Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 2,1-7

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 2,1-7



Übersetzung


1 Tim 2,1-7 : 1 So ermahne ich nun vor allen Dingen, Bitten, Gebete, Fürbitten [und] Danksagungen für alle Menschen darzubringen, 2 für Könige und alle Amtsträger, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor unserem Rettergott, 4 der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. 5 Einer nämlich ist Gott und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, [der] Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst als Lösegeld für alle gegeben hat, als das Zeugnis zur rechten Zeit, 7 für welches ich eingesetzt wurde als Herold und Apostel – ich sage die Wahrheit, lüge nicht -, als Lehrer der Heiden in Glaube und Wahrheit.



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V. 1


Beobachtungen: Nachdem „Paulus“ den „Timotheus“ ermahnt hat, in Ephesus zu bleiben und die Irrlehren zu unterbinden (1,3-20), kommt er nun auf die Ordnung der Gemeinde zu sprechen. Zunächst befasst er sich mit dem Gebet. Zuerst geht er auf das Gebet für alle Menschen und speziell für Könige und alle Amtsträger ein, danach auf das rechte Verhalten von Männern und Frauen in der Gemeinde (2,8-15).


„Paulus“ reiht eine Vielzahl von Begriffen mit ähnlicher oder gleicher Bedeutung aneinander: „deêseis“ („Bitten“), „proseuchas“ („Gebete“), „enteuxeis“ („Gebete“) und „eucharistias“ („Danksagungen“). Warum tut er das? Zunächst fällt eine gewisse Ähnlichkeit der Formulierung mit Phil 4,6 auf. Dort heißt es: „… sondern in allem sollen durch das Gebet und die Bitte mit Danksagung eure Anliegen vor (dem) Gott kundwerden.“ Das Vorbringen der Anliegen seitens der Christen geschieht durch „das Gebet und die Bitte“ („tê proseuchê kai tê deêsei“), wobei die Formulierung wohl als Hendiadyoin zu verstehen ist: eine Sache wird durch zwei Begriffe – „proseuchê“ und „deêsis“ – wiedergegeben, die beide dasselbe meinen, nämlich das Gebet bzw. die Bitte im Gebet. Beide Begriffe tauchen auch in 1 Tim 2,1 auf. Von „Danksagungen“ („eucharistias“) ist ebenfalls die Rede. Allerdings sind die „Danksagungen“ hier ein Bestandteil der Aufzählung, wogegen in Phil 4,6 die „Danksagung“ die Haltung ist, mit der das Gebet und die Bitte vor Gott gebracht werden. Indem „Paulus“ in 1 Tim 2,1 noch einen vierten Begriff, nämlich „enteuxeis“ („Gebete“), hinzufügt, ist die Aufzählung komplett. Es wirkt so, als wolle „Paulus“ keinen Begriff auslassen, obwohl das für das Verständnis des Satzes nicht nötig ist. Damit haben wir davon auszugehen, dass der Vollständigkeit Bedeutung für die Aussage des Satzes zukommt. Es liegt nahe, dass „Paulus“ sagen will, dass jegliche Art von Gebet dargebracht werden soll. Das unterstreicht die Wichtigkeit, die „Paulus“ dem Gebet (und zwar jeglicher Art) beimisst.

Die Wichtigkeit (aller Arten) des Gebetes geht auch aus der Formulierung „vor allen Dingen“ hervor. Damit wird über die Wichtigkeit hinaus auch die Priorität verdeutlicht: (Jede Art) Gebet ist wichtiger als alles andere.


Dass Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen für alle Menschen dargebracht werden sollen, scheint auf den ersten Blick nichts Besonderes zu sein. Es scheint zunächst einmal gut nachvollziehbar, dass ein Christ, der Nächstenliebe üben soll, für alle Menschen betet. Schließlich sind alle Menschen seine Nächsten. Bedenkt man aber, dass das frühe Christentum die Christen scharf von den Heiden und weniger scharf auch von den Juden trennte, dann ist diese Aussage aber schon erstaunlich. Immerhin sahen sich die Christen als erwählt, rein, heilig und dem Licht zugehörig an und hofften auf das ewige Leben. Mindestens die Heiden dagegen waren in ihren Augen verstockt, unrein, profan und der Finsternis zugehörig. In den Augen der Christen hatten die Heiden nicht das ewige Leben, sondern das Verderben, den Tod zu erwarten. Insofern gab es für Christen nur einen Grund, für Heiden zu beten: Dass diese aus ihrer Verstockung befreit und dem christlichen Glauben zugeführt werden mögen. Es ist gut möglich, dass in V. 6 dieser Aspekt im Blick ist. Aber „alle Menschen“ sind ja nicht nur Heiden, sondern auch Juden und Christen. Bezüglich der Juden kann im Blick sein, dass diese anerkennen sollen, dass Jesus der ihnen verheißene Messias (= Christus) ist. Und die Christen schließlich sollen standhaft in ihrem Glauben bleiben, auch wenn sie von Irrlehren oder Verfolgung bedroht werden. Und christliche Irrlehrer sollen wieder zum rechten Glauben zurückkommen. All dies wird nicht ausdrücklich so gesagt, nimmt aber das große Gewicht ernst, das der christliche Glaube im Dasein der Christen hatte. Dieses Gewicht lässt auch der Zweite Timotheusbrief auf Schritt und Tritt erkennen. Neben dieser wahrscheinlichen Deutung ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass auch in profanen Dingen, z. B. hinsichtlich der Verschonung vor Unglück, für alle Menschen gebetet werden soll.


