Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 3,1-7

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 3,1-7



Übersetzung


1 Tim 3,1-7 : 1 Glaubwürdig ist das Wort. Wenn jemand ein Bischofsamt erstrebt, begehrt er eine gute Aufgabe. 2 Der Bischof muss daher untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen, anständig, gastfreundlich, ein begabter Lehrer, 3 kein Säufer und Schläger, sondern gütig, nicht streitsüchtig, nicht geldgierig. 4 Seinem eigenen Haus muss er gut vorstehen und gehorsame Kinder haben, mit aller Ehrbarkeit. 5 Wenn aber jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie kann der für eine Gemeinde Gottes sorgen? 6 [Er darf] kein Neubekehrter [sein], damit er nicht, aufgebläht, dem Verdammungsurteil des Teufels verfällt. 7 Er muss auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben, damit er nicht in üble Nachrede gerät und in eine Schlinge des Teufels.



( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 1


Beobachtungen: Nachdem „Paulus“ den „Timotheus“ ermahnt hat, in Ephesus zu bleiben und die Irrlehren zu unterbinden (1,3-20), kommt er in 2,1-3,16 auf die Ordnung der Gemeinde zu sprechen. Zunächst befasst er sich mit dem Gebet (2,1-7), dann geht er – bei schleichendem Übergang - auf das rechte Verhalten von Männern und Frauen in der Gemeinde ein (2,8-15). In 3,1-13 kommt er nun auf die Gemeindeämter „Aufseher/Bischöfe“ (3,1-7) und Diakone (3,8-15) zu sprechen.


Der altgriechische Begriff „logos“ („Wort“) meint hier kein einzelnes Wort, sondern eine Aussage oder mehrere Aussagen und/oder das gesamte Evangelium. „Logos“ kann auch das gesamte Evangelium bezeichnen. „Glaubwürdig ist das Wort“ ist hier eine Formel, die von einem Abschnitt zum nächsten überleitet. Sie schließt den vorhergehenden Abschnitt ab und leitet zugleich den folgenden Abschnitt ein. Es ist kaum zu ermitteln, welche Aussagen konkret als „Wort“ verstanden sein könnten, handelt es sich doch durchgehend um Anweisungen zur Ordnung der Gemeinde. Weder wird ausdrücklich aus der hebräischen Bibel (= AT) zitiert noch der Inhalt des Evangeliums dargelegt. Insofern ist „Glaubwürdig ist das Wort“ wohl eine Bekräftigung, dass die Anordnungen dem Evangelium entsprechen. Die Anordnungen haben deswegen das Evangelium als Grundlage, weil das Evangelium mit seiner Verheißung von Heil glaubwürdig ist. Es ist somit völlig anders beschaffen als die Fabeln und die endlosen Geschlechtsregister, die „Paulus“ in 1,5 kritisiert hat. Diese sind seiner Meinung nach schwer verständlich, führen zu Streiterei und haben für das Heil des Menschen keine Relevanz. Wir können die Formel „Glaubwürdig ist das Wort“ also als eine Abgrenzung von den Irrlehrern und von deren Lehren verstehen.


Eine Variante liest „anthrôpinos“ („menschlich“, oder: „irdisch“) statt „pistos“ („glaubwürdig“). Die Übergangsformel lautet gemäß der Variante also „Menschlich ist das Wort“. Aber wie können die Anordnungen und/oder das Evangelium als „menschlich“ bezeichnet werden, wenn sie doch viel mehr als reine Meinungsäußerungen oder subjektive Aussagen sind? Wie kann das „Wort“ normativ sein, wenn es doch nur „menschlich“ ist? Man könnte einwenden, dass der Mensch unvollkommen ist und damit auch das „menschliche Wort“. Man kann schwerlich verlangen, dass die Christen unvollkommene Anordnungen, die auf einem unvollkommenen Evangelium gründen, befolgen sollen. Wenn wir nicht davon ausgehen wollen, dass die Variante die Glaubwürdigkeit des Evangeliums und der darauf fußenden Anordnungen in Frage stellt, müssen wir nach einer anderen Deutung suchen. Wir haben davon auszugehen, dass auch die Variante das Evangelium und die Anordnungen für glaubwürdig hält, allerdings die Betonung der Glaubwürdigkeit hier für nicht notwendig hält. Vielmehr scheint die Variante betonen zu wollen, dass das Evangelium nicht abgehoben und weltfremd ist, sondern von einer ganz konkreten Relevanz für den Menschen. Dabei ist hier eine ganz konkrete Relevanz für die Ordnung der Gemeinde im Blick. Es geht darum, wie sich die Gemeindeglieder und die Amtsträger verhalten sollen.


In V. 1 ist vom „Bischofsamt“ („episkopê“) die Rede. Das ist insofern bemerkenswert, als Paulus zwar „Bischöfe“ („episkopoi“) kennt, aber das entsprechende Amt nicht erwähnt. Haben wir davon auszugehen, dass es zur Zeit des Paulus im Gegensatz zur Zeit der Pastoralbriefe noch kein „Bischofsamt“ gab? Einige Beobachtungen legen das nahe: Der Philipperbrief ist gemäß 1,1 an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, samt Aufsehern (episkopois) und Dienern gerichtet. Es gab also demnach in Philippi mehrere „episkopoi“. Haben wir wirklich davon auszugehen, dass es in Philippi mehrere „Bischöfe“ gab? Wahrscheinlicher ist, dass das Bischofsamt noch nicht ausgebildet war. Die „Bischöfe“, von denen Phil 1,1 spricht, waren vermutlich keine Amtsinhaber im eigentlichen Sinne, sondern Gemeindeglieder, die eine bestimmte Funktion innehatten. Der Titel „episkopoi“ ist derselbe, allerdings hat ein Wandel bezüglich Bedeutung und Aufgaben stattgefunden. Dieser Wandel wird anhand der Übersetzung verdeutlicht: In Phil 1,1 lautet die Übersetzung von „episkopos“ „Aufseher“, in 1 Tim 3,2 „Bischof“. Paulus lässt kein besonderes Interesse daran erkennen, welche Qualifikationen und Fähigkeiten ein „Aufseher“ haben und wie er seinen Dienst ausüben soll - im Gegensatz zu „Paulus“, dem Verfasser des 1 Tim. Dieser widmet dem „Bischof“ einen ganzen Abschnitt.


