Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 2,8-15

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 2,8-15



Übersetzung


1 Tim 2,8-15 : 8 Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten, indem sie reine Hände emporheben ohne Zorn und schlechte Gedanken. 9 Ebenso, dass [die] Frauen sich in schicklicher Kleidung mit Anstand und Zurückhaltung schmücken, nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarem Gewand, 10 sondern – wie es sich für Frauen ziemt, die Gottesfurcht bekunden – mit guten Werken. 11 Eine Frau soll schweigend lernen, in aller Unterordnung. 12 Zu lehren aber gestatte ich einer Frau ebenso wenig wie über einen Mann zu herrschen. Sie soll vielmehr still sein. 13 Denn Adam wurde zuerst geformt, dann erst Eva. 14 Auch wurde nicht Adam verführt, sondern es war die Frau, die verführt wurde und [so] in die Übertretung geraten ist. 15 Sie wird aber durch Kindergebären gerettet werden, wenn sie in Glaube, (und) Liebe und Heiligung verharren mit Sittsamkeit.



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V. 8


Beobachtungen: 2,8-15 stellt den zweiten Teil der Anordnungen zum Gebet (2,1-15) dar. Nachdem 2,1-7 vom Gebet für alle Menschen gesprochen hat, spricht 2,8 nun vom Gebet der Männer. In den V. 9-15 erfolgt dann ein schleichender Übergang weg vom Gebet hin zur Rolle der Frau in der Gemeinde und auch Familie. Das Gebet ist Ausgangspunkt für die Aussagen zur Rolle der Frau. Unklar ist, inwieweit sich die V. 9-10 noch auf das Gebet beziehen. Streng genommen sind nur die V. 1-8 oder 1-10 Anordnungen zum Gebet, wogegen die V. 9-15 oder 11-15 mit „Die Rolle der Frau in der Gemeinde“ oder mit „Die Rolle der Frau in Gemeinde und Familie“ überschrieben werden können.


Das Emporheben der Hände ist die typische Gebetshaltung. Es fällt auf, dass diese typische Gebetshaltung nur von den Männern eingenommen wird. Beten nur die Männer? Beten etwa die Männer für die Frauen mit? Oder beten auch die Frauen, nur eben in einer anderen Haltung? Nicht ausgeschlossen ist auch, dass „Paulus“ eine Wunschvorstellung schildert. Es mag sein, dass die Frauen bereits als aktive Teilnehmerinnen am kirchlichen Leben zurückgedrängt wurden und „Paulus“ diese Tendenz konsequent weiterführt. Das könnte eine Anpassung an gesellschaftliche Konventionen seiner Zeit sein, der Versuch, nach Möglichkeit in der nichtchristlichen Umwelt keinen Anstoß zu erregen.


Es wird beim Gebet seitens der Männer nicht nur eine bestimmte äußere Haltung eingenommen, sondern auch eine entsprechende innere Haltung verlangt, mit der eine angemessene Gemütsverfassung sowie angemessene Gedanken und Handlungen einhergehen. Zu bedenken ist: Beim Gebet tritt der Mensch dem heiligen Gott gegenüber und bringt ihm seine Fürbitten vor. Wenn Gott heilig ist, dann muss die innere Haltung des Menschen der Heiligkeit entsprechen. Zorn ist ebenso ausgeschlossen wie irgendwelche schlechten Gedanken. Ausgeschlossen sind auch jegliche Handlungen, die einem gottgefälligen Leben widersprechen. Darauf weist die Forderung hin, „reine“ oder „heilige“ – das Adjektiv „hosios“ kann auf beiderlei Weise übersetzt werden – Hände emporzuheben. Mit den Händen werden Handlungen durchgeführt.


Das Substantiv „dialogismos“ bezeichnet im NT Gedanken oder Überlegungen, und zwar stets negativer Art. Sie können böser Art sein, nichtiger Art oder auch zweifelnder Art. Insofern kommen verschiedene Übersetzungen infrage: „böse Gedanken“, „nichtige Gedanken“, „Zweifel“ oder „Skrupel“. In 1 Tim 2,8 steht der Begriff neben „orgê“, „Zorn“. Auf den ersten Blick könnte man daraus schließen, dass „dialogismos“ „Streit“ bedeutet bzw. die dem Streit zugrundeliegenden negativen Gedanken meint. Allerdings spricht die große Breite an Bedeutungsnuancen gegen eine vorschnelle Einengung der Bedeutung. Vermutlich haben wir es hier mit schlechten Gedanken jeglicher Art zu tun, die mit Zorn verbunden sind. Woher der Zorn und die schlechten Gedanken kommen, bleibt offen, ebenso gegen wen sich Zorn und schlechte Gedanken richten. Wahrscheinlich ist dies hier auch zweitrangig, weil es grundsätzlich um die rechte äußerliche und innerliche Gebetshaltung der Männer dem heiligen Gott gegenüber geht.


Weiterführende Literatur: Gemäß E. Ferguson 1991, 65-73 sei „an jedem Ort“ auf Gemeindeversammlungen zu beziehen. V. 8 habe Männer im Blick die bei den Gemeindeversammlungen das Gebet anleiten.


D. G. Breed 2006, 247-263 geht der Frage nach, ob die Anweisungen in 1 Tim 2,8-12(15) das Verhalten von Männern und Frauen während des Gottesdienstes, im Alltag oder im ehelichen Leben regeln sollen. Paulus gebe diesbezüglich keine Hinweise. Häufig werde angenommen, dass es um das Verhalten im Gottesdienst gehe, aber der Text könne sich durchaus auch auf den Alltag und auf das eheliche Leben beziehen. Gemäß D. G. Breed 2006, 453.463 gäben auch die Bezüge auf Gen 2-3 in V. 13-15 auf die Frage keine Antwort. Nur aus dem Zusammenhang des gesamten 1 Tim lasse sich laut D. G. Breed 2006, 597-616 schließen, dass sich 2,8-12 eher auf das Verhalten im ehelichen Leben als auf das Verhalten im Gottesdienst oder im Alltag bezieht.


Laut E. Stiles 2022, 18-22 sei 1 Tim 2,8-15 nicht von der Sorge des Paulus bestimmt, dass Frauen oder Männer Probleme bereiten. Vielmehr sei das christliche Bekenntnis der Gemeinde in Ephesus in Gefahr. In der Stadt hätten der Artemis-Kult und das Aufkommen der „neuen römischen Frau“ dazu beigetragen, dass sich Irrlehren ausbreiteten und der Wohlstand manche Gemeindeglieder von der Wahrheit des Evangeliums abbrachte. Paulus dränge Timotheus dafür zu sorgen, dass der Irrlehre und dem Fehlverhalten mit Gebet, Bescheidenheit, Bildung und durch das Eindämmen missbräuchlicher Autorität begegnet wird.


M. M. Mitchell 2008, 41-62 untersucht die Rolle, die die „Korrektur“ in der Komposition und Exegese von 1 Tim 2 spielt. Die Pastoralbriefe betrieben „fiktive Selbstauslegung“ des inzwischen bereits verstorbenen Paulus. Aber auch dem Verfasser der Pastoralbriefe gelinge es trotz allen Bemühens nicht, seine Texte unauslöschlich festzuschreiben, denn sie blieben stets offen für verschiedene Formen des Strebens nach „Verbesserungen“. Ein solch lebendiger Prozess der Textentstehung und -deutung lasse sich besonders gut am Codex H aufzeigen, der ebenfalls Gegenstand vielfältiger „Korrektur“ gewesen sei.


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V. 9


Beobachtungen: Die Bedeutung des Substantivs „katastolê“ ist hier unklar. Es kann „Haltung“ oder „Verhalten“, aber auch „Kleidung“ bedeuten. Auch die Bedeutung „Bescheidenheit/Zurückhaltung“ ist möglich. Wahrscheinlich kommen wir der Bedeutung in 1 Tim 2,9 am nächsten, wenn wir die gesamte Bandbreite der Bedeutungen im Blick behalten. Die Wahl der Kleidung eines Menschen richtet sich nach seiner inneren Haltung. Wer gerne im Mittelpunkt steht, wird sich tendenziell auch auffällig kleiden. Und wer im Hintergrund bleiben möchte, wählt besser dezente Kleidung. „Katastolê“ meint schon dem Wortsinn nach eine Haltung und ein Verhalten, die bzw. das von Anpassung und Bescheidenheit geprägt ist. Die Kleidung richtet sich nach dieser Prägung.

Diese Bedeutung wird durch die Hinzufügung des Adjektivs „kosmios“ unterstrichen, das „ordentlich“, „anständig“, „bescheiden“ oder „gehorsam“ bedeuten kann. Es wird also deutlich, dass sich die innere Haltung und die Kleidung der Frauen an den sozialen Konventionen ausrichten sollen. Die Konvention ist, dass sich Frauen im Hintergrund halten und auch mit ihrer Kleidung nicht auffallen. Die Übersetzung „schicklich“ beinhaltet sowohl die Anpassung an gesellschaftliche Konventionen als auch die Unauffälligkeit, die Bescheidenheit.


Der Schmuck ist ebenfalls Ausdruck der inneren Haltung und wird möglichst so gewählt, dass er zur Kleidung passt. Zur schicklichen Kleidung passt kein auffälliger Schmuck, der die Blicke auf sich zieht. Schmuck darf sein und erscheint auch als für Frauen typisch. Er soll aber dezent sein und nicht auffallen.


Mit den Haarflechten, dem Gold, den Perlen und dem kostbarem Gewand werden nun Dinge genannt, die Aufmerksamkeit erregen. Eine besondere Rolle scheint auch dem hohen Wert des Genannten zuzukommen. Die Haarflechten bilden zwar bezüglich des hohen Wertes eine Ausnahme, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es nicht nur um die Haarflechten an sich geht, sondern auch um den damit verbundenen Schmuck. Vielleicht ist das „Gold“ in einem direkten Zusammenhang mit den Haarflechten zu sehen. Aber ganz unabhängig davon wird der hohe Wert im Hinblick auf das Erregen der Aufmerksamkeit genannt. Billiger Klunker und ein knalliges Gewand erregen nun mal weniger Aufmerksamkeit als kostbarer Schmuck und ein kostbares Gewand. Vom rein Äußerlichen her, oberflächlich betrachtet, mag das gar nicht der Fall sein. Bedenkt man aber, dass kostbarer Schmuck und ein kostbares Gewand einen hohen sozialen Status vermitteln, wird deutlich, dass ihre Wirkung eine ganz andere ist, als wenn eine Frau einfach nur auffälligen, billigen Klunker und knallige Kleidung trägt. Und sobald es um die Zurschaustellung eigenen Wohlstands und sozialen Rangs oder um Partnersuche geht, ist die Aufmerksamkeit von Gott abgelenkt. Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Letztendlich geht es bei der unauffälligen Bescheidenheit nicht in erster Linie um Gehorsam und Zurückhaltung dem Mann gegenüber, sondern um Gehorsam und Zurückhaltung Gott und Jesus Christus, dem „Herrn“, gegenüber. All dies kann ganz grundsätzlich auf die innere Haltung und das Verhalten von Frauen bezogen sein, sich aber auch – und das in besonderem Maße - konkret auf Gottesdienst und Gebet beziehen.


Es verwundert, dass in V. 9 im Hinblick auf die Frauen überhaupt nicht von Gebet die Rede ist, noch nicht einmal von einem Gebet in einer ganz unauffälligen Haltung der Hände und des Körpers. Das kann man so deuten, dass Frauen nicht beten durften oder sollten. Man kann aber V. 9 auch im Licht von V. 8 lesen. So kann es sein, dass wir es in V. 8 mit einem Anakoluth zu tun haben. Dabei hamdelt es sich um einen rhetorischen Kunstgriff. Beim Anakoluth (an-akolouthon = nicht folgerichtig) wird eine begonnene Satzkonstruktion nicht richtig fortgesetzt, weil die Gedanken mitten im Satz eine andere Richtung nehmen. Es findet sich also ein Bruch im Satz, der aber keinen grammatischen Fehler darstellt, sondern überraschen soll. Dann würde sich die Aussage zu Gebet und Gebetshaltung nicht nur auf die Männer, sondern auch auf die Frauen beziehen. Der Satz und Gedankengang würde jedoch überraschend abgebrochen und auf die innere Haltung, auf die Kleidung und auf den Schmuck der Frauen eingegangen. Weil die Männer vermutlich bezüglich Kleidung, Schmuck und Haartracht keine Extravaganzen zeigten, bezieht sich V. 9 nur auf die Frauen. Zum Ausgleich wird V. 8 (scheinbar) nur auf die Männer bezogen. Für die Annahme, dass auch Frauen beten durften bzw. sollten spricht auch die Annahme, dass V. 9 in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gebet für alle Menschen V. 1-7 steht und die Anordnungen zum Gebet mindestens auch V. 8 einschließen. Es liegt somit nahe, dass V. 9 darauf eingeht, wie Frauen beten sollen und sofort auf das eingeht, was anstößig ist: Dass die Frauen in ihrem Gebaren, mit ihrer Kleidung, ihrem Schmuck und ihrer Haarpracht Aufmerksamkeit zu erheischen suchen und so von Gott und dem Gebet ablenken. Wie auch immer V. 9 auszulegen ist, so lässt sich doch eins sicher feststellen: Den Frauen wird nicht ausdrücklich verboten zu beten. Ein solches Verbot wäre aber durchaus möglich gewesen , wie das Lehrverbot V. 12 zeigt.