Weiterführende Literatur: M. M. Mitchell 2008, 41-62 untersucht die Rolle, die die „Korrektur“ in der Komposition und Exegese von 1 Tim 2 spielt. Die Pastoralbriefe betrieben „fiktive Selbstauslegung“ des inzwischen bereits verstorbenen Paulus. Aber auch dem Verfasser der Pastoralbriefe gelinge es trotz allen Bemühens nicht, seine Texte unauslöschlich festzuschreiben, denn sie blieben stets offen für verschiedene Formen des Strebens nach „Verbesserungen“. Ein solch lebendiger Prozess der Textentstehung und -deutung lasse sich besonders gut am Codex H aufzeigen, der ebenfalls Gegenstand vielfältiger „Korrektur“ gewesen sei.


C. A. Pate 1993 geht davon aus, dass allen paulinischen Schlüsseltexten zum Leiden das Muster der Herstellung von Adams Herrlichkeit durch gerechtes Leiden zugrunde liege. Auf S. 318-326 befasst er sich mit 1 Tim 2,1-15: In den Pastoralbriefen seien Leid und Herrlichkeit nicht voneinander zu trennen. Paulus glaube, dass die paradiesische Harmonie durch Christus wieder hergestellt wird, und zwar auf folgende Weise: politisch (V. 1-3), geistlich (V. 4-6), in Bezug auf die Abstammung (V. 7-8) und geschlechtlich (V. 9-15). Dazu sei Unterwerfung unter die göttliche Ordnung erforderlich.


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V. 2


Beobachtungen: Könige und alle Amtsträger (wörtlich: „alle, die in hoher Stellung sind“) werden separat genannt. Das ist zunächst einmal mit ihrer herausgehobenen politischen Stellung zu begründen. Zum anderen hat das aber auch damit zu tun, dass Könige und Amtsträger für das Schicksal der Christen eine besondere Bedeutung haben. V. 2 macht nämlich deutlich, dass sämtliche Arten des Gebets, die dargebracht werden sollen, letztendlich auf das Wohlergehen der christlichen Gemeinschaft zielen. Ziel ist, „dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“. Die Formulierung „ruhiges und stilles Leben“ bleibt unklar. Es lässt sich nur sagen, dass es um das Verhältnis zwischen den Königen und allen Amtsträgern und wohl auch allen anderen Menschen und den Christen – zuvörderst denen, die (wie Paulus bzw. „Paulus“) in Mission und/oder (wie Timotheus bzw. „Timotheus“) in Gemeindeleitung tätig sind – geht. Ruhe und Stille können demnach als das Nichtvorhandensein von Bedrängnis und Verfolgungen und von Irrlehren gedeutet werden.

Wenn für Könige (und alle Amtsträger) gebetet werden soll, ist das nicht mit Verehrung der Könige zu verwechseln. Es ist nicht gesagt, dass Könige (und alle Amtsträger) angebetet werden sollen. Eine Verehrung des Herrschers würde bedeuten, dass dieser der „Herr“ ist. Aus christlicher Sicht ist aber allein der Gott der Juden bzw. Jesus Christus „Herr“. Nur Gott bzw. Jesus Christus kommt Verehrung zu. Das lässt sich auch daran erkennen, dass in der Liste der verschiedenen Formen des Gebets (vgl. V. 1) das Opfer für den König bzw. Kaiser fehlt.


„Frömmigkeit“ („eusebeia“) und „Ehrbarkeit“ („semnotês“) erscheinen als die beiden wesentlichen Merkmale christlicher Existenz. Diese ist zum einen vom rechten Glauben und zum anderen vom rechten Verhalten geprägt. „Ehrbarkeit“ hat nicht Ruhm, Ansehen und Ehre bei den Menschen im Blick. Es geht nicht darum, das Leben nach den Maßstäben anderer Menschen auszurichten. Es geht darum, das Leben am (rechten) christlichen Glauben auszurichten und Jesus Christus bzw. Gott zu gefallen. Ein solches Leben kann nur unbescholten sein. Und mit einem unbescholtenen Leben – so die Logik – erregen die Christen bei anderen Menschen und insbesondere den Königen und Amtsträgern keinen Anstoß. Dies wiederum trägt zu einem „ruhigen und stillen Leben“ bei.


Weiterführende Literatur: H. Blocher 2010, 187-188 fragt nach der Beziehung zwischen dem Gebet für alle Menschen und dem Gebet für alle Amtsinhaber (gleich welchen Amtes). Zwei Möglichkeiten der Beziehung, die einander nicht ausschlössen, kämen infrage: Zum einen könne es sich um ein Gebet für die Amtsinhaber handeln, dass sie ihr Amt gut ausüben, zum Wohle aller Menschen (vgl. Röm 13,1). Es sei ihre Aufgabe, für den Frieden unter den Bürgern zu sorgen und die Religionsfreiheit zu sichern. Eine gute Ausübung des Amtes ermögliche also ungestörte Glaubensbezeugung und Mission. Zum anderen gehörten die Amtsinhaber zu „allen Menschen“. Das Gebet für alle Menschen schließe das Gebet für die Amtsinhaber ein. Aber wir liefen Gefahr, sie zu vergessen, insbesondere wenn sie die Kirche unterdrücken.