Das „Bischofsamt“ scheint attraktiv zu sein, denn es wird erstrebt. Außerdem wird es als „gut“ beurteilt. Warum es so attraktiv ist und warum „gut“, wird jedoch nicht weiter ausgeführt. Die folgenden Verse gehen sofort zu den Voraussetzungen über, die ein Bischof erfüllen muss. Es wird deutlich, dass nicht jedes Gemeindeglied einfach so Bischof werden kann.


Weiterführende Literatur: Gemäß T. Söding 2008, 63-86 sei 1 Tim 3 ein ekklesiologischer Schlüsseltext, weil in ihm die Qualifikationsfrage direkt auf das neue Kirchenbild bezogen werde. Die Aufgabe, in der Gegenwart zwischen richtiger und falscher Lehre zu unterscheiden, den Glauben zu bezeugen und Werke der Liebe zu tun, könne nur aus der Verbundenheit mit dem Apostel heraus erfüllt werden – so wie umgekehrt Paulus nach den Pastoralbriefen seine gesammelte Aufmerksamkeit darauf richte, dass die rechte Lehre und die gute Praxis durch sachgemäße Episkopê (Bischofsamt) inmitten der Kontroversen wahren und falschen Glaubens weitergetragen und fortgeschrieben wird.


Zum Bischofsamt unter Berücksichtigung des Apostels und seiner engsten Mitarbeitet siehe J. Schlosser 2006, 561-596.


J. L. North 1995, 50-67 legt dar, dass die Variante „Menschlich ist das Wort“ möglicherweise ursprünglich sei und insbesondere lateinischen Textzeugen zugrunde liege. Die Variante sei auf dem weiteren Hintergrund der paulinischen Aussagen zur Rede, die sowohl christlich als auch – positiv und negativ verstanden - menschlich sei, zu erklären. Möglicherweise sei „menschlich“ durch „zuverlässig“ ersetzt worden, um den Text an die sicher ursprünglichen Vorkommen von „Menschlich ist das Wort“ (1 Tim 4,9; 2 Tim 2,11; Tit 3,8; unsicher: 1 Tim 1,15) anzupassen und das für geringschätzend oder bestenfalls unklar gehaltene „menschlich“ zu ersetzen. So werde deutlich gemacht, dass auch das Wort eines Bischofs „zuverlässig“ sein müsse.


In den Pastoralbriefen findet sich fünfmal die Formel „pistos ho theos“ („zuverlässig ist das Wort“: 1 Tim 1,15; 3,1; 4,9; 2 Tim 2,11; Tit 3,8). Dabei ist umstritten, ob die Formel den Worten, auf die sie sich bezieht, vorausgeht oder folgt. R. A. Campbell 1994, 73-86 macht anhand von formkritischen Argumenten deutlich, dass sie ihnen stets vorausgingen, sie also einleiteten. In manchen Fällen müsse die Aussage, auf die sie sich bezieht, neu identifiziert werden. Das sei insbesondere im Hinblick auf 1 Tim 3,1 der Fall, wo die Bezugsworte in 3,16 auszumachen seien. Bisher habe noch niemand ausdrücklich diesen Vers mit der in einem gewissen Abstand vorhergehenden Formel verbunden. Der große Abstand lasse sich möglicherweise damit erklären, dass die Pastoralbriefe aus großen Blöcken Traditionsmaterial zusammengesetzt sind. Das gelte auch für 1 Tim 3. Ursprünglich seien die Aussagen, auf die sich die Formel jeweils bezieht, katechetische Grundsätze gewesen. Sie seien vermutlich von den Nachfolgern des Apostels Paulus in dessen Geist formuliert worden, ohne Zitate zu sein. Sie hätten den sich entwickelnden Gemeinden als Leitfaden gedient.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 2


Beobachtungen: Wenn das Bischofsamt eine „gute Aufgabe“ ist, dann muss der Bischof ihr entsprechen. Der Bischof muss also „gut“ sein. Was unter „gut“ zu verstehen ist, wird nun konkretisiert. Der „gute“ Bischof hat gute Charaktereigenschaften, ist in sittlicher Hinsicht tadellos, hat stets einen klaren Verstand und besitzt die nötigen Fähigkeiten. Die gesamte Persönlichkeitsstruktur muss für das Amt geeignet sein.


Der Verfasser des 1 Tim verwendet Begriffe, die sich in den gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Briefen nicht finden: anepilêmptos (tadellos), nêphalios (nüchtern), kosmios (anständig), philoxenos (gastfreundlich), didaktikos (ein begabter Lehrer). Diese besondere, für die Pastoralbriefe typische Wortwahl lässt annehmen, dass der Apostel Paulus nicht der Verfasser des 1 Tim (und auch nicht der beiden anderen Pastoralbriefe) ist, auch wenn 1 Tim 1,1 dies suggeriert.


Es wird davon ausgegangen, dass der Bischof ein Mann ist. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Frauen das Amt grundsätzlich verwehrt ist. Vielmehr spiegelt das antike gesellschaftliche Gepflogenheiten wieder und wohl auch die männerzentrierte Tendenz der Pastoralbriefe.