Weiterführende Literatur: C. A. Pate 1993 geht davon aus, dass allen paulinischen Schlüsseltexten zum Leiden das Muster der Herstellung von Adams Herrlichkeit durch gerechtes Leiden zugrunde liege. Auf S. 318-326 befasst er sich mit 1 Tim 2,1-15: In den Pastoralbriefen seien Leid und Herrlichkeit nicht voneinander zu trennen. Paulus glaube, dass die paradiesische Harmonie durch Christus wieder hergestellt wird, und zwar auf folgende Weise: politisch (V. 1-3), geistlich (V. 4-6), in Bezug auf die Abstammung (V. 7-8) und geschlechtlich (V. 9-15). Dazu sei Unterwerfung unter die göttliche Ordnung erforderlich.


K. L. Cukrowski 2006, 232-238 diskutiert zwei verschiedene Möglichkeiten, die Ellipse (Ellipse: kurze, knappe Ausdrucksweise durch Auslassung von Satzteilen, wobei – im Gegensatz zur Brachylogie -der ausgelassene Satzteil aus dem Zusammenhang ersetzt werden kann; genau genommen handele es sich hier um eine Brachylogie) zu ergänzen. Die erste Möglichkeit sei eine Ergänzung mittels „boulomai proseuchesthai“ („ich will, dass … beten“). Bei dieser Ergänzung sage V. 9 aus, wie Frauen beten sollen. Die zweite Möglichkeit sei eine Ergänzung mittels „boulomai“ („ich will, dass …“). Bei dieser Ergänzung sage V. 9 aus, wie sich Frauen schmücken sollen. Laut K. L. Cukrowski 2006, 232-238 spreche gegen die erste Möglichkeit, dass sie nicht mit dem gewöhnlichen Gebrauch des Verbs „kosmein“ („schmücken“) konform gehe. Außerdem müsse es in diesem Vers nicht zwangsläufig um das Gebet von Frauen gehen, denn dieses komme in anderen Passagen des NT zur Sprache. Richtig sei vermutlich die zweite Möglichkeit. Das Hauptgewicht der Aussage liege darauf, dass Frauen Zurückhaltung üben sollen. Wenn sie das tun, spreche nichts dagegen, dass sie auch lehren. K. Zamfir, J. Verheyden 2008, 376-406 legen dar, dass sich die zwei Lager nicht so klar unterscheiden ließen, wie man annehmen könnte. Aus einer textkritischen Analyse gehe hervor, dass beide Möglichkeiten der Ergänzung infrage kommen. Auch sei möglich, „kosmein heautas“ („dass sie sich … schmücken“) als sekundäre Ergänzung zu betrachten und zu streichen. Aber keine dieser Möglichkeiten sei problemlos und der Text sei mehrdeutig. Die Mehrdeutigkeit liege in der Verschmelzung zweier verschiedener literarischer Gattungen begründet. Zum einen habe 1 Tim vermutlich die Regelungen zum Kult, wie sie sich in Kor 11 und Zusammenhang fänden, als Vorlage verwendet. Die zweite Vorlage seien wohl eine Tradition bezüglich Standescodes, die Regeln hinsichtlich Kleidung und Frisur mit Geschlechterrollen und implizit auch biologischen Rollen verbunden hätten, und außerdem Ermahnungen neo-pythagoreischer Art gewesen. Letztere hätten popularphilosophische, Frauen und spezifische Geschlechterrollen betreffende topoi als Grundlage gehabt. Aus der Verschmelzung resultiere eine Korrektur der weniger strengen Haltung des Paulus hinsichtlich der Rollen, die den Männern und Frauen im Gottesdienst zugewiesen sind.


H. Celoria 2013, 20-23 vertritt die Ansicht, dass es in 1 Tim 2,9-15 nicht um ein generelles Lehrverbot hinsichtlich der Frauen gehe. Vielmehr gehe es Paulus darum, dass Frauen die Gottesdienste der Gemeinde durch ihr Erscheinungsbild und die Art ihrer Kommunikation störten. Einige Frauen hätten unpassende, auffällige Kleidung getragen und so ihre Zugehörigkeit zur gehobenen Bevölkerungsschicht zur Schau gestellt. Dies sei der christlichen Gemeinde nicht angemessen gewesen. Paulus gehe es darum, dass das Erscheinungsbild und Verhalten dieser Frauen so beschaffen ist, dass es dem neuen Leben in Christus entspricht.

A. J. Batten 2009, 484-501 untersucht die Beziehungen zwischen Schmuck, sozialem Geschlecht und Ehre in der griechisch-römischen Welt, um den Hintergrund der Aussagen zum Schmuck in 1 Tim 2,9 und 1 Pet 3,3 zu erhellen. Viele männliche Autoren hätten Frauen, die sich schmückten, kritisiert und oftmals des Luxus („luxuria“) bezichtigt. Diese Sichtweise sei aber nicht von allen Frauen geteilt worden. Vielmehr hätten diese Frauen Schmuck, feine Kleidung und aufwändige Frisuren geschätzt. All dies habe ihnen dazu gedient, hohen Status und Ehre und auch Wirtschaftskraft nach außen hin sichtbar zu machen. Dies gelte es im Hinblick auf 1 Tim 2,9 und 1 Pet 3,3 zu beachten.


Bei einer ausführlichen Betrachtung des gesamten 1 Tim und einzelner Passagen wie 3,1 und 5,17-25 zeige sich laut E. Tamez 2004, 558-578, dass die Kritik an den reichen Gemeindemitgliedern nicht aus der Luft gegriffen sein könne. Hinter ihr stehe etwas, das den historisch-cholerischen Diskurs hervorruft. Nach ihrer Ansicht gebe es in der Gemeinde, von der die Reichen, insbesondere die reichen Frauen, ein wesentlicher Teil seien, Schwierigkeiten mit Machtkämpfen. So sehe der Verfasser des 1 Tim die Macht und den Einfluss von Frauen, insbesondere von reichen Frauen (und Männern) auf die christliche Gemeinde als Problem an.


Laut U. Wagener 1994, 77-92 liege der Frauenparanäse 1 Tim 2,9-10 die gleiche oder eine sehr ähnliche jüdisch(-christlich) rezipierte Form eines in der hellenistischen Philosophie verbreiteten Schmucktopos zugrunde wie 1 Petr 3,1-6. Während die Paränese im 1 Petr jedoch stärker theologisch durchformt werde, nehme der Autor der Pastoralbriefe eine Reinterpretation unter Rückgriff auf hellenistische Tugendbegriffe vor, wobei seine Überarbeitung eine enge Verwandtschaft zu Motiven und Aussagen der neopythagoreischen Frauenspiegel aufweise.


S. H. Gritz deutet 1 Tim 2,9-15 auf dem Hintergrund des Artemiskults in Ephesus. Die prunkhafte und sogar verführerische Kleidung sei auf ihn zurückzuführen und habe in dem christlichen Gottesdienst zur Ablenkung geführt. Die Akzeptanz asketischer Neigungen, die der Heirat entgegen standen, habe eheliche Verbindungen zerrissen. Ein falsches Verständnis der Rolle Evas, das mit dem Vorrang des weiblichen Prinzips im Hinblick auf die Verehrung der Muttergottheit verbunden gewesen sei, habe die Genesis-Erzählungen bestritten. Paulus habe den Abschnitt 2,9-15 geschrieben, um die falschen Vorstellungen zu widerlegen. Er wolle den gläubigen Frauen deutlich machen, wie sie sich als Mitglieder des Haushaltes Gottes verhalten sollen.


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V. 10


Beobachtungen: Auch wenn V. 9 durchaus so verstanden werden kann, dass den Frauen dezenter Schmuck gestattet wird, macht V. 10 deutlich, dass die „guten Werke“ der eigentliche Schmuck sind. Und es geht nicht um den Schmuck den Menschen gegenüber, sondern um Schmuck Gott gegenüber, dem es zu entsprechen gilt. Die „guten Werke“ sind insofern Schmuck, als sie dem rechten Glauben und der Gottesfurcht entspringen. Mit diesen kann der Mensch – auch der Mann ist eingeschlossen, allerdings liegt auf ihm in Sachen Schmuck nicht der Fokus - sehr gut dem heiligen Gott gegenübertreten. Nicht gemeint ist, dass sich der Mensch mittels der „guten Werke“ das Heil selbst verdient, denn dies würde dem Heil aufgrund von gnädiger Sündenvergebung durch Christi Kreuestod widersprechen.


Auch die Frauen, die mit Kleidung und Schmuck aufzufallen suchen, beanspruchen für sich Gottesfurcht. Allerdings lassen sich ihre innere Haltung, ihre Kleidung, ihr Schmuck und ihre Haarpracht nicht mit ihrem eigenen Anspruch vereinbaren. Zur Gottesfurcht gehören „gute Werke“. Die „guten Werke“ werden nicht weiter konkretisiert. Wir haben davon auszugehen, dass grundsätzlich ein Verhalten gemeint ist, das christlichen Verhaltensmaßstäben entspricht.


Weiterführende Literatur:


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V. 11/12


Beobachtungen: Die Formulierung „en hêsychia“ ist wörtlich mit „in Ruhe/Stille“. Das kann man so verstehen, dass es ihr möglich sein soll, ungestört zu lernen. Das Lehrverbot V. 12 legt aber eine andere Auslegung nahe: Vermutlich ist gemeint, dass die Frau schweigend lernen soll. Sie soll also den Mund halten und sich dem Mann (und wohl auch Gott bzw. Jesus Christus) unterordnen. Ihr kommt die Rolle der Lernenden zu. Der Mann dagegen ist der Frau übergeordnet und darf dementsprechend lehren.


Es bleibt offen, was genau mit „über einen Mann herrschen“ („authenteô“) gemeint ist. Es ist in einem engen Zusammenhang mit dem Lehren zu sehen, aber nicht mit dem Lehren identisch. Wenn eine Frau schweigen bzw. still sein soll, dann ist damit gemeint, dass sie nicht lehren und auch nicht über einen Mann herrschen soll. Das Schweigen muss sich also über das Lehren hinaus auf sprachliche Äußerungen beziehen, die im Sinne des Herrschens verstanden werden können. Es scheint also darum zu gehen, dass eine Frau in einer Beziehung zu einem Mann nicht das Sagen haben soll.


Weiterführende Literatur: R. W. Yarbrough 1995, 155-196 befasst sich anhand von 1 Tim 2,9-15 mit der Frage, wie die Bibel auszulegen ist. Die Gaben, Berufungen und Dienste der Frauen seien von den Gaben, Berufungen und Diensten der Männer unterschieden worden. Die historische Position der Kirche bezüglich der Heiligkeit der Mutterschaft (nur verheirateter Frauen), der Vaterschaft (nur verheirateter Männer) und bestimmter Kirchenämter (nur für Männer) erkenne dies an. 1 Tim 2 bestätige diese historische Position. Bei dem Text handele es sich in der christlichen Lehre um keine Ausnahmeerscheinung; vielmehr liege er auf einer Linie mit Parallelen in früheren paulinischen und petrinischen Texten. Die heutige Deutung, wonach 1 Tim 2,9-15 den Frauen die Lehre und das Bekleiden von Kirchenämtern eher erlaube als verbiete, sei oft von nicht dem Text immanenten Voraussetzungen in den Text hineingetragen worden.

Sind die Christen gut beraten, dem gegenwärtigen Trend westlicher Gesellschaften zur Liberalisierung der Einstellungen bezüglich der Identitäten und Rollen von Männern und Frauen zu folgen? Diese Frage von R. W. Yarbrough nimmt H. O. J. Brown 1995, 197-208 auf. Wir könnten dies nur dann bejahen, wenn wir uns die Behauptung zu eigen machen, dass das traditionelle Schriftverständnis in einem Konflikt zu dem stehe, was der Apostel Paulus in Wahrheit beabsichtigte (vgl. Gal 3,28), und eine implizite Zurückweisung der Genesiserzählung seitens des Apostels annehmen. H. O. J. Brown schließt seinen Aufsatz mit Gedanken zu theologischen Entwicklungen, kulturellen Einflüssen und dem Willen Gottes ab.


M. Y. MacDonald 2014, 109-147 befasst sich mit der christlichen Versammlung und Familie in den Pastoralbriefen. Dabei geht sie auf S. 133-136 auf das Unterrichten von Ehefrauen ein. Die Ehefrauen sollten zwar schweigend lernen, aber immerhin sollten sie lernen. Sie sollten innerhalb der christlichen Gemeinde lernen, wobei ihr Ehemann oder ein anderer Mann der Gemeinde in führender Position lehren solle. 1 Tim 2,9-15 gebe in hohem Maße konventionelle Konzepte der Antike bezüglich der Bildung von Frauen wieder.

H. Celoria 2013, 20-23 weist darauf hin, dass es durchaus bemerkenswert sei, dass den Frauen das Lernen zugestanden wird. In der jüdischen Kultur sei es Tradition gewesen, dass Frauen nicht studieren durften und auch hinsichtlich der religiösen Bildung eingeschränkt wurden. In griechisch-römischen Kulturen sei das nicht immer so gewesen. So hätten möglicherweise in Ephesus Frauen kultische Funktionen in der römischen Religion innegehabt.


