Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Epheserbrief

Der Brief des Paulus an die Epheser

Eph 4,25-32

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Eph 4,25-32



Übersetzung


Eph 4,25-32 :25 Darum legt die Lüge ab, redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; die Sonne soll nicht über eurem Zorn untergehen. 27 Und gebt dem Teufel keinen Raum. 28 Wer stiehlt, soll nicht mehr stehlen, sondern vielmehr sich bemühen und mit (den) eigenen Händen das Gute erarbeiten, damit er etwas hat, um es dem Bedürftigen zu geben. 29 Kein übles Wort soll aus eurem Mund kommen, sondern nur ein gutes zur Erbauung, wo es nötig ist, damit es den Hörern wohltut. 30 Und betrübt nicht den heiligen Geist (des) Gottes, in dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch genommen, samt aller Schlechtigkeit. 32 Seid gütig zueinander, barmherzig und vergebt einander, wie auch (der) Gott in Christus euch vergeben hat.



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V. 25


Beobachtungen: Der Abschnitt 4,25-32 ist der dritte Abschnitt, der sich mit der neuen Identität und dem neuen Lebenswandel der Christen befasst. Nachdem der Verfasser des Eph dargelegt hat, dass die Adressaten - Gleiches gilt für alle Christen - nicht wie die Heiden leben (4,17-19), sondern einen christlichen Lebenswandel führen sollen, wie sie es gelernt haben (4,20-24), konkretisiert er nun das gewünschte zwischenmenschliche Verhalten. Dabei stellt er in den V. 25-30 vier Lastern vier Tugenden gegenüber. In den V. 31-32 führt er fünf weitere Laster und dann drei weitere Tugenden auf.


Der Verfasser des Eph verbindet die Abschnitte 4,20-24 und 4,25-32 indem er wieder auffordert: "legt ab!" (vgl. V. 22). Das Ablegen weist auf Verhaltensweisen des "alten Menschen" (vgl. V. 22-24, wo vom "alten Menschen" und "neuen Menschen" die Rede ist) hin, die es abzulegen gilt. Zu diesen Verhaltensweisen gehört die Lüge.


Die Lüge steht der Wahrheit entgegen, wobei es sich bei der "Wahrheit" um einen zentralen Begriff von Eph 4 handelt. Auf den ersten Blick liegt die Deutung nahe, dass "Lüge" im Sinne von "einer absichtlich, wissentlich gesagten Unwahrheit" zu verstehen ist und "Wahrheit" im Sinne von "einem wirklichen, wahren Sachverhalt". Bei dieser Deutung wäre eine Lüge auch beispielsweise eine Falschaussage, die die seelische Verletzung einer andere Person vermeiden soll. Gegen eine solch profane Deutung von "Lüge" und "Wahrheit" im engeren Sinne spricht jedoch 4,21. Dort ist nämlich von "Wahrheit in Christus" die Rede. Diese Wahrheit ist untrennbar mit Christus verbunden und eine solche Verbindung ist auch in V. 25 anzunehmen. "Wahrheit" ist demnach zum einen der christliche Glaubensinhalt, zum anderen aber auch das christliche Denken, Reden und Handeln. Die Lüge ist demnach der Gegensatz, nämlich ein nichtchristlicher Glaube, zudem ein nichtchristliches Denken, Reden und Handeln. In V. 14 und V. 22 tauchen dafür die Begriffe "Irrtum" bzw. "Trug" auf, wobei "Irrtum" und "Trug" Bezeichnungen für Heidentum und "christliche" Irrlehren gleichermaßen sein können. Die Adressaten waren vor ihrer Bekehrung Heiden (vgl. 2,11; 3,1; 4,17) und werden in der Gegenwart von Irrlehren bedroht. In V. 25 ist nur das Reden im Blick, mindestens was die Wahrheit angeht. "Wahrheit reden" dürfte so zu verstehen sein, dass die Rede den christlichen Glauben bezeugen, nach christlichem Verhaltensmaßstab erfolgen und der Einheit der Kirche dienen und christliches Verhalten befördern soll. Das Judentum erscheint nicht wie das Heidentum als Gegensatz zum Christentum, weshalb das Judentum bezüglich der Lüge nicht - zumindest nicht an erster Stelle - im Blick ist. Bei dieser christlichen Deutung wäre eine Falschaussage, die die seelische Verletzung einer andere Person vermeiden soll, nicht unbedingt eine Lüge. Es geht also nicht darum, um jeden Preis ehrlich sein zu müssen, sondern das Reden aus christlichem Glauben, Denken und Handeln heraus zu gestalten.


Die Formulierung "redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten" ist nahezu wörtlich Sach 8,16LXX entnommen. Diese Forderung bezieht sich im dortigen Zusammenhang auf die Zeit, in der JHWH wieder unter den Israeliten wohnen und eine universale Friedenszeit herrschen wird. Der Verfasser des Eph aktualisiert den Sacharja-Vers auf seine Zeit hin, in der Gott in der Kirche wohnt (vgl. Eph 2,21) und mit Christus, dem Frieden (vgl. 2,14), die Friedenszeit angebrochen ist.


Auf die Gegenüberstellung von Lügen und die Wahrheit Reden als Verhaltensweisen des "alten Menschen" bzw. "neuen Menschen", kommt der Verfasser des Eph nun auf den Beweggrund für seine Mahnung bezüglich der rechten Rede zu sprechen: "weil wir untereinander Glieder sind". Die Bezeichnung "Glieder" spielt auf das Bild von der Kirche als Leib, deren Haupt Christus ist (vgl. 1,22-23), an. Die "Glieder" sind die einzelnen Christen, die in ihrer Verschiedenheit in der Kirche eine Einheit bilden. Der "Nächste" ist im Rahmen dieses Bildes der andere Christ als Glaubensgenosse. Es geht um die Förderung von Einheit und Miteinander, um Gemeindeaufbau bzw. Aufbau der Kirche als Ganzes "in Liebe" (vgl. 4,15-16).


