Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 3,14-16

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 3,14-16



Übersetzung


1 Tim 3,14-16 : 14 Dies schreibe ich dir in der Hoffnung, bald zu dir zu kommen. 15 Falls sich aber mein Kommen verzögert, sollst du wissen, wie man sich im Hause Gottes verhält, das die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, Säule und Fundament der Wahrheit. 16 (Und) Ohne Zweifel ist das Geheimnis der Frömmigkeit groß: Er wurde offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, geschaut von Engeln, gepredigt unter Heiden(völkern), geglaubt in [der] Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.



( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 14


Beobachtungen: Ein Brief hat die Aufgabe, den (oder: die) Verfasser und seine (oder: ihre) Anliegen bei den Adressaten zu vergegenwärtigen. Eine solche Vergegenwärtigung ist notwendig, um der Kirche Halt zu geben. Sie benötigt ein festes Fundament, die Anbindung an bewährte Missionare und Gemeindegründer, die Einschärfung der grundlegenden Lehren und die Warnung vor Irrlehren. Ohne eine solche Vergegenwärtigung geht jede Gemeinde ihren eigenen Weg und die Einheit der Kirche zerfällt. Kirche benötigt ein stabiles Fundament, einen festen Rahmen und Persönlichkeiten, die zur Leitung befähigt sind. Dann kann sich die Kirche entwickeln und dennoch die Einheit und den ursprünglichen Geist wahren. Ein Brief vermag jedoch nicht die räumliche Distanz zwischen Verfasser(n) und Adressaten aufzuheben. Insofern ist ein Brief kein vollwertiger Ersatz für persönliche Anwesenheit vor Ort, für den persönlichen Kontakt zwischen Missionar(en) und Gemeinde. Ein Brief ist gut, persönliche Begegnung ist besser. Daher drückt V. 14 die Hoffnung des „Paulus“ aus, zu „Timotheus“ zu kommen.


Weiterführende Literatur: Laut F. Schnider, W. Stenger 1987, 107 treibe der 1 Tim mit dem Mittel der apostolischen Parusie die Brieffiktion bis zum Äußersten, wenn er zwar nicht am Briefschluss, aber doch an einer wichtigen Schaltstelle den fiktiven Paulus dem fiktiven Timotheus einen eigenen baldigen Besuch in Aussicht stellen lässt. Wenn er sich hier des zentralen Zugs des Motivs der apostolischen Parusie bediene, dann sicherlich ebenfalls, um seiner Überzeugung von der fortdauernden Präsenz des Apostels und seiner Autorität Ausdruck zu verleihen.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 15


Beobachtungen: Der Beginn von V. 15 lautet wörtlich übersetzt „Falls sich aber mein Kommen verzögert, damit du weißt, wie man sich im Hause Gottes verhält“. Im Satzbau findet sich also ein Bruch, eine Leerstelle. Klar ist, dass „Paulus“ die Hoffnung hat, bald zu „Timotheus“ zu kommen. Eine Hoffnung ist jedoch noch keine Realität. Es ist möglich, dass sich das Kommen des „Paulus“ verzögert. Darüber hinaus ist klar, dass „Timotheus“ wissen soll, wie man sich im „Hause Gottes“ verhält. „Paulus“ muss sicherstellen, dass „Timotheus“ das nötige Wissen erwirbt. Wie stellt „Paulus“ das sicher? Aus heutiger Sicht wäre naheliegend, dass „Paulus“ erst einmal dem „Timotheus“ den 1 Tim zukommen lässt. Dann kann er abwarten: Wenn es mit dem baldigen Besuch klappt, kann „Paulus“ dem „Timotheus“ persönlich vor Ort sagen, wie man sich im „Hause“ Gottes verhält. Wenn es mit dem baldigen Besuch nicht klappt, kann er „Timotheus“ einen weiteren Brief zukommen lassen, in dem er ihm mitteilt, wie man sich im „Hause Gottes“ verhält. Unter Gesichtspunkten der Arbeitseffizienz wäre eine solche Vorgehensweise sinnvoll: Erst dann alles Nötige ausführlich schreiben, wenn es wirklich nötig ist. Wirklich nötig ist es ja nur dann, wenn „Paulus“ nicht in Bälde zu „Timotheus“ kommt. Aber diese Vorgehensweise setzt moderne Umstände voraus, die sich von denen in der Antike deutlich unterscheiden. Heute braucht man einen Brief nur in den nächsten Briefkasten zu stecken und lässt ihn dann von der Post für ein geringes Entgelt an den Bestimmungsort schicken. In der Antike dagegen wurden Briefe von vertrauenswürdigen Gesandten überbracht. In der Antike war also nicht die Abfassung eines Briefes die Hauptarbeit und die Briefmarke der Hauptkostenfaktor, sondern die Reise der gesandten Person war aufwändig und kostspielig – je nach Reiseweg darüber hinaus auch gefährlich. Arbeitseffizient war es also in der Antike, in einem Brief von vornherein alles zu schreiben, was für den möglichen Bedarfsfall an Wissen zu vermitteln war. Sehen wir uns den Inhalt des 1 Tim an, dann fällt auf, dass dieser recht umfassend gehalten ist und auch darauf eingeht, wie man sich im „Hause Gottes“ verhält. Ein zweiter Brief dazu ist nicht nötig. Insofern können wir die Aussage „Falls sich aber mein Kommen verzögert, damit du weißt, wie man sich im Hause Gottes verhält“ folgendermaßen deuten: „Für den Fall, dass sich mein Kommen verzögert, habe ich dir in diesem Brief alles Nötige geschrieben, damit du weißt, wie man sich im Hause Gottes verhält“.