Beim Lehrverbot in 1 Tim 2,11-12 ergibt die traditionskritische Untersuchung U. Wagener 1994, 92-104, dass hier die gleiche Tradition vorliege wie im Schweigegebot 1 Kor 14,33b-36, das dort interpoliert sei, allerdings nicht durch den Verfasser der Pastoralbriefe. Die redaktionskritische Analyse zeige auf, dass in 1 Tim 2,11 eine sehr eigenständige Bearbeitung dieser traditionellen Gottesdienstregel mit einer spezifischen Stoßrichtung vorliegt. Im Gegensatz zu 1 Kor 14,33b-36 beruhe hier die Argumentation nicht auf der Antithese von „öffentlichem“ versus „privatem“ Raum; vielmehr werde die Paränese formal wie inhaltlich vom Gegensatzpaar „Lehren – Lernen“ bestimmt, das mit dem von „Herrschaft – Unterordnung“ analog gesetzt werde.

Zu lehrenden Christinnen und dem ntl. Lehrverbot siehe U. E. Eisen 1996, 106-111. Das in 1 Tim 2,12 überlieferte Lehrverbot für Frauen sei ein Zeugnis für die faktische Lehrtätigkeit von Frauen in ntl. Zeit. Zugleich seien 1 Tim 2,12 und 1 Kor 14,33b-36 Zeugnisse für bestehende frühchristliche Animositäten gegenüber der aktiven Beteiligung von Frauen am Gottesdienst und an der Lehre der Kirche. Die Polemik gegen die Irrlehrer und Frauen (vgl. 2 Tim 3,6-7) diene der Absicht, die Lehrtätigkeit auf bestimmte Amtsträger einzuschränken.

Der rhetorische Aufwand der Frauenparänese im Gegensatz zur vorangegangenen Männerparänese in 1 Tim 2,8 und das mit Nachdruck ausgesprochene Verbot des Lehrens in 1 Tim 2,12 deuteten laut U. Wagener 2004, 85-88 darauf hin, dass hier tatsächlich Frauen im Gottesdienst selbstständig lehrend aufgetreten sind. Die Verknüpfung mit der Schmuckpolemik lasse darauf schließen, dass diese Frauen wohlhabend und wirtschaftlich unabhängig waren. Ihr Reichtum habe für diese Frauen die Grundlage für ihre Autorität und Einflussposition gebildet. Die restriktiven Anweisungen für die Frauen würden ihre Stoßkraft aus der Übertragung des Haus-Modells auf die Gemeinde beziehen: Während faktisch in bestimmten Fällen durchaus Frauen als Hausvorsteherinnen agiert hätten, werde in der Konzeption der Ökonomik die Rolle des Hausherrn eindeutig dem Mann zugeordnet. Entsprechend werde die Ausübung des kirchlichen Leitungsamtes auf Männer beschränkt, während Frauen grundsätzlich die Rolle der Untergeordneten zukomme.


Ausführlich mit der Bedeutung der beiden Verben „didaskein“ („lehren“) und „authentein“ („herrschen über“) befasst sich H. S. Baldwin 1995, 65-80, der sämtliche syntaktische Parallelen zu 1 Tim 2,12 anführt und beleuchtet. Beide Verben seien positiv verstanden und bedeuteten „lehren“ und „herrschen über“.

Laut C. C. Kroeger 1979, 12-15 habe das Verb „authentein“ erst ab dem 3. oder 4. Jh. n. Chr. die Bedeutung „herrschen“ oder „Autorität an sich reißen“ angenommen. Insofern sei bezüglich 1 Tim 2,12 von einer anderen Bedeutung auszugehen. Das Verb „authentein“ sei besonders geeignet, sowohl das Erotische als auch das Mörderische zu bezeichnen. Hinsichtlich V. 12 erwägt sie die Bedeutung „to engage in fertility practices“. Zur Untermauerung ihrer These zieht sie verschiedene biblische und außerbiblische Belegstellen heran. Zu Ephesus merkt sie an, dass es dort in Verbindung mit dem Heiligtum der Diana zahlreiche Kultdirnen gegeben habe. Diese hätten gelernt, dass die Diana-Verehrer durch Unzucht zu einer direkten Verbindung mit der Gottheit gelangen. Bei ihrer Bekehrung zu Christus hätten die ehemaligen Kultdirnen diese Vorstellung aufgeben und lernen müssen, dass der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen Jesus Christus ist. Und in Griechenland seien wohl ausnahmslos alle Lehrerinnen Dirnen gewesen. Dazu zähle auch Aspasia, zu deren Schülern auch Sokrates und Perikles gezählt hätten. A. J. Panning 1981, 185-191 erklärt zunächst, wie es zu einer Deutung kommen kann, die dermaßen stark von der üblichen abweicht. Das Verb „authentein“ sei ein hapax legomenon, d. h. es komme in den biblischen Schriften nur hier vor. Für weitere Belege müsse man also außerbiblische Schriften heranziehen. Das Verb werde also vor den Kirchenvätern nur sehr selten gebraucht. Daher müsse man zur Erschließung der Bedeutung auf verwandte Begriffe zurückgreifen, speziell auf das Substantiv „authentês“. Und schließlich werde das Erschließen der Bedeutung der Wortfamilie dadurch erschwert, dass es bezüglich ihrer Etymologie keine einheitliche Meinung gibt. A. J. Panning sichtet kritisch die von C. C. Kroeger genannten Textbelege und kommt zu dem Ergebnis, dass sie keine oder zumindest keine zwingend anzunehmende sexuelle Konnotation enthielten. Vielmehr würden bei allen Textbelegen die seit alters her bezeugten Bedeutungen „ermorden“ und „beherrschen“ passen. C. D. Osburn 1982, 1-12 greift die Kritik auf. Die Annahme von C. C. Kroeger, dass die Lehrerinnen ihren Schülern sexuelle Gefälligkeiten angeboten hätten, lasse sich nicht belegen. Vielmehr spreche der Kontext dafür, dass in V. 12 die Bedeutung „despotisch herrschen“ vorliegt.

R. C. & C. C. Kroeger 1992, 185-188 erwägen, dass „authentein“ „morden“ bedeuten könnte. Sie stützen ihre Erwägung auf sprachliche Parallelen, in denen von Menschenopfern und rituellen Morden die Rede ist. Auch weisen sie auf die Nachahmung von Todesnähe und Mord in geheimen Initiationsriten hin. Der „freiwillige Tod“ oder der „Scheinmord“, der in geheimen Initiationsriten der Mysterienreligionen eine bedeutende Rolle gespielt habe, sei wesentlich verbreiteter als der tatsächliche Mord gewesen. In solchen Riten habe der Neuling häufig vor seiner Wiedergeburt in die Unsterblichkeit ein gestelltes Todeserlebnis durchmachen müssen. Die betreffende Person sei bei einer solchen Zeremonie tatsächlich als tot angesehen worden. C. C. Kroeger 1986, 225-248 zur Auslegung von V. 12: Das Verb „didaskô“ meine die Verbreitung von Irrlehren und das Verb „authenteô“ beziehe sich entweder auf einen rituellen Akt oder auf einen von häretischen Lehrerinnen vorgebrachten Lehrsatz, der für den Verfasser der Pastoralbriefe ein großes Problem dargestellt habe. Der Vers könne gegen die Verbreitung einer proto-gnostischen Art Kosmologie gerichtet gewesen sein.

In seiner lexikographischen Analyse kommt G. W. Knight III 1984, 143-157 zu dem Ergebnis, dass das Verb „authenteô“ dem Bedeutungsbereich „Autorität“ angehöre und neutral zu verstehen sei. Eine negative Konnotation sei hier nicht notwendigerweise anzunehmen. Die Bedeutung „morden“ bzw. die Bedeutung „Mörder“ des Substantivs „authentês“ gehöre nicht der Grundbedeutung an, sondern liege in der Sprachgeschichte begründet. Mit den neueren technischen Entwicklungen ist eine neue Datenbasis aufgekommen, nämlich diejenige des Computers. Mittels einer solchen, konkret dem Thesaurus Linguae Graecae, setzt L. E. Wilshire 1988, 120-134 die lexikographische Analyse fort. Er stellt die These von G. W. Knight III, wonach zur Zeit des Paulus die Bedeutung „Autorität innehaben/ausüben“ vorherrschend gewesen sei, infrage. Zur Zeit des Paulus seien verschiedene Wortbedeutungen im Umlauf gewesen. Die attische Bedeutung, die lange vorherrschend gewesen sei, habe das Verb „authenteô“ mit Mord und Selbstmord verbunden. Als sich die Koinê verbreitete, sei das Verb im weiteren Sinne mit kriminellem Verhalten in Verbindung gebracht worden. Außerdem habe es verstärkt die Bedeutung „Autorität/Macht/Rechte innehaben/ausüben“ angenommen. Bei den griechischen Kirchenvätern sei schließlich insbesondere die Bedeutung „Autorität ausüben“ zu finden. L. E. Wilshire 1993, 43-55 zu 1 Tim 2,12: Hier bedeute „authenteô“ wohl weder „Autorität ausüben“ noch „herrschen über“. Auch sei nicht „Macht gebrauchen“ oder „dominant sein“ gemeint. Vielmehr sei von der Bedeutung „Gewalt anstiften“ auszugehen, und zwar im Sinne einer literarischen Übertreibung oder direkten Formulierung. In Ephesus sei es zu der besonderen Situation gekommen, dass sich Frauen in der Gemeinde hitzig gegen Irrlehrer wandten, die die Ehe und das Kindergebären ablehnten. Paulus habe die streitsüchtige und freche Art dieser Frauen, „die Gewalt anstifteten“, abgelehnt. P. W. Barnett 1994, 159-162 hält diese Deutung für abwegig. Sie basiere auf einer spezifischen und spekulativen Deutung des Verbs „authenteô“ und versuche in einen ganz allgemein und universal formulierten Vers eine bestimmte Situation hinein zu interpretieren.

A. C. Perriman 1993, 129-142 gibt einen Überblick über die bisherige Diskussion. Er selbst kommt anhand einer literarischen und lexikologischen Analyse zu dem Ergebnis, dass der Gebrauch des Verbs „authenteô“ vom Handeln Evas her zu verstehen sei. Eva habe keine Autorität besessen, sei aber durch ihre Handlung verantwortlich für Adams Übertretung gewesen. In diesem Lichte passe die Konnotation „ein Verbrechen begehen“ gut. „Authentein“ beziehe sich also darauf, was Eva einst tat, und darauf, was Frauen nun nicht tun sollen. Die Frauen in der ephesinischen Gemeinde sollten die Männer nicht durch ihre Lehre in die Irre führen. Nicht gemeint sei jedoch, dass Frauen grundsätzlich von Stellen mit ordinierter Lehrbefugnis ausgeschlossen werden sollen.


Laut E. Schüssler Fiorenza 1983, 294-315 sei in den Pastoralbriefen (vgl. Apg 6ff.) eine Aufsplittung zwischen rechtgläubiger Lehre und rechtgläubiger Praxis festzustellen. Die rechte Lehre und die Überlieferung der Tradition werde den Männern aufgetragen, wogegen das rechte Handeln („gute Werke“) den Frauen aufgetragen werde.

G. N. Redekop 1990, 235-245 kommt zu dem Ergebnis, dass es dem Verfasser des 1 Tim um die Vermeidung von Irrlehren gehe. Bevor Frauen lehren dürfen, sollten sie zunächst einmal die rechte Lehre lernen. Dann könnten sie das Gelernte mit Überzeugung verkündigen.


T. D. Foster 2016, 3-10 geht davon aus, dass die Irrlehre asketischer Art gewesen sei. Sie habe gelehrt, dass wahre Spiritualität im Verzicht – insbesondere auf Ehe, Sex und Nahrung – liege.Von dieser Irrlehre hätten sich zahlreiche Frauen in der Gemeinde beeinflussen lassen. Dies habe zu großen Spannungen geführt. So hätten während der Gemeindeversammlungen die Männer mit den Frauen gestritten und die Frauen hätten die Männer davon zu überzeugen versucht, dass der Verzicht einen Weg zu einer höheren Spiritualität darstelle. Paulus fordere die Männer auf, das Streiten mit den Frauen einzustellen. Und er fordere die Frauen auf, nicht weiter zu versuchen, die Männer von ihrer Lehre zu überzeugen. Die Frauen sollten schweigen und sich der Lehre der Kirche unterwerfen. Die Schlange sei in Ephesus ebenso aktiv wie im Paradiesgarten. Das solle den Frauen als Warnung vor dem satanischen Ursprung der Irrlehre dienen. Aber noch sei es nicht zu spät und durch angemessenes Verhalten könnten sie dem Gericht (= durch Gott verstärkte Wehen; vgl. Gen 3,16) entgehen.


W. A. Grudem 1987, 11-23 macht deutlich, dass zwischen 1 Kor 11,5 (Frauen beten und prophezeien im Gottesdienst), 1 Kor 14,33-35 (Frauen sollen in der Gemeinde schweigen) und 1 Tim 2,11-14 (Frauen sollen nicht lehren oder über ihren Mann herrschen) kein Widerspruch bestehe, denn die Verben „prophezeien“ und „lehren“ bezeichneten zwei verschiedene Tätigkeiten. Im Gegensatz zur Gnadengabe der Prophetie heiße es vom „Lehren“ im NT in keinem Fall, dass es auf Basis einer Offenbarung stattfinde. Vielmehr handele es sich oftmals einfach um eine Erklärung oder Anwendung von Aussagen der Bibel. Die Lehre liefere die dogmatischen und ethischen Normen, die das Kirchenleben regeln. 1 Kor 11,5 erlaube zwar, dass Frauen im Gottesdienst prophezeien, 1 Tim 2,12 verbiete jedoch, dass Frauen in den öffentlichen Kirchenversammlungen lehren. In 1 Kor 14,33b-35 sei gemeint, dass die Frauen während der Bewertung von Prophezeiungen schweigen sollten. Ähnlich auch J. G. Sigountos, M. Shank 1983, 283-295, die von der Grundlage ausgehen, dass Paulus eine ergebene Haltung der Frau ihrem Mann gegenüber anmahne. Prophetie und Gebet seien der ergebenen Haltung angemessen, die Lehre nicht. Diese Unterscheidung lasse sich ursprünglich damit begründen, dass die Frauen beim Prophezeien und Beten als nicht ihres Verstandes mächtig galten. Vorbehalte habe man hinsichtlich einer Lehrtätigkeit von Frauen gehabt. Paulus’ Aussagen seien auch auf dem Hintergrund seiner Missionsstrategie zu verstehen. Den Frauen sollten so viele Ämter wie möglich eröffnet werden, jedoch sollte dabei die Ausbreitung des Evangeliums nicht behindert werden.


