Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 1,12-17

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 1,12-17



Übersetzung


1 Tim 1,12-17 : 12 Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich für treu gehalten und in [seinen] Dienst genommen, 13 obwohl ich früher ein Lästerer und Verfolger und Frevler war. Aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich wusste in [meinem] Unglauben nicht, was ich tat. 14 Doch über alle Maßen groß war die Gnade unseres Herrn und mit ihr Glaube und Liebe in Christus Jesus. 15 Glaubwürdig ist das Wort und aller Annahme wert: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste. 16 Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, damit an mir als Erstem Christus Jesus seine ganze Langmut erweise, als Vor-Bild für diejenigen, welche künftig an ihn glauben zum ewigen Leben. 17 Dem König der Ewigkeit, [dem] unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott sei Ehre und Ruhm in alle Ewigkeit.



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V. 12


Beobachtungen: In V. 3-7 hat „Paulus“ den „Timotheus“ aufgefordert, gegen Irrlehrer vorzugehen. Die Irrlehrer legen das „Gesetz“ nicht richtig aus, sondern ziehen Fabeln und endlose Geschlechtsregister heran. Damit lehren sie nicht das Evangelium, wie es dem Paulus anvertraut worden ist. Gemäß V. 11 ist das Evangelium die Richtschnur, an der sich die Verkündigung und Lehre auszurichten hat. Dabei stehen die paulinische Verkündigung und Lehre für die unverfälschte Verkündigung und Lehre des Evangeliums.


Paulus ist das Evangelium anvertraut worden. Das Passiv ohne Nennung einer handelnden Person weist darauf hin, dass Jesus Christus (und/oder Gott) Paulus das Evangelium anvertraut hat. In V. 12 wird nun ausdrücklich gesagt, wer Handelnder ist: Christus Jesus (= Jesus Christus). Auch wenn nicht sicher ist, dass er – und nicht Gott – Paulus das Evangelium anvertraut hat, so wird doch ausdrücklich gesagt, dass er Paulus Kraft gegeben, ihn für treu gehalten und ihn in seinen Dienst genommen hat. Kraft benötigte Paulus, um überhaupt die strapaziöse und gefährliche christliche Missionsarbeit auf sich nehmen und über Jahre hinweg durchführen zu können. Auch mag an kraftvolle Verkündigung und Lehre gemeint sein. Mit der „Treue“ ist wohl die Standhaftigkeit im Glauben und die unverfälschte Verkündigung und Lehre gemeint, die die Missionsarbeit des Paulus prägen sollten. Und der Begriff „Dienst“ macht deutlich, dass die Missionsarbeit im Auftrag Christi geschehen ist und nicht aus eigenem Antrieb oder aufgrund von Reiselust. Paulus musste den Dienst antreten, ohne es selbst zu wollen.


All dies bezieht sich wohl auf den Glauben und auf die Mission des Paulus. Paulus ist trotz aller Bedrängnis und Verfolgungen standhaft bei dem (rechten) Glauben an Jesus Christus geblieben, hat das Evangelium Christi kraftvoll und unverfälscht verkündigt, Gemeinden gegründet, aufgebaut und gefestigt.


Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen. Im NT ist „Herr“ ein religiöser Hoheitstitel für Gott und dann auch Jesus Christus. Im heidnischen Umfeld kommt er heidnischen Göttern und schließlich insbesondere dem Kaiser zu. Die unterschiedliche Verwendung macht eine Diskrepanz bezüglich der Frage deutlich, wem Verehrung zuteil werden soll.