Zur „eusebeia“ („Frömmigkeit“) als Beispiel für die Adaption, Transformation und Inkulturation hellenistisch-römischer Vorstellungen in den Pastoralbriefen siehe J. Herzer 2007, 309-329. Der Begriff werde in den Pastoralbriefen unterschiedlich verwendet und ein kohärentes „Konzept“ von „eusebeia“ sei nicht zu erweisen. Während er im 1 Tim eine deutliche Affinität zum römischen Pietas-Begriff im Sinne der Loyalität gegenüber gesellschaftlichen Strukturen und Gegebenheiten und einem entsprechend angemessenen Verhalten habe, umschreibe der Begriff im 2 Tim und im Tit die christologisch begründete Lebenshaltung.


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V. 3/4


Beobachtungen: Schon in 1,1 ist Gott als „unser Retter“ bezeichnet worden. Inwiefern Gott „Retter“ der Christen ist, wird nicht weiter ausgeführt. Es liegt die Erklärung nahe, dass Gott aufgrund seines Heilsplans „Retter“ ist. Es ist Gottes Wille, die Menschen durch seinen Heilsplan zu retten. In dem Heilsplan spielt das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen die entscheidende Rolle. Gott ist es zu verdanken, dass Menschen von den Toten auferstehen und zum ewigen Leben eingehen können. Jesus Christus selbst wird nicht als „Retter“ bezeichnet.


Gott gibt sich nicht damit zufrieden, dass ein Teil der Menschen zum christlichen Glauben gekommen ist. Vielmehr ist es sein Wille, dass alle Menschen gerettet werden. Es fällt auf, dass erneut von „allen Menschen“ die Rede ist. Das legt nahe, dass in V. 1 nicht – zumindest nicht in erster Linie – das profane Wohlergehen aller Menschen (wie z. B. Verschonung vor Unglück) im Blick ist, sondern die Rettung aller Menschen. Es dürfte also in erster Linie um das Seelenheil aller Menschen gehen. Und wenn in zunehmendem Maße Menschen, speziell die Könige und Amtsträger, zum christlichen Glauben kommen, dann nimmt auch die Bedrängnis der Christen ab. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.


Mit „Erkenntnis der Wahrheit“ ist sicherlich nicht philosophische Erkenntnis infolge sorgfältigen Nachdenkens gemeint, auch nicht wissenschaftlicher Fortschritt durch Forschung, sondern das Verstehen und gläubige Annehmen des Evangeliums. Es geht also nicht um philosophische oder wissenschaftliche Gelehrsamkeit, sondern um das Heil des Menschen, um die „Rettung“ durch den Glauben an Jesus Christus.


Die Konjunktion „und“ kann so verstanden werden, dass die Rettung aller Menschen und die Erkenntnis der Wahrheit zwei verschiedene Dinge sind, die Gott will. Sie kann aber auch so verstanden werden, dass die Erkenntnis der Wahrheit unerlässliche Voraussetzung der Rettung ist. Aber schon der Dank des Paulus für die ihm geschenkte Gnade (1,12-17) macht deutlich, dass die Rettung aus Sünde und Tod eine Gnade ist, die untrennbar mit dem christlichen Glauben verknüpft ist. Aufgrund seines besonders markanten Bekehrungs- bzw. Berufungserlebnisses kann Paulus als „Erster“ und „Vor-Bild“ bezeichnet werden. Würden alle Menschen unabhängig von ihrem Glauben gerettet, würde weder dem Bekehrungs- bzw. Berufungserlebnis noch der Mission besondere Bedeutung zukommen. Bekehrung und Berufung des Paulus und die nachfolgende Mission wären interessante Ereignisse, allerdings ohne Relevanz im Hinblick auf das Heil. Relevanz im Hinblick auf das Heil bekommen sie nur dann, wenn der christliche Glaube und die Rettung untrennbar miteinander verbunden sind.


Weiterführende Literatur: A. T. Hanson 1981, 212 macht auf Gemeinsamkeiten von 1 Tim 2,3-5 und Jes 45,21-22LXX aufmerksam. Beiden Texten sei die Betonung der Einheit Gottes, die Darstellung Gottes als Retter und die Verkündigung, dass die Rettung auf die ganze Welt und nicht nur auf Israel ziele, gemeinsam.


Laut T. Söding 1999, 149-192 sei das Erscheinen Jesu Christi als Retter aller Menschen das Leitmotiv der Pastoralbriefe. In Gott, dem Vater, habe das christologische Heilsgeschehen seinen Ursprung.