Wenn „Paulus“ betont, dass der Bischof Mann einer einzigen Frau sein solle, dann lässt sich daraus schließen, dass es Männer gab, die mehrere Frauen hatten. Ist dies so zu verstehen, dass diese Männer mehrere Ehefrauen hatten? Das ist die nahe liegende Deutung. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass diese Männer neben der Ehefrau auch noch Geliebte hatten oder anderweitig mit Frauen außerhalb der Ehe sexuellen Verkehr hatten. Die Voraussetzung, dass der Bischof nur eine einzige Frau haben soll, wirft Fragen auf: Darf der Bischof nach dem Tod seiner Frau erneut heiraten? Darf er sich scheiden lassen und dann eine andere Frau heiraten? Von 5,9 her, wo es im Hinblick auf die in eine Liste einzutragenden Witwen heißt, dass sie eines Mannes Frau sein sollen, ist anzunehmen, dass „Paulus“ von den Amtsinhabern die Einzigehe verlangt. Es ist nämlich unwahrscheinlich, dass Frauen zeitgleich mehrere Ehemänner oder einen Ehemann und dazu Geliebte haben konnten. Die Bischöfe betreffend bedeutet das, dass eine erneute Heirat nach dem Tod der Ehefrau oder nach einer möglichen Scheidung nicht erwünscht war.

Bemerkenswert ist, dass nicht gefordert wird, dass der Bischof unverheiratet lebt. Und wenn er eine Ehefrau haben darf, dann ist wohl auch ehelicher Geschlechtsverkehr erlaubt. Somit kann oder soll der Bischof auch Kinder haben, wie aus dem folgenden Vers hervorgeht.


Das Adjektiv „sôphrôn“ kann „vernünftig“, „besonnen“, „enthaltsam“, „maßvoll“, „zurückhaltend“ und „sittsam“ bedeuten. Zunächst einmal steht es direkt nach dem Adjektiv „nêphalios“ („nüchtern“). Also dürfte es den klaren Verstand und die Besonnenheit meinen, die mit der Nüchternheit verbunden sind. Liest man es im Lichte der Voraussetzung „eine einzige Frau“, dann könnte aber auch die sexuelle Mäßigung, die Beschränkung der sexuellen Aktivität auf diese eine Ehefrau gemeint sein. Alle Aspekte zusammengefasst lässt sich sagen: Der Bischof schlägt nicht über die Stränge, weder emotional noch sexuell noch in seinem gesamten Gebaren.


Warum soll der Bischof gastfreundlich sein? Machen wir uns bewusst, dass der Bischof eine Amtsperson ist, dann wird der Besuch nicht nur aus Verwandten oder Freunden bestanden haben. Vielmehr wird der Bischof auch Gäste aufgenommen haben, zu denen er keine besondere persönliche Beziehung hatte. Die Gastfreundschaft dürfte auch auf Gesandte oder Amtspersonen anderer Gemeinden zu beziehen sein. Wir haben also davon auszugehen, dass hier eine Gastfreundschaft im Rahmen des Christentums, der geistlichen Familie, gemeint ist. Dass auch Juden oder Heiden in die Gastfreundschaft einbezogen sind, ist nicht auszuschließen. Allerdings sind sie nicht an erster Stelle im Blick. Und bei Heiden ist zu bedenken, dass Christen zu diesen ein sehr distanziertes Verhältnis hatten. Bei der Aufnahme von Heiden wäre sicherlich gleich das Bedürfnis aufgekommen, sie zum christlichen Glauben und somit zum Seelenheil zu bekehren.


Weiterführende Literatur: Zur Entwicklung der kirchlichen Ämter in frühchristlichen Gemeinden Kleinasiens siehe D.-A. Koch 2010, 166-206, der auf S. 188-204 auf die Pastoralbriefe und Ignatius von Antiochia eingeht. Er stellt fest, dass der Verfasser der Pastoralbriefe am Amt des Bischofs am meisten Interesse habe. Die Entstehung des Amtes des einen Bischofs werde in der Forschung seit langem mit der Abwehr der Gefahr der Irrlehre begründet. Die Signale, die diese Annahme stützen, seien in der Tat mehr als deutlich. Dann ergäben sich aber zwei Fragen: a) Warum wurde nicht sogleich eine monarchische Spitze gebildet, sondern zunächst ein kollektives Leitungsorgan? b) Warum wurde dieses kollektive Leitungsorgan aus „Ältesten“ gebildet? Antwort: Einem „Ältesten“ sei in der Antike Erfahrungswissen und Urteilsvermögen zugeschrieben worden, d. h. Sozialkompetenz. Und in der Regel habe ein „Ältester“ nicht nur sich selbst repräsentiert, sondern den Familienverband, also ein „Haus“ oder eine andere Gruppierung, der er angehörte, in der er seine Sozialkompetenz erworben hatte und in der er wohl in der Regel auch eine bestimmende Funktion innehatte. Und genau diese Kompetenz habe offenbar in die Gemeindeleitung integriert werden sollen, und zwar nicht die eines einzelnen „Ältesten“, sondern die einer Mehrzahl. Die kollektive Führungsstruktur habe dazu gedient, die verschiedenen Teile der Gemeinde durch ihre wichtigsten Vertreter einzubinden und sozusagen alle „mit ins Boot“ zu nehmen.


