Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 4,1-5

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 4,1-5



Übersetzung


1 Tim 4,1-5 : 1 Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden, da sie sich an betrügerische Geister und an Lehren von Dämonen halten, 2 [verleitet] durch Heuchelei der Lügenredner, die in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind. 3 Sie verbieten, zu heiraten, [und gebieten], sich von [bestimmten] Speisen zu enthalten, die (der) Gott [doch] geschaffen hat, damit sie von den Gläubigen und zur Erkenntnis der Wahrheit Gekommenen mit Danksagung genossen werden. 4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird; 5 es wird nämlich durch Gottes Wort und durch Gebet geheiligt.



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V. 1


Beobachtungen: Auf den Abschnitt über die Ordnung der Gemeinde (2,1-3,6) folgt nun ein Abschnitt über die Auseinandersetzung mit den asketischen Forderungen der Irrlehrer (4,1-11). Zunächst geht „Paulus“ auf die wesentlichen Inhalte der Irrlehre ein, wobei er den Schwerpunkt bei der Frage setzt, inwieweit Christen Speisen genießen dürfen (4,1-5). Dann kommt er auf den Nutzen der Frömmigkeit zu sprechen (4,6-11).


„Paulus“ sieht das Heilsgeschehen und das Evangelium als „Wahrheit“ an (vgl. 1 Tim 3,14-16). „Wahrheit“ ist nicht von Menschen ersonnen. Sie ist keine Meinung und auch keine Philosophie, über die man diskutieren könnte. Sie ist auch keine Täuschung und keine Lüge. Insofern sind Zweifel, Argwohn und Abwehr unangebracht. „Wahrheit“ soll erkannt und geglaubt werden. Die Kirche ist „Säule und Fundament“ der Wahrheit. Das bedeutet, dass die Kirche nicht nur auf der „Wahrheit“ gründet, sondern die „Wahrheit“ auch von der Kirche gepredigt und verteidigt werden muss. Das wird in 4,1-11 entfaltet. Schon in 1,3-20 hat „Paulus“ die Bekämpfung der falschen Lehre als wichtige Aufgabe des „Timotheus“ dargestellt. Dabei ist er aber nur ganz allgemein auf die Irrlehre und ihre Bekämpfung eingegangen. In 4,1-11 geht „Paulus“ nun mehr ins Detail.


Das Adverb „rhêtôs“, das im NT nur hier vorkommt, kann zwei verschiedene Bedeutungen haben. Zum einen kann es „wortwörtlich“ bedeuten. Demnach wäre der folgende Wortlaut wortwörtlich das, was der Geist sagt. Zum anderen kann es „ausdrücklich“ bedeuten. Dann wäre das Gesagte von „Paulus“ nicht nur indirekt erschlossen worden, sondern Paulus hätte einen Beleg dafür. Doch woher hat er das ausdrücklich Gesagte? Wenn es der Geist ist, der sagt, dann erscheint der Geist zunächst einmal als Sprechender. Das Gesagte muss nicht unbedingt niedergeschrieben sein. Insofern kann sich „Paulus“ auf etwas beziehen, was er selbst vom Geist gesagt bekommen hat oder was jemand anderes vom Geist gesagt bekommen hat. Wann, bei welcher Gelegenheit und unter welchen Umständen der Geist gesprochen hat, ist unklar. „Paulus“ geht anscheinend davon aus, dass von „Timotheus“ nicht angezweifelt wird, dass es sich tatsächlich um eine ausdrückliche oder gar wortwörtlich so stimmende Aussage handelt. Es scheint also eine Nachprüfbarkeit gegeben zu sein, die Vertrauen schafft. Insofern haben wir wohl nicht davon auszugehen, dass das Gesagte nur einer einzigen Person vom Geist ganz intim gesagt wurde. Entweder wird also vorausgesetzt, dass das Gesagte bereits publik gemacht wurde, oder das Gesagte ist schriftlich festgehalten. Wenn es schriftlich festgehalten wurde, dann stellt sich die Frage, wo. Am ehesten ist an die Bibel zu denken.


"Kairos" ist ein Begriff für die "Zeit". Dabei ist jedoch nicht ein beliebiger Zeitpunkt oder ein Zeitverlauf im Blick, sondern die "rechte Zeit". Es ist also ein Zeitpunkt oder eine Zeitspanne gemeint, der bzw. die für ein Geschehen oder eine Handlung geeignet ist. Der Zeitpunkt oder die Zeitspanne kann auch derjenige bzw. diejenige sein, in dem bzw. in der sich ein von Gott vorgesehenes Ereignis abspielt.