Die Inhalte des 1 Tim scheinen geradezu auf die Verzögerung des Kommens ausgerichtet zu sein. Sie wollen also als grundsätzliche Bestimmungen, die über lange Zeit hin gültig sind, verstanden werden.


Die Formulierung „Haus Gottes“ lässt zunächst an ein Gebäude denken, das der Gottesverehrung gewidmet ist, also an eine Kirche. Da es zur Zeit der Abfassung des 1 Tim noch keine Kirchen gab, sondern Gottesdienste in ausreichend geräumigen Privathäusern gefeiert wurden, würde es um das rechte Verhalten in diesen Privathäusern gehen. Dass mit dem „Haus“ jedoch nicht – oder zumindest nicht vorrangig – das Haus als Gebäude und Ort des Gottesdienstes gemeint ist, macht dann aber die folgende Erklärung deutlich: Das „Haus Gottes“ ist die „Gemeinde/Kirche des lebendigen Gottes“.


Der altgriechische Begriff „ekklêsia“ kann die ganze Kirche, aber auch die Ortsgemeinde meinen. Die Anweisungen gelten für die Diakone. Diakone sind in einer bestimmten Ortsgemeinde tätig. Selbst wenn wir annehmen, dass sie auch mal in einer anderen Gemeinde eingesetzt werden können, ist ihr Einsatzgebiet dem Grunde nach beschränkt. Das spricht für die Übersetzung „Gemeinde“. Aber natürlich ist auch die Kirche als Gesamtheit im Blick, der die einzelnen Ortsgemeinden angehören. Wenn ein Diakon weiß, wie er sich in seiner Ortsgemeinde zu verhalten hat, dann weiß er auch, wie er sich in der gesamten Kirche zu verhalten hat. Wir haben davon auszugehen, dass „Paulus“ seine Bestimmungen nicht nur auf eine bestimmte Ortsgemeinde, sondern auf sämtliche Ortsgemeinden bezogen haben will.


Die ganze Kirche ist als „Haus Gottes“ gedacht. Allerdings ist es sinnvoll, diese Vorstellung vom Kleinen zum Großen hin nachzuvollziehen. Ausgangspunkt der Ekklesiologie des „Paulus“ ist das „Haus“. Das ist zunächst einmal das Haus als Gebäude oder als Gebäudekomplex mit all seinen Bewohnern. Die Bewohner bilden die Hausgemeinschaft. Dieser Hausgemeinschaft steht der Hausherr oder die Hausherrin vor. Der Hausgemeinschaft gehört zum einen die Familie des Hausherrn oder der Hausherrin an, zum anderen aber auch das Arbeitspersonal, speziell Sklaven. Die Hausgemeinschaft folgt einer bestimmten Ordnung, wobei sich die – gewöhnlich vielgestaltige - Realität von der gängigen und gewünschten Ordnung unterscheiden kann. „Paulus“ scheint sich an der Ordnung auszurichten, die im Römischen Reich seiner Zeit gängig und gewünscht war. Ihm scheint es darum zu gehen, dass die Christen möglichst in der sie umgebenden Gesellschaft keinen Anstoß erregen. In der frühesten Phase des Christentums gab es noch nicht in allen Orten Gemeinden, die den gesamten Ort umfassten. Mancherorts gab es nur eine Vielzahl von Hausgemeinden. Die Christen eines Ortes feierten also in verschiedenen Häusern bzw. Hausgemeinschaften des Ortes Gottesdienste. Der 1 Tim ist aber wohl erst in nachpaulinischer Zeit verfasst, also in einer Zeit, in der sich Kirchenstrukturen herauszubilden beginnen. In dieser Zeit dürften Ortsgemeinden die Regel sein. Wie auch immer: „Paulus“ überträgt das Konzept des „Hauses“ mit seinen Rollenzuweisungen und Verhaltensanweisungen auf die Hausgemeinde und auf die Ortsgemeinde. Und da seine Bestimmungen grundsätzlichen Charakter haben, gelten sie wohl für alle Hausgemeinden und Ortsgemeinden, also für die ganze Kirche.


„Paulus“ erklärt nicht, was er meint, wenn er Gott als „lebendig“ bezeichnet. Vermutlich handelt es sich um eine Abgrenzung von den toten und nichtigen heidnischen Göttern, den Götzen. Diese sind insofern tot und nichtig, als sie keine Relevanz für das Heil der Menschen haben. Sie vermögen es nicht, den verstorbenen Menschen von den Toten aufzuerwecken. Die Auferweckung ist ohne Jesus Christus, der mit dem „lebendigen“ Gott (Israels) eng verbunden ist, nicht zu denken. Die Auferweckung bzw. Auferstehung setzt den Tod Christi durch die Kreuzigung und die Auferweckung bzw. Auferstehung Christi von den Toten voraus. Gott ist also zunächst einmal in dem Sinne lebendig, als er Jesus Christus lebendig gemacht hat und auch diejenigen, die an dieses Heilsgeschehen glauben, lebendig macht bzw. lebendig machen wird. Über dieses Heilsgeschehen hinausgehend ist wohl Gott auch insofern als „lebendig“ gedacht, als er wirkmächtig ist.