M. Crüsemann 1996, 199-223 vertritt die Meinung, dass die Kombination von Unterordnung und Redeverbot die Texte 1 Kor 14,34-35 und 1 Tim 2,9-12 gegenüber den reinen Unterordnungsgeboten der „Haustafeln“ in Kol 3, Eph 5 und 1 Petr als absolut frauenfeindlich auszeichne. Die beiden Texte wollten eine von weiblichen Aktivitäten bestimmte Realität umkehren. Es stelle sich das theologische Problem ihrer Stellung im Kanon, womit die Möglichkeit gegeben sei, zeitübergreifend Frauen als Frauen unter Berufung auf ein biblisches Gebot disziplinieren zu wollen. M. Crüsemann schlägt als Lösung kleine Anmerkungen vor: Bei 1 Tim 2,9-12 einen direkten Verweis auf die von vielen angenommene Pseudonymität der Schrift und für 1 Kor 14,34-35 einen Hinweis auf die unterschiedliche Platzierung in den Handschriften sowie auf die strittige Frage einer Interpolation. Noch besser sei jedoch eine Glosse im Stil der Schlussbemerkungen im Kohelet-Buch (12,9ff.), die eine ökumenische Bibelkommission zu beschließen hätte: Dass dieser Mann ein guter Lehrer sein wollte, sich bemühte, wahre Worte zu finden, aber im Grunde genommen zu viel geschrieben habe, seine Worte wie Stachel und eingeschlagene Nägel wirkten und eben nur von einem einzigen (Mann!) verfasst worden seien. Vgl. M. Crüsemann 2000, 19-36.


T. R. Schreiner 1995, 105-154 legt dar, dass es bezüglich der Bekleidung von Kirchenämtern zweierlei Auslegungslinien von 1 Tim 2,9-15 gebe. Die erste Auslegungslinie sei die traditionelle und wird von T. R. Schreiner als „historisch“ bezeichnet. Sie gehe davon aus, dass Frauen keine Kirchenämter wie „Pfarrer/Pastoren“ oder „Älteste“ bekleiden dürfen. Die zweite Auslegungslinie sei die „progressive“. Sie gehe davon aus, dass Frauen alle Kirchenämter bekleiden dürfen. T. R. Schreiner setzt sich mit der Literatur zu der Passage auseinander. Paulus erinnere seine Leser daran, dass die Frauen eschatologische Rettung erfahren, wenn sie ihre Rolle ausüben, zu der das Kindergebären gehöre. Natürlich sei das Ausüben der geschlechtsspezifischen Rolle für die Rettung nicht allein entscheidend; für die Rettung müssten weitere christliche Tugenden gelebt werden.

C. Boomsma 1993 vertritt die „progressive“ Ansicht. Die Argumentation lässt sich knapp wie folgt skizzieren: Im NT gebe es bezüglich der Gleichheit der Geschlechter zwei Linien: Die eine bejahe sie, die andere verneine sie. Die bejahende Linie spiegele die grundsätzliche Lehre des Evangeliums wider, die verneinende sei eine Antwort auf ganz besondere historische Umstände. Folglich könne nur die bejahende Linie für sich dauerhafte Gültigkeit beanspruchen. Dies werde insbesondere im Hinblick auf Aussagen zur Sklaverei deutlich. 1 Tim 2,11-15 ziehe zwar Schöpfung und Sündenfall als Begründung heran und gebe sich damit einen grundsätzlichen Charakter, beruhe aber auf einer fehlerhaften Deutung von Gen 2-3. Der Apostel Paulus habe sich diese fehlerhafte Deutung zu eigen gemacht, um seine eigene Autorität zu stärken, die von denen, die er zu überzeugen suchte, infrage gestellt worden sei. Das Prinzip, dass der Mann das „Haupt“ sei, sei bezüglich der Debatte um die Bekleidung von Kirchenämtern seitens der Frauen irrelevant, weil es sich nur auf das eigene Heim beziehe.

R. C. & C. C. Kroeger 1992, 42-43.50-52.59-66.70-74.105-113 legen dar, dass die paulinischen Aussagen V. 12-13 auf dem Hintergrund der kursierenden Irrlehre zu verstehen sein könnten. Bei der Irrlehre habe es sich um eine Mischung aus jüdisch-gnostischen Traditionen und der Verehrung der Artemis von Ephesus gehandelt. Die Irrlehrer hätten die Vorherrschaft Evas über Adam proklamiert. Paulus versuche mit seinen Worten Evas Überhöhung zu begegnen.

B. Barron 1990, 454 rekonstruiert die Häresie als gnostisch. Gnostiker hätten dazu geneigt, Frauen als bevorzugte Instrumente der Offenbarung zu überhöhen. In Übereinstimmung mit der Glorifizierung des Wissens als Weg zum Heil hätten die Gnostiker die Sündenfall-Erzählung der Genesis neu interpretiert und aus Eva eine Heldin gemacht. So werde in einer gnostischen Erzählung Adam erleuchtet, nachdem er von Eva die Frucht genommen hat, und danke ihr.


Laut P. W. Barnett 1989, 225-238 (= 1991, 321-334) legt dar, dass 1 Tim 2,11-15 auf dem Hintergrund der Präsenz wohlhabender und gebildeter Frauen in der Gemeinde zu verstehen sei. Paulus gehe es nicht um die fehlende Eignung der Frauen für das Amt als Bischof (episkopos) oder Diakon (diakonos), sondern um die Auswirkung, die die Bekleidung des Kirchenamtes auf die Ehe und die Bewertung der Mutterrolle hat. Sein Anliegen habe keinen oberflächlich kulturellen Charakter, sondern es gehe um die Schöpfungsordnung. Das kirchliche Geschehen dürfe nicht die Schöpfungsordnung umstürzen oder in Frage stellen und auch nicht von der Schöpfungsordnung fortführen. Die Schöpfungsordnung sehe für die Männer die Rolle als Ehemann und Vater vor und für die Frauen die Rolle als Ehefrau und Mutter. Ähnlich D. J. Moo 1980, 62-83, der zu dem Ergebnis kommt, dass in jedem Alter und an jedem Ort Frauen Männer nicht lehren und auch keine Autorität über Männer ausüben sollen. Solche Aktivitäten würden die Struktur der geschaffenen Geschlechterverhältnisse verletzen und die Frau in etwas verwickeln, was ihr nicht geziemt. P. B. Payne 1981, 169-197 hält dieses Ergebnis für nicht überzeugend, denn ihm lägen exegetische und logische Schwächen zugrunde. Die gesamte Geschichte hindurch habe Gott Frauen und Männern gleichermaßen die Gabe der Lehre und Verwaltung gegeben und die Verwendung dieser Gaben gutgeheißen. V. 12 liege eine konkrete historische Situation in Ephesus zugrunde: Frauen hätten zur Verbreitung von Irrlehren beigetragen. Das hätte den Gegnern Gelegenheit zur üblen Nachrede gegeben, hätte Paulus nicht die Aktivitäten der Frauen hinsichtlich Lehre und Verwaltung begrenzt. Die Begrenzung sei situationsbezogen gewesen, von einem grundsätzlichen Verbot der Lehre und Ämterausübung könne nicht die Rede sein. Vgl. D. M. Scholer 1986, 193-219 und A. I. Mbamalu 2014, die ebenfalls betonen, dass der 1 Tim situationsbezogen sei. D. J. Moo 1981, 198-222 verteidigt seine These. P. B. Payne belege seine Annahme nicht ausreichend. Sicherlich habe in Ephesus eine besondere Situation vorgelegen, jedoch seien die Verbote nicht nur auf diese besondere Situation bezogen. Der Kontext und auch das restliche NT legten nahe, dass die Verbote grundsätzlich gemeint sind. Folgende drei Punkte seien im Hinblick auf die Lehre entscheidend: a) Lehre erfolge nur mit der notwendigen Autorität; b) Lehre sei auf ganz bestimmte Personen begrenzt; c) nirgendwo erschienen Frauen als Lehrerinnen von Männern. W. L. Liefeld 1986, 219-224 merkt in seiner Antwort auf D. M. Scholer an, dass sorgsam erwogen werden müsse, dass Paulus den Frauen zwar das Prophezeien, nicht jedoch das Lehren erlaubt hat – eine Annahme, die D. M. Scholer ohne ausreichende Begründung zurückweise.


G. P. Hugenberger 1992, 341-360 skizziert zunächst die „traditionelle“ Auslegung von 1 Tim 2,8-15, gemäß der den Frauen die Bekleidung von Kirchenämtern untersagt werde. Dann stellt er vier alternative hermeneutische Ansätze vor und legt kurz dar, warum sie vermutlich nicht richtig seien: a) Das Verbot sei grundsätzlich zu verstehen, denn Adam sei vor Eva geschaffen worden und Eva sei verführt worden und habe daher die Verfehlung begannen. Einwände: Paulus sehe in seinen Briefen die Verführung als Gefahr für Frauen und Männer gleichermaßen an. Außerdem erlaube er den Frauen durchaus zu lehren (vgl. insbesondere Tit 2,3-5, wonach alte Frauen junge Frauen lehren dürfen). b) Paulus habe eine rabbinische, unter den zeitgenössischen Juden weit verbreitete Sichtweise aufgenommen. Einwände: Zu simpel und nicht mit Gal 3,28 vereinbar. c) Gen 2-3 als Polemik gegenüber unter ephesinischen Christen verbreiteten Vorstellungen bezüglich Adam und Eva. Einwand: Spekulativ. d) Paulus habe nur bestimmte Frauen im Blick, die getäuscht worden seien. Einwände: Wir wüssten nur wenig über die Irrlehrer und speziell Irrlehrerinnen unter den ephesinischen Christen. Außerdem wäre zu erwarten, dass Paulus allen Irrlehrern die Lehre verbietet und nicht nur den Irrlehrerinnen. Abschließend bietet G. P. Hugenberger eine eigene Auslegung, wonach es in dem Text nicht um die Beziehung zwischen Männern und Frauen gehe, sondern speziell um die eheliche Beziehung zwischen Ehemännern und Ehefrauen.

Anders B. Wiebe 1994, 54-85, der sich mit dem literarischen und historischen Kontext von 1 Tim 2,11-15 und Gal 3,26-29 befasst und den Inhalt und die Bedeutung der beiden Texte und ihr Verhältnis zueinander zu erschließen sucht: Der rechte Schmuck beziehe sich nicht nur auf Ehefrauen, sondern auf alle Frauen. Es seien Männer und Frauen der Gebetsgemeinschaft im Blick.


A. Padgett 1987, 19-31 befasst sich mit dem sozialgeschichtlichen Hintergrund von 1 Tim 2,8-15. Die Passage sei angesichts des Problems verfasst worden, dass es in Ephesus Frauen gab, die die Irrlehrer unterstützten und ihre Lehren auch in den Versammlungen der Hausgemeinden vertraten. Die Versammlungen hätten in den Häusern dieser wohlhabenden und angesehenen und erst kürzlich zum christlichen Glauben gekommenen Frauen stattgefunden. Manche Frauen könnten einem Kreis von Witwen angehört haben. Paulus wolle die Autorität dieser Frauen beschneiden. Sie dürften nicht Ärger und Diskussionen mit den Männern in den Gemeindeversammlungen hervorrufen. Sie sollten sich ihren geistlichen Lehrern unterordnen, und zwar den richtigen wie Paulus oder Timotheus. Von diesen sollten sie in Eintracht lernen. Sie sollten keine Autorität über Männer haben, selbst wenn diese es angesichts ihres hohen sozialen Ansehens erwarten. Die Frauen hätten wie Eva auf die Schlange gehört. Wenn sie sich von den Irrlehren gegen die Ehe abwenden und ihrer schöpfungsgemäßen Rolle als Gebärerinnen von Kindern (wie Eva und Maria, deren Same sie und die ganze Menschheit retten werde) widmen, dann würden sie – stets im Glauben, in der Liebe und in der Heiligkeit verbleibend – gerettet.

Auch J. J. Davis 2009, 5-10 geht nicht von einem universalen Verbot der Einsetzung von Frauen als Pastoren und Älteste aus und deutet V. 12 ebenfalls situationsbezogen auf von Irrlehrern getäuschte Frauen hin. Nur diese Frauen würden für ungeeignet gehalten, in Ephesus lehrende oder leitende Autorität auszuüben.