Es ist von „späteren/künftigen Zeiten“ oder „letzten Zeiten“ – „hysteros“ kann sowohl „später/künftig“ als auch „letzter“ bedeuten - die Rede. Weil der Glaubensabfall zur Zeit des „Paulus“ erfolgt, muss der Geist schon in früheren Zeiten gesprochen haben. Das Futur „manche werden abfallen“ macht nämlich deutlich, dass etwas Zukünftiges prophezeit wird, und zwar etwas vom Zeitpunkt des Sprechens des Geistes aus gesehen Zukünftiges. Wenn hier die „letzten Zeiten“ im Blick sind, was gut möglich ist, dann haben wir es mit einer Prophezeiung für die Endzeit zu tun.

Der Plural „Zeiten“ kann so gedeutet werden, dass die Prophezeiung für einen großen, unbestimmten Zeitraum erfolgt ist. Sie kann aber auch so gedeutet werden, dass sich der Glaubensabfall über mehrere Zeiten, also über einen längeren Zeitraum erstreckt. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um eine sprachliche Wendung, die nicht überzubewerten ist.


Es fällt die gehäufte Verwendung des Begriffs „pneuma“ („Geist“) auf. Dabei geht es nicht nur um einen einzigen Geist, sondern um mehrere. Und die Geister sind verschieden. Da ist zum einen der eindeutig positiv charakterisierte Geist, in dem die Rechtfertigung Jesu erfolgt ist (vgl. 1 Tim 3,16) und der (gemäß 4,1) prophezeit hat. Dieser eindeutig positiv bewertete Geist hat eine wichtige Funktion in der Heilsgeschichte inne und ist der „Wahrheit“ zugeordnet. Dann gibt es aber auch Geister, die dem eindeutig positiv charakterisierten Geist entgegenstehen. Diese Geister sind „betrügerisch“ oder „verführerisch“.

Das Adjektiv „planos“ kann sowohl „betrügerisch“ als auch „verführerisch“ bedeuten. Eine Entscheidung zwischen beiden Bedeutungen ist hier wohl nicht erforderlich, denn die Geister sind sowohl betrügerisch als auch verführerisch. Betrügerisch sind sie insofern, als sie zur Entstehung und Verbreitung einer Lehre beitragen, die nicht der „Wahrheit“ entspricht. Sie tragen also zur Entstehung und Verbreitung einer Irrlehre bei. Damit tragen sie dazu bei, dass manche vom rechten Glauben abkommen. Sie führen also auf den falschen Glaubensweg, sind verführerisch – verführerisch auch insofern, als sie attraktiv sind. Nur aufgrund ihrer Attraktivität haben sie überhaupt Erfolg.


Worum es sich bei den „Dämonen“ handelt, bleibt offen. Es kann sich um Geister handeln, aber auch um Gottheiten. Für das Verständnis der Aussage ist eine genaue Bestimmung aber auch nicht erforderlich. Es kann festgehalten werden, dass es sich um Wesen handelt, die nicht fleischlicher Art sind. Entscheidend ist, dass die Wesen als negativ charakterisiert werden: Die von ihnen in die Welt gesetzten Lehren weichen vom Evangelium, der „Wahrheit“ ab. Insofern haben die Dämonen nichts mit dem Geist Gottes zu tun und auch nichts mit Gott selbst oder Jesus Christus. Sie sind vielmehr Widersacher des Geistes Gottes, Gottes und Jesu Christi.


Weiterführende Literatur: Y. Redalié 2008, 87-108 legt dar, dass der 1 Tim zwar an Timotheus, den jungen Mitarbeiter des Paulus, adressiert sei (1,1), sich tatsächlich aber insbesondere an die Gemeinde in Ephesus richte, einschließlich derer, die Probleme verursachen. Darüber hinaus ermahne er auch alle anderen mit „Timotheus“ Mitgemeinten: reformierte Pastoren, Reformatoren und Mitstreiter, die dazu aufgefordert würden, dem „Patron“, dem von Paulus gegebenen Beispiel zu folgen.