Die „Gemeinde/Kirche Gottes“ ist Säule (stylos) und Fundament (hedraiôma) der Wahrheit. „Wahrheit“ ist hier vermutlich eine Bezeichnung für das Evangelium (vgl. 1 Tim 2,4). Dieses ist keine Täuschung und keine Lüge und soll erkannt und geglaubt werden. Nun fällt auf, dass eigentlich die „Gemeinde/Kirche Gottes“ auf der „Wahrheit“ gründet, denn sie hat sich ja aufgrund der „Wahrheit“ gebildet. Die „Wahrheit“ kann man als das Fundament der Hausgemeinde, Ortsgemeinde oder Kirche ansehen. Die „Wahrheit“ wurde von herausragenden Glaubenszeugen, den Missionaren – allen voran Paulus und auch Timotheus – verbreitet. Diese Missionare kann man als „Säulen“ ansehen. Sowohl das Fundament als auch die Säulen haben tragende Funktion. Dabei sind die Säulen und das Fundament bei den antiken Tempeln besonders augenfällig. Dass insbesondere Tempel in den Sinn kommen, macht deutlich, dass „Paulus“ das „Haus Gottes“ geistlich verstanden haben will: die Gemeinde bzw. die Kirche als Ort Gottes und der Gottesverehrung. Nun schreibt „Paulus“ aber nicht, dass die Wahrheit Säule und Fundament der Gemeinde/Kirche des lebendigen Gottes ist, sondern umgekehrt, dass die Gemeinde/Kirche des lebendigen Gottes Säule und Fundament der Wahrheit ist. Die früheste Zeit der Ausbreitung des christlichen Glaubens ist also vorbei. Nun geht es verstärkt darum, die entstandenen Gemeinden und damit die ganze Kirche zu kräftigen und vor Irrlehren zu schützen und zu verteidigen. Dazu ist jeder Christ, jede Gemeinde aufgerufen. Jeder Christ und jede Gemeinde mögen das Fundament bilden. In besonderem Maße sind dazu aber die kirchlichen Amtsträger berufen, die wohl die Säulen bilden. Auch die Missionare mögen die Säulen bilden, allerdings treten sie mit Blick auf die zunehmende Ausbildung von Kirchenämtern in den Hintergrund. Paulus und Timotheus sind vermutlich zur Zeit der Abfassung des 1 Tim bereits verstorben, können sich also nicht mehr aktiv bei der Stärkung und Verteidigung der Gemeinden einbringen. Diese Aufgabe übernehmen in der Nachfolge nun „Paulus“ und „Timotheus“. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Fundament und die Säulen gleichermaßen von den sich ausbildenden Gemeindeämtern zu denken sind. Dann wären die Amtsträger (und vielleicht auch Missionare) sowohl das Fundament als auch die Säulen der Wahrheit, für die sie eintreten bzw. einzutreten haben.


Weiterführende Literatur: L. A. Jervis 1999, 695-712 geht der Frage nach, wer Paulus in der Rhetorik des 1 Tim ist. Dabei befasst sie sich nicht mit der Verfasserfrage, sondern – auf Grundlage von 1,11-17; 2,3b-7; 3,14-16 - nur mit der Absicht, der die Person des Paulus in 1 Tim dient. Paulus erscheine als eine Autoritätsperson und die Bekenntnisse seien autoritative Texte. Die drei Bekenntnisse erinnerten an die Geschichte der Gemeinschaft. Paulus werde als eine Persönlichkeit dargestellt, die die wahre Geschichte kennt, die dazu bestimmt ist, die wahre Geschichte zu erzählen, und die Anweisungen bezüglich der angemessenen Frömmigkeit geben kann. Paulus sei der Dichter der Gemeinschaft. In der Antike sei die Dichtung als wirksamstes Mittel der Unterrichtung angesehen worden. Folglich habe die Stimme des Dichters Kraft gehabt.


Der Verfasser des 1 Tim definiere die Kirche als „Haus Gottes“ („oikos theou“), was gemäß K. Zamfir 2014, 511-528 zu der Schlussfolgerung geführt habe, dass die Pastoralbriefe die Kirche als ein erweitertes „Haus“ ansähen, in dem die kirchlichen Ämter und Verhaltensregeln die Verhältnisse im patriarchal strukturierten Haushalt wiedergäben. Streng genommen handele es sich bei dem „Haus Gottes“ jedoch nicht um einen Haushalt. „Ekklêsia“ („Volksversammlung / Gemeinde / Kirche“) sei ein Begriff, der politische Assoziationen wecke, womit die Gemeinschaft eine öffentliche Dimension bekomme. Darüber hinaus werde der Begriff „Haus“ metaphorisch für eine größere Gemeinschaft verwendet, wie es in der Antike auch im Hinblick auf den Kosmos, den Stadtstaat oder einen Verein üblich gewesen sei. Die „ekklêsia“ sei somit ein öffentlicher, gleichsam kosmischer Raum, dessen Gesetze und Strukturen göttliche Legitimation erhielten.


Zur Kirche als „Haus Gottes“ unter Gesichtspunkten gesellschaftlicher Klassen, gesellschaftlicher Struktur und gesellschaftlicher Spannungen siehe D. C. Verner 1983.


Zur Ekklesiologie der Pastoralbriefe siehe K. Löning 1996, 409-430. Die explizite Ekklesiologie sei in den Pastoralbriefen kaum entwickelt. 1 Tim 3,15 sei bereits der Gipfel dessen, was die Pastoralbriefe ekklesiologisch zu bieten haben. Zur Doppel-Metapher „Säule und Fundament“: Sie besage nicht, dass die Wahrheit sich auf das kirchliche Amt stützt, weil sie allein nicht stehen kann. Sie besage vielmehr, dass die Kirche ein fester Ort der Wahrheit ist, sofern sie als die Volksversammlung des lebendigen Gottes in der Wahrheit lebt und sofern sie durch ihr Wissen als Ort, an dem die Wahrheit zu finden ist, qualifiziert ist.