Weiterführende Literatur: Zur Mission Christi und der Christen im Eph siehe C. Basevi 1990, 27-55. Ergebnis: Die „Mission“ sei in erster Linie Christus zuzuschreiben. Die „Mission“ Christi sei es, mit seinem Tod und seiner Auferstehung die „Fülle“ zu ermöglichen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Kirche als Leib Christi als auch im Hinblick auf den vollkommenen, reifen Menschen. Die „Mission“ gehe auf die Kirche als „Fülle“ Christi über. Sie wachse und verbreite sich, wobei alle Christen die Heiligkeit nicht nur empfangen, sondern sie auch in die Welt hineintragen sollten. Das Ziel der Christen sei es, durch das eigene Leben die Herrlichkeit Christi zu bekunden. So erfülle Christus in perfekter Weise alle Dinge und sei schließlich die Perfektion aller Dinge.


Laut H. Merklein 1981, 194-210 sei Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 zu verstehen. Genauer sei diese Rezeption als Transformation zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung der Antithetik "irdisch vs himmlisch = christlich" (Kol) zu "heidnisch vs christlich" (Eph) ergebe. Da die Antithetik "heidnisch vs. christlich" nicht nur die Paränese (Eph 4,1-5,20), sondern auch die theologischen Ausführungen (besonders Eph 2,11-22; aber auch Eph 3) des Epheserbriefes beherrsche, sei mit einer einheitlichen Pragmatik des ganzes Briefes zu rechnen. Die dazugehörige Kommunikationssituation lasse sich allerdings nur noch hypothetisch erheben. Manches spreche dafür, dass der Autor des Epheserbriefes sich an ein Heidenchristentum wendet, das aus dem "gesetzesfreien" paulinischen Evangelium falsche Folgerungen gezogen hatte. Die "Emanzipation" der heidenchristlichen Kirche vom Gesetz habe gedroht, die theologisch-heilsgeschichtliche Bindung der Kirche an Israel in Vergessenheit geraten zu lassen, und habe auf sittlichem Gebiet die Gefahr des Rückfalls in heidnisches Leben mit sich gebracht. Von daher erkläre sich sowohl die theologische als auch die paränetische Intention des Epheserbriefes und lasse ihn als einen textpragmatisch einheitlichen Text erscheinen.


G. G. Thompson 2016, 45-60 befasst sich mit den möglichen Quellen der Paränese 4,25-32. Dabei geht er auf den Zusammenhang im Eph und auf die atl. Zitate (Sach 8,16 in Eph 4,25; Ps 4,5LXX in Eph 4,26) ein. Außerdem untersucht er, ob auch die pseudepigraphischen Testamente der Zwölf Patriarchen eine Quelle sein könnten. Ergebnis: Es seien biblische Schriften, (außerbiblische) Tradition und Eschatologie in den Eph eingegangen und in ihm verschmolzen worden.


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V. 26


Beobachtungen: Bei der Verbform "orgiszesthe" handelt es sich um einen Imperativ, womit die Übersetzung zunächst "zürnt!" lautet. Die Adressaten werden demnach aufgefordert zu zürnen. Das erstaunt insofern, als der "Zorn" gemäß V. 31 für die Heiden typisch und damit dem "alten Menschen" zugehörig und negativ ist. Insofern kann der Verfasser die Adressaten eigentlich nicht zum Zürnen auffordern. Es wäre höchstens daran zu denken, dass hier ein "heiliger Zorn" gefordert wird, also Zorn angesichts von Unrecht, das einem anderen Menschen angetan wird o. Ä. Diese Deutung ist möglich, allerdings erscheint sie angesichts der Nähe zum als negativ charakterisierten Zorn in V. 31 nicht als wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass zwar das Zürnen an sich zugestanden wird, aber keine Sünde beinhalten soll. Wenn man davon ausgeht, dass beispielsweise Zorn angesichts des Unrechts, das einem anderen Menschen angetan wird, ein "heiliger Zorn" und keine Sünde ist, dann wäre ein solcher Zorn zugestanden (nicht gefordert!). Ein zugestandener Zorn müsste das Kriterium erfüllen, dass er nicht der Einheit und dem Miteinander im kirchlichen Leben schadet. Wo dieses Kriterium überschritten wird, da wäre der Zorn Sünde. Vor solch einem sündigen Zorn sollen sich die Adressaten hüten. Er würde letztendlich auch wieder "gerechten Zorn" über diese Sünde hervorrufen, und zwar bei einem anderen Menschen.


Der Zorn soll sich noch am selben Tag, vor dem Sonnenuntergang, der nach jüdischem Verständnis das Ende des Tages markiert, legen. Dabei wird nicht zwischen dem zugestandenen und dem sündigen Zorn unterschieden. Der Zorn soll also vor dem Sonnenuntergang verrauchen. Dabei bleibt offen, ob nur der Zorn verrauchen soll, oder ob bis dahin auch der Grund für den Zorn beseitigt sein soll. Falls ersteres der Fall ist, stellt sich die Frage, wieso z. B. bei Unrecht, das einem anderen Menschen gegenüber getan wird, der "heilige Zorn" verrauchen soll, wenn doch der Grund für den "heiligen Zorn" nicht beseitigt ist. Soll das (kurzzeitige) Verrauchen des Zornes dazu dienen, dass sich der Zornige nicht in seinem Zorn im Bett herumwälzt? Oder soll dauerhafte zornige Stimmung vermieden werden, die Gemeinheiten, Rache usw. Vorschub leistet? Oder geht es um die positive Wirkung, wenn man angesichts eines Zornesgrundes "eine Nacht drüber schläft"? Gegen letztere Deutung spricht, dass der Text davon ausgeht, dass es bereits zu Zorn gekommen ist, dieser sich aber zum Abend hin legen soll. Der nächste Tag, an dem man vielleicht die Welt mit anderen Augen sieht, kommt nicht in den Blick.