B. Campbell 1997, 189-204 wendet sich gegen die Vorstellung, dass 1 Tim 4 eine Sammlung von Anweisungen ohne durchdachte Anordnung sei. Es sei durchaus ein rhetorischer Plan nach antikem Muster zu erkennen. Der Fokus liege auf Timotheus’ Charakter und Aktivität angesichts der falschen Lehre. Paulus setze auf Timotheus als guten Diener Jesu Christi. V. 1-5 stelle die „narratio“ dar, V. 6-10 die „expolitio“, V. 11-16 den „epilogus“.


Das geringe Maß an Bezügen auf den heiligen Geist in den Pastoralbriefen habe laut M. A. G. Haykin 1985, 291-305 manche Ausleger zur Annahme verleitet, dass wir es in diesen Briefen mit einem rigideren, weniger charismatischen Verständnis christlicher Theologie und Praxis zu tun haben. Diese Annahme sei jedoch irrig. Auch wenn der heilige Geist in den Pastoralbriefen keine prominente Rolle spiele, gebe es keinen Grund dazu, die pneumatologischen Aussagen in die Nähe späterer Autoren wie Ignatius von Antiochien zu rücken. Ignatius von Antiochien habe die Gaben des heiligen Geistes, speziell die Prophetie, als dem Bischof vorbehaltene Domäne betrachtet. Der heilige Geist werde in den Pastoralbriefen weiterhin als Herr über die Kirche angesehen, denn er sei es, der Freiheit von der Sünde und Bevollmächtigung zum Dienst bewirke und sicherstelle, dass die Wahrheit in einer lebendigen und verlässlichen Weise von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es gebe also in den Pastoralbriefen hinsichtlich des heiligen Geistes nichts, was Paulus nicht hätte schreiben können.


Bezüglich 4,1 lasse sich laut K. Erlemann 1995, 215-216.290 eine implizite Naherwartung mittels Selbstverortung im apokalyptischen Fahrplan nicht abstreiten. Die „betrügerischen Geister“ und „Lehren von Dämonen“ seien vorhergesagte Endzeitphänomene.


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V. 2


Beobachtungen: Die Irrlehre wird nicht direkt durch betrügerische Geister und Dämonen vermittelt, sondern mittels Lügenredner. Diese heucheln, woraus zu schließen ist, dass sie durchaus die rechte Lehre kennen. Sie verbreiten also keine Irrlehren, weil sie die rechte Lehre nicht kennen, sondern sie verbreiten Irrlehren wider besseren Wissens. Sie wissen, dass es Irrlehren sind, die sie verbreiten, und geben diese trotzdem als die rechte Lehre aus. Darin liegt die Heuchelei. Und darin liegt die Lüge.


Das „Gewissen“ („syneidêsis“) spielt in 1 Tim eine große Rolle. Das „gute Gewissen“ erscheint als Voraussetzung für den rechten Glauben. Mit Bildern der Seefahrt gesprochen: Es erscheint als Steuerrad, mit dem das Schiff, der Glaube, auf dem rechten Kurs gehalten wird (vgl. 1,19). Wenn das Gewissen gebrandmarkt ist, dann handelt es sich auf jeden Fall um etwas Negatives. Dabei handelt es sich nicht einfach nur um ein schlechtes Gewissen, sondern an dem Gewissen ist etwas geschehen: Es ist gebrandmarkt worden.