Gemäß J. Bassler 1988, 43-65 sei der Verfasser des 1 Tim mit Gen 2-3 vertraut gewesen und habe sich auf bestimmte Teile bezogen. In den Pastoralbriefen spielten Adam, Eva und Timotheus mit Masken bestimmte Rollen eines Dramas. Adam repräsentiere die Kirchenmänner, die dem Reiz der Häresie widerstehen, Zugleich repräsentiere er auf einer anderen Ebene die rechtgläubige Kirche selbst. Eva charakterisiere die leicht zu täuschenden Frauen der Kirche, zudem repräsentiere sie (nahezu) die gegenwärtige Häresie. Und so würden im Hinblick auf das Lehrverbot die Frauen wie Häretikerinnen behandelt. Timotheus schließlich werde als Mitarbeiter und Erbe des Paulus dargestellt, aber er spiele auch die Rolle des Cherub. Dabei sei es aber nicht länger seine Aufgabe, den Zugang des Menschen zum ewigen Leben zu verhindern (vgl. Gen 3,14); vielmehr solle er nun den Zugang bewahren, indem er ihn vom irreführenden Einfluss der Worte der Häretiker freihält.


Einen Überblick über die evangelikalen Sichtweisen im Hinblick auf Frauen in der Kirchenleitung bietet B. Barron 1990, 451-459.

Zu den Evangelikalen und ihren Einstellungen bezüglich der Geschlechterrollen mit Blick auf 1 Tim 2,8-15 siehe R. W. Pierce 1993, 343-355.


Evangelikale, die die Teilhabe von Frauen an der Predigt, Lehre oder Ausübung von Autorität in der Kirche begrenzen oder verhindern wollen, berufen sich laut D. M. Scholer 1986, 193-219 vor allem auf 1 Tim 2,11-12 und weniger auf 1 Kor 14,34-35. Von diesem Sachverhalt ausgehend bietet D. M. Scholer exegetische und hermeneutische Überlegungen. Dabei ist er auf den historischen Zusammenhang der Passage 1 Tim 2,9-15 (mit V. 15 als Höhepunkt) und auf die Argumente derjenigen, die den kirchlichen Dienst von Frauen einschränken oder verbieten wollen, fokussiert.

Laut A.-L. Danet 1990, 23-44 handele es sich bei 1 Tim 2,8-15 um einen Text, der in besonderem Maße zur Begründung der Ablehnung des pastoralen Dienstes von Frauen herangezogen worden sei und weiterhin herangezogen werde. Da er zudem unter den Auslegern zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten geführt habe, wolle sie genauer auf ihn eingehen. So führt sie nach hermeneutischen Bemerkungen und einer Kontextstudie Vers für Vers eine Exegese durch.

S. Motyer 1994, 91-102 schreibt auf dem Hintergrund der ersten Priesterweihen von Frauen in der Anglikanischen Kirche, die zu erheblicher Unruhe und auch zu Kirchenaustritten geführt hätten. Er untersucht, ob 1 Tim 2,8-15 der Weihe zu Priesterinnen oder der Zulassung zu anderen Kirchämtern im Wege steht. Ergebnis: Das sei nicht der Fall.

R. L. Saucy 1994, 79-97 legt dar, dass den Frauen nicht grundsätzlich die Lehre untersagt werde. Es werde den Frauen nur die Lehre untersagt, mittels derer sie in der christlichen Gemeinde Autorität über die Männer ausüben. Zur Verbindung der Lehre mit der Ausübung von Autorität über einen Mann siehe P. B. Payne 2008, 235-253: Die überwältigende Mehrheit der Vorkommen der syntaktischen Konstruktion oude (nicht) + oude (und nicht) + alla (vielmehr) bei Paulus und in anderen Schriften des NT sei so zu verstehen, dass oude + oude einen einzigen Gedanken ausdrücken, der in einem scharfen Kontrast zu der folgenden alla-Aussage steht. Paulus untersage also Frauen zu lehren und in Verbindung damit über einen Mann Autorität auszuüben. A. J. Köstenberger 2009, 37-40 hält die Argumentation und Schlussfolgerung von P. B. Payne für irrig. P. B. Payne behaupte, dass es viele Beispiele dafür gebe, dass „oude“ einen Infinitiv mit positiver Konnotation und einen Infinitiv mit negativer Konnotation verbinde. Tatsächlich würden aber in den erwähnten Beispielen keine Infinitive miteinander verbunden. Und es sei nicht so, dass in einer oude + oude – Konstruktion das erste Verb eine positive Konnotation habe und das zweite Verb eine negative, womit in 1 Tim 2,12 das Lehren eine positive Konnotation habe und das Ausüben von Autorität (durch das Lehren) eine negative. Stets liege entweder bei beiden Verben eine positive Konnotation vor oder bei beiden Verben eine negative. Damit werde das Ausüben von Autorität seitens der Frauen ebenso negativ bewertet wie das Lehren seitens der Frauen. Der Verfasser des 1 Tim untersage den Frauen folglich sowohl das Lehren als auch das Ausüben von Autorität. Dies füge sich logisch in die Theologie des Verfassers des 1 Tim ein, wonach den Frauen in der Kirche und Ehe zwar wichtige Aufgaben zukämen, sie jedoch den Männern untergeordnet seien.


J. M. Holmes 2000 vertritt die These, dass - unabhängig von der Bestimmung der Identität des Verfassers der Pastoralbriefe – von den Auslegern mehrere kontextuelle, linguistische, grammatische und literarische Komponenten des Abschnitts 1 Tim 2,9-15 nicht ausreichend beachtet oder sogar missverstanden worden seien. 2,11-12 verbiete den Frauen nicht zu lehren oder über die Männer Autorität auszuüben. Es gehe vielmehr darum, mit Fingerspitzengefühl das alltägliche Verhalten zu regeln.


Laut M. J. Cooper, J. G. Caballero 2017, 30-38 sei V. 12 von der biblischen Schöpfungsordnung her zu verstehen. Gott habe den Menschen/Mann in den Garten Eden gesetzt, „damit er ihn bearbeitete/bebaute/(ihm) diente und bewahrte“ (Gen 2,15). Diese Formulierung und/oder die enge Verbindung der Begriffe werde im AT wiederholt im Hinblick auf die Verehrung Gottes verwendet. Von Anfang an sei dem Menschen/Mann aufgetragen gewesen, vor Gott im Vollzug des Gottesdienstes eine priesterliche Rolle einzunehmen und die Heiligkeit des Ortes zu wahren, den Gott für die Begegnung mit seinem Volk auserkoren habe. Der Frau sei nicht primär die Verantwortung im Gottesdienst übertragen worden. Natürlich sei erwartet worden, dass sie am Gottesdienst teilnimmt, aber eben nicht in leitender Verantwortung.


M. Becker 2010, 241-266 befasst sich mit bisher wenig beachteten Entsprechungen, die zwischen Plutarchs Coniugalia Praecepta (Mor. 138b-146a) und den Pastoralbriefen (speziell 1 Tim 2,9-15) hinsichtlich des Eheverständnisses entdeckt werden können. Das Unterordnungskonzept beruhe jeweils auf der anthropologischen Annahme des vitium feminae, das bei Plutarch gar nicht und in den Pastoralbriefen mit einer sehr selektiven Bibelexegese des Sündenfalls begründet werde. Daraus begründe sich bei beiden Autoren das Schweigegebot für Frauen sowie ihr Status als Lernende. Die maskuline Führungsrolle diene jeweils der Beseitigung des weiblichen Mankos und wurzele in einer Art Unversehrtheit des Mannes: Bei Plutarch bestehe dieser intakte Zustand in seiner naturgegebenen größeren potentiellen Anteilhabe am Logos, die sich in der philosophischen Beschäftigung aktualisiere, beim Autor der Pastoralbriefe im Schöpfungsvorrang und Nicht-Getäuschtsein, das sich in der Fähigkeit zur gesunden Lehre auswirke. Die Bildungsfähigkeit der Frau stehe bei beiden Autoren außer Frage. Während das weibliche Defizit bei Plutarch idealerweise durch philosophische Beschäftigung beseitigt werden könne, was freilich nicht ausdrücklich als Ziel erwähnt werde, könne die Frau laut den Pastoralbriefen aus ihrem vitium feminae durch ein starkes Rollenbewusstsein als treue Gattin und Mutter befreit werden.


K. N. Caldwell 2012, 39-55 legt dar, dass Priscilla Männer gelehrt habe (vgl. Apg 18,26 und auch Röm 16,3), Junia zu den „Aposteln“ gezählt werde (Röm 16,7) und Phöbe Diakonin der Gemeinde in Kenchreä gewesen sei (vgl. Röm 16,1). Paulus bestärke und empfehle diese Frauen, statt sie in die Schranken zu weisen. Auffällig sei, dass die von Paulus bestärkten Aktivitäten der Frauen in Rom stattfanden, wogegen Paulus entsprechende Tätigkeiten von Frauen in Ephesus verbiete. Das Verbot könne daher nicht mit dem weiblichen Geschlecht erklärt werden, sondern mit einem ganz spezifischen Ort und historischen Kontext. Die allgemeine Sicht der Dinge seitens des Paulus sei von dieser spezifischen, von einem bestimmten Ort und historischen Kontext bedingten Sicht der Dinge zu unterscheiden. In Ephesus sei beiden Geschlechtern (vgl. 1 Tim 1,3) unter bestimmten Bedingungen verboten zu lehren.


R. G. Gruenler 1998, 215-238 vertritt die These, dass die Pastoralbriefe auf dem Hintergrund der Missionsarbeit und des Verkündigungsauftrags der Kirche zu verstehen seien. Es liege in der Verantwortung der Christen, durch ihre Lebensweise diesen Auftrag außerhalb und innerhalb der Kirche in möglichst hohem Maße zu bezeugen. Die Anweisungen in 1 Tim 2,8-15 richteten sich an diejenigen Gemeindeglieder, die in ihrem Lebenswandel auf Abwege geraten sind. Sie seien von der Hoffnung genährt, dass diese Gemeindeglieder wieder treu ihrer Verantwortung nachkommen, wie es Eva nach dem Sündenfall getan habe, als sie sich wieder mit ihrem Ehemann vereinigt und dem treuen Stammbaum einen Anfang gesetzt habe, der schließlich zu dem Messias und dessen Nachkommenschaft im Glauben geführt habe. Eva erscheine als Vorbild für Ehe und Familie und bescheidenes Lernen vom Reiferen.


M. Gourgues 2004, 5-18 geht folgenden Fragen nach: Inwiefern zeugt der 1 Tim von Veränderungen hinsichtlich der Art, den Glauben zu leben, und hinsichtlich der individuellen und gemeinschaftlichen Glaubenserfahrung? Und inwieweit geben diese Veränderungen eine Anpassung an das sozio-kulturelle Milieu des Umgebung wieder? Ergebnis: Es seien eine Zähmung der Glaubenserfahrung und eine Anpassung an die Kultur der Umgebung festzustellen. 1 Tim 2,8-15 zeuge von einer Verschärfung der ursprünglichen christlichen Einstellung.


L. Schottroff 2004, 104-119 befasst sich mit Frauenunterwerfung und Hass auf Frauenbefreiung (1 Tim 2,9-15). Der Text 1 Tim 2,9-15 wolle ein umfassendes Frauengesetz durchsetzen, nach dem sich Frauen im Alltag (und im Gottesdienst) zu richten hätten. L. Schottroff bietet eine eigene Übersetzung des Textes, geht auf sozialgeschichtliche Fragen ein und macht feministische Beobachtungen zur Auslegungsgeschichte, besonders der Gegenwart. Abschließend widmet sie sich feministischen Perspektiven.


Einen Überblick über die frühchristliche Rezeption von 1 Tim 2,11-12 gibt K. Zamfir 2015, 353-379.


J. Hübner 2016, 99-117 befasst sich mit V. 12 vom exegetischen Grundsatz her, eine unklare Bibelstelle von klareren her zu deuten. V. 12 sei ein unklarer Vers, wie die Vielzahl Deutungen beweise. J. Hübner 2015, 41-70 gibt über sie einen Überblick und sucht seiner Meinung nach irrige Deutungen zu widerlegen.

Angesichts dieser Unklarheit geht M. M. Jacobs 2005, 85-100 der Frage nach, was es überhaupt bringt, weiterhin solche unlösbar schwierigen Texte zu interpretieren. Dabei befasst sie sich mit dem historisch-kulturellen Kontext und der Geschichte der Interpretation von 1 Tim 2,9-15.


A. J. Köstenberger 1995, 156-179 versucht mittels des Gebrauchs des Systems IBYCUS zu einer fundierten Übersetzung von V. 12 zu kommen. IBYCUS verhelfe mit Blick auf die außerbiblische griechische Literatur der betreffenden Zeit zu einer größeren Datenbasis zur Entschlüsselung des Satzbaus von V. 12. Syntax und Kontext legten die Übersetzung „I do not permit a woman to teach or to have authority over a man“ nahe. Ähnlich A. J. Köstenberger 1995, 81-103, der außerdem noch die Übersetzung „I do not permit a woman to teach or to usurp a man’s authority“ erwägt.