Die gleiche Formulierung findet sich in Ps 4,5LXX. Bei diesem Psalm handelt es sich um ein Abendgebet, wie die Fortsetzung des Verses zeigt: "Redet in eurem Herzen und auf eurem Lager werdet stille!" Diese Mahnung, in der Nacht zur Ruhe zu kommen, nimmt der Verfasser des Eph in der Formulierung "Die Sonne soll nicht über eurem Zorn untergehen." auf. In dem Psalm 4 kommt zur Sprache, dass die Mächtigen Israels JHWH nicht die gebührende Verehrung zukommen lassen, sondern sich dem nichtigen Götzenkult hingeben. Diese Situation überträgt der Verfasser des Eph auf die Gegenwart, in der die Verehrung des Gottes Israels und der Glaube an dessen Sohn, Christus, gefordert sind, viele Menschen aber nichtigen Götzen (und den Irrlehren) anhängen. Neben Ps 4,5LXX ist der Blick des Verfassers wohl auch auf Sach 8,17LXX gerichtet, wo JHWH die Israeliten dazu ermahnt, nichts Böses gegen den Nächsten zu planen. Der Verfasser des Eph folgt mit der Verbindung von Sach 8,16-17LXX und Ps 4,5LXX vermutlich dem Grundsatz rabbinischer Schriftauslegung, wonach sich zwei passend aneinandergefügte Schriftstellen gegenseitig auslegen. Dieser Grundsatz folgt der Bestimmung in Dtn 19,15, wonach bei einem Verbrechen oder Vergehen immer mindestens zwei oder drei Zeugen aussagen müssen.


Weiterführende Literatur: S. W. Hinks 1986, 33-39 befasst sich mit dem Ärger aus biblischer Perspektive. Bezüglich Eph 4,26 merkt er an, dass zwar Ärger empfunden werden dürfe, dem Ärger jedoch kein freier Lauf gegeben werden solle. Beherrschung der eigenen Gefühle sei ein wichtiger biblischer Aspekt. Profane Abhandlungen über den Ärger konzentrierten sich auf psychologische Aspekte. Darüber hinaus gebe es jedoch auch einen geistlichen Aspekt: Bei dem Ärger handele es sich um ein Zurückweisen Gottes und seiner – als „sehr gut“ bezeichneten – Schöpfung.


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V. 27


Beobachtungen: Ist V. 27 in einem engen Zusammenhang mit V. 26 zu sehen, stellt der Vers gar die Begründung dar, oder handelt es sich um eine eigenständige Ermahnung? Der Teufel ist sowohl in einem Zusammenhang mit der Sünde als auch mit der Finsternis zu sehen. In 5,3-20 stellt der Verfasser des Eph die Adressaten - wie auch die anderen Christen - als "Kinder des Lichts" dar, die mit der Finsternis nichts zu tun haben sollen. Das Christentum ist also dem Licht zugeordnet, die christusferne Welt der Dunkelheit. Ebenso ist das rechte, christliche Verhalten dem Licht zugeordnet und das sündige Verhalten der Finsternis. Und schließlich sind der Gott Israels und Christus dem Licht zugeordnet und der Teufel gehört der Finsternis an. Somit kann V. 27 als eine grundsätzliche Aufforderung verstanden werden, dem Teufel nicht durch eigenes Verhalten dazu zu animieren, aktiv zu werden und das Handeln der Menschen zu beeinflussen. V. 27 kann aber auch so verstanden werden, dass der Teufel in besonderem Maße nachts aktiv ist. Wird beim Zürnen gesündigt, dann kann der Teufel dies als Anlass nehmen, weitere Sünde zu bewirken. Auch wenn sich der Zorn - gleich ob "heilig" oder "sündig" - nicht bis zum Sonnenuntergang gelegt hat, kann der Teufel wirken und finstere Gedanken, Fortdauer des Zorns, Rachegelüste, dauerhafte Zwietracht oder Ähnliches bewirken.


Es stellt sich die Frage, ob der "Raum", der dem Teufel durch die Sünde gewährt wird, zu dem Heilsraum Christi (vgl. die Formulierung "in Christus") in Konkurrenz steht. Kann der Heilsraum durch das Wirken des Teufels "durchlöchert" oder verdrängt werden? Ist der "Raum" ("topos") des Teufels überhaupt mit dem Macht-, Wirk- und Heilsraum Christi vergleichbar? Diese Frage stellt sich insofern, als in 3,18 der Macht-, Wirk- und Heilsraum Christi als ein vierdimensionaler Raum gedacht ist, der altgriechische Begriff "topos" dagegen gewöhnlich den Ort oder die Stelle meint und auch "Gelegenheit" bedeuten kann. Vermutlich ist in V. 27 zuvörderst an die Gelegenheit gedacht, dann auch an einen Ort oder an eine Stelle. Und erst wenn das Wirken des Teufels nicht eingedämmt wird und Menschen von Christus abfallen, weitet er sich zu einem Raum im eigentlichen Sinne aus. Aber ein solches Szenario taucht in V. 27 und im Zusammenhang nicht auf.