Das Brandmarken machte in der Geschichte deutlich, dass sich ein Mensch etwas Gravierendes hat zuschulden kommen lassen. Das eingebrannte Zeichen führte stets den anderen Menschen das Vergehen des Gebrandmarkten, die Schande, vor Augen. Daher wurde das Zeichen als „Schandmal“ bezeichnet. „Paulus“ versteht den Glaubensabfall als ein gravierendes Vergehen. Dieses Vergehen wird durch ein Schandmal gekennzeichnet. Gemäß V. 2 ist bzw. wird dieses in das Gewissen gebrannt. Nun ist dieses Schandmal jedoch für die Menschen unsichtbar. Insofern kann nicht gemeint sein, dass den Menschen die Schuld der vom Glauben abgefallenen Person vor Augen geführt wird. Wer sonst das Schandmal sehen bzw. erkennen könnte, bleibt offen. Zu denken ist an nichtirdische Wesen. Ob Engel das Schandmal erkennen können, ist unsicher. Unter der Annahme, dass Gott allwissend ist, zumindest den Heilsplan ersonnen hat, können wir davon ausgehen, dass Gott das Schandmal erkennt. Aufgrund seiner engen Verbindung mit Gott und auch göttlichen Natur können wir darüber hinaus davon ausgehen, dass Jesus Christus das Schandmal erkennen kann. Auf jeden Fall kann dasjenige Wesen das Schandmal erkennen, das das Einbrennen durchgeführt hat. Aber welches Wesen war das? Das Schandmal wird als Strafe eingebrannt. Insofern kann nur ein Wesen das Schandmal einbrennen, das den Glaubensabfall als ein gravierendes Vergehen bewertet. Das kann Gott sein, aber auch Jesus Christus. Die betrügerischen Geister, die Dämonen (und der nicht erwähnte Teufel/Satan) kommen nicht infrage, weil sie den Glaubensabfall ja verursacht haben. Sie beurteilen den Glaubensabfall positiv und haben keine Veranlassung, in das Gewissen der abgefallenen Person ein Schandmal einzubrennen. Sie kommen nur dann als diejenigen infrage, die das Zeichen eingebrannt haben, wenn in V. 2 das Brandmarken nicht als Strafe verstanden ist, sondern als Zeichen des Besitzes, wie es bei Haustieren gebraucht wird. Dann würde es sich nicht um ein Schandmal, sondern um ein Brandmal zur Besitzanzeige handeln. Das Brandmal würde verdeutlichen, dass sich ein Mensch, der vom Glauben abgefallen ist und Irrlehren folgt, an betrügerische Geister und an Lehren von Dämonen hält. Man könnte auch deuten, dass diese Person im Besitz von betrügerischen Geistern und Dämonen ist. Anders als ein „gutes Gewissen“, das wie ein Steuerrad das Schiff des persönlichen Glaubens auf dem rechten Kurs hält, ist das gebrandmarkte Gewissen bei der Steuerung untauglich. Das gebrandmarkte Gewissen entspricht einem untauglichen, weil falsch lenkenden Steuerrad oder ist gar kein Steuerrad. Fazit: Bei dem eingebrannten Zeichen kann es sich um ein Schandmal oder um ein Brandmal zur Besitzanzeige handeln. Daher lässt sich nicht sagen und bleibt vielleicht absichtlich offen, wer das Zeichen in das Gewissen eingebrannt hat.


Weiterführende Literatur:


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V. 3


Beobachtungen: Wenn die Irrlehrer verbieten zu heiraten, dann verbieten sie möglicherweise auch jeden Geschlechtsverkehr. Bedingung dieser Schlussfolgerung ist, dass der Geschlechtsverkehr nur im Rahmen der Ehe als zulässig gedacht ist. „Paulus“ lehnt ein Heiratsverbot ab, wobei der Grund offen bleibt. Auf jeden Fall liegt „Paulus“ auf einer Linie mit dem Apostel Paulus. Paulus favorisierte zwar die Ehelosigkeit, sah jedoch die Ehe als zweitbeste Lebensform an (vgl. 1 Kor 7).