Weiterführende Literatur: P. G. Bush 1990, 152-156 widerspricht Äußerungen, wonach 1 Tim keine wirkliche Struktur und keinen roten Faden bezüglich des Gedankenganges habe. Tatsächlich habe 1 Tim eine klare und durchdachte Struktur – eine Struktur, die darauf hinweise, wie die Botschaft des Briefes zu verstehen ist. 1,3-11 bilde den Hintergrund, auf dem das gesamte Briefkorpus zu lesen sei. 1 Tim 1,12-20 und 6,11-16.20.21 seien in hohem Maße Parallelen und bildeten eine inclusio, umschlössen also den Brief. Dabei sei eine Entwicklung des Gedankengangs zu erkennen: Zunächst gehe es darum, wie „Paulus“ von Jesus Christus das Evangelium empfangen hat. „Paulus“ gebe das Evangelium im Sinne eines Mittlers an „Timotheus“ weiter. In 6,11-16.20.21 werde dann deutlich, dass „Timotheus“ in Zukunft nicht mehr „Paulus“ Rechenschaft abzulegen hat, sondern Gott. Dieser Gedankengang entspreche der Funktion des Briefes, die paulinische Tradition einer neuen Führungsperson zu übergeben und das Evangelium mit Blick auf die erste nachpaulinische Generation zu aktualisieren. Zentraler Inhalt des 1 Tim sei, dass eine recht geleitete und geordnete Kirche in der Lage sei, wirksam Irrlehre zu bekämpfen.


L. A. Jervis 1999, 695-712 geht der Frage nach, wer Paulus in der Rhetorik des 1 Tim ist. Dabei befasst sie sich nicht mit der Verfasserfrage, sondern – auf Grundlage von 1,11-17; 2,3b-7; 3,14-16 - nur mit der Absicht, der die Person des Paulus in 1 Tim dient. Paulus erscheine als eine Autoritätsperson und die Bekenntnisse seien autoritative Texte. Die drei Bekenntnisse erinnerten an die Geschichte der Gemeinschaft. Paulus werde als eine Persönlichkeit dargestellt, die die wahre Geschichte kennt, die dazu bestimmt ist, die wahre Geschichte zu erzählen, und die Anweisungen bezüglich der angemessenen Frömmigkeit geben kann. Paulus sei der Dichter der Gemeinschaft. In der Antike sei die Dichtung als wirksamstes Mittel der Unterrichtung angesehen worden. Folglich habe die Stimme des Dichters Kraft gehabt.


L. T. Johnson 2008, 19-39 liest 1 Tim 1,8-17 im Lichte eines doppelten Kontrastes: Der erste Kontrast sei das Werk Gottes und das Bestreben des Menschen. Der zweite Kontrast sei die von Bewusstsein geleitete Lebensweise und die vom jüdischen Religionsgesetz geleitete Lebensweise.


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V. 13


Beobachtungen: Lästerer, Verfolger und Frevler war Paulus wohl insofern, als er vor seiner Bekehrung und Beauftragung Jesus Christus und den christlichen Glauben gelästert und die Christen verfolgt und insofern gefrevelt hat (vgl. Apg 7,54-8,3). Es fällt auf, in welchem Maße die vorchristliche Zeit des Paulus negativ geschildert wird. Dabei wird nicht das Judentum an sich negativ dargestellt, sondern die christenfeindliche Haltung des Paulus. Der vorchristliche Paulus könnte in seiner Schlechtigkeit durchaus ein Heide sein.


Eigentlich hätte der Lästerer, Verfolger und Frevler Paulus es nicht verdient gehabt, zum christlichen Glauben und damit zum Heil zu kommen und dann sogar noch ein bekannter und erfolgreicher Missionar zu werden. Eigentlich hätte Paulus aufgrund seines Tuns das Verderben verdient gehabt. Dass es schließlich nicht zum Verderben gekommen ist, ist nicht Verdienst des Paulus, sondern liegt nur in der Barmherzigkeit Gottes bzw. Jesu Christi begründet. Paulus hätte sich gar nicht selbst aus seinem frevelhaften Dasein befreien können, weil er ja in seinem Unglauben gefangen war. Aus diesem Unglauben heraus dachte und handelte er. Weil Wissen nach dem Verständnis des „Paulus“ den christlichen Glauben voraussetzt, wusste Paulus nicht, was er tat. Ihm fehlte der richtige Bewertungsmaßstab für sein Tun, weshalb er dieses nicht reflektieren konnte.


