Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Zweiter Thessalonicherbrief

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher

2 Thess 3,1-5

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

2 Thess 3,1-5



Übersetzung


2 Thess 3,1-5 :1 Im Übrigen, Geschwister, betet für uns, dass das Wort des Herrn so laufe und gepriesen werde wie bei euch, 2 und dass wir vor falschen und bösen Menschen gerettet werden; denn der Glaube ist nicht aller [Menschen Ding]. 3 Aber der Herr ist treu; er wird euch stärken und vor dem Bösen bewahren. 4 Wir vertrauen im Herrn auf euch, dass ihr das, was wir gebieten, tut und tun werdet. 5 Der Herr aber lenke eure Herzen zur Liebe (des) Gottes und zur Geduld (des) Christi hin.



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V. 1


Beobachtungen: Die Formulierung „to loipon“ („im Übrigen“) leitet zu einem neuen Abschnitt über. Dieser neue Abschnitt 3,1-5 enthält die Aufforderung, dass die Adressaten für den Verfasser (oder: die Verfasser) des Briefes beten sollen. Außerdem bekundet der Verfasser (oder: die Verfasser) sein Vertrauen auf die Thessalonicher Gemeinde. Die Formulierung „to loipon“ kann auch abschließenden Charakter haben, im Sinne von „schließlich / abschließend“. Allerdings handelt es sich bei dem Abschnitt 3,1-5 nicht um den Schluss des Briefes und auch nicht um den Schluss des Briefkorpus’, sondern nur um den ersten Teil des Abschlusses des Briefkorpus’. Dieser Abschluss umfasst 3,1-13 und enthält Weisungen bezüglich des Lebens in der Gemeinde, das nach dem Vorbild des Paulus, des Gründers der Gemeinde, erfolgen soll. Einen abwertenden Klang im Sinne eines Restes, der noch zu sagen ist, hat „im Übrigen“ nicht. Ganz im Gegenteil: Es kann auf besondere Wichtigkeit des im Folgenden Gesagten hinweisen.


„Geschwister“ meint hier nicht leibliche Geschwister, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.


Es entspricht dem christlichen Gemeinschaftsgedanken, dass nicht nur der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess für die Adressaten betet (vgl. 2,16-17), sondern umgekehrt auch die Adressaten für den (oder: die) Verfasser beten. Zu einem solchen Gebet fordert der Verfasser (oder: die Verfasser) die Adressaten auf. Er unterstreicht so den christlichen Gemeinschaftsgedanken und schärft ein, dass die christliche Mission keine menschliche Leistung ist. Der Mensch, der missioniert, ist vielmehr ein Diener Gottes und Jesu Christi, dessen Missionserfolg vom heilvollen Wirken Gottes und Jesu Christi abhängt. Dieses heilvolle Wirken sollen die Adressaten erbitten.

Gemäß 2 Thess 1,1 ist nicht Paulus (oder: „Paulus“) allein der Verfasser des 2 Thess, sondern er ist es zusammen mit seinen Mitarbeitern Silvanus und Timotheus. Demnach ist der 2 Thess kein Privatbrief eines Einzelnen, sondern klar als Schreiben einer Mehrzahl Missionare erkenntlich. Ebenso ist auch die Mission nicht Werk eines Einzelnen, sondern gemeinschaftliches Werk einer Mehrzahl Personen. Insofern ist es konsequent, dass der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess nicht schreibt „betet für mich“, sondern „betet für uns“. Das schließt aber nicht aus, dass das Gebet in besonderem Maße Paulus (oder: „Paulus“) gelten soll, denn er dürfte der Hauptverfasser des 2 Thess und der bekannteste Missionar sein (vgl. 2,5).

Die Zeitform Präsens des Imperativs zeigt an, dass es nicht um eine einmaliges, eiliges Gebet geht, sondern um ein wiederholtes oder dauerhaftes Gebet.