Gemäß K. L. Waters 2007, 37-49 (vgl. 2004, 703-735) sei 1 Tim 2,9-15 metaphorisch zu deuten. Der Name „Eva“ bezeichne in V. 9-15 die Frauen in der ephesinischen Gemeinde. Das gelte auch für „eine Frau“, „die Frau“, „sie“ (Singular) und „sie“ (Plural), womit in V. 15 „sie“ (Singular) und „sie“ (Plural) jeweils die Frauen in der ephesinischen Gemeinde meine. Der Name „Adam“ wiederum beziehe sich nur auf die Männer der ephesinischen Gemeinde. Folgender Kontext sei bezüglich V. 9-15 zu erschließen: Wohlhabende Frauen der ephesinischen Gemeinde seien von einem Irrlehrer oder mehreren Irrlehrern fasziniert gewesen und hätten deren Lehren weiter in der Gemeinde verbreitet. Um der Gefahr der Häresie zu begegnen, habe der Verfasser des 1 Tim angeordnet, dass sich diese Frauen von ihren Verführern zurückziehen und sich der Lehre enthalten sollten. Darüber hinaus sollten sie sich der Autorität männlicher Lehrer in der ephesinischen Gemeinde unterstellen.


Zur Rezeption von 1 Tim 2,11-12 seitens der frühchristlichen Autoren Origenes, Chrysostomos, Theodoret, Prokopios von Gaza, Hieronymos und Ambrosiaster siehe K. Zamfir 2015, 353-379.


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V. 13


Beobachtungen: Das Verb „eplasthê“ („wurde geformt“) spielt auf Gen 2,7-8LXX an, wo es heißt, dass Gott den Menschen aus Staub von der Erde geformt hat. Es geht in 1 Tim 2,13 nicht darum, dass der Mensch geschaffen wurde oder von Gott geschaffen wurde. Es geht darum, wer als erster geformt wurde, ob es der Mann war oder die Frau. Wenn V. 13 betont, dass es „Adam“ war, dann versteht er „Adam“ als einen Namen, als den Namen des ersten Mannes. In Gen 2,7-8 findet sich tatsächlich der hebräische Begriff „adam“. Allerdings ist dieser hier noch nicht als Name des ersten Mannes gebraucht, sondern im Sinne von „Mensch“. Dem entspricht, dass die Septuaginta mit „anthrôpos“ („Mensch“) übersetzt, nicht aber mit „anêr“ („Mann“) oder „Adam“ („Adam“). Aus der Rippe dieses ersten Menschen ist dann später (vgl. Gen 2,21-22) seine Frau „gebaut“ worden. Erst von da an hatte der erste Mensch ein Gegenüber, nämlich seine Frau, und wurde zum Mann. Dessen Name ist „Adam“, also die hebräische Bezeichnung für „Mensch“. Adam ist tatsächlich vor seiner Frau geformt worden. Streng genommen ist aber nicht der Mann Adam vor seiner Frau Eva geschaffen worden, sondern der „Mensch“ („ʼādām“). Dann wurde seine Frau geformt und damit wurde aus dem Menschen der Mann namens „Adam“. Adams Frau war namenlos, bis sie von Adam den Namen „Eva“ bekam (vgl. Gen 3,20). Die sprachlichen Feinheiten spielen für „Paulus“ aber keine Rolle. Ihm kommt es darauf an, den Vorrang des Mannes gegenüber der Frau zu begründen. Daher deutet er Gen 2,7-8LXX auf Mann und Frau hin.


Weiterführende Literatur: E. Mouton, E. van Wolde 2012, 583-601 widmen sich in ihrem Versuch, den Aussagen in 1 Tim 1,15-3,1 im Allgemeinen und 2,13-15 im Speziellen einen Sinn abzugewinnen, den zwei wesentlichen Argumentationsweisen. Die erste sei eine wörtliche Interpretation von 2,13-15, die aber in sich unlogisch sei. Indem ein sehr begrenzter Ausschnitt aus Gen 2-3 in 1 Tim eingefügt werde, werde dies weder den Aussagen der Genesis-Erzählung noch der Aussage des gesamten 1 Tim gerecht. Erstens: Gemäß V. 13-15 sei zuerst Adam geformt worden, dann Eva. Das Erste erscheine als besser als das Spätere. Gen 1 zeichne dagegen ein anderes Bild: Der Mensch wird zuletzt geschaffen, woraus geschlossen worden sei, dass der Mensch den Höhepunkt der Schöpfung darstelle. Warum wird diese Schlussfolgerung nicht auch im Hinblick auf Eva gezogen? Zweitens: Gemäß V. 13-15 sei Eva verführt worden, nicht Adam. Wäre es aber nicht korrekter zu sagen, dass Eva zuerst verführt wurde und danach Adam? Drittens: Laut V. 13-15 habe Eva gegen das Verbot Gottes verstoßen. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, denn Adam habe ebenso gegen das Verbot verstoßen. Noch wichtiger sei aber folgender unlogischer Punkt: Gemäß Gen 2-3 seien die Fähigkeiten, Kinder zeugen und gebären zu können, Folgen des Verstoßes gegen das göttliche Verbot. In 1 Tim 2,13-15 werde das Kindergebären als einziger Weg zur Rettung dargestellt, aber die zur Fähigkeit des Kindergebärens führende Handlung abgelehnt. Die zweite Argumentationsweise sei eine allegorische (Allegorie als erweiterte Metapher) Interpretation, wie sie K. L. Waters 2004, 703-735 bietet. Demnach sei das „Kindergebären“ in 1 Tim 2,15 als Metapher für das „Tugenden-Gebären“ zu verstehen und von den Zuhörern bzw. Lesern auch so verstanden worden. Die Tugenden Glaube, Liebe, Heiligkeit und Selbstbeherrschung seien die „Kinder“ derjenigen Frauen in Ephesus, die gerettet werden. Laut E. Mouton, E. van Wolde bestehe aber auch bei dieser Auslegungsweise die Gefahr einer hierarchischen Deutung der Schöpfungserzählung. Ihrer Ansicht nach handele es sich bei 1 Tim 2,8-15 um eine kontextspezifische Aneignung der Schöpfungserzählung, nicht aber um eine universale Aussage zum Verhältnis zwischen Männern und Frauen.


P. H. R. van Houwelingen 2012,1-9 liest 1 Tim 2,8-15 unter den Gesichtspunkten der Macht (Machtkämpfe zwischen Männern und Frauen), Machtlosigkeit (Erzählung von Adam und Eva mit einem Fokus auf Eva, in der es um menschliche Schwäche gehe) und autorisierten Macht (apostolische Autorität als Lösung in der problematischen Gemeindesituation).


Laut B. L. Merkle 2006, 527-548 werde Frauen der Dienst als Pastorin /Pfarrerin gewöhnlich unter Hinweis auf die Schöpfungsaussagen in 1 Tim 2,13-14 versagt. Es werde behauptet, dass das paulinische Verbot zu lehren nicht als kulturell bedingt abgetan werden könne, weil Paulus nicht von der Kultur, sondern von der Schöpfungsordnung her argumentiere. Angesichts dieser Argumentation stelle sich die Frage, ob mit Blick auf 1 Kor 11,8-9 dann nicht auch Frauen eine Kopfbedeckung tragen müssen, wenn sie beten oder prophezeien. B. L. Merkle verneint dies. Paulus begründe in 1 Kor 11 seine Forderung nur indirekt mit der Schöpfungsordnung, wogegen das Lehrverbot 1 Tim 2 direkt mit ihr begründet werde.


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V. 14


Beobachtungen: V. 14 spielt auf die Erzählung vom Sündenfall des Menschen (Gen 3,1-6) an. Liest man diese Erzählung (Gen 3,1-6) unvoreingenommen, dann ist es zweifellos so, dass die Schlange verführt. Die Frau – erst später (in 3,20) erhält sie ihren Namen „Eva“ - ist diejenige, die sich verführen lässt und daraufhin von den Früchten des Baumes der Erkenntnis, von denen sie nicht essen darf, isst. Danach gibt sie auch dem Adam von den Früchten des Baumes und auch er isst. „Paulus“ deutet dies so, dass es nicht Adam gewesen sei, der verführt wurde, sondern die Frau. Tatsächlich ist auch er verführt worden, wenn auch nicht direkt durch die Schlange, sondern indirekt durch Eva. Er hätte durchaus die Frau zurechtweisen und sich weigern können, von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis zu essen. Das hat er aber nicht getan. Diesen Aspekt lässt „Paulus“ in seiner Begründung der Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau außen vor.


Die „Übertretung“ („parabasis“) ist als Übertretung eines Gebotes zu verstehen. Im Blick ist das Gebot „Von jedem Baum des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen“, das Gott dem Menschen gegenüber äußert (vgl. Gen 2,16-17). Die „Übertretung“ war nicht einfach nur ein Ereignis in grauer Vorzeit, sondern sie hat für die Gegenwart besondere Bedeutung, wie das Perfekt „gegonen“ („geraten ist“) zeigt. Die „Übertretung“ ist nämlich Bestandteil der Begründung, warum die Frau dem Mann untergeordnet ist.


Weiterführende Literatur: A. B. Spurgeon 2013, 543-556 geht davon aus, dass 1 Tim 2,13-15 auf dem Hintergrund von Gen 2,4-4,1 geschrieben sei und die Erschaffung von Adam und Eva, den Sündenfall und die Wiederherstellung neu erzähle. In 1 Tim 2 unterweise Paulus Timotheus, wie Christen beten sollen. Ein besonders wichtiger Punkt sei, dass so gebetet werden solle, dass die Einheit der Familie erhalten bleibt (V. 11-15; vgl. 1 Petr 3,7). Angesichts des Wirkens der Irrlehrer in der Gemeinde sei es Paulus darum gegangen, dass Familien im Gebet vereint waren und das Wort Gottes lernten. Nach dem Sündenfall habe Gott Wiederherstellung durch die Einheit der Familie beabsichtigt: Eva verlangt nach Adam, Adam erfüllt das Verlangen und beide zusammen zeugen Nachkommen. Die Einheit würde nicht nur Adam und Eva zusammenbringen, sondern auch Adam und Eva mit Gott. Die Einheit von Ehemännern und Ehefrauen im Gebet und Lernen bewahre die Adressaten vor den Täuschungen der Irrlehrer. Daher erzähle Paulus Gen 2,4-4,1 neu.


Laut P. W. Barnett 1989, 225-238 (= 1991, 321-334) solle der Mann lehren, weil Adam zuerst geschaffen worden sei und sich nicht – zumindest nicht an erster Stelle - habe täuschen lassen. Gemäß D. J. Moo 1980, 69-70 erwähne Paulus die Verführung Evas als beispielhaft für das grundsätzliche Wesen der Frau und möglicherweise auch dieses begründend. Die leichte Verführbarkeit der Frau verbiete es laut Paulus, dass die Frau lehrt. T. J. Harris 1990, 335-352 kritisiert die Deutung von P. W. Barnett. Zunächst einmal sei festzustellen, dass der Text nicht davon ausgeht, dass Adam nach Eva verführt wurde. Adam sei überhaupt nicht verführt worden. Dann bleibe auch offen, inwiefern die Verführung des Mannes nach der Frau einen Unterschied im Hinblick auf die Bekleidung eines kirchlichen Amtes macht. Differenzierter äußere sich J. B. Hurley 1981, wonach nicht der entscheidende Fehler gewesen sei, dass sich Eva hat verführen lassen, sondern dass sie sich in religiösen Belangen nicht Adam unterworfen hat. Frauen seien von Gott nicht für die Lehre gerüstet. Laut T. J. Harris sei richtig, dass Eva nach der Darstellung des Paulus getäuscht wurde und aus Unwissenheit handelte. Adam dagegen sei nicht getäuscht worden, sondern sei sich der Übertretung bewusst gewesen. V. 13-14 besagten demnach, dass Eva getäuscht wurde, weil sie, die erst an zweiter Stelle geschaffen wurde, ihr Wissen nicht aus erster Hand von Gott erhalten hat. Zu V. 15: Wenn es Paulus wirklich darum gehe, dass sich Frauen Vollzeit der Ehe und Mutterschaft widmen sollen, was bedeute das für alleinstehende Frauen? Gelten die Beschränkungen auch für alleinstehende Frauen?


C. Marucci 1994, 241-254 befasst sich mit der Herkunft und der Bedeutung der Verführung Evas in 2 Kor 11,3 und 1 Tim 2,14. Dabei geht er der Verführung Evas in der jüdischen und rabbinischen Literatur nach.


G. A. Beattie 2007, 207-216 vergleicht 1 Tim 2,13-15 und die Deutung von Gen 3 seitens der Nag Hammadi – Schrift Hypostase der Archonten. Letzterer Text biete eine gänzlich andere Deutung von Gen 3 als 1 Tim, was deutlich mache, dass die Lesart des 1 Tim nicht die einzig mögliche ist. Dass es 1 Tim letztendlich in den Kanon des NT geschafft hat, sage nicht aus, dass dessen Deutung richtig ist, sondern dass dessen Deutung besser den Absichten der werdenden Kirche entsprach. Der Kontext der Entstehung eines Textes sei stets zu beachten.