Mit der Frage, ob auch Frauen in ntl. Zeit zu den christlichen Bischöfen gehörten, befasst sich U. E. Eisen 1996, 202-209. Es könne festgestellt werden, dass Frauen in der frühchristlichen Literatur nicht explizit als Bischöfinnen bezeugt sind. Für die Anfänge des Bischofsamtes sei anzunehmen, dass es sich um einen Verwaltungs- und Aufsichtsdienst handelte, den Frauen (wie etwa Prisca oder Nympha) in ihrer Funktion als Vorsteherinnen von Hausgemeinden ausübten. In der ersten Hälfte des 2. Jh. zeichne sich mit 1 Tim 3,1-7 ab, dass Frauen von diesem Amt ausgeschlossen werden sollten. Diese Tendenz habe sich angesichts der spärlichen Zeugnisse, die auf Bischöfinnen hindeuten, in den christlichen Kirchen weitgehend durchgesetzt. Es habe aber auch, wie etwa die Montanisten, christliche Gruppen gegeben, die Bischöfinnen einsetzten. Aufgrund epigraphischer Zeugnisse könne zudem angenommen werden, dass Frauen auch in der Großkirche in Rom und in den römischen Provinzen das Amt der Bischöfin ausgeübt haben. Die epigraphisch bezeugten Bischöfinnen seien – anders als von der Forschung gemeinhin angenommen – nicht die Ehefrauen von Bischöfen gewesen.


Das Interesse von O. Hofius 2010, 261-284 gilt der Frage nach Gestalt und Bedeutung der in den Pastoralbriefen bezeugten Ordination. Diese Frage lasse sich ohne Rekurs auf den rabbinischen Ordinationsritus beantworten. O. Hofius befasst sich mit der Terminologie, dem ordinationsgebundenen Amt, dem Ordinator, der Voraussetzung für den Empfang der Ordination, der Handauflegung und der Verleihung des Amtscharismas, der Übergabe der apostolischen Lehrtradition und dem Bekenntnis der Ordinanden, der apostolischen Sukzession und abschließend mit dem soteriologischen Aspekt. „Episkopos“ („Bischof“) sei wörtlich mit „Aufseher“ oder sinngemäß mit „Gemeindeleiter“ zu übersetzen, „episkopê“ („Bischofsamt“) wörtlich mit „Aufseheramt“ oder sinngemäß mit „Amt der Gemeindeleitung“. Bei einer Übersetzung mit „Bischof“ bzw. „Bischofsamt“ dürfe auf keinen Fall einfach das heutige Verständnis dieser Begriffe unterstellt werden. Dass eine Gemeinde nur von einem einzigen „episkopos“ geleitet wird, dürfte in den Pastoralbriefen schwerlich vorausgesetzt sein. Zu denken sei vielmehr an ein von mehreren Personen kollegial ausgeübtes Amt.


Zu den Aspekten der Weiblichkeit und Männlichkeit in den Tugend- und Lasterkatalogen 1 Tim 3,2-7 und Tit 1,6-9 siehe M. Villalobos Mendoza 2014, 147-166.


B. A. Paschke 2007, 105-119 legt dar, dass gewöhnlich die Berufspflichtenlehren, wie sie in der griechisch-römischen Welt u. a. für Könige, Generäle und Hebammen existiert hätten, als Parallele zu den in 1 Tim 3,1-13 und Tit 1,5-9 geforderten Qualifikationen gesehen würden. Eine engere Parallele stelle jedoch die „cura morum“, also „die Bewahrung der Sitten“, dar, wie sie von den Zensoren des Römischen Reiches ausgeübt worden sei. In den drei ausgewählten, für besonders aussagekräftig gehaltenen Texten zur „cura morum“ würden wie in 1 Tim 3,1-13 und Tit 1,5-9 das private Haus, die Ehe, der Gehorsam der Kinder, Alkoholismus und Religion zum Thema gemacht. Neben diesen inhaltlichen Ähnlichkeiten seien auch wörtliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten hinsichtlich von Wortbedeutungen auszumachen. Der Autor und die Adressaten der Pastoralbriefe seien mit dem römischen Amt des Zensors und mit der Ausübung der „cura morum“ sowie den damit verbundenen ethischen Erfordernissen vertraut gewesen.

J. K. Goodrich 2013, 77-97 vertritt die These, dass einige der von den Aufsehern verlangten Attribute nach den Bedürfnissen und Umständen der Zuhörerschaft der Briefe ausgewählt worden seien, andere dagegen nach dem Vorbild der volkstümlichen Idealisierung des Aufsehers des „Hauses“ (ursprünglich das Familienoberhaupt, mit der Erweiterung der Güter und Leitungsaufgaben zunehmend Verwalter).


E. Glasscock 1983, 244-258 nennt zunächst die verschiedenen bisher vorgebrachten Deutungen der Formulierung „Mann einer einzigen Frau“ („mias gynaikos andra“): a) Verpflichtung zu Heirat und Kindern; b) zu Lebzeiten nur eine einzige Ehefrau; c) Verbot der Scheidung; d) Treue gegenüber seiner Ehefrau; e) keine Mehrzahl an Ehefrauen zur gleichen Zeit (Polygamie). E. Glasscock vertritt die Ansicht, dass es dem Verfasser des 1 Tim um den Charakter des Amtsanwärters geht. Man könne zwar mutmaßen, dass ein potenzieller Ältester nicht geschieden und wiederverheiratet sein darf, jedoch werde dies nicht gesagt. Entscheidend sei der gegenwärtige Charakter, nicht die Lebensweise vor der Annahme des christlichen Glaubens. Gott vergebe Sünden und reinige und rehabilitiere Sünder. Wenn ein Gläubiger in Christus erneuert ist, sollte dann die Kirche nicht dazu stehen?

S. Page 1993, 105-120 nimmt an, dass es um die Qualität der ehelichen Beziehung des Amtsanwärters gehe, nicht um den ehelichen Status an sich. Gemeint sei folglich, dass der Amtsanwärter seiner einen Frau treu sein soll (vgl. New English Bible).