Das Verb „kôlyô“ bedeutet „hindern“ oder „verbieten“, wobei hier wohl letztere Bedeutung vorliegt. Es werden anschließend zwei Dinge genannt, die die Irrlehrer verbieten: Zum einen verbieten sie zu heiraten, zum anderen verbieten sie, sich von Speisen zu enthalten. Daraus ist zu schließen, dass „Paulus“ fordert, dass Christen sich bestimmter oder aller Speisen enthalten sollen. Sie sollen also bestimmte Speisegebote einhalten oder - vermutlich im Sinne der Askese - die gesamte Nahrung auf ein Minimum reduzieren. Der folgende Verlauf von V. 3 verwundert jedoch: Wieso fordert „Paulus“ die Einhaltung von bestimmten Speisegeboten oder radikale Askese, wenn er doch selbst schreibt, dass Gott die Lebensmittel geschaffen hat, damit sie mit Danksagung genossen werden von den Gläubigen und zur Erkenntnis der Wahrheit Gekommenen? Der Widerspruch lässt angeraten sein, die Deutung des Beginns von V. 3 zu überprüfen. Dass die Irrlehrer verbieten, zu heiraten, ist so ausdrücklich ausgesagt. Hier liegt kein Auslegungsproblem. Das Auslegungsproblem beginnt damit, dass sich vor dem Infinitiv „apechesthai“ („meiden / sich enthalten von“) kein Partizip findet, womit streng genommen weiterhin ein Bezug auf das Partizip „kôluontôn“ – hier mit „sie verbieten“ übersetzt – vorliegt. Aber die Übersetzung „sie verbieten, zu heiraten [und] sich von [bestimmten] Speisen zu enthalten…“ , ist ja mit Blick auf den Fortgang des V. 3 ausgeschlossen. Eigentlich muss es heißen „sie verbieten, zu heiraten, [und gebieten] sich von [bestimmten] Speisen zu enthalten…“. Das Verb „gebieten“, das altgriechisch an dieser Stelle „keleuontôn“ lauten könnte, fehlt an dieser Stelle, ist aber für das Verständnis der Aussage erforderlich. Es erstaunt, dass es zu dieser Stelle keine Varianten gibt, denn es wären eigentlich Korrekturversuche zu erwarten. Der Wortlaut mag also irritiert haben, aber nicht in dem Maße, dass man sich zu Korrekturen genötigt sah. Die Auslegungshürden scheinen also auch ohne Korrekturen für überwindbar gehalten worden zu sein. Möglicherweise scheint man hier das rhetorische Stilmittel Zeugma („zeugma“ = „Joch / das Zusammengespannte“) angenommen zu haben, bei dem sich – im Sinne einer Kürzung - ein einziges Verb auf zwei Worte bezieht, aber der Bezug auf das erste Wort mehr Sinn ergibt als der Bezug auf das zweite Wort. Das würde hier bedeuten: „Sie verbieten“ bezieht sich sowohl auf „zu heiraten“ als auch auf „sich zu enthalten“. „Sie verbieten, zu heiraten“ passt besser als „sie verbieten, sich zu enthalten“. Gemeint ist: „Sie verbieten, zu heiraten, und sie gebieten, sich … zu enthalten“. Ein weiteres rhetorisches Stilmittel, das man hier angenommen haben könnte, ist die Ellipse. Bei einer Ellipse ist der Satz grammatikalisch nicht vollständig und somit verkürzt. Unwichtige Teile des Satzes werden ausgelassen, um eine Verstärkung zu bewirken, wobei der Inhalt klar zu verstehen ist. Die Annahme, dass hier vermutlich ein Zeugma oder eine Ellipse vorliegt, löst also das Auslegungsproblem.


„Der Gott“, also der als bekannt vorausgesetzte Gott Israels, hat die Speisen (oder die Zutaten) geschaffen. Dafür gebührt ihm Dank. Einen Grund, sich von (bestimmten) Speisen zu enthalten, gibt es nicht.


Bei den „Gläubigen“ und den „zur Erkenntnis der Wahrheit Gekommenen“ handelt es sich vermutlich nicht um zwei verschiedene Menschengruppen, sondern um eine einzige. Gemeint ist, dass die Gläubigen durch die Erkenntnis der Wahrheit zum Glauben gekommen sind. Die Gläubigen sind das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses. Erkannt wurde die „Wahrheit“.

Mit „Erkenntnis der Wahrheit“ ist sicherlich nicht philosophische Erkenntnis infolge sorgfältigen Nachdenkens gemeint, auch nicht wissenschaftlicher Fortschritt durch Forschung, sondern das Verstehen und gläubige Annehmen des Evangeliums. Es geht also nicht um philosophische oder wissenschaftliche Gelehrsamkeit, sondern um das Heil des Menschen, um die „Rettung“ durch den Glauben an Jesus Christus. V. 3 mag auch zur „Wahrheit“ zählen, dass Gott die Speisen (oder die Zutaten) geschaffen hat.


Weiterführende Literatur: R. Amici 2008, 455-473 geht den verschiedenen Aussagen zu Irrlehrern und deren Lehren nach, wie sie sich in den Briefen an Timotheus und Titus finden. Zu 1 Tim 4,3: Das Heiratsverbot und die Speiseverbote seien in einer negativen Einstellung der Schöpfung gegenüber verankert. Gegen diese übermäßige Askese wende sich der Verfasser der Pastoralbriefe ebenso wie gegen Laschheit im Lebenswandel (vgl. 2 Tim 2,18).


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V. 4


Beobachtungen: V. 4 macht deutlich, dass, alles, was Gott geschaffen hat, gut ist (vgl. Gen 1,11-13.20-25). Damit nimmt „Paulus“ allen denen den Wind aus den Segeln, die meinen, dass Gott zwar die Speisen (oder die Zutaten) geschaffen hat, er aber nicht alle Speisen (oder alle Zutaten) gut geschaffen hat. Wenn Gott alle Speisen (oder alle Zutaten) gut geschaffen hat, gibt es keinen Grund, irgendeine Speise (oder Zutat) für verwerflich zu halten und zu meiden. Jede Speise kann also (mit der Hand) genommen und dann genossen werden.