Mit dem „Wort des Herrn“ ist nicht ein einzelnes Wort gemeint, sondern eine Botschaft, nämlich die „frohe Botschaft“ (Evangelium). Sie hat entweder den „Herrn“ als zentralen Inhalt oder sie stammt vom „Herrn“. Möglich ist auch, dass beide Möglichkeiten zugleich gemeint sind. Gemäß 2 Thess 1,2.12 handelt es sich bei dem „Herrn“ um Jesus Christus.


Das Verb „trechô“ ist wörtlich mit „laufen“ zu übersetzen. Im Hinblick auf die Ausbreitung des Evangeliums enthält es folgende Bedeutungsaspekte: Zu einen weist das Verb auf die Ausbreitung des Evangeliums hin. Dann macht es aber auch deutlich, dass sich das Evangelium schnell verbreiten soll, denn das Laufen ist im Sinne des Rennens, nicht des gemütlichen Spazierengehens gemeint. Und schließlich weist das Verb auch auf Gedeihen und Wertschätzung hin. Wenn man beispielsweise bei dem Verkauf eines Buches sagt, dass es gut läuft, dann ist damit gemeint, dass es sich gut verkauft und somit bei der Kundschaft guten Anklang findet.


Die hohe Wertschätzung, die dem „Wort des Herrn“ bei den Thessalonichern zukommt (vgl. 1,3-4; 2,13-14) wird mittels des Verbs „doxazomai“ ausgedrückt. Wenn es sich auf Gott oder Jesus Christus bezieht, ist es gewöhnlich mit „verherrlicht werden“, „verehrt werden“ oder „gerühmt werden“ zu übersetzen. Wird in 3,1 vom „Wort des Herrn“ ausgesagt, dass es verherrlicht wird, verehrt wird oder gerühmt wird? Tritt das „Wort des Herrn“ gleichsam an die Stelle des „Herrn“, Jesus Christus? Oder bleiben diese Formulierungen Gott und Jesus Christus vorbehalten, womit in V. 1 gemeint wäre, dass das „Wort des Herrn“ bei den Thessalonichern geehrt oder gepriesen wird?


Weiterführende Literatur: J. L. Sumney 1990, 192-204 geht der Frage nach, ob es sich bei dem 2 Thess um einen authentischen Paulusbrief handelt, der literarisch einheitlich ist. J. L. Sumney sieht den entscheidenden Beleg in dem rhetorischen Muster A B A gegeben, das typisch paulinisch sei (und sich zudem auch in den beiden Danksagungen 1,3-12 und 2,13-3,5 erkennen lasse). Es sei weniger wahrscheinlich, dass ein späterer Autor dieses Muster erkannt und auf seinen Brief übertragen hat, als dass Paulus selbst es erneut verwendet hat. Das sei jedoch noch kein abschließendes Argument für die Abfassung des Briefes durch Paulus. Es lasse sich nur sagen, dass die Infragestellung der paulinischen Verfasserschaft in erster Linie von theologischen Unterschieden zwischen Paulus und dem 2 Thess auszugehen hat, nicht aber von Unterschieden hinsichtlich der brieflichen Form.


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V. 2


Beobachtungen: Die wörtliche Bedeutung des Adjektivs „atopos“, das in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen nur hier vorkommt, ist „nicht an seiner Stelle“. Dies kann im Sinne von „außerhalb des Gewöhnlichen“ gemeint sein, womit die Bedeutung „ungewöhnlich“, „sonderbar“ oder „verwunderlich“ wäre. In V. 2 scheint es sich aber um eine bedrohliche Eigenschaft zu handeln, vor der Rettung erbeten wird. Insofern dürfte eher „außerhalb des üblichen Verhaltens“ oder „außerhalb des erwünschten Verhaltens“ gemeint sein. Das übliche bzw. gewünschte Verhalten ist das, was von dem Verfasser (oder: den Verfassern) des 2 Thess für üblich bzw. wünschenswert gehalten wird. Das ungewöhnliche bzw. unerwünschte Verhalten ist dagegen ein Verhalten, das sich nicht innerhalb dessen bewegt, was der Verfasser (oder: die Verfasser) als christlich erachtet, und zwar als christlich gemäß der paulinischen Überlieferung oder der Überlieferung in der paulinischen Tradition (vgl. 2,2.15). Als Übersetzung kommen folglich „ungehörig“, „falsch“, „schlecht“, „widersinnig“ oder „übelgesinnt“ infrage. Es findet sich in Verbindung mit einem zweiten Adjektiv, nämlich „ponêros“, das „böse“ oder „schlecht“ bedeutet.