I. Kišš 1980, 186-188 legt 1 Tim 2,4 aus. Die Kirchen hätten den Begriff „sôtêria“ bisher zu einseitig jenseitig-eschatologisch und individualistisch verstanden. Erlösung bedeute in der Bibel auch Erlösung des Leibes, des ganzen Menschen und der menschlichen Gesellschaft heute, im Diesseits. Aber auch die „Erkenntnis Christi“ sei nach dem Zusammenhang des V. 4 Nachahmung Christi im Bemühen, dem Mitmenschen und der Gesellschaft jetzt und in diesem Leben zu dienen. Darum fordere V. 4 auch die Zusammenarbeit der Christen und der Kirche mit allen Menschen und Bestrebungen, die den Frieden sichern wollen, also auch die Sorge um Abrüstung.


A. Y. Hwang 2006, 137-142 befasst sich mit den verschiedenen Auslegungen von 1 Tim 2,4 seitens Augustinus, wie sie im Zusammenhang mit dessen sich entwickelnder Sicht der Gnade entstanden sind.


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V. 5


Beobachtungen: Schon in 1 Tim 1,17 fand sich die Aussage, dass Gott „einzig“ („monos“) ist. Es handelt sich um die Kernaussage des „Schema Jisrael“ („Höre Israel“; Dtn 6,4), des jüdischen Glaubensbekenntnisses. Nur der Gott Israels ist demnach für das Heil der Menschen relevant. Möglich ist darüber hinaus, dass mit der Aussage „Gott ist einzig“ die Existenz anderer Götter infrage gestellt wird. Der Gott Israels wäre demnach nicht nur der einzige für das Heil des Menschen relevante Gott, sondern zugleich der einzige existente Gott. In Dtn 6,4LXX findet sich „heis“ („einer“) statt „monos“ („einzig“). Auch in 1 Tim 2,5 findet sich nun „heis“ („einer“). Auch hier ist wohl gemeint, dass der Gott der Juden und Vater Jesu Christi der einzige existente Gott ist. Zugleich kann man aber „einer ist Gott“ auch so verstehen, dass Gott nicht zerteilt ist und somit mehrere Götter existieren. Allerdings stellt sich die Frage, wieso plötzlich betont werden sollte, dass Gott unzerteilt ist. Dass wohl nicht von der Unzerteiltheit Gottes die Rede ist, geht aus der Tatsache hervor, dass auch der Mittler zwischen Gott und Menschen, Jesus Christus, „einer“ ist. Niemand würde auf die Idee kommen, Jesus Christus für mehrere Personen zu halten.


Wenn betont wird, dass es nur einen einzigen Mittler zwischen Gott und Menschen gibt, nämlich Jesus Christus, dann ist damit deutlich ausgesagt, dass andere biblische Gestalten wie Maria, Johannes der Täufer oder Elia keine Mittler sind. Auch sind besonders verdiente oder wundertätige Christen, die im Laufe der Kirchengeschichte selig- oder heiliggesprochen worden sind, keine Mittler. Mittler ist allein Jesus Christus.


Es erstaunt, dass Jesus Christus als „Mensch“ bezeichnet wird. Natürlich war er zu seinen Lebzeiten ein Mensch, aber das irdische Wirken steht gar nicht im Mittelpunkt der paulinischen und deuteropaulinischen Briefe. Im Mittelpunkt stehen Jesu Kreuzestod und Jesu Auferstehung, weil beides im Hinblick auf die Vergebung der Sünden der Menschen und im Hinblick auf den neuen Lebenswandel der Christen entscheidend ist. Jesus Christus als „Herr“ (vgl. 1 Tim 1,2.14 u. a.) erscheint auch in 1 Tim als Gott nahe stehend (vgl. 3,16; 6,14-16). Aber gerade wegen dieser Nähe zu Gott, die bis zur (sprachlichen) Verschmelzung von Gott und Jesus Christus reichen kann (besonders deutlich, wenn der Titel „Herr“ sich zugleich auf Gott Vater als auch auf Jesus Christus beziehen kann), mag der Gedanke aufgekommen sein, dass ein Mittler zwischen Gott und Menschen schwerlich so anders als ein Mensch sein kann. Immerhin war es ja der Mensch Jesus, der den Kreuzestod erlitten hat. Deshalb mag in 1 Tim 2,5 betont sein, dass Jesus Christus „Mensch“ ist. Das ist wohl nicht so gemeint, dass Jesus Christus ein normaler Mensch wie alle anderen Menschen auch ist. Vielmehr wird wohl betont, dass Jesus Christus nicht nur Gott ganz nah, sondern auch den Menschen ganz nah ist – so nah, dass sich weder zu Gott noch zu den Menschen eine klare Trennlinie ziehen lässt. Dies führt gedanklich zu der christologischen Lehrformel des Konzils von Chalkedon von 451, wonach Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ sei. Damit sind seine beiden Naturen wiedergegeben. Aus diesen beiden Naturen kann man nicht schließen, dass Jesus Christus ein zweiter Gott neben Gott Vater sei. Dann wäre Gott nicht „einer“. Man kann daraus auch nicht schließen, dass Jesus Christus ein Mensch wie die anderen Menschen sei, denn dann wäre er kein Mittler. Bei Konflikten zeichnet einen Mittler bzw. Schlichter aus, dass er beide miteinander streitenden Parteien gleichermaßen zu verstehen und in ihren Anliegen zu vertreten weiß. Die Vollendung dieser Identifikation und Vertretung der Interessen beider Seiten mag in der Formel „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ zu sehen sein, die Jesus Christus als den perfekten Mittler erscheinen lässt. Und weil nur Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ ist, ist Jesus Christus der einzige Mittler.