Auch P. Dragutinović 2013, 119-134 befasst sich mit der Frage, was „Mann einer einzigen Frau“ bedeutet. Auch er bietet einen Überblick über die verschiedenen bisher vorgebrachten Deutungen, wobei er auch auf die metaphorische Deutung hinweist, wonach ausgesagt sei, dass der Bischof mit der Kirche bzw. mit einer Ortsgemeinde verheiratet ist: er sei Mann (Haupt) einer Gemeinde. Die angeführten Auslegungen seien zumindest teilweise ganz offensichtlich von kirchenhistorisch späteren Situationen und Fragen nach dem Amt beeinflusst. P. Dragutinović deutet 1 Tim 3,2 wie folgt: Jeder, der sich das Bischofsamt wünscht, müsse unbedingt verheiratet sein (Heiratspflicht) und in einer stabilen Ehe leben (eheliche Treue). Ehelose bzw. die, die keine stabilen Ehen haben (sowie vielleicht auch die Kinderlosen), seien aus führenden kirchlichen Positionen ausgeschlossen. Er begründet dies damit, dass die Grundargumentation des ganzen Abschnittes auf der Bischofsehe aufbaue und auch eine Witwe gemäß 5,9 verheiratet gewesen sein und dabei eine stabile Ehe hinter sich gehabt haben müsse. Die ein wenig rigide oder gar diskriminierend tönende Voraussetzung für das Bischofsamt sei als Teil der Polemik mit den Irrlehrern zu verstehen. Bei diesen habe es sich vermutlich um asketisch orientierte Christen gehandelt, die die Heirat verbieten, den Verzicht auf bestimmte Speisen fordern und behaupten, dass die Einhaltung solcher Vorschriften heilsnotwendig sei.


Mit der patristischen Deutung von 1 Tim 3,2.12; Tit 1,6 befasst sich D. G. Hunter 2015, 333-352. Er hat insbesondere die Deutung im Blick, wonach die Ordination von Digamisten, also zweimal nacheinander Verheirateten, untersagt werde.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 3


Beobachtungen: V. 2 hat nur positive Eigenschaften aufgezählt, die ein Bischof haben soll (Tugendkatalog).V. 3 dagegen stellt gegenüber, wie ein Bischof sein soll und wie er nicht sein soll. Dass er kein „Säufer“ und „Schläger“ sein soll, ließ sich schon indirekt V. 2 entnehmen, wird aber jetzt ausdrücklich gesagt. Es wird deutlich: Der Bischof muss sich in jeder Hinsicht unter Kontrolle haben, darf sich keinen Lastern hingeben, sondern muss vielmehr tugendhaft sein.


Eine Variante, die nur von einigen wenigen Minuskeln geboten wird, fügt „mê aischrokerdê“ ein, was „keiner, der sich bereichert“ bedeutet. Der Beginn von V. 3 lautet demnach übersetzt „kein Säufer, kein Schläger, keiner, der sich bereichert…“. Vermutlich liegt eine Anpassung des Textes an Tit 1,7 vor.


Das Adjektiv „aphilargyros“ bedeutet wörtlich „nicht Geld liebend“. Wer Geld nicht liebt, will nicht immer mehr Geld haben und ist bereit, vom Geld loszulassen. Von daher sind die Übersetzungen „nicht geldgierig“ und „nicht geizig“ möglich.


Weiterführende Literatur: Mit den Lasterkatalogen in den Pastoralbriefen befasst sich R. F. Collins 2011, 7-31. Bei dem Lasterkatalog handele es sich um eine literarische Form, die oft von den antiken Moralphilosophen – insbesondere von den Stoikern und Kynikern - verwendet worden sei. Der Lasterkatalog zähle eine Vielzahl von Lastern auf, um diejenigen zu diskreditieren, deren Lebensstil die Moralphilosophen kritisierten. Auch in den Pastoralbriefen fänden sich Lasterkataloge (1 Tim: 5; 2 Tim: 1; Tit: 2). Entscheidend sei die Wirkung der gesamten Aufzählung, nicht die Bedeutung einzelner Laster. Von den vielen in den Pastoralbriefen aufgezählten Lastern handelten nur zwei von der Sexualität. Diese würden jeweils nur einmal erwähnt. Die Verfasser der Pastoralbriefe seien mehr an persönlichen Qualitäten als an abstrakten moralischen Aspekten interessiert. Meist seien die Laster als Adjektive oder Partizipien formuliert, seltener als Nomen.


Laut A. A. Genade 2010 stelle 1 Tim 3,3 eine Selbstverunglimpfung dar, bei der es sich um eine rhetorische Technik handele. Selbstverunglimpfung sei in vielerlei Hinsicht der Verunglimpfung ähnlich, allerdings würden nicht (außergemeindliche) Gegner verunglimpft, sondern die Verunglimpfung sei auf das Innere der Gemeinde gerichtet. Ziel sei die Abstandnahme von unerwünschten Verhaltensweisen und die Hinwendung zu erwünschten.


B. L. Merkle 2014, 172-188 geht der Frage nach, ob die in 1 Tim 3 und Tit 1 geforderten Qualifikationen von Ältesten und Bischöfen verhandelbar sind, also nicht so streng oder nur in bestimmten Kontexten zu beachten sind. Ergebnis: Die geforderten Qualifikationen sind nicht verhandelbar und gelten auch heute noch.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 4


Beobachtungen:Tekna exonta en hypotagê“ ist wörtlich mit „und Kinder in Gehorsam haben“ zu übersetzen. Der Bischof hat die Kinder vermutlich selbst gezeugt und „hat“ sie nun. Er „hat“ sie nun „in Gehorsam“, d. h. die Kinder sind ihm gegenüber gehorsam.