Der bestimmte Artikel „tôn“ („den“) weist darauf hin, dass eine ganz bestimmte Menschengruppe im Blick ist, die als falsch und böse charakterisiert wird. Diese wird zwar nicht genauer beschrieben, aber wir haben davon auszugehen, dass die Adressaten wissen, was für Menschen gemeint sind. Es kann sich um christliche Widersacher handeln, die eine andere theologische Position als der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess vertreten, oder um Nichtchristen. Die Tatsache, dass es gilt, vor diesen Menschen gerettet zu werden, weist auf eine (zumindest so empfundene) aggressive Haltung dieser Menschengruppe gegenüber dem Verfasser (oder: den Verfassern) hin.

Auch die Verbform „rhysthômen“ („wir gerettet werden“) weist darauf hin, dass der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess eine ganz bestimmte Menschengruppe und eine ganz bestimmte Situation im Blick hat. Wie bei den beiden Verben „trechê“ („laufe“) und „doxazêtai“ („gepriesen werde“) in V. 1 handelt es sich um einen Konjunktiv, allerdings handelt es sich – anders als bei diesen beiden Verben – nicht um ein Präsens, sondern um einen Aorist. Dieser zeigt ein punktuelles Geschehen an. Während also das Laufen und Gepriesenwerden ein längeres Geschehen, nämlich die Mission bzw. den Missionserfolg, im Blick hat, bezieht sich die Rettung auf eine gegenwärtige, drängende Gefahr. Ob die Adressaten wissen, um was für eine Gefahr es sich handelt, ist unklar.


„Falsch“ und „böse“ erscheinen als Charakterzüge, die speziell den Nichtchristen eigen sind. Der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess denkt also in Schwarz-Weiß-Kategorien: Weiß sind die Christen, schwarz die Nichtchristen. Ob nun alle Nichtchristen schwarz sind, also „falsch“ und „böse“, bleibt offen. Geht man aber davon aus, dass dem Verfasser (oder: den Verfassern) des 2 Thess eine klare Abgrenzung der Christen von der nichtchristlichen Umwelt wichtig ist, dann dürfte an einer differenzierten Sicht kein Interesse bestehen. Es geht darum, die Eintracht der Christen in einer bedrohlichen nichtchristlichen Umwelt einzuschärfen und zu stärken.


Eng mit dem Glauben ist das Vertrauen verbunden. Der Begriff „pistis“, der in V. 2 auftaucht, kann sowohl mit „Glaube“ als auch mit „Vertrauen“ übersetzt werden. Folglich ist statt der Übersetzung „… denn der Glaube ist nicht aller [Menschen Ding]“ auch die Übersetzung „… denn das Vertrauen ist nicht aller [Menschen Ding]“ möglich. Das Thema „Vertrauen“ wird in V. 3-4 unter verschiedenen Aspekten weiter entfaltet.

Von der Bedeutung „Vertrauen“ her, können die „falschen“ und „bösen“ Menschen auch als Christen gedeutet werden, denen es an Vertrauen in Christus mangelt. Es wären dann glaubensschwache Christen oder auch Christen, die von der Lehre des Verfassers (oder: der Verfasser) des 2 Thess bzw. von der Lehre des Paulus abweichen oder sich dieser gar offen widersetzen. Eine solche Deutung liegt aber nicht nahe, denn V. 2 ist eng mit V. 1 verbunden, wo es um Mission und Missionserfolg geht. V. 2 hat vermutlich diejenigen im Blick, die der Mission und dem Missionserfolg entgegenstehen. Zudem ist unwahrscheinlich, dass die harten Eigenschaften „falsch“ und „böse“ den im Glauben schwachen oder im Glauben irrlichternden und irreführenden Christen zugeschrieben werden. Auch erscheint die Front gegenüber solchen Christen im 2 Thess nicht so stark zu sein, dass vor ihnen Rettung erbeten werden müsste.