Gemäß M. Gourgues 2007, 173-180 beziehe sich die Formulierung „Säule und Fundament der Wahrheit“ nicht – wie gemeinhin angenommen – auf die Rolle der Kirche, sondern auf die Rolle des Timotheus, an den sich die Ermahnung des V. 15 richte. Bei der Säule und dem Fundament handele es sich um zwei Elemente der Architektur. Sie seien im Inneren des Hauses von Bedeutung, wie auch der Dienst an der Wahrheit von Timotheus im Inneren der Kirche erwartet werde. Gegen diese Deutung würden Einwände im Hinblick auf den Satzbau vorgebracht, außerdem werde entgegnet, dass Timotheus sicherlich nicht eine solch übermäßig große Rolle beigemessen werde. Die Einwände hinsichtlich des Satzbaus seien allerdings nicht stichhaltig. Sicherlich stehe „sollst du wissen“ in einem erheblichen Abstand vor „Säule und Fundament der Wahrheit“, jedoch bezögen sich die beiden architektonischen Elemente auch auf „wie man sich im Hause Gottes verhält“, womit ein deutlich geringerer Abstand gegeben sei. Und angesichts der einzigartigen Rolle, die Timotheus im 1 Tim spiele, erscheine es auch nicht als überzogen, ihn als „Säule und Fundament der Wahrheit“ zu bezeichnen. Die Bezeichnung sei ja schließlich auch nur auf seinen kirchlichen Dienst bezogen und nicht auf das Erstreben eines persönlichen Ideals.

Dass Timotheus „Säule und Fundament der Wahrheit“ sei, nimmt auch E. Testa 1996, 87-100 an.


Zum Dienst des Pastors in der (lokalen) Kirche als Familie Gottes, versammelte Gemeinde des lebendigen Gottes, Säule und Fundament der Wahrheit, die den Mächten des unsichtbaren Reiches die vielfältige Weisheit der geheimnisvollen Absichten Gottes zu seinem eigenen Ruhm bekunde, siehe B. Kynes 2010, 30-36.


Mit dem Gebrauch des AT in den Pastoralbriefen befasst sich A. T. Hanson 1981, 203-219. Zu 1 Tim 3,15: Der Begriff „hedraiôma“ („Fundament“) stelle einen Anklang an 1 Kön 8,13b dar, dessen hebräischer Text von manchen griechischen Übersetzungen (nicht LXX) mit „hedrasma tê kathedra“ („ein Sitz, um darauf zu sitzen“) übersetzt werde. Salomos Tempel werde also als „Gottes Sitz“ angesehen, wobei der Begriff „hedrasma“ eng mit dem Begriff „hedraiôma“ verwandt sei. Der Begriff „stylos“ („Säule“) erinnere an die Wolkensäule, die den Tempel nach dessen Weihe durch Salomo erfüllte. Wir hätten es also in 1 Tim 3,15 mit einem frühchristlichen Midrasch von 1 Kön 8,13 zu tun, in dem die Herrlichkeit Gottes, die den salomonischen Tempel füllte, als Typos der Herrlichkeit Gottes in Christus gesehen werde, die den wahren Tempel in der neuen Ordnung, der christlichen Kirche, erfülle.


( Nach oben ) ( Literaturübersicht )

V. 16


Beobachtungen: Das Adverb „homologoumenôs“ bedeutet „anerkanntermaßen“. Es wird also etwas ausgesagt, was allgemein anerkannt wird. Aber wird es auch von allen anerkannt? „Alle“ sind Christen, Juden und Heiden gleichermaßen. Weil Heiden und Juden (noch) nicht zum christlichen Glauben gekommen sind, erkennen diese sicherlich keine christlichen Glaubensaussagen an. Insofern dürfte sich „anerkanntermaßen“ nur auf die Christen beziehen. V. 16 ist demnach eine Glaubensaussage, ein Bekenntnis von Christen. Sie hat den Charakter eines Lobpreises, weshalb wir von einem christlichen Hymnus sprechen können. Dabei mag „Paulus“ einen bereits existierenden, möglicherweise bereits im Gottesdienst gesprochenen christlichen Hymnus übernommen und in seinen Text eingebaut haben. Nun handelt es sich bei dem christlichen Hymnus aber nicht nur um eine gemeinsame Meinung, um etwas, worauf man sich geeinigt hat, sondern um die Äußerung einer Glaubenswahrheit. Es wird in V. 16 also die „Wahrheit“ entfaltet. Wahrheit geht über gemeinsame Meinung und gemeinsame Überzeugung hinaus. Die Wahrheit ist nicht subjektiv, also nach dem Urteil eines Teils der Menschen, richtig. Sie ist auch nicht intersubjektiv, also nach dem Urteil vieler oder aller Menschen richtig. Wahrheit ist objektiv richtig. Sie ist also richtig, gleich ob Menschen sie als richtig akzeptieren oder nicht. Das Adverb „homologoumenôs“ besagt also, dass das nun Folgende von allen Christen und speziell auch den Gottesdienstbesuchern so anerkannt wird. Es besagt aber auch, dass es zweifellos so ist, also nicht bestritten werden kann. Insofern kann die Übersetzung auch „ohne Zweifel“ oder „ohne Frage“ lauten.


Gemäß 1 Tim 2,2 sind „Frömmigkeit“ („eusebeia“) und „Ehrbarkeit“ („semnotês“) die beiden wesentlichen Merkmale christlicher Existenz. Diese ist also zum einen vom rechten Glauben und zum anderen vom rechten Verhalten geprägt. Die „Frömmigkeit“ beinhaltet wohl an erster Stelle den rechten Glauben, dabei ist aber wohl auch an das rechte Verhalten gedacht. Rechter Glaube und rechtes Verhalten gehören zusammen.