Das Substantiv „semnotês“ kann „Würde“, „Ehrbarkeit“, „Feierlichkeit“ oder „Pracht“ bedeuten. Es handelt sich um etwas Ehrfurchtgebietendes, um etwas, was eine höhere Ordnung erkennen lässt. Es geht um die rechte Beziehung der Menschen eines „Hauses“ untereinander, wobei das „Haus“ den Haushalt und die Personen (samt Sklaven) meint, die diesem Haushalt angehören. In V. 4 kommen speziell der Bischof und seine Kinder in den Blick. Da unklar ist, ob sich die „semnotês“ auf den Bischof oder auf die Kinder bezieht, müssen wir damit rechnen, dass Haltung und Verhalten sowohl des Bischofs als auch der Kinder von „semnotês“ geprägt sind. Der Bischof lässt durch seine Haltung und sein Verhalten eine würdevolle Heiligkeit erkennen. Ebenso lassen die Kinder durch ihre Haltung und sein Verhalten eine würdevolle Heiligkeit erkennen. Dabei geht es bei der Heiligkeit um eine Haltung und ein Verhalten, wie sie Christen im Macht- und Heilsbereich Christi und Gottes gebühren. Die Kinder erweisen dem Bischof, der wohl ihr Vater ist, Gehorsam. Das mag gesellschaftlichen Konventionen bezüglich des rechten Verhältnisses der Kinder dem Vater gegenüber entsprechen. In 1 Tim 3,4 dürfte es aber um mehr gehen: Der Gehorsam ist nicht einfach nur gesellschaftliche Gepflogenheit. Er lässt vielmehr die rechte, gottgewollte Ordnung erkennen. Das Verhalten der Kinder und auch des Bischofs spiegeln diese rechte, gottgewollte Ordnung wider. Es geht also nicht um Zwang und Unterdrückung, sondern um das freiwillige und bewusste Leben gemäß dieser Ordnung. Das wird nach außen hin sichtbar und erregt Staunen und Bewunderung. Letztendlich geht es aber nicht darum, bei den Menschen Ansehen zu erheischen. Vielmehr geht es um das Ansehen vor Gott und Christus durch eine Haltung und ein Verhalten, das Christen würdig ist.


Weiterführende Literatur: J. M. H. Visser 2016, 123-143 hält es für problematisch, wenn sich Kirchenordnungen (speziell die Kirchenordnung der Niederländischen Reformierten Kirche) auf die Anweisungen von 1 Tim 3 beziehen. Sie legt dar, wie der Bezug auf 1 Tim 3 zu einer Frauen unterdrückenden und lebensverneinenden Kirchenstruktur geführt habe. Das episkopale Konzept des 1 Tim 3 sei eine vorrangig maskuline Konstruktion und vom sozio-historischen Kontext seiner Zeit her zu verstehen. Normen bezüglich der Kirchenordnung könnten nicht von biblischen Texten hergeleitet werden, ohne zu berücksichtigen, in welchem sozio-historischen Kontext sie entstanden sind.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 5


Beobachtungen: Die „Gemeinde Gottes“ umfasst im engeren Sinne die christliche Ortsgemeinde, im weiteren Sinne die gesamte Kirche. Der Bischof steht allerdings nicht der gesamten Kirche vor. Insofern ist hier die Ortsgemeinde oder eine anderweitig geographisch begrenzte kirchliche Untergliederung gemeint.

Vor „Gottes“ findet sich – anders als in vielen anderen Passagen der paulinischen und deuteropaulinischen Briefe – kein bestimmter Artikel. Gott wird also nicht ausdrücklich als der bekannte und allein heilbringende Gott charakterisiert. Dieses sprachliche Detail ist jedoch nicht überzubewerten. Es ist nämlich ganz offensichtlich vom Gott Israels und nicht von irgendeinem heidnischen Gott die Rede. Außerdem dürfte der Adressat des Briefes, „Timotheus“, garantiert den Gott Israels kennen.


Die „Gemeinde Gottes“ ist als ein großes „Haus“ verstanden. Sie wird vom Bischof wie ein Haushalt geführt. Die Gemeindeglieder stellen die Hausgemeinschaft dar. Wenn der Bischof noch nicht einmal in der Lage ist, seinem eigenen „Haus“ vorzustehen, wie will er dann in der Lage sein, einer Gemeinde Gottes vorzustehen? Es handelt sich um eine rhetorische Frage, die die Antwort „Natürlich ist er dazu nicht in der Lage!“ impliziert. Die Leitung einer Gemeinde Gottes ist demnach schwieriger als die Leitung des eigenen Haushaltes.


Weiterführende Literatur:


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 6


Beobachtungen: Der Begriff „neophytos“, der im NT nur hier auftaucht, bedeutet wörtlich „neu gepflanzt“ oder „neu gewachsen“. Auf den Glauben bezogen handelt es sich um jemanden, der neu in den christlichen Glauben verpflanzt ist oder neu im christlichen Glauben wächst. Die Übersetzung ist „Neubekehrter“.