Weiterführende Literatur:


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V. 3


Beobachtungen: Der Übergang von V. 2 zu V. 3 scheint auf den ersten Blick einen Gedankensprung darzustellen: Handelte V. 2 vom Glauben und Unglauben der Menschen und der Bedrängnis der Gläubigen durch die Ungläubigen, so kommt der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess in V. 3 plötzlich auf die Treue Gottes zu sprechen. Wo ist da der Zusammenhang? Der Zusammenhang erschließt sich von der Tatsache her, dass „pistis“ (V. 2) sowohl „Glaube“ als auch „Vertrauen“ bedeutet. Demnach ist das Vertrauen in Jesus Christus, den „Herrn“, nicht aller Menschen Ding. Menschen, die nicht an Jesus Christus glauben, sind demnach Menschen, die kein Vertrauen in Jesus Christus, in das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen haben. Mit ihrem fehlenden Vertrauen liegen diese Menschen jedoch falsch, wie aus V. 3 hervorgeht: Der „Herr“, also Jesus Christus, ist vertrauenswürdig („pistos“ bedeutet sowohl „treu“ als auch „vertrauenswürdig“). Die Nichtchristen verweigern Jesus Christus also völlig zu Unrecht den Glauben. Angesichts dieses Gedankengangs könnte man meinen, dass dieser auch in der Übersetzung Ausdruck finden müsste, die demnach „… denn das Vertrauen ist nicht aller [Menschen Ding]. Aber der Herr ist vertrauenswürdig; …“ lauten müsste. Gegen eine solche Übersetzung spricht jedoch, dass der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess zwar dem fehlenden Vertrauen der Nichtchristen die Vertrauenswürdigkeit Jesu Christi gegenüberstellt, aber in V. 1-5 in keinster Weise erkennen lässt, was für einen Belang die Vertrauenswürdigkeit Christi für die Nichtchristen hat. Der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess könnte ausführlich darlegen, inwiefern Jesu Kreuzigung und Auferstehung für die Menschen Heil mit sich bringt, warum Menschen an Christus glauben und so „in Christus“ sein sollten. Das tut er aber nicht. Stattdessen wird die Vertrauenswürdigkeit ausschließlich im Hinblick auf die Christen, speziell die Adressaten des 2 Thess, erläutert. Und diese Erläuterung geht von dem schroffen Gegensatz zwischen den bedrängten Christen und den bedrängenden, „falschen“ und „bösen“ Nichtchristen aus. Es wird somit deutlich, dass sich die Vertrauenswürdigkeit des „Herrn“ Jesus Christus in der ganz konkreten aktuellen Situation in der Treue, im Beistand den Christen – speziell den Adressaten - gegenüber zeigt. Gemäß 2,17 ist Stärkung in jedem guten Werk und Wort gemeint. Es geht also um ganz klare Abgrenzung und bestmögliche Widerstandskraft der Guten gegenüber den Bösen. An dem Beistand des „Herrn“ Jesus Christus ist nicht zu zweifeln, wie das Futur der Verben („er wird euch stärken und vor dem Bösen bewahren“) zeigt.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.