Weiterführende Literatur:


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V. 28


Beobachtungen: Das Diebstahlsverbot findet sich in Ex 20,14LXX (= Ex 20,15). Das Stehlen stellt den Erwerb eines Gutes ohne eigene Arbeitsleistung, zum eigenen Nutzen und zum Schaden des Bestohlenen dar. Es wird in Eph 4,28 als negativ charakterisiert, ohne jede Unterscheidung, aus welchem Antrieb heraus das Stehlen geschieht. Der Verfasser des Eph geißelt aber nicht nur das Stehlen, sondern weist eine Alternative auf: mit eigenen Händen "das Gute" (oder: "das Gut") erarbeiten. Wer selbst arbeitet, muss nicht stehlen und schadet niemand anderem. Allerdings bleibt die Arbeit mit den eigenen Händen eigennützig, wenn sie nicht für einen anderen Menschen einen Vorteil oder Nutzen bringt. Daher bringt der Verfasser einen weiteren Aspekt an: Derjenige, der "das Gut(e)" mit seinen eigenen Händen erarbeitet hat, soll es einem Bedürftigen geben. Aus einem Bedürftigen - oder zumindest einem, der sich als bedürftig empfand -, der stahl, wird so ein Geber. Aus einem Menschen, der etwas widerrechtlich an sich riss, wird jemand, der aus freien Stücken etwas weggibt. Das materielle Gut wird so zu etwas Gutem, das Gutes bewirken kann.


Mit der Verbindung der drei atl. Texte Sach 8,16-17LXX, Ps 4,5LXX und Ex 20,14LXX (= Ex 20,15) sind alle drei Teile der hebräischen Bibel (= AT) abgedeckt: Sach 8,16-17LXX gehört den Propheten an, Ps 4,5LXX den Schriften und Ex 20,14LXX (= Ex 20,15) der Tora. Durch die Verbindung der drei Teile der hebräischen Bibel soll diese vermutlich als Ganze für das christliche Leben fruchtbar gemacht werden.


Zu V. 28 finden sich mehrere Varianten: Eine Variante lässt das Wort "eigenen" ("idiais") weg. Weitere Varianten lesen "mit seinen Händen das Gute erarbeiten" oder "das Gute mit den Händen erarbeiten" oder "das Gute mit den eigenen Händen erarbeiten". Und schließlich gibt es auch die kurze Variante "das Gute erarbeiten". Ob das Wort "eigenen" ("idiais") ursprünglich ist, ist unklar. Es kann weggelassen worden sein, weil es als unnötig empfunden wurde: Wessen Hände, wenn nicht diejenigen des Diebes, sollten denn sonst gemeint sein? Bei einer ähnlichen Formulierung in 1 Kor 4,12 findet sich jedoch keine Variante, die das Wort auslässt. Insofern kann es auch - evtl. mit Blick auf 1 Kor 4,12 - nachträglich hinzugefügt worden sein, um zu verdeutlichen, dass es um die Hände des ehemaligen Diebes geht. Die Variante "mit seinen Händen das Gute erarbeiten" ist sicherlich eine sprachliche Glättung eines als holperig empfundenen Wortlautes. Die beiden Varianten, die "das Gute" voranstellen, betonen dieses. Und die kurze Variante misst "den eigenen Händen" kein Gewicht bei, vielleicht aufgrund der antiken Geringschätzung von Handarbeit. Bei Berücksichtigung der Qualität und Verbreitung der Textzeugen können eigentlich nur die Textfassungen "mit den eigenen Händen das Gute erarbeiten" oder "mit den Händen das Gute erarbeiten" ursprünglich sein.


Dass überhaupt von Diebstahl die Rede ist, mag damit zusammenhängen, dass der Verfasser des Eph von Dieben unter den Adressaten wusste. Oder er ging davon aus, dass in jeder Gemeinde Christen zum Diebstahl neigen können, weil es sich um ein gängiges Vergehen handelt. Ohne Bedeutung ist, welcher sozialen Schicht der Dieb angeht. Dem Verfasser des Eph geht es in erster Linie darum, dass der Dieb zum Geber wird und so nicht mehr Schaden anrichtet, sondern Gutes tut. Das Partizip "ho kleptôn" ist ein substantiviertes maskulines Partizip und daher mit "der Stehlende" oder mit "der Dieb" zu übersetzen. Das kann bedeuten, dass nur an männliche Diebe gedacht ist, zumal wenn man annimmt, dass in erster Linie Männer stahlen und Männer mit Handarbeit Geld verdienten, jedoch ist diese Deutung nicht zwingend. Erstens ist Diebstahl kein Laster, das nur von Männern begangen wird und auch in der Antike sicherlich nicht nur von Männern begangen wurde, zweitens waren auch Frauen - mindestens diejenigen der Unterschicht - mit Handarbeit befasst und verdienten damit Geld. Insofern macht V. 28 wohl eine ganz grundsätzliche Aussage, gleich ob es sich um einen Dieb oder um eine Diebin handelt. Die maskuline Partizipform ist vermutlich auf männerzentrierte Sprache zurückzuführen, die Frauen "verschluckt". Nicht nur die soziale Schichtzugehörigkeit der stehlenden Person ist also ohne Belang, sondern auch ihr Geschlecht.


Weiterführende Literatur: E. Best 1992, 2-9 merkt an, dass der Verfasser des Eph nicht auf verschiedene Formen des Diebstahls eingeht, was irritiere. Noch irritierender sei jedoch die Tatsache, dass sich die Aussagen zum Diebstahl nur auf Christen und das Verhalten gegenüber Glaubensgenossen beziehen, nicht jedoch auf das Verhalten von Christen gegenüber Nichtchristen. Vermutlich sei die christliche Gemeinschaft Druck von außen ausgesetzt gewesen, sodass dem Verhalten untereinander und der gegenseitigen Unterstützung besondere Aufmerksamkeit zugekommen sei.