Typhôtheis“ ist ein Aorist Partizip Passiv und bedeutet wörtlich übersetzt „aufgebläht worden seiend“ oder „hochmütig gemacht worden seiend“. Der Neubekehrte hat sich also nicht selbst aufgebläht, wurde nicht durch eigene Aktivität hochmütig, sondern wurde aufgebläht bzw. hochmütig gemacht. Offen bleibt aber, wer ihn aufbläht bzw. hochmütig gemacht hat. Der Grund für den Hochmut scheint das übermäßig schnell erworbene Amt zu sein. Der Neubekehrte könnte sich auf das übermäßig schnell erworbene Amt etwas eingebildet haben. Insofern könnte ihn das Amt aufgebläht bzw. hochmütig gemacht haben. Allerdings ist das Amt keine handelnde Person im eigentlichen Sinne. Es ist aber der Grund, warum sich der Neubekehrte aufgebläht hat. Das führt zu einem medialen Verständnis des Passivs „typhôtheis“, das wörtlich mit „sich aufgebläht habend“ zu übersetzen wäre. Man könnte das Verhalten des Neubekehrten als „Selbstbeweihräucherung“ bezeichnen. Zur „Selbstbeweihräucherung“ passt, dass das Partizip „typhôtheis“ auch „mit Rauch erfüllt worden seiend“ oder „benebelt worden seiend“ bedeuten kann, medial verstanden „sich mit Rauch gefüllt habend“ oder „sich benebelt habend“. Wer benebelt ist, wer sich selbst beweihräuchert, ist nicht mehr fähig, sich selbst und die Realität richtig wahrzunehmen. Die richtige Selbstwahrnehmung und die richtige Wahrnehmung der Realität sind aber für ein Leitungsamt unerlässlich. Welche Deutungsmöglichkeiten des Passivs gibt es sonst noch? Das Passiv kann ein passivum divinum sein, wonach es Gott wäre, der den Neubekehrten aufgebläht bzw. hochmütig gemacht hat. Möglich ist außerdem, dass es der nachfolgend genannte Teufel ist, der den Neubekehrten aufgebläht bzw. hochmütig gemacht hat.


Fraglich ist, was mit dem „ Verdammungsurteil des Teufels“ gemeint ist. Wird „des Teufels“ als ein genitivus subjectivus verstanden, dann ist es der Teufel, der das Verdammungsurteil fällt. Der Teufel wäre als Richter gedacht, allerdings als einer, der auf Verdammungsurteile spezialisiert ist. Eine solche Vorstellung liegt durchaus im Bereich des Möglichen, auch wenn sie mit der Vorstellung kollidiert, wonach Gott oder Jesus Christus Richter ist. „Des Teufels“ kann allerdings auch als genitivus objectivus verstanden sein. Dann wäre über den Teufel ein Verdammungsurteil ergangen (vgl. Mt 25,41; Offb 20,10). Wie auch immer: Der Glaubensneuling, der sich mit seiner wenigen Glaubenserfahrung auf sein allzu schnell erworbenes Bischofsamt etwas einbildet, verfällt einem Verdammungsurteil, sei es vom Teufel gefällt oder nach Art des Verdammungsurteils, das über den Teufel ergangen ist.


Weiterführende Literatur:


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 7


Beobachtungen: Der Bischof muss einen guten Ruf haben, und zwar auch bei den Außenstehenden. Doch wer sind die Außenstehenden? „Außenstehend“ kann von den Amtsinhabern her gedacht sein. Dann wären alle Menschen gemeint, die keinen Einblick in die Amtsgeschäfte haben. Das wären alle Menschen mit Ausnahme der Amtsinhaber, die zusammengearbeitet haben dürften. Demnach wären die Amtsinhaber die Insider, alle anderen Menschen – seien es Christen oder Nichtchristen – die Außenstehenden. Allerdings haben wir davon auszugehen, dass die Gemeinden zur Zeit der Abfassung des 1 Tim noch recht klein waren und sich die Ämter gerade erst ausbildeten. Insofern ist unwahrscheinlich, dass die Amtsinhaber als ein vom Rest der Gemeinde abgegrenztes Gremium gedacht sind. Daher ist eine andere Deutung wahrscheinlicher. Als andere Deutungen kommen eine geographische und eine religiöse infrage. Bei der geographischen Deutung wären alle Menschen gemeint, die nicht der Gemeinde des Bischofs angehören, also auch Christen aus anderen Gemeinden. Bei der religiösen Deutung sind alle Menschen eingeschlossen, die nicht dem christlichen Glauben angehören. Zu bedenken ist, dass die Christen geistliche „Schwestern“ und „Brüder“ sind. Insofern liegt nicht nahe, dass sie gemeinsam mit Heiden und Juden als Außenstehende angesehen werden. Das spricht für die religiöse Deutung. Doch warum sollte für Christen von Belang sein, was Nichtchristen denken und reden? Nichtchristen haben andere Bewertungsmaßstäbe als Christen, auch andere Bewertungsmaßstäbe als Gott und Jesus Christus. Vermutlich geht es darum, dass Christen – und ganz besonders der Bischof – den Nichtchristen ein Vorbild sein sollten. Das war zur Zeit der Abfassung des 1 Tim aus zweierlei Gründen wichtig: Erstens konnte das Christentum nur dann den Außenstehenden attraktiv erscheinen, wenn dessen Anhänger und Amtsträger, allen voran der Bischof, einen guten Ruf hatten. Nur dann war darauf zu hoffen, dass weitere Menschen den christlichen Glauben annehmen würden. Dabei ist unklar, was für einen guten Ruf nötig war. Sicherlich hat ethisch vorbildliches Verhalten zu einem guten Ruf auch bei den Nichtchristen beigetragen. Darüber hinaus wird aber auch ein Verhalten, das den gesellschaftlichen Konventionen entsprach, von Nutzen gewesen sein. Die Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen dürfte allerdings dort ihre Grenzen gehabt haben, wo sie gegen christliche Verhaltensmaßstäbe verstieß. Insofern haben wir wohl den Inhalt des 1 Tim als das Bemühen zu verstehen, eine Schnittmenge zwischen christlichem Verhalten und allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen herauszuarbeiten. Diese Schnittmenge wird dann „Timotheus“ – vermutlich stellvertretend für alle christlichen Amtsträger - als die christliche Verhaltensweise schlechthin präsentiert und mit der entsprechenden gesellschaftlichen Ordnung verbunden. Verhaltensweisen, die nicht der Schnittmenge entsprachen, wurden zurückgedrängt. Sie finden im 1 Tim entweder keine Berücksichtigung oder werden kritisiert. Damit finden auch alternative Konzeptionen einer christlichen Ordnung keine Berücksichtigung mehr oder werden kritisiert. Damit kommen wir zu dem zweiten Grund, weshalb die Christen – und ganz besonders der Bischof – einen guten Ruf haben sollten: Das Christentum wurde von Nichtchristen beargwöhnt. Jedes Fehlverhalten konnte dazu beitragen, dass es zu übler Nachrede kam. Nichtchristen warteten geradezu darauf, die Christen diskreditieren zu können. Wenn sich die Dinge schlecht entwickelten, konnten die Konflikte zwischen Christen und Nichtchristen zunehmen und in eine Christenverfolgung ausarten.


