Eph 4,17-19
Übersetzung
Eph 4,17-19 :17 Das also sage und bezeuge ich im Herrn, dass ihr nicht so wandeln sollt wie (auch) die Heiden wandeln, in ihrem nichtigen Denken, 18 im Verstand umnachtet, dem Leben (des) Gottes fremd, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen der Verhärtung ihres Herzens; 19 abgestumpft haben sie sich selbst der Ausschweifung hingegeben, um voller Gier allerlei unreine Dinge zu tun.
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Beobachtungen: Die V. 17-19 setzen die Ermahnung von V. 1-3 fort, dass die Adressaten würdig der Berufung wandeln sollen, zu der sie berufen wurden. V. 17 ermahnt dazu, einen klaren Schlussstrich im Hinblick auf die heidnische Vergangenheit zu ziehen und nicht mehr wie die Heiden zu leben. Das, was das Denken, Handeln und Sein der Heiden prägt, wird in den V. 18-19 geschildert. Die V. 17-19 bestehen im altgriechischen Urtext aus einem einzigen Kettensatz.
Der Verfasser des Eph bezeugt "im Herrn" ("en kyriô"). Damit ist wohl der Macht- und Heilsbereich des "Herrn" - vermutlich Christus (vgl. 1,3) - gemeint, in dem sich der Verfasser des Eph als Christ befindet. Es handelt sich also vermutlich nicht um einen Schwur "bei Gott", also um einen Schwur, bei dem Gott der Zeuge ist.
Der Verfasser des Eph meint, dass die Heiden ihren Lebenswandel "en mataiotêti tou noos autôn" führen. Diese Formulierung ist wörtlich mit "in der Nichtigkeit (oder: Eitelkeit/Torheit) ihres Denkens" zu übersetzen. "Nous" ist der altgriechische Begriff für die Denkweise, die Gesinnung. "Mataiotês" kann "Eitelkeit", "Torheit" oder "Nichtigkeit" bedeuten. Alle diese Aspekte dürften in der vom Verfasser des Eph gewählten Formulierung anklingen: Die Denkweise der Heiden ist nichtig, weil sie falsch ist und nicht zum Heil führt. Die Heiden erkennen nicht die Wahrheit, den göttlichen Heilsplan, und glauben nicht an Christus und erkennen diesen folglich nicht als "Herrn" an. Die Heiden leben somit außerhalb des Macht- und Heilsraums Christi. In ihrer Unwissenheit und Widerspenstigkeit gegenüber dem Evangelium sind sie töricht. Und sie sind eitel, weil ihre Gesinnung auf eigenen, menschlichen Gedanken aufbaut und sie letztendlich um sich selbst kreisen.
Weiterführende Literatur: Zur Mission Christi und der Christen im Eph siehe C. Basevi 1990, 27-55. Ergebnis: Die „Mission“ sei in erster Linie Christus zuzuschreiben. Die „Mission“ Christi sei es, mit seinem Tod und seiner Auferstehung die „Fülle“ zu ermöglichen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Kirche als Leib Christi als auch im Hinblick auf den vollkommenen, reifen Menschen. Die „Mission“ gehe auf die Kirche als „Fülle“ Christi über. Sie wachse und verbreite sich, wobei alle Christen die Heiligkeit nicht nur empfangen, sondern sie auch in die Welt hineintragen sollten. Das Ziel der Christen sei es, durch das eigene Leben die Herrlichkeit Christi zu bekunden. So erfülle Christus in perfekter Weise alle Dinge und sei schließlich die Perfektion aller Dinge.
Laut H. Merklein 1981, 194-210 sei Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 zu verstehen. Genauer sei diese Rezeption als Transformation zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung der Antithetik "irdisch vs himmlisch = christlich" (Kol) zu "heidnisch vs christlich" (Eph) ergebe. Da die Antithetik "heidnisch vs. christlich" nicht nur die Paränese (Eph 4,1-5,20), sondern auch die theologischen Ausführungen (besonders Eph 2,11-22; aber auch Eph 3) des Epheserbriefes beherrsche, sei mit einer einheitlichen Pragmatik des ganzes Briefes zu rechnen. Die dazugehörige Kommunikationssituation lasse sich allerdings nur noch hypothetisch erheben. Manches spreche dafür, dass der Autor des Epheserbriefes sich an ein Heidenchristentum wendet, das aus dem "gesetzesfreien" paulinischen Evangelium falsche Folgerungen gezogen hatte. Die "Emanzipation" der heidenchristlichen Kirche vom Gesetz habe gedroht, die theologisch-heilsgeschichtliche Bindung der Kirche an Israel in Vergessenheit geraten zu lassen, und habe auf sittlichem Gebiet die Gefahr des Rückfalls in heidnisches Leben mit sich gebracht. Von daher erkläre sich sowohl die theologische als auch die paränetische Intention des Epheserbriefes und lasse ihn als einen textpragmatisch einheitlichen Text erscheinen.