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V. 29


Beobachtungen: Das Adjektiv "sapros" bedeutet eigentlich "faul", "morsch", "modrig", "welk", oder "ranzig". Es handelt sich also nicht einfach nur um das Gegenteil von "gut", also "schlecht", sondern beinhaltet auch die Facetten "übel", "unanständig", "hässlich" und "böse". Wie genau ein solches "Wort" - über das einzelne Wort hinausgehend ist sicherlich auch Rede gemeint - beschaffen ist, sagt der Verfasser des Eph nicht. Allerdings lässt sich erschließen, dass es nicht der Erbauung dient, sondern zu Zwietracht führt, die Einheit der Kirche gefährdet und denen, die das "Wort" hören, nicht wohltut. Insofern kann das "Wort" verschieden beschaffen sein: es kann ein Schimpfwort sein, eine Beleidigung, schlechte/üble Nachrede, unflätige Rede oder aggressive Rede.


Die Genitivkonstruktion "pros oikodomên tês chreias" ist wörtlich mit "zur Erbauung des Notwendigen" zu übersetzen. Sie dürfte sicherlich nicht im Sinne von "das Notwendige erbauen/vergrößern" zu verstehen sein, sondern im Sinne von "zur Erbauung, wo es nötig ist" oder im Sinne von "zur notwendigen Erbauung". Die Deutung "zur Erbauung, wo es nötig ist" geht davon aus, dass es nicht dauerhaft der Erbauung durch ein "gutes Wort" bedarf, sondern zum rechten Zeitpunkt. Dabei könnte an Bestärkung, Trost, freundliche Worte oder Ähnliches gedacht sein. Die Deutung "zur notwendigen Erbauung" nimmt dagegen an, dass die Erbauung für einen beständigen Gemeindeaufbau stets nötig ist.

Dass die Formulierung schon früh Rätsel aufgab, zeigt die Tatsache, dass sich eine Variante findet, die statt "pros oikodomên tês chreias" ("zur Erbauung des Notwendigen") die Formulierung "pros oikodomên tês pisteôs" ("zur Erbauung des Glaubens") bietet. Diese Variante ist vermutlich aus dem Gedanken heraus entstanden, dass das Notwendige selbst wohl kaum der Erbauung, der Vergrößerung bedarf. Vielmehr gilt es, den Glauben zu erbauen, also zu stärken und zu mehren.


Der Begriff "charis" kann in V. 29 "Anmut", "Gunst", "Wohltat" oder "Gnade" bedeuten. Die wörtliche Übersetzung der Formulierung "hina dô charin tois akouousin" lautet also "dass es den Hörenden Nutzen/Anmut/Gunst/Wohltat/Gnade gibt". Sinngemäße Übersetzungen sind dementsprechend "damit es den Hörenden Nutzen bringt", "damit es den Hörenden Freude bereitet", "damit es den Hörenden wohltut" und "damit es den Hörenden Gnade bringt". Die Formulierung hat der Verfasser des Eph wohl mit Blick auf 4,7 gewählt, wo es heißt: "einem jeden von uns ist die Gnade gegeben", wobei der Geber Christus ist. Die Gnadengabe beinhaltet sowohl den Glauben als auch die Sündenvergebung als auch die besondere Befähigung und Aufgabe eines jeden Christen in der Kirche, wozu auch Leitungsfunktionen gehören. Christus hat also Gutes gegeben, folglich sollen auch die Christen Gutes geben. Hier liegt auch eine enge Verbindung von V. 28 und V. 29: In V. 28 ist an die Gabe eines materiellen Gutes gedacht, in V. 29 an die Gabe eines "guten Wortes". Die Gnadengabe des Christen ist aber nicht mit derjenigen Christi identisch, denn weder bewirkt ein Christ selbst bei seinen Mitmenschen den christlichen Glauben, noch bewirkt er selbst Sündenvergebung, noch befähigt er selbst zu bestimmten kirchlichen Aufgaben und Ämtern. Der Christ ist höchstens Werkzeug Gottes, der an der Umsetzung des göttlichen Heilsplanes mitwirkt. Er folgt - so zumindest das Ideal - in seinem Lebenswandel Christus und so spiegelt sich in seinem Verhalten auch die Gabe Christi wieder. Im Hinblick auf das "gute Wort", das die Umstehenden hören, bedeutet das: Es wird aus dem Glauben heraus getätigt, setzt den Glauben in die Lebenspraxis um, tut wohl, befördert die Eintracht der Hörenden und dient (= Nutzen) letztendlich dem Gemeindeaufbau und dem Heil aller Hörenden. Denn da, wo Christus geglaubt und der Glaube gelebt wird, da gibt es an der Sündenvergebung keinen Zweifel. Glaube, Wohltat, Nutzen und Gnade gehen also miteinander einher.


Weiterführende Literatur: C. G.Müller 2002, 164-189 befasst sich mit atl. und ntl. Mahnungen zur Zügelung der Zunge. Zu Eph 4,29: Die Gemeinde könne durch die Zunge geschädigt werden. Das Reden sei ein besonders wichtiges Element der Gemeindeerbauung bzw. der Gemeindeschädigung.


Zum Wortfeld "oikodomê" ("Bau") und "oikodomein" ("bauen/gründen") in Eph 4,29 siehe I. Kitzberger 1986, 327-331. Das im Kontrast zum unnützen und fruchtlosen Wort geforderte gute Wort sei als ein solches gekennzeichnet, das der Erbauung dient bzw. auf diese hinzielt. Es gehe um den Aufbau der Gemeinde.