Weiterführende Literatur: J. C. Edwards 2011, 141-147 legt dar, dass derselbe Verfasser von Tit 2,11-14 und 1 Tim 2,1-7 in beiden Texten die universale Rettung behaupte, auf dieselbe Weise zu gottgefälligem Leben aufrufe, in derselben Weise von Jes 42,6-7; 49,6-8 beeinflusst sei und darüber hinaus dieselbe Mk 10,45 ähnelnde Tradition benutze, mit demselben Bezug auf „Gott“ plus „Jesus Christus“ oder „Christus Jesus“ und außerdem mit derselben Christologie, die Gott und Jesus Christus als zwei verschiedene Personen ansehe. Daher sei es nicht zulässig, Tit 2,13 mit „The glorious appearing of our great God and Saviour, Jesus Christ“ zu übersetzen. Werde Tit 2,13 mit „The appearance of the glory of our great God and saviour, Jesus Christ“ übersetzt – wohl die von J. C. Edwards bevorzugte Übersetzung -, dann werde Jesus Christus eng mit der „Herrlichkeit Gottes“ („glory of God“) verbunden, und damit auch die Epiphanie (vgl. Tit 3,4). M. J. Harris 2011, 149-150 setzt sich kritisch mit dem Übersetzungsvorschlag auseinander. Zwar sprächen verschiedene Argumente für den ungewöhnlichen Vorschlag, jedoch bringe er verschiedene Schwierigkeiten mit sich. Zu diesen gehöre auch, dass nirgendwo im NT der Titel „Herrlichkeit Gottes“ ausdrücklich auf Jesus Christus bezogen sei. Dass der ungewöhnliche Übersetzungsvorschlag richtig ist, erscheine schon angesichts der Tatsache, dass nahezu alle Grammatiker, Lexikographen und die meisten Kommentatoren und darüber hinaus auch modernen Bibelübersetzungen die übliche Übersetzung unterstützen, unwahrscheinlich.


M. Gill 2008 vertritt die These, dass der Verfasser des 1 Tim von der Einzigartigkeit Jesu Christi als „Mittler“ zwischen Gott und Menschen ausgehe.. Die von ihm gebotene ganz eigene Sicht der jüdisch-christlichen Minderheit stehe in einem direkten Kontrast zur Sicht der (heidnischen) Umwelt. Diese sei der Behauptung des Kaisers gefolgt, dass er selbst „Mittler“ zwischen der Menschheit und den Göttern sei.


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V. 6


Beobachtungen: Der Begriff „antilytron“, der „Lösegeld“ bedeutet, taucht im NT nur hier auf. Ein Lösegeld wird gezahlt, wenn sich jemand in irgendeiner Form von Gefangenschaft befindet. Es kann sich um Geld für den Freikauf einer Person oder mehrerer Personen aus Kriegsgefangenschaft, aus Sklaverei oder aus Geiselhaft handeln. Es setzt voraus, dass jemand bereit ist, diese Person(en) aus der Gefangenschaft bzw. Geiselhaft zu befreien und dafür auch die nötigen Geldmittel besitzt. Es setzt ebenfalls voraus, dass die gefangene(n) Person(en) wert ist bzw. sind, freigekauft zu werden. Vermutlich ist die Gefangenschaft in der Sünde und im Machtbereich des Todes gemeint. In dieser Gefangenschaft gibt es keine Hoffnung auf die Auferstehung von den Toten. Jesus Christus hat sich selbst als Lösegeld gegeben, mit dem die Sünder, die das Evangelium gläubig annehmen, aus der Sünde und dem Machtbereich des Todes befreit werden.


„Lösegeld für alle“ kann so verstanden werden, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Glauben aus der Sünde und dem Machtbereich des Todes ausgelöst werden. Ebenfalls ist die Deutung möglich, dass nur diejenigen Menschen gerettet werden, die an Jesus Christus und seinen Kreuzestod und seine Auferstehung glauben. Somit ist die Deutung: Jesus Christus hat sich als Lösegeld für alle Menschen gegeben. Gott will, dass alle Menschen gerettet werden. Damit der Heilsplan verwirklicht werden kann, gilt es nun, dass alle Menschen zum christlichen Glauben kommen. In seiner frühen Zeit breitete sich das Christentum immer weiter aus. Deshalb konnte man optimistisch darauf setzen, dass früher oder später alle Menschen zum christlichen Glauben kommen würden. Mit zunehmender Zeit, als sich das Christentum zunehmend von einer unterdrückten und verfolgten Religion zu einer unterdrückenden und verfolgenden Religion wandelte, setzte man – speziell christliche Herrscher – auf Gewalt, um dem Christentum zur Durchsetzung zu verhelfen. Dennoch sind bis heute nicht alle Menschen Christen. Und es ist auch nicht anzunehmen, dass jemals alle Menschen zum christlichen Glauben kommen. Der anfängliche Optimismus ist heutzutage einem ernüchterten Realismus gewichen. So kann man auch sagen, dass sich zwar Jesus Christus als Lösegeld für alle gegeben hat, aber dieses Lösegeld noch nicht alle Menschen angenommen haben. Der Heilsplan ist also noch nicht zur Erfüllung gekommen. Und betrachtet man den Sachverhalt mit einem aufgeklärten Blick, so ist auch äußerst fraglich, ob der Heilsplan je zur Erfüllung kommen wird. Dem aufgeklärten Christen in einer weiterhin multireligiösen Welt erscheint Jesus Christus als „Lösegeld für alle“ eher wie ein Angebot, das an alle Menschen gerichtet ist, aber nicht von allen Menschen angenommen wird. Aus frühchristlicher Sicht ist das eine Katastrophe, dass sich so viele Menschen dem christlichen Glauben und somit der Rettung aus Sünde und Tod verweigern. Aus aufgeklärt-neuzeitlicher Sicht ist es normal, dass nicht alle Menschen den christlichen Glauben annehmen. Schließlich - so die Argumentation – solle jeder nach seiner Façon selig werden.