Weiterführende Literatur: Zur besonderen Bedeutung des Bekenntnisses im Leben des Verfassers der Pastoralbriefe siehe M. Villalobos Mendoza 2014, 81-111.


Laut R. van Houwelingen 2008, 1715-1733 entspreche die Darstellung des Paulus in 1 Tim 1,13 als Lästerer und Verfolger und Frevler dem „Gottesfeind“, wie er aus der antiken jüdischen Literatur bekannt sei. Aber Paulus sei nicht göttliche Rache widerfahren, sondern göttliche Gnade. Er sei somit ein Kämpfer für Gott geworden, der Anwalt des Christentums. Aber wie kann 2 Tim 1,3 dann sagen, dass Paulus von seinen Vorfahren her mit reinem Gewissen Gott dient? Das könnte als merkwürdige Diskrepanz verstanden werden. Eine Auslegung beider Passagen zeige jedoch, dass das Bild des Paulus in den Pastoralbriefen konsistent sei. Paulus habe seinen Glauben neu definieren müssen, dabei aber stets nur den Gott seiner Vorfahren verehrt.

Ausführlich zur Darstellung des Gottesfeindes und zur Besonderheit des Paulus, der Erbarmen findet und dazu noch in den apostolischen Dienst der Verkündigung berufen wird, siehe M. Wolter 1989, 48-66, der sich insbesondere traditionsgeschichtlichen Aspekten widmet. Es könne ohne Mühe gezeigt werden, dass sich die Sicht der vorchristlichen Zeit des Paulus, wie sie 1 Tim 1,13 vermitteln wolle, grundsätzlich von der eigenen Darstellung des Paulus unterscheidet. An keiner Stelle sehe Paulus selbst seine Verfolgertätigkeit als durch Unkenntnis bestimmt an. Auch stelle er sich nicht als Gottesfeind dar, sondern führe seine Verfolgung auf positive Überzeugung, auf Eifer für das Gesetz, zurück. In der Apostelgeschichte ließen sich zwar gewisse Affinitäten zur Gottesfeindtypologie beobachten, jedoch handele es sich um eine von 1 Tim 1,13 unabhängige, gleichwohl aber traditionsgeschichtlich verwandte Darstellung des Christenverfolgers Paulus als eines Gottesfeindes. Dessen Gottesfeindschaft sei in der Apg narrativ angedeutet, während sie in 1 Tim 1,13 in begrifflicher Zuspitzung zum Ausdruck gebracht werde.


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V. 14


Beobachtungen: Schon das Verb „pleonazô“ bedeutet „mehr als genug sein/werden/haben“ oder „vermehren“. In 1 Tim 1,14 – es ist das einzige Vorkommen im NT - findet sich nun das Verb „hyperpleonazô“. Das Präfix „hyper“ steigert den Überfluss weiter, womit „hyperpleonazô“ die Bedeutung „über alle Maßen groß sein/werden“ oder „sich überreich zeigen“ hat.