Die Formulierung „pan ktisma“ bedeutet wörtlich „jedes Geschaffene“. Flüssiger, dabei ebenso treffend ist die Übersetzung „alles, was Gott geschaffen hat“.


Erneut weist „Paulus“ auf die nötige Danksagung hin. Christen können zwar alle Speisen zu sich nehmen, allerdings soll dies mit der gebührenden Haltung dem Schöpfergott gegenüber geschehen. Die Danksagung ist die gebührende Haltung, die angemessene Antwort auf das gute Schöpfungshandeln Gottes.


Weiterführende Literatur: R. Amici 2007 befasst sich ausführlich mit dem Inhalt und den Umständen von 1 Tim 4,1-5 und mit den Irrlehrern, die die Heirat und den Genuss bestimmter Speisen ablehnten. Er nimmt die philosophischen und religiösen Strömungen, die eine solche Enthaltsamkeit praktizierten, in den Blick und geht der Frage nach, inwiefern der Verfasser der Pastoralbriefe in seinen Aussagen mit denen des Apostels Paulus übereinstimmt.


Laut R. Amici 2009, 445-470 vermeide der Verfasser der Pastoralbriefe den Konflikt mit der Welt und ihren Institutionen. Dem liege eine bestimmte Strategie zugrunde, der es nachzuspüren gelte. Mit diesem Anliegen befasst sich R. Amici mit Texten und Begriffen der Pastoralbriefe, die auf einem rechten Verhältnis zur Welt und Schöpfung bestehen und dieses von den Christen der dritten Generation einfordern. Zu 1 Tim 4,1-5: Der Verfasser der Pastoralbriefe wolle wohl sagen, dass man mit der Akzeptanz der Schöpfung zum „kalos“ („gut/schön“) gelange, wie es von der griechischen Kultur geschätzt worden sei. Durch die Anwendung des Ideals der Schönheit auf die Schöpfung sollten die Gemüter vom Evangelium eingenommen werden.


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V. 5


Beobachtungen: Aus V. 4 ist eigentlich zu schließen, dass es für den Genuss von jeglichen Speisen nichts weiter bedarf als Danksagung. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts verwerflich. Wieso kommt V. 5 nun auf das Heiligen („hagiazô“) durch Gottes Wort und durch Gebet zu sprechen? Wenn alles von Gott Geschaffene gut ist, bedarf es keiner Heiligung der Speisen mehr. Somit haben wir davon auszugehen, dass sich V. 5 nicht auf eine zusätzliche Heiligung bezieht, sondern auf die gute Schöpfung. Gottes Wort dürfte Gen 1,11-13.20-25 oder andere biblische Texte meinen, die von der guten Schöpfung in Hinblick auf Speisen (oder ihre Zutaten) sprechen. Diese Texte werden vermutlich im Gebet zitiert, wobei wir davon auszugehen haben, dass es sich um ein Tischgebet handelt. Das Tischgebet hat den Charakter einer Danksagung. Ohne das Tischgebet wäre die von Gott geschaffenen Speisen (oder Zutaten) zwar auch gut, aber es würde die Danksagung als angemessene Antwort der Christen fehlen. Erst durch die angemessene Antwort der Christen werden die Speisen geheiligt, was Voraussetzung für den freien Genuss der Speisen ist.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Amici, Roberto; "Tutto ciò che Dio ha creato è buono" (1 Tim 4,4). Il rapporto con le realtà terrene nelle Lettere Pastorali (Supplementi alla Rivista Biblica 48), Bologna 2007

Amici, Roberto; Etero-didascalie e falsi maestri nelle lettere a Timoteo e a Tito, RivBib 56/4 (2008), 455-473

Amici, Roberto; Principi e norme di non estraneità al mondo nelle lettere a Timoteo e a Tito, EstB 67/3 (2009), 445-470

Campbell, Barth; Rhetorical Design in 1 Timothy 4, BS 154/614 (1997), 189-204

Erlemann, Kurt; Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament: ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrungen (TANZ 17), Tübingen – Basel 1995

Haykin, Michael A. G.; The Fading Vision? The Spirit and Freedom in the Pastoral Epistles, EvQ 57/4 (1985), 291-305

Redalié, Yann, „Sois un modèle pour les croyants“ Timothée, un portrait exhortatif, 1 Tim 4, in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 87-108

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