Satzbau und Wortlaut lassen annehmen, dass Jesus Christus selbst das Zeugnis ist. Doch was hat er bezeugt? Aus dem Vorhergehenden kann man erschließen, dass er die Rettung bezeugt hat, nämlich die Rettung aus der Sünde und aus der Todesverfallenheit. Dass Jesus Christus diese Rettung bezeugen konnte, ist mit seiner Auferstehung von den Toten zu erklären. Diese hat gezeigt, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.


"Kairos" ist ein Begriff für die "Zeit". Dabei ist jedoch nicht ein beliebiger Zeitpunkt oder ein Zeitverlauf im Blick, sondern die "rechte Zeit". Es ist also ein Zeitpunkt oder eine Zeitspanne gemeint, der bzw. die für ein Geschehen oder eine Handlung geeignet ist. Der Zeitpunkt oder die Zeitspanne kann auch derjenige bzw. diejenige sein, in dem bzw. in der sich ein von Gott vorgesehenes Ereignis abspielt. Die Bedeutung „rechte Zeit“ hat „kairos“ allerdings nicht immer. Insofern ist es nicht überflüssig, wenn „Paulus“ durch das hinzugefügte „idios“ („rechte“) in 1 Tim 2,6 betont, dass es sich um die „rechte Zeit“ handelt.

Bei der Formulierung „kairois idiois“ handelt es sich um einen Plural, womit wörtlich „zu rechten Zeiten“ zu übersetzen ist. Der Plural irritiert insofern, als es sich bei dem Kreuzestod Jesu Christi ja um ein historisches Ereignis handelt, das nur einmal zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hat. Damit handelt es sich historisch gesehen um ein Zeugnis zu einer einzigen rechten Zeit. Warum also der Plural? Es kann sich um eine sprachliche Eigenheit handeln, der hinsichtlich der Deutung keine Bedeutung zukommt (vgl. 1 Tim 6,15). Es kann aber auch an die Mission gedacht sein, die ja zu zahlreichen Übertritten zum christlichen Glauben geführt hat. Jeder Glaubensübertritt ist mit der Taufe verbunden, die Jesu Tod und Auferstehung vergegenwärtigt. Weil die Taufen vom historischen Kreuzigungs- und Auferstehungsgeschehen an über eine lange Zeit erfolgten (und weiterhin erfolgen), mag der Plural „zu rechten Zeiten“ gewählt worden sein.

Die Formulierung „als das Zeugnis zu rechten Zeiten“ muss nicht auf Jesus Christus bezogen werden. Es muss also nicht Jesu Selbsthingabe als Zeugnis verstanden werden, sondern das Zeugnis kann auch jemand anderes gegeben haben oder geben. Vom Plural „zu rechten Zeiten“ her kann man auch die Taufen und christlichen Existenzen als Zeugnisse ansehen. V. 6 wäre dann wie folgt zu verstehen: „Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle gegeben hat. Das Zeugnis wird zur rechten Zeiten durch Taufen und christliche Lebensweisen gegeben.“ Bezeugt würde, dass sich Jesus Christus (= Christus Jesus) selbst als Lösegeld für alle gegeben hat. Weil „das Zeugnis“ aber ein Singular ist und kein Plural, ist diese Bedeutung aber sicherlich nicht die Bedeutung, an die vorrangig gedacht ist.


Auch die Varianten lassen Unsicherheit bezüglich des Bezugs des „Zeugnisses“ erkennen. Der Codex Sinaiticus (in der ursprünglichen Form) ersetzt den bestimmten Artikel „das“ („to“) vor „Zeugnis“ („martyrion“) durch die Konjunktion „und“ („kai“). Damit lautet die Übersetzung der Variante „und als Zeugnis zur rechten Zeit“. Jesus Christus hat demnach nicht nur sich selbst als Lösegeld für alle gegeben, sondern er hat auch zur rechten Zeit Zeugnis gegeben. Andere Textzeugen lesen „von dem zur rechten Zeit das Zeugnis gegeben wurde“ („hou to martyrion kairois idiois edothê“) statt „als das Zeugnis zur rechten Zeit“ („to martyrion kairois idiois“). Die Variante lässt offen, von wem das Zeugnis gegeben wurde. Zu denken ist am ehesten an die Missionare, insbesondere an Paulus.