Warum betont „Paulus“ den Überfluss so sehr? Zunächst einmal ist anzumerken, dass die Verbform „hyperepleonasen“ ein Aorist ist. Es ist also ein einmaliges, abgeschlossenes Geschehen im Blick. Es geht also nicht um eine längere Zeitdauer, in der sich die Gnade „unseres Herrn“ immer weiter steigerte, und auch nicht um eine Hervorhebung des Ergebnisses der übermäßigen Gnade, wie es sich als überwältigender Missionserfolg zeigt. Vielmehr dürfte weiterhin die Bekehrung bzw. Beauftragung des Paulus gemeint sein. Damit knüpft V. 14 an die Formulierung „Barmherzigkeit widerfahren“ in V. 13 an, steigert sie und bringt zudem neue Aspekte ins Spiel. Eine Steigerung erfolgt insofern, als betont wird, dass die Barmherzigkeit bzw. Gnade völlig unverdient war. Zugleich kommt der große Missionserfolg in den Blick: Es geht nicht mehr nur darum, dass Paulus unverdient und aus reiner Gnade Barmherzigkeit widerfahren ist, sondern dass die Gnade Christi etwas enorm Positives bewirkt hat, nämlich Missionserfolg. Nun geht es aber nicht darum, dass aus einem Frevler und Christenverfolger ein heldenhafter Missionar geworden ist. Vielmehr geht es um die Grundlagen rechter Verkündigung und Lehre. Grundsätzlich werden Beauftragung, Verkündigung und Lehre durch Jesus Christus bewirkt. Jesus Christus ist sowohl heilsam wirkende Kraft als auch Richtschnur. Verkündigung und Lehre setzen den Glauben an Jesus Christus voraus, und zwar einen gänzlich ungeheuchelten, überzeugenden. Außerdem setzen Verkündigung und Lehre Liebe voraus, wobei Liebe Gott und Jesus Christus gegenüber, den Mitmenschen gegenüber und sich selbst gegenüber gemeint sein dürften. Gemäß 1 Tim 1,5 ist Liebe das Ziel der Unterweisung. Und die Liebe wird aus einer Haltung heraus gelebt, die den ungeheuchelten Glauben einschließt. Liest man V. 14 von V. 5 her, dann erscheint Paulus als ein perfekt Unterwiesener, der trotz seiner völlig unperfekten Vergangenheit in höchstem Maße zur Unterweisung befähigt wurde. Er ist dazu in höchstem Maße befähigt, weil Jesus Christus ein perfekter Lehrer ist, der Paulus perfekt im Evangelium unterwiesen hat. Er hat Paulus voll und ganz vertraut – „pistis“ bedeutet zugleich „Glaube“ und „Vertrauen“. So ist Paulus zu seinem ungeheuchelten, standhaften Glauben gekommen. Und so konnten durch das Wirken Jesu Christi (und Gottes) durch den Diener Paulus viele weitere Menschen zum christlichen Glauben gebracht werden. Jesus Christus hat auch über alle Maßen Paulus geliebt. Indem er dem Frevler und Christenverfolger Paulus Barmherzigkeit erwiesen hat, hat er seine übermäßige Liebe gezeigt. Und durch das Wirken Jesu Christi ist Paulus dazu befähigt worden, Jesus Christus zu lieben. Und er ist auch dazu befähigt worden, andere Menschen zu lieben, indem er ihnen das Evangelium verkündigt und die rechte christliche Lehre gelehrt hat. Andere Menschen durch Verkündigung und rechte Lehre dem Heil in Jesus Christus zuzuführen, ist ein großer Liebesbeweis. Und gemäß V. 5 ist die Liebe ja das Ziel der Unterweisung. Bei Paulus wurde das Ziel ebenso erreicht wie bei vielen anderen Menschen, die zur Liebe gekommen sind, nämlich zur Liebe Christi, zur Nächstenliebe und zur Selbstliebe. Und die größte Selbstliebe ist es ja, durch seinen Glauben und sein Handeln im Macht-, Wirk- und Heilsraum Jesu Christi – so ist wohl die Formulierung „in Christus Jesus“ zu verstehen - das Heil zu erstreben.


Weiterführende Literatur: A. T. Hanson 1981, 210-211 arbeitet Parallelen zwischen Ex 34,6LXX und 1 Tim 1,14-16 heraus. Diese legten nahe, dass der Verfasser der Pastoralbriefe kühn behaupte, dass Christi Selbstoffenbarung Paulus gegenüber tatsächlich eine Offenbarung von Gottes eigenem Wesen gewesen sei, so wie sie auf dem Berg Sinai geschehen ist (vgl. Ex 33-34).


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V. 15


Beobachtungen: Der altgriechische Begriff „logos“ („Wort“) meint hier kein einzelnes Wort, sondern eine Aussage, und zwar die folgende Aussage „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten“. „Logos“ kann auch das gesamte Evangelium bezeichnen. Es ist also möglich, dass die Aussage „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten“ als Quintessenz des Evangeliums verstanden wird.