J. Becker 2003, 8-9 geht es um die Frage, was in der Textüberlieferung dazu geführt haben mag, „pros oikodomês tês chreias“ (wörtlich: „zur Erbauung des Notwendigen“) durch „pros oikodomês tês pisteôs“ (wörtlich: „zur Erbauung des Glaubens“) zu ersetzen. Meist werde die Variante als „erleichternd“ verstanden, oder weise auf die Unverständlichkeit des Ausdrucks „pros oikodomês tês chreias“ hin. Gewiss sei seine Bedeutung umstritten. Es gebe heute bezüglich der Konstruktion vor allem zwei Auffassungen: Für die Mehrheit handele es sich bei „tês chreias“ um einen genetivus obiectivus. Dann wäre die Rede von „Erbauung, wo es not tut“, „Erbauung, wo es nützlich ist“, „Erbauung, wo es angebracht ist“ oder auch „Erbauung, wo sich die Gelegenheit bietet“. Eine Minderheit entscheide sich für einen genetivus qualitatis, so dass die Rede sei von „Erbauung, die [ja] notwendig (oder: nützlich) ist“. Wegen dieser Unsicherheiten sei „pros oikodomês tês chreias“ aber noch nicht unbedingt für die griechischen Leser und Hörer unverständlich gewesen. Überzeugender sei die Variante mit der Parallele 1 Tim 1,4 zu erklären, wo seitens einer Variante „oikonomian“ („Heilsplan“) durch „oikodomên“ („Erbauung“) ersetzt werde und so „oikodomê“ und „pistis“ zusammenfänden. Es stelle sich die Frage, ob die Varianten der beiden Verse einen gemeinsamen Ursprung haben.


G. Sellin 1992, 85-107 befasst sich ungewöhnlichen Genitiven im Epheserbrief. Der extensive Gebrauch von adnominalen Genitivkonstruktionen gelte schon seit langem als markante Stileigentümlichkeit des Eph. Ganz allgemein lasse sich dieses Phänomen der urchristlichen Sprache durch den Einfluss der semitischen Syntax erklären. Diese Erklärung könne jedoch nicht bei allen Genitivbildungen befriedigen, gerade nicht bei den kompliziertesten und merkwürdigsten. Diese stellt G. Sellin vor und untersucht die Eigenheiten. Zur Genitivkonstruktion "pros oikodomên tês chreias" ("zur Erbauung des Notwendigen") in 4,29: Bei "chreia" ("Notwendigkeit") stehe die Sache, die notwendig ist, meist im Genitiv. Auch in 4,29 dürfte eine Vertauschung der Glieder einer üblichen Genitivbildung vorliegen. Der Genitiv habe auch hier qualifizierende, spezifizierende Funktion.


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V. 30


Beobachtungen: Betrüben (oder: verletzen/empören) kann man nur jemanden, der eine gewisse Erwartung an das Reden und/oder Verhalten hat. Der heilige Geist ist eine wirkende Kraft. Er wirkt immer im Sinne Gottes und Christi und immer so, dass es dem Gemeindeaufbau und der Umsetzung des göttlichen Heilsplanes dient. Insofern erwartet der heilige Geist, der wie eine Person erscheint, dass das Reden und Verhalten - die Betrübnis kann sich nur auf die Rede (V. 29) beziehen, muss es aber nicht - der Christen diesem Wirken entspricht und nicht heidnischem Reden und Verhalten ähnelt oder gleicht. Betrübt ist der heilige Geist, wenn das nicht der Fall ist. Für Betrübnis des heiligen Geistes bedarf es demnach nicht einer direkten Schmähung des heiligen Geistes. Eine Parallele findet sich in Jes 63,10, wo ebenfalls von einer Betrübnis des heiligen Geistes Gottes die Rede ist. Dort resultiert die Betrübnis aus der Auflehnung des Volkes Israel gegen ihren Gott - gegen den Gott, der sie aus der Gefangenschaft in Ägypten erlöst hat. Der heilige Geist ist in Jes 63,10 im Sinne der Gegenwart Gottes gedacht. Jes 63,9-10 dürfte die Grundlage für die Erwähnung der "Erlösung" und für die Warnung vor der Betrübnis des heiligen Geistes in Eph 4,30 darstellen.


Der Verfasser des Eph misst dem heiligen Geist hinsichtlich Gemeindeaufbau (vgl. 2,20; 4,3-4) und Erlösung eine besondere Bedeutung zu, so dass er von der Betrübnis des heiligen Geistes Gottes und nicht von der Betrübnis Gottes oder von der Betrübnis Christi spricht. 4,30 greift den Inhalt von 1,13-14 auf, wobei es im Detail jedoch einige Unterschiede gibt. So erfolgte gemäß 1,13 die Versiegelung "in Christus mit dem heiligen Geist", gemäß 4,30 dagegen "im heiligen Geist (des) Gottes". Gemäß 1,14 erfolgte die Versiegelung "zur Erlösung des Eigentums", in 4,30 dagegen "für den Tag der Erlösung. Auch wenn sich die Formulierungen je nach Zusammenhang, in dem sie sich finden, unterscheiden, so wird doch die besondere Bedeutung des heiligen Geistes im Hinblick auf die Erlösung deutlich. Die Versiegelung erfolgte mit und im heiligen Geist, was bedeutet, dass der heilige Geist sowohl Mittel der Versiegelung als auch Wirk-, Macht- und Heilsraum, in dem die Versiegelung stattfand, ist. Als Siegel und Wirk-, Macht- und Heilsraum versichert der heilige Geist, dass schließlich auch wirklich die ganze Fülle des Heils den Adressaten (und dem Verfasser des Eph und vermutlich auch den anderen Christen) zuteil wird. Das Zuteilwerden der ganzen Fülle des Heils wird als "Erlösung" bezeichnet. Dabei erfolgt die "Erlösung" in zwei Schritten: In Christus haben die Christen die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Verfehlungen (vgl. 1,7). Damit erlangen die Christen sozusagen einen Rechtsanspruch auf die Vergebung der Verfehlungen, die im Kern das Heil darstellt. Die Einlösung des Rechtsanspruches erfolgt dann am Tag der Erlösung, an dem die Vergebung der Verfehlungen, das Heil, endgültig wird.