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Beobachtungen: Bei dem Partizip "eskotômenoi" ("verdunkelt/verfinstert") handelt es sich - ebenso wie bei den beiden folgenden Partizipien - um ein Maskulinum, was überrascht, weil das Bezugswort "ta ethnê" ("die Heiden") ein Neutrum ist und sich das Geschlecht des Partizips gewöhnlich nach dem Bezugswort richtet. Dass das hier nicht der Fall ist, mag so zu erklären sein, dass das Partizip die Gruppe "die Heiden" als eine Vielzahl Einzelpersonen ansieht. Diese sind sowohl männlich als auch weiblich, wobei im Altgriechischen in so einem Fall die maskuline Form des Partizips verwendet wird.
Bei den Partizipien "eskotômenoi" ("verdunkelt/verfinstert") und "apêllotriômenoi" ("entfremdet/ausgeschlossen/fremd") handelt es sich um passive Perfekte. Das Perfekt macht eine besondere Relevanz für die Gegenwart deutlich, das Passiv lässt erkennen, dass an den Heiden gehandelt wurde oder etwas geschehen ist. Aber wie sind die beiden Partizipien zu übersetzen? Das Partizip "eskotômenoi" ist zunächst mit "verdunkelt" oder "verfinstert" zu übersetzen, das Partizip "apêllotriômenoi" mit "entfremdet" oder "ausgeschlossen". Diese beiden Übersetzungen legen allerdings nahe, dass irgendwann in der Vergangenheit der Verstand nicht "dunkel" bzw. "finster" war, sondern "hell" bzw. "licht"; und dass sie dem "Leben Gottes" mal nicht fremd, sondern nahe und vertraut waren. Aber wann soll das gewesen sein? Bei Heiden, die mal das Evangelium gehört haben und vielleicht sogar kurzzeitig vor dem Glauben standen, mag man an diesen lichten Augenblick denken. Dieser lichte Augenblick wäre aber nur von kurzer Dauer gewesen, weil ihr Verstand verdunkelt bzw. verfinstert wurde und sie dem "Leben Gottes" entfremdet oder gar von diesem ausgeschlossen wurden. Die negativ wirkende Kraft könnte Gott gewesen sein oder Christus, wahrscheinlicher aber die Macht, die in den "Kindern des Ungehorsams" wirkt, nämlich der Herrscher des Machtbereichs der Luft (vgl. 2,2) oder Teufel (vgl. 6,11). Gegen diese Deutung spricht aber, dass nicht alle Heiden das Evangelium zu hören bekommen haben. Der Verstand vieler Heiden ist also immer dunkel bzw. finster gewesen und dem "Leben Gottes" fremd. Und dieser Prozess dauert noch an, wie das - eigentlich nicht notwendige - Partizip "ontes" ("seiend") unterstreicht. Das lässt vermuten, dass die Partizipien im Perfekt Passiv nicht einen negativen Bewusstseinswandel durch irgendeine Macht betonen, sondern zum einen die besondere Relevanz für die Gegenwart und - in Verbindung mit dem Partizip "ontes" ("seiend") - die Fortdauer in der Gegenwart. Dies sollte die Übersetzung zu erkennen geben. Somit scheint die Übersetzung "dunkel" bzw. "finster" passender zu sein. Allerdings sagt man im Deutschen nicht, dass jemand einen dunklen oder finsteren Verstand hat. Man spricht höchstens von finsteren Gedanken, womit aber negative Gedanken und finstere Pläne gemeint sind, nicht aber Unwissenheit. Eine Übersetzung, die sowohl einem Perfekt entspricht als auch die Fortdauer eines Zustandes zu erkennen gibt, ist "umnachtet". Sie gibt gut das wieder, was gemeint ist, nämlich die Unfähigkeit, klare Gedanken zu fassen und die Wahrheit zu erkennen. Und statt der Übersetzung "entfremdet" oder "ausgeschlossen" ist besser die Übersetzung "fremd" zu wählen.
"Leben (des) Gottes" dürfte an erster Stelle nicht das Leben meinen, das Gott - gemeint ist "der Gott", also der Gott Israels, der Vater Christi - eigen ist, sondern das Leben, das von Gott stammt. "Leben" bezeichnet hier wohl das Heil, dessen wesentlicher Bestandteil das ewige, himmlische Leben ist. Allerdings kann "Leben (des) Gottes" darüber hinaus bedeuten, dass Gott Leben eigen ist, dass er ein lebendiger Gott ist. Nur als lebendiger Gott ist er in der Lage, Heil zu wirken.
Die Heiden glauben durchaus an einen Gott oder an Götter, nämlich an einen heidnischen Gott oder an heidnische Götter. Sie glauben aber nicht an "den Gott", also an den Gott Israels und Vater Christi. Die anderen Götter mögen existieren oder nicht, das ist nicht erheblich. Erheblich ist nur, dass ausschließlich der Gott Israels und Vater Christi Heil bewirkt.