Wenn das Wort „glaubwürdig“ ist, dann ist es völlig anders beschaffen als die Fabeln und die endlosen Geschlechtsregister, die „Paulus“ in 1,5 kritisiert hat. Diese sind seiner Meinung nach schwer verständlich, führen zu Streiterei und haben für das Heil des Menschen keine Relevanz.


Das Verb „êlthen“ ist mit „er ist gekommen“ zu übersetzen. Offen bleibt, wie Jesus Christus (= Christus Jesus) in die Welt gekommen ist und welche theologische Vorstellung dahinter steckt. Man kann das Verb im Sinne der Präexistenz Christi deuten. Demnach wäre Jesus Christus schon vor seiner Geburt existent gewesen, ohne dass gesagt würde, in welcher Weise. Man kann das Kommen auch auf die Geburt beziehen. Dann wäre das Verb „êlthen“ im Sinne von „er ist geboren worden“ zu deuten. Aber man braucht das Verb nicht unbedingt genauer zu deuten. Man kann es auch einfach bei der Deutung „er ist gekommen“ belassen, ohne zu klären, wie Jesus Christus gekommen ist und ob an Präexistenz gedacht ist oder nicht. All dies ist nämlich nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Jesus Christus Sünder gerettet hat. Auf welche Weise dies erfolgt ist, bleibt offen, aber es liegt nahe, dass an das Kreuzesgeschehen gedacht ist. Ohne das „Kommen“ wäre das Kreuzesgeschehen nicht möglich gewesen.


Die Rettung der Sünder (aus dem Verderben) ist das entscheidende Heilsgeschehen. Und dieses Heilsgeschehen betrifft an aller erster Stelle Paulus, der als „der Erste von den Sündern“ bezeichnet wird (bzw. sich scheinbar selbst als „der Erste von den Sündern“ bezeichnet). „Der Erste von den Sündern“ ist er aber sicherlich nicht im zeitlichen Sinn, denn das würde ja bedeuten, dass es vor Paulus keine Sünder gab. Vielmehr ist er der „Erste von den Sündern“ in Hinblick auf das Ausmaß der Sünde. Das mag man angesichts von Schwerverbrechern, die es auch damals gab, für übertrieben halten. Aber es geht hier nicht um das penible Aufrechnen von Sünde. Es geht um die Relevanz, und zwar um die Relevanz für Paulus, um die Relevanz für die Mission und um die Relevanz für die Verwirklichung des Heilsplanes Gottes.


Auch im Hinblick auf die Lehre ist die Relevanz von herausragender Bedeutung. Wenn ein Lehrer die Relevanz des Lernstoffes zu vermitteln weiß, lehrt er überzeugender. Und die Schüler lernen besser, insbesondere wenn sie eine Relevanz konkret für das eigene Leben sehen. Bezüglich des Heilsgeschehens ist „Relevanz“ allerdings ein zu schwacher Begriff. Es geht um existenzielle Betroffenheit, wie sie an erster Stelle Paulus gespürt hat. Diese existenzielle Betroffenheit vermochte er dermaßen gut zu vermitteln, dass er zum bekanntesten und erfolgreichsten Missionar wurde und zum maßgeblichen Lehrer – so maßgeblich, dass sich auch der Verfasser des 1 Tim auf die Autorität des Paulus beruft und sich als „Paulus“ bezeichnet (vgl. 1,1).


Weiterführende Literatur: S. Hareȥga 2013, 57-69 identifiziert das Wesentliche der Mission von der Perspektive seines Inhaltes, Subjekts und seiner Empfänger her..Das Wesentliche sei, dass Jesus Christus auf die Erde gekommen ist, um Sünder zu retten. Während es für den Empfänger schwer sei zuzugeben, dass er ein Sünder ist, helfe einem die heilende Begegnung mit Christus, sich selbst zu sterben und ein neues Leben in Gemeinschaft mit Gott und Anderen zu leben. Diese Erfahrung befähige den Empfänger, ein froher Verkündiger zu werden.