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V. 15


Beobachtungen: Auf den ersten Blick verwundert, warum in V. 15 plötzlich vom Kindergebären die Rede ist. Und noch verwunderlicher ist, warum das Kindergebären zur Rettung führen soll. Gewöhnlich ist „gerettet werden“ im Sinne der Rettung vor dem ewigen Tod zu verstehen. Wer gerettet wird, hat demnach Sündenvergebung und das ewige Leben zu erwarten. Und das nicht aufgrund des Kindergebärens, sondern aufgrund des Glaubens an den Kreuzestod und an die Auferstehung Jesu Christi. Wie ist also V. 15 zu verstehen? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass vom Kindergebären gar nicht so unvermittelt die Rede ist, wie es zunächst scheint. Das Kindergebären ist nämlich unmittelbar mit der Paradiesgeschichte und der Frau bzw. der Person Eva verbunden. Gemäß Gen 3,16 sind nämlich die häufige Schwangerschaft und die Geburt unter Schmerzen eine Strafe dafür, dass sich die Frau hat verführen lassen. Auch das Verlangen nach dem Ehemann und die Herrschaft Adams, des Mannes, über seine Frau sind Bestandteil der Strafe. Lesen wir also 1 Tim 2,15 von Gen 3,16 her, dann ist das Kindergebären unter Schmerzen eine Folge des Sündenfalls und gehört zur Existenz der Frau dazu. Schon der Name „Eva“, auf Hebräisch „awwāh“, weist auf das Kindergebären hin, wird er doch bei der Namensgebung Gen 3,20 im Sinne von „Leben“ und „Mutter alles Lebendigen“ (vgl. Sir 40,1).gedeutet. Wenn in 1 Tim 2,15 also vom Kindergebären die Rede ist, dann im Sinne der Rolle der Frau. Und wenn die Frau Kinder gebärt, dann tut sie das aufgrund des Sündenfalls und der daraus folgenden Rolle. Dass es sich beim schmerzhaften Kindergebären um eine Strafe handelt, kommt in 1 Tim 2,15 nicht in den Blick. Daher finden die Schmerzen keine Erwähnung. Die Rückführung des Kindergebärens auf den Sündenfall lässt aber auch unwahrscheinlich erscheinen, dass es sich beim Kindergebären um ein „gutes Werk“ im Sinne von 1 Tim 2,10 handelt. Gemäß V. 15 ist das Kindergebären weder schlecht noch gut, sondern einfach nur zur Rolle der Frau gehörig. Kinderlosigkeit ist in V. 15 kein Thema. Wenn das Kindergebären weder schlecht noch gut ist, verbietet sich eine voreilige Bewertung der Kinderlosigkeit.

Wenn sich die Frau dem Mann unterordnen soll, dann ist dies ebenfalls der Rollenzuweisung infolge des Sündenfalls geschuldet. Die Unterordnung ist weder schlecht noch gut, sondern nichts weiter als die Erfüllung einer Rolle. Das gesamte Gemeindeleben soll die Rolle der Frau widerspiegeln.


Gemäß Gen 2,17 hätten eigentlich Adam und seine Frau sterben müssen, nachdem sie von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen haben, und zwar noch am selben Tag. Tatsächlich ist der Tod jedoch nicht erfolgt. Stattdessen leben Adam und seine Frau Eva weiter. Allerdings leben sie infolge des Sündenfalls in ihren ganz spezifischen Rollen. Wenn die Frau ihrer Rolle nachkommt, dann ist dies kein Verdienst, mit dem eine Rettung vor dem (ewigen) Tod beansprucht werden könnte. Ganz im Gegenteil: Sie lebt im Zustand der Sünde weiter. Folglich wird die Frau nicht automatisch durch das Kindergebären gerettet werden. Vielmehr erfolgt die „Rettung“ nur, „wenn sie in Glaube, (und) Liebe und Heiligung verharren in Sittsamkeit“. Glaube, Liebe und Heiligung sind also die Voraussetzungen dafür, dass die Frau gerettet wird.


Fraglich ist, wer in Glaube, Liebe und Heiligung in Sittsamkeit verharren soll. An erster Stelle ist an die Frau zu denken, um die es ja geht. Aber es ist mit Blick auf Eva nur von einer Frau die Rede. Wieso plötzlich der Plural „sie“? Bedenkt man, dass Adam für die gesamte Menschheit und für die Gesamtheit der Männer stehen kann, und „die Frau“, Eva, für die Gesamtheit der Frauen, dann lässt sich der Plural „sie“ im Sinne einer Gesamtheit erklären. Damit wären alle Frauen gemeint. Alle Frauen sind potenziell Kindergebärerinnen. Der Plural „sie“ kann sich aber auf alle Kinder, die von den Frauen geboren werden, beziehen. Und schließlich ist bei der Zeugung von Kindern auch immer ein (Ehe-)Mann beteiligt. Der Plural „sie“ kann sich somit auch auf alle (Ehe-)Männer beziehen.

Die „Rettung“ ist nur auf die Frau bezogen. Sie wird gerettet werden, wenn sie – also sie selbst und ihre Kinder und ihr Ehemann - in Glaube, (und) Liebe und Heiligung verharren in Sittsamkeit. „Glaube“, „Liebe“ (sich selbst, dem Nächsten und Gott und Jesus Christus gegenüber) und „Heiligung“ sind typische Begriffe christlichen Lebens. V. 15 dürfte also den Gedankengang abschließen, wonach die Frau in der Rolle leben soll, wie sie ihr infolge des Sündenfalls von Gott zugewiesen worden ist. Die Rolle der Frau wird von der Erzählung von Adam und Eva und von der Rollenzuweisung seitens Gottes her genauer bestimmt und auf das Gemeindeleben angewandt.


Die Frauen und auch Kinder und Ehemänner sollen verharren, und zwar in Glaube, Liebe und Heiligung in Sittsamkeit. Die Frauen und Ehemänner sind also bereits Christen und die Kinder (werden getauft und) wachsen im vorgelebten Glauben auf. Es ist somit nicht mehr Mission im Blick, sondern es wird erfolgreiche Mission vorausgesetzt. Das lässt annehmen, dass der 1 Tim nicht zu Lebzeiten des Apostels Paulus verfasst worden ist, sondern erst nach dessen Tod. Nun geht es darum, den auf der paulinischen Lehre gründenden Glauben zu wahren und das christliche Verhalten zu bestärken. Die Auseinandersetzung mit Irrlehren rückt in den Fokus, ebenso die Notwendigkeit, die christlichen Gemeinden zu stärken und zu ordnen. Zur Ordnung der Gemeinden gehören auch Anweisungen zum rechten Verhalten, speziell auch im Gottesdienst. Dabei leben die christlichen Frauen ihr Leben nicht isoliert. Ihr Leben ist im Rahmen der Familie zu sehen, und zwar im Rahmen der leiblichen und im Rahmen der geistlichen Familie. Das enge Beziehungsgeflecht zeigt sich bei der „Rettung“: Die „Rettung“ durch die christliche Existenz ist nicht dadurch gegeben, dass sich die Frau nur um ihr eigenes Leben kümmert und dieses christlich führt. Der Frau ist auch aufgetragen, auf die Familienangehörigen zu schauen und deren christlichen Glauben und deren christliche Lebens- und Verhaltensweise zu bestärken. All dies führt zur „Rettung“, zumal in einem stabilen christlichen Umfeld die Gefahr eines Glaubensabfalls der Frau gering ist. Auch die leibliche Familie lebt ihr Leben im christlichen Glauben nicht für sich, sondern in Beziehung zu den anderen Christen, zur geistlichen Familie. Gemäß „Paulus“ ist dabei dem Mann und der Frau sowohl in der leiblichen als auch in der geistlichen Familie eine ganz spezifische Rolle gegeben. Diese Rolle gilt es angesichts von Irrlehren und Fehlverhalten einzuschärfen.


Der altgriechische Begriff „sôphrosynê“ kann „Besonnenheit“, „Enthaltsamkeit“, „Mäßigung“, „Zurückhaltung“ (vgl. V. 9) und „Sittsamkeit“ bedeuten. Da der Begriff in V. 15 ganz allgemein im Hinblick auf christliches Verhalten gebraucht wird, haben wir davon auszugehen, dass alle genannten möglichen Bedeutungen im Blick sind. Dabei dürfte die Enthaltsamkeit angesichts des Kindergebärens nicht im Sinne der grundsätzlichen sexuellen Enthaltsamkeit gemeint sein, sondern im Sinne der außerehelichen Enthaltsamkeit oder im Sinne der Enthaltsamkeit von einem Geschlechtsverkehr, der nicht auf die Zeugung von Kindern abzielt. Die große Spannbreite möglicher Bedeutungen des Begriffs „sôphrosynê“ wird gut durch die Übersetzung „Sittsamkeit“ abgedeckt.

„Mit Sittsamkeit“ („meta ôphrosynês“) kann sich nur auf die „Heiligung“, aber darüber hinaus auch auf „Glaube“ und „Liebe“ beziehen. Während „Glaube“, „Liebe“ und „Heiligung“ Begriffe sind, die ganz unabhängig vom Geschlecht die christliche Existenz charakterisieren, ist „mit Sittsamkeit“ ganz speziell auf das weibliche Geschlecht bezogen. Das legt die Aussage nahe, dass die christliche Existenz (oder ganz konkret die „Heiligung“) der Frauen von „Sittsamkeit“ geprägt sein soll. Die „Sittsamkeit“ wäre demnach eine Kardinaltugend christlicher Frauen.


Weiterführende Literatur: Es gehe dem Verfasser des 1 Tim laut R. W. Wall 2004, 81-103 nicht darum, mittels der biblischen Schriften patriarchalische Beziehungen innerhalb der christlichen Gemeinde oder innerhalb der christlichen Hausgemeinschaft zu begründen. Vielmehr rufe er in Erinnerung, was in der Erzählung von (Adam und) Eva typologisch auf den Willen Gottes hinweise, alle Frauen zu erlösen.

Ähnlich W. C. Vergeer 2016, 71-87: Ziel der Anweisungen des Paulus in 1 Tim 2,9-15 sei es nicht, eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung oder ein bestimmtes Verhältnis zwischen den Geschlechtern verbindlich festzuschreiben. Auch vertrete (oder verneine) er nicht eine Charta für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Diese Punkte, die in der gegenwärtigen Theologie und Politik wichtig geworden seien, seien nicht das, worauf Paulus abziele. Ihm gehe es darum, dass alle Menschen gerettet werden, auf welchem Wege auch immer, indem er sie zur Erkenntnis der Wahrheit bringt, dass Jesus Christus der Erlöser, der einzige Mittler zwischen den Menschen und Gott ist.


A. R. Solevåg 2013 geht der Verbindung von Kindergebären und Rettung in den Pastoralbriefen und in den apokryphen Schriften Andreasakten und Martyrium von Perpetua und Felicitas nach. Sie untersucht den Einfluss kulturellen Gedankenguts hinsichtlich des Kindergebärens auf Vorstellungen hinsichtlich der Rettung und geht der Frage nach, wie sich Vorstellungen von Geschlechterrollen und Klasse auf das Grundgefüge von „Rettung und Kindergebären“ ausgewirkt haben.

Gemäß A. R. Solevåg 2012 sei V. 15 keine Antwort auf asketische Lehren. Vielmehr sei der Vers auf dem Hintergrund der oikos(= Haus)-Ideologie zu verstehen. Diese Ideologie sei von einem Konzept der Männlichkeit geprägt, das männliche und weibliche Geschlechterrollen unterscheidet, außerdem von einer Ätiologie der Geschlechter auf Grundlage der Genesis-Erzählung von Adam und Eva.


B. W. Winter 2000, 285-294 legt dar, dass verschiedene antike Quellen annehmen ließen, dass die römischen Ehefrauen der Vorherrschaft ihrer Ehemänner unterworfen waren, den Augen der Öffentlichkeit verborgen blieben und nur Kinder gebaren und den häuslichen Pflichten nachgingen. Ein solches Bild der Ehefrauen des 1. Jh. gebe jedoch nicht die ganze Wirklichkeit wieder. Vielmehr sei in der ausgehenden Römischen Republik ein „neuer“ Typ Ehefrauen aufgekommen: Frauen in gehobener Position, mit gewisser finanzieller Unabhängigkeit und sozialer Freiheit. Auf dem Hintergrund dieses Phänomens erfolge die Erörterung in 1 Tim 2,9-15 hinsichtlich der christlichen Ehefrau.


S. Coupland 2001, 302-303 gibt einen kurzen Überblick über die Deutungen von V. 15: a) Christologische Deutung: Die Geburt des Kindes Jesus Christus durch Maria, die die Verheißung Gen 3,15 erfüllt und den Kopf der Schlange zertreten habe. Einwand: Der Begriff „teknogonia“ („Kindergebären“) sei kein terminus technicus mit besonderem Bezug auf Christus. b) Die Frau werde beim Gebären von Kindern körperlich bewahrt und der Fluch Gen 3,16 gelindert. Einwand: Nicht wahr, denn auch christliche Frauen hätten bei der Geburt gelitten und seien bei ihr sogar gestorben. c) „Teknogonia“ beziehe sich weniger auf den Akt des Gebärens als auf das Gebären und Aufziehen von Kindern. Einwände: „Dia“ („durch“) in Verbindung mit einer passiven Verbform und einem Substantiv im Genitiv habe im NT nirgends instrumentale Bedeutung. Außerdem sei unwahrscheinlich, dass das Heil nicht mit dem Glauben an sich, sondern mit der gläubigen Mutterschaft verbunden wird. d) V. 15 sei auf dem Hintergrund ganz bestimmter lokaler Umstände zu verstehen. Einwände: Mal werde die besondere soteriologische Bedeutung des Verbs „sôzô“ („retten“) nicht ausreichend beachtet, mal seien die Annahmen spekulativ. e) „Dia“ beziehe sich auf schwierige Umstände, die die Frauen durchmachen müssen. Die Frauen würden trotz der Mühsal des Kindergebärens gerettet, sofern sie im Glauben, in der Liebe, in der Heiligkeit und in der Sittsamkeit bleiben. S. Coupland hält diese letzte Deutung für am wahrscheinlichsten.