Die Genitivkonstruktion „Geheimnis der Frömmigkeit“ kann also wohl ähnlich der Genitivkonstruktion „Geheimnis der Frömmigkeit“ in 1 Tim 3,9 gedeutet werden. Zur Zeit der Abfassung des 1 Tim sind bereits viele Menschen zum christlichen Glauben und damit zur Frömmigkeit gekommen. Daher haben wir vermutlich nicht davon auszugehen, dass die Frömmigkeit an sich ein Geheimnis ist. Vielmehr dürfte es so sein, dass der Grund bzw. Inhalt des Frömmigkeit ein Geheimnis ist – „Geheimnis“ nicht insofern, dass niemand den Grund bzw. den Inhalt der Frömmigkeit weiß, sondern insofern, dass ihn niemand ganz zu erfassen mag. Der Inhalt des Glaubens, das Evangelium, ist zwar gepredigt worden und wird weiterhin gepredigt, jedoch nur insofern, wie ihn der Mensch erfassen kann. Aber Gott bzw. Jesus Christus ist nicht nur Angelegenheit des intellektuellen Verstehens, sondern geht über intellektuelles Verstehen hinaus. Auch wenn die Christen intellektuell das Wesentliche des Glaubens erfasst haben, haben sie den gesamten Glauben in seiner vollständigen Dimension noch nicht erfasst. Der Glaubensinhalt geht über die Vernunft hinaus. Damit geht auch der Grund bzw. Inhalt der Frömmigkeit über die Vernunft hinaus. Eine Unterscheidung zwischen besonders erleuchteten Christen und „normalen“ Christen sowie Nichtchristen macht „Paulus“ nicht. „Glaube“ und „Frömmigkeit“ sind also für alle Menschen ein „Geheimnis“.


„Paulus“ spricht im Hinblick auf die Frömmigkeit nicht nur von einem „Geheimnis“, sondern von einem „großen Geheimnis“. Vielleicht will er das „Geheimnis der Frömmigkeit“ gegenüber den Geheimnissen der Mysterienreligionen, die im 1. Jh. n. Chr. großen Zulauf hatten, herausheben.


Der Bezug der Relativpronomens „hos“ („welcher / er“) ist unklar. Zunächst einmal legt sich ein Bezug zum zuvor genannten Gott bzw. lebendigen Gott nahe. Ein solcher Bezug würde besagen, dass der lebendige Gott im Fleisch offenbart wurde. Die Offenbarung im Fleisch wäre ein Beweis der Lebendigkeit, der Wirkmächtigkeit Gottes. Gott, der schon vor der Offenbarung existierte, wäre den Menschen und der ganzen Welt nicht verborgen geblieben, sondern hätte sich ihnen offenbart. Nun handelt es sich bei dem Fleischgewordenen aber um Jesus Christus. Dieser wäre angesichts des unklaren Bezugs des Relativpronomens „hos“ „wahrhaft Gott“ und als Fleischgewordener zugleich „wahrhaft Mensch“. Dies führt gedanklich zu der christologischen Lehrformel des Konzils von Chalkedon von 451, wonach Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ sei (vgl. die Beobachtungen zu 1 Tim 2,5). Auch Jesus Christus hätte demnach schon vor der Offenbarung existiert. Der Bezug der Formulierung „offenbart im Fleisch“ auf die Menschwerdung Gottes, auf die Geburt Christi und auf das Leben Christi als Mensch ist jedoch nicht der einzige mögliche Bezug. Möglich ist auch ein Bezug darauf, dass der Auferstandene verschiedenen Menschen im Fleisch erschienen ist.


Es erstaunt, dass Jesus Christus – dieser ist von nun an sicherlich gemeint, nicht Gott – gerechtfertigt werden musste. Die Rechtfertigung betrifft eigentlich Sünder. Diesen dient der stellvertretende Kreuzestod Christi, indem die Sünden vergeben werden, sofern dies nur geglaubt wird. Hätte etwa Christi Kreuzestod bewirkt, dass ihm als erstem Menschen die Sünden vergeben wurden? Dass Jesus Christus hier als Sünder dargestellt wird, dem die Sünden vergeben wurden, ist doch unwahrscheinlich. Doch was könnte sonst mit „gerechtfertigt im Geist“ gemeint sein? Möglicherweise wird Jesus Christus als Prototyp des Christen und zugleich als Sohn Gottes dargestellt. So wurde Jesus getauft. Und nach seiner Taufe kam der Geist (Gottes) in Gestalt einer Taube auf ihn herab. Und eine Stimme vom Himmel herab sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (vgl. Mt 3,13-17; Mk 1,9-11; Lk 3,21-22; Joh 1,29-34). Mit der Taufe wird sichtbar der Glaube kundgetan, was für die Rechtfertigung die Voraussetzung ist. Jesus hat aber mit der Taufe nicht seinen Glauben kundgetan, denn er ist ja selbst Glaubensinhalt. Er hat vielmehr seine besondere Rolle in der Heilsgeschichte deutlich gemacht. Und mit der Taufe wurde deutlich, dass Jesus nicht nur wahrer Mensch war. Der Geist (Gottes) machte das deutlich. Mit der Taufe wurde Gott von Gott als Sohn adoptiert. Später wurde Jesus gekreuzigt. Damit war der Tod verbunden. Jesus ist zwar auch am Kreuz gestorben, aber er ist von Gott von den Toten auferweckt worden. Wäre er nicht gerechtfertigt gewesen, wäre das nicht geschehen. „Gerechtfertigt“ bezieht sich wohl auf die Taufe und Adoption als „Sohn Gottes“. So hatte nicht der Tod das letzte Wort, sondern das Leben. Jesus war also der Erste, der von Gott von den Toten auferweckt wurde. Wer getauft ist, an das Heilsgeschehen glaubt und das mit seinem Lebenswandel zu erkennen gibt, ist bzw. wird ebenfalls gerechtfertigt und von den Toten auferweckt. Jesus ist nach seiner Auferweckung aber nicht auf der Erde geblieben und hier verstorben, sondern gen Himmel gefahren (vgl. Mk 16,19; Lk 24,51). Jesus war zwar „Fleisch“, war und ist aber nicht der irdischen Welt zugehörig.