Zur Auslegung von 1 Tim 1,15-16 und Röm 6,12-13 in den Predigten des Augustinus zur Zeit des Pelagianischen Streits und in den Traktaten wider Pelagius siehe A. Dupont 2011, 130-148. Das Thema der Sünde behandele Augustinus in seinen Predigten zur Zeit des Pelagianischen Streits nicht anders als in seinen Traktaten wider Pelagius. Unterschiedlich sei jedoch in den beiden Schriftgattungen der Gebrauch von Bibelstellen. In seinen Predigten entwickle Augustinus seine anti-pelagianische Argumentation hinsichtlich der universalen menschlichen Sündhaftigkeit anhand von ganz bestimmten Bibelstellen, die als anti-pelagianische topoi zitiert würden. Solche fehlten in den systematischen Schriften des Augustinus wider Pelagius des Öfteren.


Gemäß D. Gerber 2000, 463-477 sei der Verfasser der Pastoralbriefe bemüht, das paulinische Erbe zu aktualisieren. Dabei habe er nicht gezögert, auch aus anderen Quellen zu schöpfen. Allerdings erstaune die auf das Kommen Jesu fokussierte Formel. Zeuge diese, über das Bemühen einer Synthese hinausgehend, von dem Willen, eine zu stark auf das Kreuz ausgerichtete Sicht zu korrigieren? D. Gerber hält dies für möglich. Diese Paulus selbst zugeschriebene Korrektur könne der Vorbereitung einer Annäherung der paulinischen Gemeinden und der auf andere frühchristliche Strömungen zurückgehende Gemeinden gedient haben. Sicher lasse sich dies jedoch nicht sagen.


Laut K. Löning 2008, 134-138 werde der wahre Kern der christlichen Soteriologie, den Timotheus gegen die Irrlehrer und deren falsche Gesetzesinterpretation verteidigen solle, von Paulus nicht bloß gelehrt, sondern vor allem verkörpert.


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V. 16


Beobachtungen: „Paulus“ bezeichnet Paulus als „hypotypôsis“, als „Vor-Bild“. Dabei handelt es sich nicht um ein Vorbild, dem es nachzueifern gilt, sondern um ein Vor-Bild, das auf spätere Geschehnisse hinweist, ihnen entspricht und sie vorweg abbildet. Auch anderen Menschen, die Sünder waren, wird Barmherzigkeit widerfahren und ihnen wird Jesus Christus seine ganze Langmut erweisen. Auch sie werden zum Glauben an Jesus Christus kommen und schließlich das ewige Leben empfangen. Der Begriff „hypotypôsis“ taucht nur in 1 Tim 1,16 und 2 Tim 1,13 auf, ansonsten wird im NT der Begriff „typos“ verwendet. Von ihm ist der Begriff „Typologie“ hergeleitet.

Dass Paulus als Vor-Bild dargestellt wird, erklärt, warum sein vorchristliches Leben dermaßen schlecht dargestellt wird, als sei er der größte Übeltäter auf Erden gewesen. Nur so kann er nämlich als Vor-Bild für alle Menschen gelten, die zum Glauben kommen. Es kann also nicht vorgebracht werden, dass Paulus doch nur in Maßen sündig gewesen sei und Schwerverbrecher ein anderes Kaliber seien, denen keine Gnade zuteil werden könne. Aus Sicht des Paulus ist es aber möglicherweise tatsächlich so gewesen, dass er sich als der größte Übeltäter auf Erden empfunden hat. Schließlich hat er den Heiland und dessen Anhänger verfolgt. Eigentlich sind in den Augen des Paulus die Heiden der Inbegriff des Schlechten und die Juden ein von Gott auserwähltes Volk, weshalb der Judenchrist Paulus in den vermutlich echten Paulusbriefen die Schlechtigkeit seines vorchristlichen Daseins nicht so betont. Dass er im 1 Tim so schlecht wie die Heiden dargestellt wird, lässt erkennen, dass er nach seiner Annahme des christlichen Glaubens mit der Mission der Heiden befasst war. Wenn Paulus sich gemäß der Darstellung des 1 Tim so schlecht wie die Heiden verhalten hat, kann er als zum christlichen Glauben gekommener Jude uneingeschränkt Vor-Bild für die Heiden sein, die zum christlichen Glauben kommen.