Auch D. R. Kimberley 1992, 481-486 gibt einen Überblick über die Deutungen von V. 15 und bietet dann eine eigene Auslegung. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass ausgesagt sei, dass das Gebären von Kindern Voraussetzung für die Rettung der Frauen sei. Eine solche Deutung stehe aber im Widerspruch zu anderen paulinischen Aussagen (z. B. Hochschätzung der Ehelosigkeit). Diesem Problem könne man ausweichen, indem man annimmt, dass Paulus nicht der Verfasser von 1 Tim 2,8-15 ist. Ein zweiter Deutungsansatz gehe davon aus, dass das Gebären von Kindern nicht unmittelbar mit der Rettung verbunden werde, sondern es vielmehr um die Rolle der Frau gehe. Ein dritter, gegenwärtig häufiger Deutungsansatz sei, dass wir es mit einem ganz spezifischen Kindergebären zu tun hätten, nämlich mit demjenigen, das Rettung für alle verheiße: die Geburt Jesu Christi durch Maria. D. R. Kimberley hält keine der Deutungen für überzeugend. Er vertritt die These, dass V. 15 als Antwort auf irrige gnostische Lehre sei, die das Gebären von Kindern negativ bewertet habe. Es sei also ausgesagt, dass Frauen durch das Gebären von Kindern gerettet, nicht verdammt werden, sofern sie im Glauben verharren.


Eine Analyse der wesentlichen lexikalischen und grammatischen Phänomene des V. 15 führt S. E. Porter 1993, 87-102 zu dem Ergebnis, dass der Verfasser des 1 Tim davon ausgehe, dass eine Frau, die in Glaube, Liebe und Heiligkeit bleibt, die Rettung durch das Gebären von Kindern erlange.


A. L. Bowman 1992, 193-213 bietet eine exegetische Studie zu 1 Tim 2,11-15. In V. 15 fasse Paulus die Diskussion zusammen, wie sich Frauen im Gottesdienst verhalten sollen, und nenne das erwartete Ergebnis: Die Frauen würden im eschatologischen Sinn Rettung erfahren, die eine Beurteilung der Werke und Erhalt der Belohnung beinhalte. Frauen sollten die ihnen zugewiesene, als „Kindergebären“ zusammengefasste Rolle erfüllen. Zusätzlich zu den äußeren Aktivitäten sollten sich die Frauen innerlich mit christlichem Charakter schmücken, zu dem wesentlich Glaube, Liebe und Heiligkeit gehörten.

Zu den Problemen des griechischen Textes von V. 15 und zur syrischen Version siehe J. H. Ulrichsen 1993, 99-104, der zu folgendem Ergebnis kommt: Die Schriftgrundlage von V. 15 sei Gen 3,16. Demnach sei der Mann Haupt der Frau, und dieselbe Stelle belege – so der Verfasser des 1 Tim -, dass das Gebären von Kindern die gottgegebene Aufgabe der Frau ist. Das Gebären habe demnach rettende Wirkung, und der Verfasser nehme offenbar an, dass es den Fluch, der seit Evas Fall an der Frau haftet, aufhebt. Das Heil der Frau hänge jedoch nicht nur vom Gebären von Kindern ab, sondern auch von deren Christlichkeit. Diese Auslegung werde von der syrischen Peschittaversion gestützt. Vgl. J. H. Ulrichsen 1993, 19-25.

A.-G. Martin 1993, 107-108 merkt an, dass sich gemäß der syrischen Bibel (Peschitta) „wenn sie verharren“ nur auf die Kinder beziehen könne, nicht aber auf die Frauen. Es stelle sich die Frage, ob die syrische Bibel einen schwierigen Text leichter machen wollte, oder ob sie Zeuge einer Textfassung ist, die älter ist als diejenige, die uns im Griechischen überliefert worden ist.


Gemäß M. Hubbard 2012, 743-762 sei V. 15 wie folgt zu deuten: Gott bleibe allen denjenigen treu, die treu/gläubig bei ihm bleiben. Und er wird die Frauen selbst durch die quälende Mühe des Kindergebärens körperlich bewahren. Diese Deutung werde dem sozialgeschichtlichen Kontext des 1. Jh. n. Chr. am ehesten gerecht. Dieses sei von grassierender Armut, verbreiteter Mangelernährung, fehlender Gesundheitsvorsorge und erschreckend hoher Müttersterblichkeit geprägt gewesen.


Laut C. R. Hutson 2014, 392-410 beziehe sich V. 15 auf eine sich zunehmend verbreitende rabbinische Tradition bezüglich der Frage, warum Frauen beim Geburtsvorgang sterben. Die Mischna-Stelle mSchabb 2,6 begründe dies damit, dass Frauen drei bestimmte, auf sie bezogene Gebote nicht halten: Erstens das Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit während der Menstruation (vgl. Lev 15,19-24), zweitens das Gebot der Gabe eines Teils des Teigs als Opfer für Gott (vgl. Num 15,17-21), drittens das Gebot, am Sabbat in allen Wohnungen kein Licht anzuzünden (vgl. Ex 35,3). Hohe Müttersterblichkeit sei die Realität gewesen. Nach einer glimpflich verlaufenen Geburt hätten Mütter später ein besonderes Dankgebet dafür gesprochen, dass sie bei der Geburt körperlich bewahrt worden sind.


Laut H. Huizenga 1982, 17-26 werde V. 15 von den meisten Auslegern so verstanden, dass Frauen dann gerettet werden, wenn sie sich ihrem Verantwortungsbereich gemäß dem Gebären und Aufziehen von Kindern widmen. Chrysostomos habe den Vers im Lichte der Mutterschaft gedeutet und sei der erste gewesen, der davon ausgegangen sei, dass – neben dem Gebären – auch ganz klar das Aufziehen von Kindern im Blick sei. In der Interpretationsgeschichte sei dieser Deutung die meiste Beachtung zugekommen. Der altgriechische Begriff „teknogonia“, der sich im NT nur hier finde, werde meist mit „Kindergebären“ oder „Geburt“ übersetzt. Die weite Deutung im Sinne des Gebärens und Aufziehens von Kindern gebe er jedoch nicht her. H. Huizenga legt dar, dass 1 Tim 2,15 weder so zu verstehen sei, dass Frauen in ihrem Verantwortungsbereich bleiben sollen, noch dass Frauen verheißen werde, dass sie durch die Gefahren der Geburt hindurch körperlich wohlbehalten bleiben. Vielmehr sei die Rettung durch die Geburt Christi (durch Maria) im Blick (vgl. 1 Tim 1,15).

Ähnlich N. Baumert 1992, 282-300: Die Verheißung an Eva erfülle sich in der Mutter des Messias. Dies müsse auch auf dem Hintergrund gelesen werden, dass eine jüdische Frau Kinderlosigkeit wie eine Strafe empfunden habe, weil sie ja gehofft habe, vor allem durch einen Sohn, mit dem Messias in Kontakt zu kommen. So habe es gleichsam in der Luft gelegen, dass die „Frau“ (nun generisch verstanden = alle Frauen) durch das Gebären von Kindern sich in einer Linie gesehen habe mit „der Kindesgeburt“, die alle erwartet hätten, und nun in Jesus Christus geschehen gewesen sei.


Gemäß K. O. Sandnes 1988, 97-108 werde in 1 Tim 2 (ähnlich Tit 2) das Motiv des anständigen Lebens mit dem Gedanken verbunden, dass Gott an der Rettung aller Menschen gelegen sei.


Laut M. B. Kartzow 2016, 89-103 werfe 1 Tim 2,15 folgende Fragen auf: Was ist mit Frauen, die nicht gebären können? Können auch sie gerettet werden, trotz aller Stigmatisierung? Kann eine Frau gerettet werden, die wie Sara ihre Sklavin (Hagar) an ihrer Stelle gebären lässt? Führt Leihmutterschaft zur Rettung? Wird eine Sklavin, deren Gebärfähigkeit ihrem Besitzer gehört, durch das Gebären gerettet? Diese Fragen versucht M. B. Kartzow unter Heranziehung relevanter atl. und ntl. Texte zu beantworten, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf Sklaverei, Rasse und Mutterschaft richtet. Sie macht deutlich, dass die Verbindung von Frauen, Kindergebären und Rettung seit der Entstehung von Texten wie 1 Tim zur Legitimierung der Unterdrückung von Frauen in Kirche und Gesellschaft genutzt worden sei. Die relevanten atl. und ntl. Texte ließen jedoch – unabhängig von der Aussageabsicht von 1 Tim 2,15 – verschiedenartiges Potenzial für Rettung der betroffenen Frauen erkennen.


A. J. Köstenberger 1997, 107-144 geht der Frage nach, was „Frauen werden durch Kindergebären gerettet werden“ bedeutet. Nach einem kurzen Abriss der Auslegungsgeschichte dieser Formulierung befasst er sich mit ihr Wort für Wort, wobei er auch mögliche Bezüge auf gnostische Lehren und auf Gen 3,15-16 berücksichtigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Formulierung wohl wie folgt zu deuten sei: Die Frau entkommt dem Satan (oder: wird vor dem Satan bewahrt), indem sie eine Familie hat. Das „Kindergebären“ („teknogonia“) sei nicht nur im Sinne der Heirat und des Gebärens von Kindern zu verstehen, sondern auch im Sinne des ehelichen Lebens und des Kinder Habens.


S. Fuhrmann 2010, 31-46 liest V. 15 auf dem Hintergrund antiker (insbesondere hippokratischer) medizinischer Lehren im Hinblick auf Frauenkrankheiten und gnostischer Schriften. In manchen der gnostischen Schöpfungsmythen habe der Mutterschoß der Frau eine zentrale Rolle eingenommen. In V. 15 werde das Verb „sôzô“ verwendet, allerdings nur - in geradezu sarkastischer Weise – im Hinblick auf den weiblichen Körper und seine biologische Funktion, ohne jeden Bezug auf das Heilshandeln Gottes durch Christus.


Laut A. Weissenrieder 2014, 313-336 seien der Ausdruck „gerettet durch Kindergebären“ und seine Rezeption Mittelpunkt intensiver Diskussionen gewesen und würden weiterhin intensiv diskutiert. Nach wie vor ändere sich jedoch die Debatte, besonders dann, wenn Quellentexte den Text neu beleuchten. A. Weissenrieder beleuchtet den Text vor dem Hintergrund antiker Texte medizinischer und philosophischer Provenienz. Antike medizinische Texte würden zeigen, dass von ehelos lebenden Frauen gemeinhin angenommen wurde, dass sie von körperlichen, geistigen oder moralischen Krankheiten beeinträchtigt seien. Zu ihrem eigenen Wohlergehen sei von den Frauen erwartet worden, dass sie Kinder gebären. Diesen Gedanken greife der Verfasser des 1 Tim auf.


Gemäß K. A. van der Jagt 1988, 201-208 wirke V. 15 auf moderne Leser reaktionär. Er scheine Frauen auf eine rein biologische Aufgabe zu reduzieren. Die antiken Adressaten hätten dagegen in V. 15 vermutlich eine revolutionäre Botschaft vernommen. In der jüdischen und hellenistischen Welt sei das Kindergebären mit negativen Aspekten assoziiert worden. Das Kindergebären (ebenso wie die Menstruation und der Geschlechtsverkehr) mache die Frau nach jüdischer Vorstellung unrein. Das Thema Reinheit habe im Judentum zu Beginn der christlichen Ära einen großen Stellenwert eingenommen. Reinheit führe zum Heil, Unreinheit nicht. Auch in gnostischen Kreisen seien das Kindergebären und die Fortpflanzung als ein Hindernis auf dem Weg zum Heil angesehen worden. V. 15 rehabilitiere die Frau, die Weiblichkeit und die Mutterschaft. Er befreie die Frau von Druck und zugeschriebener Untauglichkeit. Frauen könnten ein gutes Leben und Hoffnung auf ewiges Heil haben, ohne sich in Machtkämpfe verstricken zu müssen. Frauen könnten dasselbe geistliche Niveau wie Männer erreichen, ohne von ihrer Weiblichkeit Abstand nehmen zu müssen. Vgl. die soziologische Annäherung an V. 15 von K. A. van der Jagt 1988, 287-295.

Aus sozio-ökonomischer Perspektive Afrikas liest J. M. Wessels 2016, 105-122 1 Tim 2,15. Der Vers wird nicht als frauenfeindlich angesehen, sondern als Frauen wertschätzend. In Afrika gebe es viele traditionelle Bräuche, die sich negativ auf die Fähigkeit von Frauen, für sich zu sorgen, auswirken. Diese Bräuche seien zu beseitigen und müssten durch eine respektvolle Einstellung den Frauen gegenüber, wie sie der Bibel gemäß sei, ersetzt werden. Der enorme gesellschaftliche Beitrag der Frauen in der Vergangenheit müsse wertgeschätzt werden. Auch müssten die Frauen darin bestärkt werden, gute Werke zu tun und in den kommenden Jahren ihr Potenzial in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt auszuschöpfen. So könne ein gewichtiger Beitrag zur Überwindung der Frauenarmut und zum Wohlergehen des afrikanischen Kontinents im Gesamten geleistet werden.

Aus afrikanisch-feministischer Sicht befasst sich E. Nihinlola 2016, 314-326 mit der Bedeutung des Kindergebärens. Frauen sollten dazu ermutigt werden, sich bei der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung einer Gesellschaft einzubringen. Dies dürfe jedoch nicht auf Kosten der Mutterschaft geschehen. Weil das Kindergebären so bedeutsam sei, solle es ein integraler Bestandteil der Agenda feministischer Theologie, sozialen Interesses und amtlichen Handelns sein.



Literaturübersicht


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