Weiterführende Literatur: Wie die Analyse der Texte Eph 1,3-14; 1,21; 2,1-10; 4,22-24; 4,30; 6,13 zeige, werde gemäß T. Witulski 2005, 211-242 die vom Verfasser des Eph vertretene eschatologische Konzeption durch zwei zentrale Aspekte charakterisiert: (1) Im Unterschied zu Paulus sei für den Verfasser des Eph dieses eschatologische Heil den Christen in ihrer Vergangenheit bzw. ihrer Gegenwart vollständig zuteil geworden. (2) Das endzeitliche Heil sei zwar eine objektive, aber noch keine offenbare Wirklichkeit, was für die Christen bedeute, dass dieses Heil in ihrer Gegenwart ihrer Verfügungsgewalt entzogen bleibe und sie es immer noch verlieren können. Erst mit dem Zeitpunkt der Parusie Christi werde dieses Heil zu einer offenbaren, nicht mehr verlierbaren Realität. Das aber heiße, dass die präsentische Eschatologie des Verfassers des Eph unter einem zeitlichen Vorbehalt steht, der in der ethischen Forderung konkrete Gestalt gewinnt: Um das eschatologische Heil als unverlierbaren Besitz zu erlangen, müsse der Christ sich in der Gegenwart im Rahmen eines Entwicklungsprozesses ethisch bewähren.


Laut H. Lona 1984, 423-424 zeige der Gedanke der Versiegelung mit dem Geist der Erlösung deutlich die Wiederaufnahme von V. 13-14. Die Erlösung sei eine durch das Blut Christi herbeigeführte Wirklichkeit, die in der Vergebung der Übertretungen bestehe. Darüber hinaus bedeute sie auch die endzeitliche Erlösung, die noch ausstehe und eines Tages Wirklichkeit werde. Der "Tag der Erlösung" bekomme wegen der fehlenden Andeutung auf das Gerichtsthema keine festen Konturen. Das Schweigen über das Thema lasse sich mit der Übernahme des traditionellen Themas des Geistes erklären. Es handele sich dabei um die Gegenwart des Geistes Gottes im Menschen.


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V. 31


Beobachtungen: Der Unterschied zwischen den beiden griechischen Begriffen "orgê" ("Zorn") und "thymos" ("Grimm") ist unklar. Nebeneinander tauchen sie auch in Röm 2,8 auf, wo sie - ebenso wie in Kol 3,7 - nicht erklärt werden. Es ist durchaus möglich, dass es sich um das Stilmittel "Hendiadyoin" handelt, bei dem ein und dieselbe Sache mit (= dia) zwei (= dyo) Begriffen bezeichnet wird. Möglich ist auch, dass "orgê" die grundsätzliche Gemütshaltung bezeichnet, "thymos" dagegen den einzelnen Zornesausbruch. In diesem Sinne taucht in den paulinischen Briefen der Begriff "thymos" in 2 Kor 12,20 auf. Dort findet sich allerdings der Plural "thymoi", der auf eine Mehrzahl ganz konkreter Zornesausbrüche hinweist. Möglich ist auch, dass in Eph 4,31 "thymos" als emotionale Erregung, Ärger zu deuten ist und "orgê" mit dem Zorn oder Zornesausbruch eine gesteigerte emotionale Erregung bezeichnet.


Das "Geschrei" könnte Ausdruck von "Grimm" und "Zorn" sein, also ein wütendes Geschrei, ein lautstarker Zornesausbruch. Seine Erwähnung könnte Hinweis darauf sein, dass der Verfasser des Eph die fünf in V. 31 genannten Laster so angeordnet hat, dass sie mit dem stillen, innerlichen Lastern beginnen und zu denen übergehen, die sich in mehr oder weniger lautstarken Äußerungen zeigen. Allerdings kann man nicht sagen, dass die Laster immer äußerlicher und lautstärker werden, denn das Geschrei dürfte lauter als die Lästerungen sein. Zusätzlich zu dem Gesichtspunkt, ob ein Laster eine stille Haltung oder eine mehr oder weniger lautstarke Äußerung ist, dürften auch inhaltliche Beziehungen für die Anordnung maßgeblich gewesen sein. Das "Geschrei" passt eher zu "Grimm" und "Zorn" als die "Lästerung". Die Reihenfolge mag auch von Kol 3,8 beeinflusst sein, wobei jedoch Umstellungen und Ergänzungen - die "Bitterkeit" und das "Geschrei" finden sich dort nicht - vorgenommen wurden. Und schließlich ist nicht zu vergessen: Alle fünf genannten Laster können mit mehr oder weniger lautstarken Äußerungen verbunden sein, so dass die These des Übergangs von den stillen und innerlichen hin zu den nach außen gerichteten und mehr oder weniger lautstark geäußerten Lastern nicht über jeden Zweifel erhaben ist.


"Blasphêmia" bezeichnet die Lästerung und Verleumdung, die sich auf Menschen oder Götter bzw. Gott beziehen kann.


