem einzigen kommenden Zeitalter auszugehen, nicht von mehreren. Ist das "kommende Zeitalter" im Sinne der Einheit der kommenden Zeitalter zu verstehen? Oder meint - was wahrscheinlicher ist - "kommende Zeitalter" in 2,7 eine Aneinanderreihung von Zeitaltern im Sinne von Ewigkeit?


"Reichtum seiner Gnade" dürfte aussagen, dass die Gnade nicht knapp bemessen, sondern in reichem Maße geschenkt ist. Es handelt sich also um eine Betonung der Wirksamkeit der Gnade. Im Gegensatz zu 1,7 steigert der Verfasser des Eph das Ausmaß der Gnade noch weiter, indem er in 2,7 von dem "unermesslichen Reichtum seiner Gnade" spricht. So macht er deutlich: Auch wenn sich der Reichtum der Gnade Gottes uns gegenüber schon jetzt erweist, so erweist sich die gesamte Fülle seiner Gnade uns gegenüber doch erst in den kommenden Zeitaltern. Und diese Fülle ist so groß, dass sie vom menschlichen Verstand nicht erfasst werden kann, also unermesslich ist.


Wie ist die Aussage zu verstehen, dass Gott in den kommenden Zeitaltern den unermesslichen Reichtum seiner Gnade erweisen wird? Wie zeigt sich dies konkret? Ist damit gemeint, dass die leibliche Auferstehung und Einsetzung in den Himmeln noch ausstehen und erst in den "kommenden Zeitaltern" geschehen werden? Demnach wären die spirituelle Auferstehung und Einsetzung in den Himmeln schon geschehen, die leibliche Auferstehung und Einsetzung in den Himmeln würde dagegen noch ausstehen. Aber würde dieses Geschehen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt geschehen, welcher der irdischen Zeit ein Ende setzen würde? Wie verträgt sich dieser Gedanke mit der Annahme von Ewigkeit? Am ehesten ist Ewigkeit zu denken, wenn auch das Jenseits, der Himmel bzw. die Himmel, einbezogen wird. Ob das Diesseits ewig ist, sei es in unverwandelter oder verwandelter Form, ist fraglich. Ewigkeit darf man aber vom Jenseits erwarten. Insofern würden sich die Gnade und die Güte, die Gott den Christen gegenüber erweist, sowohl auf das Diesseits als auch auf das Jenseits beziehen. Der Gnade und Güte wäre kein zeitliches Ende gesetzt, denn mindestens das Jenseits dürfte kein zeitliches Ende haben. So dürfte das Mitherrschen der Christen mit Christus und in Christus ewig gedacht sein.


Nicht nur das irdische Heilsgeschehen an den Menschen - speziell Christen - geschieht "in Christus", also im Macht- und Wirkungsbereich Christi, sondern auch das himmlische. Ohne Christus wären also Auferweckung, Erhöhung und Einsetzung in den Himmeln nicht denkbar.


Nicht nur das vergangene und gegenwärtige Heilsgeschehen an den Menschen - speziell Christen - geschah bzw. geschieht "in Christus", also im Macht- und Wirkungsbereich Christi, sondern auch das zukünftige. Christen befinden sich also sowohl räumlich (vgl. V. 6) als auch zeitlich allumfassend "in Christus". Auch in V. 7 kann die Präposition "en" außer mit "in" auch mit "durch" übersetzt werden. Nicht nur das vergangene und gegenwärtige, sondern auch das zukünftige Heilsgeschehen geschieht also "durch Christus". Ohne die Kreuzigung und Auferstehung Christi kann das Heilsgeschehen demnach nicht gedacht werden.


Weiterführende Literatur: T. Pennington 2011, 99-113 geht im Hinblick auf V. 7 folgenden Fragen nach: Wann findet Gottes Gnadenerweis statt? Was will Gott mit seinem Gnadenerweis im Hinblick auf sich selbst zeigen? Auf welche Art und Weise erweist Gott seine Gnade? Wer sieht den Gnadenerweis und wem wird er zuteil? Welches sind die Schlussfolgerungen aus V. 7 für diejenigen, die in der Kirche dienen? Ergebnis: Gottes Gnadenerweis habe mit Christus begonnen und werde niemals enden. Gottes Wesen sei Gnade. Er führe die Unermesslichkeit seiner Gnade vor Augen, und zwar durch sein liebevolles Handeln. Die Unermesslichkeit seiner Gnade werde der ganzen Menschheit, speziell auch den Erlösten, außerdem den Engeln und schließlich in besonderem Maße Gottes Sohn, Jesus Christus, vor Augen geführt. Gottes Ziel sei es, seinem eigenen Sohn eine erlöste Menschheit zu präsentieren. Dies diene letztendlich seiner eigenen Erhöhung. Für diejenigen, die in der Kirche dienen, folge daraus ein Sinn für die Demut, für die Versicherung unseres eigenen Heils, für unsere Privilegierung, für die zentrale Bedeutung des gnadenvollen Gottes und für unsere persönliche Dankbarkeit.


S. Rantzow 2008, befasst sich auf S. 142-147 mit der wiederkehrenden Zeit (Eph 2,7; 6,13). Bezüglich des Verbs "eperchomai" ("herankommen"; 2,7) würden im vorliegenden Kontext des Epherbriefes sekundär die Bedeutungen "zum wiederholten Mal kommen" und "feindlich herankommen" aktiviert.



Literaturübersicht


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