Weiterführende Literatur: Laut J. C. Edwards 2009, 264-266 seien sich die Exegeten weitgehend einig, dass sowohl 1 Tim 2,6 als auch Tit 2,14 von einer Mk 10,45 ähnelnden Version des Lösegeld-Logions beeinflusst seien. J. C. Edwards geht der seiner Meinung nach vernachlässigten Frage nach, wie 1 Tim 2,6 und Tit 2,14 das Lösegeld-Logion im Lichte von Jes 42,6-7 und 49,6-8 lesen. Ergebnis: Im Lichte der beiden Jesaja-Texte ergäben die beiden hina-Sätze (= dass/damit-Sätze) in Tit 2,14 (und Barn 14,6) Sinn. Auch ließe sich der Gedanke des Bundesmittlers, verbunden mit einer universalen Perspektive, erklären.


K. Silvola 1985, 390-394 analysiert eingehend 1 Tim 2,6; 6,13; 2 Tim 1,8 und sucht nachzuweisen, dass "Zeugnis" an diesen Stellen bereits eine große Nähe zu der später üblichen Bedeutung "Martyrium" habe.


W. Eisele 2012, 468-491 spürt in den Pastoralbriefen den Ansatzpunkten für ein spezifisches Verständnis von Zeit und Ewigkeit im Rahmen der universalen Heilsgeschichte nach. Er geht von der Beobachtung aus, dass in den Pastoralbriefen ein Paar von geprägten Zeitbegriffen begegne, das wir so und in dieser Zuordnung seines Wissens nirgendwo anders fänden. Gott handele einerseits „vor ewigen Zeiten“ („pro chronôn aiôniôn“; Tit 1,2; 2 Tim 1,9) und andererseits „zu seinen eigenen Zeiten“ („kairois idiois“; Tit 1,3; 1 Tim 2,6; 1 Tim 6,15). Dies werfe die Frage auf, wie sich die beiden Zeitbestimmungen zueinander verhalten und mit welchen heilsgeschichtlichen Daten sie jeweils verbunden sind. Dabei nähert er sich dem Problem in drei Schritten: Zunächst gelte es, ein allgemeines Verständnis der beiden Zeitbegriffe zu gewinnen, um anschließend nach ihrer Verwendung im konkreten Kontext zu fragen. Im Ergebnis solle schließlich das soteriologische Verhältnis geklärt werden, in welches Zeit und Ewigkeit mittels der beiden spezifischen Zeitbegriffe in den Pastoralbriefen gesetzt werden. Zu 1 Tim 2,1-7: Der unmittelbar nach dem Traditionsstück eingeführte Ausdruck „das Zeugnis zu seinen eigenen Zeiten“ („to martyrion kairois idiois“) sei vom Tituspräskript her zu erklären. Bei dem „Zeugnis“ handele es sich um das Zeugnis Gottes und „zu seinen eigenen Zeiten“ beziehe sich auf das Christusgeschehen, angegeben durch die Rahmendaten von Inkarnation und Tod Jesu.


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V. 7


Beobachtungen: V. 7 knüpft an dem Gedanken an, dass die Christen diejenigen sind, die bezeugen. Dabei erscheint Paulus als hervorragender Zeuge, wie durch den Schwur „ich sage die Wahrheit, ich lüge nicht“ bekräftigt wird. Die „Wahrheit“ ist, dass sich Jesus Christus selbst als Lösegeld für alle gegeben hat. Der Schwur mag auch dazu dienen, die seitens der Kritiker angezweifelte Autorität des Paulus zu betonen. Die Betonung der Autorität des Paulus ist ein wesentliches Element des 1 Tim. Der Verfasser des 1 Tim, „Paulus“, beruft sich auf die Autorität des Paulus, um angesichts von Irrlehren die rechte, für paulinisch gehaltene Lehre durchzusetzen.


Kêryx“ ist die Bezeichnung für einen Herold. Ein Herold ist ein Mensch, der mit lauter Stimme eine Botschaft verkündet. Im NT – so auch hier – ist er als Verkündiger/Prediger verstanden. Der Begriff „kêryx“ taucht allerdings im NT nur selten auf, in den gemeinhin für echt gehaltenen Paulusbriefen gar nicht. Das mag damit zusammenhängen, dass ein Herold nach griechischem Verständnis bei diplomatischen Missionen sowohl unter dem Schutz seines Volkes als auch unter der besonderen Obhut der Gottheit stand. Er galt also als unantastbar. Als von einem irdischen Herrn oder von einer Gottheit bzw. den Göttern Gesandter stand der Herold dem Apostel nahe, weshalb in V. 7 wohl die beiden „Ämter“ Herold und Apostel nebeneinander genannt werden. Allerdings ist der Dienst des Paulus kein geschützter. Vielmehr erfolgt sein Dienst in Bedrängnis, und zwar sowohl seitens der Juden als auch der Heiden. Dieser gravierende Unterschied lässt den Begriff „kêryx“ („Herold“) nur sehr eingeschränkt passend erscheinen. Das gilt auch insofern, als normalerweise im NT nicht der Verkündiger, sondern die Verkündigung im Vordergrund steht. Hier in V. 7 geht es jedoch um die Person und Autorität des Apostels. Und dass Paulus eine Person, ein Prediger von besonderer Autorität ist, vermag der Begriff „kêryx“ gut auszudrücken.