Eine Variante liest „Gott ist treu/vertrauenswürdig“ statt „der Herr ist treu/vertrauenswürdig“. Sie lässt sich als Korrektur angesichts der Tatsache erklären, dass alle paulinischen oder deuteropaulinischen Textparallelen (1 Thess 5,24; 1 Kor 1,9; 10,13; 2 Kor 1,18) aussagen, dass Gott treu/vertrauenswürdig ist. Dass es in 2 Thess 3,3 „der Herr ist treu/vertrauenswürdig“ heißt, lässt erkennen, dass der Verfasser (oder: die Verfasser) von 2 Thess ohne Bedenken Eigenschaften Gottes auf Jesus Christus (dieser ist laut 2 Thess 1,2.12; 3,18 mit dem „Herrn“ gemeint) überträgt.


Die Formulierung „apo tou ponêrou“, die mit „vor dem Bösen“ zu übersetzen ist, ist doppeldeutig: Versteht man den Genitiv „tou ponêrou“ als ein Neutrum, dann ist das Böse als etwas Abstraktes zu deuten. Es können dann böse Nichtchristen, böses Verhalten, böses Denken usw. im Blick sein. Für eine Deutung als Neutrum spricht, dass unmittelbar zuvor (in V. 2) von „bösen Menschen“ die Rede war, also nicht von einer einzigen besonders bösen Person oder einem einzigen besonders bösen Wesen. Für eine Deutung als Maskulinum spricht, dass es sich bei den „bösen Menschen“ um Personen handelt. Insofern kann es sich auch bei „dem Bösen“ um eine Person oder um ein Wesen handeln. Diese Person oder dieses Wesen könnte durchaus als Gegenspieler des „Herrn“ Jesus Christus – ebenfalls eine (menschliche und göttliche) Person – gedacht sein. In Eph 6,16 ist „der Böse“ möglicherweise eine andere Bezeichnung für den „Teufel“. In den paulinischen Briefen wird der Gegenspieler Gottes als „Satan“ bezeichnet und auch in 2 Thess spielt der Satan eine Rolle, nämlich bei der Offenbarung des „Gesetzlosen“ (vgl. 2,8-9).


Weiterführende Literatur:


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V. 4


Beobachtungen: Auch im Hinblick auf den bzw. die Verfasser des 2 Thess ist vom Vertrauen die Rede, und zwar vom Vertrauen den Adressaten gegenüber. Das Vertrauen bezieht sich auf das Halten von dem, was der bzw. die Verfasser des 2 Thess gebieten. Dem deutschen Verb „vertrauen“ liegt jedoch nicht das altgriechische Verb „pisteuô“ zugrunde, sondern das Verb „peithô“, und zwar im Perfekt „pepoitha“. Bei diesem Verb klingt – anders als beim Verb „pisteuô“, dem Substantiv „pistis“ und dem Adjektiv „pistos“ (vgl. V. 2-3) - nicht zugleich das Glauben an. Es ist also kein glaubendes Vertrauen gemeint, sondern ein autoritäres, wie der Bezug auf das Verb „parangellô“ („anordnen“) zeigt: Es wird etwas geboten (eine Variante sagt explizit, dass den Adressaten geboten wird) und das, was geboten wird, ist zu befolgen. Das, was geboten wird, wird in V. 6-12 aufgeführt, in V. 4 also vorbereitet.

Dass der Verfasser (oder: die Verfasser) darauf vertrauen kann, dass die Adressaten das ihnen Gebotene tun und tun werden, lässt sich damit begründen, dass sie in allen Bedrängnissen und Verfolgungen standhaft und ihrem christlichen Glauben treu geblieben sind (vgl. 1,4). Die Adressaten bedürfen aber in ihrem Glauben der Stärkung und der Vollendung (vgl. 1,11-12). Die Standhaftigkeit im Glauben ist also keineswegs allein von den Adressaten zu bewirken und die Adressaten sind auch nicht davor gefeit, sich von Irrlehren – konkret derjenigen, dass der Tag des Herrn schon da sei – verwirren zu lassen (vgl. 2,1-2). Insofern sieht sich der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess genötigt, die Adressaten dazu zu ermahnen, sich an die Überlieferungen, in denen sie unterwiesen worden sind, sei es mündlich oder durch einen Brief des Verfassers (oder: der Verfasser) des 2 Thess, zu halten. All dies erklärt, warum zum einen überhaupt die Notwendigkeit für Anordnungen besteht, zum anderen aber der Verfasser (oder: die Verfasser) des 2 Thess sein Vertrauen auf das rechte Verhalten der Adressaten in Gegenwart und Zukunft ausdrücken kann.