Mit der „Geist“ ist wohl der Geist Gottes gemeint. Er ist eine Wirkkraft: In ihm, also wohl in seinem Wirkbereich, ist die Rechtfertigung erfolgt. Man kann auch sagen: Durch ihn ist die Rechtfertigung erfolgt. Die Präposition „en“ kann sowohl „in“ als auch „durch“ bedeuten. Das Wirken dürfte mindestens die Taufe und die Adoption Jesu als Sohn Gottes betreffen, darüber hinaus wahrscheinlich aber auch die Auferweckung von den Toten und die Himmelfahrt. All dies dürfte Jesus nicht aus eigener Kraft bewirkt haben. Der „Geist“ macht wohl auch deutlich, dass Jesus nicht der irdischen Welt zugehörig war. Dass der „Geist“ den Geist Jesu meint, ist ebenfalls möglich, aber unwahrscheinlich. Es geht hier nicht darum, dass Jesu eigener Geist wirkmächtig gewesen wäre und er sich gleichsam selbst mittels seines Geistes gerechtfertigt hätte.


Es bleibt offen, welche Bedeutung genau das „geschaut werden“ hat. Zunächst einmal ist die ganz profane Bedeutung „gesehen werden“ anzunehmen. Jesus Christus wurde von den Engeln gesehen. Er wurde von den Engeln gesehen, weil Jesus Christus ihnen erschienen ist . „Er ist erschienen“ ist die zweite Bedeutung und Übersetzungsmöglichkeit des passiven Verbs „ôphthê“. Das Erscheinen Jesu Christi bei oder vor den Engeln setzt einen Ortswechsel voraus. Die Engel lassen sich am ehesten im Himmel bzw. in den Himmeln verorten. Theoretisch wäre möglich, dass die Engel vom Himmel herab Jesus bereits auf Erden sehen konnten, allerdings setzt der Spannungsbogen eine chronologische Reihenfolge und eine besondere theologische Relevanz der Ereignisse voraus. Insofern geht es hier wohl nicht um die Fähigkeit, Jesus vom Himmel aus zu sehen, sondern es geht darum, dass Jesus gen Himmel aufgefahren ist. Wenn er dort den Engeln erschienen ist und von ihnen gesehen wurde, dann war Jesus zwar wahrhaft Mensch, aber nicht an das irdische Dasein gebunden. Jesus war also kein rein irdischer Mensch wie alle anderen, sondern seine „Heimat“ sind die himmlischen Gefilde. Mit dem „geschaut werden“ kann Verehrung seitens der Engel verbunden sein, jedoch ist unklar, inwieweit auf ihr der Fokus liegt.


Das „gepredigt werden“ setzt voraus, dass Jesus gen Himmel gefahren ist. Jesus Christus wird und wurde nicht als irdischer Mensch gepredigt. Er wurde und wird auch nicht als von den Toten auferstandener irdischer Mensch gepredigt. Jesus Christus wird als ein Mensch, der gen Himmel gefahren und somit nicht an die Erde gebunden ist, gepredigt.


Der Begriff „ethnê“ kann mit „Völker“, „Heidenvölker“ oder „Heiden“ übersetzt werden. In V. 16 ist keine Einschränkung bezüglich der Völker, die gemeint sein könnten, zu erkennen. Tatsächlich wurde ja unter den verschiedensten „Paulus“ bekannten Völkern gepredigt. Zum einen wurde dem Volk der Juden, dem Volk Israel, gepredigt. Unter ihm hatte die christliche Mission begonnen. Zum anderen wurde aber auch den Heidenvölkern gepredigt. Weil aber „ethnê“ häufig nur die Heidenvölker bezeichnet, ist auch in V. 16 ein Bezug nur auf die Heidenvölker möglich.


„Geglaubt in der Welt“ passt ebenfalls in die chronologische Reihenfolge, weil der Glaube die Predigt voraussetzt. Die „Welt“ ist der Lebensraum der Menschen, Ort der Predigt und des Glaubens. Durch seine Himmelfahrt gehört Jesus Christus nicht mehr der „Welt“ an. Geglaubt wird also etwas, was nicht (mehr) irdisch ist. Glaube und Bekenntnis bzw. Lobpreis hängen eng zusammen, der Glaube ist Teil des Heilsgeschehens. Insofern gilt es den (rechten) Glauben zu stärken und zu verteidigen.


Das abschließende „aufgenommen in Herrlichkeit“ irritiert, weil Jesus Christus längst gen Himmel gefahren ist und den Engeln offenbart und von diesen geschaut wurde. Die „Herrlichkeit“ ist gewöhnlich auf Gott bezogen und beinhaltet die Aspekte des Ruhms, der Herrschaft, der Pracht und des Glanzes. Wenn es also abschließend „aufgenommen in Herrlichkeit“ heißt, dann ist zunächst einmal festzustellen, dass in V. 16 die Himmelfahrt Christi noch nicht als „Aufnahme in Herrlichkeit“ verstanden ist. Ein Bezug auf die Himmelfahrt hätte sich schon deswegen nahegelegt, weil „analambanô“ dem genauen Wortsinn nach „empor nehmen“ bedeutet. Der genaue Wortsinn beinhaltet also einen Ortswechsel von unten nach oben. Das lässt daran denken, dass Christi Himmelfahrt zwar nicht als „Aufnahme in Herrlichkeit“ verstanden ist, aber als „Aufnahme“. „In Herrlichkeit“ würde sich auf ein anderes, späteres Geschehen beziehen. Die „Aufnahme in Herrlichkeit“ könnte im Sinne von „Einsetzung zur Rechten Gottes“ oder einer ähnlichen Handlung Gottes verstanden sein. Mit Blick auf das Schauen der Engel würde sich dann die Frage stellen, ob die Engel zu dem gleichen Himmel wie Gott gehören, oder ob der Ort der Engel nicht als anderer Himmel, als eine Art Vorhimmel zu dem eigentlichen Himmel Gottes zu verstehen ist. Wichtig ist, dass die „Aufnahme in Herrlichkeit“ erst auf die Verbreitung des Glaubens folgte. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass der Glaube an Jesus Christus aufgenommen bzw. angenommen wurde. Damit verbreitete sich auch der Ruhm Christi bzw. Gottes, womit sich Christi bzw. Gottes Herrschafts- und Machtbereich vergrößerte. Damit verstrahlte Christus bzw. Gott noch größeren Glanz als zuvor. „Aufgenommen in Herrlichkeit“ auf all diese Folgen der Verbreitung des Glaubens hinweisen. Erst nach der Verbreitung des Glaubens kommt Christi (und auch Gottes) „Herrlichkeit“ zur vollen Entfaltung, weshalb „aufgenommen in Herrlichkeit“ den Schlusspunkt des Heilsgeschehens setzt. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Himmelfahrt, sondern auf der Bestimmung Christi, seinen Platz bei Gott einzunehmen.