Ein „Apostel“ ist zunächst einmal ein Gesandter, wie sie von Gemeinden geschickt werden. Paulus ist allerdings nicht im Auftrag einer Gemeinde tätig, sondern gemäß 1 Tim 1,1 im direkten Auftrag Gottes und Jesu Christi (= Christi Jesu).


Dass Paulus bzw. „Paulus“ als „Lehrer“ bezeichnet wird, zeigt die Bedeutung an, die der 1 Tim dem Lehramt beimisst. Der Lehrer Paulus bzw. „Paulus“ agiert „in Glaube und Wahrheit“. Er gehört also dem christlichen Glauben an und sagt die „Wahrheit“, verkündet also das Evangelium. Die Lehre hat das Evangelium zum Inhalt. Interessant ist, dass Paulus bzw. „Paulus“ nicht als „Gesetzeslehrer“ bezeichnet wird. Die Irrlehrer erscheinen in 1,7 als selbsternannte „Gesetzeslehrer“. Es hätte also nahegelegen, Paulus bzw. „Paulus“ als wahren „Gesetzeslehrer“ darzustellen. Aber ein solcher Anklang an Bibelauslegung nach Art der Rabbinen findet sich hier nicht. Paulus bzw. „Paulus“ erscheint weder als Bibelausleger noch als Judenchrist noch als ein Lehrer, der sich an ein jüdisches Publikum wendet oder heidnisches Publikum nach jüdischem Muster zu lehren versucht. Paulus bzw. „Paulus“ richtet sich an die Heiden und verkündet und lehrt nichts weiter als das Evangelium. Fabeln und endlose Geschlechtsregister (vgl. 1,4) zieht er dazu nicht heran. Diese würden nur vom christlichen Glauben und der „Wahrheit“, dem Evangelium, abbringen.


Weiterführende Literatur: L. A. Jervis 1999, 695-712 geht der Frage nach, wer Paulus in der Rhetorik des 1 Tim ist. Dabei befasst sie sich nicht mit der Verfasserfrage, sondern – auf Grundlage von 1,11-17; 2,3b-7; 3,14-16 - nur mit der Absicht, der die Person des Paulus in 1 Tim dient. Paulus erscheine als eine Autoritätsperson und die Bekenntnisse seien autoritative Texte. Die drei Bekenntnisse erinnerten an die Geschichte der Gemeinschaft. Paulus werde als eine Persönlichkeit dargestellt, die die wahre Geschichte kennt, die dazu bestimmt ist, die wahre Geschichte zu erzählen, und die Anweisungen bezüglich der angemessenen Frömmigkeit geben kann. Paulus sei der Dichter der Gemeinschaft. In der Antike sei die Dichtung als wirksamstes Mittel der Unterrichtung angesehen worden. Folglich habe die Stimme des Dichters Kraft gehabt.


Das Interesse von O. Hofius 2010, 261-284 gilt der Frage nach Gestalt und Bedeutung der in den Pastoralbriefen bezeugten Ordination. Diese Frage lasse sich ohne Rekurs auf den rabbinischen Ordinationsritus beantworten. O. Hofius befasst sich mit der Terminologie, dem ordinationsgebundenen Amt, dem Ordinator, der Voraussetzung für den Empfang der Ordination, der Handauflegung und der Verleihung des Amtscharismas, der Übergabe der apostolischen Lehrtradition und dem Bekenntnis der Ordinanden, der apostolischen Sukzession und abschließend mit dem soteriologischen Aspekt. Wie insbesondere 2 Tim 2,2 zeige, sei mit den Ordinationsaussagen der Pastoralbriefe die Vorstellung einer Sukzession verbunden – nämlich der Gedanke, dass die apostolische Lehrtradition in kontinuierlicher Abfolge von Amtsträger zu Amtsträger weitergegeben wird. Paulus sei von Gott selbst mit dem Evangelium und seiner Verkündigung betraut. Nur er werde als „Apostel“ (vgl. 1 Tim 2,7; 2 Tim 1,11) bezeichnet, nicht jedoch Timotheus. Die „apostolische Sukzession“ bestehe nicht darin, dass das Amt der Apostel an „Nachfolger“ übertragen und dann durch die Zeit der Kirche hindurch in einer ununterbrochenen Kette weitergegeben wird, wobei die in die Sukzession Eingetretenen durch einen besonderen hierarchischen Status und durch nur ihnen verliehene Vollmachten wie etwa die Weihegewalt ausgezeichnet wären. Die „apostolische Sukzession“ habe ihr Wesensmerkmal vielmehr in der strengen Bindung an das von den Aposteln authentisch und verbindlich bezeugte Evangelium, und sie sei somit als die Sukzession in der gehorsamen Bezeugung und unverfälschten Weitergabe der Wahrheit des Evangeliums zu bestimmen.



Literaturübersicht


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