All dies führt „Paulus“ aber nicht explizit aus. Er hat dies aber wohl im Hinterkopf. „Paulus“ wirft den Blick auf das Schicksal des Bischofs, der für sein Verhalten Verantwortung trägt. Wenn der Bischof in üble Nachrede gerät, gerät er in eine Schlinge des Teufels. Der Teufel braucht ja für sein Verdammungsurteil, das er über den Bischof fällt, Argumente. Unerfahrenheit, fehlendes Bewusstsein für gute Amtsführung und Selbstbeweihräucherung geben dem Teufel Argumente an die Hand. Ebenfalls ist die Schädigung christlichen Ansehens, mit der die Gefährdung der Mission und die Gefährdung der bereits bestehenden Gemeinden einhergeht, ein gutes Argument.


Der Begriff „oneidismos“ kann „üble Nachrede“ bedeuten und die üble Nachrede der Außenstehenden meinen. Er kann aber auch „Vorwurf“ bedeuten, im Sinne eines Anklagepunktes seitens des Teufels. Sobald der Teufel mindestens einen Anklagepunkt hat, ist der Bischof in der Schlinge des Teufels. „Des Teufels“ bedeutet, dass die Schlinge dem Teufel gehört, nicht, dass sich der Teufel in der Schlinge befindet. Der Teufel erscheint in V. 7 also als Ankläger, ganz der atl. Vorstellung vom Satan (= Teufel) als Ankläger entsprechend. Von daher ist das Verdammungsurteil in V. 6 wohl eher so zu verstehen, dass es der Teufel fällt, als dass es über den Teufel ergeht. Der Teufel erscheint also als Ankläger und Richter zugleich. Streng juristisch gesehen geht das natürlich nicht. Aber es geht hier nicht um die strenge juristische Korrektheit. Es geht vielmehr darum, dass der Teufel das Unheil des Menschen will. Er sucht nach Anklagepunkten, um dann über den Menschen – hier konkret über den Bischof – sein Verdammungsurteil zu sprechen.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Campbell, R. Alastair; Identifying the Faithful Sayings in the Pastoral Epistels, JSNT 54 (1994), 73-86

Collins, Raymond F.; How Not to Behave in the Household of God, LS 35/1-2 (2011), 7-31

Dragutinović, Predrag; Bischofsamt und Ehe in 1 Tim 3,2, BN NF 158 (2013), 119-134

Genade, Aldred A.; Titus 3:3 as selfvilifikasie: 'n Retoriese opsie, VE 31/1 (2010)

Glasscock, Ed; "The Husband of One Wife". Requirement in 1 Timothy 3,2, BS 140/559 (1983), 244-258

Goodrich, John K.; Overseers as Stewards and the Qualifications for Leadership in the Pastoral Epistles, ZNW 104/1 (2013), 77-97

Himes, Paul A.; Rethinking the Translation of Didaktikos in 1 Timothy 3.2 and 2 Timothy 2.24, BiTr 68/2 (2017), 189-208

Hofius, Otfried; Die Ordination zum Amt der Kirche und die apostolische Sukzession nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe, ZThK 107/3 (2010), 261-284

Hunter, David G.; "A Man of One Wife": Patristic Interpretations of 1 Timothy 3:2, 3:12 and Titus 1:6 and the Making of Christian Priesthood, ASEs 32/2 (2015), 333-352

Koch, Dietrich-Alex; Die Entwicklung der Ämter in frühchristlichen Gemeinden Kleinasiens, in: T. Schmeller, M. Ebner, R. Hoppe [Hrsg.], Neutestamentliche Ämtermodelle im Kontext (QD 239), Freiburg i. Br. 2010, 166-206

Merkle, Benjamin L.; Are the Qualifications for Elders or Overseers Negotiable?, BS 171/682 (2014), 172-188

North, J. Lionel; "Human Speech" in Paul and the Paulines: the Investigation and Meaning of anthrôpinos o logos, NT 37/1 (1995), 50-67

Page, Sydney; Marital Expectations of Church Leaders in the Pastoral Epistles, JSNT 50 (1993), 105-120

Paschke, Boris A.; The cura morum of the Roman Censors as Historical Background for the Bishop and Deacon Lists of the Pastoral Epistles, ZNW 98/1 (2007), 105-119

Schlosser, Jacques; Le ministère de l'episcopé d'après les épîtres pastorales, in: J. Schlosser [éd.], À la recherche de la Parole, Paris 2006, 561-596

Söding, Thomas; 1 Timotheus 3: Der Episkopos und die Diakone in der Kirche, in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 63-86

Villalobos Mendoza, Manuel; When Men Were Not Men: Masculinity and Otherness in the Pastoral Epistles (The Bible in the Modern World 62), Sheffield 2014

Visser, Jacobie M. Helena; Overseeing the Womb: A Rhetorical Investigation of Masculinities and Episkopos in 1 Timothy 3, Neotest. 50/1 (2016), 123-143

( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )

Werbung: Diakone, Witwen, Presbyter - Ämter in der frühen Kirche
Werbung: Macht und Kirche