V. 18 nennt zwei Gründe, weshalb die Heiden dem Leben Gottes fremd sind: zum einen die Unwissenheit, zum anderen die Verhärtung ihres Herzens. Dabei ist unklar, ob der zweite Grund dem ersten untergeordnet ist oder als eigenständiger zweiter Grund genannt wird. In ersterem Fall wäre die Verhärtung des Herzens eine andere Formulierung für die Unwissenheit, die darüber hinaus deutlich macht, warum die Heiden unwissend sind: ihre Herzen sind verhärtet. In letzterem Fall würde die Verhärtung des Herzens der Heiden eine andere Nuance als die Unwissenheit wiedergeben: Die Unwissenheit ist grundsätzlicher Art und betrifft alle Heiden, gleich ob sie bereits das Evangelium zu hören bekommen haben oder nicht. Die Verhärtung des Herzens kommt dagegen nur dann zum tragen, wenn sie bereits das Evangelium gehört haben, denn die Verhärtung verhindert die gläubige Aufnahme des Evangeliums im Herzen, das als Sitz des Verstandes, der Gesinnung und des Willens gedacht ist.
Die Formulierung "Unwissenheit, die in ihnen ist" macht deutlich, dass die Unwissenheit nicht auf einen äußeren Grund wie das Einwirken Gottes (oder Christi oder eines anderen überirdischen Wesens) zurückzuführen ist, sondern in den Heiden begründet liegt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Angesichts der Tatsache, dass im Eph - wie auch in vielen anderen biblischen Schriften - dem Handeln Gottes (oder Christi oder anderen überirdischen Wesen) großes Gewicht gegeben wird, erstaunt, dass in V. 19 betont wird, dass die Heiden selbst gehandelt haben. Die Heiden sind demnach für ihr Tun selbst verantwortlich (vgl. die Unwissenheit, die in den Heiden ist; V. 18).
Die „aselgeia“ ist als „Zügellosigkeit/Ausschweifung“ zu verstehen. Auch dieser Begriff ist allgemein und wird nicht weiter konkretisiert, sodass an alle Arten der Zügellosigkeit/Ausschweifung zu denken ist, sei sie sexueller, leiblicher oder emotionaler Art.
Die folgende Formulierung ("eis ergasian akatharsias pasês") ist wörtlich mit "zum Tun jeglicher Unreinheit" zu übersetzen, wobei sich ihr Sinn gut mit "um allerlei unreine Dinge zu tun" wiedergeben lässt. Sie unterstreicht, dass die Zügellosigkeit/Ausschweifung eine große Bandbreite unreiner Handlungen umfasst. Diese unreinen Handlungen werden nicht nur getan, sondern geradezu erstrebt.
"Unreinheit" ist im moralischen Sinne zu verstehen. "Unreinheit" steht der Heiligkeit, die von Reinheit geprägt ist und dem heiligen Gott entspricht, entgegen. Die Rede von "Unreinheit" macht deutlich, wie weit nach Ansicht des Verfassers des Eph die Kluft zwischen den Heiden und den Christen, den "Heiligen", und ihrem heiligen Gott, der Leben spendet, ist.
Das Partizip Perfekt "apêlgêkotes" bedeutet "abgestumpft", und zwar in dem Sinne, dass die Heiden bei ihrem ausschweifenden Verhalten keine Scham empfinden. Das Verb "apalgeô" ("abgestumpft sein") kommt im NT nur hier vor. Einige Textzeugen bieten stattdessen das Partizip Perfekt "apêlpikotes" bzw. "aphêlpikotes", was "hoffnungslos" bedeutet. Diese Variante ist jedoch schlechter bezeugt und dürfte auf einen Schreibfehler zurückzuführen sein oder auf eine Angleichung an 2,12, wo es von den Adressaten heißt, dass sie vor ihrer Bekehrung ohne Hoffnung waren.
Der Begriff "pleonexia" bedeutet eigentlich "Habsucht/Habgier". Handlungen sind allerdings nichts Materielles, was man haben könnte. Handlungen werden getan, und zwar auf eine ganz bestimmte Art und Weise. "En pleonexia" dürfte daher besagen, dass die unreinen Handlungen "mit Gier" oder - lebendiger ausgedrückt - "voller Gier" ausgeübt werden. Die Heiden streben also mit großem Verlangen danach, unreine Handlungen zu tun. Damit dürfte eine Unersättlichkeit verbunden sein, die Gier nach weiteren unreinen Handlungen. Diese Unersättlichkeit wird hervorgehoben, wenn man die Übersetzung "in [der] Gier [nach mehr]" wählt.
Die den Heiden unterstellten Laster sind keine Besonderheit des Eph, sondern finden sich ähnlich, in verschiedenen Zusammenstellungen auch in den gemeinhin für echt gehaltenen Paulusbriefen (1 Thess 4,6-7; 2 Kor 12,21; Gal 5,19; Röm 1,24.29; 13,13) und im Kolosserbrief (3,5). Die Pauschalität, mit der sie allen Heiden unterstellt werden, lässt eine sehr negative Einstellung gegenüber den Heiden, von denen sich die Christen unterscheiden sollen, erkennen.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Basevi, Claudio; La missione di Cristo e dei cristaianinella Lettera agli Efesini. Una lettura di Ef 4,1-25, RivBib 38/1 (1990), 27-55
Merklein, Helmut; Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 (zugleich ein Beitrag zur Pragmatik des Epheserbriefes), in: P.-G. Müller, W. Stenger [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1981, 194-210