Bei der Verbform "arthêtô" ("sei genommen") handelt es sich um einen Imperativ Passiv in der Zeitform Aorist (vom Verb "airô"). Das Passiv wirft die Frage auf, ob die Adressaten als passiv gedacht sind. Dann wäre vermutlich Gott der Handelnde. Da in den vorhergehenden Versen aber stets an das Handeln der Adressat appelliert wird, ist anzunehmen, dass dies auch in V. 31 der Fall ist. Das Passiv sagt also hier vermutlich keine Passivität der Adressaten aus. Unklar ist jedoch, in welchem Maße das Handeln Gottes anklingt. Der Aorist scheint zunächst auf ein kurzzeitiges und einmaliges Geschehen hinzuweisen. Auch mag man angesichts der Tatsache, dass der Verfasser des Eph zuvor präsentische Imperative benutzt hat, zu der Annahme kommen, dass die Dringlichkeit der Aufforderung gesteigert wird. Beachtet man jedoch, dass sich das Verb "airô" im NT grundsätzlich häufig im Aorist findet, so kann man schlussfolgern, dass das Verb gewöhnlich eine kurzzeitige, einmalige Handlung meint und von daher die Verwendung des Aoristes auch in V. 31 nahe lag. Das bedeutet aber nicht, dass in V. 31 aber auch tatsächlich die Handlung als kurzzeitig und einmalig gedacht sein muss. Der Wandel des Verhaltens ist nicht von heute auf morgen vollzogen, sondern ist ein Prozess, der auch immer wieder Rückfälle in alte Verhaltensmuster beinhaltet. Der Verfasser des Eph betont aber nicht den Prozess und die Möglichkeit von Rückfällen, sondern betont die Notwendigkeit, sich von den Lastern zu verabschieden und sich an die Tugenden zu halten.


Weiterführende Literatur:


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V. 32


Beobachtungen: V. 32 weist inhaltlich Ähnlichkeit mit Kol 3,12-13 auf, wobei sich die Frage stellt, inwieweit sich der Verfasser des Eph bei der Abfassung des Verses auf die Inhalte und Formulierungen von Kol 3,12-13 gestützt hat.


"Chrêstos" kann hier mit "rechtschaffen", "freundlich" oder "gütig" übersetzt werden. Gemeint ist ein Verhalten, das keine Falschheit oder Schlechtigkeit kennt und dem anderen Menschen gegenüber wohlwollend, freundlich und nachsichtig ist. "Eusplanchnos" ("barmherzig") ist ein mitfühlendes und Notleidenden gegenüber mildtätiges Verhalten.


Gott ist Vorbild für das von den Adressaten - und auch den anderen Christen - geforderte Verhalten untereinander, wie die Formulierung "wie auch..." zeigt. Dabei spielt aber Christus eine entscheidende Rolle, denn "in ihm" hat Gott den Adressaten die Sünden vergeben. Christus ist also der Macht-, Wirk- und Heilsraum, in dem die Vergebung stattgefunden hat. Auch durch die Ähnlichkeit des Begriffs "chrêstos" mit dem Titel "Christos" wird eine enge Verbindung zwischen Christus und der Güte, Barmherzigkeit und Vergebung geknüpft. Allerdings ist fraglich, ob es sich um ein beabsichtigtes Wortspiel handelt oder eine unbeabsichtigte Ähnlichkeit vorliegt.


Eine Variante bietet statt des Personalpronomens "euch" das Personalpronomen "uns". Das Personalpronomen "euch" ist in V. 32 etwas besser bezeugt (besonderes Schwergewicht ist der sehr alte Papyrus 46) und passt im Zusammenhang besser. Schließlich richten sich die Ermahnungen nur an die Adressaten und nicht an den Verfasser des Eph selbst. Das Vorbild-Nachahmer-Verhältnis bezieht sich somit vorrangig auf die Adressaten (= "euch"), womit der Verfasser des Eph nicht einbezogen ist. Dass das Personalpronomen besser passt, kann allerdings auch gegen die Ursprünglichkeit des Personalpronomens "euch" vorgebracht werden, weil ein ursprüngliches Personalpronomen "uns" durchaus als unpassend wahrgenommen und daher korrigiert worden sein könnte. Umgekehrt könnte aber auch mit Blick auf 5,2, wo vermutlich das Personalpronomen "uns" ursprünglich ist, zu "uns" geändert worden sein. Eine solche Änderung liegt hier auch angesichts der Tatsache nahe, dass sich die Güte Gottes eigentlich auf alle Menschen - speziell Christen - bezieht und daher in den paulinischen Briefen meist das Personalpronomen "uns" verwendet wird. Es könnte also zum gewöhnlichen Sprachgebrauch hin geändert worden sein. Nimmt man einen Hör- und Schreibfehler beim Abschreiben des Textes mittels Diktat an, dann kann der Fehler eine Änderung sowohl zum "uns" als auch zum "euch" bewirkt haben.

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Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Basevi, Claudio; La missione di Cristo e dei cristaianinella Lettera agli Efesini. Una lettura di Ef 4,1-25, RivBib 38/1 (1990), 27-55

Becker, Joachim; Zur Variante tês pisteôs in Eph 4,29, BN 119/120 (2003), 8-9

Best, Ernest; Ephesians 4:28: Thieves in the Church, IBS 14 (1992), 2-9

Hinks, Stephen W.; Anger - What does the Bible Say?, JCE 86 (1986), 33-39

Kitzberger, Ingrid; Bau der Gemeinde: Das paulinische Wortfeld oikodomê (FzB 53), Würzburg 1986

Lona, Horacio E.; Die Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief (FzB 48), Würzburg 1984

Merklein, Helmut; Eph 4,1-5,20 als Rezeption von Kol 3,1-17 (zugleich ein Beitrag zur Pragmatik des Epheserbriefes), in: P.-G. Müller, W. Stenger [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1981, 194-210

Müller, Christoph Gregor; Wider die Geschwätzigkeit, BZ 46/2 (2002), 164-189

Sellin, Gerhard; Über einige ungewöhnliche Genitive im Epheserbrief, ZNW 83,1-2 (1992), 85-107

Thompson, Garrett G.; Scripture, Tradition, and Eschatology: Examining Possible Source Material for Paul's Paraenesis in Ephesians 4:25-32, Pneum. 4/2 (2016), 45-60

Witulski, Thomas; Gegenwart und Zukunft in den eschatologischen Konzeptionen des Kolosser- und Epheserbriefes, ZNW 96/1-2 (2005), 211-242

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