Das Vertrauen ist nicht profaner Art, sondern „im Herrn“. Diejenigen, die das Vertrauen haben, sind also Christen, befinden sich im Macht- und Wirkungsbereich des „Herrn“. Dies gilt auch für die Adressaten. Die Anordnungen erfolgen nicht aus eigenem Gutdünken, sondern aus christlicher, ja paulinischer Autorität heraus. Und das Halten der Anordnungen ist kein Werk (allein) der Adressaten, sondern bedarf (auch) der Wirkkraft des „Herrn“.


Weiterführende Literatur: Mit der apostolischen Tradition gemäß 2 Thess 2,13-3,8 befasst sich H. Blocher 2006, 91-97. Diese beinhalte das gesprochene und das geschriebene Wort (2,15) und werde von Paulus „Wort des Herrn“ genannt (3,1). An dieses sollten sich die Adressaten halten und ihr Leben streng danach ausrichten (2,15; 3,6). Paulus habe keine Hemmungen zu gebieten (3,4.6.10) und stelle sich selbst als ein nachzuahmendes Beispiel dar (3,7-10).


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V. 5


Beobachtungen: Bei der „Liebe Gottes“ kann es sich um eine Liebe handeln, die von Gott eigen ist (genitivus subiectivus), oder um die Liebe des Christen Gott gegenüber (genitivus obiectivus). Hier ist wohl keine Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten nötig, denn beide Deutungen passen gleichermaßen.


Auch bei dem Genitiv „tou Christou“ („Christi“; wörtlich: „des Christi“) der Formulierung „eis tên hypomonên tou Christou“ kann ein genitivus subiectivus oder ein genitivus obiectivus vorliegen. Die Grundbedeutungen des Substantivs „hypomonê“ sind „Standhaftigkeit“, „Ausdauer“, „Erwartung“ und „Erdulden/Geduld“. Somit sind verschiedene Deutungen möglich. Geht man von einem genitivus subiectivus aus, dann ist es Christus, dem „hypomonê“ eigen ist. Es könnte mit Blick auf die Passionsgeschichten der Evangelien das Erdulden des Leides gemeint sein, das Jesus durch seine Widersacher erleiden musste. Nicht auszuschließen ist auch, dass das geduldige Ertragen der Fehlbarkeit der Christen seitens Christi gemeint ist. Allerdings ist die Fehlbarkeit etwas, was in 2 Thess nicht im Fokus ist und auch dem Ziel einer einigen, standhaften Gemeinde angesichts von Bedrängnis, Verfolgung und Irrlehren entgegensteht.

Geht man von einem genitivus obiectivus aus, dann sind es die Adressaten (oder auch allgemein die Christen), denen „hypomonê“ eigen ist. Blickt man auf 2 Thess 1,4, dann mag an die Standhaftigkeit in Christus bzw. im christlichen Glauben allen Bedrängnissen und Verfolgungen zum Trotz gedacht sein. Vorbild wäre dann das Leiden Christi. Mit Blick auf 1 Thess 1,3 kann aber auch an das geduldige Harren auf Christus gedacht sein. Dieses spielt insofern eine Rolle, als der Tag des Herrn noch nicht da ist (vgl. 2 Thess 2,1-2) und sich die Christen im Hinblick auf die Wiederkunft Christi noch in Geduld üben müssen. Bedenkt man darüber hinaus, dass Standhaftigkeit und geduldiges Harren keine menschlichen Leistungen sind, sondern der Stärkung durch Christus bedürfen (vgl. 2 Thess 3,3), dann kann es sich bei dem Genitiv „tou Christou“ der Formulierung „eis tên hypomonên tou Christou“ auch um einen genitivus originis handeln, also um einen Genitiv, der den Ursprung aussagt. Dann wäre gemeint, dass Standhaftigkeit und geduldiges Harren von Christus her stammen.