Weiterführende Literatur: Zur „eusebeia“ („Frömmigkeit“) als Beispiel für die Adaption, Transformation und Inkulturation hellenistisch-römischer Vorstellungen in den Pastoralbriefen siehe J. Herzer 2007, 309-329. Der Begriff werde in den Pastoralbriefen unterschiedlich verwendet und ein kohärentes „Konzept“ von „eusebeia“ sei nicht zu erweisen. Während er im 1 Tim eine deutliche Affinität zum römischen Pietas-Begriff im Sinne der Loyalität gegenüber gesellschaftlichen Strukturen und Gegebenheiten und einem entsprechend angemessenen Verhalten habe, umschreibe der Begriff im 2 Tim und im Tit die christologisch begründete Lebenshaltung.


Gemäß T. Söding 2008, 63-86 komme dem Passus über die Kirche in 1 Tim 3,14-16 eine Schlüsselstellung im gesamten Brief zu. Was im Hause Gottes angemessen scheine, ergebe sich aus dem Wesen der Kirche, „Säule und Fundament der Wahrheit“ zu sein; das Wesen der Kirche wiederum ergebe sich aus dem Christusgeschehen, das mit Hilfe einer traditionellen Formel stichwortartig vergegenwärtigt werde.


In der Forschung herrsche gemäß G. S. MaGee 2008, 247-265 weitgehender Konsens, dass Paulus den Begriff „mystêrion“ („Geheimnis“) dann benutze, wenn er die einstige Verborgenheit von der jetzt enthüllten Rettung in Christus unterstreichen will. In 1 Tim 3,9.16 sei die genaue Bedeutung jedoch unklar, was damit zusammenhänge, dass der Begriff hier in einem Wortumfeld auftauche, zu dem es keine enge Parallele in Paulus’ anderen Schriften gibt. Dies habe manche Ausleger zu der Annahme geführt, dass hier eine besondere Verwendung des Begriffs „mystêrion“ vorliege. G. S. MaGee macht jedoch deutlich, dass dies nicht der Fall sei.


Laut F. Manns 1981, 119-122 stimmten die meisten Exegeten darin überein, dass 1 Tim 3,16 vorpaulinisch sei. Er sei von einem eigenen Rhythmus und Vokabular gekennzeichnet und sei hinsichtlich des Inhaltes deutlich von den vorhergehenden Versen unterschieden. Das habe zahlreiche Exegeten dazu geführt, nach seinem Ursprung zu forschen. Verschiedene Studien hätten einen Parallelismus festgestellt, einen Kontrast zwischen den irdischen und himmlischen Welten und eine chiastische Darstellung der letzteren. Einige sähen drei Strophen mit jeweils zwei Versen, andere zwei Strophen mit jeweils drei Versen. Wenig Aufmerksamkeit werde jedoch der Tatsache geschenkt, dass sich sechs Verse finden. Sowohl die Verfasser des NT als auch zeitgenössische rabbinische Autoren hätten bewusst Zahlensymbolik verwendet. 3,16 enthalte eine chronologische Zusammenfassung von Jesu Leben: Menschwerdung Jesu, Auferstehung, Höllenfahrt, Zeit der Unterweisung nach der Auferstehung und Himmelfahrt. Jesu Leben – so die Zahlensymbolik – inszeniere das sechstägige Schöpfungswerk neu und bewirke die neue Schöpfung.


Zu Struktur und Inhalt des Hymnus V. 16 siehe E. Testa 1996, 87-100.


In den Pastoralbriefen findet sich fünfmal die Formel „pistos ho theos“ („zuverlässig ist das Wort“: 1 Tim 1,15; 3,1; 4,9; 2 Tim 2,11; Tit 3,8). Dabei ist umstritten, ob die Formel den Worten, auf die sie sich bezieht, vorausgeht oder folgt. R. A. Campbell 1994, 73-86 macht anhand von formkritischen Argumenten deutlich, dass sie ihnen stets vorausgingen, sie also einleiteten. In manchen Fällen müsse die Aussage, auf die sie sich bezieht, neu identifiziert werden. Das sei insbesondere im Hinblick auf 1 Tim 3,1 der Fall, wo die Bezugsworte in 3,16 auszumachen seien. Bisher habe noch niemand ausdrücklich diesen Vers mit der in einem gewissen Abstand vorhergehenden Formel verbunden. Der große Abstand lasse sich möglicherweise damit erklären, dass die Pastoralbriefe aus großen Blöcken Traditionsmaterial zusammengesetzt sind. Das gelte auch für 1 Tim 3. Ursprünglich seien die Aussagen, auf die sich die Formel jeweils bezieht, katechetische Grundsätze gewesen. Sie seien vermutlich von den Nachfolgern des Apostels Paulus in dessen Geist formuliert worden, ohne Zitate zu sein. Sie hätten den sich entwickelnden Gemeinden als Leitfaden gedient.