Weiterführende Literatur:


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V. 17


Beobachtungen: Die Formulierung „tô de basilei tô aiônôn“ ist wörtlich mit „dem König der Weltzeiten“ wiederzugeben. Die Mehrzahl aufeinander folgender Weltzeiten („aiônes“) bildet die Ewigkeit. Insofern kann „tô de basilei tô aiônôn“ auch mit „dem König der Ewigkeit“ wiedergegeben werden. Gott herrscht also in Ewigkeit und es gibt keine Weltzeit, in der er nicht König war, König ist oder König sein wird.


Die Formulierung „eis tous aiônas tôn aiônôn“ (wörtlich: „in den Weltzeiten der Weltzeiten“), die „in alle Ewigkeit“ bedeutet, ist eine liturgische Formel. Gott gebührt in alle Ewigkeit, also in allen Weltzeiten, Ehre und Ruhm.


Dass Gott „einzig“ („monos“) ist, ist Kernaussage des „Schema Jisrael“ („Höre Israel“; Dtn 6,4), des jüdischen Glaubensbekenntnisses. Die Aussage ist auf dem Hintergrund der heidnischen Umwelt zu verstehen, die von der Existenz vieler Götter ausging. Aus christlicher Sicht haben aber die vielen Götter keinerlei Relevanz für das menschliche Heil, denn sie haben nichts mit Jesus Christus und somit nichts mit Sündenvergebung und ewigem Leben zu tun. Allein der Gott Israels bewirkt mit seinem Heilsplan und dessen Umsetzung Heil. Möglich ist darüber hinaus, dass mit der Aussage „Gott ist einzig“ die Existenz anderer Götter infrage gestellt wird. Der Gott Israels wäre demnach nicht nur der einzige für das Heil des Menschen relevante Gott, sondern zugleich der einzige existente Gott. In Dtn 6,4LXX findet sich „heis“ („einer“) statt „monos“ („einzig“).


Amên“ ist hebräisch und bedeutet „gewiss“. Es wird also abschließend bekräftigt, dass das zuvor in dem Gotteslob Gesagte gewisslich wahr ist.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bush, Peter G.; A Note on the Structure of 1 Timothy, NTS 36/1 (1990), 152-156

Dupont, Anthony; Augustine's Exegesis of 1Tim 1,15-16 and Rom 6,12-13. A Specific Use of the Scriptures within the Anti-Pelagian Sermones, ZNW 102/1 (2011), 130-148

Gerber, Daniel; 1 Tm 1,15b: L'indice d'une sotériologie pensée prioritairement en lien avec la venue de Jesus?, RHPR 80/4 (2000), 463-477

Hanson, A. T.; The Use of the Old Testament in the Pastoral Epistles, IBS 3/4 (1981), 203-219

Hareȥga, S.; Istota ewangelizacji w świetle orędzia 1 Tm 1,12-17, ColT 83/1 (2013), 57-69

Jervis, L. Ann; Paul the Poet in First Timothy 1:11-17; 2:3b-7; 3:14-16, CBQ 61/4 (1999), 695-712

Johnson, Luke Timothy; First Timothy 1,1-20: The Shape of the Struggle, in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 19-39

Löning, Karl; "Von ihnen bin ich der Erste" (1 Tim 1,15). Paulus als soteriologische Schlüsselfigur in den Pastoralbriefen, in: T. Schmeller [Hrsg.], Neutestamentliche Exegese im 21. Jahrhundert. Grenzüberschreitungen, Freiburg i. Br. 2008, 131-150

van Houwelingen, Rob; Een godvechter wordt voorvechter, HTS 64/4 (2008), 1715-1733

Villalobos Mendoza, Manuel; When Men Were Not Men: Masculinity and Otherness in the Pastoral Epistles (The Bible in the Modern World 62), Sheffield 2014

Wolter, Michael; Paulus, der bekehrte Gottesfeind. Zum Verständnis von 1 Tim 1:13, NT 31/1 (1989), 48-66

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