Weiterführende Literatur: N. Gupta 2008, 179-194 sieht in 2 Thess 3,5 eine Anspielung auf Ps 78,8 (Ps 77,8LXX). Ps 78 erzähle die Geschichte Israels nach und zeige Gottes Güte und Israels Undankbarkeit und beständige Verbohrtheit und Verweigerung gegenüber Gottes Weisungen auf. Dabei setze der Psalmist auf die „kommende Generation“, dass sie sich über die „gottlose und entartete“ Generation erhebt. Als sprachliche Übereinstimmung sei der Gebrauch der Worte „kateuthynô“ („lenken/richten“) und „kardia“ („Herz“) auffällig, als thematische Übereinstimmung falle insbesondere die „Standhaftigkeit/Geduld“ („hypomonê“) ins Auge. In Ps 77,8LXX tauche auch das Verb „pistoô“ auf, das allgemein „durch ein(en) Eid/Vertrag/Versprechen gebunden sein“ bedeute und in dem Psalmvers die Treue zum Bund mit Gott und das Widerstehen gegenüber der Versuchung, in die Verhaltensmuster der gottlosen Generation zu verfallen, beinhalte. Paulus greife diese Vorstellung auf und übertrage sie in apokalyptischer Weise auf diejenigen „in Christus“, die treuer sein könnten, als es den Israeliten je möglich gewesen sei. Diese Botschaft sei gerade für eine Kirche, die sich in eschatologischer Verwirrung befindet, Verfolgung erleidet und sich innerhalb der Gemeinde mit „Unordentlichen“ (vgl. V. 6) konfrontiert sieht, wichtig.


J. Lambrecht 2000, 435-441 diskutiert die Bedeutungsmöglichkeiten der beiden Genitivkonstruktionen „Liebe (des) Gottes“ und „Geduld (des) Christi“. Zu einem gänzlich sicheren Ergebnis vermag er bezüglich der Bedeutung nicht zu kommen, jedoch hält er es für durchaus wahrscheinlich, dass es sich in beiden Fällen um einen genitivus obiectivus handelt. Das Verb „kateuthynô“ („lenken/richten“) sei wohl aus 1 Thess 3,11 übernommen. Es gehe darum, die Aufmerksamkeit auf die „Liebe (des) Gottes“ zu richten, also das Handeln nach der „Liebe (des) Gottes“ auszurichten. Es liege wohl eine Bedeutung ähnlich 1 Joh 5,3 vor: Die Liebe zu Gott bestehe darin, dass wir seine Gebote halten. Und „Geduld (des) Christi“ sei wohl im Sinne von „standhaft auf Christus harren“ zu verstehen. In beiden Fällen sei also ein (von Gott gegebenes) Bemühen seitens der Christen gemeint. Nirgends im NT werde der Begriff „hypomonê“ („Standhaftigkeit/Geduld“) im Sinne der Beharrlichkeit oder der Standhaftigkeit Christi verwendet, was gegen das Vorliegen eines genitivus subiectivus spreche.



Literaturübersicht


Blocher, Henri; L'Écriture d'après l'Écriture: la tradition apostolique (2 Thessaloniciens 2.13- 3.8), in: H. Blocher [éd.], La Bible au microscope. Exégèse et théologie biblique. Vol. I, Vaux-sur-Seine 2006, 91-97

Gupta, Nijay, An Apocalyptic Reading of Psalm 78 in 2 Thessalonians 3, JSNT 31/2 (2008), 179-194

Lambrecht, Jan; Loving God and Steadfastly Awaiting Christ, ETL 76/4 (2000), 435-441

Sumney, Jerry L.; The Bearing of a Pauline Rhetorical Pattern on the Integrity of 2 Thessalonians, ZNW 81/3-4 (1990), 192-204

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