1 Tim 3,16 werde laut D. C. Arichea Jr. 2007, 179-185 gemeinhin für einen Hymnus und nicht für eine Glaubensaussage gehalten. Es handele sich also um einen poetischen Text und nicht um Prosa. Hymnische Texte stellten Übersetzer vor besondere Herausforderungen. Auf diese geht er im Hinblick auf 3,16 ein.


Mit im NT eingebetteten Fragmenten von hymnischen Texten befasst sich L. DiPaolo 2008, der auf S. 143-144 auf 1 Tim 3,16 eingeht. Dieses Fragment habe ausschließlich das Leben Jesu im Blick, ohne Aussagen zum Dasein mit Gott Vater vor der Fleischwerdung zu machen oder Schöpfungsbilder zu bieten. Es habe wahrscheinlich seinen Ursprung im griechisch-römischen religiösen Denken, denn es handele ausdrücklich und allein von der Fleischwerdung.


Zur Funktion des hymnischen Materials in den Paulusbriefen siehe S. E. Fowl, der auf S. 155-194 auf 1 Tim 3,16b eingeht. Ergebnis: In einer Situation, in der das gegenwärtige Gutsein der Schöpfung infrage gestellt ist, brauche Paulus eine Art Bericht, wie die Kluft zwischen Schöpfung und Schöpfer überbrückt werden kann. Mit diesem könne er den asketischen Irrlehrern entgegen treten.


Zum Zusammenspiel von Gebet und Lehre siehe A. O’Leary 1981, 243-254, der sich auf S. 244-248 mit dem Hymnus in 1 Tim 3,16 befasst.


J. Murphy-O’Connor 1984, 178-187 hält „ôphthê angelois“ („geschaut von Engeln“) für einen redaktionellen Einschub. „Ôphthê“ sei mit „er erschien“ zu übersetzen. Die „angeloi“ würden meist als geistliche Wesen gedeutet, sei es als Mitglieder des himmlischen Hofstaats, als feindliche Geister der Unterwelt oder als Engel der Versuchungen, der Auferstehung oder der Himmelfahrt. Tatsächlich habe jedoch der Redaktor menschliche Gesandte im Blick. Der Hymnus springe von der physischen Existenz Jesu auf der Erde zur weltweiten Verkündigung. Der redaktionelle Einschub sei erfolgt, weil es dem Redaktor wichtig schien, dass die Darstellung Jesu durch den Kontakt mit autorisierten (menschlichen) Gesandten verbürgt ist.



Literaturübersicht


Arichea Jr., Daniel C.; Translating Hymnic Materials: Theology and Translation in 1 Timothy 3.16, BiTr 58/4 (2007), 179-185

Campbell, R. Alastair; Identifying the Faithful Sayings in the Pastoral Epistels, JSNT 54 (1994), 73-86

DiPaolo, Lawrence; Hymn Fragments Embedded in the New Testament. Hellenistic Jewish and Greco-Roman Parallels, Lewiston, New York et al. 2008

Fowl, Stephen E.; The Story of Christ in the Ethics of Paul: An Analysis of the Function of the Hymnic Material in the Pauline Corpus (JSNT.S 36), Sheffield 1990

Gourgues, Michel; "Colonne et socle de la vérité". Note sur l'interprétation de 1 Timothée 3,15, ScEs 59/2-3 (2007), 173-180

Hanson, A. T.; The Use of the Old Testament in the Pastoral Epistles, IBS 3/4 (1981), 203-219

Herzer, Jens; "Das Geheimnis der Frömmigkeit" (1 Tim 3,16). Sprache und Stil der Pastoralbriefe im Kontext hellenistisch-römischer Popularphilosophie - eine methodische Problemanzeige, ThQ 187/4 (2007), 309-329

Jervis, L. Ann; Paul the Poet in First Timothy 1:11-17; 2:3b-7; 3:14-16, CBQ 61/4 (1999), 695-712

Kynes, Bill; The Church: A Hidden Glory (1 Timothy 3:14-16), Them 35/1 (2010), 30-36

Löning, Karl; "Säule und Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3,15). Zur Ekklesiologie der Pastoralbriefe, in: R. Kampling, T. Söding [Hrsg.], Ekklesiologie des Neuen Testaments, FS K. Kertelge, Freiburg i. Br. 1996, 409-430

MaGee, Gregory S.; Uncovering the "Mystery" in 1 Timothy 3, TrinJ 29/2 (2008), 247-265

Manns, Frédéric; Judeo-Christian context of 1 Tim 3,16, ThD 29/2 (1981), 119-122

Murphy-O’Connor, Jerome; Redactional Angels in 1 Tim 3:16, RB 91/2 (1984), 178-187

O’Leary, Anthony; The Mystery of our Religion, Way 21/4 (1981), 243-254

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), 1987

Söding, Thomas; 1 Timotheus 3: Der Episkopos und die Diakone in der Kirche, in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 63-86

Testa, Emmanuele; L' inno sul "Sacramentum pietatis" (1 Tm 3,16), LA 46 (1996), 87-100

Verner, David Carl; The Household of God and the Social World of the Pastoral Epistles (SBLDS 71), Chico, California 1983

Zamfir, Korinna; Is the ekklêsia a Household (of God)? Reassessing the Notion of oikos theou in 1 Tim 3.15, NTS 60/4 (2014), 511-528

( Impressum )   ( Datenschutzhinweise )

Werbung: Diakone, Witwen, Presbyter - Ämter in der frühen Kirche
Werbung: Macht und Kirche